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8* <strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 230 · F reitag, 4. Oktober 2019<br />
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Meinung<br />
Verkehr<br />
ZITAT<br />
<strong>Berliner</strong><br />
Straßenkampf<br />
Peter Neumann<br />
hält Experimente wie das auf<br />
der Friedrichstraße für sinnvoll.<br />
Es gab Zeiten, da war die Friedrichstraße<br />
in Mitte nur eine Einkaufsmeile.Inzwischen<br />
ist sie mehr –wie unter<br />
einem Brennglas konzentriert sich dort<br />
die verkehrspolitische Diskussion. Beider<br />
Debatte, obdie für das Wochenende angekündigte<br />
Sperrung richtig ist, geht es<br />
längst nicht nur um diese eine Straße.<br />
Auf der einen Seite fordern Verfechter<br />
einer Verkehrswende angesichts der Erderhitzung<br />
den Klimaschädling Auto zurückzudrängen.<br />
Sie wünschen sich viele<br />
Flaniermeilen ohne Autos, gern auch am<br />
Hackeschen Markt, Unter den Linden, auf<br />
dem Kurfürstendamm. Sie fordern, dass<br />
die neue Mühlendammbrücke schmaler<br />
wird als die jetzige und legen die Spandauer<br />
Straße mit einem Picknick lahm.<br />
Aufder anderen Seite streiten <strong>Berliner</strong>,<br />
die Kraftfahrzeuge für einen unverzichtbaren<br />
Teil des Hauptstadt-Verkehrs halten.<br />
Auch sie sehen die Straßen als zentrale<br />
Arenen der verkehrspolitischen Diskussion.<br />
Wererhält dortwie viel Platz?<br />
Die Leichtfertigkeit, mit der derzeit<br />
darüber diskutiert wird, innerstädtische<br />
Verkehrsadern zu verengen oder gar<br />
lahmzulegen, ist problematisch. Es muss<br />
Hauptverkehrsstraßen geben, die funktionieren<br />
–imInteresse der Gesamtstadt.<br />
Doch klar ist auch, dass der Autoverkehr<br />
nicht mehr wachsen kann, dass Radfahrer<br />
und Fußgänger mehr Raum brauchen.<br />
Sperrungen wie die des Brandenburger<br />
Tors in den 1990er-Jahren zeigen, dass<br />
die Stadt nicht kollabiert, wenn manche<br />
Verbindungen gekappt werden. Deshalb<br />
ist es richtig zu experimentieren: mit vorübergehenden<br />
Sperrungen, provisorischen<br />
Radtrassen, sogar mit Findlingen<br />
auf Parkplätzen. Auch wenn viele die„Flaniermeile“<br />
auf der Friedrichstraße skeptisch<br />
sehen: Einen Versuch ist sie wert.<br />
Handel<br />
Trump freut<br />
sich zu früh<br />
Damir Fras<br />
befürchtet einen Zollkrieg zwischen<br />
Europa und den USA.<br />
Schon kurz nach dem Aufstehen brach<br />
Donald Trump am Donnerstagmorgen<br />
in Triumphgeschrei aus.DieWelthandelshandelsorganisation<br />
WTO habe den<br />
USA ein Preisgeld von 7,5 Milliarden US-<br />
Dollar zugesprochen, schrieb der US-Präsident<br />
auf Twitter. Und bezahlen müsse<br />
die EU: „Ein schöner Sieg“. Wenn er sich<br />
da mal nicht täuscht.<br />
Vordergründig ist die Entscheidung der<br />
WTO ein Vorteil für die USA. Weil die EU<br />
rechtswidrig den europäischen Flugzeugbauer<br />
Airbus subventioniert hat, dürfen<br />
die USA nun Strafzölle auf Produkte aus<br />
der EU erheben. Das Bruttoinlandsprodukt<br />
Deutschlands und Frankreichs dürfte<br />
um jeweils knapp zwei Milliarden Euro sinken,<br />
wenn die USA Zölle auf Würstchen<br />
und Wein aus europäischen Landen erheben.<br />
So weit, so klar,sounschön.<br />
Doch das Triumphgebrüll Trumps ist<br />
verfrüht. Im kommenden Jahr wirddie EU<br />
aller Voraussicht nach Strafzölle gegen die<br />
USA erheben dürfen. Weil die Amerikaner<br />
ihren Flugzeugbauer Boeing auch subventionierthaben.<br />
Dann könnte ein sinnloser,<br />
teurer Handelskrieg zwischen den<br />
USA und Europa ausbrechen. Darüber<br />
wirdsich nur China freuen. Am Rande bemerkt:<br />
