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Hausgeschichten aus dem Zelgli - Stadtmuseum Schlössli Aarau

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Anna Gasser-Teppati — 5. Dezember 1921: Das Kaufobjekt<br />

Interimregister No. 1487, Kat.Plan Blatt 27, Parzelle<br />

No. 2121, 4.65 Aren, H<strong>aus</strong>platz+Garten, Unteres <strong>Zelgli</strong><br />

wurde von der Allg. Wohnungsbaugenossenschaft in<br />

<strong>Aarau</strong> verkauft. Der Käufer hiess Ernst Ziegler, SBB-<br />

Beamter. Der Kaufpreis lag bei 2’790.–, 6.– pro m 2 .<br />

Was so amtlich trocken tönt, war der Anfang einer bewegten<br />

kleinen Familiensaga mit vielen, ganz verschiedenen<br />

Darstellern und einem Drehort, <strong>dem</strong> H<strong>aus</strong> am<br />

Rütliweg 12.<br />

Die Schreibende ist eine der Urenkel von Ernst<br />

Ziegler, Gufi genannt, und was folgt ist eine Liebeserklärung<br />

an die Leute, die das H<strong>aus</strong> bewohnten und, so<br />

sonderbar es klingt, an einen Ort, an <strong>dem</strong> jeder von unserer<br />

Familie auf eigene Art und Weise Zuflucht fand,<br />

Geborgenheit genoss, Stärke aufbauen konnte, um Zufriedenheit<br />

im Leben zu finden.<br />

Ernst und Emilie Ziegler zogen mit ihren zwei<br />

Töchtern Clara und Emilie am Rütliweg ein. Das H<strong>aus</strong><br />

wurde liebevoll eingerichtet, ein Gemüsegarten für den<br />

Eigenbedarf wurde angelegt und auf <strong>dem</strong> Sitzplatz<br />

pflanzten sie ein Bäumlein, damals noch kleiner als der<br />

Besitzer (der kein Riese war…): eine Linde! Unter ihren<br />

Ästen, von Anfang an regelmässig und professionell geschnitten,<br />

haben vier Generationen an warmen Sommerabenden<br />

den Schatten genossen, Blätter gesammelt, als<br />

der Herbst wieder kam, im Winter die Linien des nackten<br />

Holzes mit den Augen verfolgt und im Frühling das langsame<br />

Spriessen bewundert. Am H<strong>aus</strong> wurden in all diesen<br />

Jahren keine grosse Änderungen vorgenommen, im<br />

Garten liess das Gemüse irgendwann den farbigen Blumenbeeten<br />

Platz. Äpfel, Zwetschgen, Brombeeren und<br />

Himbeeren kommen nach wie vor von eigenen Bäumen<br />

und Stauden. Das Spezielle am Rütliweg 12 waren die<br />

Bewohner. Die ältere Tochter Clara verliebte sich in Italien,<br />

während einem Aufenthalt als Au Pair. Die abenteurlichen<br />

Flitterwochen führten von Camogli (Genua)<br />

nach <strong>Aarau</strong>, über den Gotthardpass, mit Töff und Sidecar!<br />

Bald gab es bei Clara und Giuseppe Gaggini zwei<br />

Töchter und die kleine Familie reiste fleissig und gerne<br />

von der ligurischen Küste nach <strong>Aarau</strong>. Der 2. Weltkrieg<br />

trennte die Familie, man schrieb sich, man berichtete<br />

über Not und Angst, von Verwüstung und Tod, aber auch<br />

über Freude und Hoffnungen. Besonders gefühlvoll war<br />

das Wiedersehen, vieles wurde erzählt, man weinte und<br />

lachte in den Räumen am Rütliweg 12, Pläne für die Zu-<br />

10 <strong>Stadtmuseum</strong> <strong>Schlössli</strong> <strong>Aarau</strong><br />

