Kiek äs Ausgabe 29 / 2019
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GESICHTER UND GESCHICHTEN<br />
Der Stein<br />
Kurzgeschichte von Marvin Buchecker (Offener Autorenkreis)<br />
»De Döör dicht, dat Beer is al ieskold«,<br />
rief einer der drei greisen Skatspieler,<br />
die auf der Eckbank saßen. Eisiger Wind<br />
fegte durch die Rekener Gaststätte, bis<br />
der junge Mann die Tür hinter sich<br />
schloss. Die Bedienung holte ein Glas<br />
hervor. Noch bevor sich der Fremde einen<br />
Barhocker zurecht geschoben hatte,<br />
hatte sie es bereits mit Bier gefüllt.<br />
Er lächelte, während er mit seinem Zeigefinger<br />
über das helle Holz des Tresens<br />
strich. Ungefähr so, als würde er sich an<br />
einen Scherz erinnern. Dann warf er seinen<br />
dunklen Mantel über die Lehne und<br />
setzte sich an die Theke.<br />
Die drei Alten klatschten ihre Karten<br />
auf den Tisch, dann hoben sie fluchend<br />
ihre leeren Gl<strong>äs</strong>er. Während die Bedienung<br />
eifrig neue Biergl<strong>äs</strong>er füllte, musterte<br />
sie neugierig den jungen Mann. Er<br />
war etwa Ende Zwanzig, von dünner<br />
Statur und hatte für diese Jahreszeit<br />
eine auffällig braune Hautfarbe. Vermutlich<br />
war er gerade erst von einer<br />
Urlaubsreise zurückgekehrt.<br />
Sie füllte ein Tablett mit den frisch<br />
gefüllten Biergl<strong>äs</strong>ern und wollte es gerade<br />
vom Schanktisch anheben, als ihr<br />
in den blauen Augen des Fremden ein<br />
Tränenschleier auffiel. Dieses Blau, es<br />
war viel zu alt, für einen so jungen Menschen.<br />
Sie löste ihren Blick von dem<br />
Fremden und brachte die Getränke zu<br />
den Skatspielenden. Als sie wieder hinter<br />
die Theke zurückkehrte, lag neben<br />
dem Bierglas des Fremden ein runder<br />
Stein. Etwa faustgroß, die Oberfläche<br />
war glattgeschliffen und er strahlte,<br />
trotz der gedimmten Beleuchtung, in<br />
einem matten Türkis. Der Fremde<br />
schien noch nichts von seinem Bier getrunken<br />
zu haben. Die Schaumkrone<br />
war bereits zusammengesackt, der<br />
Rand des Glases unbefleckt. Scheinbar<br />
in Gedanken streichelte er noch einmal<br />
mit seinem Zeigefinger über das Holz<br />
der Theke. Sein alt wirkender Blick ruhte<br />
auf dem Stein.<br />
»Das ist aber ein schöner Stein, den<br />
Sie da haben«, stellte die Bedienung<br />
fest, während sie eines der Gl<strong>äs</strong>er mit<br />
einem Küchentuch polierte. Der Fremde<br />
verharrte in seiner Bewegung, lachte<br />
leise und sah sie dann zögerlich an. Erst<br />
jetzt bemerkte sie seine dunklen Augenränder.<br />
Der schwache Lichtschein<br />
Familie sein, wenn er so lange schon in<br />
Ihrem Besitz ist.« Wortlos legte der<br />
Fremde den Stein wieder auf den Tresen<br />
zurück. Seine Mundwinkel zuckten und<br />
wieder legte sich ein Tränenschleier auf<br />
seine alten Augen.<br />
»Ja, das ist er wohl.« Die Bedienung<br />
musste sich ein Stück näher an ihn heran<br />
beugen, da er nun flüsterte. »Mein<br />
Großvater hat ihn stets bei sich getragen,<br />
wenn er zum Stephanus Steinigen<br />
ging. Irgendwann gab er ihn an meinen<br />
»Das ist aber ein schöner Stein, den Sie da haben«, stellte<br />
die Bedienung fest, während sie eines der Gl<strong>äs</strong>er mit einem<br />
Küchentuch polierte. Der Fremde verharrte in seiner<br />
Bewegung, lachte leise und sah sie dann zögerlich an.<br />
der Thekenbeleuchtung ließ seine Gesichtszüge<br />
kantig erscheinen. Nun sah<br />
er nicht mehr so jung aus. Tiefe Furchen<br />
und Falten gruben sich wie Narben des<br />
Schmerzes über seine Mimik. Er seufzte<br />
schwer, ehe er mit heller Stimme antwortete.<br />
»Oh ja, das ist ein sehr schöner<br />
Stein.«<br />
»Wo haben Sie den her?«<br />
»Von meinen Vater. Er hat ihn von<br />
seinem Vater … Er ist sozusagen ein Familienerbstück.«<br />
Die Worte des jungen<br />
Mannes gingen beinahe in dem lauten<br />
Fluchen der Skatspieler hinter ihm unter.<br />
Er nahm den Stein vorsichtig in seine<br />
Hand und wog ihn in seiner Handfläche.<br />
Dabei grinste er, es wirkte jedoch<br />
nicht so, als tat er dies aus Freude, sondern<br />
fast schon spöttisch. Als die Stimmen<br />
der Greise aus der Ecke etwas leiser<br />
wurden, fragte ihn die Bedienung, »Na<br />
und? Was macht diesen Stein so besonders?<br />
Muss ja schon wichtig für Ihre<br />
Vater weiter, der ihn fortan bei sich trug,<br />
wenn er dieser alten Tradition folgte.<br />
Das hat ihn vor so mancher Lokalrunde<br />
gerettet. Na, und als mein Vater nicht<br />
mehr losgehen wollte, gab er ihn mir.«<br />
»Eine schöne Tradition«, seufzte die<br />
Bedienung beiläufig. Hatte sie sich<br />
doch eine spannendere Geschichte versprochen.<br />
Sie bemerkte, wie einer der<br />
Skatspieler seine knochigen Finger hob.<br />
Sie holte eine Flasche Korn hervor und<br />
füllte drei Schnapsgl<strong>äs</strong>er mit dem eiskalten<br />
Brand. Dann sah sie noch einmal<br />
zu dem Bierglas des Fremden. Das Getränk<br />
war schal geworden. So trostlos,<br />
wie das Gemüt seines Besitzers.<br />
Als sie die Schnäpse zu den Alten gebracht<br />
hatte und deren leere Gl<strong>äs</strong>er, in<br />
die Spülmaschine räumte, begann der<br />
Fremde weiterzureden. Sie hatte den<br />
Eindruck, als wären seine Worte nicht an<br />
sie gerichtet, er schien es einfach sagen<br />
zu müssen. »Dieser Stein ist wirklich<br />
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