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Berliner Kurier 06.10.2019

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14 BRANDENBURG BERLINER KURIER, Sonntag, 6. Oktober 2019<br />

niert, am Marktplatz standen<br />

Bänke. Eine Frau erzählte, die<br />

Stadt habe jetzt einen Kämmerer<br />

aus dem Westen, die Haushaltslage<br />

habe sich verbessert.<br />

Aber um 18 Uhr sei hier alles<br />

tot, die Gastronomen fänden<br />

keine Arbeitskräfte mehr, der<br />

einzige Ort, wo sich Jugendliche<br />

treffen könnten, sei das Kino.<br />

„Na, ihr Hübschen?“, rief der<br />

Mann hinter der Theke zu den<br />

Glatzen hinüber und schwenkte<br />

ironisch die Hüften. Die Glatzen<br />

lachten und hoben die<br />

Hand zum Pioniergruß, „immer<br />

bereit!“. An einem Tisch im<br />

Hof schwärmten zwei ältere<br />

Frauen mit Flipflops vom Einkauf<br />

im Bioladen, in dem ein<br />

Bauer aus einem Nachbardorf<br />

hinter der Theke stand. Der<br />

Rentner am Nebentisch rauchte<br />

Pfeife und las FAZ.<br />

„Biste wieder da mit deinem<br />

Hund?“, fragte die zweite Bedienung,<br />

die uns drei Spreewald-Burger<br />

servierte. „Hey,<br />

dass du dich erinnerst ... war<br />

doch zuletzt vor zwei Jahren<br />

hier!“, wunderte sich der Brandenburger.<br />

„Na, so ein Gespann<br />

wie euch vergisst man doch<br />

nicht!“, gab sie zurück, lachte.<br />

Am nächsten Morgen paddelte<br />

ich allein weiter in Richtung<br />

Schwielochsee. Am Ufer war<br />

ein Tschilpen zu hören, als<br />

würde ich auf eine Voliere zusteuern.<br />

Die Ufer der Spree sind<br />

schilfbestanden, als ein Motorboot<br />

vorüberdröhnte, flogen<br />

Hunderte Stare auf und stiegen<br />

als dunkle Wolke in den Himmel.<br />

An den Wochenenden sind<br />

jetzt viele Motorboote auf der<br />

Spree unterwegs, viele Dörfer<br />

haben Marinas gebaut, in der<br />

Hoffnung, so die lokale Wirtschaft<br />

anzukurbeln. Ein Kanuvermieter<br />

erzählte, dass sie die<br />

Familien vertrieben hätten, die<br />

früher bei ihm Kanus gemietet<br />

hätten und die sich nun um die<br />

Kinder sorgten. Auch die Restaurants,<br />

Museen und Hotels<br />

hätten kaum etwas von den Motorboot-Fahrern.<br />

„Die kaufen<br />

zu Beginn der Fahrt bei Aldi ein<br />

und grillen dann auf ihren Booten.“<br />

Kurz vor der Seilzugfähre<br />

Leißnitz wurde ich von einer<br />

Jacht überholt, die man eher in<br />

Monaco verortet hätte. Der Kapitän<br />

bremste nicht einmal ab<br />

und sah regungslos mit an, wie<br />

ich in die Seerosen abgedrängt<br />

wurde und dort beinahe kenterte.<br />

Ein paar Kilometer weiter sah<br />

ich, dass Dutzende solcher<br />

Jachten an den Marinas am<br />

Ufer des Schwielochsees ankerten.<br />

In Leißnitz wurde 1996 eine<br />

Handseilzugfähre in Betrieb<br />

genommen, die nun die Radfahrer-Ausflugsziele<br />

Leißnitz und<br />

Ranzig verbindet, eine Maßnahme<br />

der Tourismusförderung.<br />

Der Fährmann hat ein<br />

breites Kreuz und das, was sich<br />

in Berlin „<strong>Berliner</strong> Schnauze“<br />

nennt. Er pampte zwei Motorbootfahrer<br />

an, die trotz Warnsignal<br />

über das noch gespannte<br />

