Zett Magazin Dezember 2019 / Januar 2020
Magazin für Stadtkultur // Schlachthof Bremen DISKUTIEREN STREITEN AUSGRENZEN Warum sollte man mit Rechten reden?
Magazin für Stadtkultur // Schlachthof Bremen
DISKUTIEREN STREITEN AUSGRENZEN
Warum sollte man mit Rechten reden?
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DeZ
JaN
19/20
FIl
Fil on the Hill
GÖTZ WIDMANN
Tohuwabohu-Tour
F ü r S T a D T k u L T u r
STREITEN
DISKuTIEREN
AuSGRENZEN
Warum sollte man
mit Rechten reden?
THeMA Halbzeitwissen Freizeit
Foto: Frank Scheffka
AuS’M
HAuS
VON MelANIe TeSCH
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inhalt
THeMA
Diskutieren Streiten Ausgrenzen
Wenn Nicht-Rechte mit Rechten reden
| Interview: Benjamin Moldenhauer
Talkshows – Wie die AfD sie nutzt
und beeinflusst | Florian Fabozzi
Kein gemeinsamer Nenner | Maria Wokurka
Warum Schweigen nicht neutral ist
|Nicole Moosmüller
Buchvorstellungen zum Thema
| Nele Woehlert und Martin Steinert
HAlBZeIT
Weihnachten –
ein kapitalistisches Konsumfest?
Jede*r mag Geschenke, sind auch eine gute Sache. Besinnlichkeit
hin oder her, meist stehen doch die Geschenke
im Vordergrund, die man sehnsüchtig anguckt, während
man Bockwürstchen mit Kartoffelsalat inhaliert und dann
schnellst möglich das lästige Verpackungspapier los wird.
Die Vorstellung von Heiligabend ist gemütlich, warm mit
der Familie im engen Kreis. In Wirklichkeit nimmt man sich
ab Ostern vor, pünktlich Geschenke zu organisieren, rennt
aber doch am 21.12. noch durch die Geschäfte, streitet sich
mit den Verwandten, isst viel zu viel Süßes und ist froh,
wenn man Heiligabend schon um 22 Uhr alle aus dem Haus
geschoben hat.
Mal ehrlich. Warum verbringen wir nicht Zeit mit anderen
Menschen beim Backen und Teetrinken, statt Geschenke
zu suchen? Wir basteln gemeinsam und machen damit
anderen eine Freude. Verpacken in Zeitungspapier, alten
Plakaten oder in ›des Kaisers neuen Kleidern‹ Nachhaltig,
günstig und stressfrei. Wir sollten Weihnachten neu denken,
gerade wenn Religion in unserem Leben nur eine kleine
Rolle spielt.
Wir wünschen euch und euren Liebsten eine schöne
Weihnachtszeit, alles Gute und Nähe und viel Spaß, wie
auch immer ihr diese verbringen werdet.
umbruch
Der Zeitpunkt kommt, an dem man alles ändern und
Schritte ins Unbekannte wagen muss. Ob es eine Hochzeit
ist, ein Umzug in eine fremde Stadt oder eine Weltreise.
Abenteuer haben ihren Preis. Kathrin de Silva bricht auf,
mit ihrem Mann und zwei gemeinsamen Kindern den
Erdball zu erkunden und den Horizont zu erweitern. Kathrin
war für unsere Finanzen zuständig und Ansprechpartnerin
für Projektförderung. Sie führte den Cappuccino in unseren
Büroalltag ein, war Mitglied im Leitungsteam und Mentorin.
Kathrin kann Leute auf den Boden der Tatsachen zurückbringen
mit Worten, aber auch mit Büro-Yoga. Sie versprühte
im Schlachthof immer gute Laune und verschönerte mit
ihrem Humor den Tag von ihren Kolleg*innen. Wir drücken
unsere ›Chaosqueen‹ zum Abschied! Schade, dass du gehst,
aber welch schöneren Grund könnte es für einen Wandel
geben! Wir werden dich vermissen!
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So nicht!
Von lena Stuckenschmidt
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Kulturelle Kurznachrichten
Das bessere Ich?!? – Living with yourself
Viewer’s corner | Barbara Bocks
Revolution im Kongo
Listener’s corner | Andreas Schnell
FReIZeIT
Dezember
Fil | Moop Mama | carnival of Fear | Jan
Plewka | Wenn ihr die Lösung seid, sind
wir das Problem | Pantéon Rococó |
Geschichten im Turm | Wladimir Kaminer
Januar
Heimweh im Gepäck| Götz Widmann | Käptn
Peng & Die Tentakel von Delphi | Steffen
Möller | Leo & Gutsch| Frittenbude | Tahnee
KUlTURGUT
editorial
FÜR STADTKUlTUR
eiN maGaZiN
MAcHT
STADTKuLTuR
Ich habe lange Zeit gedacht, dass sich die neuen rechten Parteien nicht halten
werden. Oder bei Wahlen an der Fünf-Prozent-Hürde knabbern. Weit gefehlt. Selten
habe ich mich so geirrt, es hätte mir schon damals eine Warnung sein sollen,
dass ein Professor die Büchse der Pandora geöffnet hat, denn da tut man sich mit
dem Schulterschluss doch gleich viel leichter als bei Glatzen und Hooligans.
Der Historiker Paul Nolte von der Freien Universität Berlin hat 2017 über die AfD in
einem Weser-Kurier-Interview gesagt: ›Da gibt es zum einen eine manifest rechtsextreme
Strömung, die bis hin zu faschistischen Tendenzen geht. Zum zweiten gibt es
die, die den verloren gegangenen traditionellen Konservatismus wiederbeleben wollen.
Drittens gibt es eine diffuse Haltung des Protests und der Unzufriedenheit, die
programmatisch gar nicht festgelegt ist, die sich in allen Parteien fi ndet und jetzt
eben AfD wählt.‹ Viel weiter sind wir in der Analyse heute auch nicht und es gibt nach
wie vor eine große Verunsicherung über den richtigen Umgang mit den Rechten.
Deshalb haben wir einem Interview mit Per Leo viel Platz eingeräumt, der mit zwei
Co-Autoren das Buch ›Mit Rechten reden‹ geschrieben hat. Und wir haben in den
Beiräten nachgefragt, wie sich denn das AfD-Personal im Kleinklein der Stadtteilpolitik
bewährt. Dass sich die Medien insgesamt schwer getan haben mit dieser neuen
Klientel, ist auch kein Geheimnis, man wollte sie stellen, indem man sie einbezieht
und zu Sachthemen befragt. Lesen Sie dazu einen Beitrag über Rechte in Talkshows.
Wenn man sich mit dem Thema beschäftigt bekommt man irgendwann das Gefühl,
dass der liberale Kern unserer Gesellschaft doch kleiner ist als bisher angenommen.
Nolte sagt dazu, dass Populismus in vieler Hinsicht auch ein ›kultureller Backlash‹
gegen Liberalisierungsbegehren ist und ›ein Phänomen verletzter Männlichkeit.(…) Insofern
ist der Populismus ein Refl ex auf immer noch nicht verstandene Emanzipationsprozesse.
Er drückt eine tiefe Verunsicherung aus, (…), aber auch um Statusängste:
Gelten in dieser Gesellschaft eigentlich noch die Normen männlichen Verhaltens?‹
Nö, sage ich da an dieser Stelle. Viel Spaß beim Lesen.
Gudrun Goldmann (Chefredakteurin)
Autorinnen
und Autoren
gesucht. Die
Z-Redaktion
versteht sich
als offene
Zeitungs
werkstatt,
Interessierte
bitte
melden
bei :
zett@
schlachthofbremen.
de
Bei dem 7. und 8. ICMA International Creative Media Award wurde
das Z-Magazin für das grafische Konzept und für die Covergestaltung
mit den Awards of Excellence ausgezeichnet.
HeRAUSGeBeR
Visit
Foto: Lixing Zhang
THE
MA
4
Vor zwei Jahren hat der
Schriftsteller Per Leo
mit seinen beiden Ko-
Autoren Daniel-Pascal
Zorn und Maximilian
Steinbeis das Buch
›mit Rechten reden.
Ein Leitfaden‹ veröffentlicht.
Der Band wird
seitdem kontrovers
diskutiert – bedeutet
das Reden mit Rechten
im öffentlichen Raum
nicht automatisch eine
Normalisierung rechter
Positionen? und was
macht man, wenn die
Schwiegermutter beim
Familienessen auf
Flüchtlinge schimpft?
Wir haben nachfragt.
Foto: Lixing Zhang
Wenn
mit
nichtrechte
rechten
reden
Ich möchte mit der Rezeption Ihres Buches beginnen, da
hat es ellenlange Debatten im Netz gegeben, an denen
Sie und Ihre co-Autoren sich ausgiebig beteiligt haben.
Ein häufig erhobener Vorwurf: Sie würden das Reden mit
Rechten als Notwendigkeit verstehen. Ist das so?
Nein. Dass aus unserer Sicht niemand mit Rechten reden
muss, steht sogar ausdrücklich in dem Buch. Was wäre das
auch für eine Forderung, es gibt ja viele gute Gründe, es nicht
zu tun. Uns ging es eher um die Verneinung der negativen
Doktrin, mit ›Nazis‹ dürfe es keinen Diskurs geben. Wer das
verneint, fordert aber noch nicht das Gegenteil, er erweitert
erstmal nur den Bereich des Möglichen.
Die ›Erweiterung des Bereichs des Möglichen‹ wurde dort
nicht als geglückte Erweiterung verstanden, sondern als
Türöffnung: Wer mit Rechten öffentlich spricht, trägt zur
Normalisierung rechten Gedankenguts bei. Auch wenn Sie
das anders sehen werden – sehen Sie die Gefahr?
Natürlich sehe ich diese Gefahr. Die immer wieder monierte
›Normalisierung‹ betrifft zunächst die Ideologie: Deutungsmuster,
Schlüsselbegriffe und Narrative, mit denen rechte
Metapolitik versucht, den Diskurs zu kapern. Das muss man
nicht zulassen, zugleich aber lässt sich eine Partei, die bis zu
einem Viertel der Wähler – und damit auch der Gebührenzahler
– repräsentiert, nicht einfach aus dem öffentlichen Diskurs
ausschließen. Es wird also darauf ankommen, in den unvermeidlichen
Fällen möglichst gut vorbereitet mit Rechten zu
reden. Welche Fälle das sind und worin eine gute Gesprächsführung
besteht, wäre zu diskutieren. Wichtig ist aber, dass
diese Diskussion überhaupt geführt wird, zum Beispiel in den
Redaktionen der Zeitungen, Radio- und Fernsehsender.
Sie empfehlen Gelassenheit in Diskussionen mit Rechten,
sich nicht provozieren lassen, keinen moralischen Ton
anschlagen – weil das genau das ist, was der Gegner
erwartet und will. Das funktioniert in vielen Fällen,
zumindest in Diskussionen im Netz. Auf der Straße ist es
dann wieder etwas anderes. Sehen Sie Beispiele für einen
strategisch effektiven umgang mit der Rechten?
