FINE DAS MAGAZIN FÜR GENUSS UND LEBENSSTIL
FINE DAS MAGAZIN FÜR GENUSS UND LEBENSSTIL - 2|2019 - Eine Sonderbeilage des Tre Torri Verlags
FINE DAS MAGAZIN FÜR GENUSS UND LEBENSSTIL - 2|2019 - Eine Sonderbeilage des Tre Torri Verlags
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<strong>DAS</strong> <strong>MAGAZIN</strong> <strong>FÜR</strong> <strong>GENUSS</strong> <strong>UND</strong> <strong>LEBENSSTIL</strong><br />
EINE SONDERBEILAGE DES TRE TORRI VERLAGS · DER VERLAG <strong>FÜR</strong> ESSEN, TRINKEN <strong>UND</strong> <strong>GENUSS</strong> 2 | 2019<br />
LUSTVOLL FRISCH: <strong>DAS</strong> NEUE BIO<br />
WIE SICH DER HANDELSKONZERN REAL DEM THEMA<br />
NACHHALTIGKEIT STELLT
VERLEGER <strong>UND</strong> HERAUSGEBER<br />
Ralf Frenzel<br />
ralf.frenzel@fine-magazines.de<br />
CHEFREDAKTEUR<br />
Thomas Schröder<br />
thomas.schroeder@fine-magazines.de<br />
REDAKTION<br />
Carola Hauck<br />
ART DIRECTION<br />
Guido Bittner<br />
MITARBEITER DIESER AUSGABE<br />
Ursula Heinzelmann, Uwe Kauss,<br />
Rolf Klein, Dieter Mathiak,<br />
Claus-Werner Peters<br />
FOTOGRAFEN<br />
Guido Bittner, Frieder Daubenberger,<br />
Alex Habermehl, Thorsten kleine<br />
Holthaus<br />
TITEL-FOTO<br />
Aprikosen, ALEX HABERMEHL<br />
VERLAG<br />
Tre Torri Verlag GmbH<br />
Sonnenberger Straße 43<br />
65191 Wiesbaden<br />
www.tretorri.de<br />
Geschäftsführer: Ralf Frenzel<br />
ANZEIGEN<br />
Judith Völkel<br />
Tre Torri Verlag GmbH<br />
+49 611-57 990<br />
anzeigen@fine-magazines.de<br />
HÄTTEN SIE GEDACHT, dass der Begriff »Nachhaltigkeit« eine mehr als dreihundert Jahre<br />
währende Geschichte hat? Tatsächlich ist das Bewusstsein dafür, wie wichtig und sinnvoll es<br />
ist, natürliche Ressourcen zu schonen und nicht mehr zu verbrauchen, als gleichzeitig nachwachsen<br />
kann, nicht erst mit der modernen Umweltbewegung entstanden. Schon im 18. Jahrhundert<br />
war dies ein gängiges Prinzip in der deutschen Forstwirtschaft, um für den Fortbestand<br />
der Wälder und eine verträgliche Holznutzung zu sorgen: Wer mehr fällt, als er pflanzt und<br />
wachsen lässt, hat irgendwann keinen Wald mehr. Hans Carl von Carlowitz, Oberberghauptmann<br />
des Erzgebirges, war es, der im Jahr 1713 in seinem forstwirtschaftlichen Werk »Sylvicultura<br />
oeconomica« den Begriff »Nachhaltigkeit« prägte.<br />
Heute fassen wir das Prinzip deutlich weiter, Nachhaltigkeit lässt sich längst auf viele Aspekte<br />
des Lebens anwenden. Jeder Einzelne kann versuchen, weniger Lebensmittel wegzuschmeißen,<br />
weniger Müll zu produzieren, Wasser und Strom zu sparen, regional einzukaufen und, wenn möglich,<br />
das Auto stehen zu lassen. Aber in einer globalisierten Welt, in der im Überfluss konsumiert<br />
wird, ist das Prinzip der Nachhaltigkeit nicht nur ein Auftrag an den Einzelnen, sondern vor allem<br />
an Politik und Wirtschaft: Wie können wir natürliche Ressourcen so schonend wie möglich<br />
nutzen, auf die Umwelt und das Tierwohl achten und zugleich so wirtschaftlich handeln, dass<br />
Produzenten ein faires Auskommen und Konsumenten eine echte Auswahl haben? Können diese<br />
unterschiedlichen Interessen in eine Balance gebracht werden, in der am Ende alle gewinnen?<br />
In diesem Magazin gehen wir der Frage nach, ob und wie ein großer Handelskonzern sich<br />
diesen Fragen stellt und welche Antworten er findet. Für die Herstellung dieser Ausgabe hat<br />
die Einzelhandelskette real Produktionshilfe geleistet.<br />
DRUCK<br />
Prinovis Ltd. & Co. KG · Nürnberg<br />
<strong>FINE</strong> Das Magazin für Genuss und Lebensstil<br />
ist eine Sonder beilage des Tre Torri Verlags<br />
im Verbund mit <strong>FINE</strong> Das Wein magazin,<br />
das viermal jährlich erscheint und im ausgesuchten<br />
Zeitschriftenhandel erhältlich ist.<br />
INHALT<br />
Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben<br />
nicht unbedingt die Meinung der Redaktion<br />
wieder. Der Verlag haftet nicht für unverlangt<br />
eingereichte Manuskripte, Dateien, Datenträger<br />
und Bilder. Alle in diesem Magazin veröffentlichten<br />
Artikel sind urheberrechtlich geschützt.<br />
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BIO-VIELFALT<br />
Nachhaltiger Weinbau<br />
DIE GUTE ALTE NEUE ZEIT<br />
Mit dem visionären Konzept Emmas Enkel startet real.digital in die Zukunft<br />
MÄRKTE VON MORGEN<br />
Von den Markthallen des 19. Jahrhunderts zum Einkaufserlebnis von heute<br />
MARKTPLATZ DER ZUKUNFT<br />
Patrick Müller-Sarmiento über Kundenwünsche und Inspiration<br />
KOCHKUNST <strong>UND</strong> ESSKULTUR<br />
Man ist, was man isst<br />
AUF ERFOLGSKURS<br />
Gerald Schönbucher ist der Chef von real.de<br />
IM GESPRÄCH<br />
Gerald Schönbucher über Künstliche Intelligenz im Online-Handel<br />
OBST <strong>UND</strong> GEMÜSE UNVERHÜLLT<br />
real befreit sich von Plastik und Verpackung<br />
LAIB MIT SEELE<br />
Vom wahren Brotgenuss<br />
<strong>DAS</strong> <strong>MAGAZIN</strong> <strong>FÜR</strong> <strong>GENUSS</strong> <strong>UND</strong> <strong>LEBENSSTIL</strong> <strong>FINE</strong> 2 | 2019 3
BIO-VIE<br />
Von ROLF KLEIN<br />
4 <strong>FINE</strong> 2 | 2019 <strong>DAS</strong> <strong>MAGAZIN</strong> <strong>FÜR</strong> <strong>GENUSS</strong> <strong>UND</strong> <strong>LEBENSSTIL</strong>
LFALT<br />
BIO IST BIO IST BIO? WENN ES SO EINFACH WÄRE! ES GIBT<br />
EINE VIELZAHL VON BIO-LABELN. AUSSERDEM WIRT-<br />
SCHAFTEN VIELE WINZER NATURNAH <strong>UND</strong> NACHHALTIG.<br />
WAS STECKT HINTER ALL DIESEN BEZEICHNUNGEN?<br />
»Der weltberühmte Bordeaux-Wein hat ein Imageproblem: Pestizide«, meldete<br />
ein Beitrag in den Tagesthemen am 28. September 2019. Deren Rückstände seien<br />
sogar in einigen von fünfzehn untersuchten Weinen nachgewiesen worden. Die<br />
Lösung des Problems wird in der Sendung durch einen biologisch wirtschaftenden<br />
Winzer verkörpert. Obwohl der nur Kupfer- und Schwefelpräparate zum Pflanzenschutz<br />
verwende, sei er erfolgreich. Dies dürfte eine Debatte befeuern, die schon<br />
seit längerem im Gange ist und die auch zahlreiche Winzer beschäftigt, deren<br />
Weine im Sortiment der real-Weinabteilungen stehen.<br />
Die biologisch bewirtschaftete Rebfläche wächst stetig, nicht nur in Deutschland. Nach Schätzung des<br />
Deutschen Weininstituts sind rund achttausend Hektar oder acht Prozent der Anbaufläche »bio«.<br />
Allein in den vergangenen zehn Jahren hat sie sich verdreifacht. »In Deutschland sind Bio-Wein,<br />
nachhaltig erzeugter Wein, Fairtrade-Wein und umweltfreundlicher Wein weiterhin sehr erfolgreich. Wein<br />
mit geringem Alkoholinhalt sowie alkoholfreier Wein haben stark an Popularität zugelegt«, konstatierte<br />
kürzlich die Marktstudie SOLA-Report; SOLA steht für Sustainable, Organic, Lower Alcohol.<br />
Foto: Guido Bittner<br />
Nachhaltigkeit: ein weiteres Stichwort, das gerade im Trend liegt. Nachhaltig wollen am liebsten alle sein. Ist<br />
das nicht dasselbe wie Bio? Nicht ganz, obwohl sich vereinfacht sagen lässt, dass ein biologisch zertifizierter<br />
Betrieb wohl auch nachhaltig ist, aber umgekehrt ein nachhaltig wirtschaftender Winzer nicht zwangsläufig<br />
auch ein Ökowinzer sein muss. Nachhaltigkeit ist ein umfassender Begriff, der die gesamte Aktivität eines<br />
Weinguts im Blick hat. Die betrifft nicht nur die Bewirtschaftung der Rebflächen oder die Arbeit im Keller,<br />
sondern auch Energie, Abfall- und Abwasserwirtschaft und sogar soziale Komponenten wie den Umgang<br />
mit den Mitarbeitern. Der Verband Fair ’n Green, dem rund vierzig Weingüter angehören, analysiert den<br />
<strong>DAS</strong> <strong>MAGAZIN</strong> <strong>FÜR</strong> <strong>GENUSS</strong> <strong>UND</strong> <strong>LEBENSSTIL</strong> <strong>FINE</strong> 2 | 2019 5
»Ich verzichte so weit wie möglich auf<br />
synthetische Spritzmittel. Gerne würde<br />
ich mehr in Richtung Bioweine gehen, aber<br />
in dem manchmal feuchten und warmen<br />
Klima bei uns können sich Pilze und<br />
Schädlinge mitunter stark ausbreiten.«<br />
Konrad Salwey, Weingut Salwey, Oberrotweil<br />
Foto: Marco Grundt<br />
gesamten Produktionsprozess im Weingut, um Empfehlungen zu geben, wie die Nachhaltigkeitsbilanz verbessert<br />
werden kann. Ökostrom und Wärmedämmung, mehr Elektromobilität, Recycling, sogar der Verzicht<br />
auf Flugreisen können solche Empfehlungen sein, ebenso der Verzicht auf Mineraldünger – was wiederum<br />
ein Berührungspunkt mit den Ökowinzern ist. Das 2009 an der Hochschule Heilbronn gegründete Deutsche<br />
Institut für Nachhaltige Entwicklung DINE vergibt das von ihm entwickelte FairChoice-Label an Weinbaubetriebe,<br />
die hinsichtlich ökonomischer, ökologischer und sozialer Kriterien regelmäßig untersucht und<br />
bewertet werden. »Öko« ist also nur ein Teilbereich der Nachhaltigkeit, aber ein wichtiger.<br />
»Bio« ist vor allem eine Sache der Bewirtschaftung von Weinbergen. Es geht dabei um Dünge- und<br />
Pflanzenschutzmittel. Was Bio in der Landwirtschaft heißt, wird durch eine EG-Verordnung des Rates der<br />
Europäischen Union – nicht nur für den Weinbau – festgelegt, damit überall in der EU Gleiches darunter<br />
verstanden wird. Sie nimmt zur Kenntnis, dass der Anteil des ökologisch/biologischen Agrarsektors in den<br />
meisten Mitgliedsländern wächst und es Verbraucher gibt, die »Erzeugnissen, die unter Verwendung natürlicher<br />
Substanzen und nach natürlichen Verfahren erzeugt worden sind, den Vorzug geben«. Beim genauen<br />
Nachlesen klingt die Verordnung an manchen Stellen freilich ein bisschen wachsweich. So wird beispielsweise<br />
in Paragraph 9 der »Gründe« die Unvereinbarkeit von genetisch veränderten Organismen (GVO) und<br />
aus diesen hergestellten Produkten mit dem »ökologischen/biologischen Produktionskonzept und der Auffassung<br />
der Verbraucher von ökologischen/biologischen Erzeugnissen« klar festgestellt, doch heißt es im<br />
nächsten Abschnitt (10): »Es ist das Ziel, das Vorkommen von GVO in ökologischen/biologischen Erzeugnissen<br />
auf das geringstmögliche Maß zu beschränken.« In Paragraph 30 wird es wiederum ganz klar: »Die<br />
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»Durch kräftigen Rückschnitt der Reben<br />
im Frühjahr, den Verzicht auf mineralische<br />
Düngung und die vielartige, natürliche<br />
Begrünung der Rebzeilen entsteht eine<br />
Konkurrenz im Weinberg. Die Rebe leidet<br />
und sucht sich ihre Nahrung in den tieferen<br />
Schichten des Erdreichs. Das ist die Basis<br />
für einzigartige Weine.«<br />
Fritz Groebe, Weingut K.F. Groebe, Westhofen<br />
Foto: Christof Herdt<br />
Verwendung von GVO in der ökologischen/biologischen Produktion ist verboten. Im Interesse der Klarheit<br />
und Kohärenz sollte es nicht möglich sein, ein Erzeugnis als ökologisch/biologisch zu kennzeichnen,<br />
aus dessen Etikett hervorgehen muss, dass es GVO enthält oder aus GVO besteht oder hergestellt wurde.«<br />
Heißt verboten nun »null« oder »geringstmöglich«?<br />
Was ökologischer/biologischer Anbau nach dieser Verordnung bedeutet, lässt sich so zusammenfassen:<br />
Bei der Bodenbearbeitung sollen Verfahren praktiziert werden, die ein gesundes, vielfältiges<br />
Bodenleben fördern oder bewahren. Bodenverdichtung und Erosion sollen vermieden<br />
werden, etwa durch Begrünung von Rebzeilen. Mit Energie soll verantwortungsvoll umgegangen werden,<br />
indem nicht erneuerbare Ressourcen auf ein Minimum reduziert werden. Mineralischer Stickstoffdünger<br />
ist verboten, dagegen werden organische Düngemittel wie Kompost verwendet.<br />
Eine andere EU-Verordnung regelt (seit dem Weinjahrgang 2012) auch die Arbeit im Keller. Die Grenzwerte<br />
für Schwefel (Sulfite) wurden im Vergleich zu konventionell erzeugten Weinen herabgesetzt, bestimmte<br />
Behandlungsstoffe sind verboten, ebenso wie die Verwendung von genmanipulierten Hefen. Dies alles steckt<br />
hinter dem gemeinschaftlichen EU-Bio-Logo, einem grünen Blatt, dessen Kontur von Sternen gebildet wird.<br />
Während die EU-Bestimmungen den Rahmen setzen, werden Details durch die Verbände geregelt, und<br />
zwar meist strenger, als gefordert. Während die EU-Verordnung beim Pflanzenschutz einen Kupferhöchstwert<br />
von sechs Kilogramm pro Hektar und Jahr festsetzt, ist die Höchstmenge bei Bioland nur drei Kilo.<br />
<strong>DAS</strong> <strong>MAGAZIN</strong> <strong>FÜR</strong> <strong>GENUSS</strong> <strong>UND</strong> <strong>LEBENSSTIL</strong> <strong>FINE</strong> 2 | 2019 7
Für Winzer gibt es verschiedene Verbände, die sich in bestimmten Details unterscheiden. Dem größten<br />
Biowinzer-Verband, Ecovin, der seit 1985 besteht, gehören zweihundertachtunddreißig Betriebe in fast<br />
allen Anbaugebieten an, die rund zweitausendvierhundert Hektar Rebfläche bewirtschaften. Der ganzheitliche<br />
Ansatz schließt gemäß den Richtlinien neben typischen Kriterien wie Verzicht auf Kunstdünger und<br />
Pflanzenschutz durch Förderung von Nützlingen (Vögeln, Insekten) auch Aspekte wie Klimaschutz (durch<br />
Reduktion von Energieverbrauch und Treibhausgas-Emissionen) und Sozialverträglichkeit (im Umgang mit<br />
den Mitarbeitern, aber auch mit Lieferanten und natürlich den Kunden) ein. Das klingt schon sehr nachhaltig.<br />
Ähnlich denkt man auch bei anderen Verbänden wie Bioland. Diesem mitgliedsstarken Verband<br />
(siebentausend siebenhundertvierundvierzig Betriebe und über mehr als elfhundert Vertragspartner<br />
