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Schauspiegel Winter 2019/20

Hallo liebe Leser*innen, wir freuen uns, Ihnen den ersten Schauspiegel in seiner Online-Ausgabe zu präsentieren. Der Schauspiegel ist das Magazin für die Schauspielbranche und erscheint ab sofort quartalsweise. Jedes Heft hat einen eigenen Themenschwerpunkt. Für unsere Premiere haben wir das Thema Diversität gewählt – ein Thema, das momentan überall für Schlagzeilen sorgt und in aller Munde ist.

Hallo liebe Leser*innen,
wir freuen uns, Ihnen den ersten Schauspiegel in seiner Online-Ausgabe zu präsentieren. Der Schauspiegel ist das Magazin für die Schauspielbranche und erscheint ab sofort quartalsweise. Jedes Heft hat einen eigenen Themenschwerpunkt.

Für unsere Premiere haben wir das Thema Diversität gewählt – ein Thema, das momentan überall für Schlagzeilen sorgt und in aller Munde ist.

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Ausgabe 1<br />

<strong>Winter</strong> <strong><strong>20</strong>19</strong><br />

Magazin für die Schauspielbranche<br />

Wir sind divers.<br />

*r ution<br />

Initiative vermittelt Schauspieler*innen<br />

mit Behinderung<br />

Diversität in<br />

der Filmbranche<br />

Schubladen und<br />

Akzeptanz am Mikro


RUBRIK<br />

WE CREATE. YOU CELEBRATE.<br />

[ we love what we do. ]<br />

+49 (0) 30 – 40 36 55 7 – 00 . info@la-maison-vsf.com<br />

la-maison-vsf.com<br />

Foto:


Editorial<br />

Liebe Kolleg*innen,<br />

liebe Leser*innen,<br />

Was ist der BFFS?<br />

Der Bundesverband Schauspiel<br />

(BFFS) vertritt die berufsständischen<br />

sowie die gewerkschaftlichen<br />

Interessen<br />

der Schauspieler*innen in<br />

Deutschland.<br />

Fotos: Ron Flieger, Privat<br />

Sie halten den ersten <strong>Schauspiegel</strong> in der Hand, sei es als Printmagazin<br />

oder Online-Ausgabe. Die Redaktion ist ein Zusammenschluss der fusionierten<br />

Verbände IVS und BFFS. Jedes Heft hat einen eigenen Themenschwerpunkt.<br />

Für unsere Premiere haben wir das Thema Diversität<br />

gewählt – ein Thema, das momentan überall für Schlagzeilen sorgt<br />

und in aller Munde ist.<br />

Das Gendersternchen * beispielsweise schließt, anders als das Binnen-I,<br />

die verschiedenen Optionen des dritten Geschlechts nicht aus, sondern ein. Deswegen<br />

sollten wir alle nicht mehr Schauspielerinnen und Schauspieler oder SchauspielerInnen<br />

schreiben, sondern Schauspieler*innen. In der gesprochenen Sprache wird es durch eine<br />

kurze Unterbrechung ausgedrückt: „Schauspieler-innen“. Die verschiedenen Communities<br />

der ethnischen Herkunft, sexuellen Identität, religiösen Zuordnung, Beeinträchtigung<br />

und Behinderung, der Körperformen, des Alters etc. wollen gesehen, akzeptiert,<br />

respektiert und vor allem integriert werden.<br />

Dadurch befinden wir uns aber auch in einem Dilemma. Ziel der Diversitätsbewegung<br />

ist es, Freiheit zu erlangen und dabei mentale und manchmal auch emotionale Grenzen<br />

zu sprengen. Oftmals neigen wir leider dazu, Lebenssituationen, die anders sind als die<br />

eigenen, in Schubladen einzuordnen und zu kategorisieren. Das Gegenteil von Freiheit.<br />

Der Weg der Emanzipation führt unweigerlich durch den Flaschenhals.<br />

Persönlich eine der für mich wichtigsten Erkenntnisse war, dass wir anfangen müssen<br />

miteinander zu reden und uns auszutauschen. Was verletzt den anderen und was fordert<br />

er ein? Das ist der Beginn von jeglicher Integration. Diversität darf nicht zur Ausgrenzung<br />

oder sozialer, möglicherweise sogar finanzieller Armut führen. Wir haben ein Glossar auf<br />