Es freut mich, dass Sie das so sehen, weil es zeigt, dass
unser Buch etwas bewirkt hat. Aber ich glaube nicht, dass man
die Debatte von vornherein auf Fragen der Strategie hätte
reduzieren sollen. Zumindest aus meiner Sicht steht mehr auf
dem Spiel als nur der möglichst effektive Kampf gegen einen
politischen Gegner, nämlich der Zustand unserer Demokratie
insgesamt, und den sehe ich nicht nur von Rechts gefährdet.
Aber die Beschränkung auf strategische Fragen, die für mich
zunehmend wichtig geworden sind, kann zur Versachlichung im
Streit über den Umgang mit AfD und Neuer Rechter führen.
Wer sich dem sogenannten Kampf gegen Rechts verschrieben
hat, der muss sich fragen lassen, ob die eingesetzten Mittel
dem behaupteten Zweck angemessen sind. Konkret: Reicht es
aus, immer wieder nur die eigene ›Haltung‹ zu zeigen? Ist das
mehr als preaching to the converted? Oder vielleicht sogar
manchmal kontraproduktiv, weil sich dieser Expressionismus
erwarten und damit vom Gegner instrumentalisieren lässt?
Ich habe keine Patentlösungen für diesen Kampf, aber es wäre
schon viel gewonnen, wenn solche strategischen Fragen
häufiger ergebnisoffen diskutiert würden.
Fotoquelle: Per Leo
Per Leo, geb. 1972, ist Autor
des Romans ›Flut und Boden‹,
der von der Familie seines
Großvaters Friedrich Leo,
einem früheren SS-Sturmbannführer, handelt.
2017 erschien der gemeinsam mit Daniel-Pascal Zorn und
Maximilian Steinbeis verfasste ›Leitfaden‹ ›mit Rechten
Reden‹ im Klett-cotta Verlag.
Sie empfehlen, nicht auf Polarisierung zu setzen. Aber ist
es nicht besser, wenn die Grenzen zwischen Rechts und
Nicht-Rechts klar, bewusst und reflektiert – also auch:
gut begründet – gezogen sind? und dann sieht man, wie
viele Leute man versammelt bekommt. Wenn man sich
zum Beispiel die #unteilbar-, die Seebrücken- oder
die Fridays-for-Future-Demos anschaut und das mit zum
Beispiel Pegida vergleicht, sind die Mehrheitsverhältnisse
ja eindeutig. Warum also keine Polarisierung?
Reflexion und gute Begründung vertragen sich nicht mit
Polarisierung. Man kann nicht beides haben: einerseits
Differenzierung, andererseits den Antagonismus. Denn Sie
haben ja recht, diese Verhältnisse sind nicht symmetrisch.
Das zeigt sich quantitativ in den Wählerstimmen, es zeigt
sich aber auch qualitativ in der Vielfalt auf Seiten der Nicht-
Rechten. Fragen, die nur noch in der alternativen Form von
Entweder-oder, Pro-oder-contra, wir oder sie, Täter oder
Opfer und so weiter erscheinen, nützen denen, die aus einer
Position der Schwäche angreifen. Aus einer realen 20:80-
Situation wird so ein ›A oder B‹. Allein die Form der Auseinandersetzung
zwingt dazu, sich zu entscheiden, und so
verkleinert sich die Wahl von ›tausend Gründe, nicht rechts
zu sein‹ zu: für oder gegen die Rechten. Das ist eine hochgefährliche
Lage, denn nun reicht ein anti-linker Affekt, ich
weiß, wovon ich rede, und …
Reflexion und gute Begründung
vertragen sich nicht mit Polarisierung.
Man kann nicht beides
haben: einerseits Differenzierung,
andererseits den Antagonismus.
Denn Sie haben ja recht,
diese Verhältnisse sind nicht
symmetrisch.
… und dann passiert was?
Sie befinden sich plötzlich unter Rechten. Und es macht
da gar keinen Unterschied, ob man dabei ›in ihre Arme
getrieben‹ wurde oder aus Trotz lieber zu ihnen hält, als sich
von der anderen Seite zur Zustimmung nötigen zu lassen. Ich
verteidige ich die Asymmetrie eines Diskurses, in dem kein
Zwang zu Bekenntnis, Entscheidung und Selbstfestlegung
besteht.
5
›››
THE
MA
6
Welche Konsequenzen hätte das für die Praxis?
Wir Nicht-Rechten stehen nun vor einer Entscheidung:
Wollen wir das Weltbild der Rechten beglaubigen und ihren
Zusammenhalt stärken, indem wir sie genauso unbedingt als
Gegner behandeln wie sie uns? Oder wollen wir nach einer
Form der Auseinandersetzung suchen, die sie irritiert und
spaltet? Der hart, aber sachlich geführte Streit hat nicht, wie
uns immer wieder unterstellt wurde, das naive Ziel, Rechte
mit dem ›zwanglosen Zwang des besseren Arguments‹ zu
überzeugen. Er stellt vielmehr eine Alternative dar, in der
man im Konflikt Bewegungsfreiheit gewinnt. Anders als der
Existenzkampf, der nur das ›entweder du oder ich‹ kennt,
kann ein Streitgespräch viele Wege gehen.
›››
Wir Nicht-Rechten stehen nun vor
einer Entscheidung: Wollen wir das
Weltbild der Rechten beglaubigen und
ihren Zusammenhalt stärken, indem
wir sie genauso unbedingt als Gegner
behandeln wie sie uns?
Es ist nicht immer klar, wen Sie meinen, wenn Sie von Rechten
sprechen. Gewalt scheint ein Ausschlusskriterium für Gesprächsmöglichkeiten
zu sein: ›Bestünde die Rechte mehrheitlich aus […]
gewaltbereite[n] Neonazis, dann hätten wir kein Problem mit ihnen‹,
heißt es in Ihrem Buch. ›Wir hätten einen Job zu erledigen.‹
Sie sehen da unter anderem Verfassungsschutz, Polizei und Antifa
als zuständige Instanzen.
Unser Begriff der Rechten will keine erschöpfende Definition liefern. Er
ist bewusst schlank angelegt, weil er eine bestimmte Funktion hat, nämlich
die Interaktionsmuster zwischen Rechten und Nicht-Rechten zu beschreiben.
Als ›Rechte‹ gelten in unserem Buch Leute, die Macht- und Geltungsansprüche
erheben, weil sie sich in ihrer Identität als Deutsche von außen
und innen bedroht fühlen. Der Begriff hat also zwei Seiten: zum einen, als
minimale inhaltliche Bestimmung, die bedrohte Identität, zum anderen der
daraus abgeleitete Anspruch, Widerstand gegen die Bedrohung zu leisten
und Macht zur Wiederherstellung der Identität zu erlangen. Rechts in
diesem Sinne ist, wer behauptet, in einen Kampf um die kollektive Existenz
zu stehen. Ein Kampf ist aber eine Form von Beziehung, ohne Gegner gibt
es keinen Kampf.
Der letzte Satz klingt etwas trivial ...
Mag sein, aber er hat gravierende Folgen, und die sind nicht trivial.
Denn es bedeutet, dass der Rechte, um zu sein, was er sein will, die
Nicht-Rechten als Gegner braucht. Und zwar in einem ganz existentiellen
Sinn, so dringend wie der Junkie seinen Stoff braucht. Dass die Rechte nicht
in erster Linie für ein Ziel, sondern um der Macht willen kämpft, das
zeigt sich in der Beliebigkeit ihrer angeblichen Ideale. Herr Höcke will
einen nationalen Sozialismus, Herr Meuthen will den radikalen Abbau des
Sozialstaats. Dass das Ideal im einen Fall eine gruselige Kitsch-Version
germanischen Volkslebens ist, im anderen eine kalte, von bürokratischen
Fesseln befreite Volkswirtschaft, wird verschleiert durch das Phantasma
eines ›Systems‹, das beides verhindern will. Der Gegner wird also nicht nur
gebraucht, um die Selbsterzählung des Existenzkampfs zu beglaubigen,
sondern auch, um die Sammlung heterogener, ja widersprüchlicher Anliegen
zusammenzuhalten. Hat man das begriffen, erscheint die Auseinandersetzung
mit der Rechten in einem anderen Licht.
Welche zum Beispiel?
Man kann in der einen Hinsicht scharf widersprechen, aber
danach in einer anderen Gemeinsamkeiten ausmachen. Oder
man kann ein gemeinsames Problem anerkennen und so den
Dissens auf die Lösungsansätze einschränken. Man kann die
behauptete Sachlichkeit des anderen ernst nehmen und ihn
mit offensichtlichen Irrtümern und Widersprüchen konfrontieren.
Man kann fragen, was aus einer bestimmten Annahme
folgt. Nur so kann man herausfinden, wie weit der andere sich
mit dem rechten Existenzkampf identifiziert. In vielen Fällen
ist nichts zu gewinnen, was immer man sagt, das Gespräch
bleibt ein reiner Machtkampf. Bei anderen dagegen stellt man
fest, dass sich in der Wut und im Bedrohungsgefühl etwas
anderes zeigen will: unerfüllte Bedürfnisse, unausgesprochene
Erfahrungen, offene Fragen, ganz normale Ängste. Wenn es
gut läuft, kann ein solches Gespräch meinem Gegenüber die
Erfahrung vermitteln, dass man ihm heftig widerspricht, ohne
dass er sich er sich deswegen bedroht oder herabgewürdigt
fühlen muss. Ich achte ihn als Person, ich toleriere seine
Meinung, aber ich akzeptiere seinen Geltungsanspruch nicht.
Machen wir die Probe aufs Exempel: Weihnachten, die
Schwiegermutter ist zu Besuch, nach dem zweiten Wein
geht es los, es kämen zu viele Flüchtlinge ins Land, die
Deutschen seien bedroht. Die AfD sei zwar in vielem sehr
extrem, gerade im Osten, im Grunde hätten ihre Vertreter
aber recht, zumal man gewisse Sachen heute ja wirklich
nicht mehr sagen dürfe. Der Schwiegersohn schenkt sich
noch einen einen ein und fängt an zu diskutieren. Wenn
Sie sich etwas wünschen dürften: Wie sähe idealer- und
realistischerweise der Verlauf dieses Gesprächs aus?
Der Schwiegersohn würde antizipieren, welcher Frust die
Familie erwartet, wenn er sich jetzt aufregt. Statt also der
Mutter seines Mannes Vorwürfe zu machen, würde er ihr
Fragen stellen. Geht es wirklich um die Zahl der Flüchtlinge?
Oder geht es um die Angst, Migration nicht kontrollieren zu
können? Wer sind die Deutschen? Gehören die Kinder der
›Gastarbeiter‹ nicht dazu? Sind wir nicht längst ein Einwanderungsland?
Was bedeutet Deutschsein, wenn nicht mehr alle
den gleichen kulturellen und historischen Hintergrund haben?
Um nicht anklagend zu wirken, müsste der Schwiegersohn
anerkennen, dass es auf diese Fragen keine einfachen Antworten
gibt. Erst dann könnte er auch fragen, woher der
Eindruck entsteht, bestimmte Meinungen nicht mehr äußern
zu dürfen. Hat er vielleicht damit zu tun, dass ihnen oft
nicht kritisch, sondern vorwurfsvoll begegnet wird? In das
kontroverse, aber offene Gespräch würde sich am Ende
die Oma einmischen und auf eine Weise vom Krieg erzählen,
die alle überrascht.
