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<strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 243 · 1 9./20. Oktober 2019 3 *<br />
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Report<br />
Oktober 2019 –Die in Syrien stationierten US-Truppen verlassen Syrien. Mit dem<br />
Rückzug erfüllt Präsident Donald Trump ein Wahlkampfversprechen.<br />
AP/J. SCOTT APPLEWHITE; AFP/DELIL SOULEIMAN<br />
2003 –Präsident George W. Bush verkündet an Bord des Flugzeugträgers„USS<br />
Abraham Lincoln“ das Ende der Kampfhandlungen im Irak.<br />
Doch dann kam der 11. September 2001,<br />
und mit einem Schlag war alles anders. Die<br />
Anschläge der islamistischen Terroristen in<br />
NewYorkund Washington trafen die USA im<br />
wahrsten Sinne des Wortes ins Herz. Bis zu<br />
diesem Zeitpunkt war die Vorstellung, dass<br />
die USA auf ihrem eigenen Territorium angegriffen<br />
und ihre Bürger mitten im eigenen<br />
Land verletzt und getötet werden könnten,<br />
für die meisten Amerikaner undenkbar gewesen.<br />
Die Anschläge hinterließen ein zutiefst<br />
verstörtes Land, dem das Mitgefühl<br />
und die Unterstützung der westlichen Welt<br />
gehörten. Bundeskanzler Gerhard Schröder<br />
versicherte den Amerikanern vor dem Bundestag<br />
die „unbedingte Solidarität“ der<br />
Deutschen, die Nato löste erstmals in ihrer<br />
Geschichte den Bündnisfall aus und die Vereinten<br />
Nationen billigten unverzüglich Strafmaßnahmen<br />
gegen das Terrornetzwerk Al-<br />
Kaida und die Taliban, die sich Afghanistan<br />
unterworfen hatten.<br />
US-Präsident George W. Bush aber verkündete<br />
den „Krieg gegen den Terrorismus“,<br />
der vorallem Krieg in Afghanistan bedeutete,<br />
eine bis heute währende Tragödie.Der unerfahrene<br />
Bush war umgeben von einer<br />
Gruppe beinharter Ideologen, den Neokonservativen.<br />
Dazu zählten Vizepräsident Dick<br />
Cheney, Verteidigungsminister Donald<br />
Rumsfeld und dessen Stellvertreter PaulWolfowitz.<br />
Ihnen war mit dem Zusammenbruch<br />
der Sowjetunion der strategische Gegner abhandengekommen.<br />
Nun ersetzten sie den<br />
Feind Kommunismus durch den Feind Terrorismus.Sie<br />
nutzten den 11. September,um<br />
ihrer Doktrin der amerikanischen Hegemonie<br />
in der Welt eine neue Grundlage zu verschaffen.<br />
Dazu gehörte der Anspruch, präventive<br />
Militärschläge zu führen, egal, was<br />
das Völkerrecht oder die Vereinten Nationen<br />
dazu sagten.<br />
Sie setzten Irak als nächstes Ziel auf die<br />
Agenda. Sturz des Diktators Saddam Hussein,<br />
Installation einer den USA zugeneigten<br />
Regierung, freier Zugang zu den Ölfeldern,<br />
das war das Programm. Es wurde verborgen<br />
hinter der Behauptung, Saddam Hussein unterstütze<br />
den internationalen Terrorismus<br />
und horte chemische Massenvernichtungswaffen.<br />
Es ist dies der Moment in der jüngeren<br />
Geschichte, indem die USA von Opfern<br />
des Terrorismus zu Tätern wurden. Außenminister<br />
Colin Powell wurde von Bush und<br />
seinen Leuten genötigt, vor den Vereinten<br />
Nationen mit gefälschten Karten und Dokumenten<br />
die angebliche Lagerung chemischer<br />
Waffen im Irak zu beweisen, die überhaupt<br />
