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Berliner Zeitung 05.11.2019

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10 * <strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 257 · D ienstag, 5. November 2019<br />

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Berlin<br />

„Die Impfstoffe sind gut untersucht und sicher“<br />

Eltern brauchen sachliche Informationen über das Impfen, sagt der Kinderarzt Thomas Schmitz von der Charité. Das helfe am besten gegen Vorbehalte<br />

Grundsätzlich finden wohl<br />

die meisten Menschen<br />

Schutzimpfungen eine<br />

gute Sache.Aber wenn es<br />

um ihre eigenen, frisch geborenen<br />

Kinder geht, kommen viele ins Grübeln.<br />

Gab esdanicht diesen Autismus-Verdacht?<br />

Sind die Krankheiten<br />

wirklich noch zu fürchten? Auch die<br />

Tatsache, dass Bundesgesundheitsminister<br />

Jens Spahn nun die Masern-Impfung<br />

zur Pflicht für Kitaund<br />

Schulkinder macht, wirdandiesen<br />

Zweifeln wohl nicht viel ändern.<br />

Der Informationsbedarf ist groß,<br />

sagt der Pädiater Thomas Schmitz<br />

von der Charité. Doch in der Praxis<br />

fehle oft die Zeit für ausführliche Gespräche<br />

–und im Internet wimmele<br />

es vordubiosen Informationen.<br />

Herr Dr.Schmitz, ist Ihr eigener Impfschutz<br />

auf dem neuesten Stand?<br />

Dasist er.Das wirdmir als Arzt im<br />

öffentlichen Dienst aber auch leicht<br />

gemacht: Der Betriebsarzt erinnert<br />

regelmäßig an die Auffrischungen<br />

und impft gleich.<br />

Sie haben zwei Söhne, 12 und 15<br />

Jahrealt. Haben Siedie immer genau<br />

nach Plan impfen lassen?<br />

Ja,auch während eines Auslandsaufenthaltes.<br />

Als wir zwei Jahre in<br />

den USA gelebt haben, war das etwas<br />

schwieriger, weil es dort zum Beispiel<br />

den Sechsfach-Kombinationsimpfstoff<br />

gegen Diphtherie,Tetanus,<br />

Kinderlähmung, Keuchhusten, Haemophilus<br />

influenzae Typbund Hepatitis<br />

Bnicht gibt. Um uns an die<br />

deutschen Impfempfehlungen zu<br />

halten, mussten unsere Kinder ein<br />

paar Nadelstiche mehr über sich ergehen<br />

lassen.<br />

Können Sie nachvollziehen, dass<br />

Müttern und Vätern Bedenken kommen,<br />

wenn sie vor der Entscheidung<br />

stehen, ihrem zarten Baby Mehrfachimpfstoffe<br />

spritzen zu lassen?<br />

Ich kann ganz und gar nachvollziehen,<br />

dass alle Eltern wissen wollen,<br />

wovor diese Impfungen schützenund<br />

was die potenziellen Nebenwirkungen<br />

sind. Kinderärzte nehmen<br />

dies in der Regel sehr ernst und<br />

sind auch gehalten, den Eltern die<br />

Informationen zu geben, die sie für<br />

die Entscheidung brauchen.<br />

Wenn sich der mündige Bürger informieren<br />

will, fängt er an, im Internet<br />

zu recherchieren –oder er kauft ein<br />

Buch. Sind das gute Ideen?<br />

Ein Buch zu kaufen, ist eine sehr<br />

gute Idee. Aber wenn man zum Beispiel<br />

im Versandhandel nach Ratgebern<br />

sucht, landet man schnell bei<br />

kritischen oder sogar verschwörerischen<br />

Titeln. Es ist gar nicht so einfach,<br />

einen Ratgeber zu finden, der<br />

sich damit befasst, wovor überhaupt<br />

geschützt wird und was Impfstoffe<br />

Positives bewirken. Undauch im Internet<br />

ist es schwierig für Eltern, objektive,<br />

sachliche und unabhängige<br />

Information zu finden. Es gibt zwar<br />

offizielle Webseiten wie Impfen-<br />

Info.de von der Bundeszentrale für<br />

gesundheitliche Aufklärung. Aber<br />

auch die muss man als Laie erst mal<br />

finden und vondem weit verbreiteten<br />

polemischen Getöse unterscheiden.<br />

„Die Öffentlichkeit zum Thema Impfen<br />

besteht zum großen Teil aus Gegenöffentlichkeit“,<br />

beklagen SieinIhrem<br />

Buch „Klartext Impfen“. Hat Sie<br />

