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Günter von Lonski | Mut verleiht Flügel

Björn hasst Fußball. Dumm nur, dass sein Vater Trainer der Schulmannschaft ist und ihn immer wieder aufstellt. Auf dem Feld ist er die Lachnummer der Mannschaft, mit dem Zeichenstift aber kann er zaubern. Am liebsten entwirft er Mode, sein Traumberuf ist Herrenschneider. Immerhin lernt Björn bei einem Spiel Mell kennen, sie spielt Rechtsaußen. Die beiden treffen sich, und schon bald will Mell mehr von ihm. Doch Björn wehrt ab. Er findet sie nett, aber mehr auch nicht. Wenn er allerdings Sven sieht, dann flattern Schmetterlinge in seinem Bauch … Zum Glück findet der 15-Jährige einen Freund, mit dem er über alles reden kann. Dass den außer ihm niemand sehen kann – was soll’s? Er zeigt sich nur Björn: in den Wellen eines Baches, in einer Fensterscheibe, in einer Radkappe. Der Mann mit der Fliegermütze stellt sich als Geo Chavez vor, seines Zeichens Aviatiker. 1910 überquerte er mit seiner Bleriot als erster Mensch die Alpen im Flugzeug. Sein Vorbild lässt in Björn einen Entschluss reifen …

Björn hasst Fußball. Dumm nur, dass sein Vater Trainer der Schulmannschaft ist und ihn immer wieder aufstellt. Auf dem Feld ist er die Lachnummer der Mannschaft, mit dem Zeichenstift aber kann er zaubern. Am liebsten entwirft er Mode, sein Traumberuf ist Herrenschneider. Immerhin lernt Björn bei einem Spiel Mell kennen, sie spielt Rechtsaußen. Die beiden treffen sich, und schon bald will Mell mehr von ihm. Doch Björn wehrt ab. Er findet sie nett, aber mehr auch nicht. Wenn er allerdings Sven sieht, dann flattern Schmetterlinge in seinem Bauch …

Zum Glück findet der 15-Jährige einen Freund, mit dem er über alles reden kann. Dass den außer ihm niemand sehen kann – was soll’s? Er zeigt sich nur Björn: in den Wellen eines Baches, in einer Fensterscheibe, in einer Radkappe. Der Mann mit der Fliegermütze stellt sich als Geo Chavez vor, seines Zeichens Aviatiker. 1910 überquerte er mit seiner Bleriot als erster Mensch die Alpen im Flugzeug. Sein Vorbild lässt in Björn einen Entschluss reifen …

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Für Kirsten auf dem Tower<br />

www.verlag-monikafuchs.de<br />

www.<strong>von</strong>lonski.net<br />

Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek:<br />

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation<br />

in der Deutschen Nationalbibliografie;<br />

detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über<br />

http://dnb.dnb.de abrufbar.<br />

ISBN 978-3-947066-04-9 – auch als eBook erhältlich<br />

© 2017 Verlag Monika Fuchs | Hildesheim | www.verlag-monikafuchs.de<br />

Covergestaltung: Steffi Röttger| Hannover | www.s-artisfaction.com<br />

Layout und Satz: Die Bücherfüxin | Hildesheim | www.buecherfuexin.de<br />

Teile dieses Buches sind urheberrechtlich geschützt. Vervielfätigungen,<br />

Abdrucke, Bearbeitungen, Verfilmungen etc. sind nur mit Erlaubnis der<br />

Rechteinhaber gestattet. Anfragen richten Sie bitte an den Verlag.<br />

Mit diesem Zeichen sind Zitate aus dem »Fliegerbuch« markiert.<br />

S. 42: Bierbaum, Paul Willi, Im Aeroplan über die Alpen. Geo Chavez’<br />

Simplonflug, 1. Auflage, bearbeitet, Verlag Monika Fuchs, Hildesheim<br />

2017, 30 // S. 59: ebd., 30f. // S. 87: ebd., 58 // S. 88: ebd., 66f. // S. 100:<br />