nicht existierten. Fake News von ganz<br />
oben.<br />
Es ist diese Missachtung internationaler<br />
Organisationen, diese ruchlose Artvon Interessenpolitik,<br />
an die Donald Trump heute<br />
anknüpft. Anders als Bush &Co. gibt er sich<br />
freilich nicht einmal mehr die Mühe, seine<br />
Lügen zu tarnen. Damals hat der Verfall der<br />
Achtung ur-amerikanischer Werte–einer offenen<br />
Gesellschaft, des Respekts vorVerfassung<br />
und Gesetzen, dem Rechtsstaat insgesamt<br />
–auf der höchsten Ebene der amerikanischen<br />
Politik vielleicht nicht begonnen,<br />
wie der Fall Nixonschon gezeigt hat. Aber sie<br />
hat doch eine neue Qualität gewonnen, weil<br />
sie nun Auswirkungen weit über die USA<br />
hinaus zeigte.<br />
DerAngriff auf den Irak hat die ganzeRegion<br />
in Brand gesetzt und den Terrorismus<br />
des sogenannten Islamischen Staats überhaupt<br />
erst entstehen lassen. Wenn Trump<br />
nun die US-Truppen aus Nordsyrien abzieht,<br />
ist es die Flucht vordieserVerantwortung der<br />
Vereinigten Staaten. Sie haben die verheerenden<br />
Kriege,die Trump so langweilen, erst<br />
entfacht und verweigern nun die Hilfe beim<br />
Löschen und beim Schützen der Opfer.„Ami<br />
go home“ ist in dieser Lage vielleicht die<br />
freudige Parole des syrischen Diktators und<br />
des russischen Präsidenten, deren Soldaten<br />
das vonden USA hinterlasseneVakuum samt<br />
ihren bestens ausgestatteten Stellungen<br />
dankbar gefüllt haben. Verantwortungsvolle<br />
Politik hätte das Gegenteil bedeutet.<br />
ZU DEN VERHEERUNGEN GEHÖRT dabei auch<br />
die Zerstörung des Bildes der USA als Führungsmacht<br />
einer dem Frieden, der Demokratie<br />
und der Menschenrechte verpflichteten<br />
westlichen Welt. Der „American Wayof<br />
Life“ übte über Jahrzehnte eine strahlende<br />
Anziehungskraft auf entrechtete und unterprivilegierte<br />
Menschen auf dem ganzen Globus<br />
aus. Diese Strahlkraft ist so gut wie erloschen.<br />
Kriegsverbrechen im Irak, wie die Folterungen<br />
im Gefängnis von Abu Ghraib, die<br />
Folterungen von Terrorverdächtigen in Geheimgefängnissen<br />
der CIA oder nun der Verratanden<br />
kurdischen KämpferninSyrien, haben<br />
jegliches Vertrauen in die moralische Integrität<br />
dieser Supermacht zerstört.<br />
Sicher,Donald Trump folgt keiner Ideologie,<br />
wie die Neokonservativen Anfang des<br />
DER US-TÜRKEI-DEAL<br />
Vereinbarung: US-Vizepräsident MikePence hat mit<br />
dem türkischen Präsidenten RecepTayyipErdogan<br />
am Donnerstag eineWaffenruhe in Nordsyrien ausgehandelt.Die<br />
Türkeikündigtean, ihre Militäroffensive<br />
fürfünfTage auszusetzen, damit diekurdischenVolksverteidigungseinheiten<br />
(YPG) ihre Kämpfer aus einer<br />
geplanten „Sicherheitszone“ entlang der türkischen<br />
Grenzeabziehen. Am Freitag griffen türkische Luftwaffe<br />
und Artillerieaber weiter an, dabei sollen sieben<br />
Zivilistengetötetwordensein.<br />
Waffenruhe: Vereinbart wurde, die türkische Offensive<br />
in Nordsyrien zunächstfür eine Dauer von120<br />
Stunden oderfünf Tagenauszusetzen. Dies soll den<br />
YPG-KämpfernZeitgeben,aus der vonder Türkei gewollten<br />
Pufferzone abzuziehen, ihre schwerenWaffen<br />
