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Berliner Zeitung 05.11.2019

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14 * <strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 257 · D ienstag, 5. November 2019<br />

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Berlin<br />

Stoß vor<br />

U-Bahn: Mord<br />

aus Heimtücke<br />

26-Jähriger muss in<br />

Untersuchungshaft<br />

Die Interview-Kolumne<br />

Eine Curry<br />

mit Gysi<br />

Grüne wollen<br />

Zwangsticket<br />

für Touristen<br />

Leitantrag für Parteitag<br />

verlangt radikales Handeln<br />

Nach der neuen Festnahme im<br />

Fall des tödlichen Stoßes vor<br />

eine U-Bahn in Kreuzberg gehen<br />

die Ermittler davon aus, nun den<br />

richtigen Mann gefasst zu haben.<br />

Der Sprecher der Staatsanwaltschaft,<br />

Martin Steltner,verwies am<br />

Montag auf den am Sonntag erlassenen<br />

Haftbefehl gegen einen 26-<br />

Jährigen wegen Mordes aus Heimtücke.<br />

Hintergrund der Tatseien mutmaßlich<br />

Drogengeschäfte gewesen.<br />

Der Tatverdächtige stammt<br />

aus Marokko, er befindet sich in<br />

U-Haft und hat sich bisher nicht<br />

zu den Vorwürfen geäußert. Er war<br />

am Sonnabendabend in einer<br />

Flüchtlingsunterkunft in Berlin-<br />

Wannsee festgenommen worden,<br />

wie Steltner sagte.<br />

Zunächst war am Samstag ein<br />

ebenfalls als tatverdächtig gefasster<br />

Mann wieder auf freien Fuß gesetzt<br />

worden –der Mann habe für<br />

die Tatzeit ein Alibi vorweisen<br />

können und gelte als entlastet,<br />

hieß es. Steltner sprach von großem<br />

Engagement der Mordkommission<br />

und insgesamt schwierigen<br />

Ermittlungen im Bereich der<br />

Drogenkriminalität – mit widersprüchlichen<br />

Zeugenaussagen.<br />

Das Opfer, der fälschlicherweise<br />

Festgenommene und der<br />

mutmaßliche Täter seien alle dieser<br />

Szene zuzurechnen. Die Aufnahmen<br />

der Überwachungskameras<br />

vom Bahnsteig seien nicht besonders<br />

ergiebig gewesen, so<br />

Steltner. Letztlich hätten Angaben<br />

von Zeugen zu dem 26-Jährigen<br />

geführt.<br />

In der Nacht zu Mittwoch war<br />

ein 30-jähriger Iraner vor eine U-<br />

Bahn gestoßen worden. Er wurde<br />

durch den einfahrenden Zug so<br />

schwer verletzt, dass er noch vor<br />

Ort starb. Zuvor soll es auf dem<br />

Bahnsteig einen Streit zwischen<br />

dem Opfer und einem Begleiter<br />

sowie einer größeren Gruppe, zu<br />

der der Täter gehörte, gegeben haben.<br />

In dem U-Bahnhof sind regelmäßig<br />

Dealer und Drogenabhängige<br />

unterwegs. Das Kottbusser<br />

Tor, auch „Kotti“ genannt, zählt für<br />

die Polizei zu den sogenannten<br />

kriminalitätsbelasteten Orten.<br />

(dpa)<br />

Herr Gysi, wir kommen um das<br />

Thema Fußball auch in dieser Woche<br />

nicht herum. Sie waren am<br />

Sonnabend beim Derby inder Alten<br />

Försterei. Warihnen mulmig, als die<br />

Leuchtraketen flogen?<br />

Sagen wir so, es störte mich.<br />

Letztlich war es nur Glück, dass niemand<br />

ernsthaft verletzt wurde, als<br />

die Leuchtraketen aus dem Hertha-<br />

Block auf den Rasen und in andere<br />

Blöcke flogen. Diese Verletzungsgefahr<br />

billigend in Kauf zu nehmen, ist<br />