Kabel fuhren: „Hamse die Regeln<br />

etwa abgeschafft in der<br />

Vorbei an<br />

klotzigen<br />

Kästen<br />

mit grünen<br />

Dächern<br />

neuen Zeit, wa?“ Die Motorbootfahrer<br />

zuckten die Schultern<br />

und setzten ihren Kurs<br />

fort. Da schalten sich die Fahrradfahrer<br />

auf der Fähre ein.<br />

„Kein Respekt mehr vor<br />

nichts!“, schimpft einer laut.<br />

„In einem anderen Land hätten<br />

sie denen den Führerschein abgenommen“,<br />

ein zweiter. Die<br />

spontane Solidarisierung beruhigte<br />

den Fährmann. Mit drei<br />

kräftigen Zügen zog er die Fähre<br />

an Land und zündete sich eine<br />

Zigarette an.<br />

Einen Kilometer weiter, am<br />

Ufer des Glower Sees, standen<br />

drei Männer in russischen Armeeuniformen<br />

vor einem Armeefahrzeug<br />

mit gigantischen<br />

Reifen, das, wenn mich meine<br />

Erinnerung nicht täuscht, ein<br />

Kamaz war.<br />

Ich musste mal, und es war<br />

kein anderer Platz zum Anlanden<br />

in Sicht. Die Männer marschierten<br />

mir mit bedrohlicher<br />

Miene entgegen. Ich versuchte,<br />

die Lage mit einem Scherz zu<br />

entspannen und rief auf Russisch:<br />

„Slava Krasnaja Armija!“<br />

Es lebe die Rote Armee! Und<br />

hörte, wie der eine Uniformierte<br />

den anderen fragte: „Was hat<br />

sie gesagt?“ Forsch rief ich: „Ihr<br />

seid ja gar keine echten Russen!“<br />

Der Frager näherte sich<br />

meinem Boot und sagte mit unbewegter<br />

Miene: „Wir sind die<br />

russische Wehrsportgruppe!“<br />

„Na, Gott sei dank, ich dachte<br />

schon, ihr wärt Amerikaner!“<br />

Da lachten sie, und ich setzte<br />

keck nach: „Aber wieso sprecht<br />

ihr dann kein Russisch?“<br />

„Alles vergessen.“<br />

„Aber die Russen habt ihr<br />

nicht vergessen?“<br />

„Auf denen hacken doch auch<br />

alle rum.“<br />

„Und deswegen spielt ihr hier<br />

Krieg?“<br />

„Wir haben das Grundstück<br />

offiziell gepachtet. Was dagegen?“<br />

Ich ignorierte den Harndrang<br />

und paddelte rückwärts aus der<br />

Bucht. Da sah ich, wie ein Uniformierter<br />

vor dem Kamaz<br />

kniete und ein Einhorn aufblies,<br />

ein riesiges Schwimmtier.<br />

Die russische Armee ging baden.<br />

Westlich vom Schwielochsee<br />

zweigt die Krumme Spree<br />

ab, die sich in weiten Bögen<br />

durch einen hellen Laubwald<br />

schlängelt.<br />

Kurz hinter der Brücke bei<br />

Trebatsch stehen Villen am<br />

Ufer, deren Architektur an die<br />

russischen Neureichenviertel<br />

am Moskauer Stadtrand erinnerte,<br />

klotzige Kästen mit grünglänzenden<br />

Dächern, runden<br />

Erkern und Stegen, an denen jeweils<br />

ein Motorboot vertäut<br />

war. Die Jalousien waren heruntergelassen.<br />

Die Besitzer kämen<br />

höchstens mal am Wochenende,<br />

erzählte ein Mann,<br />

der seinen Holzkahn an den<br />

Ganz schön<br />

romantisch,<br />

diese Reise<br />

übers Wasser<br />

der Mark.<br />

Hier ist der<br />

Oder-Spree-<br />

Kanal bei<br />

Müllrose<br />

zu sehen.<br />

Immer der Sonne nach:<br />

Jack-Russell-Terrier<br />

Dante blickt im Kajak<br />

seines Besitzers übers<br />

Wasser.

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