abzugeben und ihre Befestigungsanlagen zu zerstören.Sobald<br />
derYPG-Abzugabgeschlossen ist, will die<br />
Türkei ihren Militäreinsatzvollständig beenden.<br />
Sicherheitszone: Im August hatten die Türkeiund die<br />
USA die Schaffung einer 30 Kilometer tiefen „Sicherheitszone“<br />
auf einer Längevon 480 Kilometern zwischen<br />
Manbidsch und der irakischenGrenze vereinbart.<br />
Laut der Türkeibetrifft die jetzigeVereinbarung<br />
ebendieses Gebiet. Pence äußertesich nicht zu der<br />
Länge. Die vonderYPG dominierten SyrischenDemokratischen<br />
Kräfte (SDF) erklärten, es gehe nur um die<br />
120Kilometerzwischen Rasal-Ain und TalAbjad.<br />
Kontrolle: Laut der Vereinbarung soll die Sicherheitszone<br />
„vorwiegend vonden türkischen Streitkräften<br />
durchgesetzt werden“. Laut Pence sagte die<br />
Türkei zu, dass ihre Präsenz dortzeitlich begrenzt<br />
sein werde und keine Zivilisten vertrieben würden.<br />
Abzug: DieSDF sagten die Einhaltung der fünftägigen<br />
Waffenruhe zu.Die Vereinbarung,sowie sie vonder<br />
Türkeiinterpretiertwird, verlangtaber hohe Opfervon<br />
den Kurden. Sie zwingt dieYPG zumAbzug aus wichtigenStädten<br />
und erlaubtder Türkei, Teile der angestammten<br />
kurdischen Kerngebiete zu besetzen.<br />
Regierung in Damaskus: Am Sonntaghatte Damaskus<br />
auf Bitteder kurdischen Selbstverwaltung erstmals<br />
seit sieben JahrenwiederTruppeninden Norden<br />
geschickt, um die syrische Grenze zu verteidigen.<br />
Eine türkisch kontrollierte Zone wird Machthaber Bascharal-Assad<br />
kaum akzeptieren.<br />
neuen Jahrtausends, erfolgt wohl nur seinem<br />
ganz persönlichenWahnwitz. Aber dennoch<br />
kann man seine Parole von America<br />
First sehr wohl als Fortsetzung des hegemonialen<br />
Anspruchs der Cheneys und Rumsfeldsverstehen.<br />
Es ist die gleiche Hybris,der<br />
Anspruch auf eine dominierende Rolle der<br />
USA, der sich alle anderen unterzuordnen<br />
haben.<br />
Trump verfolgt dieses Ziel nicht militärisch,<br />
sondern mit ökonomischen Mitteln.<br />
George Soros, Investor, Milliardär und Philanthrop,<br />
hat beide Varianten in seinem<br />
schon 2003 erschienen Buch „Die Vorherrschaft<br />
der USA –eine Seifenblase“ als primitive<br />
Spielart des Sozialdarwinismus beschrieben:<br />
„Ich nenne sie primitiv, weil sie<br />
die Bedeutung der Kooperation im Kampf<br />
ums Dasein ignoriert und den Schwerpunkt<br />
allein auf die Konkurrenz legt. (…) Im wirtschaftlichen<br />
Bereich tritt der Sozialdarwinismus<br />
in Gestalt des Marktfundamentalismus<br />
auf, in der internationalen Politik führt er<br />
zum Streben nach Vorherrschaftder USA.“<br />
DIE PRÄSIDENTSCHAFT DONALD TRUMPS ist<br />
auch deshalb eine besonders tragische<br />
Phase der amerikanischen Politik, weil sie<br />
die Bemühungen und ersten Erfolge seines<br />
Vorgängers Barack Obama zunichtemacht,<br />
die moralische und faktische Autorität der<br />
USA in den internationalen Beziehungen<br />
wiederherzustellen.<br />
Tragisch ist freilich auch die Rolle der Europäer.<br />
Inder Auseinandersetzung um den<br />
Irakkrieg konnten Frankreichs Präsident<br />
Jacques Chirac und Deutschlands Kanzler<br />