Seite zwölf und 13 zusammengestellt, das die verschiedenen diversitären Begriffe erklärt.<br />

Schlussendlich geht es darum, dass wir uns gegenseitig wertschätzen und respektieren.<br />

Dabei spielt es keine Rolle, ob jemand LGBT*, PoC oder Hindu ist. Diese Wertschätzung<br />

und Akzeptanz sollten wir jedem gegenüber aufbringen. Dann sind wir alle einen großen<br />

Schritt weiter in Richtung gelebter Diversität.<br />

Ich wünsche Ihnen jetzt viel Freude mit dem neuen <strong>Schauspiegel</strong>, den Sie sich übrigens<br />

auch jederzeit im Jahresabo bequem nach Hause schicken lassen können. BFFS-Mitglieder<br />

zahlen dabei lediglich Verpackung und Versand. Wenn Sie Interesse daran haben,<br />

melden Sie sich bitte unter abo@schauspiegel.com.<br />

Herzlich, Ihre<br />

<strong>Schauspiegel</strong>-Redaktion<br />

Antoine Monot, Jr.<br />

BFFS-Vorstand<br />

Er will die kulturellen, gesellschaftlichen,<br />

politischen, rechtlichen,<br />

tariflichen und sozialen<br />

Rahmenbedingungen verbessern<br />

bzw. schaffen, die sowohl den<br />

einzigartigen Schauspielberuf<br />

schützen, bewahren und fördern<br />

als auch die besondere Lebensund<br />

Erwerbssituation der Künstler*innen<br />

berücksichtigen, die<br />

diesen Schauspielberuf ausüben.<br />

Über 3.400 Mitglieder zählt der<br />

BFFS und ist damit in Deutschland<br />

der mitgliederstärkste Berufsverband<br />

der deutschen Kinound<br />

Fernsehlandschaft und die<br />

größte Schauspiel*organisation.<br />

In dem Bewusstsein, dass Schauspieler*innen<br />

sowohl Rückgrat<br />

als auch Gesicht unserer kulturell<br />

wichtigen aber auch sensiblen<br />

Film- und Bühnenkultur sind,<br />

pflegt der Bundesverband Schauspiel<br />

eine enge Vernetzung mit<br />

Politik, Sendern, Behörden,<br />

Filmgesellschaften sowie Theatereinrichtungen<br />

und anderen<br />

Verbänden bzw. Gewerkschaften.<br />

Max<br />

Bartram,<br />

geboren in dem<br />

Land zwischen<br />

den Meeren (SH),<br />

projiziert gerne<br />

seine eigenen<br />

oder die Gedanken<br />

anderer auf zweidimensionale<br />

Flächen. Im <strong>Schauspiegel</strong><br />

illustrierte er die gesamte<br />

Ausgabe. Zurzeit studiert er an<br />

der HMKW Berlin Grafikdesign<br />

und visuelle Kommunikation.<br />

3


Inhalt<br />

12<br />

14<br />

<strong>20</strong><br />

Auftakt<br />

Whaaaaat? Ein Glossar<br />

Der Verlust von Diversität<br />

Tüllkleid oder Matschhose?<br />

24<br />

30<br />

32<br />

Bühne<br />

Der Ruf der Seele – Depressionen<br />

Chancen mit Behinderung<br />

Wenn das Theater nicht umdenkt,<br />

verliert es Zuschauer<br />

38<br />

42<br />

44<br />

47<br />

50<br />

52<br />

54<br />

56<br />

60<br />

63<br />

Film/Fernsehen<br />

Jede* packt mit an – Klimawandel am Set<br />

Diversität im TV – Warum so kompliziert?<br />

So viel Potential steckt in diesen Geschichten<br />

Tschüß lineares Fernsehen<br />

Widerstand ist zwecklos<br />

Mensch = männlich, weiblich oder divers<br />