durch nichts zu entschuldigen.<br />

Haben Sie eine Ahnung, warum die<br />

Vereine es nicht hinkriegen, so etwas<br />

zu verhindern?<br />

Um zu verhindern, dass das ins<br />

Stadion gelangt, müsste man am<br />

Eingang wahrscheinlich mit Körperscannern<br />

und Sprengstoffhunden<br />

arbeiten. Aber einen solchen<br />

Aufwand kann niemand leisten und<br />

er bietet auch keine Garantie. Vielleicht<br />

muss man androhen und<br />

dann auch praktizieren, Feuerlöschgeräte<br />

einzusetzen.<br />

Wären Sie für mehr Härte im Umgang<br />

mit den sogenannten Ultras?<br />

Die Sportgerichtsbarkeit des<br />

DFB verurteilt die Vereine zu hohen<br />

Strafen. Klar können dieVereine mehr<br />

tun, sie kennen doch auch ihre Pappenheimer.<br />

Andererseits geben die<br />

Ultras für ihren Verein das letzte<br />

Hemd und sorgen mit kreativen Choreos<br />

und permanenter lautstarker<br />

Unterstützung maßgeblich für die<br />

Stimmung in den Stadien. Ich finde,<br />

dass der Gesprächsfaden zwischen<br />

aktiver Fan-Szene,Vereinen und Verband<br />

wieder geknüpft werden muss.<br />

Vielleicht sollte man das mal unter<br />

neutralerVermittlung versuchen.<br />

Union-Boss Dirk Zingler hat das<br />

Wort geprägt vom Fußball-Klassenkampf<br />

in Berlin. Das kann man natürlich<br />

augenzwinkernd sehen, als<br />

cooles Wortspiel sozusagen. Andere<br />

kriegen bei solchen Aussagen Bau-<br />

Die Chefredakteure Jochen Arntz und Elmar<br />

Jehn reden jede Woche mit Gregor Gysi –<br />

über das, was die Stadt, das Land und die Welt<br />

bewegt. Kurz und klar,ein paar Minutennur,<br />

solange man eben zusammensteht für eine<br />

Curry am Mittag. Unser Thema in dieser Woche:<br />

Die Ausschreitungen beim Derby<br />

Elmar Jehn, Gregor Gysi und Jochen Arntz (v.l.n.r)<br />

„Letztlich war es nur Glück, dass niemand<br />

ernsthaft verletzt wurde, als die<br />

Leuchtraketen aus dem Hertha-Block auf den<br />

Rasen und in andere Blöcke flogen. Diese<br />

Verletzungsgefahr billigend in Kauf zu<br />

nehmen, ist durch nichts zu entschuldigen.“<br />

Gregor Gysi<br />

schmerzen. Wie ist Ihre Haltung<br />

dazu?<br />

Dirk Zingler hat damit vermutlich<br />

augenzwinkernd auf den beträchtlichen<br />

Unterschied zwischen beiden<br />

Vereinen angespielt. Der Marktwert<br />

des Hertha-Kaders ist sechs Mal größer<br />

als bei Union. In der Frage,welche<br />

Rolle Investoren spielen oder eben<br />

nicht spielen, unterscheiden sich die<br />

Vereine fundamental. Aber zwischen<br />

Millionenvereinen, auch wenn der<br />

eine deutlich mehr davon hat als der<br />

andere, ist es nicht wirklich ein Klassenkampf.<br />

Zu DDR-Zeiten war es Liebe zwischen<br />

Union und Hertha, jetzt ist es<br />

Rivalität, die sich bis hin zu den<br />

Szenen vom Sonnabend entlädt.<br />

Was ist das eigentlich schiefgelaufen<br />

zwischen den beiden?<br />

Solche Derbys leben immer von<br />

einergewissen Rivalität. Aber dieOstdeutschen<br />

fühlten sich zu Recht<br />

schlecht behandelt und entwickeln<br />

jetzt ostdeutsches Selbstbewusstsein.<br />

Und für den quasi geborenen Erstligisten<br />

Hertha ist es nicht leicht, dass<br />

es plötzlich auch Union aus dem Osten<br />