in Handel und Herstellung) sind auch Weingüter angeschlossen. Ein Passus in den Bestimmungen<br />
speziell für den Weinbau betrifft ein von Kritikern gern geäußertes Argument. Was ist, wenn der Bio-<br />
Weinberg von Pflanzenschutzmitteln des konventionell wirtschaftenden Nachbarn eingenebelt wird? Oft<br />
werden diese Mittel aus Hubschraubern versprüht. Laut Bioland müssen Parzellen, die dadurch betroffen<br />
sein können, gemeldet werden; die Trauben aus diesen Parzellen und deren Weine dürfen nicht mit dem<br />
Siegel Bioland vermarktet werden.<br />
Naturland, ein weiterer Verband ökologisch arbeitender Erzeuger in der Landwirtschaft und im Weinbau,<br />
setzt ähnlich wie die anderen auf ein »aktives Qualitäts-, Boden- und Begrünungsmanagement«, um<br />
»Im Endeffekt geht es darum, im<br />
Einklang mit der Natur die besten<br />
Qualität zu erzielen. Mir geht es<br />
um die Nachhaltigkeit: Wenn eines<br />
meiner Kinder später auch mal<br />
Weinbau betreiben möchte, braucht<br />
es einen funktionierenden Weinberg.<br />
Der Verein Fair ’n Green, dem ich<br />
mich angeschlossen habe, durchleuchtet<br />
das ganze Unternehmen.«<br />
Alexander Stodden, Weingut Jean Stodden, Rech<br />
Foto: Marco Grundt<br />
8 <strong>FINE</strong> 2 | 2019 <strong>DAS</strong> <strong>MAGAZIN</strong> <strong>FÜR</strong> <strong>GENUSS</strong> <strong>UND</strong> <strong>LEBENSSTIL</strong>
die Reben weniger anfällig für Krankheiten zu machen. Ertragsbegrenzung ist eine Maßnahme, die auch<br />
qualitätsbewusste Winzer, die konventionell wirtschaften, praktizieren.<br />
Dem Verband Demeter gehören Winzer an, die ihre Reben biologisch-dynamisch (moderner gesagt:<br />
biodynamisch) bewirtschaften. Diese auf den Grundsätzen des Anthroposophen Rudolf Steiner beruhende<br />
Wirtschaftsweise geht über die übliche Öko-Landwirtschaft hinaus, indem beispielsweise Mondzyklen<br />
berücksichtigt und besondere Präparate zur Förderung des Bodenlebens eingesetzt werden. Es handelt<br />
sich hier also um eine besonders strenge Form des Bioweinbaus, die davon ausgeht, dass alles miteinander<br />
zusammenhängt wie in einem Organismus. Alle Lebewesen haben demnach eine Dimension über das rein<br />
Stoffliche hinaus.<br />
Jeder Erzeuger, der einem dieser Verbände angehört, muss sich regelmäßig überprüfen lassen und<br />
seine Arbeitsweise genau dokumentieren. Nur wenn alle Kriterien nachweisbar erfüllt sind, dürfen<br />
die entsprechenden Logos und Marken für die Produkte verwendet werden. Das alles kostet natürlich<br />
auch Geld. Die Erkenntnisse und Zielsetzungen der biologischen oder ökologischen Landwirtschaft<br />
werden jedoch auch von vielen Winzern beachtet, die nicht solchen Verbänden angeschlossen sind. Schließlich<br />
kann jeder wirtschaften wie ein Ökowinzer, auch ohne Verbandsmitgliedschaft. Viele versuchen, dem<br />
Ideal so nah wie möglich zu kommen. Doch ein Spitzenwinzer wie Fritz Groebe aus Rheinhessen weiß:<br />
»Einen Wein so zu produzieren, dass es die Umwelt komplett schonen würde, ist ausgeschlossen.« »Natur-<br />
»Im Bewusstsein der Verpflichtung zum<br />
langfristigen Schutz der Natur haben<br />
wir den Weg zum naturnahen nachhaltigen<br />
Weinbau eingeschlagen. Geringe<br />
Erträge, Aufweichung der Monokultur und<br />
saisonale Begrünung sind dafür Voraussetzung;<br />
die Stärkung der Rebe und die<br />
Erhaltung des Bodenlebens stehen im<br />
Vordergrund. Wir erhoffen uns, im Weingut<br />
immer besser zu werden und uns selbst<br />
besser kennenzulernen.«<br />
Theresa Breuer, Weingut Georg Breuer, Rüdesheim<br />
Foto: Rui Camilo<br />
<strong>DAS</strong> <strong>MAGAZIN</strong> <strong>FÜR</strong> <strong>GENUSS</strong> <strong>UND</strong> <strong>LEBENSSTIL</strong> <strong>FINE</strong> 2 | 2019 9
»Wir legen viel Wert auf die nachhaltige<br />
Bewirtschaftung unserer Weinberge.<br />
Die Umstellung auf den ökologischen<br />
Weinbau war daher selbstverständlich.«<br />
Fred Prinz, Weingut Prinz, Hallgarten<br />
Foto: Alex Habermehl<br />
nah« ist ein gern bei der Selbstdarstellung eines Betriebs verwendetes Stichwort, das allerdings nicht mit<br />
konkreten Kriterien verbunden ist. Schließlich will doch jeder Winzer die Natur respektieren und erhalten.<br />
»Umweltbewusster Weinbau ist in Deutschland Standard«, versichert man beim Deutschen Weininstitut.<br />
Begrünung zwischen den Rebzeilen ist kein eindeutiger Hinweis auf die Bio-Zertifizierung des Winzers, das<br />
machen viele andere auch. Einfach, weil es sinnvoll ist und Bodenerosion verhindert. Schließlich kann auch<br />
ein konventioneller Winzer jene Sorten anbauen, die als PiWis bekannt sind: »Pilzwiderstandsfähig« heißt<br />
das. Das sind neuere Züchtungen wie Regent, Acolon, Solaris oder Cabernet Blanc, die durch ihre Robustheit<br />
weniger Behandlungen brauchen.<br />
Das ist auch für konventionelle Winzer interessant, da sich damit Geld sparen lässt. Ein Vorteil des Verzichts<br />
auf Zertifizierung ist, dass der Winzer im Fall des Falles auf konventionelle Mittel zurückgreifen kann,<br />
um seine Ernte nicht zu gefährden. Pheromonfallen zur Abwehr des Schädlings Traubenwickler hängen in<br />
fast der Hälfte der deutschen Weinberge, werden also nicht nur von Ökowinzern verwendet. Es gibt sogar<br />
Biowinzer, die auf die Auszeichnung ihrer Weine als Bio-Produkte verzichten, wenn sie das Gefühl haben,<br />
für ihre Kunden sei das eher kein Kaufkriterium. Man sieht: Die Grenzen sind fließend. Nachhaltigkeit und<br />
Bio? Am besten beides!<br />
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M<strong>UND</strong>US VINI 2019<br />
BEST OF SHOW<br />
NOVANTACEPPI PRIMITIVO<br />
ITALY RED IN RETAIL MARKETS<br />
SOMMERVERKOSTUNG, L19140<br />
Mack & Schühle AG, 73277 Owen /Teck<br />
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LEBENSMITTELMARKT.
DIE GUTE<br />
ALTE NEUE<br />
ZEIT<br />
MIT DEM VISIONÄREN KONZEPT EMMAS ENKEL<br />
STARTET REAL.DIGITAL IN DIE ZUKUNFT<br />
Von UWE KAUSS<br />
Fotos FRIEDER DAUBENBERGER<br />
Die zwei sonnenbebrillten E-Scooter-Fahrer, die an diesem Sommertag lachend in<br />
waghalsigen Kurven über den Rosenbergplatz im Stuttgarter Westen flitzen, hätte<br />
der Regisseur eines Werbespots engagieren können. Der Himmel strahlt blau über<br />
den vier- und fünfstöckigen Wohnhäusern aus der Wende zum zwanzigsten Jahrhundert,<br />
die glühende Sonne hat den Asphalt in eine Heizplatte verwandelt. An<br />
der Kreuzung warten zwei Anzugträger, eine tätowierte Frau auf dem Lastenrad,<br />
ein bärtiger Mann in Sneakers mit seinem Nachwuchs vor der Brust und eine<br />
Rentnerin mit Kopftuch und Einkaufstüten auf Grün. Rund um den Platz leben<br />
Studenten, Migranten, Wohlhabende, Familien und Hipster in bunter Nachbarschaft.<br />
In den vergangenen fünfzehn Jahren hat sich das Quartier, nur ein<br />
paar Fahrradminuten von Universität, Staatsoper und Innenstadt entfernt, in<br />
schnellen Schritten gewandelt. Damals gab es hier Wohnhäuser, die Kreuzung<br />
und eine Tankstelle. Inzwischen finden sich hier ein hervorragender Feinbäcker,<br />
ein Sushi-Takeaway, ein sri-lankisches Restaurant, ein französisches Bistro sowie<br />
Bioläden und Kneipen.<br />
Im Erdgeschoss eines denkmalgeschützen Hauses direkt am Rosenbergplatz<br />
erfindet seit kurzem die Düsseldorfer Einzelhandelskette<br />
real das Einkaufen komplett neu. In der ehemaligen Filiale der<br />
Commerzbank, deren mächtiger Tresor noch heute an frühere Zeiten<br />
erinnert, erprobt real ein innovatives, weltweit bislang einzigartiges<br />
Konzept. »Emmas Enkel« ist in schwungvoller Retro-Schrift an den<br />
Scheiben neben dem wuchtig verzierten Hauseingang voller Graffiti<br />
zu lesen. Unter diesem Namen will die Einzelhandelskette das über<br />
hundertfünfzig Jahre alte Tante Emma-Laden-Konzept in die digitale<br />
Zeit transferieren. Denn Emmas Enkel hat an sieben Tagen der Woche<br />
vierundzwanzig Stunden geöffnet.<br />
Drinnen erwarten Neugierige und Kunden auf dunklem Holzboden<br />
eine fein sortierte Cafébar, Vitrinen mit Baguette, Brötchen, Brot und<br />
anderen Backwaren, ein paar Auslagen mit frischem Bio-Obst und<br />
Gemüse, ein Kühlregal mit Sandwiches und Snacks sowie vier große<br />
Bildschirme. Die sympathisch improvisiert wirkende Atmosphäre des nur<br />
etwa fünfundvierzig Quadratmeter kleinen Ladens mit offenen Kabelschächten<br />
an der Decke, Backsteinwänden, Kisten, Kreidetafeln und<br />
Sitzkissen ist nur eine Seite der innovativen Idee. Die andere besteht aus<br />
Internet, App, künstlicher Intelligenz (KI) und einem Roboter. Denn das<br />
Einkaufen funktioniert entweder über den Touchscreen an der Wand<br />
oder über die App auf dem Smartphone. Etwa fünfhundert Produkte<br />
12 <strong>FINE</strong> 2 | 2019 <strong>DAS</strong> <strong>MAGAZIN</strong> <strong>FÜR</strong> <strong>GENUSS</strong> <strong>UND</strong> <strong>LEBENSSTIL</strong>
Mit der robotergesteuerten Supermarktfiliale Emmas Enkel am<br />
Stuttgarter Rosenbergplatz hat real das Konzept der Tante-<br />
Emma-Läden in die digitale Zeit transferiert. Doch ein wenig<br />
vom Charme vergangener Tage ist in dem kleinen Verkaufsraum<br />
mit dem großen Angebot noch zu spüren.<br />
sind derzeit im Laden erhältlich, schon bald sollen es doppelt so viele<br />
sein, erzählt real-Geschäftsführer Patrick Müller-Sarmiento. Doch es<br />
gibt keine Regale mit Wänden aus Dosen und Nudeln – die gibt es nur<br />
in der App oder dem Touchscreen. »Der Kunde sucht sich dort aus,<br />
was er benötigt, bezahlt und erhält auf Papier oder dem Display einen<br />
Barcode, den er vom Scanner am Bildschirm gegenüber einlesen lässt«,<br />
beschreibt Schönbucher den Einkaufsvorgang.<br />
Nebenan, in dem etwa dreißig Quadratmeter großen und in drei<br />
Temperaturzonen eingeteilten Regallager sammelt nun ein Roboter die<br />
gekaufte Ware aus den genormten Regalkästen und stellt sie gesammelt<br />
im Ausgabeschacht bereit. »Für acht Artikel benötigt das System dazu<br />
nur etwa eine Minute«, fügt Gerald Schönbucher hinzu. So schnell<br />
geht künftig einkaufen: Keine weite Anfahrt. Kein Verirren zwischen<br />
Supermarkt-Regalen nach einem harten Arbeitstag. Kein Warten in<br />
der Schlange an der Kasse. Und wer es noch eiliger hat, kann schon<br />
mit der App unterwegs oder in der Büropause seinen Einkauf klarmachen,<br />
betritt den Laden, hält das Smartphone mit dem Barcode vor<br />
den Scanner und ist ein, zwei Minuten später mit vollen Taschen wieder<br />
draußen: Emmas Enkel bricht den Rekord. Den Einkaufsbeutel vergessen?<br />
Eine Stofftasche hängt am Ausgabetresen bereit. Denn Plastiktüten<br />
gibt es aus Gründen des Umweltschutzes nicht. Auch das ist ein<br />
wichtiger Teil der neuen Zeit.<br />
Wer tagsüber etwas Zeit hat, bleibt einfach noch da. Denn<br />
die Filiale des in der Nachbarschaft sehr beliebten Café<br />
Herbertz, die nahtlos in den Verkaufsraum übergeht, lädt<br />
montags bis freitags von sieben bis achtzehn Uhr zum entspannten<br />
Plausch bei einer Tasse richtig gutem Kaffee in diversen Varianten und<br />
frischem Gebäck ein.<br />
»Wir haben uns gefragt, wie wir den klassischen kleinen Einkaufsladen<br />
um die Ecke neu beleben könnten«, beschreibt Patrick Müller-<br />
Sarmiento den Denkansatz. Die vielen großen Warenhäuser der Handelskette<br />
liegen meist am Stadtrand und sind am besten mit dem Auto<br />
erreichbar. Doch die Gesellschaft verändert sich, weiß der CEO von<br />
real: »Autos sind für junge Leute vor allem in den Städten nicht mehr<br />
sonderlich interessant. Weniger als die Hälfte der Achtzehnjährigen<br />
absolviert heute noch die Führerscheinprüfung.« Damit könnten sie<br />
den riesigen SB-Warenhäusern in Zukunft als Kunden verlorengehen.<br />
Foto: Wikipedia<br />
<strong>DAS</strong> <strong>MAGAZIN</strong> <strong>FÜR</strong> <strong>GENUSS</strong> <strong>UND</strong> <strong>LEBENSSTIL</strong> <strong>FINE</strong> 2 | 2019 13
Obst, Gemüse und frische Backwaren werden lose<br />
angeboten. Da setzt Emmas Enkel ganz auf das Vertrauen<br />
zu seinen Kunden. Wenn die es eilig haben, sind sie nach<br />
ein paar Minuten mit vollen Taschen wieder draußen: auswählen,<br />
antippen, abholen, fertig.<br />
Immer mehr Junge zieht es in die Städte, das Fahrrad ist für sie ein ganz<br />
selbstverständliches Verkehrsmittel. Internet und E-Commerce haben<br />
dazu die Jahrzehnte gültigen Regeln des Einzelhandels neu geschrieben,<br />
Umweltschutz und Klimawandel werden Mobilität und Einkaufs verhalten<br />
verändern. Auf diesen grundlegenden Wandel hatten die Supermarktketten<br />
bislang keine schlüssigen Antworten.<br />
In der Branche hat Emmas Enkel daher schon jetzt für internationale<br />
Aufmerksamkeit gesorgt. Die experimentierfreudigen real-Manager<br />
testen erstmals, wie sich die jederzeit und überall verfügbare Digitaltechnologie<br />
mit den uralten emotionalen Werten von Nachbarschaft,<br />
Nähe, Austausch, Vertrauen, Zugehörigkeit und Regionalität verbinden<br />
lässt. Am Rosenbergplatz ist kein begehbarer Snack-Automat<br />
entstanden, sondern ein Treffpunkt, der die sehr widersprüchlichen<br />
Aspekte des Lebens zusammenbringt. Die Kunden bestellen auf dem<br />
Display – frisches Obst und Gemüse allerdings, übrigens meist in Biooder<br />