„Wofür mache ich das hier eigentlich alles?“<br />

Angst essen Seele auf<br />

Niemals einen Schwulen für eine schwule Rolle?<br />

Hinter den Kulissen<br />

66<br />

69<br />

74<br />

78<br />

Sprache/Synchron<br />

Diversität, Schubladen und Akzeptanz am Mikro<br />

Der Zeitdruck steigt – Aufnahmeleiter berichtet<br />

Der Ton ist wieder roher und rauer<br />

Der Aufnahmeleiter sieht alles<br />

3<br />

5<br />

7<br />

8<br />

9<br />

48<br />

72<br />

81<br />

82<br />

Standards<br />

Editorial<br />

Briefe an die Redaktion<br />

BFFS-Stammtische<br />

Vorhang auf für ...<br />

Podcast-Szene<br />

Auf den Hund gekommen<br />

Aus dem Off ...<br />

Impressum<br />

Die Dernière


BFFS & Branche<br />

Nachhaltige Freude mit der ersten<br />

Ausgabe des <strong>Schauspiegel</strong>s<br />

Wir haben für den <strong>Schauspiegel</strong> PEFC®-zertifiziertes<br />

Papier ausgewählt und verwenden mineralölfreie<br />

Druckfarben auf Basis nachwachsender Rohstoffe.<br />

Der Druck des Magazins erfolgt klimaneutral.<br />

Um die Erde auch für künftige Generationen als lebenswerten<br />

Ort erhalten zu können, ist vorausschauendes<br />

Denken und Handeln gefragt. Bereits jetzt müssen<br />

die Weichen im Hinblick auf die Erhaltung und<br />

Schonung natürlicher Ressourcen gestellt werden.<br />

Es ist uns daher wichtig, dass wir für den <strong>Schauspiegel</strong><br />

PEFC®-zertifiziertes Papier ausgewählt haben.<br />

Das ist ein transparentes und unabhängiges<br />

System zur Sicherstellung einer nachhaltigen Waldbewirtschaftung<br />

und damit ein weltweiter „Wald-TÜV“.<br />

Wir brauchen den Wald als Lebensgrundlage für<br />

Pflanzen, Tiere und Menschen. Der Wald reguliert<br />

unser Klima und ist für uns ein unersetzlicher Erholungsraum.<br />

In Deutschland sind 7,3 Millionen Hektar Wald<br />

PEFC®-zertifiziert. Das entspricht rund zwei Dritteln<br />

der deutschen Wälder! Damit ist PEFC® in<br />

Deutschland die größte unabhängige Institution für<br />

die Sicherung nachhaltiger Waldbewirtschaftung –<br />

und gleichzeitig die bedeutendste Waldschutzorganisation.<br />

Darüber hinaus hat sich PEFC® erfolgreich<br />

zu einer globalen Organisation entwickelt. PEFC® ist<br />

der Marktführer im Wald!<br />

Die von uns eingesetzten Druckfarben sind mineralölfrei.<br />

Mineralöle sind zwar günstig, werden aber<br />

aus Erdöl destilliert und haben einen negativen Einfluss<br />

auf Mensch und Natur. Die Druckfarben sind<br />

dadurch biologisch leichter abbaubar.<br />

Briefe an die Redaktion<br />

Den Artikel zu unserer Online-Umfrage, bezüglich<br />

unserer Sozialversicherungssituation fand ich sehr<br />

informativ und hilfreich. Ich wünsche mir mehr<br />

solcher Artikel, die sich der Aufklärung bedienen<br />

und uns Schauspielern* hilfreiche Tipps geben. Es<br />

ist toll, dass sich der BFFS so für uns einsetzt.<br />

Sandra Willmann, Stuttgart<br />

Ich finde es sehr gut, dass es jetzt ein BFFS Printmagazin<br />

gibt, da hat man alles nochmal so in der<br />

Hand und kann nachblättern. Alles rund ums<br />