auf Augenhöhe gibt und sie nun<br />

auch noch gewonnen haben. Ich<br />

hoffe, die beiden gewöhnen sich aneinander,sodass<br />

es sich nicht so entwickelt<br />

wie zwischen Schalke und<br />

Dortmund.<br />

Was kann Fußball grundsätzlich<br />

leisten –und was nicht?<br />

In den Vereinen wird eine beträchtliche<br />

Sozialarbeit geleistet.<br />

Aber selbstverständlich ist Fußball<br />

ein Teil der Gesellschaft und ihrer<br />

Probleme.Erkann aber helfen, dagegen<br />

zu steuern. Dass die Spieler von<br />

Union am Samstag eine Eskalation<br />

verhinderten, als sie ihre Fans nach<br />

dem Spiel aus dem Innenraum auf<br />

die Tribüne zurückschickten, war ein<br />

wichtiges Zeichen. Sie haben eine<br />

Grenze gesetzt. Die Vorbildwirkung<br />

auf und neben dem Platz ist nicht zu<br />

unterschätzen.<br />

Mehr Geld und mehr Arbeit für<br />

den Klimaschutz: Der Landesverband<br />

der Grünen will die Hauptstadt<br />

weiter gegen den Klimawandel<br />

rüsten. Auf dem nächsten Parteitag,<br />

der am 7. Dezember im Park-Inn-<br />

Hotel stattfinden soll, will die Partei<br />

einen Leitantrag mit dem Titel „Wer<br />

vernünftig ist, handelt radikal“ beschließen.<br />

Darin fordert der Landesverband<br />

unter anderem, den sogenannten<br />

Klimavorbehalt einzuführen. Jede<br />

Vorlage aus einer Senatsverwaltung<br />

–egal aus welcher –soll in Zukunft<br />

also nicht nur eine Kostenprognose,<br />

sondern auch eine Klimafolgenschätzung<br />

beinhalten. „Es ist wichtig,<br />

dass hier alle Senatsverwaltungen<br />

mit ins Boot geholt werden“, so<br />

Grünen-Landesvorsitzender Werner<br />

Graf. Es sei nicht nur Aufgabe der<br />

Umweltsenatorin, auf diese Parameter<br />

zu achten. „Egal, ob in der Bildung<br />

oder beim Bauen –das Klima<br />

muss immer mitgedacht werden.“<br />

Auch in den Bezirken wollen die<br />

Grünen eine zentrale Stellschraube<br />

drehen: Sie möchten das Budget für<br />

klimafreundliche Maßnahmen erhöhen<br />

und im Bestfall zu 100 Prozent<br />

vomSenat übernehmen lassen.<br />

Zurzeit laufe das durch die Kosten-<br />

Leistungs-Rechnung der Bezirke oft<br />

anders, erklärt Graf mit einem Beispiel:<br />

Ein Bezirk bezahle für einen<br />

Baum 80 Euro, erhalte vom Senat –<br />

der einzigen Geldquelle –aber nur<br />

40 Euro an Unterstützung. Werviele<br />

Bäume pflanze, gebe also zwangsweise<br />

mehr Geld aus als ein Bezirk,<br />

der weniger fürs Stadtgrün tue.„Wir<br />

müssen Anreize schaffen, damit die<br />

Bezirke ökologische Maßnahmen ergreifen.“<br />

Außerdem im 18-seitigen Leitantrag<br />

enthalten: AufLandesebene soll<br />

ein Bauinformationszentrum eingeführtwerden,<br />

das Investoren und Eigentümer<br />

dabei berät, wie ökologisch<br />

und zugleich günstig zu bauen<br />

ist. Eine bereits in der Fraktion diskutierte<br />

Idee hat es auch in den Antrag<br />

geschafft: Für den Nahverkehr<br />

will der Landesverband in Zukunft<br />

eine zusätzliche Finanzierungsquelle<br />

schaffen – durch ein BVG-<br />

Zwangsticket für Touristen. Die sollen<br />

in Zukunft dann fünf bis sieben<br />

Euro proNacht zahlen. (ann.)<br />

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Kreislauf-Debatte um Straßenstrich<br />