Demeter-Qualität, nehmen sie nach der Bestellung auf Vertrauensbasis<br />
einfach aus den Holzkisten heraus. »Wir wissen, dass das Betrachten<br />
und Anfassen der wichtigste Teil der Entscheidung ist«, sagt Patrick<br />
Müller-Sarmiento, »und wir vertrauen unseren Kunden. Das entspricht<br />
unserem positiven Menschenbild. Sie legen drei Äpfel am Display in<br />
den Warenkorb, bezahlen und suchen sich drei Äpfel aus der Kiste aus.«<br />
Die stammen nicht aus dem Sortiment von real, sondern von dem nur<br />
wenige Straßen entfernten Gemüseladen Grünes Eck, der sich auf verpackungsfreies<br />
Obst und Gemüse aus der Umgebung spezialisiert hat.<br />
Auch die feinen Backwaren in den Vitrinen werden auf diese Weise<br />
abgerechnet. Croissants, Brot, Brötchen und Baguettes stammen nicht<br />
aus tiefgekühlter Industrieware, sondern ebenfalls aus der direkten<br />
Nachbarschaft: von der französischen Bäckerei La Boulangerie auf der<br />
anderen Straßenseite und von den Brotfreunden Grau, einem modern<br />
konzipierten, traditionellen Stuttgarter Bäckerbetrieb. Dahinter steckt<br />
kein in sämtlichen Details mit Marktforschung analysiertes Verkaufskonzept.<br />
Patrick Müller-Sarmiento und sein Team haben zur Besichtigung<br />
der Filiale bei einem Spaziergang die Straßen der Nachbarschaft erkundet,<br />
um ein Gefühl für die Lage, die Menschen, die Läden und die Atmosphäre<br />
zu bekommen. »Als wir an der Boulangerie vorbeikamen, zog uns der<br />
unwiderstehliche Duft frischer Croissants in die Nasen. Also haben wir<br />
alle direkt das gesamte Sortiment getestet und daraufhin überlegt, ob<br />
das nicht vielleicht ein guter Partner für Emmas Enkel sein könnte«,<br />
erinnert er sich.<br />
Das uralte Prinzip des Tante-Emma-Ladens, für jede Lebenslage<br />
im normalen Alltag die richtigen Produkte bereitzuhalten, gilt auch für<br />
14 <strong>FINE</strong> 2 | 2019 <strong>DAS</strong> <strong>MAGAZIN</strong> <strong>FÜR</strong> <strong>GENUSS</strong> <strong>UND</strong> <strong>LEBENSSTIL</strong>
Emmas Enkel: Milch, Butter und Joghurt, Dosen, Reis und Nudeln, alles<br />
zum Kochen und Backen, Wurst und Käse, Süßes und Salziges, Getränke<br />
aller Art, dazu eine Auswahl an Drogerie- und Hygieneartikeln. Doch<br />
dabei soll es nicht bleiben: »Wir haben geplant, auch Tiefkühlprodukte<br />
ins Sortiment zu bringen, später soll auch noch mehr frische Wurst und<br />
Käse, vielleicht sogar Fisch hinzukommen«, beschreibt Gerald Schönbucher<br />
die nächsten Schritte. Auch alkoholische Getränke sind zu haben:<br />
guter Wein, Craft Beer und mehr. Zum Kauf ist es aber nötig, Ausweis<br />
oder EU-Führerschein dabeizuhaben, der, um das Alter des Kunden zu<br />
legitimieren, einfach durch ein Lesegerät gezogen wird.<br />
Gerald Schönbucher, seit vielen Jahren tief verwurzelt in der digitalen<br />
Startup-Szene, hat der Handelskette einen gewaltigen Innovationsvorsprung<br />
verschafft. Denn das hoch optimierte Warenlager neben dem<br />
Verkaufsraum samt einem KI-unterstützten Roboter, der Bestellungen<br />
zusammenstellt und zudem Warenlieferungen scannt und einsortiert,<br />
ist keine Eigenentwicklung des real-Konzerns. Die Komplexität und das<br />
Risiko des Scheiterns solcher Systeme sind so hoch, dass kein Handelshaus<br />
sie innerhalb seiner Unternehmensstruktur zum Laufen bringen<br />
könnte.<br />
Das Stuttgarter Robotik-Startup Smark hat die ausgefeilte Technologie<br />
und das Konzept, sie im Lebensmittel-Einzelhandel einzusetzen,<br />
selbst entwickelt und lange getestet. Als Gerald Schönbucher<br />
davon erfuhr, war er sofort interessiert. Dann ging es sehr schnell:<br />
»Ein langjähriger ehemaliger Kollege kannte die Smark-Gründer Philipp<br />
Hoening und Max Ittermann aus dem Studium. Also bin ich im Frühjahr<br />
auf die beiden zugegangen«, berichtet er. Doch das Gespräch entwickelte<br />
sich anders, als Handelskonzerne es erwarten würden: »Smark<br />
hat damals Business Angels gesucht, die neue Entwicklungen finanzieren<br />
helfen sollten.« Damit konnte er umgehen, denn neben seiner Arbeit<br />
bei real ist er auch als Startup-Investor tätig. Doch in Frage kam das<br />
für ihn nicht: »Ich habe mich informiert und dachte, deren Konzept<br />
könnte genau zu real.digital passen. Also haben wir die Jungs getroffen<br />
und uns zeigen lassen, was sie aufgebaut haben.« Die Gründer hatten<br />
ihr Konzept im kleineren Maßstab bereits am Stuttgarter Hauptbahnhof<br />
erprobt – und darauf mit einigen Händlern aus der Nachbarschaft<br />
das Kessellädle in der Nähe von Emmas Enkel eröffnet.<br />
»Das Konzept hat uns überzeugt, ebenso die Gründer als Unternehmer.<br />
Wir haben also beschlossen: Lasst es uns gemeinsam probieren«,<br />
berichtet Gerald Schönbucher. Doch den beiden Smark-Gründern<br />
lagen auch Angebote anderer Lebensmittelhändler vor. Sie hatten die<br />
Wahl – und entschieden sich für real: »Für Smark waren wir und unsere<br />
Marktleiter die Schnellsten – und diejenigen, die mit unserem unternehmerischen<br />
und konzeptionellen Ansatz überzeugten.« Danach<br />
ging es in Startup-typischer Geschwindigkeit weiter: »Wir haben im<br />
April 2019 den Vertrag unterschrieben und Emmas Enkel Ende August<br />
eröffnet. Die Vorbereitung hat insgesamt nur vier Monate gedauert.«<br />
Doch auch die Roboter-Experten behielten dieses Tempo bei.<br />
»Unsere ursprüngliche Annahme war, dass wir eine erprobte Technologie<br />
einsetzen«, berichtet Gerald Schönbucher, »aber die Entwickler haben<br />
eine ganze Reihe Verbesserungen an der Technologie vorgenommen,<br />
damit mehr Ware gelagert werden kann. Zudem sollte damit das Aus- und<br />
Einräumen schneller und effizienter funktionieren. Allen war bewusst:<br />
Das ist mit einem technologischen Risiko behaftet. Die ersten Versuche<br />
der Roboter waren auch nicht immer überzeugend. Aber zum Start lief<br />
alles hervorragend.« Nicht nur die Arbeit der Roboter bucht er als Erfolg.<br />
Auch die Zahl der Kunden und Bestellungen erfreut ihn sichtlich: »Wir<br />
hatten viel mehr Bestellungen als wir vermuteten. Es ist ein vielver-<br />
Nachhaltigkeit ist<br />
bei Emmas Enkeln<br />
ein großes Wort.<br />
Statt Plastiktüten<br />
gibt es die Einladung<br />
zum Bag-Crossing<br />
direkt neben dem<br />
Grünen Eck und am<br />
Abhol-Terminal.<br />
<strong>DAS</strong> <strong>MAGAZIN</strong> <strong>FÜR</strong> <strong>GENUSS</strong> <strong>UND</strong> <strong>LEBENSSTIL</strong> <strong>FINE</strong> 2 | 2019 15
Rund um die Uhr an dreihundertfünfundsechzig<br />
Tagen im Jahr hat Emmas<br />
Enkel geöffnet. Nur die fein sortierte<br />
Cafébar mit frischem Baguette, Brot und<br />
Croissants macht erst um sieben auf.<br />
sprechender Start.« Beschwerden, dass das System nicht mit Bargeld<br />
funktioniert, habe es keine gegeben. Denn zum Bezahlen mit der App<br />
akzeptiert Emmas Enkel derzeit nur Paypal, im Laden sind es die ECund<br />
Kreditkarte sowie die Zahlungsdienste Google Pay und Apple Pay.<br />
Für real – und für die gesamte Branche – ist die Eröffnung von<br />
Emmas Enkel ein noch völlig unbekanntes Terrain. Es gibt keine<br />
Studien, keine vergleichbaren Erfahrungen, keine Ergebnisse von<br />
Kundenbefragungen. Denn bislang konnte im Einzelhandel niemand in<br />
einem nur dreißig Quadratmeter kleinen Warenlager tausend Produkte<br />
vorrätig halten – das ist die Zahl, die Schönbucher schon bald erreichen<br />
will. Das System von Smark ist jedenfalls darauf ausgelegt und getestet.<br />
Das entspricht der Menge an Produkten, die eine durchschnittliche<br />
Discounter-Filiale von Aldi, Lidl oder Netto in seinen Regalen stehen<br />
hat. Und genau das ist die bislang einzigartige Dimension, mit der sich<br />
real an die internationale Spitze der Innovation im Lebensmittelhandel<br />
setzt: Eine robotergesteuerte Supermarktfiliale als kleiner, sympathischer<br />
Laden irgendwo im Wohnquartier einer Stadt, dessen Waren per App<br />
vorab bestellt werden können und sich in Windeseile abholen lassen,<br />
mit Bio-Produkten aus der Umgebung, handwerklichen Backwaren<br />
aus der Nachbarschaft und einem Treffpunkt mit duftendem Kaffee.<br />
Nun muss Emmas Enkel beweisen, ob die auf den ersten Blick<br />
widersprüchlichen Elemente von Anonymität und Nähe, von Handwerk<br />
und Display, von QR-Code und Demeter bei den Nachbarn im<br />
Stuttgarter Westen angenommen werden. »Sollte sich das Konzept<br />
und die Technologie bei den Anwohnern vom Rosenbergplatz im<br />
Rahmen einer mehrmonatigen Testphase bewähren, werden wir sehr<br />
schnell weitere Geschäfte in Deutschland eröffnen«, beschreibt real-<br />
CEO Patrick Müller-Sarmiento die Perspektive, »durch die modulare<br />
Bauweise auf einer Fläche von insgesamt nur knapp achtzig Quadratmetern<br />
ist unsere digitale Einkaufsstation an praktisch jedem Standort<br />
einsetzbar.« Wenn es gelingt, ziehen die Roboter in den Alltag der<br />
Menschen ein. Mittendrin in der Nachbarschaft. Sie bleiben unsichtbar.<br />
Aber man könnte mitten in der Nacht entspannt einkaufen und mit<br />
einem Rucksack voller Lebensmittel auf dem E-Scooter nach Hause<br />
flitzen. Das ist kein Werbespot. Es ist das Leben.<br />
16 <strong>FINE</strong> 2 | 2019 <strong>DAS</strong> <strong>MAGAZIN</strong> <strong>FÜR</strong> <strong>GENUSS</strong> <strong>UND</strong> <strong>LEBENSSTIL</strong>
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In der Nase verströmt er einen Duft<br />
von Heidelbeere und Schwarzkirsche<br />
mit floralen Noten. Eine<br />
feine Holzwürze und reife Tannine<br />
verleihen dem Wein viel Finesse<br />
und Eleganz.<br />
Frankreich/Bordeaux<br />
Reife Fruchtaromen von schwarzen<br />
Pflaumen, Cassis, Waldbrombeeren<br />
sowie dunkles Leder und<br />
schwarze Schokolade begeistern<br />
in der Nase.<br />
Frankreich/Bordeaux<br />
Mit Aromen von Edelhölzern,<br />
Zigarrenkiste und Trüffel. Begeistert<br />
am Gaumen durch eine ausgewogene<br />
Balance und eine saftige<br />
Textur.<br />
Frankreich/Bordeaux<br />
Mit Aromen von Pfefferkörnern,<br />
hellem Tabak, Eisenkraut und<br />
Maulbeeren. Fein, elegant, mit<br />
einer fast schon milden Adstringenz.<br />
Ein angenehmes Finale mit<br />
leicht süßlichem Beerenton.<br />
Frankreich/Bordeaux<br />
Frische Aromen von Himbeere,<br />
Brombeere, Amarenakirsche und<br />
Maulbeere. Florale Noten sowie<br />
Röst- und Vanillearomen begeistern<br />
die Nase. Seidige Textur mit<br />
vollem Körper.<br />
Frankreich/Bordeaux<br />
Vollmundig mit Aromen exotischer<br />
Frucht, reifer Kirsche, Waldbeere<br />
und Brombeere. Seidige Tannine<br />
und eine feine Säure runden das<br />
Aromenspiel ab.<br />
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18 <strong>FINE</strong> 2 | 2019 <strong>DAS</strong> <strong>MAGAZIN</strong> <strong>FÜR</strong> <strong>GENUSS</strong> <strong>UND</strong> <strong>LEBENSSTIL</strong>
Als die erste Markthalle 1867 in<br />
Berlin eröffnet wurde, war sie ihrer<br />
Zeit noch zu weit voraus: Schon<br />
nach ein paar Monaten musste sie<br />
wieder schließen. Danach diente der<br />
imposante Bau aus Eisen und Glas<br />
in der Nähe des Bahnhofs Friedrichstraße<br />
bis zu seinem Abriss im Jahr<br />
1982 unterschiedlichsten Zwecken.<br />
Abbildung: Wikipedia<br />
Es war nichts weniger als eine Revolution, die im Herbst des Jahres 1867 ausgerufen wurde. Eine allerdings,<br />
die vorsichtshalber schon zwei Jahre zuvor angekündigt worden war. Im Herzen Berlins nahm in jenen<br />
Tagen die erste Markhalle, unweit des Bahnhofs Friedrichstraße, ihren Betrieb auf. Ein paar Dutzend Meter<br />
lang, ein paar Dutzend Meter breit. Viel Eisen war verbaut worden, reichlich Glas; moderne Technik erlaubte<br />
architektonische Höhenflüge. Die neue Zeit des Einkaufens war mit Händen zu greifen. Wirklich begeistert<br />
waren dennoch nicht alle, wie zeitgenössische Quellen berichten. Sowohl die Händler als auch die Käufer<br />
mussten sich erst gewöhnen an die neue Ordnung, an die Standgebühren, an die verbesserten hygienischen<br />
Verhältnisse. Es zeigte sich bald, dass die erste Berliner Markthalle ihrer Zeit noch voraus war. Die Menschen<br />
fremdelten, bald musste der Prototyp wieder schließen, weil die Umsätze hinter den Erwartungen zurückblieben.<br />
Aufhalten ließ sich die beginnende Epoche allerdings nicht. Es sollte zwar noch ein paar Jahre dauern,<br />
bis sich das neue Einkaufskonzept durchsetzte, aber in den 1880ern und 1890ern war es soweit. Nicht weniger<br />
als vierzehn neue Markthallen entstanden in Berlin, fein säuberlich auf die einzelnen Stadtviertel verteilt.<br />
<strong>DAS</strong> <strong>MAGAZIN</strong> <strong>FÜR</strong> <strong>GENUSS</strong> <strong>UND</strong> <strong>LEBENSSTIL</strong> <strong>FINE</strong> 2 | 2019 19
Die weltberühmten<br />
Halles, der Bauch von<br />
Paris, zwischen 1850<br />
und 1870 im Herzen<br />
der französischen<br />
Hauptstadt erbaut<br />
und 1936 vollendet,<br />
wurden zum Mythos.<br />
Als sie 1969 die Innenstadt<br />
verlassen<br />
mussten, trauerten<br />
nicht nur die Händler.<br />
Abbildung: Wikipedia<br />
Die 1867 noch preußische, später auch deutsche Hauptstadt war<br />
mit dieser Bautätigkeit nicht allein. Überall in Europa entstanden<br />
in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts jene Gebäude aus<br />