GerhardSchröder eine starke Gegenposition<br />
zum Vorgehen der USA aufbauen. Siebewiesen<br />
Mut und Führungskraft, obwohl sie Widerspruch<br />
aus Großbritannien und Osteuropa<br />
erhielten.Wenn heute immer argumentiert<br />
wird, die Europäer seien so schwach,<br />
weil sie stets den kleinsten gemeinsamen<br />
Nenner aller 28 Mitgliedsstaaten der EU suchen<br />
müssten, so zeigt ein Blick zurück auf<br />
jene Zeit: Dasstimmt nicht.<br />
Es ist vorallem die Zögerlichkeit der heutigen<br />
Bundesregierung, die ein starkes gemeinsames<br />
Auftreten Deutschlands und<br />
Frankreichs verhindert, dem sich wie 2003<br />
zahlreiche andere europäische Staaten,<br />
wenn auch nicht alle, anschließen würden.<br />
Während damals der deutsche Außenminister<br />
Joschka Fischer eine kräftige Stimme<br />
in der transatlantischen Debatte hatte,sind<br />
von seinem heutigen Nachfolger Heiko<br />
Maas, wenn überhaupt, nur verdruckste<br />
Formeln zu hören, die hauptsächlich Besorgnis<br />
ausdrücken: über die Lage in der<br />
Ukraine, in Syrien, im Nahen Osten, in<br />
Hongkong. Sorgen äußern und nicht handeln,<br />
das ist keine Politik. Dass die Europäische<br />
Union sich in diesen stürmischen Zeiten<br />
monatelang mit ihrem Innenleben und<br />
dazu dem Brexit beschäftigt und als außenpolitische<br />
Kraft völlig ausfällt, ist ein zusätzliches<br />
Trauerspiel. Umso wichtiger wäre<br />
entschlossene Führung aus den starken<br />
Mitgliedsländern,dader früher übliche hilfesuchende<br />
Blick nach Washington keinerlei<br />
Hilfe mehr verspricht.<br />
Immerhin, es mag sein, dass Donald<br />
Trump mit seiner einsamen Entscheidung,<br />
die US-Soldaten aus Nordsyrien abzuziehen,<br />
nun doch einen kritischen Punkt erreicht<br />
hat, an dem auch die Republikaner nicht<br />
mehr bereit sind, ihm zu folgen. Im Kongress<br />
bilden sich überparteiliche Koalitionen, um<br />
den außenpolitischen und strategischen<br />
Schaden, den dieser Präsident seinem Land<br />
zufügt, zu begrenzen. Noch haben die USA<br />
nach Zeiten der Krise immer die Kraft gefunden,<br />
ihr politisches System, ihreKoordinaten<br />
wieder in Ordnung zu bringen. Freilich war<br />
es noch nie so erschüttertwie jetzt.<br />
Die USA sind heute eine Supermacht auf<br />
dem Rückzug, die in der internationalen Politik<br />
Russland immer mehr das Feld überlässt<br />
und sich der wirtschaftlichen Stärke Chinas<br />
immer weniger zu erwehren weiß. Nicht eines<br />
seiner vollmundig verkündeten außenpolitischen<br />
Zielehat Trump erreicht: die Abrüstung<br />
Nordkoreas, eine Annäherung an<br />
Russland, eine Friedenslösung für den Nahen<br />
Osten, Handelsfrieden mit China. Die<br />
Vereinigten Staaten fallen damit in allen Bereichen<br />
als die Ordnungsmacht aus, die sie<br />
lange auch waren: ein den Grundsätzen von<br />
internationaler Zusammenarbeit, Rechtsstaatlichkeit<br />
und Verlässlichkeit verpflichteter<br />
Partner.China und Russland aber können<br />
derweil recht ungestört ihre ganz eigenen<br />
globalen Interessen verfolgen. Da muss niemand<br />
mehr rufen: „Ami go home.“<br />
Holger Schmale<br />
hat die heiteren Jahre der Ära Clinton<br />
in den USA verbracht.