Eine ungekürzte Fassung des Interviews finden Sie online unter
www.schlachthof-bremen.de/werkstaetten/zeitung
7
FLoriaN FaBoZZi
TALKSHOWS – Wie Die aFD
sie NutZt uND BeeiNFlusst
Die afD hat sich als politische kraft in Deutschland
etabliert, ist im Bundesparlament und
inzwischen in allen Landesparlamenten vertreten.
auf sachliche, fundierte Diskussionen
lassen ihre Politiker sich jedoch selten ein.
insbesondere Talkshows werden dafür kritisiert,
dass sie der afD zu viel aufmerksamkeit
schenken.
›Der Tag wird kommen, an dem wir die Befürworter der Willkommenskultur
zur Rechenschaft ziehen‹, so lautete, in verkürzter Form, ein Tweet des
AfD-Politikers Uwe Junge aus dem Jahr 2017. Ist es sinnvoll, Menschen, die
ihre politischen Widersacher*innen unterschwellig bedrohen, in Debatten
zum Zwecke öffentlicher Meinungsbildung einzubeziehen? Ja, wenn es
nach Moderator Frank Plasberg geht. Der lud Junge am 1. Juli in seinen
ARD-Talk ›hart aber fair‹ ein. Neben Uwe Junge mischten mit Herbert
Reul von der CDU und Irene Mihalic von den Grünen zwei weitere
Parteipolitiker*innen mit. Die kamen jedoch verglichen mit Junge, der
insgesamt knapp 15 Minuten redete, nur selten zu Wort.
Junge nutzte die Zeit intensiv, den bürgerlichen Charakter der AfD zu
betonen. Plasberg bemühte sich dagegen nur zaghaft, eine Verbindung
zwischen der AfD und rechter Gewalt herzustellen. Verweise auf den
Linksextremismus und das Begeben in die Opferrolle, also typische
AfD-Strategien, ließ er Junge allzu oft durchgehen, um ihm am Ende fast
entschuldigend mitzuteilen, dass er hoffe, er habe sich nicht ›wie in
einem Tribunal gefühlt‹.
Zurecht werden Talkshows wie diese wegen ihres Umgangs mit
rechten Politiker*innen zur Zielscheibe öffentlicher Kritik. Bemängelt
wird häufig die konfliktscheue Moderation. Liegt das Problem aber
nicht schon in der bloßen Teilnahme von Antidemokraten in einem auf
demokratischem Konsens fußenden Format? ›Die Bereitschaft der
Demokraten zum Dialog verwenden Populisten als Waffe‹, meint der
israelische Diplomat Shimon Stein. Sie sei ein Köder für die Populisten,
um die Grundwerte der Demokratie nach eigener Vorstellung
umzudeuten.
Der Wille der liberalen Politiker, die AfD argumentativ zu überführen, werde
torpediert, sagt der ehemalige Spiegel-Journalist Manfred Ertel, da die
AfD ›gar keinen Diskurs will‹. In Talkshows könnten sie nur gewinnen: Entweder,
sie bringen ihre Botschaft widerspruchslos unters Volk, oder sie
inszenieren sich als Opfer der ›Systemmedien‹. Inwieweit Zuschauer*innen
von Talkshows bereit sind, sich auf eine neue Sichtweise einzulassen, ist
zumindest fraglich, viele von ihnen suchen oft nur eine Bestätigung der
eigenen Haltung.
Vielleicht ist aber das Medium ›Talkshow‹ in der Hinsicht auch überbewertet.
Heute erhalten die meisten Menschen ihre politische ›Bildung‹
in sozialen Medien und dort meist nur durch Akteur*innen, die dem
eigenen politischen Bild entsprechen. Würden sich die Verantwortlichen
der Talkshows dazu entschließen, dauerhaft AfD-Politiker*innen außen
vor zu lassen, könnte das bei politisch unentschlossenen Bürger*innen
eine Trotzhaltung oder gar Solidarität mit der AfD auslösen und Verschwörungstheorien
wie die der ›Systemmedien‹ würden gestärkt
werden.
Die Einladung Junges in Plasbergs Sendung rechtfertigte Intendant
Tom Buhrow übrigens damit, dass man jene, die man für rechte Gewalt
indirekt verantwortlich macht, ja nicht übergehen dürfe. Gut, doch
dann muss man mit ihnen auch hart ins Gericht gehen.
Die AfD ist in Talkshows aber auch dann präsent, wenn sie nicht
präsent ist. Es wirkt manchmal so, als gebe die AfD vor, wie gewisse
Themen zu diskutieren seien. Diskussionsfragen wie ›Sind wir zu
tolerant gegenüber dem Islam?‹ und ›Können kriminelle Flüchtlinge
integriert werden?‹ sind suggestiv und spalten die Gesellschaft in
›wir‹ und ›ihr‹. Nebenbei haben AfD-Kampfbegriffe wie ›Asylmissbrauch‹
längst Einzug in Talkshows gehalten. Sicher steckt Kalkül
dahinter: Je reißerischer und überspitzter die Fragen, desto besser
die Quote. Krisenszenarien locken Menschen vor den Bildschirm,
wo man ihnen komplexe Themen in einfachen mundgerechten
Häppchen serviert. Doch auch die Moderator*innen müssen sich
hinterfragen: Zu selten gelingt es ihnen, ihre (AfD-)Gäste mit
deren Widersprüchen zu konfrontieren.
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Maria Wokurka
Kein gemeinsamer Nenner
Im Gröpelinger Beirat hat die SPD mit sieben Mitgliedern eine Mehrheit, die CDU folgt mit
vier, Grüne und Linke haben jeweils zwei Vertreter*innen. Nach der letzten Bürgerschaftswahl
bekam auch die AfD einen Platz, genau wie die FDP. Es sind also von rechts bis links alle
Parteien vertreten in diesem Stadtteil-Parlament. Während sich die AfD im Wahlkampf gern
volksnah, offen und verhandlungsbereit gibt, kommen in der Praxis die anderen Parteien
mit ihr nicht auf einen Nenner. Beiratsmitglieder erklären, warum die Zusammenarbeit für sie
so schwierig ist.
Nicht nur glückliche Ereignisse wie die Wiedervereinigung von Ost- und
Westdeutschland prägen den 9. November. In der Reichspogromnacht
eskalierte vor 81 Jahren auch in Bremen die Gewalt: Fünf Menschen wurden
in jener Nacht ermordet, die Synagoge in Brand gesteckt, mehr als 30
jüdische Geschäfte zugrunde gerichtet, der jüdische Friedhof geschändet
und am folgenden Tag über 150 jüdische Männer deportiert.
Der Gröpelinger Beirat rief auch in diesem Jahr zur Mahnwache auf:
Es trafen sich Nachbarschaften an den 30 Gröpelinger Stolpersteinen, um
der Opfer zu gedenken. Bereits am Freitag zuvor erinnern Beiratsvertreter
an die ehemaligen Bewohner des jüdischen Altenheims in Gröpelingen,
die damals von der SA und SS auf die Straße getrieben, misshandelt und
verschleppt wurden. Unter den Rednern sind auch Barbara Wulff, SPD-
Mitglied und Beiratssprecherin in Gröpelingen, sowie Raimund Gaebelein,
Parteimitglied der Linken sowie stellvertretender Beiratssprecher und
Vorsitzender des VVN-Landesverbands. Hier ließe sich die AfD nicht blicken,
sagt Wulff.
Eine Zusammenarbeit im Beirat sei ohnehin schwierig und Themen
für einen gemeinsamen Nenner gäbe es nicht viele: ›Bei rein kommunalpolitischen
Themen, wie Verkehr und baulichen Maßnahmen, gibt es meist
keinen Streit und stattdessen oft einstimmige Entscheidungen.‹ Wulff
bemängelt aber, dass oft vergessen wird, worum es im Beirat geht: ›Wir sind
ein Stadtteil und kämpfen gegen Rassismus. Hier sehe ich mit der AfD keine
Zusammenarbeit. Viele politischen ortsbezogenen Themen werden von der
AfD nicht ernst genommen. Die eigentlichen Themen kommen zu kurz, wenn
beispielsweise im geplanten AfD-Büro im Walle erstmal darüber diskutiert
wird, ob sich die Beteiligten denn nun vollends neutral gegenüber der
AfD verhalten und mit Klagen seitens der AfD gedroht oder diese sogar
ausgeführt werden, weil eine andere Partei kleine Protestschilder auf den
Tischen bei der Beiratssitzung verteilte‹, erklärt sie und fügt hinzu, ein
Aufeinanderzugehen sei wichtig, aber mit der AfD versuche sie es nicht:
›Hier stößt man sofort an Grenzen, die unüberwindbar sind.‹
Foto: Marion Bonk
Gröpelingen
erinnert an die
Reichspogromnacht
vor 81Jahren.
Seit dem Wahlergebnis Ende Mai hat sich die Situation in Gröpelingen
bereits verändert. Ein AfD-Mitglied ist ausgetreten, das andere,
inzwischen parteilos, ist noch im Beirat, jedoch nicht stimmberechtigt.
Einen Nachrückkandidaten gab es, allerdings ist der wohl nicht
mehr für den Beirat in Gröpelingen abkömmlich. Den Eindruck, dass
die Probleme auf Ortsebene nicht ernstgenommen werden, hat
auch Gaebelein: ›Es gibt leider auch im Beirat Gröpelingen bei einigen
Beiratsmitgliedern die Vorstellung, es gehe doch nur um nachbarschaftliche
Belange.‹
Er findet es wichtig, dass ein Zusammenleben stattfinden kann,
jedoch sei Gleichheit nicht verhandelbar: ›Faschistischen Auffassungen
dürfen keine Entfaltungsmöglichkeiten zugestanden werden.
Alle, ausdrücklich alle, die hier leben, sind gleich. Gerade bei der
Bewilligung von Projektmitteln zum Zusammenleben, bei Gedenken an
die Opfer faschistischer Gewalt gilt es, den Anstand deutlich werden
zu lassen und keinerlei Wertigkeiten und Aufspaltungen zuzulassen‹,
betont Gaebelein.
Beiratsmitglied Dr. Lutz Liffers von den Grünen spricht bei einem
gemeinsamen Verständnis und Übereinstimmungen mit der AfD von
›Fehlanzeige‹. Es möge sein, dass AfD-Beiratsmitglieder mitunter
Anträge sowie Initiativen unterstützen und auch, dass manche der
AfD-Beiratsmitglieder nicht alle Meinungen der Parteifunktionäre teilen,
merkt Liffers an. Dennoch trete die Partei unter einem Label auf, das
allem widerspricht, wofür Liffers politisch und persönlich steht: ›Die
AfD konstruiert ein Wir, das auf Ausschluss beruht. Dieses Wir will die
AfD gar nicht definieren, aber wer nicht zu diesem Wir gehört, definiert
die AfD ganz klar: Muslime, Geflüchtete, EuropäerInnen aus Südosteuropa.