modernen Werkstoffen und mit neuester Technik, oft inspiriert vom<br />
Jugendstil, welche die alten Freiluftmärkte ersetzten oder ergänzten. So<br />
wie zuvor hatte es ja auch nicht weitergehen können. Die Städte platzten<br />
aus allen Nähten, die Karren der Händler verstopften die Straßen und<br />
Plätze, die sich für die schnell wachsende Bevölkerung als zu eng, zu<br />
klein erwiesen. Viele Städte waren schließlich noch geprägt von den<br />
mittelalterlichen Grundrissen und Planungen, weshalb die Wochenmärkte<br />
den Bedarf kaum noch stillen konnten und die Lieferungen aus<br />
dem Umland den Verkehr stundenweise kollabieren ließen. Wenn es<br />
regnete, versank alles im Schlamm. Überdachungen für Märkte hatte<br />
es zwar vereinzelt schon im Mittelalter gegeben, bereits 1830 wurde<br />
Covent Garden, Englands damals wichtigster Markt, überdacht – aber<br />
konsequent ging man die Sache erst später an. Vor allem die Pariser<br />
Hallen, von Victor Baltard als Kunstwerk der Moderne konstruiert,<br />
setzten Maßstäbe. Eine deutsche Zeitschrift berichtete 1858 staunend<br />
über die neue Ordnung, die strikte Trennung zwischen Fisch, Fleisch<br />
und Gemüse, den angebundenen Bahnhof, mit dessen Hilfe Nachschub<br />
an Lebensmitteln in die Stadt gebrachte wurde. Les Halles de<br />
Paris wurden zum Mythos, und als sie 1969 die Innenstadt verlassen<br />
mussten, um nach Rungis umgesiedelt zu werden, trauerten nicht nur<br />
die Händler. Paris hatte sein Herz verloren.<br />
Eine neue Form des Einkaufens<br />
Doch die Franzosen erholten sich von dem Schock und lernten, dass<br />
sich die unterschiedlichen Einkaufsformen ja auch verbinden lassen.<br />
Alte, dezent modernisierte Markthallen in der Innenstadt existieren<br />
Zur Zeit des Risanamento,<br />
als Florenz im späten 19.<br />
Jahrhundert Hauptstadt<br />
von Italien war, wurde der<br />
Mercato Centrale nach Entwürfen<br />
des Architekten<br />
Giuseppe Mengoni erbaut.<br />
Hier werden bis heute überwiegend<br />
Ingredienzien<br />
der toskanischen Küche<br />
angeboten.<br />
Foto: Greta Gabaglio/123RF.COM<br />
20 <strong>FINE</strong> 2 | 2019 <strong>DAS</strong> <strong>MAGAZIN</strong> <strong>FÜR</strong> <strong>GENUSS</strong> <strong>UND</strong> <strong>LEBENSSTIL</strong>
nach wie vor, Freiluftmärkte sind zu Touristenattraktionen geworden,<br />
die Kaufhäuser, die ihren Ursprung ebenfalls im 19. Jahrhundert haben,<br />
gelten heute als ebenso unverzichtbar wie die Einkaufszentren an den<br />
Stadträndern. Auch in Deutschland findet sich ein buntes Miteinander<br />
der Einkaufsmöglichkeiten. Als das Einzelhandelsunternehmen real<br />
vor drei Jahren seine Idee einer neuen Markthalle verwirklichte, war<br />
die Überraschung dennoch groß. Dabei war doch nur logisch, was die<br />
Geschäftsführer Henning Gieseke, Jörg Kramer und Patrick Müller-<br />
Sarmiento zusammen mit ihren Mitarbeitern realisierten: eine Markthalle,<br />
aber eine mit zeitgemäßem Anstrich. 2016 mutierte die bis dahin<br />
eher konventionell wirkende real-Filiale in Krefeld zu einem Haus, das<br />
Maßstäbe setzen sollte, das Aufsehen erregte – innerhalb und außerhalb<br />
der Branche. Kein Supermarkt von der Stange, sondern ein Ort mit<br />
Lebendigkeit und neuem Bezug zu Lebensmitteln. Im vergangenen Jahr<br />
war dann Braunschweig dran mit seiner Markthalle nach real-Muster, die<br />
kürzlich eröffnete real-Filiale in Balingen interpretiert das Konzept der<br />
Markthalle etwas kleiner, lässt aber ansonsten gleiche Prinzipien gelten.<br />
Um all dies auszuarbeiten, haben sich Patrick Müller-Sarmiento<br />
und sein Team in der Welt umgesehen. In den historischen Markthallen<br />
Europas, aber auch auf unbedachten Märkten im Süden des Kontinents<br />
oder in Übersee. Was daraus entstanden ist und von real nach und nach<br />
umgesetzt wird, ist allerdings innovativ. »Unser Markthallenkonzept ist<br />
eine Symbiose aus Freiluftmarkt und Halle«, sagt der Chef, »und es ist<br />
auf keinen Fall ein Copy-and-Paste-Konzept«. Ideen gewann er überall,<br />
wo sich Menschen zum Genuss treffen: »Italien hat uns inspiriert,<br />
auch die Markthallen in Frankfurt, in Berlin oder in Amsterdam«. Und<br />
da wäre natürlich noch Kolumbien, das Land, in dem der Spezialist<br />
für das neue Einkaufserlebnis seine Wurzeln hat und in dem er regelmäßig<br />
vorbeischaut. Einmal im Jahr sei er dort, erzählt Patrick Müller-<br />
Sarmiento, er schwärmt von der Vielfalt an Lebensmitteln auf den<br />
Abbildung: Wikipedia<br />
Die Frankfurter Kleinmarkthalle im<br />
Stil der Neurenaissance wurde 1879<br />
fertiggestellt. Bis sie 1944 durch<br />
einen Bombenangriff zerstört<br />
wurde, bot die verglaste Eisenkonstruktion<br />
das Bild einer dreischiffigen<br />
basilikalen Halle.<br />
Im Mercado da Ribeira von Lissabon<br />
wird seit 1882 Fisch, Gemüse und<br />
Obst verkauft. Im Westflügel haben<br />
im Jahr 2014 Nouvelle Cuisine und<br />
traditionelle portugiesische Küche<br />
Einzug gehalten.<br />
Fotos: Jon Lovette / Alamy Stock Foto und Timo Christ / Alamy Stock Foto<br />
<strong>DAS</strong> <strong>MAGAZIN</strong> <strong>FÜR</strong> <strong>GENUSS</strong> <strong>UND</strong> <strong>LEBENSSTIL</strong> <strong>FINE</strong> 2 | 2019 21
Märkten, von dem unglaublichen Angebot an Früchten, dem Bewusstsein<br />
für Frische. Bestelle jemand einen Fruchtsaft, könne er überall<br />
unter zahlreichen Sorten wählen, müsse dann nur noch sagen, ob er die<br />
Intensität der Früchte mit etwas Wasser (con agua) oder mit Milch (con<br />
leche) abmildern wolle. Doch die Fülle des Angebots sei nichts, was<br />
ausschließlich für Südamerika gelte. Auch Europa, auch Deutschland<br />
böten eine Vielfalt in den Regionen, die man nur noch entdecken müsse.<br />
»Inspiriert haben mich, was das Brot angeht, natürlich die deutschen<br />
Bäckereien«, sagt Patrick Müller-Sarmiento. Was könnte schon die Lust<br />
am Einkaufen und Genießen deutlicher zum Ausdruck bringen als ein<br />
gutes, nach allen Regeln des Handwerks gebackenes Sauerteigbrot mit<br />
röscher Kruste und saftiger Krume? In den Markthallen von real, in Krefeld<br />
und Braunschweig, in Balingen und im neuen, soeben eröffneten<br />
Markt in Aschaffenburg, achtet man folglich in hohem Maß auf die<br />
Qualität des Gebotenen und die angemessene Präsentation. Regionale<br />
Produkte, Obst und Gemüse von nachhaltig arbeitenden Lieferanten,<br />
Bananen aus Bio-Anbau – real hat längst das komplette Sortiment auf<br />
diese Variante der gelben Frucht umgestellt – und Spezialitäten aus der<br />
Permakultur. Alles da. Mehr, als man erwartet.<br />
Treffpunkte für Menschen<br />
Doch eine Markthalle von heute, wie sie real in Deutschland platziert,<br />
lässt sich nicht auf das Angebot an Früchten, Fleisch, Fisch und frischen<br />
Brötchen reduzieren. Es geht nicht zuletzt um das Erlebnis des Genießens<br />
an Ort und Stelle. »Die Marktküche ist für mich das Herzstück«, sagt<br />
Patrick Müller-Sarmiento. Vorbilder sind auch in dieser Hinsicht Markthallen<br />
und Märkte, wie sie seit Jahrhunderten existieren. Schon immer<br />
22 <strong>FINE</strong> 2 | 2019 <strong>DAS</strong> <strong>MAGAZIN</strong> <strong>FÜR</strong> <strong>GENUSS</strong> <strong>UND</strong> <strong>LEBENSSTIL</strong>
Die 2018 in Braunschweig eröffnete real-Markthalle ist<br />
ein Publikumsmagnet, der für jeden Bedarf eine Menge<br />
zu bieten hat: von der Bratwurst bis zum Wagyu Beef,<br />
von jungem Riesling bis zu gereiftem Bordeaux.<br />
Foto: real GmbH<br />
wurden auf Wochenmärkten oder in ihrem unmittelbaren Umfeld kleine<br />
Speisen angeboten, zubereitet aus frischen Produkten der Region und<br />
somit natürlich den Jahreszeiten entsprechend. Provinziell ging es<br />
dabei selten zu, denn schon im Mittelalter nahm man auch Ideen und<br />
Traditionen des Auslands auf; Messen und Jahrmärkte lockten schließlich<br />
auch Händler von jenseits der Landesgrenzen an. Auf diese Weise<br />
sind schon im 15. Jahrhundert Menschen in Konstanz mit der Pizza in<br />
Kontakt gekommen, die damals anlässlich des Konzils der Katholischen<br />
Kirche von eigens angereisten Verkäufern gebacken wurde. Als Dünnele<br />
oder Dinnele verbreiteten sich jene Teigfladen, die damals ohne die<br />
noch unbekannten Tomaten zubereitet wurden, bald darauf auch in<br />
Schwaben. Ein kulinarischer Kulturtransfer.<br />
Heute wäre eine europäische Markthalle ohne den Duft von Kurkuma<br />
und Kardamom, von Lavendel und Trüffeln oder das Mitwirken von<br />
Sushi-Meistern und Pastamachern undenkbar. So manche der alten<br />
Konsumkathedralen präsentiert sich weltoffener denn je. Nach wie<br />
vor geht es in vielen Hallen ums Anbieten der frischen Waren, um die<br />
Deckung des Tages- oder Wochenbedarfs der Kunden – doch immer<br />
stärker auch darum, sich inspirieren zu lassen. Die Markthalle von<br />
Lyon etwa hat es geschafft, trotz des vor einigen Jahrzehnten initiierten<br />
Umzugs von der Place des Cordeliers in ein aufstrebendes Stadtviertel,<br />
einen Ruf weit über die Grenzen der französischen Metropole hinaus zu<br />
erhalten. Lyon ist nicht zuletzt ihretwegen zur Stadt der Gastronomie<br />
aufgestiegen, ist die umjubelte Heimat von überbackenen Kutteln und<br />
Hechtklößchen in Krebssauce. Eine Destination, in der sich Generationen<br />
von Reisenden im Anschluss an einen Markthallenbesuch das Déjeuner<br />
im Restaurant Paul Bocuse schmecken lassen. Manche Händler sind<br />
gar zu Legenden geworden. Vor dem Käse der Mère Richard, die ihren<br />
<strong>DAS</strong> <strong>MAGAZIN</strong> <strong>FÜR</strong> <strong>GENUSS</strong> <strong>UND</strong> <strong>LEBENSSTIL</strong> <strong>FINE</strong> 2 | 2019 23
In Krefeld mutierte<br />
die bis dahin konventionelle<br />
real-<br />
Filiale 2016 zur<br />
lebendigen Markthalle<br />
mit zeitgemäßem<br />
Anstrich,<br />
die Maßstäbe setzt.<br />
Stand nach wie vor in der Markthalle von Lyon besitzt, ziehen auch<br />
weitgereiste Feinschmecker den Hut. Dass man mitten in der Halle<br />
auch essen kann, an der Theke oder an schmalen Tischen, macht sie<br />
auch am neuen Ort zur Ikone.<br />
Ähnlich berühmt ist die ab 1876 erbaute Markthalle von Lissabon,<br />
die einst eine typische Ansammlung von Obst-, Fisch- und Fleischständen<br />
war, dann aber komplett umgebaut wurde. Heute ist ein großer<br />
Teil des Mercado da Ribeira den Anbietern von Burgern und asiatisch<br />
gewürzten Buns gewidmet, den Herstellern von Pastéis de Nata oder<br />
Eclairs, hier kann man Madeira verkosten, Kaffee trinken und Kochkurse<br />
besuchen. Etwa drei Dutzend unterschiedliche Stände warten auf<br />
Kunden – wobei von Warten im strengen Sinn keine Rede sein kann:<br />
In den Abendstunden und am Wochenende ist der Mercado so beliebt,<br />
dass die vielen Sitzplätze in der Mitte kaum ausreichen. Die Stimmung<br />
ist blendend, die Verkäufer richten immer neue Portionen Gyoza und<br />
Tapas an. Längst gehört eine Stippvisite zum Pflichtprogramm eines<br />
jeden Lissabon-Besuchers.<br />
Markthallen der Moderne<br />
Das Flair, wie es am Tejo zu erleben ist, durchweht auch die Marktküchen<br />
in Krefeld, Braunschweig und Aschaffenburg. In den neuen<br />
Markthallen von real geht es darum, die Kunden zu begeistern, sagt<br />
Henning Gieseke. Etwa mit einem Dry Aged Steak aus Irland, das<br />
nach Bestellung auf den Grill gelegt und – ohne Aufschlag auf den Mitnahmepreis<br />
– vor Ort verzehrt werden kann. Frischer Steinbutt oder<br />
Seeteufel nach Tagesangebot, eine frisch gemachte Pasta und natürlich<br />
Pizza gehören zum Angebot.<br />
Fotos: Johannes Grau<br />
24 <strong>FINE</strong> 2 | 2019 <strong>DAS</strong> <strong>MAGAZIN</strong> <strong>FÜR</strong> <strong>GENUSS</strong> <strong>UND</strong> <strong>LEBENSSTIL</strong>
»Unser Markthallenkonzept ist eine Symbiose<br />
aus Freiluftmarkt und Halle«, sagt Patrick Müller-<br />
Sarmiento, CEO der Einzelhandelskette real. Dazu<br />
inspirieren ließ er sich durch berühmte historische<br />
Markthallen rund um den Globus.<br />
Fotos: real GmbH<br />
Doch es soll – auch das hat man bei der Recherche in den historischen<br />
Markthallen erkannt – keineswegs um die exklusive Verpflegung der<br />
oberen Zehntausend gehen. Ein teurer Gourmettempel will man nicht<br />
sein, sondern für jeden Bedarf eine Menge bieten. Bratwurst und Wagyu<br />
Beef? Knackiger Riesling aus dem letzten Jahrgang und ein lange gereifter<br />
erstklassiger Bordeaux? Selbstverständlich! Die Gemeinsamkeit macht<br />
die Markthallen der Moderne aus, und die Menschen tragen zu ihrer<br />
Attraktivität bei.<br />
»Wir beschäftigen dreißig Köche, die wir selbst ausgebildet haben«,<br />
sagt Geschäftsführer Jörg Kramer. Motivierte Mitarbeiter, die sich nicht<br />
nur aufs Empfehlen verstehen, sondern etwa auch auf die perfekte<br />
Zubereitung eines Bio-Hühnchens am offenen Feuer. Dass sie für den<br />
Belag einer Pizza Mozzarella nicht irgendwelche Zutaten verwenden,<br />
sondern auf Qualität zurückgreifen, schmeckt man. Die Kunden danken<br />
es, indem sie häufiger anreisen als früher; in der Markthalle Krefeld<br />
beispielsweise sind es vierzig Prozent mehr als vor dem Umbau. Viele<br />
kommen nicht nur einmal pro Woche, sondern immer wieder – für eine<br />
Pizza, für frisch gemachte Pasta oder nur, um bei einem Glas Prosecco<br />
