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Berliner Zeitung 11.11.2019

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16 * <strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 262 · M ontag, 11. November 2019<br />

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Lokalsport<br />

Zuwenig Akzeptanz in der<br />

Öffentlichkeit, zu wenig<br />

Sponsoren, zu wenig Infrastruktur,<br />

trotzdem Förderung<br />

nur bei außerordentlichem Erfolg:<br />

Es ist ein Teufelskreis, mit dem<br />

viele Randsportarten in Deutschland<br />

zu kämpfen haben. Auch das<br />

Kunstschwimmen –besser bekannt<br />

als Synchronschwimmen. Es hat Anfang<br />

des Jahres auch deswegen eines<br />

seiner Talente verloren. Unter diesen<br />

Bedingungen Leistungssportzutreiben,<br />

erfordert einen hohen Aufwand.<br />

Einen zu hohen, findet Michelle<br />

Zimmer. „Man gibt seine Zukunft<br />

auf“, sagt sie. Die 22-Jährige<br />

gehörte jahrelang zur Nationalmannschaft.<br />

Ende Januar trat die<br />

<strong>Berliner</strong>in dortzurück.<br />

Es war keine Entscheidung gegen<br />

die Sportart, sonderngegen den<br />

Leistungssport auf ganz hohem Niveau.<br />

UndZimmer hörte auch nicht<br />

abrupt auf, sie trainiertnoch immer<br />

–so, dass es zumindest auf nationalem<br />

Niveau noch für vordere Plätze<br />

reicht. An diesem Wochenende ist<br />

sie mit ihrem Team, dem SC Wedding<br />

1929, bei den Internationalen<br />

Deutschen Meisterschaften angetreten.<br />

Ungefähr 30 Kunstschwimm-Vereine<br />

gibt es in<br />

Deutschland, als stärkstes Bundesland<br />

gilt Bayern. 15deutsche Klubs<br />

und ein polnischer Vertreter kämpften<br />

am Sonnabend und Sonntag in<br />

der Sport- und Lehrschwimmhalle<br />

SchönebergumTitel.<br />

Kaum Chancen auf Olympia<br />

Entscheidung für die Zukunft<br />

Michelle Zimmer ist Anfang des Jahres aus der Nationalmannschaft der Kunstschwimmer zurückgetreten.<br />

Wurden am Wochenende Dritte im Duett: Michelle Zimmer (r.) und Thora Götting vom SC Wedding 1929. SABINE GUDATH (2)<br />