ebd., 67f. // S. 152: ebd., 98 // S. 157: ebd., 130.<br />

Bilder auf S. 66: alle pixabay, CC0 Public Domain<br />

Printed in EU 2017


Inhalt<br />

KaPITEL 1 – in dem<br />

Björn eine Erscheinung hat und<br />

ein Aviatiker durch sein Outfit punktet 9<br />

KaPITEL 2 – in dem<br />

der Trainervater nervt und<br />

Geo Chavez mächtig angibt 14<br />

KaPITEL 3 – in dem<br />

Björn um seinen Skizzenblock kämpft,<br />

Sven ein Geheimnis lüftet und<br />

Chavez einen Höhenrekord aufstellt. 19<br />

KaPITEL 4 – in dem<br />

Björn mit einer Dose spricht,<br />

Chavez der Ehrgeiz packt und<br />

Mell im Türrahmen lehnt. 27<br />

KaPITEL 5 – in dem<br />

der Trainervater stur bleibt,<br />

Sven ein Geschenk bringt und<br />

Björn am Ende ratlos ist. 35<br />

5


KaPITEL 6 – in dem<br />

Mell zum Schwimmen geht,<br />

Chavez Flirt-Tipps gibt und<br />

Björn merkwürdige Gefühle bekommt. 42<br />

KaPITEL 7 – in dem<br />

Sven eifersüchtig ist,<br />

Björn etwas über die Schweiz erfährt und<br />

der Trainervater eine Überraschung hat. 55<br />

KaPITEL 8 – in dem<br />

Mell etwas entdeckt und<br />

Björn sich nicht fürchten soll. 63<br />

KaPITEL 9 – in dem<br />

Björns <strong>Mut</strong>ter Dias anschaut,<br />

ein Eintopf anbrennt und<br />

Björn zu Ikarus wird. 68<br />

KaPITEL 10 – in dem<br />

Björn sich eine Taktik überlegt,<br />

Sven etwas beobachtet und<br />

Mell zum Mittelstürmer wird. 76<br />

KaPITEL 11 – in dem<br />

Chavez wieder auftaucht,<br />

Mell zu Boden geht und<br />

Björn sich festliest. 83<br />

KaPITEL 12 – in dem<br />

Björn etwas Süßes spürt und<br />

Sven sich verrenken muss. 89<br />

6


KaPITEL 13 – in dem<br />

Björn auf dem Flohmarkt stöbert,<br />

zwei Händler mit sich reden lassen und<br />

ein Mantel Löcher hat. 96<br />

KaPITEL 14 – in dem<br />

Chavez in die Luft geht,<br />

Mell wütend wird und<br />

Björn nicht mehr weiterweiß. 100<br />

KaPITEL 15 – in dem<br />

Björn mit seinem Vater redet,<br />

Mell eine geniale Idee hat und<br />

Chavez zum Starten rät. 109<br />

KaPITEL 16 – in dem<br />

ein Apfel auf den Boden fällt,<br />

Björn endlich losfliegen will und<br />

Frau Gorjani Mathe wichtig findet. 117<br />

KaPITEL 17 – in dem<br />

Mell mit Federn wedelt,<br />

Jakob ein Foto macht und<br />

Björn Bauchweh hat. 124<br />

KaPITEL 18 – in dem<br />

Sven eine Idee fehlt,<br />

Björn ein Geschenk bekommt und<br />

Chavez verschwindet. 131<br />

KaPITEL 19 – in dem<br />

der Trainervater sauer ist,<br />

Sven sich nicht erinnern will und<br />

Björn in Turbulenzen gerät. 138<br />

7


KaPITEL 20 – in dem<br />

Mell sich als Freundin erweist,<br />

Frau Gorjani beeindruckt ist und<br />

Chavez Björn <strong>Mut</strong> <strong>verleiht</strong>. 145<br />

KaPITEL 21 – in dem<br />

Björn zum Alleinflug startet,<br />

der Trainervater Rühreier braten soll und<br />

Mell eine weise Entscheidnung trifft. 153<br />

GEO CHAVEZ 159<br />

GÜNTER VON LONSKI 160<br />

8


Kapitel<br />

1<br />

– in dem<br />

