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Programmheft

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2001<br />

68.<br />

6<br />

1999<br />

Klaus Maria Brandauer,<br />

Johanna ter Steege & István Szabó<br />

WARUM NUR?<br />

Sie werden es gemerkt haben, geneigte Leserin, geneigter<br />

Leser: dass doch schrecklich oft vom Geschäft die Rede ist,<br />

in das wir uns verstrickt hatten. Es hat Jahre gedauert, bis<br />

dem Direktor das auffiel und er sich plötzlich fragte: Warum<br />

haben wir diesen Trend zum Filmwirtschaftlichen eigentlich<br />

so intensiv mitgemacht? Auch die Antwort auf diese<br />

selbstkritische Frage liefert der Zeitgeist – und der diktierte<br />

es, dass ein Filmfestival unmöglich bedeutend sein konnte,<br />

wenn es filmwirtschaftlich unbedeutend war. Er diktiert es<br />

übrigens heute noch bei vielen Filmfestivals. Ich bezweifle,<br />

dass das sinnvoll ist. Aber für die selbstkritische Einschätzung<br />

des vorauseilenden Gehorsams gegenüber dem Geschäftssinn<br />

der Branche, bedurfte es einer weiteren, sehr handfesten<br />

Strukturveränderung. Denn nicht nur entstanden jetzt jährlich<br />

immer neue Filmfestivals auf der Welt (heute gibt es allein in<br />

Deutschland 400 davon, vor 20 Jahren gab es 30) und viele<br />

davon hatten ein deutlich höheres Budget als wir, was uns<br />

nahezu handlungsunfähig machte. Es kam auch hinzu, dass<br />

das Internet entstanden war. Und mit dem Internet wurde es<br />

jedes Jahr einfacher für FilmhändlerInnen und EinkäuferInnen<br />

neuer Filmwerke, auch ohne uns, auch ohne zeitaufwendigen<br />

Besuch eines Filmfestivals, weltweit zu erfahren, wo es<br />

neue Filme gibt. Und gegenwärtig braucht es ohnehin nur<br />

noch einen Link, mit einer E-Mail verschickt, und überall<br />

auf der Welt kann jeder, der den Code kennt, besichtigen,<br />

was in den entlegensten Winkeln der Erde an Filmwerken<br />

entstanden ist. Nur noch profunder Sachverstand zählt da<br />

noch weiterhin. Mit anderen Worten: Die Wirtschaft hat sich<br />

verändert und mit ihr das Denken. Unsere selbstkritische<br />

Erkenntnis eingeschlossen. Ja, auch wir sind dem Geld und<br />

dem Wirtschaftsdenken hinterhergerannt und haben einen<br />

ungeheuren Aufwand getrieben, damit das kleine, in seinem<br />

Budget wahrhaft provinziell kleine „Internationale Filmfestival<br />

Mannheim-Heidelberg“ eine Chance behielt, mitzuspielen bei<br />

den Großen. Ja, es hat uns sogar Spaß gemacht, auf diese Weise<br />

nicht mehr nur „akademisch“, sondern auch ganz praktisch<br />

unterwegs zu sein.<br />

Gefülltes Kino bei der Filmpremiere<br />

1999<br />

Regisseur &<br />

Juror Otar Iosseliani<br />

Zum 50. Festivalgeburtstag wird<br />

unter anderem „Der Junge Törless“<br />

von Volker Schlöndorff gezeigt, der<br />

1965 Premiere auf dem<br />

Festival feierte<br />

2002Filmemacher Zhang Yimou<br />

wird als Master of Cinema<br />

ausgezeichnet und mit einer<br />

Werkschau von acht Filmen<br />

präsentiert<br />

LEIDENSCHAFTLICHE ABWEICHUNGEN<br />

Als ich anfing, damals ein 41-jähriger Filmkritiker und<br />

Filmwissenschaftler, da hatte ich erfrischend wenig<br />

Ahnung von der Ökonomie der Film- und Fernsehbranche<br />

weltweit. Wichtig war es mir, das Filmfestival als einen<br />

Ort neuer Erkenntnisse und Erfahrungen zu präsentieren,<br />

gleichgültig gegenüber allen bisherigen Gewohnheiten. Also<br />

veranstaltete ich einen „SchauPlatz Hunger nach Sinn“, lud<br />

den Philosophen Peter Sloterdijk ein, den Schriftsteller Klaus<br />

Theweleit, den Politiker Daniel Cohn-Bendit, immerhin aber<br />

auch den begnadeten Filmregisseur Krzysztof Kieślowski,<br />

und machte die Alte Feuerwache von Mannheim zum Hot<br />

Spot eines philosophisch-politischen Diskurses. Legendäre<br />

Filmfestivalmacher wie Ulrich Gregor oder Moritz de Hadeln<br />

(Berlinale) waren entsetzt, dass einer dermaßen Sachfremdes<br />

auf einem Filmfestival macht. Noch ein weiterer SchauPlatz<br />

mit dem Titel „Liebe“, dann ein dritter „Kino im Krieg“ (wegen<br />

des Krieges in Ex-Jugoslawien) – dann gab ich die Sache auf.<br />

Festivaldirektor, bleib bei deinen Leisten. Dies aber dafür<br />

kompromisslos, was die Radikalität der ausgewählten Filme<br />

des Programms betraf. Mit tiefgründiger Ironie entschuldigte<br />

ich mich bei meinem Festivalpublikum damals mit den<br />

Worten, es täte mir leid, dass ich ihnen nicht geben würde,<br />

was sie sich doch inständig wünschen würden: Dass es endlich<br />

auch ein paar Hollywood-Stars in Mannheim-Heidelberg gäbe<br />

oder wenigstens für jedermann verständliche Spielfilme<br />

statt immer diese anstrengenden Kunstfilmwerke – sagen<br />

wir aus Bulgarien und dann noch in der Originalsprache…<br />

Ich war entschlossen, meine neue Aufgabe vor allem dazu<br />

zu nutzen, auf keinen Fall gefällige Filme zu zeigen. Statt des<br />

Mainstreams der Unterhaltung oder auch der damals immer<br />

seichter werdenden Komödien im Arthouse Bereich, sollte<br />

es vorrangig Filme zu sehen geben, die radikal persönlich<br />

sind, von einer individuellen Handschrift geprägt, möglichst<br />

Solitäre ohne Vorbild, gerne auch schroff und anspruchsvoll<br />

und am besten verstörend fremdartig.

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