Genau das sind aber die familiären Wurzeln der meisten
GröpelingerInnen. Wer im Beirat mit dieser Haltung für ein imaginäres
Wir Lokalpolitik macht, setzt auf Ausgrenzung.‹ Das sei besonders
deshalb ein großes Problem, weil in Gröpelingen fast die Hälfte aller
Bürger im wahlberechtigten Alter aufgrund ihres Status kein Wahlrecht
habe, ergänzt Liffers und betont: ›Als Beiratsmitglied muss und will ich
nicht neutral agieren. Ich bin gewählt worden, von GröpelingerInnen,
die, wie ich, die Vision eines Stadtteils haben, in dem alle zu ihrem
Recht kommen. Kann man das neutral erreichen?‹
Foto: Kultur Vor Ort e. V.
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Nicole Moosmüller
Foto: Lixing Zhang
Warum Schweigen
nicht neutral ist
Beginnend mit der Hamburger Fraktion starteten zahlreiche Landesverbände der AfD seit dem
vergangenen Jahr umfassende Kampagnen für ›Neutrale Schulen‹. Auf vielfältiges mediales
Echo stieß in diesem Zusammenhang insbesondere das Einrichten von Online-Meldeportalen,
auf denen sich kritisch äußernde Lehrer*innen an den Pranger gestellt werden und – so der
Wunsch der AfD – in einem weiteren Schritt der Schulbehörde gemeldet werden sollen, damit
›ggfs. disziplinarische oder arbeitsrechtliche Maßnahmen‹ ergriffen werden könnten.
Die Legitimation für ihr Vorgehen leitet die Partei dabei aus dem sogenannten
›Überwältigungsverbot‹ ab, welches bereits 1976 neben der ›Kontroversität‹
sowie der ›Schüler*innenorientierung‹ als zentrales Prinzip
politischer Bildung formuliert wurde. Gemeint ist damit ein Indoktrinationsverbot,
ein Gebot, politisch Kontroverses auch kontrovers darzustellen
sowie Schülerinnen und Schüler dazu zu befähigen, ein eigenständiges
Urteil über politische Themen zu gewinnen.
Die Mehrheit der politischen Bildner*innen sieht – laut einem Bericht
des Deutschen Instituts für Menschenrechte – ebendies gerade nicht als
Widerspruch zu einer begründeten politischen Positionierung im Rahmen
der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Vielmehr könne eine
transparente und zugleich für andere Ansichten offene Positionierung
Schüler*innen bei der eigenen politischen Meinungsbildung unterstützen.
Ferner sei auch aus dem Kontroversitätsgebot keineswegs eine gleichberechtigte
Anerkennung von antidemokratischen Stimmen, die im
Widerspruch zu zentralen Artikeln des Grundgesetzes stünden, abzuleiten.
So widersprechen etwa auch die GPJE (Gesellschaft für Politikdidaktik
und politische Jugend- und Erwachsenenbildung) und die DVPB
(Deutsche Vereinigung für Politische Bildung) in einer gemeinsamen
Stellungnahme dem Neutralitätsgebot politischer Bildung und fordern
eine klare Positionierung gegen menschenverachtende Aussagen der
AfD, die sich, wie zum Beispiel die Forderung nach dem Einsatz von
Schusswaffen gegen Geflüchtete, eindeutig nicht mehr auf dem Boden
der freiheitlich-demokratischen Grundordnung bewegen.
Während in zahlreichen Publikationen und Schulungen von Organisationen
wie der Amadeo Antonio Stiftung oder dem Informations- und
Dokumentationszentrum für Antirassismusarbeit (IDA e.V.) Argumentationshilfen
und -strategien ›gegen Rechts‹ angeregt werden, bezweifelt
etwa der Soziologe Lasse von Bargen, dass dem harten rechtspopulistischen
Kern ausschließlich argumentativ begegnet werden könne. So
bestehe eine zentrale Strategie der Rechten in einer Rhetorik, die die
›Ängste und Sorgen der Bürger*innen‹ – etwa vor Statusverlust und
Verdrängung auf dem Arbeitsmarkt – aktiviert. Ein Anknüpfungspunkt
politischer Bildung könnte hier etwa in der Aktivierung sogenannter
Gegenaffekte bestehen: Anstatt den Verfall des bundesdeutschen
›Wir‹ und den Verlust der ›Heimat‹ zu beschwören, gelte es, die
konkreten Gefahren rechtspopulistischer Regierungspraxis ebenso wie die
inneren Widersprüche rechtspopulistischer Argumentationen aufzuzeigen.
Eine weitere Möglichkeit könne darin bestehen, das Augenmerk auf
Möglichkeiten zu setzen, in denen sich die Teilnehmenden wirksam als
kompetente Akteur*innen und mündige Bürger*innen wahrnehmen, um
auf diese Weise das Gefühl politischer Ohnmacht zu lindern.
Zentral für eine verantwortungsbewusste politische Bildung ist jedoch
auch die Einsicht, dass Nationalismus, Antifeminismus, Antisemitismus
sowie Rassismus eben nicht nur von AfD, Pegida, den ›abgeschlagenen
Ostdeutschen‹ und weiteren Akteur*innen aus dem Kreis der üblichen
Verdächtigen befeuert werden. Mithin zeigt etwa auch die alle zwei
Jahre herausgegebene Mitte-Studie, dass sich ebensolche ›feindseligen
Zustände‹ auch im Denken und Handeln der sogenannten liberaldemokratischen
Mitte widerspiegeln.
Das Schnüren diverser Migrationspakete und das Jubilieren über die
Abschiebezahlen am Geburtstag des selbsternannten Heimatministers
sowie die Koalitionsflirts des rechten Flügels der CDU mit der AfD
sind hier zu nennen. Vor diesem Hintergrund plädieren etwa auch die
Rassismusforscher*innen Maria Do Mar Castro Varela und Paul
Mecheril dafür, dass politische Bildung eben nicht nur grundrechtverletzende
Verfehlungen rechter Kader in den Blick nehmen sollte.
Vielmehr sei es von zentraler Bedeutung, auch die gewöhnlichen
gesellschaftlichen Verhältnisse auf ihre Rolle für die Verfestigung
extremer Positionen zu befragen. Die wenigsten der Neuen Rechten
dürften schließlich in den unlängst mit viel medialer Aufmerksamkeit
bedachten ›Nazidörfen‹ aufgewachsen und ausschließlich in
rechten Gaming-Blasen sozialisiert worden sein.
Vor diesem Hintergrund stellt Selbstreflexion im Sinne der
Befragung des eigenen Denkens und Handelns einen wesentlichen
Baustein einer Bildung dar, die sich nicht nur über die Rechten
echauffiert, sondern das mit der Unterzeichnung menschenrechtlicher
Verträge getätigte Versprechen ernst nimmt und Menschenrechtsbildung
als Befähigung zum Wahrnehmen der eigenen
Rechte ebenso wie zum Eintreten für die Rechte anderer
betrachtet.
THE
MA
10
Nele WOEHLERT
›Volkes Stimme?
Buchvorstellung ›Volkes Stimme? –
Zur Sprache des Rechtspopulismus‹
Die AfD hält Einzug in mehr und mehr Gremien.
Rechtspopulist*innen werden europaweit
immer lauter. Scheinbar einfache Lösungen für
komplexe Fragestellungen sowie die Instrumentalisierung
von schrecklichen Ereignissen
überzeugen immer mehr Menschen. Vor diesem
Hintergrund haben Prof. Dr. Thomas Niehr und
Dr. Jana Reissen-Kosch das Phänomen und
die Sprache des Rechtspopulismus untersucht.
In ihrem Buch ›Volkes Stimme?‹ (2018) werden
die Muster und Prinzipien des Sprachgebrauchs
rechtspopulistischer Reden beschrieben und
analysiert. Es hat zum Ziel, für einen angemessenen
Umgang und Sprachgebrauch sowie für logische Argumentationen
zu sensibilisieren. Es gibt Werkzeuge an die Hand, um Manipulationen und
fehlerhafte Argumentationen zu enttarnen.
Dabei ist das Buch, trotz wissenschaftlicher Fundierung, in einfach
verständlicher Sprache gehalten. Zu Beginn wird der schwammige Begriff
Populismus thematisiert. Anschließend wird ausführlich auf einzelne
Prinzipien des Sprachgebrauchs, aber auch auf Verhaltensweisen
von Rechtspopulist*innen eingegangen. In diesem
Zuge werden auch Feindbilder herausgearbeitet — beispielsweise
die Medien als ›Lügenpresse‹ oder ›Die Fremden, im
Sinne einer konstruierten Bedrohung‹. Diese Feindbilder seien
eng verknüpft mit ›Angst vor Verdrängung auf unterschiedlichen
Ebenen‹. Es wird beschrieben, wie durch die Verwendung
von Fachbegriffen Objektivität und Wissenschaftlichkeit vorgetäuscht
werde und so der Eindruck einer ›Scheinwahrheit‹
erzeugt werden könne. Dabei würden einfache Lösungen
für komplexe Probleme gesucht und ›einfach‹ gerne mit ›gut‹
gleichgesetzt, was insbesondere im politischen Bereich zu
Problemen führe.
Um zu beschreiben, wie man ein Problem lösungsorientiert
bearbeitet, wird ein Katalog aus sieben Schritten herangezogen.
Diese leicht auf den Alltag zu beziehenden Möglichkeiten,
welche einem durch Niehr und Reissen-Kosch im Verlauf des
Textes immer wieder geboten werden, machen das Buch so
nützlich und kurzweilig.
Ausgewählte Prinzipien rechtspopulistischer Rhetorik
1. Das Prinzip der Schwarz-Weiß-Malerei 2. Das Prinzip der Komplexitätsreduktion 3. Das Prinzip,
›kein Blatt vor den Mund zu nehmen‹ 4. Das Prinzip der Abwertung von politischen Gegner*innen
5. Das Prinzip der Froschperspektivierung 6. Das Prinzip der Suggestion, die sprechende Person sei
das ›Sprachrohr des Volkes‹ 7. Das Prinzip der Dramatisierung und Emotionalisierung 8. Das Prinzip
der Wiederholung 9. Das Prinzip der kalkulierten Ambivalenz 10. Das Prinzip der Erlösungsverheißung
Vgl. Martin Reisigl: Rechtspopulistische und faschistische Rhetorik: ein Vergleich (2012)
Noch mehr Buchtipps
Robert Feustel / Nancy Grochol / Tobias
Prüwer/Franziska Reif (Hg.): Wörterbuch des
besorgten Bürgers. 176 Seiten. Ventil Verlag
2018 (2. Aufl.).
Eine sehr klärende Einführung in das Vokabular der
Rechten, die dauerhaft aufgebracht durchs Netz randalieren
und sich von Fremden und Gender-Sternchen
bedroht wähnen. Das Leipziger Autor*innen-Kollektiv,
das das ›Wörterbuch des besorgten Bürgers‹ geschrieben
hat, erläutert auf 154 Seiten mehr als 100
Begriffe, in denen sich die Ideologie und Rhetorik der
Neuen Rechten gleichsam kristallisiert hat – von
›Abschiebeverhinderungsindustrie‹ über ›großer Austausch‹
bis ›Zigeunerschnitzel‹. Durch die Auseinandersetzung
mit dem Sprachgebrauch wird Nicht-Rechten
das aktuell gängige ressentimentgeladene
Denken aufgeschlüsselt. Und: Das Wörterbuch zeigt,
an welchen Punkten das extrem rechte Denken immer
mehr in den Bereich Eingang gefunden hat, den viele
gerne als ›Mitte‹ bezeichnen (Stand Februar 2018).