Björn eine Erscheinung hat und<br />

ein Aviatiker durch sein Outfit punktet.<br />

B<br />

jörn kickt eine aufgeweichte Kastanie vor sich her, den<br />

schmalen Gang an der Ligusterhecke entlang, dann<br />

nach links in den schwarzen Schotterweg hinein, vorbei<br />

an der hässlichen Granitvase mit Henkeln so dick wie seine<br />

Arme, eine Flanke mit dem Innenrist auf Linksaußen<br />

und die Kastanie landet in einem Hundehaufen. »Alles<br />

Mist!« Sein Eigentor hätte wirklich nicht sein müssen, er<br />

wollte den Ball übers Tor heben und hat ihn doch gegen<br />

die Latte gedonnert. Der Ball sprang ins Feld zurück und<br />

das Spiel ging verloren. Seine Mannschaft war sauer, die<br />

anderen haben mal wieder gelacht.<br />

Björn schaut zur Friedensstraße hinüber. Er will noch<br />

nicht nach Hause, es riecht nach Pommes, die Glocken<br />

der nahen Kirche läuten, ein Polizeiauto fährt mit eingeschaltetem<br />

Martinshorn vorbei. Auf der kleinen Holzbrücke<br />

bleibt er stehen und schaut ins Wasser des Schillerweihers.<br />

Oft sitzen Angler am anderen Ufer, unbeweglich<br />

im Schatten der Kastanienbäume und bei Regenwetter<br />

unter niedrigen grünen Schirmen versteckt. Was sie wohl<br />

fischen? Goldkarpfen, Marmeladenfische oder manchmal<br />

sogar einen Spechthecht? Björn starrt ins Wasser. Er hat<br />

9


noch nie einen Fisch im Weiher gesehen. Nicht mal einen<br />

kleinen, einen verirrten oder einen mit dem Bauch nach<br />

oben.<br />

Es raschelt im Schilf der Uferböschung. Björn bewegt<br />

den Kopf um keinen Millimeter, lauscht auf das Geräusch,<br />

dann ein Plumpsen und ein Platschen, zwei Enten kommen<br />

herangepaddelt, noch eine und noch eine. Unter der<br />

Brücke, zu Björns Füßen, suchen sie nach hineingeworfenen<br />

Brotresten.<br />

Björn legt seine Hände auf das eiserne Brückengeländer,<br />

beugt sich vor und schaut ins Wasser zu seinen Füßen.<br />

Mit einem Schuh schiebt er kleine Steine <strong>von</strong> der Brücke,<br />

ganz leicht kräuselt sich die Wasseroberfläche, die Enten<br />

drehen ab und schwimmen in den See hinaus.<br />

»Alles Mist!« Björn starrt ins Wasser. »Ich habe nun mal<br />

keine Lust zum Fußball spielen!«<br />

Das Kräuseln verschwindet und im Wasserspiegel kommen<br />

zwei Gesichter zum Vorschein. Björns Gesicht und<br />

direkt daneben das Gesicht eines Fremden. Die Erscheinung<br />

trägt unübersehbar männliche Züge, obwohl der<br />

Kopf <strong>von</strong> einer engen glatten Haube umschlossen ist.<br />

Björn schiebt noch ein paar Steinchen nach, das Wasser<br />

kräuselt sich erneut, die Erscheinung verschwindet, das<br />

Wasser glättet sich und der Mund des Fremden lächelt.<br />

Björn starrt den fremden Kopf an, traut sich nicht, sich<br />

umzudrehen. Eine Erscheinung aus dem vorigen Jahrhundert,<br />

vielleicht sogar Jahrtausend! Eine Fliegerhaube<br />

aus dunklem Leder verdeckt das Haar, die Augen werden<br />

<strong>von</strong> einer Brille geschützt, die fingerbreit vom Kopf absteht.<br />

