Berliner Zeitung 14.11.2019
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<strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 265 · D onnerstag, 14. November 2019 – S eite 21 *<br />
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Feuilleton<br />
Fotografien<br />
der Fontane-Zeit im<br />
Märkischen Museum<br />
Seite 22<br />
„Es hilft, wenn du Leute entdeckst, die so aussehen wie du.“<br />
Markus Schneider im Gespräch mit Brittney Parks alias Sudan Archives Seite 23<br />
Kulturforum<br />
Es geht<br />
noch besser<br />
Nikolaus Bernau<br />
plädiertfür den großen Masterplan.<br />
Die Lage ist politisch vertrackt:<br />
Am Donnerstag soll der Haushaltsausschuss<br />
des Bundestags über<br />
die Finanzierung des geplanten Museums<br />
der Moderne in Berlin entscheiden.<br />
Kulturstaatsministerin<br />
Monika Grütters will für die<br />
„Scheune“ statt 200 Millionen Euro<br />
gleich 450 Millionen, inklusive Risikozuschlag.<br />
Dasist ein Aufschlag von<br />
125 Prozent.<br />
Monika Grütters ist eine begnadete<br />
Strippenzieherin. Meist folgt ihr<br />
die Koalition im Hauptausschuss.<br />
Die Förderung der Kunst bringt Ansehen<br />
und Ehre, und vonder Reichstagskuppel<br />
aus gesehen sind 450<br />
Millionen eine überschaubare<br />
Summe. Dagegen steht: Dieses Museum<br />
ist proQuadratmeter etwa vier<br />
mal teurer kalkuliert als die gerade<br />
eröffnete Kunsthalle in Mannheim,<br />
und mehr als doppelt so teuer wie<br />
die Osloer Nationalgalerie im Hochpreisland<br />
Norwegen. Und zwar deswegen,<br />
weil das Projekt immer größer<br />
und immer tiefer im Erdboden<br />
versenkt wurde.Das hat selbst Grütters<br />
Ministerium in einem Bericht<br />
vom5.November zugegeben.<br />
Die Einwände gegen das Projekt<br />
sind immens: Der Glastempel der<br />
Neuen Nationalgalerie droht an den<br />
Rand des Kulturforums geschoben<br />
zu werden; die Betriebskosten der<br />
Staatlichen Museen werden zusätzlich<br />
belastet; umwelttechnisch<br />
würde der Stahlbeton-Bau im wasserreichen<br />
Untergrund ein Fiasko; es<br />
gibt sogar zu wenig Sonderausstellungsflächen<br />
für Projekte wie einst<br />
die Präsentation der Sammlung des<br />
New Yorker MoMa. Schon vor einigen<br />
Wochen forderte der Sammler<br />
Egidio Marzona deswegen, neu<br />
nachzudenken. Inzwischen hat auch<br />
die FDP im Bundestag einen entsprechenden<br />
Antrag gestellt.<br />
EinJahrhundertprojekt<br />
Was spricht dagegen, dass der<br />
Haushaltsausschuss das Geld im<br />
Grundsatz bereitstellt, aber unter<br />
einer Auflage: Es muss noch einmal<br />
geprüft werden, und zwar ohne<br />
Auflagen. Damit käme auch jene<br />
Lösung wieder in die Debatte, die<br />
seit den 70er-Jahren im Raum<br />
schwebt: Die Erweiterung der Nationalgalerie<br />
an der Sigismundstraße.<br />
Nur dort ist es möglich, alle<br />
Museumsbauten miteinander zu<br />
verbinden und allein dadurch<br />
enorme Spareffekte zu erzielen.<br />
Sicher, das würde neues Planungsgeld<br />
kosten. Aber hier geht es<br />
um ein Jahrhundertprojekt, und<br />
letztlich wurde auch der Wiederaufbau<br />
des Neuen Museums erst zum<br />
Welterfolg, nachdem die ersten Projekte<br />
zur Seite gelegt wurden und<br />
David Chipperfield einen neuen<br />
Masterplan vermittelt hat. Nun<br />
könnten die Vermittler Herzog und<br />
de Meuron sein. Monika Grütters<br />
und der Bundestag sollten also den<br />
Sprung wagen. Nicht, um das Projekt<br />
zu kippen –sondern umeszuverbessern.<br />