Thema „Theater“ würde mich sehr interessieren.<br />

Sprich, wo geht die Tendenz bei den Vorsprechen<br />

hin? Wie soll die Bewerbung gestaltet sein, was<br />

wird von der Intendanz derzeit gewünscht? Früher<br />

waren schwarzweiß-Bilder ein Muss, ist das heute<br />

auch noch so? Bestimmt hat sich auch bei den Vorsprechrollen<br />

einiges geändert. Es wäre schön, da auf<br />

dem neuesten Stand zu sein.<br />

Myriam Tancredi, Frankfurt<br />

Liebe Leser*innen,<br />

wir sind auch auf Ihre Rückmeldung gespannt.<br />

Bitte schicken Sie Ihre Anregungen und Kommentare<br />

zum und über den <strong>Schauspiegel</strong> direkt an:<br />

redaktion@schauspiegel.com<br />

Wir freuen uns auf Ihre Beiträge!<br />

Herzlich Willkommen im Bundesverband Schauspiel<br />

von Simone<br />

Wagner<br />

Ich schreibe ja eigentlich jedes Jahr<br />

das Gleiche, aber es ist ja auch immer<br />

gleich schön! Die Weihnachtszeit!<br />

Es glitzert und funkelt überall,<br />

ein köstlicher Mandelduft zieht um<br />

die Häuser und es ist so ruhig. Nicht<br />

nur um uns herum, sondern auch in<br />

uns selbst. Auch wer mit Weihnachten<br />

nicht viel anfangen kann, genießt<br />

insgeheim die stressfreie Zeit und<br />

Stille, die uns für einige Wochen umgibt.<br />

Und jedes Jahr aufs Neue, stellen<br />

wir uns die Frage: Warum kann<br />

es nicht immer so sein? Wir sind<br />

selbst für unser Leben verantwortlich,<br />

und nur wir haben in der Hand, mit<br />

wie viel Tamtam und Stress wir<br />

unseren Alltag gestalten. Genau,<br />

wie unsere neuen Mitglieder, denn es<br />

war ihre eigene Entscheidung sich<br />

dem BFFS anzuschließen, denn<br />

zumindest, ihren Berufsalltag möchten<br />

sie selbstbestimmt gestalten …<br />

in diesem Sinne:<br />

Unsere Neuen Kolleg*Innen:<br />

Laura Bakowsky, Stefanie Breuer,<br />

Martin Bruchmann, Julia Dorothee<br />

Brunsch, Monika Bujinski, Claudio<br />

Caiolo, Alexandru Cirneala, Anouk<br />

Elias, Annika Ernst, Sarah Eyfferth,<br />

Gerhard Fehn, Constanze Aimée<br />

Feulner, Ole Fischer, Carolin Sophie<br />

Göbel, Nina Gummich, Helge Gutbrod,<br />

Stefan Happel, Marietta Holl, Luca<br />

Lehnert, Katja Marie Luxembourg,<br />

Roberto Martinez Martinez, Marie<br />

Mayer, Olivia Meyer Montero, Sascha<br />

Nathan, Bianca Maria Nieme, Philipp<br />

Andreas,Rein heimer, Josephine<br />

Roy, Yasmin Saleh, Seumas Sargent,<br />

Guido Schikore, Sebastian Schneider,<br />

Anna Schudt, Tommy Schwimmer,<br />

Nele Sommer, Uwe Topmann, Oliver<br />

Törner, Peter Volksdorf, Chiara von<br />

Galli, Barbara Weinzierl, Angela<br />

Winkler, Jens <strong>Winter</strong>, Susanne Wolff,<br />

Sina Zadra, Maryam Zaree, Olga<br />

Zimmermann<br />

5


KLAPPE AUF!<br />

Mitglieder des Bundesverbandes Schauspiel führen Gespräche<br />

mit Regisseur*innen, Caster*innen, Producer*innen, Kamerafrauen*<br />

und Kameramännern*, um von ihren Ansichten,<br />

Absichten und Arbeitsweisen zu erfahren. <strong>20</strong>12 wurde Klappe<br />