In der Brillenfassung stecken zwei rechteckige, nach<br />

vorne gerundete Gläsern, die über der Nase <strong>von</strong> einem<br />

Scharnier zusammengehalten werden und mit einem gelben<br />

Band am Kopf befestigt sind.<br />

10


»Wo kommst du denn her?«, fragt Björn.<br />

»Ich bitte mir ein bisschen Respekt aus!«<br />

Das Spiegelbild kann sprechen!<br />

»Schließlich bin ich nicht freiwillig hier. Du hast mich<br />

gerufen!«<br />

»Ich?«<br />

Die Brille des Fremden hat Björn schon einmal gesehen.<br />

Im Schaufenster eines Brillengeschäfts? Im Spielwarenladen?<br />

Er denkt nach. Im Luftfahrt-Museum! Sie hatten<br />

es mit der Klasse besichtigt. Abteilung eins, direkt am<br />

Eingang – Anfangsjahre der Fliegerei. Eine lichte Halle,<br />

an der Decke hingen Flugapparate mit und ohne Motor.<br />

Ein Steg mit eisernem Geländer führte durch die Halle.<br />

Von dort aus konnte man wie in ein Schwimmbecken zu<br />

anderen ausgestellten Flugzeugen herabsehen. Besonders<br />

hervorgehoben war eine Flugmaschine, mit der irgendetwas<br />

zum ersten Mal überquert wurde. Sie stand auf einem<br />

Podest.<br />

Björn fällt das Ereignis nicht mehr ein, doch woran er<br />

sich erinnert, ist die lebensgroße Abbildung eines Fliegers,<br />

die neben der Maschine stand. Ein altes Foto, stark vergrößert.<br />

Der Mann strahlte Stolz und <strong>Mut</strong> aus; ein Held,<br />

das sah man auf den ersten Blick. Und dazu noch seine<br />

tollen Klamotten! Einfach Wahnsinn! Hose und Jacke<br />

waren dick wattiert, an den Füßen trug er lange blanke<br />

Schaftstiefel und auf dem Kopf eine flache Schirmmütze.<br />

Und dann noch diese übergroße Fliegerbrille. Björn<br />

hatte sich vorgestellt, wie cool es wäre, mit Baseballkappe<br />

(Schirm nach hinten natürlich) und Fliegerbrille auf dem<br />

Fahrrad durch die Straßen zu radeln. Damals war er so begeistert<br />

<strong>von</strong> dem Flieger, dass er sich im Museums-Shop<br />

ein Buch gekauft hatte mit der Geschichte des Fliegers: Im<br />

Aeroplan über die Alpen hieß es. Allerdings hatte er es nur<br />

11


einmal durchgeblättert und dann ins Bücherregal gestellt.<br />

Und nun begegnete ihm das spöttische und überlegene<br />

Lächeln vom Heldenfoto als Spiegelbild im Wasser.<br />

Björn spuckt seinen Kaugummi aus, als der auf die Wasseroberfläche<br />

trifft, breiten sich kleine Wellen aus, die beiden<br />

Spiegelbilder verlieren ihre Form, scheinen für einen<br />

Augenblick ineinander zu fließen, das Wasser glättet sich<br />

und Björn sieht nur noch sein eigenes Spiegelbild.<br />

»Was ich noch mehr als Fußball hasse, sind Einbildungen,<br />

die ganz echt aussehen!«<br />

»Junger Mann, Sie wissen wohl nicht, wen Sie vor sich<br />

haben?«<br />

Mit einem Ruck dreht Björn sich um. Niemand zu sehen,<br />

der sich im Wasser spiegeln könnte. Aber da ist doch<br />

was gewesen!<br />

»Gestatten, Geo Chavez. Ich bin Aviatiker und habe in<br />

meinem Aeroplan die Alpen überflogen!«<br />

»Hunderte <strong>von</strong> Flugzeugen überqueren täglich die Alpen!«<br />