Schließlich war auch das<br />
Grundstück, auf dem die gefeierte<br />
Erweiterung der Londoner Tate-<br />
Gallery errichtet wurde wie jenes an<br />
der Sigismundstraße zunächst keine<br />
1-A-Lage.Erst die Architekten machten<br />
eine Adresse daraus. Sie heißen<br />
Herzog und de Meuron.<br />
Industriekletterer befestigen einen Berlinale-Bären am Kino Zoo Palast.<br />
Ein Gigant wankt<br />
Im Februar feiert die Berlinale ihren 70. Geburtstag. Aber sie hat mit Krisenphänomenen zu kämpfen<br />
VonThomas Klein<br />
Alles anders, vieles neu: Seit<br />
dem Frühsommer teilen<br />
sich Carlos Chatrian als<br />
künstlerischer Leiter und<br />
Mariette Rissenbeek als Geschäftsführerin<br />
die Leitung der Internationalen<br />
Filmfestspiele Berlin. Sieübernahmen<br />
die Berlinale als Doppelspitze<br />
von Dieter Kosslick, der das<br />
Festival 18 Jahre geleitet hat. Chatrian<br />
und Rissenbeek konnten mit<br />
Wohlwollen und etwas Rückenwind<br />
antreten, denn dass die <strong>Berliner</strong><br />
Filmfestspiele Erneuerung und frische<br />
Ideen brauchen, ist schon länger<br />
unstrittig. Kosslick, zu gleichen<br />
Teilen charmanter Entertainer wie<br />
Autokrat, hatte die Berlinale in den<br />
Nuller-Jahren ausgebaut, groß gemacht,<br />
für Prominente, Show und<br />
viel Beifall und bald eigentlich jedes<br />
Jahr neue Erfolgsmeldungen gesorgt.<br />
Aber seit ein paar Jahren<br />
wurde der filmische Glanz matter,<br />
das Star-Geglitzer kleiner. Ermüdungserscheinungen<br />
waren nicht zu<br />
übersehen. Weiter wie bisher, mehr<br />
Kosslick-Berlinale war zuletzt keine<br />
Option mehr.<br />
Einige Neuerungen<br />
Undtatsächlich haben die Neuen als<br />
erstes viel Kosslick’schen Wildwuchs<br />
zurechtgestutzt. „Kulinarisches<br />
Kino“ und „NATIVe“ wurden bereits<br />
gestrichen. Dafür wirdesneben dem<br />
traditionell als „zu kommerziell und<br />
gefällig“ gescholtenen Wettbewerb<br />
und den Kurzfilm-Bären der „Berlinale<br />
Shorts“ eine neueWettbewerbssektion<br />
geben:„Encounters“ soll„ästhetisch<br />
und formal ungewöhnliche<br />
Werke von unabhängigen Filmemacher*innen<br />
fördern“ und eine dreiköpfige<br />
Jury Preise für den besten<br />
Film und die beste Regie der Sektion<br />
sowie einen Spezialpreis verleihen.<br />
Das klingt so vielversprechend wie<br />
einige personelle Veränderungen,<br />
besonders die Ernennung der <strong>Berliner</strong><br />
Kritikerin Cristina Nord zur Leiterin<br />
des Internationalen Forums<br />
des jungen Films.<br />
Einen anderen Tonfall und vielleicht<br />
einen Generationenwechsel<br />
versprechen Chatrian und Rissenbeek<br />
bisher: Ihre erste Berlinale im<br />
kommenden Februar wird die 70.<br />
Ausgabe sein, das Jubiläum soll auch<br />
ein Aufbruch werden.<br />
Doch es gibt Probleme. Anfang<br />
vergangener Woche hatte das <strong>Berliner</strong><br />
Boulevardblatt B.Z. ein paar unerfreuliche<br />
Fakten zusammengetragen,<br />
wenigstens oberflächlich betrachtet<br />
großes Krisen-Kino. Die knalligste<br />
Meldung war die am wenigsten bedeutsame:<br />
Dass der Club im Untergeschoss<br />
des Musical-Theaters am<br />
Potsdamer Platz ab Januar Spielort<br />
für Channing Tatums Männer-Strip-<br />
Show„Magic Mike Live“ ist und damit<br />
als Veranstaltungsort für die Berlinale-Gala<br />
ausfällt. Tatsächlich haben<br />
Das Berlinale-Duo: Carlo Chatrian und Mariette Rissenbeek<br />
sich Stripper und Festivalleitung bereits<br />
verständigt, während der Berlinale<br />