Heinrich Detering: Was heißt hier ›wir‹?.
Zur Rhetorik der parlamentarischen Rechten.
60 Seiten. Reclam Verlag 2019 (2. Auflage).
Die beste knappe Einführung in die parlamentarische
Rhetorik der AfD. Als Faden zieht sich die Auseinandersetzung
mit dem Gebrauch des Wortes ›Wir‹ durch den
Text. An dem ›Wir‹ entscheidet sich tatsächlich einiges:
Wer gehört dazu, wer nicht? Alexander Gauland hat,
vielleicht versehentlich, ausgeplaudert, dass das kollektive,
natürliche Gemeinschaft suggerierende ›Wir‹ vor
allem eine Chiffre für eher dumpfe und angstvolle
Wünsche ist: ›Das Selbstbestimmungsrecht eines Volkes
umfasst natürlich auch das Recht zu bestimmen,
mit wem ich zusammenleben will und wen ich in meine
Gemeinschaft aufnehme‹, meinte der AfD-Fraktionsvorsitzender.
›Es gibt keine Pflicht zur Vielfalt und
Buntheit.‹ Es gibt auch kein ›Wir‹, auf dass sich der
Populist berufen könnte; Gaulands abrupter Wechsel
vom Plural in den Singular deutet es an. Denn die
Vielfalt ist nun mal Fakt, und die Homogenität, die
müsste gewaltsam hergestellt werden.
MARTIN STEINERT
Daniel-Pascal Zorn: Logik für Demokraten.
Eine Anleitung. 314 Seiten. Klett-Cotta Verlag
2019 (3. Auflage).
Eine Übung in philosophisch fundierter Gelassenheit.
Daniel-Pascal Zorn, einer der Autoren, die das Buch
›mit Rechten Reden‹ geschrieben haben, analysiert
Logik und Rhetorik von Populisten. Und entwirft auf
dieser Basis eine Logik für Demokraten. Übertragen
auf die Praxis: Man fordert vom Gegenüber, mit dem
man spricht, immer (und unermüdlich) Begründungen
ein, egal wie irrwitzig dessen Rede auch sein mag.
Und man bestimmt die Fehlschlüsse in Diskussionen
– nicht unbedingt, um den Populisten zu überzeugen,
sondern die stillen Mithörer*innen und -leser*innen.
›Der grundlegende Fehlschluss ist die Selbstautorisierung‹,
sagt Zorn. Besser: ›Du kannst auch versuchen,
logisch konsistent zu denken und mit dir selbst übereinzustimmen.
Und darin eine Form von Frieden
finden.‹
11
halbzeitwissen
FÜR STADTKUlTUR
FIlM:ART 86: The Personal is Political
Der Slogan der Frauenbewegung, dass sich in der persönlichen
Erfahrung größere soziale und politische Zusammenhänge
offenbaren, hat seit seiner Formulierung 1969 nicht an
Relevanz verloren. Ausgehend von Einzelfällen, von Zeitungsnotizen,
von Briefen inszenieren die Filme dieses Kurzfi lm-
Programms auf künstlerische Weise die aktuellen Macht- und
Geschlechterverhältnisse. Mit Filmen von Nina Yuen, Alex
Gerbauleit, Julika Rudelius, Deborah Stratman, Sabine Marte
und Emma Wolukau-Wanambwa. City 46 am 11. Dezember,
20 Uhr, im Rahmen der Ausstellung ›Andrea Bowers. Light
and Gravity‹.
DIe TReUHAND.Idee – Praxis – erfahrung
Die Treuhandanstalt war eine der umstrittensten Organisationen
in der deutschen Geschichte. Sie führte einen
Vermögensumbau von bisher unbekanntem Ausmaß durch.
Zwischen kollabierendem Realsozialismus und sich globalisierendem
Kapitalismus überführte ihr Personal die ›volkseigenen‹
Betriebe der DDR in die Marktwirtschaft. Marcus Böick
untersucht in seinem Buch den widersprüchlichen Auftrag
des Wirtschaftsumbaus nach 1990 und stellt seine Erkenntnisse
zur Diskussion. DGB-Haus, Di, 10. Dezember, 19 Uhr
MUSIC CAMP FOR KIDS
Workshops für 11 bis 13-Jährige
Du fi ndest Musik cool und du würdest gerne einmal selbst in
einer Band spielen? Du hast Lust Gitarre, Schlagzeug, Bass
und Gesang auszuprobieren oder willst noch mehr dazulernen?
Du bist zwischen 11 und 13 Jahre alt, ganz egal ob
solo oder in einer Band, mit oder ohne Vorerfahrung: Melde
dich an und starte mit viel Musik und Spaß ins neue Jahr!
Vom 2. bis 6. Januar im Kulturzentrum Schlachthof, die
Teilnahme ist kostenlos, für Verpfl egung ist gesorgt.
Anmeldung und Fragen an pop2go@schlachthof-bremen.de
oder unter 0421-37775-14.
eIN VIeRTelJAHRHUNDeRT RAMeNOeS
Unser Autor Andreas Schnell spielt seit 25 Jahren in einer
Band, die sich mit Würde und Anmut durch das Repertoire
einer der besten und ästhetisch konsequentesten Punkbands
aller Zeiten spielt. Der Bandname deutet es an, die Ramenoes
zollen den Ramones Tribut. Am 7. Dezember wird in der
Friese Jubiläum gefeiert. Mit dabei: die ähnlich beharrlichen
Cool Jerks.
DAS KOlONIAlMUSeUM
Im Jahre 1940 eröffnete Ludwig Roselius (Kaffee HAG) das
Lüderitz-Museum in der Böttcherstraße. Der namengebende
Adolf Lüderitz galt als Begründer des ›Schutzgebiets‹ Deutsch-
Südwestafrika. Nach dem Zweiten Weltkrieg gelangte der
Bestand an völker- und naturkundlichen Objekten in die
Sammlungen des Übersee-Museums. Bettina von Briskorn ist
den Spuren der Geschichte dieser Einrichtung sowie der
Herkunft ihrer Objekte gefolgt. Überseemuseum
21. Januar 2020, 19 Uhr, Eintritt 4,–/erm. 3,– Euro
Foto: Lixing Zhang
12
halbzeitwissen
FÜR STADTKUlTUR
Barbara Bocks
Das bessere Ich?!? – Living with yourself
VIEWER’S
cORNER
Es könnte kaum schlechter laufen für Miles. Er ist
ein frustrierter Mitarbeiter einer Werbeagentur ohne
Schwung und ideen und wohnt in einer typisch
amerikanischen Vorstadtsiedlung. Seine Ehe und die
Familienplanung laufen auch eher frustrierend:
Stagnation in allen Lebensbereichen. So beginnt die
Serie ›Living with yourself‹, die Netflix seit oktober
im Programm hat. im Gespräch mit einem kollegen
bekommt Miles dann den rettenden Tipp für eine
Spa-Behandlung der besonderen art. Er fährt in ein
heruntergekommenes industriegebiet, um sich dort
für 50.000 Dollar, die er eigentlich gar nicht übrig hat,
behandeln zu lassen.
Die Betreiber klonen die Besucher und übertragen
alle Erinnerungen auf eine neue Version mit optimierter
DNa. Die sterblichen Hüllen der klienten verscharren
sie danach normalerweise in einem Waldstück
in der Nähe; normalerweise und natürlich nicht so bei
Miles. Sein ursprungs-ich kann sich aus dem Grab im
Wald befreien. Es gibt ihn jetzt also in zwei Varianten:
original-Miles, der in einem Diner Cola und einen
Burger bestellt und sein update, das wohl als erster
Besucher dort grünen Tee und einen obstteller essen
möchte. Hätte es Chia-Pudding gegeben, hätte er den
wohl auch genommen.
›Living with yourself‹ ist eine art schwarze Science-
Fiction-Tragikomödie, die die Geschichte von Miles,
seiner Frau kate und seinem klon mit vielen rückblenden
spannend erzählt. Es gibt ja wirklich schon Serien
über alle möglichen Typen: Lehrer, die zu Crystal-Meth-
Dealern werden, die Queen, Zombies und so weiter.
klone gibt es auch schon in der einen oder anderen
Serie. aber wie jemand Stinknormales sich mit seinem
perfektionierten klon herumärgern muss, ist hier mal
lustig, mal tragisch dargestellt, da beide den jeweils
anderen kopieren, wenn sie nicht weiter wissen.
Wer träumt nicht davon, die eine oder andere mentale
oder körperliche unperfektheit mal eben auf knopfdruck
verschwinden zu lassen, ganz ohne arbeit und
nicht erst mit einem speziellen Filter oder langwierigen
Yoga- und Fasten-kuren. Dem perfekten ich jeden Tag
auf der Straße zu begegnen, stelle ich mir dennoch im
ersten Moment gruselig und dann vor allem nervig vor.
Da geht es mir wie Miles.
Das Treffen im Diner ist allerdings nur der anfang
der Geschichte. Denn beide teilen ja alle Erinnerungen
und rangeln ab diesem Zeitpunkt um Miles‘ Leben.
Seinen Job gibt original-Miles noch sehr gerne an seine
verbesserte Version ab, kate allerdings nicht. also
kommt es, wie es kommen muss: Da die Ehe seit Längerem
an einem seidenen Faden hängt, beginnt kate
eine affäre mit Super-Miles. Sie langweilt sich allerdings
bereits nach dem ersten Tag, oder besser gesagt
der ersten Nacht, zu Tode und ist ansonsten völlig
überfordert von den vielen ideen und der ständig
fabelhaften Laune ihres Gegenübers.
im weiteren Verlauf der Geschichte tauchen noch
viele schräge Situationen auf, wie zum Beispiel das tote
Edel-Schwein, das irgendwann in der Garage hängt, und
das Miles aus Versehen anfährt und es fast nicht von
der Windschutzscheibe ziehen kann. Eine japanische
Methode, wie man weibliche und männliche küken
unterscheidet, spielt später auch noch eine rolle. Großartig
ist auch, wie Miles einmal für eine Nacht bei der
FDa, der uS-amerikanischen Behörde für Lebensmittelund
arzneimittelsicherheit, landet, weil er seinen klon
melden wollte. Dort streikt jedoch der Lügendetektor
und die Beamten wissen weder, wo sie die Ersatzteile
herbekommen, noch ob Miles original oder kopie ist.
am Ende der Staffel haben sich Miles, sein klon und
kate nach einem echten Showdown dann doch alle
wieder lieb und es gibt noch eine fette überraschung.
13
Andreas Schnell
Revolution im Kongo
in kinshasa, der Hauptstadt der Demokratischen
republik kongo, regeln große roboter, die ein bisschen
wie Menschen aussehen, den Straßenverkehr. im
afrikamuseum in Tervuren bei Brüssel steht so ein
roboter umgeben von einem Foto-Panorama, das uns
eine Straßenkreuzung aus seiner Warte zeigt. Ein
knappes halbes Dutzend von ihnen soll heute auf
kinshasas kreuzungen seinen Dienst versehen. in
jenem Museum vor den Toren Brüssels steht der
mechanische Verkehrspolizist für den dort unlängst
vollzogenen, längst überfälligen Perspektivwechsel, hin
zu einer kritischen, zumindest partiell afrikanischen
Sicht.
