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10 14./15. SEPTEMBER 2019<br />
Vordem Ostgut,<br />
dem Vorläufer des Berghain.<br />
2001 fotografiert<br />
von Wolfgang Tillmanns,<br />
der als Einziger seine Kamera<br />
auch im Inneren des<br />
Ostgut benutzen durfte.<br />
„Outside Snax Club“, 2001.<br />
WOLFGANG TILLMANNS<br />
1990 gründete Ben de Biel –<br />
später Betreiber der Maria –<br />
in einem besetzten Haus in der<br />
Rosenthaler Straße in Mitte den<br />
Underground-Club Eimer.<br />
„Rosenthaler Straße<br />
(IM Eimer)“, 1993.<br />
BEN DE BIEL<br />
Auf derInsel der Jugend<br />
1989 begann Berlins Aufstieg zum Epizentrum des Nachtlebens. Und er<br />
war einige Jahre später auch schon wieder vorbei. Eine Ausstellung bei<br />
C/O Berlin dokumentiert die Clubszene der Stadt seit damals<br />
VonPetraAhne<br />
Wer dabeiwar,spürte,dass es eine besondereZeit war;unwiderbringlich, historisch.„Man<br />
war sicher,einmal, ein einziges Mal, in diesem Moment, in dieser<br />
Situation, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zusein“, sagt der Fotograf<br />
und ehemalige Clubbetreiber Martin Eberle über die 90er-Jahre, als Berlin<br />
zum Epizentrum des Nachtlebens wurde.Eine Stadt, in der es plötzlich keine Mauer mehr<br />
gab und dafür viel Platz, der sich schnell mit Bars,Galerien und vorallem Clubs füllte.Die<br />
Musik, die aus den leer stehenden Häusern und Kellern drang, Techno, wurde zur ersten<br />
gesamtdeutschen Jugendkultur.Eines sieht man auf den Fotos der Zeit so gut wie nie: die<br />
Tanzfläche.Zudem Gefühl der Freiheit und des Aufgehobenseins gehörte dasWissen, dass<br />
da, wo getanzt wurde, nicht fotografiert werden durfte.„No Photos on the Dance Floor!“<br />
heißt darum die am Freitag eröffnete Ausstellung bei C/O Berlin, die Fotografien aus der<br />
Clubszene seit 1989 versammelt und voneinem Buch im Prestel-Verlag begleitet wird.<br />
Diedokumentarisch-intimen Bilder sind vonprägenden Figuren des Nachtlebens wie<br />
Martin Eberle oder dem Türsteher Sven Marquardt und vonFotografen wieWolfgang Tillmanns,der<br />
viel im Berghain-Vorläufer Ostgut fotografierte,„aus einem Gefühl der begeisternden<br />
Verpflichtung gegenüber dem, was ich dortgesehen und gefühlt habe“.<br />
„1989 bis heute“ ist der Untertitel der Ausstellung, aber es stellt sich vorallem ein Gefühl<br />
vonNostalgie ein. Carolin Saage,„offizielle“ Fotografin des legendären Clubs Bar25,<br />
der 2010 schloss,sagt:„Die Freiheit, die ich auf meinen Fotos vondamals sehe,ist vorbei.“<br />
No Photos on the DanceFloor! C/O Berlin, bis 30.11.,tgl. 11–20 Uhr,Hardenbergstraße22–24, Charlottenburg<br />
Die Insel<br />
der Jugend im<br />
Treptower Park wareiner<br />
der ersten Orte in der<br />
Stadt, an denen Open Air<br />
getanzt wurde.<br />
„Marco,<br />
Insel der Jugend“ 1991.<br />
TILMAN BREMBS<br />
Die kanadische<br />
Sängerin Peaches nach<br />
einem Auftritt in der Maria,<br />
2004. Peaches lebt<br />
bis heute in Berlin.<br />
„Peaches, Maria,<br />
aus der Serie ‚After Show‘“.<br />
MARTIN EBERLE<br />
Leo<br />
Gutsch<br />
Stellen sie sich vor: In Berlin-Weißensee<br />
entgleist eine Straßenbahn, weil der Fahrer<br />
ein Haltesignal übersieht. Die Straßenbahn<br />
kollidiert mit zwei entgegenkommenden<br />
Autos, zwei Menschen sterben, sieben<br />
werden schwer verletzt. Stellen sie sich vor:<br />
In Berlin-Schöneberg fährt ein weißer VW<br />
Polo mit 54 Stundenkilometern ungebremst<br />
in ein Haus, weil die Fahrerin einen Herzinfarkt<br />
erleidet. Die zwei Fahrzeuginsassen<br />
und zwei Passanten kommen ums Leben.<br />
Stellen sie sich vor, es würde nun wegen<br />