Mit dem Solo, dem Duett, der<br />

Gruppe mit vier bis acht Schwimmerinnen<br />

und die Kombination mit bis<br />

zu zehn Teilnehmerinnen gibt es vier<br />

Disziplinen. Nach einer technischen<br />

Kür, bei der alle Mannschaften die<br />

gleichen Übungen zeigen müssen,<br />

folgt die freie Kür mit Vorkampf und<br />

Finale, inder die Teams selbst entscheiden,<br />

was sie präsentieren.<br />

DieWeddingerinnen um Zimmer<br />

waren mit großen Ambitionen gestartet,<br />

in sämtlichen Gruppendisziplinen<br />

sollte eine Medaille her, dreimal<br />

Silber und dreimal Bronze kam<br />

heraus. Zimmer schwamm in fünf<br />

vonsechs Disziplinen, nur auf einen<br />

Start in der Technischen Kür Solo<br />

verzichtet sie. Eine Silbermedaille in<br />

der Einzeldisziplin hatte sich die 22-<br />

Jährige vorgenommen –eine ungewöhnliche<br />

Zielsetzung. „Ich weiß,<br />

dass mein Leistungsniveau mittlerweile<br />

ein anderes ist“, formulierte sie<br />

vor den Meisterschaften, „es ist einfach<br />

nicht mehr mein Anspruch,<br />

Erste zu werden.“ Tatsächlich wurde<br />

sie in der Freien Solokür Zweite.<br />

Zimmer hat anWelt- und Europameisterschaften<br />

teilgenommen, war<br />

2015 bei den European Games. Die<br />

Chancen auf eine Olympia-Teilnahme<br />

waren gering. Ihre stärkste<br />

Disziplin, das Solo, ist nicht mehr<br />

olympisch, um einen Platz im Duett<br />

kämpfte sie bis zuletzt. Weil ihre<br />

Münchner Konkurrentinnen, Marlene<br />

Bojer und Daniela Reinhardt,<br />

die in Berlin ihre neue Kür vorstellten,<br />

seit Jugendtagen zusammen<br />

trainieren, und Zimmer als Ersatzschwimmerin<br />

in Berlin lebt, waren<br />

die Voraussetzungen dafür schlecht.<br />

„Ich hätte für zwei Jahre nach München<br />

ziehen müssen, um überhaupt<br />

eine Chance zu haben“, sagt die 1,65<br />

Meter große Schwimmerin.<br />

Strapaziös,anmutig, anstrengend<br />

und extrem trainingsintensiv ist die<br />

Sie wollte ihr Leben nicht einer unsicheren Olympiaqualifikation unterordnen<br />