auf! in Hamburg ins Leben gerufen und ist inzwischen auch<br />

in Berlin und Stuttgart zum festen Bestandteil geworden.<br />

In Memoriam<br />

„Dem Mimen flicht die<br />

Nachwelt keine Kränze.“<br />

Friedrich Schiller<br />

Ihr wart unsere Weggefährten,<br />

Vorbilder und<br />

Lehrmeister. Ohne Euch<br />

wären wir nicht die, die<br />

wir sind. Wir gedenken<br />

Eurer Lebensleistung mit<br />

Respekt und behalten die<br />

vielen Menschen in Erinnerung,<br />

die Ihr in Eurem<br />

Leben gewesen seid.<br />

Billie Zöckler<br />

* 18. Januar 1949 in Celle<br />

† 18. Oktober <strong><strong>20</strong>19</strong> in München<br />

Bernd Rumpf<br />

* 21. März 1947 in Göttingen<br />

† 01. Oktober <strong><strong>20</strong>19</strong> in Berlin<br />

Andreas Wimberger<br />

* 13. Mai 1959 in Salzburg<br />

† 11. September <strong><strong>20</strong>19</strong><br />

Michael Schreiner<br />

* <strong>20</strong>. Januar 1950 in München<br />

† 08. September <strong><strong>20</strong>19</strong><br />

DEINE PERLEN<br />

Als Mitglied beim Bundesverband<br />

Schauspiel haben Sie die Möglichkeit,<br />

sich kostenfrei mit einem Foto<br />

auf DeinePerlen.de zu präsentieren.<br />

Die Plattform ermöglicht eine<br />

gezielte Suche nach Namen, Spielalter, Geschlecht,<br />

Region und bietet Links an, die je nach Wahl der<br />

einzelnen Schauspieler*innen zu ihren persönlichen<br />

Profilangaben auf die eigene Homepage, auf die<br />

Agentur-Website oder direkt auf die Casting-Datenbanken<br />

führt. Mit diesem Gemeinschaftsprojekt<br />

möchten wir unseren Verband stärken und<br />

das berufliche Fortkommen jedes einzelnen unterstützen.<br />

Gewerkschaft stärken! Gesicht zeigen!<br />

Auf DeinePerlen.de<br />

Kostenlose juristische<br />

Erstberatung für Mitglieder<br />

Der BFFS wird von den Rechtsanwälten<br />

Bernhard F. Störkmann und Brien Dorenz in<br />

allen rechtlichen Belangen unterstützt. Die<br />

BFFS-Geschäftsstelle in Berlin ist die erste<br />

Anlaufstelle für BFFS-Mitglieder in rechtlichen<br />

Fragen. Wenn Sie eine Rechtsberatung benötigen,<br />

wenden Sie sich für die Terminkoordination<br />

bitte per E-Mail oder telefonisch an den BFFS.<br />

Lis Verhoeven<br />

* 11. März 1931 in Frankfurt am Main<br />

† 2. Juli <strong><strong>20</strong>19</strong><br />

Maximilian Krückl<br />

* 21. August 1966 in München<br />

† 22. Juni <strong><strong>20</strong>19</strong><br />

Sie erreichen die Geschäftsstelle:<br />

Mo–Fr von 9–17 Uhr<br />

Fon: +49 30 225 02 79 30<br />

Fax: +49 30 225 02 79 39<br />

info@bffs.de www.bffs.de<br />

Foto: Christian Schneider<br />

6


BFFS & Branche<br />

Stammtisch-Übersicht – Das BFFS-Netzwerk<br />

BFFS-Stammtische finden in der Regel jeden ersten Montag<br />

im Monat um 19 Uhr statt. Die Themen werden üblicherweise<br />

Anfang des Monats bekanntgegeben. Diese können Sie unserer<br />

Website entnehmen, ebenso wie kurzfristige Änderungen.<br />

Berlin<br />

Filmbühne am Steinplatz<br />

Hardenbergstraße 12, 10623 Berlin<br />

Frankfurt<br />

Theater Alte Brücke<br />

Kleine Brückenstraße 5, 63594 Frankfurt<br />

Hamburg<br />

Die Hebebühne<br />

Barnerstraße 30, 22765 Hamburg<br />

Köln<br />

Restaurant Hallmackenreuther<br />

Brüsseler Platz 9, 50674 Köln<br />

Leipzig<br />

Galerie des Restaurants Telegraph<br />

Dittrichring 18-<strong>20</strong>, 04109 Leipzig<br />

München<br />

Wassermann Neuhausen<br />

Elvirastraße 19, 80636 München<br />

Stuttgart<br />

Theaterakademie Stuttgart<br />