»Aber ich war der Erste, der das geschafft hat! !«<br />

Björn beißt sich auf die Unterlippe, es tut weh, also<br />

träumt er nicht! Da will ihn wohl jemand veralbern! Es<br />

könnte ein Streich seiner Klasse sein … unauffällig sucht<br />

Björn die nahen Büsche nach kleinen, auffälligen Bewegungen<br />

ab. Nichts bewegt sich.<br />

»Das muss vor meiner Zeit gewesen sein!«<br />

»Das war im Jahre 1910!«<br />

»1910? – Da wurde der Karlsruher FV deutscher Fußballmeister!«<br />

Björn hatte mal alle deutschen Fußballmeister<br />

auswendig gelernt, um seinen Vater zu beeindrucken.<br />

»Damals hießen Flugzeuge noch Aeroplane. Es waren<br />

Gebilde aus Sperrholz, Leisten, Leinwand und Draht, die<br />

<strong>von</strong> schwachen Motoren in die Lüfte gehoben wurden.«<br />

12


»Was ist schon dabei, sogar Fliegen können fliegen!«<br />

Björn schaut wieder ins Wasser.<br />

»Das war noch richtiges Fliegen, nichts für Milchgesichter!«<br />

Milchgesichter! Gleich kommt sicher noch <strong>Mut</strong>tersöhnchen!<br />

Lieblingsschimpfworte einiger Fußballkameraden.<br />

Doch der Mann redet einfach weiter.<br />

»Wir waren aber keine leichtsinnigen Draufgänger. Wir<br />

versuchten, die Gefahr so genau wie möglich einzuschätzen,<br />

um keine Bruchlandung hinzulegen. Dafür waren<br />

uns unsere Knochen zu wertvoll. Damals gab es allerdings<br />

noch keine Fluglotsen, kein Radar und nicht einmal genaue<br />

Flugkarten. Da musste man schon <strong>Mut</strong> beweisen,<br />

manchmal das Unmögliche wagen – ohne Versicherung<br />

und Garantie!«<br />

»<strong>Mut</strong> beweisen!« Björn schiebt mit der Schuhspitze den<br />

schwarzen Schotter zusammen. »Ich muss dann mal los,<br />

sonst macht sich meine Mam Sorgen!«<br />

»Ich mache mich auch auf den Weg!«<br />

Der Aviatiker zieht seine Brille wieder über die Augen.<br />

»Wohin denn?«, fragt Björn neugierig.<br />

Das Spiegelbild im Wasser lacht. »Die Mittagspause im<br />

Museum ist vorbei!«<br />

13


Kapitel<br />

2<br />

– in dem<br />

der Trainervater nervt und<br />

Geo Chavez mächtig angibt.<br />

E<br />

s ist nicht leicht, einen Vater zu haben, der in der eigenen<br />

Jahrgangsstufe Sport unterrichtet, Trainer der<br />

erfolgreichen Schulmannschaft ist, fast immer Recht und<br />

etwas gegen gelbe Turnschuhe hat.<br />

»Auf den Rechtsaußen der Borussia müssen wir besonders<br />

aufpassen, der ist schnell und kann sich durchsetzen.<br />

Aber bei unserm Lars ist er sicher gut aufgehoben.«<br />

Lars grinst. Ein Kamerad klopft ihm auf die Schulter.<br />

Herr Faller zeichnet Linien, Kurven, Punkte und Kreise<br />

an die Tafel. Er erklärt der Mannschaft die Taktik für das<br />

Auswärtsspiel am Sonntag.<br />

»Jens kümmert sich um den Mittelstürmer und Franz<br />

kommt aus der Tiefe und nutzt die Freiräume auf der linken<br />

Seite!« Der Trainer geht Spieler für Spieler durch und<br />

gibt jedem seine Anweisungen. Auf der Tafel entsteht eine<br />

Kreidelandschaft mit schroffen Bergspitzen, Steilwänden<br />

und einzelnen Schluchten.<br />