Die multikulturelle europäische Metropole ist gewiss
nicht zufällig der Geburtsort der a-cappella-Formation
Zap Mama und des Plattenlabels Crammed Discs, das
gerade auf ziemlich hinreißende Weise demonstriert,
was die Welt von kinshasa neben der Verkehrsführung
noch lernen kann. Dass beinahe zeitgleich die Band
Bantou Mentale ihren Entwurf einer zeitgenössischen
kongolesischen Pop-avantgarde vorlegt und das Label
Soul Jazz records auf zwei LPs unter dem Titel ›Congo
revolution‹ Musik aus den beiden kongos von 1955
bis 1962 zusammenfasst, bietet eine hervorragende
Gelegenheit, den kulturellen reichtum des Landes, das
wir ansonsten aus den Nachrichten eher im Zusammenhang
mit allerlei krisen kennen, immerhin zu erahnen.
Die revolution, von der die Zusammenstellung von
Soul Jazz kündet, war eine politische, aber auch eine
ästhetische: Was via transatlantischem Feedback aus
kuba vor allem über kinshasa nach afrika kam und
dort von Bands wie o.k. Jazz, african Jazz und anderen
weiterentwickelt wurde, machte in fast ganz afrika
Furore. im afrika-Hype der vergangenen Jahre spielte
das eigenartigerweise kaum eine rolle. Fela kuti,
Manu Dibango und selbst Mulatu astatke sind da aus
LISTENER’S
cORNER
verschiedenen Gründen leichter zu verkaufen. ›Congo
revolution‹ ist deshalb mehr als eine prima Einstiegsdroge.
Crammed Discs fügen dem Blick auf die kongolesische
Musikgeschichte mit drei Veröffentlichungen
essenzielle Facetten bei: Zap Mama waren mit ihrem
Debüt 1991 eines der Zugpferde des Labels und führten
schon damals vor, wie im besten Fall notdürftig die
rede von der Weltmusik ist. in ihren Songs ist kongolesische
rumba ebenso zu hören wie diverse weitere
afrikanische, aber auch europäische Techniken und
Stilistiken. ›adventures in afropea‹ ist der passende
Titel für dieses album, das nun zum ersten Mal auf
Vinyl erhältlich ist.
Historisch spannender sind die aufnahmen und
deren Bearbeitungen, die Crammed Disc für das Projekt
›kinshasa 1978‹ jüngst veröffentlicht hat. Die ›originals‹
wurden im Herbst 1978 in kinshasa aufgenommen
und legen noch einmal ganz andere Stränge
kongolesischer Musik frei, darunter der markante
Sound von konono No. 1, die in den vergangenen
Jahren international karriere gemacht haben und deren
tief in der Tradition verwurzelte Musik schon hier in
voller Blüte steht. Martin Meissonier hat die aufnahmen
neu abgemischt und sie klangtechnisch anschlussfähig
für das 21. Jahrhundert gemacht.
Bantou Mentale treiben derweil die kühne Mash-up-
Ästhetik ihrer früheren Bands wie Staff Benda Bilili,
Jupiter okwess und Mbongwana Star auf ihrem unbetitelten
Debüt-album (Glitterbeat) weiter, erzählen in
Songs wie ›Zanzibar‹ und ›Boko Haram‹ unmissverständlich
von afrika, präsentieren sich aber zugleich
ästhetisch kosmopolitisch in ihrem Zugriff auf Grime,
auf rock, auf Dub und Glitch-Elektronik. Es bleibt
spannend im kongo, so und so.
Foto: Lixing Zhang
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hiGhliGht
freizeit
Fil
the fil on the hill
05 DEZ Do // sChlaChthoF
Die Urszene, die am Anfang des Schaffens von Fil steht, einem der
bedeutendsten unbekannten Komiker dieses Landes – sie ist eine
sehr berührende: An seinem neunten Geburtstag soll die Mutter
Fils, der mit bürgerlichem Namen Philip Tägert heißt, ihn beiseite
genommen haben, um ihm Folgendes mit auf den Weg Richtung
Erwachsenenleben mitzugeben: ›Du bist besser als die anderen,
Junge. Hast einfach mal mehr drauf als deine Spielgefährten. Ich
meine, Gott schütze sie, aber sieh sie dir an: Es sind Kinder. Du
überragst sie.‹ Fil hatte schon damals so viel drauf, dass ihm
niemand mehr etwas Neues erzählen konnte. Auch die eigene
Mutter nicht. ›Ich weiß das längst‹, soll er geantwortet haben. ›Aber
ist doch egal.‹ Wieder Begeisterung bei der Mutter: ›Und der
bescheidenste Knabe des Universums – der bist du obendrein.
Achte darauf, dass das die Leute auch bemerken.‹
Dass er bemerkt wird, dafür hat Fil seitdem gesorgt. Sein erster
Comic-Strip erschien 1997 im Berliner Stadtmagazin Zitty und
von da ging es immer weiter, unaufhaltsam. Nirgendwo sonst in
der Kunst wurde der Hauptstadt-Asi-Adel so genau, liebevoll,
hochkomisch und niederschmetternd porträtiert. 2016 erschien
die Didi-und-Stulle-Gesamtausgabe, drei Bände, die allein schon
gereicht hätten für ein ganzes Lebenswerk.
Allerdings hat Fil in den Neunzigerjahren noch eine Bühnenshow
entwickelt, ein wüstes Sammelsurium aus improvisierten
Monologen und an der Gitarre geschraddelten Songs (unvergessen
seine zweiteilige Hetero-Trilogie), die in Hochgeschwindigkeit,
aber mit großer Gelassenheit über und durch alle erdenklichen
Meta-Ebenen surfen. ›Es ist immer eine Mischung harter, stupider,
quälender Arbeit und einer völligen Leichtigkeit‹, sagt Fil.
Und dann hat Fil noch, dritte und letzte Achse seines Werks,
einen autobiografischen Roman geschrieben, ›Pullern im Stehen‹,
der, bei aller Komik, überraschend traurig geraten ist, passagenweise.
›Damals als ich jung war, dachte ich immer, ich bin der
einzige total Verrückte‹, hat Fil dem Tagesspiegel erzählt. ›Ich
wollte immer so sein wie die anderen, aber war nicht so. Und so
eine Nerd-Kultur wie heute, zu der man sich dann trotzdem zugehörig
fühlen kann, gab’s damals noch nicht. Die Achtziger waren
einfach eine schwierige Zeit, vor allem wenn Du in der Pubertät
bist und keine Informationen hast über das, was da gerade mit Dir
los ist und dass dir dadurch dann irgendwann das ganze Leben
zuwider ist.‹
Die Mutter von Fil, sie lag nicht falsch, sondern sie lag richtig.
Wir haben es hier mit einem der größten, verkanntesten Wortkünstler
dieses an guter Komik ja nicht gerade überreichen Landes
zu tun.
➟ Kesselhalle, 20 Uhr // Tickets: VVK: € 18,90
hans ast
15
04 DEZ Mi // SCHLACHTHOF
07/08 DEZ SA/so // Künstlerhaus
Güterbahnhof
Moop Mama
Ich-Tour 2019, Teil 2
Einer rappt, zwei spielen Schlagzeug und sieben Typen holen alles aus
sieben Blasinstrumenten raus. Moop Mama fielen in ihrer Anfangszeit vor
allem durch unangekündigte Guerilla-Konzerte im öffentlichen Raum auf,
in Fußgängerzonen und Stadtparks. Das neue Album heißt ›Ich‹. Seltsam
genug: Zehn Menschen nehmen ein Album auf und nennen es ›Ich‹. Mehr
als ein Wir, mehr als bloße Gruppendynamik. Aus zehn Individuen wird in
und durch die Musik von Moop Mama ein neues Gebilde. Auf dem Album
werden Geschichten erzählt – 15 Songs und fast genau so viele Ich-Erzählerinnen
und -Erzähler. Alltagsbeobachtungen und Innenansichten, die
aktuelle Lage der Nation und der Welt, Liebe und Revolution in der Stadt.
Und die Gästeliste auf dem Album kann sich auch sehen lassen: Kryptik
Joe (Deichkind), Fatoni und die Antilopen Gang.
Martin Steinert
➟ Kesselhalle, 20 Uhr // Tickets: VVK € 31,45 (incl. Gebühren)
Carnival of Fear
Vier verstörende Momente
Es wird beängstigend. ›Carnival of Fear‹ zeigt eine Führung durch ein surreal-unheimliches
Museum, in dem vier verstörende Momente zu erleben
sind: eine Installation von Levin Handschuh, die ein Eigenleben entwickelt,
ein Besuch bei einem Cyborg-Medium, ein Drink in einer Bar der Ausgebrannten
und ein postapokalyptischer Spaziergang durch die Nacht. In
diesen immersiven und interaktiven Szenarien geht das Publikum mit dem
Ensemble von Raum21 auf eine Expedition ins Unbewusste. Nach ›Angstgesellschaft‹
ist ›Carnival of Fear‹ die zweite große Projektreihe, die Theater-
Schlachthof und Raum21 zusammen zeigen. Wie schon im Rahmen der
›Angstgesellschaft‹ wird ein theatraler Erlebnisraum erschaffen. Am 7.12.
findet der Preview statt – Besuch nur mit Voranmeldung (0421-377750
oder per Mail an theater@schlachthof-bremen.de).
Martin Steinert
➟ Künstlerhaus Güterbahnhof, 19 Uhr // Tickets: € 9,– / ermäßigt € 7,–
14 DEZ SA // SCHLACHTHOF
16/17 DEZ MO/DI // Schlachthof
Jan Plewka singt Ton Steine
Scherben II Wann, wenn nicht jetzt
Der Traum geht weiter. Jan Plewka kommt zurück auf die Bühnen der Republik,
um die unvergesslichen Songs von Ton Steine Scherben zu singen.
Plewka schloss schon mit Selig, einer der wenigen unpeinlichen
Deutschrock-Bands, an den Gestus und die Leidenschaft des großen Vorbilds
an. Dass Plewka seit Jahren mit einem gefeierten Rio-Reiser-Liederabend
unterwegs ist, ist da nur schlüssig. ›Mit seiner rauhen, kratzigen
Stimme, offen, wund und unendlich zärtlich ist Plewka die Idealbesetzung,
um Reisers Lieder zu transportieren. Er wirft sich aufs rote Sofa, tobt durch
Gänge und führt seine Band wie Straßenmusikanten durch die Reihen der
Reiser-Gläubigen. Jedes neue Lied kommt drängender als das vorherige.
Wer vor Glück heulen möchte, muss sich diesen Abend anschauen‹, schrieb
das Hamburger Abendblatt. Dem haben wir nichts hinzuzufügen.
Martin Steinert
➟ Kesselhalle, 20 Uhr // Tickets: VVK € 28,– (zzgl. Gebühren) // AK € 32,–
Wenn ihr die Lösung seid, sind
wir das Problem Theaterstück Mit
Schüler*Innen der Gesamtschule West
Stellen Sie sich vor, Sie leben im Jahr 2019 in einer demokratischen Gesellschaft.