das dazu bewogen, das Buch zu<br />

schreiben?<br />

Dass diese Gegenöffentlichkeit so<br />

laut und präsent ist, war eine erschreckende<br />

Erkenntnis für uns. Zu<br />

dem Zeitpunkt hatten der Biologe<br />

und Journalist Sven Siebert und ich<br />

aber schon beschlossen, das Buch zu<br />

schreiben. Denn ich hatte bei meiner<br />

täglichen Arbeit als Kinderarzt<br />

an der Charité gemerkt, dass die<br />

meisten Eltern mehr Informationen<br />

benötigen, um die Entscheidung zu<br />

treffen. Die Allermeisten sprechen<br />

sich nach gründlicher Aufklärung<br />

auch für das Impfen aus. Viele sind<br />

aber zunächst verunsichert und<br />

brauchen sachliche Informationen.<br />

In den ersten beiden Lebensjahren stehen für Kinder viele Impfungen auf dem Plan. So erhalten sie eine Grundimmunisierung gegen 12 Krankheiten.<br />

In dem Buch berichten Sie auch von<br />

den Anfängen der Impfungen und<br />

wie gravierend die Krankheiten einst<br />

waren, die wir heute nur noch vom<br />

Hörensagen kennen.<br />

Uns geht es darum klarzumachen,<br />

was das für schlimme Krankheiten<br />

sind, vor denen wir uns<br />

heutzutage schützen können.<br />

Denn die Kehrseite der großen Erfolgsgeschichte<br />

der Impfungen ist<br />

ja, dass gefährliche Infektionen wie<br />

Polio und Diphtherie kaum noch<br />

bekannt sind –darum leuchtet es<br />

vielen Menschen auch nicht ein,<br />

dass es wichtig ist, sich dagegen<br />

impfenzulassen.<br />

Stattdessen ist die Gegenöffentlichkeit<br />

im Aufwind –und zwar vorallem<br />

seit 1998, dem Jahr, indem der britische<br />

Mediziner Andrew Wakefield behauptete,<br />

dass die Dreifachimpfung<br />

gegen Masern, Mumps und Röteln<br />

Autismus verursacht. Er veröffentlichte<br />

seine Erkenntnisse in der renommierten<br />

Medizinzeitschrift Lancet.<br />

Spielt er immer noch eine wichtige<br />

Rolle?<br />

Leider ja. Die Autismus-Story ist<br />

ein Paradebeispiel für Fake News in<br />

der Wissenschaft. Es hat sich gezeigt,<br />

dass Wakefield betrogen und Daten<br />

manipuliert hat. Er arbeitete mit<br />

Rechtsanwälten zusammen, die<br />

Schadensersatzansprüche gegen<br />

Impfstoffhersteller durchsetzen<br />

wollten. Leider wurde das alles aber<br />

erst zwölf Jahre später klar. Dahat<br />

auch der Wissenschaftsbetrieb lange<br />

Zeit versagt. Letztendlich zogLancet<br />

den Artikel zurück, die Co-Autoren<br />

distanzierten sich und Wakefield<br />

wurde die Approbation entzogen.<br />

Aber die Verunsicherung war da –<br />

und sie scheint sich bis heute zu halten.<br />

Warum sind seine Thesen immer<br />

noch in der Welt?<br />

So etwas ist offensichtlich schwer<br />

wieder einzufangen. Daswar wie ein<br />

Lauffeuer.Wakefield ging in die USA<br />

und wurde dort zum Star der Anti-<br />

Vaxx-Bewegung, also der radikalen<br />

Impfgegner. Das ist eine sehr emotionale<br />

Bewegung, fast sektenhaft,<br />

für die wissenschaftliche Erkenntnisse<br />

und Sachargumente gar keine<br />

Rolle spielen. Da wirdein starkideologisches<br />

Weltbild aufrechterhalten.<br />

Wie viele sind es in Deutschland, die<br />

Impfungen ablehnen?<br />

Skeptisch und wissbegierig sind<br />

recht viele in Bevölkerung, das ist ja<br />

auch gut so. Aber echte Gegner sind<br />

wohl nur ein paar Prozent. Dassieht<br />

man ja auch an den Impfraten, die in<br />

der Regel deutlich über 90 Prozent<br />

liegen. Die Ansichten der harten<br />

Gegner sind also gar nicht repräsentativ<br />

für das, was die Mehrheit der<br />

ZUR PERSON<br />

Thomas Schmitz (48) ist Facharzt für Kinder- und Jugendheilkunde und Neonatologie. Er arbeitet<br />

als Oberarzt, Wissenschaftler und Dozent in der Klinik für Neonatologie an der <strong>Berliner</strong><br />