»Und was spielt Björn?«<br />

Björn braucht sich gar nicht erst umzudrehen. Das war<br />

Kalle. Kalle Krause. Kalle lauert auf jede Gelegenheit, sich<br />

über ihn lustig zu machen.<br />

14


»Björn spielt im Mittelfeld!«<br />

Der Trainervater macht beiläufig ein Kreuz am Fuße<br />

des Bergmassivs und teilt die Trikots aus.<br />

»Da kann er auch nicht all zu viel versauen!« Damit hat<br />

Kalle die Steilvorlage eiskalt verwandelt.<br />

»Wir treffen uns am Sonntag um Punkt neun vor der<br />

Schule!« Der Trainervater reckt seinen rechten Daumen<br />

in die Höhe: »Auf unseren Sieg: Hipp hipp ...«<br />

»... hurra!«, antwortet die Mannschaft.<br />

Die Jungen stürmen hinaus, es wird stiller im Vorraum<br />

zur Turnhalle, Björn starrt auf die Tafel und das kleine<br />

Kreuz am Fuße des Bergmassivs. »Irgendwann werde ich<br />

es euch allen zeigen!«, murmelt er abwesend.<br />

»Dann musst du am Sonntag mindestens zwei Tore<br />

schießen!« Der Trainervater ist noch nicht gegangen, er<br />

packt gerade erst seine Aktentasche und wendet sich zur<br />

Tür. »Besser wären allerdings drei!«<br />

Björn wartet noch ein paar Minuten, dann geht er auch<br />

hinaus, trödelt aber auf dem Weg nach Hause. Er läuft<br />

durch die Fußgängerzone, vorbei an Wohnhäusern, Supermarkt,<br />

Sparkasse und Computerladen. Er bleibt stehen<br />

und sieht sich die Auslagen an. Der Computerladen war<br />

früher ein Friseursalon, das sieht man noch an den Spiegelsäulen<br />

im Schaufenster und im Geschäft. Ein Flachbildschirm<br />

wird unter zweihundert Euro angeboten. Das<br />

wäre was, dann könnte Björn seinen alten Röhrenkasten<br />

endlich wegschmeißen! Im Erdgeschoss eines Mietshauses<br />

ist ein Fenster geöffnet, eine Frau bügelt, ihre Tochter<br />

setzt eine Puppe auf die Fensterbank, Dampf zischt aus<br />

dem Bügeleisen, am offenen Fensterflügel baumelt ein<br />

bunter Schmetterling aus durchsichtigem Plastik.<br />

Björns Blick wandert weiter, huscht über eine der Spiegelsäulen,<br />

er stutzt, sein Blick wandert zurück.<br />

15


»Hallo, junger Mann!« Das Bild im Spiegel spricht ihn<br />

an, als habe es ihn bereits erwartet.<br />

»Hab ich schon wieder gerufen?«, fragt Björn.<br />

»Du hast an mich gedacht«, sagt der Aviatiker mit der<br />

tollen Fliegerbrille, »das reicht!«<br />

»Ich hab an gar nichts gedacht! Wenigstens nicht mit<br />

Absicht!«, sagt Björn.<br />

»Wir haben wohl schlechte Laune?«<br />

»Mein Vater nervt!«<br />

»Und du nervst deinen Vater?«<br />

»Du bist wohl selber Vater?«<br />

Der Aviatiker lacht. »Ich bin leider nur Sohn!«<br />

»Aber dafür bist du schon ziemlich alt!«<br />

»Ich wurde 1887 in Paris geboren. Meine Familie kam<br />

aus Peru, wegen des pazifischen Krieges sind meine Eltern<br />

nach Paris gegangen. Ich bin aus wirklich gutem Haus,<br />

immerhin hatte mein Vater mit seiner Bank Millonen gemacht.<br />

Als er 1908 starb, hinterließ er mir und meinen<br />

fünf Geschwistern ein Vermögen. Meine Brüder traten in<br />

die Fußstapfen meines Vaters und gründeten Banken in<br />