wird sich dort niemand ausziehen,<br />
jedenfalls nicht mit Choreografie<br />
und Spotlight. Auch dass 2020 zwei<br />
langjährige Haupt-Sponsoren der<br />
Filmfestspiele –der Uhrenhersteller<br />
Glashütte Original und die chinesische<br />
Schmuckfirma Tesiro – fehlen<br />
werden und eine nicht unerhebliche<br />
Finanzierungslücke hinterlassen,<br />
klingt dramatischer,als es wohl ist.<br />
„Es gab keinen Ausstieg vonSponsoren,<br />
sonderndas reguläreEnde von<br />
Verträgen“, erklärt Mariette Rissenbeek<br />
gegenüber der <strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong>.<br />
„Auch in der Vergangenheit sind Verträgemit<br />
Sponsoren ausgelaufen und<br />
es wurden neue Partner gewonnen.<br />
Aktuell gibt es gute Gespräche mit<br />
neuen Interessenten und mit bestehenden<br />
langjährigen Partnern sprechen<br />
wir schon über Vertragsverlängerungen<br />
über 2020 hinaus.“ Und<br />
auch einen dotierten, bislang von<br />
Glashütte gesponserten Dokumentarfilmpreis<br />
soll es weiterhin geben.<br />
Bedrohlich ist etwas anderes: Die<br />
Medienwende und die Gentrifizierung<br />
dringen auch in die behütete,<br />
glitzernde Fest- und Festival-Welt<br />
ein. Denn zum 31. Dezember wird<br />
das CineStar Original und das dazugehörige<br />
IMAX-Kino im Sony Center<br />
nun doch endgültig geschlossen.<br />
Der 20-jährige Mietvertrag läuft<br />
dann für das Kino aus und wirdnicht<br />
MARKUS WÄCHTER<br />
mehr verlängert. „Bis Mitte Januar<br />
werden das CineStar-eigene Inventar<br />
und die Projektionstechnik ausgebaut,“<br />
hält CineStar-Geschäftsführer<br />
Oliver Fock nüchtern fest.<br />
„Anschließend werden die Mietflächen<br />
an den Vermieter zurückgegeben“.<br />
Die Lücke, die diese Schließung<br />
in der <strong>Berliner</strong> Kino-Landschaft<br />
reißt, ist groß: Nirgendwo in<br />
der Stadt kann man derartgebündelt<br />
Filme in der Originalfassung sehen.<br />
Laut Fock würden künftig andere<br />
CineStar-Häuser verstärkt Kino im<br />
O-Ton zeigen. Gerüchtweise sollen<br />
aus den Sony Center-Kinos im Keller<br />
Wohnungen und Büros werden, eine<br />
deutliche Mieterhöhung hat den<br />
Weiterbetrieb des Standorts für die<br />
CinemaxX-Gruppe, seit einem Jahr<br />
auch CineStar-Besitzer und auf dem<br />
Potsdamer Platz mit einem eigenen<br />
Multiplex vor Ort, unattraktiv gemacht.<br />
Der Berlinale fehlen damit<br />
auf einen Schlag acht Kinosäle mit<br />
etwa 2400 Plätzen. Die Schließung<br />
sei aber keine Überraschung für das<br />
Filmfestival gewesen, meint Mariette<br />
Rissenbeek. „Zur Kompensation<br />
der fehlenden Kinosäle haben<br />
wir verschiedene Optionen durchgespielt“,<br />
erklärt sie. „Das alternative<br />
Szenario,das wir nun entwickelt haben,<br />
werden wir,sobald die gesamte<br />
Kinobelegung für die Berlinale 2020<br />
planerisch und vertraglich abgeschlossen<br />
ist, bekannt geben.“<br />
Wohin ausweichen?<br />
DPA/BRITTA PEDERSEN<br />
Dasklingt gut. Doch mit demWegfall<br />
des CineStars kommt der Gigant Berlinale<br />
ins Wanken: Schon Kosslick-<br />
Vorgänger Moritz de Hadeln<br />
(1979–2001) hatte mit einem geografisch<br />
zergliederten Festival gerungen<br />
–ineinigen Jahren gab es sogar Shuttle-Busse<br />
zwischen den Spielorten –<br />
erst der Potsdamer Platz konnte alles<br />
oder vieles an einem Ort bündeln.<br />
Aber wie sicher sind die verbleibenden<br />
Spielstätten, das CinemaxX oder<br />
das ab Herbst nächsten Jahres vom<br />
Cirque du Soleil bespielte Musical-<br />