oder Champagner das Wochenende einzuläuten und sich zu besonderen<br />
Gelegenheiten ein Stück Balik-Lachs zu leisten. Einen so guten Kaffee,<br />
wie er in den real-Markthallen vom Barista Tasse für Tasse zelebriert<br />
wird, muss man andernorts lange suchen.<br />
Kein Detail wird dem Zufall überlassen, an allen Ecken und Enden<br />
wird gefeilt – sogar an der passenden Musik, die auf die einzelnen<br />
Bereiche der neuen Markthallen abgestimmt wurde. Patrick Müller-<br />
Sarmiento weiß genau, dass auch der richtige Sound Teil der Atmosphäre<br />
ist. Die Herkunft der Lebensmittel ist es ohnehin. »Bis 2030 wollen wir<br />
das gesamte Food-Sortiment auf Nachhaltigkeit umstellen«, sagt er.<br />
Eines steht aber schon heute fest: Die Markthallen von einst, die<br />
in den 1980ern schon mal als altes Eisen betrachtet wurden, als Auslaufmodelle,<br />
die den Malls nach amerikanischem Vorbild zu weichen<br />
hatten, sind quicklebendig – etwa die 1891 eröffnete Markthalle IX in<br />
Berlin-Kreuzberg. Mehr denn je scheinen sie Vorbilder für ein neues Miteinander<br />
aus nachhaltigem Angebot und entdeckerfreudigem Genuss.<br />
Die Zeit der Markthallen, der alten wie der neuen, dürfte gerade erst<br />
begonnen haben.<br />
26 <strong>FINE</strong> 2 | 2019 <strong>DAS</strong> <strong>MAGAZIN</strong> <strong>FÜR</strong> <strong>GENUSS</strong> <strong>UND</strong> <strong>LEBENSSTIL</strong>
www.louis-roederer.com
MARKTPLATZ<br />
DER ZUKUNFT<br />
PATRICK MÜLLER-SARMIENTO, CEO DER EINZEL-<br />
HANDELSKETTE REAL, ÜBER EINKAUFS ERLEBNISSE,<br />
K<strong>UND</strong>ENWÜNSCHE <strong>UND</strong> INSPIRATION<br />
Von DIETER MATHIAK<br />
Foto ALEX HABERMEHL<br />
<strong>FINE</strong>: Herr Müller-Sarmiento, als Sie 2016 die erste Real-<br />
Filiale in eine Markthalle umwandelten, schlug Ihnen viel<br />
Skepsis entgegen. Hat sich das mittlerweile gelegt?<br />
PATRICK MÜLLER-SARMIENTO: Es gibt noch immer<br />
Stimmen, die anzweifeln, was wir begonnen haben. Aber<br />
die Kunden geben uns recht. In Krefeld, der ersten zur<br />
Markthalle umgebauten Filiale, haben wir vierzig Prozent<br />
mehr Kundenbesuche als in der Zeit vor dem Umbau. Auch<br />
Braunschweig entwickelt sich sehr gut, und für Balingen<br />
werden wir in Kürze Zahlen vorliegen haben.<br />
<strong>FINE</strong>: Balingen ist kleiner als Krefeld, Braunschweig oder<br />
die soeben eröffnete Markthalle in Aschaffenburg. Das<br />
heißt, dass es nicht immer der ganz große Wurf sein muss?<br />
PATRICK MÜLLER-SARMIENTO: Balingen eignet<br />
sich sehr gut für einen Marktplatz, wie wir ihn entwickelt<br />
haben. Es gibt in der Umgebung ein Publikum, das offen ist<br />
für unsere Idee einer Markthalle. Schon am ersten Tag haben<br />
wir das bestätigt bekommen: Es war die beste Eröffnung in<br />
der zweiundfünfzigjährigen Geschichte von real!<br />
<strong>FINE</strong>: Auch hier kann man Fisch kaufen, Kaffee trinken,<br />
an Ort und Stelle entspannen?<br />
PATRICK MÜLLER-SARMIENTO: Ja, das ist das<br />
Prinzip. Der Kunde kann sich zum Beispiel mal eine Pizza<br />
oder mal ein Tomahawk-Steak aussuchen, dazu ein Glas<br />
Riesling oder vielleicht einen hochwertigen Bordeaux<br />
trinken. Das entspricht dem heutigen Konsumverhalten.<br />
Wir dürfen nicht vergessen, dass fünfundvierzig Prozent<br />
der Bevölkerung in Single-Haushalten leben. Wir bieten<br />
denen und anderen einen Platz, an dem sie nicht nur einkaufen,<br />
sondern auch verweilen können. Für einen Teller<br />
frisch hergestellter Pasta vielleicht. Dazu kommt natürlich<br />
auch die Grundversorgung. In vielen Dörfern gibt es<br />
ja keinen Bäcker mehr, keinen Metzger.<br />
<strong>FINE</strong>: Ein Einkaufserlebnis, wie es in den großen Markthallen<br />
Europas zu finden ist?<br />
PATRICK MÜLLER-SARMIENTO: Wir haben uns<br />
vieles angeschaut, uns inspirieren lassen. Die Markthallen,<br />
aber auch die Freiluftmärkte. In Santander in Spanien hat<br />
mich die Markthalle beeindruckt – ein ganzes Geschoss ist<br />
ausschließlich dem Fisch gewidmet. Berlin, Frankfurt und<br />
Amsterdam besitzen schöne Markthallen, in Wiesbaden<br />
gibt es einen wunderbaren Wochenmarkt.<br />
Und Italien natürlich: Da hat mich die Slowfood-Messe<br />
in Turin fasziniert. Auch die Vereinigten Staaten haben<br />
gute Konzepte – so ist zum Beispiel die liebevolle Produktbeschreibung,<br />
wie sie die Biosupermarktkette Whole Foods<br />
entwickelt hat, sehr überzeugend. Und wenn wir nach<br />
Asien schauen: Welche Wichtigkeit das Essen in Japan<br />
hat, welche Bedeutung eine einzige Erdbeere haben kann,<br />
das ist aufregend.<br />
<strong>FINE</strong>: Eins zu eins umsetzen können und wollen Sie diese<br />
Anregungen aber gar nicht?<br />
PATRICK MÜLLER-SARMIENTO: Unsere Markthallen<br />
sind keine Kopien und entwickeln sich immer weiter.<br />
Es sind Hybridlösungen, die einerseits mehr bieten als ein<br />
klassischer Wochenmarkt und andererseits mehr als ein<br />
klassischer Supermarkt. Es gibt sehr hochwertige, rare<br />
Produkte wie das Kobe Beef aus Japan, aber wir setzen auch<br />
auf das Prinzip Farm to Market. Wir stärken die Regionalität,<br />
auch wenn nicht alles aus der Region kommen muss.<br />
Warum soll ich nicht im Herbst Gemüse aus der Permakultur<br />
anbieten? Bei uns stammt es aus der Gegend südlich<br />
von Rom.<br />
<strong>FINE</strong>: Die Bedürfnisse der Menschen scheinen heute anders<br />
zu sein als früher?<br />
PATRICK MÜLLER-SARMIENTO: Ganz gewiss. Bei<br />
meiner Großmutter zum Beispiel gab es um sechs Uhr Frühstück,<br />
um sieben ist sie auf den Wochenmarkt gegangen,<br />
um die Zutaten fürs Mittagessen einzukaufen. Heute ist das<br />
anders. In vielen Familien wird mittags nicht mehr gekocht.<br />
Darauf stellen wir uns natürlich ein. Mit unseren<br />
Produktionsküchen etwa, in denen wir jeden Tag frische<br />
Speisen zubereiten, die man an Ort und Stelle essen oder<br />
mit nach Hause nehmen kann. Die Umsätze im Außer-Haus-<br />
Essen nehmen zu, auch wenn auf der anderen Seite nie so<br />
viel Geld für eigene Küchen ausgegeben wurde!<br />
<strong>FINE</strong>: Sie setzen aber nicht ausschließlich auf Markthallen,<br />
sondern auch auf kleine Geschäfte unter dem Motto Emmas<br />
Enkel oder aufs Internet. Ist das die Zukunft?<br />
PATRICK MÜLLER-SARMIENTO: Es wird eine neue<br />
Symbiose geben. Bei Emmas Enkel, einem Laden-Konzept,<br />
das, erstmals in Stuttgart eröffnet, rund um die Uhr auf hat,<br />
sind wir Innovationsführer.Die Seite real.de entwickelt sich<br />
ausgezeichnet, ist die am schnellsten wachsende Plattform im<br />
deutschen Einzelhandel. Siebzig Prozent der Bestellungen<br />
werden übers Smartphone abgewickelt! E-Commerce geht<br />
heute anders als früher gedacht. Wichtig ist aber auch, eine<br />
Geschichte zu den Lebensmitteln zu erzählen, nah bei den<br />
Erzeugern zu sein und zu inspirieren.<br />
28 <strong>FINE</strong> 2 | 2019 <strong>DAS</strong> <strong>MAGAZIN</strong> <strong>FÜR</strong> <strong>GENUSS</strong> <strong>UND</strong> <strong>LEBENSSTIL</strong>
STERNST<strong>UND</strong>EN <strong>FÜR</strong><br />
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– nur solange der Vorrat reicht
KOCHKUNST<br />
<strong>UND</strong><br />
30 <strong>FINE</strong> 2 | 2019 <strong>DAS</strong> <strong>MAGAZIN</strong> <strong>FÜR</strong> <strong>GENUSS</strong> <strong>UND</strong> <strong>LEBENSSTIL</strong>
ESSKULTUR<br />
MAN IST, WAS MAN ISST<br />
Von CLAUS-WERNER PETERS<br />
Fotos GUIDO BITTNER und THORSTEN KLEINE HOLTHAUS<br />
Schon merkwürdig, dass sich das gepflegte Liegen bei<br />
Tisch nie mehr wirklich durchsetzen konnte, seit das<br />
Römische Reich unterging. Zuvor galt die mehr oder<br />
weniger waagerechte Form der Nahrungs aufnahme<br />
als Selbstverständlichkeit. Adel und Bürgertum ließen<br />
sich, inspiriert von den Griechen, die Speisen im Liegen<br />
reichen, auf dem vermutlich durchaus bequemen lectus<br />
triclinaris, dem römischen Speisecanapé, den Arm<br />
aufgestützt, das Essen portionsweise und meist mit<br />
den Fingern zu sich nehmend. Bequeme Kleidung war<br />
angesagt, nur Frauen mussten aus sittlichen Gründen<br />
im Sitzen essen.<br />
Doch Teile der damaligen Speisesitten sind mitnichten ausgestorben.<br />
Die Einteilung der Speisen in die noch heute weithin<br />
verbreiteten drei Gänge – Vorspeise, Hauptgang, Dessert –<br />
war bereits in der Antike vielfach üblich. Vorweg kalte Kleinigkeiten,<br />
wie sie in ähnlicher Form auch heute noch serviert werden könnten,<br />
dann warme Gerichte, schließlich Süßspeisen. Es spricht übrigens wenig<br />
dagegen, die eingeübten Regeln mal zu durchbrechen, die Sache umzudrehen<br />
und einen Abend lang nur Desserts zu reichen, gar mit Süßem zu<br />
starten und dann zu Salzigem überzuleiten, erst Warmes, dann Kaltes zu<br />
präsentieren. Allerdings glaubt man gar nicht, wie sehr die traditionelle<br />
europäische Speisenfolge den Menschen in Fleisch und Blut übergegangen<br />
ist.<br />
Das Prinzip war also klar, zumindest in Europa. Allerdings änderte<br />
sich die Anzahl der servierten Speisen im Laufe der Jahrhunderte.<br />
An den Höfen des Kontinents entwickelten sich Zeremonien, die in<br />
großen, üppig bestückten Tafeln<br />
gipfelten. Wenige Gänge waren es,<br />
die serviert wurden, aber pro Gang<br />
deckten die Bediensteten eine<br />
reiche Fülle an Speisen ein. Immer<br />
prächtiger wurden die Braten<br />
und Fische, die beispielsweise<br />
nach den Kochanweisungen von<br />
François-Pierre de La Varenne und<br />
Vincent La Chapelle ausgeführt<br />
wurden. Die im Frankreich des<br />
16., 17. und 18. Jahrhunderts entwickelte<br />
Haute Cuisine nahm Einfluss<br />
auf den gesamten Kontinent,<br />
sickerte zumindest in Zitaten bis<br />
ins Bürgertum durch. Die Sitte des<br />
Darreichens wurde irgendwann als<br />
Service à la française berühmt. Die<br />
Idee jedoch, die dem französischen<br />
<strong>DAS</strong> <strong>MAGAZIN</strong> <strong>FÜR</strong> <strong>GENUSS</strong> <strong>UND</strong> <strong>LEBENSSTIL</strong> <strong>FINE</strong> 2 | 2019 31
Service zugrunde lag, ist noch lebendig. Wer viele Speisen auf eine<br />
gemeinsame Tafel stellt, auf dass alle sich bedienen mögen, gemeinsam<br />
kosten, sich über das Gegessene austauschen, schafft ein ganz besonderes<br />
Esserlebnis.<br />
Natürlich funktioniert, was im Restaurant klappt, auch in den<br />
eigenen vier Wänden. Eine Mischung aus Service à la française<br />
und von Asien inspirierten Sharing-Methoden kommt prinzipiell<br />
ausgezeichnet an. Für den Gastgeber eröffnen sich dadurch neue Möglichkeiten.<br />
Er muss nicht mehr akribisch die jedem Gast zustehenden<br />
Portionen berechnen, damit nur ja genug von allem für alle da ist. Er<br />
kann vielmehr nach Herzenslust spielen, immer neue Gerichte bringen,<br />
im Notfall auch improvisieren. Stehen sechs oder sieben Schüsseln mit<br />
Köstlichkeiten auf dem Tisch, wird keine derartig kritisch beäugt, als gebe<br />
es nur einen einzigen Hauptgang. Und wer zum Abschluss eines Essens<br />
eine Phalanx aus drei oder vier Desserts unterschiedlicher Texturen und<br />
Temperaturen auf den Tisch stellt, darf sich der Bewunderung seiner<br />
Gäste sicher sein. Die vermeintlich alten Tischsitten Frankreichs haben<br />
also auch im 21. Jahrhundert noch ihre Berechtigung.<br />
Menschen müssen essen, das ist lebensnotwendig. Wie sie dies<br />
allerdings tun, ist Ergebnis ihrer Entscheidungen und Teil der Lebensgestaltung.<br />
Was warum gewählt wird, ist in den verschiedenen Kulturen<br />
unterschiedlich. Aber überall sind kulturelle Muster wirksam. Der Philosoph<br />
und Anthropologe Ludwig Feuerbach (1804 bis 1872) stellte fest:<br />
Der Mensch ist, was er isst. Was gegessen wird, stellt Identitäten her,<br />
über ihr Essen drücken sich Menschen aus und ordnen sich einander<br />
zu. Über gemeinsames Essen wurden und werden große und kleine<br />
Gemeinschaften geschaffen und gefestigt; es entstehen Gespräche und<br />
Erinnerungen. Das ist nicht nur hierzulande so. Die Mahlzeit, so sagt<br />
man generell, war der Beginn der Kultivierung des Essens, untrennbar<br />
verbunden mit Kommunikation, mit Tradition.<br />
Tradition und Herkunft bedeutet, einerseits Werte zu bewahren,<br />
sich dabei aber stetig weiterzuentwickeln. Technologischer Fortschritt<br />
ist unabdingbar, um für die Anforderungen an die Zukunft bereit zu sein.<br />
Wichtig ist jedoch, sich immer noch auf das Wesentliche zu besinnen, den<br />
Auszug aus:<br />
GAGGENAU<br />
<strong>DAS</strong> KOCHBUCH<br />
260 Seiten | zahlr. Farbfotos<br />
28,0 × 29,0 cm | Hardcover<br />
€ 69,90 (D) | € 71,90 (A)<br />
ISBN 978-3-96033-042-4<br />
32 <strong>FINE</strong> 2 | 2019 <strong>DAS</strong> <strong>MAGAZIN</strong> <strong>FÜR</strong> <strong>GENUSS</strong> <strong>UND</strong> <strong>LEBENSSTIL</strong>
Unverzichtbar für<br />
gelungenen Genuss sind<br />
Gläser für Schaumwein, Riesling,<br />
alle übrigen Weißweine,<br />
jüngeren Rotwein, älteren<br />
Rotwein, Pils, Wasser. Und<br />
für die Grundausstattung<br />
an Besteck empfehlen sich<br />
Buttermesser, Vorspeisenbesteck,<br />
Suppenlöffel, Fischbesteck<br />
mit Gourmetlöffel,<br />
Messer und Gabel für den<br />
Hauptgang, Gabel und Löffel<br />