VonAnnika Schultz<br />

„Die Kombination aus Wasser, Musik<br />

und dem Künstlerischen<br />

begeistert mich immer noch.“<br />

Michelle Zimmer erläutert, warum sie weiterhin einen Großteil ihrer Zeit<br />

dem Synchronschwimmen beim SC Wedding 1929 widmet.<br />

Sportart, auch wenn sie häufig belächelt<br />

wird. Kunstschwimmen ist eine<br />

Disziplin, die Einflüsse aus vielen<br />

anderen Sportarten vereint: Turnen,<br />

Tanzen, Eiskunstlauf, Schwimmen<br />

und Wasserball. Der Sport verlangt<br />

hohe körperliche Leistungen, in den<br />

letzten Jahren ist er noch athletischer,<br />

noch schneller geworden.<br />

Auch deshalb sollten sich Duettpartner<br />

im Idealfall schon in jungen Jahrenfinden.<br />

„Dann lernt man vonAnfang<br />

an, die gleichen Bewegungen zu<br />

machen. Man ist aufeinander abgestimmt.“<br />

Selbst wenn es Zimmer gelungen<br />

wäre, Teil des Duetts zu werden:<br />

Der Kampf um einen Platz bei<br />

Olympia ist hart. Im weltweiten Vergleich<br />

hinkt das deutsche Kunstschwimmen<br />

hinterher, bei der WM<br />

belegte das Team Rang 13.<br />

Seit Juni dieses Jahres gibt es immerhin<br />

eine feste Bundestrainer-<br />

Stelle, Doris Ramadan, Olympia-<br />

Teilnehmerin von 1988, kümmert<br />

sich nun hauptamtlich um die Sportart.<br />

Sie soll das Duett zu den Spielen<br />

führen. Ein schwieriges Unterfangen,<br />

aber 2020 gibt es noch mal zwei<br />

Duettplätze weniger. Dafür wollte<br />

Zimmer ihr Leben in Berlin nicht<br />

aufgeben, sie entschied sich, das<br />

Projekt zuverlassen. Das hatte zur<br />

Folge, dass sie nicht mehr im Kader<br />

aufgeführt wurde, ihr die Förderung<br />

gestrichen wurde.<br />

Männer gesucht<br />

Auch die Hoffnung auf ein Mixed-<br />

Duett zerschlug sich. Seit 2015 erlaubt<br />

der internationale Schwimm-<br />

Verband (Fina) auch Männern, bei<br />

offiziellen Kunstschwimm-Wettbewerben<br />

zu starten, 2024 könnte die<br />

Disziplin olympisch werden. Die<br />

Spitze bewegt sich bereits auf ähnlichem<br />

Niveau wie die Frauen, in<br />

der Breite sind die Männer deutlich<br />

schwächer. Zimmer sieht in der<br />

Disziplin eine Chance für das deutsche<br />

Kunstschwimmen: „Dadurch,<br />

dass die Disziplin noch nicht so<br />

weit entwickelt ist, könnten wir<br />

schneller gute Platzierungen erreichen.“<br />

In anderen Ländern wird gezielt<br />

nach Männern gesucht, in Deutschland<br />

kommt das noch zu kurz. Für<br />

Zimmer käme es ohnehin zu spät.<br />

„Wir haben aktuell keinen männlichen<br />

Schwimmer. Und ein Duett<br />

kann man nicht innerhalb weniger<br />

Monate aufbauen, das bedarf jahrelanger<br />

Vorbereitung“, sagt sie.<br />

Jetzt will sie sich auf ihr Studium<br />

der Biotechnologie konzentrieren,<br />

erste berufliche Erfahrungen sammeln,<br />

in einem Jahr den Abschluss<br />

machen. Auch wenn es ihr schwergefallen<br />

ist: Zimmer wirkt im Reinen<br />

mit ihrer Entscheidung. Zumal sie<br />

dem Kunstschwimmen national<br />

weiterhin erhalten bleibt. Sie ist in<br />

ihrem Heimat-Verein SC Wedding<br />

1929, Berlins einzigem Club mit einer<br />

Kunstschwimm-Abteilung, weiterhin<br />

aktiv,trainiertviermal dieWoche.<br />

Sie sagt, sie genieße es einfach,<br />

sich zu Musik zubewegen, Emotionen<br />

auszudrücken, jemandem eine<br />

Freude zumachen: „Die Kombination<br />

aus Wasser, Musik und dem<br />

Künstlerischen begeistert mich immer<br />

noch.“<br />

Annika Schultz<br />

würde Kunstschwimmen<br />

niemals belächeln.<br />

Der Zehlendorfer Weg<br />

Fußball-Oberligist Hertha 03 hat schon viele Bundesliga-Profis hervorgebracht. Jetzt kann der Ausbildungsverein dank seiner guten Jugendarbeit selbst aufsteigen<br />

