Wohnen war und ist eines der zentralen Themen für dérive. Wir haben uns – beginnend mit den ersten Heften – immer wieder intensiv damit auseinandergesetzt; in den letzten Jahren besonders kritisch mit der Warenförmigkeit von Wohnen. In dieser Sonderausgabe veröffentlichen wir eine Reihe dieser Texte und zwar von und mit: Anita Aigner, Diana Botescu, Christoph Chorherr, Elisabeth Ertl, Edeltraud Haselsteiner, Susanne Heeg, Andrej Holm, Florian Humer, Justin Kadi, Michael Klein, Anna Kokalanova und Haotian Lin.
CHRISTOPH CHORHERR
»Man ist nur
dann OHNMÄCHTIG,
wenn man glaubt es zu sein.«
Aktuelle liegenschafts- und wohnpolitische Maßnahmen in Wien
Sozialer Wohnbau, Liegenschaftspolitik, Bauordnung,
Mietrecht, Baurecht, Mietkauf, städtebauliche Verträge, Klimawandel,
Gemeinnützigkeit, Genossenschaften, Baugruppen
Christoph Chorherr, langjähriger Planungssprecher der Wiener Grünen,
spricht im Interview mit dérive über die Novelle der Wiener Bauordnung und
damit über die Möglichkeiten kommunaler Politik zur Regulierung des Bodenmarktes
und Maßnahmen für den sozialen Wohnbau. Gemeinsam mit
der SPÖ haben die Grünen als Koalitionspartner in Wien diese Novelle Ende
November 2018 beschlossen. Das Gespräch führten Robert Temel und
Christoph Laimer.
Die Novelle der Bauordnung betrifft mehrere Punkte, darunter als besonders wichtige
Aspekte Maßnahmen gegen den Klimawandel und für leistbares Wohnen. Was sind die Gründe,
die eine Änderung der Widmungsbestimmung in Zusammenhang mit dem geförderten Wohnbau
notwendig machten?
Wichtig ist mir, dass die Novellierung einerseits den sozialen Aspekt mit der Widmungskategorie
geförderter Wohnbau aufgreift, aber auch andere wesentliche Themen zum Ziel hat.
Während wir das Interview führen, findet in Polen die UN-Klimakonferenz statt. Mit der neuen
Bauordnung haben wir wirklich einschneidende Maßnahmen gesetzt. Wir sorgen zwar nicht
zu 100 % aber weitestgehend dafür, dass bei Neubauten fossile Energieträger im Regelfall nicht
mehr zur Anwendung kommen. Es sind nun nicht nur Ölheizungen verboten und auch bei
Sanierungen untersagt, sondern vor allem auch Gasetagenheizungen. Mit Energieraumplänen
können wir nun sicherstellen, dass in weiten Teilen der Stadt Abwärmenutzung und vor allem
erneuerbare Energieträger in der Wärme- und in der Warmwasserversorgung eingesetzt werden.
Es ist bezeichnend für die aktuelle Politik, dass darüber überhaupt nicht geredet wird.
Der Wärmebereich verbraucht mehr Energie als der Verkehrssektor, wenn er auch weniger
CO2 produziert. Unsere Maßnahme ist so einschneidend als ob wir sagen würden, ab 2019 werden
keine Autos mit Verbrennungsmotoren – mit Ausnahme von Feuerwehr, Rettung und noch
ein paar Transportfahrzueugen – mehr zugelassen. Man stelle sich das vor – genau das machen
wir im Gebäudesektor.
Weiters haben wir Maßnahmen gegen die Flächenverschwendung erlassen, die erreichen
sollen, dass die Errichtung von einstöckigen Einkaufszentren in Betriebsgebieten erschwert
wird, indem die Begrenzung, ab der eine Widmung als Einkaufszentrum notwendig ist, von
2.500 auf 1.000 m 2 herabgesetzt wird.
Nun zum Kern der Novelle, dem sozialen Wohnbau. Boden ist bekanntlich keine vermehrbare
Ressource. Die verstärkte Nachfrage nach Wohnraum und damit nach Boden hat vor
allem in den letzten Jahren zu einem dramatischen Preisanstieg der Bodenpreise geführt, die
eins zu eins auf die Wohnungen überwälzt werden. Das hatte zur Folge, dass der Anteil
des geförderten Wohnbaus in den letzten 10-15 Jahren von ca. 2/3-3/4 auf unter ein Drittel
zurückgegangen ist. Es wird derzeit insgesamt zwar genug gebaut, aber nicht annähernd genug
im Mietpreissegment des geförderten Wohnbaus. Wien hat einen starken Überhang an Eigentumswohnungen
in der Kategorie von 4.000-7.000 EUR/m 2 .
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Christoph Chorherr — »Man ist nur dann OHNMÄCHTIG, wenn man glaubt es zu sein.«
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