Wirtschaftswissenschaftler haben<br />
errechnet, dass die Amerikaner unterm<br />
Strich mehr Geld in dieser Auseinandersetzung<br />
verlieren werden als die Europäer.<br />
Wie Trump das ausgerechnet in einem<br />
Wahljahr seiner Basis als „schönen<br />
Sieg“ verkaufen will, ist sein Geheimnis.<br />
EinAusweg wären Verhandlungen zwischen<br />
der EU und den USA. Aber das<br />
könnte am Ende bedeuten, dass ein Kompromiss<br />
zustande kommen muss. Doch<br />
das ist, wie die Welt leidvoll erfahren hat,<br />
ein Schimpfwortfür Trump.<br />
Der Stand der inneren Einheit<br />
So viel Zukunft war nie –imständig<br />
neuen, wachsenden Berlin.WirAktivisten<br />
bei den Öko-Initiativen, die<br />
Fachreferenten und Verbandsmenschen<br />
der Umweltverbände sind der jungen<br />
Generation dankbar für ihre Generalforderung<br />
nach mehr Klimaschutz. Niemand anderes<br />
kann diese Forderung mit mehr Berechtigung<br />
vortragen als die„Jungen“, insbesondereweil<br />
wir „Alten“ trotz jahrzehntelangen<br />
Engagements nicht Teil der Lösung sind.<br />
Wir sind strukturell auch Teil des Problems,<br />
wo bislang nicht geschafft wurde, was anund<br />
abgeschafft werden müsste.<br />
Wir wissen, dass nicht nur die Städte die<br />
Hauptemittenten von schädlichen Klimagasen<br />
sind. In Berlin ist der Verkehrssektor mit<br />
riesigen Einsparpotentialen bei CO 2 ,Stickoxiden,<br />
Feinstaub etc.inder Diskussion. Fast<br />
die Hälfte der Emissionen stammen aber aus<br />
unseren Haushalten. Berlin ist dabei auch die<br />
Mieterhauptstadt, die konzentriert den Klimawandel<br />
anheizt, weil wir einen riesigen<br />
Altbaubestand haben, der alles andere als<br />
energieeffizient ist. Wir setzen fast keine erneuerbaren<br />
Energien ein –insbesondere bei<br />
der Beheizung unserer Wohnungen. Klimaschutz<br />
und Milieuschutz, Klima- und Denkmalschutz,<br />
Schutz vor Gentrifizierung UND<br />
Schutz vordem Klimawandel –solche Fragen<br />
sind uns bislang keine beispielgebenden<br />
Antworten wert.<br />
Wirnutzen –wenn wir schlau und „for future“<br />
sind –Kühlschränke mit Effizienzlabel<br />
A+++, beleuchten uns mit A++ LEDs, waschen<br />
unsere fairtrade/bio-Klamotten in<br />
A+++ Maschinen –den größten Energieverbrauch<br />
(nämlich Wärme) verballern wir in<br />
berlintypischen Gebäuden mit Klasse „D“<br />
oder schlechter.Und wenn dieWohnung nun<br />
ein Kühlschrank wäre? Dann würde kein<br />
Mensch auf die Idee kommen, mit viel Geld<br />
den hohen Verbrauch abzubezahlen, Modernisierungsumlagen<br />
fürs Aufhübschen, aber<br />
nicht für die ökologische Optimierung zu<br />
leisten, die dringend notwendige Reparatur<br />
Ich teile nicht mehr sehr oft Dinge auf Facebook,<br />
außer wirklich einschneidende<br />
Lebensereignisse, wie zum Beispiel, als<br />
mein Hund kürzlich wegen einer stressbedingten<br />
Schuppenflechte so einen lustigen<br />
Trichter tragen musste und deshalb ständig<br />
gegen irgendwelche Dinge gelaufen ist und<br />
dann immer sehr traurig und verständnislos,<br />
aber eben auch sehr niedlich geschaut<br />
hat.<br />
Als ich dann kürzlich von Hamburg nach<br />
Amsterdam gezogen bin, fand ich, dass das<br />
nun ein ähnlich wichtiger Anlass sei, meinen<br />
besten 667 Freunden mal wieder ein Lebenszeichen<br />
vonmir zu geben und poste ein Bild<br />
vonmir vordem Hamburger Puff, über dem<br />
ich wohnte. Ich ernte viele Herz-Emojis und<br />
ein paar staunende Wow-Emojis. Eine<br />
Freundin kommentiert „Wie eine Feder im<br />
Wind“ und kurz denke ich, ihr sei vielleicht<br />
aufgefallen, dass ich über den Sommer drei<br />
Kilo abgenommen habe.<br />
Wahrscheinlicher ist aber,dass sie mir halb<br />