VonJakob Lobach<br />

Als Kamyar Niroumand am Vormittag<br />

an sein Telefon geht, sitzt<br />

er gerade im Auto. Der 59-Jährige ist<br />

vielbeschäftigt. Unterstützt er nicht<br />

gerade als Unternehmensberater<br />

Firmen, ist er in seinem zweiten Amt<br />

aktiv:dem des Präsidenten des Fußballklubs<br />

Hertha 03 Zehlendorf. Das<br />

Ergebnis ist viel Arbeit und viele Termine.Zeit<br />

für ein Gespräch über den<br />

Oberligisten nimmt sich Niroumand<br />

trotzdem. Angefangen hat Niroumands<br />

Zeit bei Hertha 03 einst als<br />

Spieler der Altliga-Mannschaft, seit<br />

2004 ist er Präsident, 2014 gelang der<br />

Aufstieg in Deutschlands fünfthöchste<br />

Spielklasse. Dort steht Hertha<br />

03 nach zwölf Spieltagen an der<br />

Tabellenspitze –amgestrigen Sonntag<br />

gab es einen 5:1-Heimsieg über<br />

Victoria Seelow. Niroumand und<br />

seine Zehlendorfer haben ambitionierte<br />

Ziele.<br />

Hertha 03 Zehlendorfist ein gutes<br />

Beispiel dafür,dass ein Ausbildungsverein<br />

von hervorragender Arbeit<br />

profitieren kann. Dass es sich lohnt,<br />

in die Jugend zu investieren, nicht<br />

nur Geld sondernEngagement allgemein.<br />

Schnellstmöglich will Hertha<br />

03 in die Regionalliga aufsteigen.<br />

Unabdingbar dafür ist die gute Jugendarbeit,<br />

für die der Klub bekannt<br />

ist. Sieprägt die Philosophie und hat<br />

bereits viele Profis hervorgebracht<br />

Pierre Littbarski etwa wechselte<br />

einst von den Zehlendorfern zum<br />

1. FC Köln, RobertKovac ging später<br />

von Hertha 03 zum FC Nürnberg,<br />

Bruder Niko zu Hertha BSC. Zuletzt<br />

bewiesen die Abwehrspieler John<br />

Anthony Brooks und Antonio Rüdiger,dass<br />

derVerein seinen Rufals Talentschmiede<br />

auch heute noch zu<br />

Recht trägt. Jedes Jahr wechseln etliche<br />

Zehlendorfer Spieler in die Jugendprogramme<br />

deutscher Bundesligisten.<br />

„Alleine in den zurückliegenden<br />

Jahren haben rund 15 ehemalige<br />

Spieler vonuns in der ersten,<br />

zweiten oder dritten Liga einen Profivertrag<br />

unterschrieben“, sagt Präsident<br />

Niroumand stolz.<br />

Möglich machen die Ausbildung<br />

der Talente viele qualifizierte Trainer<br />

und die professionellen Strukturen,<br />

die der Klub seit Niroumands Amtsantritt<br />

geschaffen hat. Diese reichen<br />

von der medizinischen Betreuung<br />

über Hilfe bei den Hausaufgaben bis<br />

Alles auf Angriff: Der Zehlendorfer LennyStein (r.) im Spiel gegen Seelow.<br />

hin zu einer Kooperation mit Hertha<br />

BSC. Während der Bundesligist dabei<br />

vorallem dadurch profitiert, dass<br />

er immer wieder von talentierten<br />

Zehlendorfer Spielern erfährt und<br />

diese zu sich ins Programm holen<br />

kann, macht sich Hertha 03 die Expertise<br />

des großen Namensvetters<br />

zum Vorteil.<br />

So gehören vonTrainerndes Erstligisten<br />

geleitete Übungseinheiten<br />

genauso zum Kooperationspaket<br />

ANDREAS KLUG<br />

wie Einblicke in die Programmgestaltung<br />

und die Analysetools im Jugendbereich<br />

des Profiklubs. Die Zusammenarbeit<br />

mit der großen Hertha<br />

macht die Zehlendorfer im Gegenzug<br />

wiederum zu einer für<br />

ambitionierte Nachwuchsfußballer<br />

interessanten Adresse.<br />

Es ist die große Durchlässigkeit<br />

vom Nachwuchs zu den Männermannschaften,<br />

die das Jugendprogramm<br />

von Hertha 03 attraktiv<br />

macht. In jeder Saison schaffen<br />

mehrere Spieler den Sprung aus der<br />

A-Jugend in die Oberligamannschaft.<br />

„Mehr als die Hälfte der<br />

Mannschaft besteht aus Zehlendorfer<br />

Jungs“, sagt Niroumand. Und sie<br />

sind es eben nun, die den Aufstieg in<br />

die Regionalliga realisieren sollen.<br />

Niroumand sagt: „Natürlich würden<br />

wir aufsteigen. Aber nur, wenn der<br />

Zehlendorfer Weg der Jugendarbeit<br />

das möglich macht.“<br />

Niroumand und die restlichen<br />

Verantwortlichen bei Hertha 03 vertrauen<br />

dem eigenen Nachwuchs und<br />

trauen ihm etwas zu. Und das, obwohl<br />

es laut dem Präsidenten durchaus<br />

Alternativen gibt zu dem Zehlendorfer<br />

Weg. Immer wieder erhalte er<br />

Angebote von Privatpersonen, „die<br />

von außen an uns herantreten und<br />

sagen: ,Hier habt ihr 500 000 Euro,<br />

damit könntet ihr euch Spieler einkaufen<br />

und sofort aufsteigen’.“Zuletzt<br />

wurde ein solches Angebot auf<br />

der Mitgliederversammlung im<br />

Frühjahr diskutiert. „Am Ende waren<br />

wir uns einig, dass wir so etwas ablehnen“,<br />

sagt Niroumand. Sein Klub<br />

möchte lieber auf seine Artindie Regionalliga<br />

gehen.<br />

Die Zuversicht, dass dies zeitnah<br />

gelingt, ist in Zehlendorf groß. Hertha<br />

03 steht in der Tabelle gut. Dasist<br />

die kurzfristige Perspektive. Langfristig<br />

gesehen ist Niroumands Verein<br />

in den zurückliegenden 15 Jahren<br />

strukturell und finanziell gewachsen<br />

und wird dies auch weiterhin<br />

tun. Rund 2000 Mitglieder zählt<br />

Hertha 03 derzeit. Fast alle vonihnen<br />

spielen aktiv für die Zehlendorfer,<br />

die auch finanziell immer breiter<br />

aufgestellt sind.<br />

Rund 600 000 Euro Schulden, die<br />

der Klub bei Niroumands Amtsantritt<br />

hatte,sind abgebaut. Dasjährliche<br />

Budget von 900 000 Euro speist<br />

sich aus Zuwendungen von Geldgebern,<br />

durch Feriencamps,abund an<br />

sind Ausbildungsentschädigungen<br />

fällig: bei Antonio Rüdigers Wechsel<br />

zu Chelsea 190 000 Euro etwa. Ähnlich<br />

interessant wie die Quelle des<br />

Geldes ist auch dessen Verteilung:<br />

Hertha 03 gibt mit je rund 200 000<br />

Euro so viel Geld für die Jugend- wie<br />

für die Männermannschaft aus. Ein<br />

weiteres Zeichen für die große Bedeutung<br />

der Jugendarbeit, für den<br />

Erfolg und dafür,dass Niroumandso<br />

gernüberseinenKlub spricht.

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