6. Rütliweg 12<br />

Pendelnd zwischen der ligurischen Küste und der Schweiz fand eine Familie<br />

über fünf Generationen ihren Ruhepunkt im H<strong>aus</strong> am Rütliweg.<br />

kunft wurden geschmiedet. Für die ältere Tochter von<br />

Clara und Giuseppe (Maria Laura, genannt Marola) war<br />

die perfekte Zweisprachigkeit und die Bindung zu <strong>Aarau</strong><br />

entscheidend: Sie zog in der Nachkriegszeit zu den Grosseltern<br />

Ziegler, begann bei Bally zu arbeiten, später wechselte<br />

sie zu Sprecher und Schuh. Dank ihrer Offenheit<br />

schloss sie rasch Freundschaften, ihre Begeisterung für<br />

die Natur und den Sport führte sie mit <strong>dem</strong> SAC in die<br />

Berge. Die Schweiz wurde ihre zweite Heimat, der Rütliweg<br />

ihr Zuh<strong>aus</strong>e. Ihre Initiativen brachten Modernisierungen<br />

in den Rütliweg-Alltag und lebhafte und respektvolle<br />

Auseinandersetzungen zwischen Grosseltern, Tante<br />

und Marola. Der Kontakt zwischen <strong>Aarau</strong> und Camogli<br />

blieb nach wie vor sehr aktiv: Clara genoss meistens den<br />

angenehmen Sommer «Daheim» in der Schweiz bei den<br />

Eltern, der Schwester Milly und der Tochter Marola und<br />

den milden Winter «Daheim» in Italien bei der zweiten<br />

Tochter Pepi. Auch sie (Maria Giuseppina, genannt Pepi)<br />

war oft zu Besuch. Sie schätzte das ruhige und unabhängige<br />

Leben am Rütliweg, das Ausspannen und die Kühle<br />

im Sommer. Das war so in ihren jungen Jahren und blieb<br />

so bis zuletzt: das H<strong>aus</strong> und der Garten in <strong>Aarau</strong> waren<br />

für sie ein Ort, um Kraft zu tanken. Diese Kraft, die<br />

brauchte sie im Alltag: <strong>aus</strong> der Heirat mit Augusto Teppati<br />

ergab sich eine Grossfamilie. Ich bin das dritte der<br />

vier Kinder (Cesare, Lucia, Anna und Alice) dieser<br />

Grossfamilie, die dritte Generation, die den Rütliweg 12<br />

erlebt. Und weiter haben die beiden Buben meines Bruders,<br />

die Tochter meiner jüngeren Schwester und meine<br />

beiden Mädchen einige Jahre Schnecken im Garten gesucht,<br />

Himbeeren von den Sträuchern gepflückt, sind die<br />

Holztreppe auf <strong>dem</strong> Po hinuntergerutscht, haben alte<br />

Kinderbücher gelesen und gespannt auf das Läuten des<br />

Christkindli-Glöggli gewartet. Meine Geschwister und<br />

ich verbrachten die langen italienischen schulfreien Zeiten<br />

mehrheitlich am Rütliweg 12. An herrliche Momente<br />

erinnern wir uns stets, an die geduldigen Augen der<br />

Grosstante Milly, H<strong>aus</strong>wirtschaftslehrerin, die immer mit<br />

ein wenig Spannung unserer Italo-Invasion in ihrem<br />

H<strong>aus</strong> entgegensah, an die «L<strong>aus</strong>mädchen»-Augen der<br />

Tante Marola, die immer abenteuerliche Erlebnisse mit<br />

uns teilte, an die liebevollen Augen der Nonna Clara, die<br />

streng sein konnte, ohne dass wir es je bemerkten und an<br />

die Augen unserer Mamma, die am Rütliweg immer wieder<br />

die Stärke fand, um in glücklichen sowie in schweren<br />

Zeiten zurechtzukommen.<br />

Das H<strong>aus</strong> ist seit einige Monaten an ein junges<br />

Paar vermietet: für uns ist es schön zu denken, dass weiterhin<br />

Leben in diesen Wänden und unter der Linde<br />

herrscht. Unsere Mieter besuchten das erste Mal den<br />

Rütliweg 12 an einem grauen und regnerischen August-<br />

Susanne Grendelmeier-Hoffmann — Als ich mit 19 Jahren<br />

<strong>aus</strong> meinem Elternh<strong>aus</strong> am Rütliweg 2 <strong>aus</strong>zog, hatte<br />