Lima und Paris, aber für mich war das nichts.<br />

»Jeden Tag in einer Bank sitzen und die Euro-Scheine<br />

zählen wäre auch nichts für mich!«<br />

»Ich habe ein Studium als Ingenieur gemacht, Technik<br />

hatte mich schon immer fasziniert. Genauso wie Sport –<br />

im Laufen, Turnen und Springen war ich einer der Besten<br />

meines Jahrgangs!«<br />

»Und Fußball?«<br />

»Von mir aus hätte jedes Fußballspiel vier Halbzeiten<br />

haben können!«<br />

»Ich kann dir meine Halbzeiten gerne schenken!«<br />

»Aber dann kam die Fliegerei. Ich war <strong>von</strong> Anfang an<br />

begeistert. Für mich war Fliegen wie perfektes Schwim-<br />

16


men in der Luft. Ich konnte die Luft lesen. Ich spürte, ob<br />

sie mich tragen wollte. An solchen Tagen wusste ich, dass<br />

sie es gut mit mir meint. Die Luft, die Atmosphäre, der<br />

Himmel!«<br />

»Ich bin schon mal mit meinen Eltern nach Berlin geflogen.<br />

Das hat ganz schön geholpert, als wir in die Luftlöcher<br />

geraten sind!«<br />

»Ich muss wohl für die Fliegerei geboren gewesen sein.<br />

Alles ging so leicht und selbstverständlich. Ich war 22, als<br />

ich im Februar 1910 zum ersten Mal in einem Flugapparat<br />

saß. Es war ein Farmanscher Zweidecker. Und – oh Wunder<br />

– ich konnte ihn sofort fliegen, obwohl ich mir nur<br />

ein bisschen was <strong>von</strong> der Theorie des Fliegens angehört<br />

hatte!«<br />

»Ich muss mir fast jeden Tag etwas <strong>von</strong> der Theorie des<br />

Fußballspielens anhören! Mir hat es nichts gebracht!«<br />

Der Aviatiker lässt sich nicht unterbrechen.<br />

»Im gleichen Monat habe ich meine Pilotenprüfung in<br />

der Nähe <strong>von</strong> Paris abgelegt.«<br />

»Wir wollten mal nach Disneyworld, aber dann war es<br />

meinem Vater zu teuer und wir sind für einen Tag in den<br />

Holiday-Park nach Haßloch gefahren.«<br />

»Mit dem Pilotenschein in der Tasche war ich nicht<br />

mehr zu bremsen. Ich wollte etwas Großes vollbringen,<br />

eine Tat, <strong>von</strong> der man spricht, die meinen Namen als<br />

Aviatiker unsterblich macht! Einen großen Überlandflug<br />

habe ich geplant. Bevor ich allerdings starten konnte, waren<br />

alle möglichen Rekorde im Überlandfliegen bereits<br />

gebrochen und Zweiter wollte ich nun mal nicht werden!«<br />

»Schon gut, schon gut!«, murmelt Björn. »Ich habe<br />

verstanden! Beim nächsten Spiel angle ich mir den Ball,<br />

wenn ein Elfmeter geschossen werden muss, und haue ihn<br />

unten links ins Netz!«<br />

17


»Unser Fußballidol führt Selbstgespräche?«<br />

Schon beim ersten Wort hat Björn die Stimme erkannt:<br />

Kalle steht auf der anderen Straßenseite und grient herüber.<br />

»Du bist ein Idiot!«<br />

Das war nicht Kalles Stimme, stellt Björn überrascht<br />

fest. Er dreht sich um, schaut die Fußgängerzone hinauf<br />

und hinunter und entdeckt Sven!<br />

Kalle winkt ab, kickt einen unsichtbaren Ball vom Fahrrad<br />

aus in die Luft und radelt durch die Fußgängerzone<br />

da<strong>von</strong>. Jeder weiß, dass Radfahren in der hier verboten ist!<br />