fürs Dessert.<br />
Blick auf die wahren Momente im Leben zu behalten, auf das Gemeinschaftliche<br />
sowie auf die Lebensgewohnheiten und Vorstellungen des<br />
Menschen.<br />
Viel Geld für wenig Essen auszugeben, ist eine der leichtesten<br />
Übungen. Delikatessengeschäfte halten eine Fülle an teuren und<br />
teuersten Zutaten, Halb- und Ganzfertigprodukten bereit, die<br />
edelsten Kaufhäuser versuchen mitzuhalten, und wer sich im Internet<br />
umsieht, kann bei Spezialversendern alles ordern, was sich an Fleisch<br />
und Fisch, an seltenen Krustentieren, Würzmitteln und Exotika nur<br />
vorstellen lässt. Es gibt nichts, was es nicht gibt – aber nicht alles ist<br />
auch tatsächlich qualitativ gut. Nur weil der Preis hoch ist, muss die<br />
geschmackliche Relevanz noch lange nicht überzeugend ausfallen. Und<br />
manchmal sind Alternativen, die nur einen Bruchteil dessen kosten,<br />
sehr viel spannender.<br />
Ein Blick in die Vergangenheit zeigt, dass es immer in der Geschichte<br />
Zutaten gab, deren Wert und Ansehen schwankten. Das Verhältnis<br />
zwischen Angebot und Nachfrage hatte zwar häufig eine Bedeutung, aber<br />
linear verliefen die Entwicklungen nicht immer. Manches Luxusprodukt<br />
verdankt Ruhm und Preis einigen wenigen gewitzten Importeuren,<br />
gewieften Gastronomen oder schlicht dem Zufall. Bei anderen lässt<br />
sich genau nachvollziehen, wie sie im Lauf der Jahrhunderte vom missachteten<br />
Massenprodukt zur Delikatesse emporkletterten und dann<br />
wieder den umgekehrten Weg nahmen.<br />
<strong>DAS</strong> <strong>MAGAZIN</strong> <strong>FÜR</strong> <strong>GENUSS</strong> <strong>UND</strong> <strong>LEBENSSTIL</strong> <strong>FINE</strong> 2 | 2019 33
34 <strong>FINE</strong> 2 | 2019 <strong>DAS</strong> <strong>MAGAZIN</strong> <strong>FÜR</strong> <strong>GENUSS</strong> <strong>UND</strong> <strong>LEBENSSTIL</strong><br />
Foto: Freepik
AUF ERFOLGSKURS<br />
GERALD SCHÖNBUCHER IST DER CHEF VON REAL.DE<br />
Von UWE KAUSS<br />
Foto FRIEDER DAUBENBERGER<br />
Wer Gerald Schönbucher trifft und seinen Beruf nicht kennt, könnte vermuten, er sei<br />
Wissenschaftler oder Mediziner. Er spricht leise in entspanntem Ton, formuliert präzise<br />
und mit Witz, lässt sich Zeit zum Denken und zum Reden. Seine Gesten sind zurückhaltend.<br />
Kein kühl-professionelles Abchecken, sondern ein neugieriger, offener Blick ins<br />
Gesicht des Gesprächspartners. Keine verstohlenen Ablenkungen durch Smartphone oder<br />
Armbanduhr. Der Habitus des promovierten Betriebswirtschaftlers passt auf angenehme<br />
Weise nicht zu seinem Beruf. Denn seine Branche ist rasend schnell, extrem umsatzstark,<br />
oft laut und egogetrieben. Sie bewegt sich global auf einem sehr schmalen Pfad zwischen<br />
Mega-Erfolg und Absturz. Gerald Schönbucher lächelt, nickt und bestätigt die Beschreibung<br />
mit einem einzigen Wort: »Genau!«<br />
Seit Februar 2017 ist Gerald Schönbucher als<br />
Geschäftsführer für alle digitalen und innovativen<br />
Geschäfte der Einzelhandelskette real verantwortlich<br />
und berichtet dem CEO Patrick Müller-Sarmiento. Auf dem<br />
Internet-Marktplatz real.de »werden in diesem Jahr Waren<br />
im Wert von etwa sechshundert Millionen Euro bestellt<br />
und geliefert«, erzählt er in leichtem Ton, als berichte er<br />
vom gestrigen Spaziergang. Fünftausend Händler bieten<br />
aktuell etwa fünfzehn Millionen Produkte in rund fünftausend<br />
Kategorien an.<br />
Betrieben wird er von rund sechshundert Mitarbeiterinnen<br />
und Mitarbeitern aus dreißig Nationen an<br />
den Standorten Köln, Düsseldorf, Darmstadt und Mönchengladbach.<br />
In einigen Abteilungen ist Englisch die Umgangssprache.<br />
Das Wachstum betrage aktuell »nur noch etwas<br />
mehr als dreißig Prozent«, berichtet Gerald Schönbucher<br />
mit nachdenklichem Blick, obwohl diese Zahlen zu den<br />
Spitzenwerten der Branche gehören. »Die organische Entwicklung<br />
des Geschäfts verläuft hervorragend«, sagt er. Pro<br />
Monat schauen sich rund neunzehn Millionen Besucher auf<br />
real.de nach Produkten um, mehr als zwei Millionen sind<br />
zu Kunden geworden. Auch aufgrund dieser Erfolgsstory<br />
ist Gerald Schönbucher in der Digitalszene seit langem<br />
ein sehr gefragter Redner, Berater und Interviewpartner.<br />
Denn das Geschäftsfeld der digitalen Marktplätze, in dem er<br />
dieses rasante Wachstum erzielt, ist gewaltig. 2018 wurden<br />
in Deutschland insgesamt gut fünfundsechzig Milliarden<br />
Euro für Käufe im Netz ausgegeben, wie der Bundesverband<br />
E-Commerce und Versandhandel (behv) errechnet hat. Den<br />
mit knapp einund dreißig Milliarden Euro größten Anteil<br />
erwirtschafteten die Online-Marktplätze, zu denen real.de<br />
ebenso gehört wie Ebay und der Gigant Amazon, der nach<br />
Zahlen des Bundeskartellamtes mit rund zwanzig Milliarden<br />
Umsatz das Schwergewicht der gesamten Branche darstellt.<br />
Gerald Schönbucher ist seit 2006 ein direkter Wettbewerber<br />
des fast übermächtigen Giganten – und er hat<br />
Erfolg. Der real-digital-Geschäftsführer ist der Prototyp<br />
des Startup-Unternehmers, den man auf den ersten Blick<br />
nicht in einem der größten Handelskonzerne Deutschlands<br />
vermuten würde. Nur trägt er im Büro weder Kapuzenpulli<br />
noch Flipflops.<br />
2005 startete er mit zwei Doktorandenkollegen an der<br />
Otto Beisheim School of Management in Vallendar eine<br />
legale Tauschplattform für Games und DVDs, auch, weil<br />
es in der kleinen Universitätsstadt keinen DVD-Verleih gab.<br />
Schon ein Jahr später beschlossen er und seine Kollegen,<br />
ein ambitioniertes Gegengewicht zu Amazon aufzubauen:<br />
Sie gründeten den Internet-Marktplatz hitmeister.de,<br />
registrierten 2012 den einmillionsten Kunden, überzeugten<br />
mehrere Investoren durch das schnelle Wachstum. Und auch<br />
real. »Wir haben damals viel gelernt von Amazon, aber wir<br />
wussten auch, was wir anders und besser machen könnten«,<br />
erinnert er sich. Längst ist real.de einer der größten Möbelanbieter<br />
Deutschlands und zudem der umsatzstärkste<br />
Händler für Fahrräder, E-Bikes und Zubehör. Handys, TV,<br />
Tablets, Unterhaltungselektronik und Computer gibt es in<br />
ebenso gewaltiger Auswahl wie bei den Spezialanbietern.<br />
Und dazu alles, was das Leben schöner macht – samt Fotodrucken,<br />
frischen Blumen und Reisen. Auch das Interesse<br />
der Kunden am 2017 gestarteten riesigen Online-Angebot<br />
mit frischen Lebensmitteln wächst stetig.<br />
Hinter dem Online-Marktplatz steckt eine Idee, mit der<br />
Amazon zum Weltmarktführer wurde: Ein Onlinehändler<br />
bietet nicht nur Produkte aus dem eigenen Lager an, sondern<br />
integriert auf der Internet-Plattform zudem Waren<br />
vieler anderer Händler, die zu einem organischen Teil des<br />
Angebots werden. Zu finden sind sie über die gezielte Suche<br />
oder beim Blättern, bestellt und bezahlt aber werden sie<br />
beim Marktplatzbetreiber. Der integrierte Händler empfängt<br />
lediglich die Bestellung und bringt die Ware zum Kunden –<br />
den Kaufpreis abzüglich der vereinbarten Gebühren erhält er<br />
später vom Marktplatz- Anbieter. Je mehr Produkte schnell<br />
zu finden sind, umso interessanter wird das Sortiment für<br />
Internet-Nutzer. Der Betreiber muss keine Waren ankaufen<br />
und Lager einrichten, sondern<br />
verdient an der Vermittlung<br />
des Kaufs. Der Vorteil für die<br />
Händler: Sie werden Teil eines<br />
reich weiten starken Angebots,<br />
müssen sich weder um<br />
die Zahlungsabwicklung, den<br />
Kundenservice noch um technische<br />
Probleme des Internetshops<br />
kümmern. »Das funktioniert<br />
nur bei einer soliden,<br />
transparenten Geschäftsbeziehung«,<br />
weiß Gerald Schönbucher.<br />
Mit den integrierten<br />
Händlern arbeitet sein Team<br />
daher auf Augenhöhe, ohne<br />
versteckte Gebühren und<br />
Vertragsfallen, aber mit vielen<br />
persönlichen Hilfestellungen,<br />
um das Angebot zu verbessern.<br />
Seit kurzem hat dieses<br />
Denken sogar eine europäische<br />
Dimension: Patrick<br />
Müller- Sarmiento und Gerald<br />
Schönbucher haben mit drei<br />
weiteren Betreibern des Kontinents das »International<br />
Market place Network« (IMN) gestartet. Gemeinsam mit<br />
den Online-Marktplätzen Cdiscount in Frankreich, eMAG<br />
in Rumänien und ePrice in Italien erweitern sie ihren zusammen<br />
dreißigtausend Händlern den Zugang zu insgesamt<br />
zweihundertdreißig Millionen Kunden. Für die bedeutet<br />
das: ein noch größeres Angebot. Die Händler müssen dazu<br />
lediglich in einen der Marktplätze integriert sein. Die Daten<br />
werden von dort aus zu IMN übertragen, konvertiert und<br />
an die anderen Shoppingportale im IMN-Netzwerk überspielt.<br />
»Das Wichtigste für uns: Sämtliche Händler bleiben<br />
unabhängig«, betont Gerald Schönbucher, »selbst die<br />
kleinen Anbieter können damit nun ohne höhere Grundgebühren<br />
ihre Produkte in mehreren Staaten anbieten.« So<br />
sollen sie europäisch wachsen können, ohne teure Investitionen<br />
finanzieren zu müssen. Einige weitere Marktplatzbetreiber<br />
in anderen Staaten seien bereits sehr interessiert –<br />
und so sei es möglich, dass das Netzwerk schnell wächst.<br />
»Ein wichtiger Teil des Erfolgs von real.de sind Respekt,<br />
Fairness, Kulanz, Nachhaltigkeit und Umweltfreundlichkeit«,<br />
betont Gerald Schönbucher. Hat ein Kunde Probleme,<br />
agiert real.de zudem äußerst konziliant, Besuchern, die an<br />
komplexen Produkten interessiert sind, bietet ein eigenes<br />
Redaktionsteam sehr ausführliche und leicht verständliche<br />
Entscheidungshilfen und Ratgeber. Besonders lohnt sich das<br />
Bestellen für Kunden mit Payback-Karte: Mit jedem Kauf<br />
auf real.de, auch bei einem integrierten kleinen Händler,<br />
werden Punkte gutgeschrieben. Das sei in Deutschland<br />
derzeit einmalig – und habe nur funktioniert, weil real zu<br />
den Gründungspartnern von Payback gehört, sagt Gerald<br />
Schönbucher.<br />
Besser werden – das ist die Startup-Philosophie, mit der<br />
er den Online-Marktplatz real.de mit immer neuen Ideen<br />
tief im Innern und direkt sichtbar erweitert, vergrößert, verändert<br />
und optimiert. Und wenn etwas nicht klappt? »Es<br />
kann immer passieren, dass man monatelang arbeitet und<br />
es funktioniert nicht«, Gerald Schönbucher lächelt und<br />
hebt die Augenbraue. »Dann muss man es hinterfragen<br />
und beim nächsten Mal besser machen.«<br />
Das Angebot von real.de ist riesig. Verantwortlich<br />
für das digitale Geschäft der Hypermarktkette<br />
ist der im Online-Handel erfahrene promovierte<br />
Betriebswirtschaftler Gerald Schönbucher.<br />
<strong>DAS</strong> <strong>MAGAZIN</strong> <strong>FÜR</strong> <strong>GENUSS</strong> <strong>UND</strong> <strong>LEBENSSTIL</strong> <strong>FINE</strong> 2 | 2019 35
KULANZ, UMWELTFRE<strong>UND</strong>-<br />
LICHKEIT <strong>UND</strong> FAIRNESS SIND<br />
UNSERE CHANCE<br />
Gerald Schönbucher, Geschäftsführer von real.digital, über künstliche Intelligenz,<br />
unsinnige Kaufempfehlungen und die Zukunft der Paketlieferungen<br />
Von UWE KAUSS<br />
in den Empfehlungssystemen, einen gekauften Artikel oder<br />
die Produktkategorie herauszufiltern. Es müsste zudem mit<br />
den KI-Systemen möglich werden, dem Kunden beim Kauf<br />
von Waren, die überhaupt nicht seinem Profil entsprechen,<br />
die Frage zu stellen: Ist der Artikel für Sie oder ist er für<br />
jemand anders? Das würde aber etliche abschrecken, weil<br />
sie nicht zu viele Daten preisgeben wollen.<br />
<strong>FINE</strong> Als Gründer, Investor und aktuell als Chef von<br />
real.digital stehen Sie seit Jahren im Wettbewerb mit dem<br />
Online-Giganten Amazon. Was reizt Sie daran?<br />
GERALD SCHÖNBUCHER Die Tatsache, dass Amazon<br />
zu einem Online-Giganten geworden wurde, spricht ja dafür,<br />
dass ein gewaltiger Markt entstanden ist. Und Amazon<br />
hat einige richtige Entscheidungen getroffen; es ist ein<br />
Unternehmen, das mich immer noch beeindruckt. Von<br />
seiner Kundenzentrierung kann man extrem viel lernen. Ich<br />
habe schon zu der Zeit mit meinem digitalen Marktplatz<br />
hitmeister.de versucht, einige Faktoren des Amazon-Erfolgs<br />
zu übertragen. Sie sind eine wesentliche Leitlinie meiner<br />
Arbeit bei real. Ich bin aber fest davon überzeugt, dass neben<br />
Amazon schon aus wettbewerbsrechtlichen Gründen ein<br />
zweiter oder dritter digitaler Marktplatz bestehen kann –<br />
aber nur, wenn man für seine Kunden und seine Händler<br />
das Richtige tut und so Wertschöpfung erzeugt.<br />
<strong>FINE</strong> Im Digital Business gilt noch immer die Regel: Die<br />
Ersten gewinnen. Ist es nicht eine unendliche Mühe, jetzt<br />
noch zu Amazon aufzuschließen?<br />
GERALD SCHÖNBUCHER Ja und nein. Die Deutschen<br />
sind Marktplätze mit eigenen Produkten und integrierten<br />
Angeboten externer Händler inzwischen gewohnt. Da hat<br />
Amazon viel Vorarbeit geleistet. Aber das Unternehmen<br />
ist nicht unfehlbar: Da ist etwa die geringe Bereitschaft,<br />
Steuern zu zahlen, da sind die Arbeitsbedingungen oder<br />
Umweltthemen wie die Wiedereinführung von Plastikverpackungen<br />
bei Büchern vor einiger Zeit. Hier eröffnet<br />
sich eine Chance, denn wir positionieren uns völlig anders.<br />