Theater? Wohin kann die Berlinale<br />
überhaupt noch ausweichen?<br />
In der alten Berlinale-Heimat<br />
City (West) hatte das Kinosterben<br />
einst angefangen, nicht nur dort<br />
haben Mietendruck und Modekettenkonkurrenz<br />
Filmtheater umfassend<br />
abgeräumt, selbst Szene- und<br />
Indie-Kinos gehen das Publikum<br />
und die Luft aus. Für die Filmfestspiele<br />
ist der Ausblick so oder so<br />
wenig rosig. Zum Jubiläum werden<br />
Carlos Chatrian und Mariette Rissenbeck<br />
zweifellos eine Lösung finden,<br />
doch ihregrößte Herausforderung<br />
wird genauso zweifellos darin<br />
bestehen, die Berlinale als kulturelle<br />
Großveranstaltung und als<br />
Kino-Erfahrung überhaupt am Leben<br />
und am Laufen zu halten.<br />
Thomas Klein<br />
begleitet das Festival seit<br />
30 Jahren<br />
NACHRICHTEN<br />
Handke-Uraufführung bei<br />
den Salzburger Festspielen<br />
Die Salzburger Festspiele feiern<br />
2020 ihr 100-jähriges Bestehen unter<br />
anderem mit der Sopranistin<br />
Anna Netrebko als „Tosca“. Außerdem<br />
werde mit „Zdenek Adamec“<br />
ein neues Stück von Literaturnobelpreisträger<br />
Peter Handke uraufgeführt,<br />
teilte Schauspielchefin<br />
Bettina Hering am Mittwoch in<br />
Salzburg mit. Darin geht um den<br />
jungen Tschechen Zdenek Adamec,<br />
der sich 2003 aus Protest gegen<br />
die gesellschaftlichen Verhältnisse<br />
auf dem Prager Wenzelsplatz<br />
anzündete. Die lang geplante Uraufführung<br />
biete eine ideale Gelegenheit,<br />
sich mit dem dramatischen<br />
Werk Handkes, der wegen<br />
seiner Haltung im Jugoslawien-<br />
Konflikt zuletzt wieder scharf kritisiert<br />
wurde, auseinanderzusetzen,<br />
meinte Hering. Der Gründungsgedanke<br />
vor 100 Jahren sei<br />
auch ein politischer Gedanke gewesen,<br />
so Intendant Markus Hinterhäuser.<br />
Essei den Festspiel-<br />
Gründern nach dem 1. Weltkrieg<br />
um die Utopie eines anderen Weltentwurfs<br />
gegangen. (dpa)<br />
<strong>Berliner</strong> Ensemble<br />
verschiebt Premiere<br />
Das<strong>Berliner</strong> Ensemble sagt kurzfristig<br />
die Premieredes Stücks „Pussy –<br />
eine Odeandie Männlichkeit“ ab.<br />
Regieteam und Theaterleitung seien<br />
übereingekommen, dass die Premiere„aus<br />
künstlerischen Gründen“<br />
nicht wie geplant an diesem Donnerstag<br />
stattfinden könne,teilte das<br />
Theater am Mittwoch mit. „Das Projekt<br />
wirdauf einen späteren Zeitpunkt<br />
verschoben.“ Angekündigt<br />
war ein „toxischer Trip in digitale<br />
und analoge Männerphantasien“.<br />
Dieniederländische Regisseurin Stephanie<br />
vanBatum hatte unter andereminOnline-Foren<br />
recherchiert.<br />
Siewill etwa Zitate vonFlirtcoaches<br />
und Männerrechtsaktivisten nutzen,<br />
wie sie Deutschlandfunk Kultur gesagt<br />
hatte.Ein neuer Termin steht<br />
noch nicht fest. (dpa)<br />
Neue Direktorin beim<br />
Rundfunk-Sinfonieorchester<br />
DieSpanierin ClaraMarrerowird<br />
neue Orchesterdirektorin des Rundfunk-Sinfonieorchesters<br />
Berlin<br />
(RSB). DieKulturmanagerin werde<br />
am 1. Dezember Nachfolgerin von<br />
Adrian Jones,teilte das RSB am Mittwoch<br />
mit. DieMusikwissenschaftlerinwar<br />
von2005 bis 2012 verantwortlich<br />
für die Konzert- und Tourneeplanung<br />
der Sächsischen Staatskapelle<br />
Dresden. Danach wechselte<br />
sie zur Staatskapelle Berlin unter Daniel<br />
Barenboim, wo sie ebenfalls Orchesterdirektorin<br />
war. (dpa)<br />
Neu bei den Sinfonikern: Die Orchesterdirektorin<br />
Clara Marrero MATTHIAS CREUTZIGER