CDU unterliegt mit Antrag auf Prostitutionsverbot auf der Kurfürstenstraße<br />

VonGerhard Lehrke<br />

Der Umgang mit der Prostitution<br />

in der Kurfürstenstraße in Tiergarten<br />

und Schöneberg bleibt ein<br />

Thema: Unversöhnlich stehen sich<br />

die Lager gegenüber, wie sich am<br />

Montag im Gesundheitsausschuss<br />

des Abgeordnetenhauses zeigte. Die<br />

CDU-Fraktion, nur von der AfD unterstützt,<br />

unterlag mit ihrem Antrag,<br />

den Straßenstrich auf der Kurfürstenstraße<br />

und in ihrer Umgebung zu<br />

verbieten.<br />

Mit ihrem Antrag wusste sie sich<br />

zwar im Einklang mit der Mehrzahl<br />

der Anwohner und mit dem grünen<br />

Bezirksbürgermeister vonMitte,Stephan<br />

von Dassel. Aber selbst die<br />

drastischen Schilderungen der<br />

CDU-Abgeordneten Katrin Vogel,<br />

die kürzlich die Straße aufgesucht<br />

hatte,vermochten es nicht, die Fraktionen<br />

vonSPD,Grünen, Linken und<br />

FDP zu überzeugen.<br />

Vogel berichtete von grauenhaften<br />

hygienischen Zuständen in der<br />

kürzlich aufgestellten Toilette, die<br />

bei ihr einen „bleibenden Eindruck“<br />

hinterlassen habe. Sie sprach weiter<br />

von Müll und benutzten Drogenspritzen.<br />

Vonder Unsichtbarkeit des<br />

Der Strich auf der Kurfürstenstraße ist<br />

vielen ein DornimAuge.<br />

GETTY IMAGES<br />

Ordnungsamts sowie von minderjährigen<br />

Prostituierten, deren Auftreten<br />

die „Mär von den selbstbestimmten<br />

Sexarbeitern“ als Fiktion<br />

entlarve. Offenkundig werde hier<br />

auch Menschenhandel betrieben.<br />

Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci<br />

(SPD) erklärte, essei in Berlin<br />

„Tradition, Prostitution in der Stadt<br />

zu halten“. Die Prostituierten seien<br />

sicherer in der Stadt, als wenn sie ihrem<br />

Gewerbe in „Verrichtungsboxen“<br />

am Rand der Stadt nachgehen<br />

würden. Im Übrigen werdeesProstitution<br />

geben, solange die Menschheit<br />

existiert.<br />

Die Senatorin meinte, Polizei, Kitas,<br />

Schulen, Quartiersmanagement<br />

und Berater würden erfolgreich arbeiten.<br />

Jetzt warte man auf die Empfehlungen<br />

des Runden Tischs Sexarbeit,<br />

der am Donnerstag zum letzten<br />

Mal tagen wird. Für die Umsetzung<br />

stünden 500 000 Euro bereit.<br />

DieFDP-Abgeordnete MarenJasper-Winter<br />

sprang Kalayci bei.<br />

Durch ein Verbot des Straßenstrichs<br />

verbessere sich nichts, die Prostitution<br />

werde lediglich ins Nirgendwo<br />

verlagert, was auch nicht im Sinne<br />

der Polizei sei. Die kenne den Kiez<br />

und wisse, wopotenziell Straftaten<br />

begangen werden könnten.<br />

Mit Anja Kofbinger (Grüne) legte<br />

die FDP-Abgeordnete jedoch Wert<br />

darauf, dass die Vorschläge des Runden<br />

Tischs auch schleunigst umgesetzt<br />

werden, weil die Situation für<br />

die Anwohnerschaft unerträglich geworden<br />

sei. Unter anderem deshalb,<br />

weil in der Kurfürstenstraße Baulücken<br />

geschlossen werden und sich<br />

die sogenannte „Verrichtung“ zunehmend<br />

voraller Augen abspiele.

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