Es sind Bundestagswahlen und eine demokratiefeindliche Partei
zieht mit überwältigender Mehrheit in den Bundestag ein. Ein paar Jahre
später, 2033, erkennen Sie das Land nicht mehr wieder. Es herrschen
Gleichschaltung, totale Kontrolle und ein Gesellschaftssystem, das Menschen
aussortiert, die nicht in das ideologische Raster passen. Dieses Gedankenexperiment
haben die Schüler*innen der Gesamtschule West
durchgespielt. Auf Basis ihrer Ideen wurde ein Stück konzipiert, das sich
mit Fragen der Moral und Freundschaft in diesen derzeit noch fiktiven Zeiten
beschäftigt. Aus den Lehren der Vergangenheit erwächst der Widerstand
der Gegenwart für eine Zukunft in Freiheit.
Hans Ast
➟ Kesselhalle, 11 Uhr (Mo) & 11 und 20 Uhr (Di) // Tickets: Eintritt: € 6,–
FrEI
ZEIt
16
19 DEZ D0 // sChlaChthoF
20 DEZ Fr & 24 DEZ Fr// sChlaChthoF
Pantéon rococó
infiernos tour 2019
Seit 25 Jahren spielen Panteón Rococó einen einzigartigen Mix aus Ska,
Rock, Punk und Cumbia-Sounds. Das Motto der Anfangstage der in Mexiko
City gegründeten Band: ›Peace, Dance & Resistance‹. Panteón Rococó
avancierten schnell zu einer der wichtigsten Bands des Landes. Ihre Musik
macht klar, dass sie keine Grenzen, Mauern oder Zäune kennt. Das gilt
für den Sound selbst, in all seiner Stilvielfalt, aber auch für die Haltung
der Band über die Musik hinaus. Mit ihrem neuen Album
›Infiernos‹ und zwei in kürzester Zeit ausverkauften Release-Shows mit
jeweils 20.000 Besucher*innen in der Arena in Mexico City, kommen
Panteón Rococó erneut nach Europa und nach sieben Jahren endlich auch
wieder in den Schlachthof. Sportlicher wird es auf Bremer Bühnen in
diesem Jahr nicht mehr werden.
Martin steinert
➟ Kesselhalle, 20 Uhr // Tickets: VVK € 23,–( zzgl. Gebühren)/
Geschichten im turm
nachBarsprachen
Die ›Geschichten im Turm‹ haben eine lange Tradition im Schlachthof. Für
jede Ausgabe lädt sich Julia Klein als Geschichtenhändlerin Amalia einen
Gast ein, um mit ihr oder ihm gemeinsam Geschichten zu erzählen. Das
Motto im Dezember ist ›Nachbarsprachen‹ – niederländisch-deutsche ausdrucksstarke
Erzählkunst mit Marco Holmer. Der Weser Kurier zeigte sich
begeistert von der Reihe: ›Um alle in ihren Bann zu ziehen, braucht Julia
Klein nicht mehr als ihre Geschichten, ihre Stimme, immer gut platzierte
Gesten, ihre Mimik und ihren Anglersitz, der ein paar Requisiten in sich
birgt und über die Jahre zu einer richtigen Rampensau geworden ist.‹
Am 24. Januar geht es dann um kleine, geheimnisumwitterte Wesen, die
Zwerge. Zu Gast ist Stefanie Becker.
Martin steinert
➟ Magazinboden, , 20 Uhr // Tickets: € 10,– / ermäßigt € 7,–
27 DEZ Fr // sChlaChthoF
15 & 16 JAN MI & Do // sChlaChthoF
Wladimir Kaminer
lieBeserklÄrunGen
Jedes Jahr im Dezember liest Wladimir Kaminer im Schlachthof, und da er
bei gleichbleibender Qualität sehr viel schreibt, bringt er jedes Jahr ein
neues Buch mit. In diesem Jahr ist es der Band ›Liebeserklärungen‹. Eine
Liebeserklärung an die Freude, die Leidenschaft, das Glück und das Leben.
Die fein pointierten Geschichten sind – geübte Kaminer-Leser*innen wird
es nicht überraschen – kurzweilig und tiefgängig zugleich. Auch schön:
Wladimir Kaminer liest auf seinen Lesungen nicht einfach aus seinem
aktuellsten Buch, sondern immer auch neue, unveröffentlichte Texte. Dank
der Spontanität und Improvisationskunst ist der Ausgang niemals vorhersehbar.
Und weil es im Leben nun mal auch so ist, sind die Lesungen
Kaminers selbst bereits Liebeserklärungen ans Leben.
Martin steinert
➟ Kesselhalle, 19.30 Uhr // Tickets: VVK € 19,70 (zzgl. Gebühren)
heimweh im Gepäck – Vom
Kommen und Gehen, bleiben
und Weiterziehen
Bilder Von Menschen auf der reise
Seit August arbeiten Menschen aus verschiedenen Ländern im Schlachthof
zum Thema Heimweh. Sie kommen von überall und treffen zufällig
aufeinander. Jede*r trägt einen Koffer voller Erinnerungen mit sich. Eine
gemeinsame Reise beginnt, auf der Suche nach einem Ort zum Bleiben
und sich Wohlfühlen. Doch auf der Reise kommt bei jedem einzelnen irgendwann
das Gefühl von Heimweh auf. Aber: Wonach genau haben wir
eigentlich Heimweh? Nach dem Haus, in dem wir geboren wurden und in
dem bis heute unsere Familie wohnt? Nach der Mutter, die immer besorgt
fragte, ob wir auch genug Essen eingepackt haben? Unter der Leitung der
Theaterpädagogin Carlotta Träger werden Geschichten und Erfahrungen
ausgetauscht und szenische Bilder gefunden. Martin steinert
➟ Kesselhalle, 20 Uhr // Eintritt frei – um Spende wird gebeten
17
17 JAN Fr // sChlaChthoF
18 JAN SA // sChlaChthoF
Götz Widmann
tohuWaBohu-tour
Götz Widmann beschreibt sich am treffendsten selbst: ›Liedermacher, aber
einer, der lieber den Mittelfinger als den Zeigefinger erhebt.‹ Dazu versteht
er es, mittels Gitarre, Gefühl und Galgenhumor sein Publikum in Glückszustände
zu beamen. Sei es mit Hymnen wie der ›Zaubersteuer‹, mit der er
die Legalisierung von Cannabis als finanzpolitisches Wundermittel ins Spiel
brachte. Oder mit der Ballade von den ›Zwei Trauben‹, die sich lieben und
erst beim Keltern des Weines verschmelzen. Einen Chart-Hit hatte
Widmann nie, und doch herrscht auf seinen Konzerten Klassikeralarm. Der
langjährige Schweiz-Bewohner hat sich in ›Bärndütsch‹ sogar an Reggae-
Beats und Schweizer Mundart versucht (›I probierä / mi z’integrierä‹).
Schlagfertig, altklug und komisch – Widmann steht in der Tradition von
Wilhelm Busch und von Joint Venture, seinem ›Extremliedermaching‹-
Projekt mit Martin ›Kleinti‹ Simon, der 2001 verstarb. robert best
➟ Kesselhalle, 20 Uhr // Tickets: VVK € 18,– (zzgl. Gebühren) / AK € 22,–
Käptn Peng & Die tentakel
von Delphi
Eigentlich ist die Kesselhalle für Käptn Peng schon zu klein. Das soll aber
für die Wintertour 2020 genau so sein. Bespielt werden nämlich nur die
Bühnen der Clubs, in denen diese seltsamste aller seltsamen deutschen
HipHop-Formationen (HipHop jetzt mal im weitesten Sinne) am liebsten
aufgetreten ist. Im Gepäck: die neue EP ›It’s is my life – Zyklopen im Traktorstrahl‹.
Käptn Peng & Die Tentakel von Delphi sind nicht die Ersten, ›die
Dicke-Hose-Texte und Dicke-Hose-Posen links liegen lassen‹, schrieb die
Zeit. ›Aber sie sind noch eine Stufe weiter vom landläufigen Ich-bin-der-
Größte-Rap entfernt und eine Stufe näher am Wahnsinn, am durchgeknallten
Dread-Locks-Schwenken eines Busta Rhymes, an den vielschichtigen
Tableaus einer Missy Elliott.‹ Und das macht nicht nur einen Heidenspaß,
sondern schwemmt auch eine ganze Reihe äußerst cleverer Texte in die
Halle. Bei allem schönen Quatsch.
hans ast
➟ Kesselhalle, 20 Uhr // Tickets: VVK € 28,20 (incl. Gebühren)
19 JAN So // sChlaChthoF
24 JAN Fr // sChlaChthoF
steffen Möller
Wenn deutsche und polen sich lieBen
Die Unterschiede, sie sind meist interessanter als das dumpf Identische.
Trotz allerlei Klischees, sehr unterschiedlicher Sprachen und einer mit
›schwierig‹ nur unzureichend beschriebenen gemeinsamen Geschichte:
Polnische Frauen und deutsche Männer scheinen wie füreinander geschaffen.
Sagt zumindest die Empirie – jährlich finden Tausende Paare den Weg
zum Standesamt. Was sind die Gründe für diesen Boom? Sind kulturelle
Unterschiede sexy? Der in Polen äußerst populäre Kabarettist Steffen
Möller präsentiert einen Ratgeber für deutsch-polnische Paare und für alle
Männer und Frauen, die vorhaben, irgendwann Teil eines deutschpolnischen
Paares zu werden. Er kennt kreative Kosenamen (›Okkupant‹),
erörtert gängige Konflikte (Mittagessenszeit) und weiß, dass ein polnischer
Schwiegervater mindestens fünf deutsche Handwerker aufwiegt.
Martin steinert
➟ Kesselhalle, 20 Uhr // Tickets: VVK € 18,– (zzgl. Gebühren)/ AK € 22,–
leo & Gutsch
alterspuBertÄt
Ein Mensch ist nicht mehr jung, aber auch noch nicht in Würde gealtert.
Der vornehme Ausdruck für den Ausnahmezustand ist Midlife Crisis.
Eigentlich aber handelt es sich um schnöde Alterspubertät. Es ist scheußlich,
sowohl in der männlichen wie in der weiblichen Variante: Weibliche
Alterspubertierende wollen, dass man sich als Paar noch einmal ›neu entdeckt‹
oder gar ›erfindet‹. Beim Tango oder Tantra. Und besuchen Wildkräuter-Workshops.
Männliche Alterspubertierende wiederum sind vor
Neid zerfressen auf die kraftstrotzenden Teenager-Freunde ihrer Teenager-
Töchter, versinken in Nostalgie, sitzen in der Burnout-Klinik oder fahren zur
Haartransplantation nach Osteuropa. Gut, dass man über dieses Elend mit
Leo & Gutsch lachen kann. Die beiden Comediens bringen die Misere in
einer Art und Weise auf den Punkt, dass es etwas sehr Erleichterndes hat.