Fuchseckstr. 7, 70188 Stuttgart<br />

Alle Orte<br />

und Termine<br />

Podcast-Szene<br />

Podcasts mit Fokus auf den Filmmarkt und die Filmkunst.<br />

von Yugen Yah<br />

Regisseur<br />

und Filmemacher<br />

aus<br />

Berlin und<br />

Betreiber<br />

eines eigenen<br />

Filmschaffenden<br />

Podcast-Formats<br />

Podcasts haben in den letzten Jahren einen regelrechten<br />

Siegeszug hingelegt. Permanent kommen<br />

neue Formate mit informativen, komödiantischen<br />

oder narrativen Inhalten auf den Markt. Podcasts<br />

sind im Vergleich zum Radio immer abrufbar, zusätzlich<br />

kann man dabei auch anderen Tätigkeiten<br />

nachgehen. Das erklärt auch die große Beliebtheit.<br />

Aktuell gibt es geschätzt über 750.000 Podcasts<br />

weltweit mit mehr als 30 Millionen Episoden. Da<br />

liegt es nahe, zu schauen, was sich bei diesem<br />

Thema in der deutschen Filmbranche tut.<br />

Behind<br />

the Tresen<br />

Schauspieler<br />

Nicolas Solar<br />

Lozier spricht<br />

mit seinen Gästen in deren<br />

Lieblingskneipe, ehrlich und<br />

ungeschminkt über die Arbeit<br />

am Set, das Ausrichten von<br />

Filmfestivals oder auch über<br />

eine gute Balance zwischen<br />

Arbeit und Freizeit. Spotify |<br />

iTunes | Podcast-App<br />

Die Liste ist alphabetisch sortiert:<br />

7


Close Up<br />

In dem<br />

Podcast der<br />

Deutschen<br />

Filmakademie<br />

sprechen Schauspielerin<br />

Susanne Bormann und Regisseur<br />

Christian Schwochow<br />

zum einen über produktionstechnische<br />

Aspekte und zum<br />

anderen über persönliche<br />

Themen wie Werdegang, den<br />

eigenen Druck und Ängste<br />

und Herausforderungen.<br />

Spotify | iTunes | Podcast-App<br />

Indiefilmtalk<br />

Regisseur Yugen Yah und<br />

Theaterpädagogin Susanne<br />

Braun sprechen alle zwei<br />

Wochen mit ihren Gästen<br />

über Fördermöglichkeiten,<br />

die Arbeit zwischen Regie und<br />

Schauspiel, über das Showrunning<br />

bei Serien oder einfach<br />

über das Thema Prokrastination<br />

in der Kreativwirtschaft.<br />

Zusätzlich strahlen<br />

sie regelmäßig Paneldiskussionen<br />

von Festivals aus.<br />

Spotify | iTunes | Deezer | Stitcher |<br />

Radio.de | Podcast-App<br />

Schauspiel-<br />

Helden<br />

ist ein<br />

Podcast-<br />

Format vom<br />

Bundesverband Schauspiel<br />

und beschäftigt sich neben<br />

der Filmarbeit auch mit<br />

wichtigen Themen, die wir<br />

gerne verdrängen, wie zum<br />

Beispiel Altersvorsorge<br />

und Zweitverwertung auf<br />

eine lockere Art und Weise.<br />

Spotify | iTunes | Podcast-App<br />

Serien<br />

Dialoge<br />

Podcast<br />

vom Medienmagazin<br />

DWDL beschäftigt sich mit<br />

der Arbeit an der Produktion<br />

von Serien in Deutschland.<br />

Journalistin Ulrike Klode<br />

spricht mit verschiedenen<br />

Serienmacher*innen über<br />

ihre Arbeit. Spotify | iTunes |<br />

Podcast-App<br />

Serienreif<br />

„Dark“, „How to sell drugs“,<br />

„Beat“ oder „Babylon<br />

Berlin“ – Auch in Deutschland<br />

ist der Serienboom angekommen<br />

und gibt Filmschaffenden<br />

die Möglichkeit, auf kreative<br />

Art und Weise, Filme zu<br />

produzieren. Jens trifft Serienmacher*innen<br />

und redet<br />

mit ihnen über ihre Projekte<br />

und Visionen. Ein toller<br />

Podcast, um Einblicke<br />

in die deutsche Serienlandschaft<br />

zu bekommen.<br />

Spotify | iTunes | Podcast-App<br />

Setfunk 5<br />

fokussiert<br />

sich auf den<br />

technischen<br />

Teil der Filmbranche.<br />