Charité, Campus Virchowklinikum.<br />

Das Buch „Klartext Impfen! Ein Aufklärungsbuch zum Schutz unserer Gesundheit“ (Harper<br />

Collins, 2019, 208 Seiten, 15 Euro) hat er zusammen mit dem <strong>Berliner</strong> Biologen und Journalisten<br />

Sven Siebert(53) geschrieben.<br />

Bevölkerung denkt. Aber immer wieder<br />

geht es zunächst und ausführlich<br />

um die Gegner, wenn das Stichwort<br />

Impfen fällt.<br />

Hat Impfskepsis auch etwas mit Bildung<br />

zu tun?<br />

Generell ist die Impfskepsis bei<br />

Akademikerfamilien verbreiteter als<br />

bei den weniger Gebildeten. Das<br />

hängt wohl damit zusammen, dass<br />

studierte Leute es gewohnt sind,<br />

Dinge generell kritisch zu hinterfragen<br />

und Entscheidungen selbstständig<br />

zu treffen. Beim Thema Impfen<br />

fehlt dann manchmal einerseits das<br />

Vertrauen dem Arzt gegenüber und<br />

andererseits die Bereitschaft, der Sache<br />

dann auch wirklich auf den<br />

Grund zu gehen. Die Informationen<br />

über die Ständige Impfkommission<br />

etwa, die die Empfehlungen erstellt,<br />

sind einsehbar, und man kann sich<br />

schnell Gewissheit darüber verschaffen,<br />

dass das Gremium unabhängig<br />

IMAGO IMAGES, SCIENCE PHOTO LIBRARY<br />

und nicht von Pharmafirmen beeinflusst<br />

ist. Aber trotzdem scheint es<br />

vielen Menschen schwer zu fallen,<br />

von einer skeptischen Haltung zu einer<br />

Pro-Haltung zu wechseln.<br />

Sie räumen in dem Buch ein, es sei<br />

verdammt schwierig, sich von allen<br />

Aspekten des Impfens ein umfassendes<br />

Bild zu machen. Warum ist das<br />

so?<br />

Es sind sehr viele Krankheiten,<br />

mit denen man sich da befassen<br />

muss. Nach den schon genannten,<br />

die mit der Sechsfach-Impfung abgedeckt<br />

sind, gibt es da noch die<br />

Pneumokokken, später Masern,<br />

Mumps, Röteln, Windpocken, HPV.<br />

Dassind komplexe Themen, die die<br />

Infektiologie und die Mikrobiologie<br />

berühren. Auch der Umgang<br />

mit den Risiken, die es gibt, auch<br />

wenn sie sehr gering sind, ist alles<br />

andereals trivial. Eine ausführliche<br />

Aufklärung darüber ist nicht immer<br />

so leicht im Alltagsbetrieb einer<br />

Kinderarztpraxis oder in einer Klinik<br />

zu leisten. Im Winter sitzen in<br />

den Praxen oft täglich 80 bis 100<br />

Kinder im Wartezimmer und müssen<br />

behandelt werden.<br />

Waskönnte man verbessern?<br />

Eigentlich müsste das Wissen<br />

über die Bedeutung vonImpfstoffen<br />

zum Grundwissen gehören und verpflichtend<br />

im schulischen Lehrplan<br />

stehen. Vielleicht ist es auch möglich,<br />

dass Gynäkologen im Rahmen<br />

der Betreuung der Schwangeren bereits<br />

stichhaltig über das Impfen informieren.<br />

Der wissenschaftliche Rat wird trotzdem<br />

oft nicht befolgt. Wasmuss sich<br />

ändern, um Vertrauen zurückzugewinnen?<br />

Den Impfskeptikern ist es zu verdanken,<br />

dass sich schon einiges geändert<br />

hat. Die Ständige Impfkommission<br />

zum Beispiel ist viel transparenter<br />

geworden. Auf der Internetseite<br />

der Stiko kann man alle wichtigen<br />

Fakten über die Mitglieder nachlesen<br />

–sie müssen sogar offenlegen, ob sie<br />

Familienangehörige haben, die<br />

schon mal bei einer Pharmafirma einen<br />

Vortrag gehalten haben. Die<br />

Transparenz ist also in hohem Maße<br />

gegeben. Ich finde, das fördert das<br />