pathetisch, halb poetisch unterstellt, dass ich<br />
meinen Wohnort doch häufiger wechsle als<br />
die meisten. Im Grunde liegt sie damit nicht<br />
falsch: ich bin in meinem Leben zweiundzwanzig<br />
Mal umgezogen und habe in zehn<br />
verschiedenen Städten gewohnt, wenn man<br />
jede Wohnung und jedes WG-Zimmer mitzählt,<br />
wo ich mindestens einen Monat Miete<br />
gezahlt habe. Absoluter Unsinn ist es jedoch,<br />
anzunehmen, dass diese Umzüge wie Federn<br />
im Wind vonstatten gegangen wären. Denn<br />
irgendwie habe ich es in meinem 32 Jahre<br />
Zehn Debatten in zehn Wochen.<br />
Die <strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong>,derTagesspiegel und die Bundeszentrale<br />
fürpolitische Bildung feiern30Jahre Meinungsfreiheit.<br />
Diese Woche: Wasist unsdas Klima wert?<br />
Argumente und Ideen bitte an<br />
leser-blz@dumont.de; Stichwort: Meinungsfreiheit<br />
Alle Debatten online unter<br />
berliner-zeitung.de/meinungsfreiheit<br />
Zwischen<br />
Wutund<br />
Mut<br />
Matthias Krümmel<br />
istReferent für Klimaschutz beim Bund für Natur und<br />
Umweltschutz Deutschland (BUND).<br />
KOLUMNE<br />
Wieeine<br />
Feder<br />
im Wind<br />
Yulian Ide<br />
Autor<br />
dauernden Leben trotzdem geschafft, solche<br />
Unmengen an Krempel anzusammeln, dass<br />
ich vor jedem Umzug kurz in Erwägung<br />
ziehe,all meine Habseligkeiten in Benzin zu<br />
ertränken und ein entzündetes Streichholz<br />
drauf zu werfen, während ich mit meinem<br />
Hund unterm Arm die brennende Szenerie<br />
verlasse.<br />
Dann fällt mir aber ein, dass an den Sammeltassen,<br />
die ich von meiner Oma geerbt<br />
HEIKO SAKURAI<br />
zu verschieben, die zugunsten der Klimabilanz<br />
aber „for future“ wäre.<br />
Denn Wohnen ist viel mehr:Wir haben als<br />
Mieterinnen und Mieter in Berlin keine ökologische<br />
Infrastruktur,die wir aber bräuchten.<br />
Klimaschutzpolitik muss Mieter und Investoren<br />
aneinen Tisch setzen, die Infrastruktur<br />
muss nicht vonVerbrauchern, sondern politisch<br />
organisiert werden. Wir alle sind es, die<br />
anders heizen, konsumieren, bauen und sanieren,<br />
eventuell auch anders Energie produzieren<br />
müssen, wenn es„for future“ sein soll.<br />
Undwas ist uns nun das Klima wert?<br />
AufBundesebene: bislang ein kleines,süßsaures<br />
Groko-Klimapäckchen, mäßig hübsch,<br />
aber nutzlos.Nicht anschlussfähig an dieWissenschaft,<br />
die sich die Augen reibt und fragt:<br />
Warumhaben wirüberhaupt die Politik beraten,<br />
wenn davon nichts auftaucht?<br />
UndinBerlin: Da soll es das <strong>Berliner</strong> Energie<br />
und Klimaschutzprogramm sein, das uns<br />
die „Klimaneutralität“ bringt. Sehr viel Geld<br />
steht bereit, mehr als 100 überwiegend<br />
schlaue Maßnahmen, um 2050 am Ziel zu<br />
sein: 95 Prozentweniger Emissionen oder pro<br />
<strong>Berliner</strong> ca. 1,5 Tonnen CO 2 je Mensch und<br />
Jahr –ausgehend vonderzeit etwa elf Tonnen.<br />
Wir haben längst kein Erkenntnis-, sondern<br />
ein gesellschaftliches Umsetzungsdefizit.<br />
Klimaschutz wirdnämlich nicht vonAktivisten,<br />
Politik oder Verwaltung umgesetzt,<br />
sondernvon unsallen: der GESAMTGESELL-<br />
SCHAFT FOR FUTURE.<br />
Das Geld ist da und wird nicht abgeholt,<br />
statt Umsetzung sehen wir: granitsteinharte<br />
Diskussionen um eine fußgängerfreundliche<br />
Bergmannstraße, Mietendeckeldiskussionen,<br />
die am Feindbild des bösen Investors<br />
stricken, der den ökologischen Fußabdruck<br />
des Gebäudes verantworten soll. Die Klimademokratie<br />
muss nicht nur soziale Aspekte<br />
berücksichtigen, sie muss auch Grenzen setzen.<br />