Und ja, das Internet-Business funktioniert noch immer nach<br />
dem Prinzip »The winner takes it all«. Aber schauen Sie,<br />
was beim Video-Streaming derzeit passiert: Netflix ist die<br />
Nummer eins, aber nun startet Disney, es werden Filme und<br />
Serien von Netflix abgezogen, weil andere Produzenten mit<br />
eigenen Streaming-Plattformen ansetzen. Vielleicht gilt die<br />
Regel schon nicht mehr zu hundert Prozent.<br />
<strong>FINE</strong> Auf real.de gibt es jede Menge Produkte mit dem<br />
Amazon-Label. Werden die denn dort gekauft?<br />
GERALD SCHÖNBUCHER Eher am Rande. Für uns<br />
ist es aber viel wichtiger zu zeigen: Wir haben alles! Wir<br />
wollen mit aktuell etwa fünfzehn Millionen Produkten ein<br />
sehr umfassendes Sortiment anbieten – und sind selbstverständlich<br />
offen für Waren unserer Wettbewerber.<br />
<strong>FINE</strong> Also könnten auf real.de auch die Marken Ihres Wettbewerbers<br />
Edeka im Lebensmittelbereich auftauchen?<br />
GERALD SCHÖNBUCHER Wenn Aldi, Rewe, Edeka<br />
oder Lidl ihre Produkte auf unserem Marktplatz anbieten<br />
wollen, sind sie herzlich eingeladen, das zu tun.<br />
<strong>FINE</strong> Die Quote der Retouren im Onlinehandel, etwa bei<br />
Bekleidung, liegt derzeit bei sechzig bis siebzig Prozent. Die<br />
Kunden bestellen drei bis vier Artikel, behalten einen und<br />
der Rest geht zurück. Ist das nicht ein für Händler völlig<br />
untaugliches Geschäftsmodell?<br />
GERALD SCHÖNBUCHER Unter dem Gesichtspunkt der<br />
Nachhaltigkeit muss man sich wirklich fragen, was man da<br />
tut. Aber als Geschäft funktioniert es prima, das sieht man<br />
etwa an Zalando. Die haben die hohen Retourenquoten<br />
von der Kalkulation bis zur Logistik von Anfang an berücksichtigt.<br />
Das ist aber nicht unser Fokus. Wir bieten sehr<br />
viel Bekleidung an, aber eine solche Welle von Retouren<br />
verzeichnen wir nicht. real.de registriert nur etwa zweiundzwanzig<br />
Prozent.<br />
<strong>FINE</strong> Was machen Sie anders?<br />
GERALD SCHÖNBUCHER Wir haben einen anderen<br />
Produkt- und Kategorienmix. Bei uns stehen etwa Unterhaltungselektronik<br />
und Möbel im Vordergrund, da liegen die<br />
Retouren bei weniger als zehn Prozent. Für die Kalkulation<br />
ist das extrem hilfreich. Und es ist ökologisch sehr vorteilhaft.<br />
Unsere Händler können zudem Waren aus Retouren mit<br />
entsprechender Kennzeichnung des Zustands sofort wieder<br />
anbieten. Das macht keinen großen Anteil am Gesamtgeschäft<br />
aus, wird aber von vielen genutzt.<br />
<strong>FINE</strong> Onlinehändler sammeln Daten, erzeugen Kundenprofile<br />
und speichern Vorlieben. Doch das, was ich nach<br />
einer Bestellung auf vielen Websites und Marktplätzen als<br />
individuelle Empfehlung angeboten bekomme, ist meist<br />
absurd und höchstens zum Lachen geeignet. Überschätzt<br />
sich der Online-Handel da nicht völlig?<br />
GERALD SCHÖNBUCHER Ich teile Ihre Beobachtungen<br />
völlig. Was an Szenarien mit KI-Systemen derzeit diskutiert<br />
wird, ist in den Erwartungen völlig überzogen. Künstliche<br />
Intelligenz bedeutet letzlich nur die Anwendung von<br />
statistischen Verfahren auf Situationen, die sich wiederholen.<br />
Viele Systeme versuchen etwa, den statistischen<br />
Zwilling eines Kunden auf der Basis ähnlichen Käuferverhaltens<br />
zu schaffen. Die Vorlieben von Marken, Farben,<br />
Produktkategorien werden gesammelt und verglichen mit<br />
denen von Kunden, die ähnliche Interessen haben. Das ist<br />
aber nichts Neues, das haben wir vor zwanzig Jahren schon<br />
versucht. Mit KI prüfen wir heute beispielsweise, ob ein<br />
neu bei uns gelistetes Produkt in allen relevanten Unterkategorien<br />
aufgeführt ist. Werden da gelegentlich Fehler<br />
gemacht? Ja. Führt das zu absurden Empfehlungen und<br />
Vorschlägen? Durchaus. Aber ich denke, der Netto-Nutzen<br />
ist für die Kunden positiv, weil sie Vorschläge bekommen,<br />
die für sie interessant sind.<br />
<strong>FINE</strong> Ich habe vor einiger Zeit online eine Uhr gekauft und<br />
danach acht Wochen lang genau diese Uhr in Dutzenden<br />
Anzeigen auf Websites und als Empfehlung in Shops und<br />
Online-Marktplätzen angepriesen bekommen.<br />
GERALD SCHÖNBUCHER Es ergibt echt keinen Sinn,<br />
ein gekauftes Produkt weiter zu bewerben. Da fehlt der Link<br />
<strong>FINE</strong> Der Megatrend im Onlinehandel ist nicht mehr<br />
Innovation, sondern das Geschäft durch Partizipation an<br />
bestehendem Handel in jeder Form. AirBnB partizipiert<br />
am Vermieten von privatem Wohnraum, Uber an Privatfahrten<br />
mit dem Auto, Ebay an privaten Verkäufen. Basiert<br />
die Idee des digitalen Marktplatzes auch darauf, die Sortimente<br />
vieler Fachgeschäfte unter einem Namen zu bündeln?<br />
GERALD SCHÖNBUCHER Absolut richtig. Wir wollen<br />
uns aber nicht nur über Faktoren wie Angebotstiefe, Reichweite<br />
und Trefferquote bei Suchmaschinen differenzieren.<br />
Amazon gilt vielen Kunden als amerikanisch, kalt und unnahbar.<br />
Wir sehen das als Chance. Für uns ist es daher wichtig,<br />
nicht nur über Kulanz, Fairness und Umweltfreundlichkeit<br />
zu sprechen, sondern wirklich etwas zu machen. Wir sind<br />
gegenüber unseren Kunden extrem kulant und wollen als<br />
fairer, respektvoller Partner für unsere Händler agieren. Wir<br />
übernehmen keine erfolgreichen Produkte unserer Händler<br />
ins eigene Sortiment und machen ihnen so das Geschäft<br />
kaputt, wie das Amazon schon öfter vorgeworfen wurde.<br />
Wir wollen eine Partnerschaft auf Augenhöhe. Amazon hatte<br />
große Probleme, weil es seinen Händler vorgeschrieben<br />
hat: Du darfst deine Produkte nirgends günstiger als über<br />
Amazon anbieten. So etwas wollen und machen wir nicht.<br />
<strong>FINE</strong> Viele Online-Kunden sind irritiert, weil Preise je<br />
nach Wohnort, Handymodell und Tageszeit mal viel teurer,<br />
mal viel günstiger sein können. Wird sich das durchsetzen?<br />
GERALD SCHÖNBUCHER Ich habe ein teures iPhone,<br />
der Shop erkennt, dass ich ein Spitzenmodell verwende,<br />
und nimmt an: Der wird bereit sein, einen höheren Betrag<br />
zu bezahlen als der Nutzer eines günstigen Android-Smartphones.<br />
Das ist heute nicht selten, aber ich bin sicher,<br />
Kunden akzeptieren das grundsätzlich nicht – oder auf<br />
Deutsch gesagt: Sie fühlen sich verarscht. Ich denke, dass<br />
das langfristig keinen Nutzen hat. Bei uns gibt es deutschlandweit,<br />
unabhängig vom Endgerät, die gleichen Preise.<br />
Wir wollen keine regionale und schon gar keine individuelle<br />
Preisdifferenzierung. Das wäre für mich nicht fair.<br />
<strong>FINE</strong> Immer mehr Online-Bestellungen, immer mehr<br />
Pakete auf den Straßen, immer weniger Menschen, die sie<br />
zuhause annehmen. Das System implodiert schon jetzt fast.<br />
Müssen Online-Anbieter wie real.de nicht mit den Logistikunternehmen<br />
nach neuen Wegen der Zustellung suchen?<br />
GERALD SCHÖNBUCHER Da bin ich komplett bei Ihnen.<br />
Es muss sich etwas tun. Wir sprechen über dieses Thema<br />
sehr intensiv mit unserem Partner DHL. Wir sind offen<br />
für Lösungen, wie wir etwa unsere Real-Märkte für Packstationen<br />
oder ähnliches zur Verfügung stellen könnten.<br />
Ich vermute, dass die Empfänger künftig die letzte Meile<br />
wieder öfter selbst zurücklegen werden: Zu einer Packstation,<br />
einem Abholservice oder einem Paketshop. Ich<br />
kann mir vorstellen, dass ich dann als Kunde entscheide:<br />
Soll das Paket günstig oder kostenfrei an eine Station oder<br />
zum höheren Preis nach Hause geliefert werden? Das würde<br />
den Aspekt der Nachhaltigkeit deutlich voranbringen.<br />
36 <strong>FINE</strong> 2 | 2019 <strong>DAS</strong> <strong>MAGAZIN</strong> <strong>FÜR</strong> <strong>GENUSS</strong> <strong>UND</strong> <strong>LEBENSSTIL</strong>
Meine Herkunft<br />
prägt mich jeden<br />
Tag – bei meinem<br />
Wein ist es genauso.<br />
Weine aus deutschen Regionen:<br />
Qualität, die man schmeckt.<br />
Die 13 deutschen Weinregionen sind<br />
geschützte Ursprungsbezeichnungen.<br />
Weine aus deutschen Anbaugebieten überzeugen<br />
nicht nur mit außergewöhnlichem Geschmack, sondern<br />
auch mit höchster Qualität. Das garantiert auch die<br />
Europäische Union, die alle 13 deutschen Weinregionen<br />
als geschützte Ursprungsbezeichnungen anerkannt hat.<br />
Mehr Informationen: www.weine-mit-herkunft.de
38 <strong>FINE</strong> 2 | 2019 <strong>DAS</strong> <strong>MAGAZIN</strong> <strong>FÜR</strong> <strong>GENUSS</strong> <strong>UND</strong> <strong>LEBENSSTIL</strong>
OBST <strong>UND</strong><br />
GEMÜSE<br />
UNVERHÜLLT<br />
REAL BEFREIT SICH VON PLASTIK <strong>UND</strong> VERPACKUNG<br />
Von URSULA HEINZELMANN<br />
Fotos ALEX HABERMEHL<br />
Lose aufgeschüttete, leuchtend rote, duftende Erdbeeren. Große Holzschaufeln,<br />
grüne Papiertüten – das sind sicher nicht nur meine Kindheitserinnerungen an<br />
sommerliche Einkäufe. Heute: Plastikschälchen, Plastikfolie. Wenig Duft, viel<br />
Abfall. Und ein schlechtes Gewissen. Nicht nur bei den Erdbeeren, denn Äpfel<br />
sind im Sechserpack in Plastikfolie eingeschweißt, Zitronen gibt es im Plastiknetz,<br />
Tomaten auf dem Plastiktray. Gurken tragen einen Plastikmantel, Pilze<br />
liegen im Plastikschälchen, Kartoffeln in der Plastiktüte. Wir Deutschen sind<br />
zwar nicht die Alleinverursacher des Plastikmüllteppichs, der in den Ozeanen<br />
schwimmt, als Recyclingware um den Erdball reist oder auf Müllkippen zu giftigen<br />
Gasen verbrennt – aber wir sind ganz weit vorne mit dabei, um diese Berge und<br />
Teppiche immer weiter wachsen zu lassen. Und ein großer Anteil davon ist Verpackungsmüll.<br />
Laut einer vom NABU in Auftrag gegebenen Studie der Gesellschaft<br />
für Verpackungsmarktforschung waren 2017 dreiundsechzig Prozent von<br />
in Deutschland verkauftem Obst und Gemüse vorverpackt, und der Kunststoffbedarf<br />
dafür hat zwischen 2000 und 2016 bei Obst um vierundneunzig Prozent,<br />
bei Gemüse sogar um einhundertsechsundachtzig Prozent zugenommen. Im Klartext:<br />
wir haben schon vor drei Jahren mehr als dreiundneunzigtausend Tonnen<br />
Verpackungsmüll produziert.<br />
<strong>DAS</strong> <strong>MAGAZIN</strong> <strong>FÜR</strong> <strong>GENUSS</strong> <strong>UND</strong> <strong>LEBENSSTIL</strong> <strong>FINE</strong> 2 | 2019 39
Wer nun mit den Schultern zuckt und denkt, das sei heutzutage eben so in<br />
den modernen Supermärkten, die viele Wochenmärkte längst verdrängt<br />
haben, der irrt. Es geht nämlich auch anders. real macht es vor. Dort erinnert<br />
man sich in der Obst- und Gemüseabteilung immer stärker an den guten alten<br />
Wochenmarkt und befreit sich von Plastik und Verpackung. Grund dafür ist ein<br />
Gesinnungswandel auf höchster Ebene: »Das sieht nicht nur viel schöner aus und<br />
spricht einen mehr an«, sagt real-Chef Patrick Müller-Sarmiento, »wir müssen uns<br />
einfach aus diesem zum Automatismus gewordenen Kreislauf befreien, müssen<br />
ganz neu über Nachhaltigkeit und Ressourcen nachdenken.« Dann erzählt er<br />
von seinem Besuch bei einem der real-Obstlieferanten, der Weintrauben in Bari<br />
anbaut, in Apulien, ganz im Süden Italiens. Es sind Trauben erster Klasse, in<br />
Demeterqualität, voller Saft, Sonne und Aroma, von Hand gepflückt. »Ich stand<br />
da mit der Chefin im Büro, und wir blickten hinunter auf die Verpackungsstation.<br />
Ganz spontan fragte ich sie, warum diese schönen Früchte eigentlich unter so viel<br />
Plastik versteckt würden – worauf sie mich mit großen Augen ansah und sagte:<br />
›Weil ihr das so wollt!‹ Seitdem gibt es die Trauben aus Apulien bei uns als lose<br />
Ware.« Und nicht nur die Trauben. Salatköpfe dürfen uns nun ihre Blätter ohne<br />
Verpackung entgegenstrecken, Karotten, Tomaten und Gurken leuchten ebenso<br />
unverhüllt wie Äpfel, Bananen, Mango und Ingwer; all das und noch viel mehr<br />
liegt lose in wiederverwendbaren Steigen. Und es funktioniert tadellos: »Die<br />
Kunden nehmen das gut an und gehen mit der Ware wirklich verantwortungsvoll<br />
40 <strong>FINE</strong> 2 | 2019 <strong>DAS</strong> <strong>MAGAZIN</strong> <strong>FÜR</strong> <strong>GENUSS</strong> <strong>UND</strong> <strong>LEBENSSTIL</strong>
ZUGREIFEN: AUCH BEIM SALAT<br />
FREUEN SICH DIE K<strong>UND</strong>EN, <strong>DAS</strong>S SIE<br />
GENAU SO VIEL KAUFEN KÖNNEN,<br />
WIE SIE MÖCHTEN <strong>UND</strong> BRAUCHEN.<br />
um.« Natürlich ließe sich nicht alles sofort ändern, vieles müsse auch erst noch<br />
entwickelt werden, aber es sei wichtig, die Schritte zu tun, die bereits möglich<br />
seien, statt auf die perfekte Komplettlösung zu warten.<br />
Oliver Buckermann ist bei real für Obst und Gemüse verantwortlich und beherrscht<br />
sein Metier ganz offensichtlich nicht nur aus dem Effeff, sondern liebt es geradezu:<br />
»Es ist ein derart lebendiges Produkt, für mich gibt es nichts Schöneres, und<br />
ich genieße die immer wieder neuen Herausforderungen.« Er bestätigt: »Eine<br />
Gurke braucht keine Plastikfolie. Sie fühlt sich nach ein paar Tagen ein bisschen<br />
weicher an, schmeckt aber genauso saftig, ich muss nur häufiger und kleinere<br />
Mengen ordern; das ist alles machbar.«<br />
Die Verpackungsindustrie kommt in der Entwicklung neuer Lösungen kaum hinterher.<br />