Vertrauen in dieses Gremium und<br />

seine Entscheidungen sehr.<br />

Es gibt diese These, dass es Kindern<br />

guttut, eine Kinderkrankheit durchzumachen,<br />

weil sie dadurch reifen. Ist<br />

da etwas dran?<br />

Eine Krankheit macht krank,<br />

nicht gesund. Eine Impfung dagegen<br />

ist wie ein Training. Die Sechsfachimpfung<br />

zum Beispiel enthält Bestandteile<br />

von Bakterien und Viren,<br />

die dem Immunsystem angeboten<br />

werden, um daran zu reifen. Es lernt<br />

den Fingerabdruck von Krankheitserregern<br />

kennen und kann sie danach<br />

abwehren. Man hat also den<br />

Reifungsprozess, spart sich aber die<br />

Erkrankungen. Dasist doch super.<br />

Offenbar wurde aber vielfach beobachtet,<br />

dass Kinder nach überstandener<br />

Infektionskrankheit einen regelrechten<br />

Entwicklungsschub haben.<br />

Wir haben den renommierten<br />

Schweizer Entwicklungsmediziner<br />

Remo Largo dazu befragt. Seine Meinung<br />

dazu ist: Auch wenn man ein<br />

gesundes Kind zwei Wochen lang ins<br />

Bett steckt, wirdesanschließend aktiver<br />

und wissbegieriger sein. Zudem<br />

kann auch die Zuwendung, die die<br />

Kinder während einer Krankheitsphase<br />

erhalten, förderlich für die<br />

Entwicklung sein.<br />

Typische Vorbehalte gegenüber Impfungen<br />

sind außerdem: Mehrfachimpfungen<br />

überfordern das Immunsystem,<br />

die Hilfs- und Konservierungsstoffe<br />

richten Schaden an. Was<br />

sagen Siedazu?<br />

Mehrfachimpfungen haben den<br />

großen Vorteil, dass man den Kindern<br />

Nadelstiche und damit auch<br />

Schmerzenerspart. Deshalb wurden<br />

diese Kombinationen überhaupt<br />

entwickelt. Manmuss auch nicht befürchten,<br />

das Immunsystem damit<br />

zu überfordern. Das Immunsystem<br />

wirdviel mehr durch die alltäglichen<br />

Kontakte zum Beispiel in der Kindergartengruppe<br />

herausgefordert als<br />

durch Impfungen.<br />

Undwas ist mit den Hilfs- und Konservierungsstoffen?<br />

Die Impfstoffe, die Kindern verabreicht<br />

werden, sind alle gut untersucht<br />

und werden seit Jahrzehnten<br />

verwendet. Manweiß daher sehr gut,<br />

wie sicher sie sind.<br />

Was halten Sie von der Impfpflicht<br />

gegen Masern, die Bundesgesundheitsminister<br />

Jens Spahn durchgesetzt<br />

hat? Ab 1. März 2020 müssen<br />

alle Kinder beim Eintritt in die Schule<br />

oder den Kindergarten Masern-Impfungen<br />

vorweisen.<br />

Die Impflücke bei Masern,<br />

Mumps und Röteln ist in hohem<br />

Maße dadurch entstanden, dass<br />

viele Kinder oder auch Erwachsene<br />

nicht die zweite der beiden empfohlenen<br />

Impfungen bekommen haben.<br />

Fünf bis zehn Prozent der Menschen<br />

brauchen eine zweite Impfung,<br />

um voll geschützt zu sein. Weil<br />

früher erst im Schulalter das zweite<br />

Mal geimpft wurde, ist das besonders<br />

häufig versäumt worden und es<br />

gibt viele Jugendliche und junge Erwachsene<br />

mit unzureichendem<br />

Impfschutz. Vielen Eltern kann die<br />

Impfpflicht für Masern rein praktisch<br />

helfen, an die zweite Impfung<br />

zu denken. Wirmüssen aber aufpassen,<br />

dass eine gesetzliche Pflicht<br />

nicht zu verstärkter Gegenwehr<br />

führt. Wirwerden mehr denn je über<br />

das Impfen aufklären müssen.<br />

DasGespräch führte Anne Brüning.

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