dieser tragischen Unfälle eine heftige Debatte<br />
darüber ausbrechen, ob man Straßenbahnen<br />
und weiße VW Polos generell verbieten<br />
sollte.Oder ob es nicht zumindest angeraten<br />
sei, die Zahl der Straßenbahnen und<br />
der weißen VW Polos in der Stadt streng zu<br />
reglementieren. Sie würden das seltsam finden?<br />
Hysterisch? Komplett bescheuert? Sie<br />
würden sich fragen, ob Leute,die solche Debatten<br />
anzetteln, noch alle Latten am Zaun<br />
haben?<br />
Die Stunde der<br />
Öko-Wächter<br />
VonMaxim Leo<br />
Nun, genauso ging es mir,als ich vondem<br />
tragischen Unfall in der Invalidenstraße<br />
hörte. Ein Porsche-SUV kam von der Fahrbahn<br />
ab und raste in eine Gruppe von Passanten.<br />
Vier Menschen starben noch am Unfallort,<br />
auch ein dreijähriger Junge und seine<br />
Großmutter.<br />
Nur Stunden später, als über die Ursachen<br />
des Unfalls noch überhaupt nichts<br />
bekannt war,begann diese seltsame,hysterische,<br />
komplett bescheuerte Debatte. Der<br />
Grünen-Politiker Stephan von Dassel, Bezirksbürgermeister<br />
von Mitte, sagte, solche<br />
„panzerähnlichen“ Autos hätten in der Stadt<br />
nichts verloren. Ein anderer Grüner, Florian<br />
Schmidt, Planungsstadtrat in Kreuzberg,<br />
sieht in dem Unfall „Symbolcharakter“. Er<br />
sagte, die SUVs hätten zu einer „Autokultur<br />
des Ich, Ich, Ich“ geführt. DieseWagen müssten<br />
sofort aus dem öffentlichen Raum entfernt<br />
werden. Ich finde: Solche Politiker<br />
müssten sofort aus dem öffentlichen Raum<br />
entfernt werden. Siesind verdammte Populisten,<br />
die ein menschliches Drama benutzen,<br />
um ihre politischen Forderungen voranzubringen.<br />
Denn so legitim es ist, sich gegen die<br />
wachsende Zahl der SUVs einzusetzen, die<br />
Platz wegnehmen, viel Sprit verbrauchen<br />
und meistens ziemlich lächerlich aussehen,<br />
so demagogisch ist es,die SUV-Frage an diesem<br />
Unglück festzumachen. Zumal Experten<br />
erklären, es gäbe keine Hinweise dafür,<br />
dass der Unfall mit einem anderen Auto anders<br />
verlaufen wäre.<br />
Die Taktik kennt man von der AfD, die<br />
nach einem Vergewaltigungsvorwurf gegen<br />
einen Asylbewerber die Abschaffung des<br />
Asylrechts fordert. Eines der vielen Feindbilder<br />
der grünen Ordnungshüter ist der Porsche-Fahrer,<br />
der sich allein durch die Wahl<br />
seines Automobils ins Abseits manövriert, ja<br />
vermutlich sogar den Boden der freiheitlichdemokratischen<br />
Grundordnung verlässt.<br />
DerPorsche-Fahrer ist –ganz klar –ein Egoist,<br />
ein Ignorant, ein Macho-Schwein. Inter-<br />
essant ist, dass es vor allem angeblich tolerante<br />
Menschen sind, die sich zu Wächtern<br />
über Gutund Böse aufspielen, die am liebsten<br />
alles verbieten würden, was ihrem Lebensgefühl<br />
widerspricht: Bücher, die zu rechts sind.<br />
Wörter, die zu männlich sind. Flüge, die zu<br />
lang sind. Fleisch, das nicht bio ist. Als Retter<br />
der Menschheit halten sie sich für berechtigt,<br />
die Freiheit der anderen einzuschränken.<br />
Nach dem Motto:Wernicht vonselbst kapiert,<br />
was wir vernünftig finden, den müssen wir<br />
eben zwingen.<br />
Ganz ehrlich, lieber verglühe ich in einem<br />
Sonnensturm, als in einer Öko-Diktatur zu<br />
leben, in der die feuchten Träume von<br />
grünen StudienrätInnen zum Grundgesetz<br />
werden. Dieser Weltuntergangs-Alarmismus,<br />
diese strenge Predigt von Verbot und<br />
Verzicht, dieser moralinsaure Geruch von<br />
unbehandelter Baumwolle aus Ecuador,ruft<br />
in mir vor allem eines hervor: den Wunsch,<br />
mir vielleicht irgendwann einen Porsche zu<br />
kaufen.