Producer Johannes<br />

Gall und Kameramann Simon<br />

Knobloch reden in lockerer<br />

Runde alle zwei Wochen über<br />

ihre Erfahrungen und die<br />

Arbeit in der Filmszene, Veränderungen<br />

in der Branche<br />

und Technikneuheiten.<br />

Spotify | iTunes | Youtube |<br />

Podcast-App<br />

Fehlt ein Podcast in der<br />

Liste, den Sie uns empfehlen<br />

können? Schreiben<br />

Sie uns gerne unter<br />

redaktion@schauspiegel.com<br />

Stichwort Drehbuch<br />

Der Podcast vom Verband<br />

Deutscher Drehbuchautoren<br />

(VDD) legt den Fokus auf<br />

die Arbeit von Drehbuchautor*innen.<br />

Alle drei bis<br />

vier Wochen reden die VDD-<br />

Mitglieder Oliver Schütte,<br />

Frank Zeller und Susanne<br />

Zahn mit den Showrunner*innen<br />

und Filmschaffenden<br />

über ihre Arbeit, ihre<br />

Herangehensweisen und<br />

Werdegänge. Mit insgesamt<br />

210 Folgen ist der Podcast<br />

einer der ältesten.<br />

Spotify | iTunes | Podcast-App<br />

Wie kann ich<br />

Podcasts hören?<br />

Mit Smartphone, Tablet oder Computer<br />

können die Audioinhalte<br />

heruntergeladen oder gestreamt<br />

werden. Gängige Apps sind<br />

für Apple-User das vorinstallierte<br />

iTunes oder die dazugehörige<br />

Podcast-App. Für Android bietet<br />

der „Playstore“ zum Beispiel Podcast-Addict<br />

oder Google Podcast.<br />

Auch mit Streaming-Angeboten<br />

wie Spotify oder Deezer kann man<br />

meist darauf zugreifen. Und es<br />

gibt auch immer die Möglichkeit,<br />

die Episoden über die Webseite<br />

des Podcasts anzuhören.<br />

Foto: Deidhra Fahey<br />

8


Was sollte ein Schauspieler unbedingt können?<br />

Wie lautet Ihr Lieblingsschimpfwort? #$%&<br />

Lieben Sie jemanden und woraus schlieSSen Sie das? /<br />

Was fehlt Ihnen zum Glück? Ich muss mehr ins Fitnessstudio.<br />

BFFS & Branche<br />

Vorhang auf für ... BFFS-Mitglied Kian K. Rad<br />

Name<br />

Kian K. Rad<br />

Spielalter<br />

22–35<br />

Wenn Sie kein Schauspieler geworden wären, welchen Beruf hätten<br />

Sie alternativ gewählt? Ich wäre wahrscheinlich Regisseur oder Kameramann geworden.<br />

Wie selbstkritisch sind Sie und sind Sie davon überzeugt?<br />

Ich bin sehr selbstkritisch. Ich befürchte allerdings auch, dass es absolut notwendig ist. Ich fühle<br />

mich, beispielsweise in einer Rolle nur wohl, wenn ich absolut alles (oder so viel wie möglich) darüber<br />

weiß. Sobald ich meinen Charakter verstehen und leben kann, bin ich frei genug, die Rolle zu<br />

spielen und zu adaptieren was erwartet wird. Obendrein hilft es, realistisch und vorausschauend zu<br />

sein um schneller vorwärtszukommen.<br />

Wohnort<br />

New York /<br />

Los Angeles<br />

Was war Ihre wichtigste Rolle und auf welche hätten Sie verzichten können?<br />

Homepage<br />

kiankavousi.com<br />

Es gibt einige Rollen, auf die ich stolz bin und einige die ich besser hätte einschätzen können, aber<br />

naja, als Schauspieler muss man da durch … Beispielsweise mochte ich meine Rolle in der TV-<br />

Serie „The Chosen“, da mein Charakter einen wesentlichen Einfluss auf andere Charaktere hatte und<br />

sehr genau gespielt werden musste. Im Off-Broadway-Theater bin ich sehr stolz auf meine Rollen in<br />

„Defendant Maurice Chevalier.“ Ich habe zwei Rollen gleichzeitig auf der Bühne gespielt, die unterschiedlicher<br />

nicht hätten sein können.<br />

Welche lebende Persönlichkeit würden Sie gerne treffen und warum?<br />

Es gibt mehrere Persönlichkeiten, die ich gerne treffen würde. Dazu zählen Robert DeNiro, Leonardo<br />