»Keine Lust, nach Hause zu gehen?«, fragt Sven.<br />

»Und du?«, fragt Björn zurück.<br />

»Ich muss noch meine kleine Schwester vom Hort abholen!«<br />

»Ich geh ein Stück mit, das ist meine Richtung.!«<br />

18


Geo Chavez, den Aviatiker mit<br />

dem ausgeprägten Selbstbewusstsein<br />

aus dieser Geschichte, hat es wirklich<br />

gegeben. Und was er erzählt, ist<br />

tatsächlich passiert: Er hat als erster<br />

Mensch den Alpenhauptkamm mit<br />

einem Flugzeug überflogen. Das war<br />

am 23. September 1910, Chavez war<br />

erst 23 Jahre alt. Seinen <strong>Mut</strong> bezahlte er mit dem Leben:<br />

Nach dem Flug, der im schweizerischen Brig begann,<br />

wollte er auf der anderen Seite der Alpen in Domodos sola<br />

landen. Dabei brachen die <strong>Flügel</strong> seines Flugapparates,<br />

Chavez stürzte aus etwa zehn Meter Höhe ab und zog sich<br />

Brüche und einen Nervenschock zu. Er starb vier Tage<br />

später im Krankenhaus, vermutlich wegen der Anstrengungen<br />

des Fluges. Nie zuvor war ein Mensch in dieser<br />

Höhe und zudem mit einem offenen Flugzeug geflogen,<br />

niemand wusste genau, mit welchen Winden und Temperaturen<br />

der Pilot zu kämpfen hätte. Nach der Bruchlandung<br />

stammelte Chavez: »Es war entsetzlich!«<br />

Chavez’ Familie stammte aus Peru, seine Eltern waren<br />

1884 nach Frankreich ausgewandert, drei Jahre später<br />

Jorge, genannt Geo, geboren. Die Familie lebte in Paris.<br />

Deshalb wurde Chavez nach seinem Tod zunächst dort<br />

beerdigt. 1957 wurde sein Grab nach Peru verlegt, dort<br />

wird sein Andenken sehr hoch gehalten. Der Flughafen<br />

<strong>von</strong> Lima ist nach ihm benannt, und die Kinder lernen<br />

ihn und seine Heldentat im Unterricht kennen.<br />

Mehr über den Flieger (der mit ganzem Namen Jorge<br />

Antonio Chávez Dartnell hieß) findet man im Internet.<br />

Und in dem Buch <strong>von</strong> Paul Birnbaum, das Björn in dieser<br />

Geschichte liest: Im Aeroplan über die Alpen. Geo Chavez’<br />

Simplonflug.<br />

159


<strong>Günter</strong> <strong>von</strong> <strong>Lonski</strong> verbrachte<br />

mit seiner Familie einen Urlaub<br />

in der Schweiz, genauer gesagt: im<br />

Wallis. Auch nach Brig kamen sie<br />

und schauten vom Chavez-Denkmal<br />

auf dem Marktplatz hinauf zum Simplon-Pass.<br />

Man unterhielt sich über<br />

die Heldentat, und <strong>von</strong> <strong>Lonski</strong> wurde gefragt: »Hättest du<br />

dich das auch getraut?« Da er der Ansicht ist, dass zum<br />

<strong>Mut</strong>haben nicht unbedingt Lebensgefahr gehört, hat er<br />

die Geschichte <strong>von</strong> Björn geschrieben. In der Geo Chavez<br />

natürlich nicht fehlen durfte.<br />

Wenn <strong>Günter</strong> <strong>von</strong> <strong>Lonski</strong> nicht gerade in der Schweiz<br />

Urlaub macht (und wann kommt man schon mal dazu),<br />

sitzt er an seinem Schreibtisch und denkt sich Geschichten<br />

aus. Und das schon seit über 30 Jahren, in dieser Zeit<br />

hat er jede Menge Bücher für Kinder, Jugendliche und<br />

Erwachsene geschrieben und veröffentlicht.<br />

Paul Willi Bierbaum | Im Aeroplan über die<br />

Alpen. Geo Chavez’ Simplonflug<br />

136 Seiten | 12,5 x 20 cm | Paperback<br />

Verlag Monika Fuchs, Hildesheim 2017<br />

ISBN 978-3-947066-05-6 | auch als eBook<br />

1910 gelang es dem in Paris lebenden Peruaner<br />

Jorge „Geo“ Chavez, mit seinem Flugzeug<br />

den Alpenhauptkamm zu überqueren. Der<br />

Flug ging vom schweizerischen Brig über den<br />

Simplonpass ins italienische Domodossola.<br />

Über die Vorbereitungen dieses Fluges, den<br />

Flug selber und sein tragisches Ende berichtet<br />

der Journalist Paul Willi Bierbaum in diesem<br />

Buch, einer bearbeiteten Neuausgabe des<br />

Originals <strong>von</strong> 1910.<br />

160

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