Sieist ohne soziale und kulturelle Nachhaltigkeit<br />
undenkbar, aber muss auch klarmachen,<br />
in welche Richtung sich die Gesellschaft<br />
bewegen soll.<br />
habe, ja auch Erinnerungen hängen oder<br />
meine alten Tagebücher sicherlich mal zukünftigen<br />
Historikern, die sich mit der Epoche<br />
zwischen 1999 und 2013 beschäftigen,<br />
als Zeitdokument sehr nützlich sein werden.<br />
Während ich dann also doch nicht meine<br />
Wohnung abfackele und stattdessen brav<br />
meine Dinge in Umzugskartons verstaue,erinnereich<br />
mich an MarieKondo,japanischer<br />
Aufräumguru, die Komsumromantikern wie<br />
mir nahelegt, jeden Gegenstand kurz in<br />
beide Hände zu nehmen, die Augen zu<br />
schließen und sich zu fragen, „Does it spark<br />
joy?“, ob er also Freude versprüht.<br />
Ich mache also drei Stapel: viele Bücher<br />
und Bilder auf dem ersten Stapel versprühen<br />
zwar irgendwie Freude, sind aber so schwer,<br />
dass ich sie doch lieber in Deutschland einlagere,<br />
als sie irgendwelche steilen Amsterdammer<br />
Treppen hinaufzuschleppen. Die<br />
Aussicht, auch in Amsterdam nicht nackt herumlaufen<br />
zu müssen, sparkt bei mir so viel<br />
Joy, dass ich sämtliche Kleidung in einer anderen<br />
Ecke meiner Wohnung versammle.<br />
Ziemlich viele meiner Habseligkeiten lassen<br />
mich aber überraschenderweise gar nichts<br />
fühlen und erleichtertstelle ich fest, dass ich<br />
somit keine tiefere emotionale Bindung zu<br />
Kuchenformen und Gießkannen aufgebaut<br />
habe. Sie fügen meinem Leben keinen Wert<br />
hinzu und werden somit entfernt. Befreiend<br />
fühlt sich das an –nun überlege ich, ob ich<br />
mich mit der Marie-Kondo-Methode nicht<br />
auch mal einiger Facebook-Freunde entledigen<br />
sollte.<br />
„Ich bin keiner, der<br />
mitsingt, wenn die Hymne<br />
läuft. Aber ich heule bis<br />
heute, wenn ich TV-Bilder<br />
davon sehe, wie Genscher<br />
1989 auf dem Balkon der<br />
Prager Botschaft spricht.“<br />
Christian Bangel in der Zeit<br />
AUSLESE<br />
Tagder Einheit, nicht<br />
der Spaltung<br />
Die Wiedervereinigung bewegt alle,<br />
und zum Jubiläum macht sich auch die<br />
Süddeutsche <strong>Zeitung</strong> Gedanken darüber,<br />
ob die Einschätzungen zu dem Ereignis<br />
gespalten und uneindeutig sind. „Die<br />
Schlechtredner gibt es im Osten wie im<br />
Westen. Zu ihnen gehören im Osten die<br />
harten Ostalgiker genauso wie jene, die<br />
das gegenwärtige System (Chiffre: Berlin)<br />
mehr ablehnen, als sie das alte wirklich<br />
vermissen würden. Zu den SchlechtrednernimWesten<br />
gehören wiederum vorallem<br />
jene, für die die DDR ganz eindeutig<br />
ein Unrechtsstaat war (stimmt) und sonst<br />
nichts (stimmt nicht.)“<br />
Mit der medialen Fokussierung der<br />
Unterschiede zwischen Ost und West befasst<br />
sich auch Die Welt. „Gott sei Dank<br />
verlasse ich mein Haus manchmal. Dort<br />
erlebe ich etwas anderes, etwas, was mit<br />
Spaltung zwischen Osten und Westen<br />
nicht viel zu tun hat. Ich habe sehr viele<br />
ostdeutsche Freunde und außerdem jede<br />
Menge Bekannte,bei denen ich nicht einmal<br />
weiß, ob sie aus dem Osten oder aus<br />
dem Westen sind. Eine Spaltung ist nirgendwo<br />
zu sehen, jedenfalls keine Spaltung<br />
zwischen dem einstigen Osten und<br />
dem einstigen Westen. Niemand hat die<br />
Absichteine Mauerzuerrichten.“ DieFAZ<br />
glaubt: „Die Deutschen, die in Prag nach<br />
Freiheit riefen, hatten Mut. Daran sollten<br />
wir uns gelegentlich erinnern. Mut, nicht<br />
Verdrossenheit, kann Zäune überwinden<br />
und Mauern zum Einsturzbringen.“Kai<br />
Schlieter<br />
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