Flowpacks, die losen Folienhüllen etwa um Tomaten in Schalen, ließen sich<br />
aus Zuckermaisstärke fertigen, doch muss an der Verschweißung noch gearbeitet<br />
werden, weil sie sich bei Feuchtigkeit lösen. Vieles andere ist jedoch bereits möglich.<br />
Graspapier ist nicht nur komplett abbaubar, sondern in der Herstellung auch<br />
<strong>DAS</strong> <strong>MAGAZIN</strong> <strong>FÜR</strong> <strong>GENUSS</strong> <strong>UND</strong> <strong>LEBENSSTIL</strong> <strong>FINE</strong> 2 | 2019 41
sparsam mit anderen Ressourcen: für eine Tonne werden lediglich einhundertsiebenunddreißig<br />
Kilowattstunden und zwei Liter Wasser benötigt, sagt Oliver<br />
Buckermann, während es bei herkömmlichem Holzzellstoff fünftausend Kilowattstunden<br />
und sechstausend Liter seien. Aus dem innovativen Material lassen<br />
sich Foodtainer fertigen, etwa für Äpfel, die dann komplett ohne Plastikhüllen<br />
auskommen.<br />
»Ganz ohne Verpackung geht es noch nicht«, sagt er, »aber wir sind jetzt bei<br />
fünfzig Prozent, und das darf man schon als mutig bezeichnen.« Der Mut, dem<br />
Kunden zu vertrauen, hat sich als berechtigt herausgestellt: Die meisten greifen<br />
gern direkt zu und freuen sich, genau so viel kaufen zu können, wie sie möchten<br />
und brauchen. Da real sowohl Bio-zertifiziertes Obst und Gemüse als auch konventionell<br />
erzeugtes anbietet, galt es eine besondere Hürde zu nehmen: Bei loser<br />
Ware muss jedes einzelne Stück identifiziert werden können. Also tragen die<br />
Trauben kleine Demeter-Halsschleifen, die Äpfel, Gurken, Birnen Aufkleber aus<br />
(biologisch abbaubarem) Papier. Die schönste und eleganteste Lösung ist jedoch<br />
eine ganz neue: »real bio« prangt es in brauner Schrift auf der glänzenden rotgrünen<br />
Schale der Mangofrüchte, wie eine Tätowierung mit einem Laserstrahl<br />
eingebrannt. »Es kommt immer darauf an, welche Technik beim Erzeuger zur<br />
Verfügung steht«, erklärt Oliver Buckermann. »So würden wir zum Beispiel gern<br />
anstelle der Plastik-Girsacks für Zitronen oder Kartoffeln die alten Netze aus<br />
Zellulose einsetzen. Aber die müssen mit einem Metall-Klip verschlossen werden,<br />
42 <strong>FINE</strong> 2 | 2019 <strong>DAS</strong> <strong>MAGAZIN</strong> <strong>FÜR</strong> <strong>GENUSS</strong> <strong>UND</strong> <strong>LEBENSSTIL</strong>
und so ein ›altmodisches‹ Gerät haben nur noch die wenigsten.« Dann zeigt er stolz<br />
Protomodelle für die neue Verpackung der real-Kids-Snacks, Tomaten, Gurken<br />
und Paprikaschoten im Miniaturformat, die bislang in durchsichtigen Plastikschalen<br />
angeboten werden: mit bunten Drachen und Comicfiguren bedruckte<br />
Pappbecher, auf denen genau erklärt wird, was wie zu entsorgen ist – der Becher<br />
in die blaue Altpapiertonne, der durchsichtige Deckel aus recyceltem Plastik in<br />
den gelben Sack. »Meine Kinder finden die toll«, freut er sich.<br />
Manches gibt es sowohl lose als auch verpackt, zum Beispiel Karotten. Doch<br />
der Plastikbeutel der verpackten Ware trägt eine Aufschrift: er besteht zu<br />
fünfundachtzig Prozent aus nachwachsenden Rohstoffen, nämlich aus Zuckerrohr.<br />
Frische Petersilie, Dill und Schnittlauch liegen in großen frischen Bündeln in<br />
Holzkisten, daneben aber auch die üblichen Plastikschälchen mit ausgefalleneren<br />
Kräutersorten. »Davon wollen wir unbedingt weg«, sagt Oliver Buckermann,<br />
»und wir arbeiten mit einem Produzenten an der Entwicklung von Papphülsen,<br />
die ebenso funktionieren.« Keine Alternative sieht er hingegen – zumindest im<br />
Moment – für die Plastikcontainer, in denen Himbeeren, Heidelbeeren oder<br />
Brombeeren transportiert und verkauft werden. »Das ist sowieso schon bemerkens-<br />
ERKENNEN: <strong>DAS</strong> BRANDZEICHEN<br />
AUF DER MANGO IDENTIFIZIERT DIE<br />
FRUCHT ALS BIO-WARE.<br />
<strong>DAS</strong> <strong>MAGAZIN</strong> <strong>FÜR</strong> <strong>GENUSS</strong> <strong>UND</strong> <strong>LEBENSSTIL</strong> <strong>FINE</strong> 2 | 2019 43
SPAREN: GRASPAPIER IST NICHT<br />
NUR KOMPLETT ABBAUBAR,<br />
SONDERN VERBRAUCHT AUCH<br />
IN DER HERSTELLUNG VIEL<br />
WENIGER RESSOURCEN.<br />
wert, dass die Kühltechnik so funktioniert, um diese Beeren das ganze Jahr über<br />
aus Peru oder Südspanien heranschaffen zu können.« Fragt sich nur, ob das tatsächlich<br />
notwendig ist. Müssen wir wirklich im Dezember und Januar frische<br />
Himbeeren aufs Müsli schütten, statt heimische Äpfel darüber zu raspeln?<br />
»Wir wünschen uns natürlich, dass die Kunden unsere Bemühungen schätzen,<br />
hinhören, zuhören, mitgehen und nicht nur den Preis sehen«, sagt Patrick Müller-<br />
Sarmiento. »Wir reden so viel übers Klima, und wir streiken dafür, dabei ist tatkräftige<br />
Aktion viel wichtiger, von jedem Einzelnen und jetzt.«<br />
Der Ball liegt also auch bei uns. In der Branche wird gern argumentiert, der Verbraucher<br />
»möchte das« – sollten wir uns nicht alle ganz ehrlich fragen: Möchten<br />
wir das tatsächlich? Oder sind wir lernfähig? real zeigt, dass Veränderung möglich<br />
ist.<br />
44 <strong>FINE</strong> 2 | 2019 <strong>DAS</strong> <strong>MAGAZIN</strong> <strong>FÜR</strong> <strong>GENUSS</strong> <strong>UND</strong> <strong>LEBENSSTIL</strong>
ANZEIGE<br />
Foto: KME Studios Geisels Werneckhof Rezept von Tohru Nakamura<br />
IM KOSMOS DER AROMEN<br />
Ganz im Zeichen der Vielfalt kulinarischer Schätze und Aromen bittet Gaggenau,<br />
Hersteller luxuriöser Kücheneinbaugeräte, im Showroom wieder zu Tisch.<br />
Bei exklusiven Genussveranstaltungen in privater<br />
Atmosphäre erleben die Gäste die Welt der Spitzenköche<br />
und Spitzenbäcker hautnah. Die besten<br />
Winzer und Sommeliers präsentieren korrespondierende<br />
Weine.<br />
Im November nimmt Tohru Nakamura die Gäste<br />
mit in seinen Kosmos der Aromen. Mit Miso, Shizo oder<br />
Yuzo führt die Reise kulinarisch nach Japan und gipfelt<br />
in einem 5-Gänge-Menü. Mit seiner ganz eigenen Handschrift<br />
kombiniert der Zwei-Sterne-Koch regionale Zutaten<br />
mit Einflüssen aus der japanischen Küche zu großartigen<br />
Kreationen aus Bekanntem und Neuem.<br />
Brot und Wein – was gut werden soll, braucht Zeit.<br />
Das zeigt Wildbaker Johannes Hirth bei einem 1,5-tägigen<br />
Intensivkurs mit ungewöhnlichen Brotkreationen und<br />
vielen wertvollen Tipps zur optimalen Teigführung. Die<br />
perfekte Verbindung von Brot und Wein erleben die Teilnehmer<br />
durch Moritz Haidle vom Weingut Karl Haidle.<br />
Der Winzer präsentiert persönlich den Nuancenreichtum<br />
seiner Weine.<br />
Bresse-Wachtel, Périgord-Trüffel, Short Rib und Wildhase<br />
– am ersten Advent inspiriert Zwei-Sterne-Koch Bobby<br />
Bräuer aus dem EssZimmer by Käfer in der BMW Welt die<br />
Teilnehmer seines Kochkurses im Gaggenau Showroom<br />
zu einem Weihnachtsmenü. Nur einen Tag später entführt<br />
Alpina Wein die Gäste önologisch und kulinarisch nach<br />
Frankreich in die Region Bordeaux – Weinenthusiasten<br />
werden begeistert sein. Für das neue Jahr sind bereits weitere<br />
spannende Genussveranstaltungen in Planung – wundervolle<br />
Geschenkideen für das Weihnachtsfest.<br />
Foto: Andreas Hantschke für Gaggenau<br />
AUSBLICK AUF DIE <strong>GENUSS</strong>VERANSTALTUNGEN<br />
08.11. bis Brot und Wein: Brot backen mit dem<br />
09.11.2019 Wildbaker Johannes Hirth<br />
18.11.2019 Tohru Nakamura: Europäische Gourmetküche<br />
mit den Einflüssen Japans<br />
01.12.2019 Bobby Bräuer: Das Beste kommt zum<br />
Schluss<br />
02.12.2019 ALPINA WEIN: Schätze aus dem<br />
Bordeaux – Weinverkostung mit Begleitung<br />
Informationen und Buchung unter<br />
www.gaggenau-showroom.de
Foto: Guido Bittner<br />
LAIB MIT SEELE<br />
Wein und Brot – das klingt nach Weinprobe. Oder? Für Weinprofis eher nicht. Die stimulieren den ermüdeten<br />
Gaumen viel lieber mit Wasser. Aber zum Wein, wenn er nicht nur verkostet, sondern seiner eigentlichen<br />
Bestimmung, dem Trinken nämlich, zugeführt wird: Dann ist Brot perfekt. Es bringt nicht nur genügend<br />
Aromen, Substanz und Bewegung in den Mund, um den nächsten Schluck mit frischen Sinnen erleben zu<br />
lassen – es verdient generell mehr Respekt von uns Weintrinkern.<br />
Die Qualität des Brotes nehmen Sie hoffentlich, sicherlich genauso<br />
ernst wie die des Weins. Ihnen ist bewusst, dass alles ganz einfach<br />
ist: Gute Trauben werden zu gutem Wein, gutes Mehl wird zu<br />
gutem Brot. Da braucht es keine Zusätze und nicht viel Technik. Geschmack<br />
und Charakter entstehen nicht durch teure Apparaturen und komplizierte<br />
Methoden. Doch die nötige Zeit und Erfahrung hat nicht jeder Winzer,<br />
um spontan vergären und lange auf der Hefe lagern zu lassen, nicht jeder<br />
Bäcker, um den Teig lange zu säuern, statt ihn schnell aufzuplustern.<br />
Denn gerade das führt zu Ausdruck und Bekömmlichkeit – und genau<br />
danach suchen Sie.<br />
Ihr Brot verkosten Sie mit allen Sinnen, um es ganz genau kennenzulernen<br />
und dann gezielt zu einem bestimmten Wein zu genießen. Sie<br />
schnuppern intensiv an Kruste und Krume – wenn sich da nicht viel tut,<br />
sollten Sie schleunigst den Bäcker wechseln. Sie nehmen die tiefen, dunklen,<br />
leicht säuerlichen Noten eines Roggenvollkornbrots wahr und trinken<br />
dazu einen transparenten, lebendigen Rotwein wie Gamay, Poulsard oder<br />
Blaufränkisch/Lemberger/Kékfrankos. Dagegen sind die röstigen, fast<br />
fruchtigen Aromen eines von Weizen bestimmten Bauernbrots perfekte<br />
Rieslingbegleiter. Ein weiches, süßliches Milchbrot wiederum passt zu<br />
dezenten Weinen mit rundem Körper wie Chasselas. Sind Kerne und<br />
Körner im Spiel, kommen nussige Akzente hinzu und sorgt Fett für Nachdruck<br />
– dann darf es kräftiger zugehen im Glas: Rotweine mit Gerbstoff<br />
und Weißweine mit Holzeinfluss vollenden den Genuss.<br />
Sie werden feststellen, dass wie beim Wein auch die Säure des Brotes<br />
eine besondere Rolle spielt. Weißbrot etwa kann durch Sauerteig zu<br />
einem ganz neuen Geschmackserlebnis werden – und mit einem gereiften,<br />
mineralisch trocknen Riesling der gehobenen Art zu einer bleibenden<br />
Erinnerung.<br />
Doch für gutes Brot braucht es echte Handwerker. Brotbacken ist<br />
wie Weinmachen auch eine zutiefst sinnliche Erfahrung. Im Idealfall<br />
dominiert der Mensch den Backprozess nicht, sondern findet hinein<br />
in das, was geschieht und geschehen will, mit seinen Händen, seiner<br />
Intuition und seiner Seele. Da muss ein Ofen mit Holzscheiten beheizt,<br />
nach mehreren Stunden, wenn er die richtige Temperatur erreicht hat,<br />
ausgeräumt und der geformte Teig eingeschossen werden. Und dann aufmerksam<br />
und geduldig beobachtet. Das alles hat wie beim Wein seinen<br />
Preis und muss ihn auch haben.<br />
Sprachlich ist Brot eng verwandt mit »brauen« und »brodeln«.<br />
Gärung führt zu Lockerung, und deren Art – mit Bierhefe, Weinhefe<br />
oder Sauerteig – ist entscheidend für Geschmack, Textur und Haltbarkeit<br />
des Endprodukts. Sauerteig entsteht durch die spontane Gärung von<br />
Mehl und Wasser und reift dann vom Anstellgut über den Grund- zum<br />
Vollsauer. Dabei bilden sich abhängig von Temperatur und Zeit nicht nur<br />
Milch- und Essigsäurebakterien, die den Teig lockern, sondern wie beim<br />
gärenden Wein auch viele geschmacksbildende Komponenten. Reine<br />
Hefe ist im Gegensatz zum sorgfältig kultivierten Sauerteig eine Art Kickstartmethode,<br />
die jedoch zu weniger geschmacklicher Komplexität führt.<br />
Allerdings: Eine Focaccia aus Olivenöl und richtig gutem Mehl (wobei<br />
auch den einzelnen Weizensorten mehr Beachtung gebührt) ist großartig<br />
und verdient einen ebenso hervorragenden (trocknen) Lambrusco.<br />
Also: Gutes, spannendes Brot auftreiben, es mit Respekt und Aufmerksamkeit<br />
genießen und bewusst mit bestimmten Weinen kombinieren<br />
statt es zum ewigen Nebendarsteller zu verdammen. Aber auch: damit<br />
kochen. Besonders, wenn es ein wenig altbacken ist, weil Sie bei einem<br />
Spitzen-Bäcker in einen ähnlichen Kaufrausch verfallen sind wie beim<br />
letzten Besuch eines herausragenden Winzers. Dann mischen Sie aus<br />
Weißbrot, Tomaten, Zwiebeln, Basilikum, Essig und Olivenöl eine Panzanella,<br />
einen toskanischen Brotsalat, und trinken regionsübergreifend<br />
einen apulischen Susumaniello dazu. Aus Graubrot machen Sie ganz<br />
altmodisch eine retroschicke Brotsuppe mit Äpfeln, Rosinen und ein<br />
bisschen dicker Sahne – wunderbar zu einer Spätlese mit einem Hauch<br />
Botrytis. Auch so geht Brotgenuss.<br />
46 <strong>FINE</strong> 2 | 2019 <strong>DAS</strong> <strong>MAGAZIN</strong> <strong>FÜR</strong> <strong>GENUSS</strong> <strong>UND</strong> <strong>LEBENSSTIL</strong>
Ihre Kunstsammlung wird neidisch werden.<br />
Der Unterschied heißt Gaggenau.<br />
Eindrucksvolle Architektur verlangt nach einem gleichermaßen<br />
beeindruckenden Inneren. Ihr Weinklimaschrank,<br />
wie auch Ihre Kunstsammlung, sagen viel darüber aus,<br />
wer Sie sind. Jedes Produkt von Gaggenau hat einen unverwechselbaren<br />
Charakter, ist aus hochwertigen Materialien<br />
gefertigt und überzeugt durch seine professionelle Leistung.<br />
Seit 1683.<br />
Setzen Sie ein Statement: gaggenau.com<br />
Abgebildetes Produkt ist der RW 466 364| Energieeffizienzklasse: A |<br />
auf einer Skala der Effizienzklassen von A+++ bis G.