Martin steinert
➟ Kesselhalle, 20 Uhr // Tickets: VVK: € 18,– (zzgl. Gebühren)/AK € 22,–
Frei
zeit
18
25 JAN SA // SCHLACHTHOF
29 JAN Mi // Schlachthof
Frittenbude
Rote Sonne
Die Haltung ist klar: DIY und kein Applaus für Scheiße. Frittenbude labern
nicht drum rum, was bei den Wortkaskaden, die man in diesen Songs um
die Ohren gehauen bekommt, keine Selbstverständlichkeit ist. Das HipHop-
Trio (HipHop wieder im weitesten Sinne) kämpft seit nunmehr 13 Jahren mit
rebellischer Lebenslust gegen die ubiquitären Zumutungen der Welt und
weiß, dass das Leben nicht immer schön ist. Und dennoch zelebriert gehört.
Zu wissen, dass man kämpfen muss, führt nicht automatisch zu Bitterkeit.
Das nun erschienene Ergebnis dieser 13 Jahre und eines gemeinsamen
Sommers im Studio heißt ›Rote Sonne‹ – ein Album, das die Widersprüche
der Band perfekt einfängt und wiedergibt: Mal kryptisch, mal plakativ
ziehen sich die Texte des Sängers Johannes Rögner durch das experimentierfreudige
Soundbild.
Martin Steinert
➟ Kesselhalle, 20 Uhr // Tickets: VVK € 22,60,– (incl. Gebühren)
Tahnee
Vulvarine
Tahnhee ist eine der wenigen lesbischen Frauen seit Hella von Sinnen in
Deutschland, die eine Comedy-Sendung moderiert (›Nightwash‹), erfolgreich
als Comedienne über die Bühnen dieses Landes tourt und ihre eigene
Sexualität in ihren Witzen thematisiert. Und das, ohne dass es peinlich
oder dumpf wird. ›Dass ich in erster Linie Frauen parodiere, liegt ganz
einfach daran, dass ich selbst eine Frau bin. Aber wer mein Programm
kennt, weiß auch, dass ich ebenso Männer parodiere. Es sind auch nicht
immer Stereotype, sondern auch gerne Prominente, die wir alle kennen –
egal, ob Mann oder Frau.‹ Und das immer auf den Punkt und mit beeindruckender
Präsenz. ›Jeder Mensch ist verschieden und hat seine Eigenheiten.
Die überspitze ich dann so, dass es lustig ist.‹ Und das ist es.
Hans Ast
➟ Kesselhalle, 20 Uhr // Tickets: VVK € 28,29 (incl. Gebühren)
Kindertheater im Dezember & Januar
Schlachthof | MAGAZINBODEN | 11 UHR | Eintritt: € 6,–
01 DEZ
08 DEZ
15 DEZ
22 DEZ
05 Jan
12 jan
19 jan
26 jan
Weihnachten in der Manege
➟ Ekke Neckepen-Theater //
für Kinder ab 3 Jahren
Das tapfere Schneiderlein
➟ Puppentheater GRIMMbim //
für Kinder ab 4 Jahren
Pettersson kriegt
Weihnachtsbesuch
➟ Kindertheater Schnurzepiepe //
für Kinder ab 3 Jahren.
Achtung! 2. Vorstellung um 15 Uhr
Ein Plätzchen für Lilli
➟ Compania T //
für Menschen ab 4 Jahren
Das Schlossgespenst
➟ Kaspertheater Villa Kunterbunt //
für Kinder ab 3 Jahren
Hokus Pokus Omnibus
➟ Friedrich der Zauberer //
für Kinder ab 4 Jahren
Ein Mond für die Prinzessin
➟ Pina Luftikus // für Kinder ab 4 Jahren
Peter und der Wolf
➟ Hermannshof Theater //
für Kinder ab 4 Jahren
22 DEZ
Ein Plätzchen für Lilli
Compania t
Anna ist mitten in der Nacht aufgewacht. Sie hat etwas
Wichtiges vergessen: Für das Weihnachtsfest in der
Schule sollte sie Plätzchen backen. Verzweifelt stöbert
sie in den Backbüchern. Da wirbelt plötzlich Lilli das
Gespenst durch die Küche und bietet seine Hilfe an. Doch
wie kann ein Schlossgespenst helfen, das selbst ein
Problem hat? Ein Weihnachtsmärchen, in dem auch der Mürbeteig eine Rolle spielt.
➟ Ein Märchen für Menschen ab 4 Jahren
26 JAN
Peter und der Wolf
Hermannshoftheater
Eines Morgens öffnet Peter das Gartentor und geht hinaus
auf die große grüne Wiese. Der Großvater warnt
ihn: ›Wenn aber nun der Wolf kommt, was dann?‹ Doch
Peter hat keine Lust, die ganzen Ferien hinterm Gartenzaun
zu hocken und sich zu langweilen. Er wird mit Mut
und Witz und vor allem mit der Hilfe eines kleinen
Vogels den großen grauen Wolf fangen.
In der Geschichte von ›Peter und dem Wolf‹ wird jede Person und jedes Tier durch ein eigenes
Instrument und eine bestimmte Melodie dargestellt. Getragen von der Musik bekommen die
Bewegungen der Figuren und der Darstellerin eine besondere Lebendigkeit, die die Kinder
schnell in das Geschehen auf der Bühne hineinzieht.
➟ Für Kinder ab 4 Jahren
Noch mehr
Kultur
in der Stadt
Foto: LIS/Zentrum für Medien
Bremen hebt ab
100 Jahre Bremer Luftfahrtgeschichte
Ausstellung vom 26. November 2019 bis zum
3. Januar 2020
In Kooperation mit dem LIS/Zentrum für Medien.
Arbeitnehmerkammer
Bremen
Bürgerstr. 1 · Öffnungszeiten:
Mo. bis Do. 8.00-18.30 Uhr
Fr. 8.00-13.00 Uhr
Galerie im Foyer, Bürgerstraße 1, 28195 Bremen
Öffnungszeiten
Montag–Donnerstag 8–18.30 Uhr,
Freitag 8–13 Uhr
www.arbeitnehmerkammer.de
Youth theatre Company: ›turmactors‹
Wir sind die Jugendtheatergruppe im Kulturzentrum
Schlachthof Bremen und starten gerade mit unserem
neuen theaterstück über gesellschaftskritische
Jugendliche und ihre Probleme mit den Eltern, dem
System und dem Erwachsenwerden. Wir suchen
begeisterte Interessenten von 13 –21 Jahren. Parallel
werden wir zu dem Stück einen Film drehen.
Deswegen kommt doch gern zum Schnuppern!
Ihr könnt euch gern schon unsere Webseite ansehen :
www.schauspielunterricht-bremen.de
0177_2295283
DEZEMBER 2019
JANUAR 2020
schlachthof
Skindred 02/12
Phil 07/12
The Busters 28/12
so 01
Mo 02
Mi 04
do 05
sa 07
sa/ so
07 /08
so 08
sa 14
so 15
Mo/ di
16 /17
Mi 18
do 19
fr 20
so 22
fr 27
sa 28
do–Mo
02 –06
so 05
so 12
Mi/ do
16 /17
fr 17
sa 18
so 19
do 23
fr 24
sa 25
so 26
Mi 29
DeZeMber
Weihnachten in der Manege | kindertheater | Magazinboden, 11 Uhr
Skindred | konzert | Kesselhalle, 20 Uhr
Moop Mama | konzert | Kesselhalle, 20 Uhr
Fil | comedy | Kesselhalle, 20 Uhr
Phil – Songs of Phil Collins & Genesis | konzert | Kesselhalle, 20 Uhr
Carnival of Fear – Vier verstörende Momente
| theater | Künstlerhaus Güterbahnhof, 19 Uhr
Das tapfere Schneiderlein | puppentheater | Magazinboden, 11 Uhr
Jan Plewka singt ton Steine Scherben und rio reiser II
| konzert | Kesselhalle, 20 Uhr
Pettersson kriegt Weihnachtsbesuch | kindertheater
| Magazinboden, 11 und 15 Uhr
Wenn ihr die Lösung seid, sind wir das Problem
|theater |kesselhalle, 11 uhr (Mo), 11 uhr & 20 uhr (di)
Gebrüder Jehn | Winterliche lieder und Bewegungsspiele
| Kesselhalle, 11 Uhr
Pantéon rococó | konzert | Kesselhalle, 20 Uhr
Slammer Filet – X-Mas-Special | poetry slam | Kesselhalle, 19.30 Uhr
Geschichten im turm | nachbarsprachen| Magazinboden, 20 Uhr
Ein Plätzchen für Lilli | kindertheater| Magazinboden, 11 Uhr
Wladimir Kaminer | lesung | Kesselhalle, 19.30 Uhr
the Busters | konzert | Kesselhalle, 20 Uhr
Januar
Music Camp for Kids |
Workshop für 11 bis 13-jährige | Schlachthof
Das Schlossgespenst | kindertheater | Magazinboden, 11 Uhr
Hokus Pokus omnibus | kindertheater | Magazinboden, 11 Uhr
Heimweh im Gepäck – Vom Kommen und Gehen…
| theater | Kesselhalle, Uhr
Götz Widmann | konzert | Kesselhalle, 20 Uhr
Käptn Peng & Die tentakel von Delphi | konzert | Kesselhalle, 20 Uhr
Ein Mond für die Prinzessin | kindertheater | Magazinboden, 11 Uhr
Steffen Möller | kabarett | Kesselhalle, 20 Uhr
Jochen Malmsheimer | kabarett | Kesselhalle, 20 Uhr
Leo & Gutsch | kabarett | Kesselhalle, 20 Uhr
Geschichten im turm | zwerge | Magazinboden, 20 Uhr
Frittenbude | konzert | Kesselhalle, 20 Uhr
Peter und der Wolf | kindertheater | Magazinboden, 11 Uhr
tahnee | konzert | Kesselhalle, 20 Uhr
/ / iMPressuM
Schlachthof
Herausgeber: Kulturzentrum Schlachthof e.V., Findorffstraße 51, 28215 Bremen, Büro: Mo–Fr: 10–19 Uhr, Fon: 04 21/37 77 50, Fax: 3 77 75 11, zett@schlachthof-bremen.de,
Z-Magazin im Internet: www.schlachthof-bremen.de redaktion: Gudrun Goldmann (V.i.S.d.P.) c/o. Kulturzentrum Schlachthof e.V., Findorffstraße 51, 28215 Bremen, Jörg Möhlenkamp,
Benjamin Moldenhauer, Marlis Schuldt Grafische Gestaltung: Jörg Möhlenkamp, Marlis Schuldt Beiträge: Hans Ast, Robert Best, Florian Fabozzi, Nicole Moosmüller,
Andreas Schnell, Martin Steinert, Melanie Tesch, Nele Wohlert, Maria Wokurka Fotos/Illustration: Lixing Zhang (Titel), Lena Stuckenschmidt (Kulturgut), Felix Baab, Bastian
Bochinski, Steffen Geyer, Paul Harries, Marianne Menke, Picasa, Daniel Porsdorf, Peter Runkewitz, Frank Scheffka, Guido Schroeder Fotografie, Lixing Zhang, | Die Bildrechte liegen,
wenn nicht anders vermerkt, bei den Künstlern/Veranstaltern Namentlich gekennzeichnete Artikel geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Druck: Girzig
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Z-Magazin