ich keine Ahnung, dass ich dereinst zusammen mit meinem<br />

Mann, den dritten Lebensabschnitt wieder hier verbringen<br />

würde.<br />

Meine Eltern Felix und Gretel Hoffmann-Kienscherf<br />

kauften das 1921 erbaute H<strong>aus</strong> im Jahre 1944. Im<br />

Januar 1945 zog unsere Familie – bestehend <strong>aus</strong> Vater,<br />

Mutter, meinen zwei älteren Schwestern Sabine und<br />

Christine und mir selber, von der Erlinsbacherstrasse an<br />

den Rütliweg. Hier kam im Oktober gleichen Jahres unser<br />

Bruder Dieter zur Welt. Zusammen mit Vater und<br />

Hebamme gebar unsere Mutter ihr viertes Kind – gleich<br />

wie die drei Älteren – zu H<strong>aus</strong>e. (…) Wir vier Kinder<br />

schliefen meist zu zweit oder zu dritt in einem Zimmer.<br />

Als wir grösser wurden und im H<strong>aus</strong>halt mithelfen<br />

konnten, konnte die H<strong>aus</strong>halthilfe eingespart werden.<br />

So gab es mehr Platz. Jedes von uns bekam sein Kämmerchen<br />

und konnte so seine private Sphäre aufbauen.<br />

Sitzend in der Mitte und rechts Urgrosseltern Emilie und «Gufi»,<br />

hinter ihnen Grosstante Milly vor der frisch gepflanzten Linde (ca. 1924)<br />

7. Rütliweg 2<br />

tag: es gefiel ihnen auf den ersten Blick. Sie spürten die<br />

Liebe, Kraft und Dankbarkeit, die dieser Ort <strong>aus</strong>strahlt.<br />

Wir wünschen ihnen, dass sie am Rütliweg 12 jetzt und<br />

in Zukunft glücklich sein werden.<br />

Inmitten der Erinnerungsstücke an ihre Eltern Felix und Gretel Hoffmann lebt die Tochter<br />

heute wieder im H<strong>aus</strong> ihrer Kindheit. Die Mutter zog vor dreissig Jahren <strong>aus</strong> <strong>dem</strong> H<strong>aus</strong> <strong>aus</strong><br />

– und seither dreimal wieder ein.<br />

Geheizt wurde unser H<strong>aus</strong>, wie damals üblich, mit<br />

einer Kohle-Zentral-Heizung. In den Übergangszeiten<br />

wurde der Kachelofen geheizt. Dieses Prachtstück steht<br />

heute noch und wird von uns immer wieder gern benützt.<br />

Das Holz bekam Vater als Bürger von <strong>Aarau</strong> von<br />

der Gemeinde als so genannten Bürgernutzen. Abwechslungsweise<br />

gab es in einem Jahr «Wedelen», im nächsten<br />

dann drei Ster Tannen- und Buchenholz. Dieses wurde<br />

jeweils mit einer mörderischen Säge- und Hackmaschine<br />

in ofengerechte Stücke zerkleinert. Diese Arbeit<br />

hörte man im ganzen Quartier.<br />

Die heute üblichen Isolierverglasungen der Fenster<br />

kannte man in den 1950er-Jahren noch nicht. Jeden<br />

Herbst holte Vater die Vorfenster samt Rahmen vom<br />

Estrich herunter. Nach einer Putzaktion wurden sie eingehängt.<br />

Im Frühjahr folgte dann die Prozedur in umgekehrter<br />

Richtung. Die Methode mit Fenstern und Vorfenstern<br />

hatte auch ihre schönen Seiten. Man konnte den<br />

Winter hindurch dazwischen Blumentöpfe, zum Bei-<br />

<strong>H<strong>aus</strong>geschichten</strong> <strong>aus</strong> <strong>dem</strong> <strong>Zelgli</strong> 11

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