DiCaprio, Al Pacino, Daniel DayLewis, Johnny Depp, Joaquin Phoenix und viele weitere. Der Grund<br />

dafür ist, dass ich gerne mit allen zusammenarbeiten würde, da ich von denen lernen kann und dazu<br />

beitragen möchte, ein großartiges Projekt zu kreieren.<br />

Auf welche Persönlichkeit könnten Sie verzichten und warum?<br />

Jemand mit schlechter Laune oder einer negativen Einstellung.<br />

Ihre/Seine* Hausaufgaben zu machen! Es ist von äußerster Wichtigkeit, bereit zu sein. Dazu gehört,<br />

immer zu trainieren (im Unterricht oder außerhalb), Filme, Serien und Theater zu sehen, Charaktere<br />

auszuprobieren und Verhaltensweisen zu beobachten. Zusätzlich ist es unbedingt wichtig, zu leben<br />

und ein guter Mensch zu sein! Ein guter Mensch geht Hand in Hand mit einem tollen Schauspieler*,<br />

der viel erlebt und erfährt.<br />

Welche schlechten Eigenschaften sagt man Ihnen nach und wofür bitten Sie um<br />

Verzeihung? Es ist mir sehr wichtig, dass alles locker aber ordentlich ausgeführt wird, während für<br />

viele „gut genug“ ausreicht. Allerdings ist es auch eine gute Eigenschaft, da ich nun mit jeder Situation<br />

umgehen kann.<br />

Wie lautet Ihr Lieblingswort? YESSS<br />

Foto:<br />

9


Alexia von Wismar<br />

Siir Eloglu<br />

Serge Fouha<br />

Klaus Nierhoff<br />

Mohammad-Ali Behboudi Katrin Filzen<br />

So divers<br />

Ulrike Bliefert Kish<br />

Roberto Guerra<br />

Tonio Schneider<br />

Dayan Kodua<br />

10<br />

Nina Vorbrodt<br />

Nathalie Thiede<br />

FotoS: v. o. l. n. u. r.: Boris von Wismar, Christine Fenzl, Linda Dreisen, Robert Recker, Pedram Farhadifar, Mena Zoo, Robert Berghoff, Hardy Brackmann, Sophia Remer, Raimar von Wienskowski, Birgitta Weizenegger, Max Sonnenschein


Auftakt<br />

Fotos: v. o. l. n. u. r.:Jonas Mohr, Olaf Denkert, Steffen Weixler, Simon Kelic, Thiago Braga de Oliviera, Alexander Schank, Diana Woito, Thomas Leidig, Johanna Passon ,Till Brönner<br />

John Patrick Garth<br />

Mirijam Verena Jeremic<br />

Anne Alexander Sieder<br />

Schauspieler*innen<br />

aus Deutschland<br />

Christian Senger<br />

Christina Schumacher<br />

Sulaika Lindemann<br />

sind wir<br />

Daniel Printz<br />

Richard Gonlag<br />

Volkmar Leif Gilbert<br />

Nenad Lucic


„Wir“ und „die Anderen“<br />

Whaaaaat? Klingt komisch, is aber so!<br />

Ethnische Identität<br />

Wir danken den<br />

Neuen deutschen<br />

Medienmacher*innen<br />

für die Bereitstellung<br />

des<br />

Glossars.<br />

Die Neuen deutschen<br />

Medienmacher*innen<br />

(NdM) sind die<br />

größte Organisation<br />

von und für<br />

Journalistinnen<br />

und Journalisten<br />

mit Migrationshinter-<br />

und<br />

Vordergrund. Sie<br />

setzen sich dafür<br />

ein, dass sich<br />

die Vielfalt der<br />

Einwanderungsgesellschaft<br />

in<br />

der Berichterstattung<br />

und in<br />

den Redaktionsräumen<br />

der<br />

deutschen Medien<br />

wiederfindet.<br />

Afrodeutsche ist eine<br />

häufige Selbstbezeichnung<br />

von Schwarzen Menschen in<br />

Deutschland. Um Missverständnissen<br />

vorzubeugen:<br />

Längst nicht alle, die sich so<br />

bezeichnen, haben familiäre<br />

Bezüge zu Afrika – sie können<br />

auch aus den USA, anderen<br />

europäischen Ländern und<br />

überall herstammen.<br />

Biodeutsche wurde vor<br />

einigen Jahren von „Migrationshintergründler*innen“<br />

als Gegenentwurf mit scherzhaft-provokantem<br />

Unterton<br />

in die Debatte gebracht und<br />

wird inzwischen aus Mangel<br />

an Alternativen mitunter<br />

ernsthaft verwendet. Viele so<br />

Bezeichnete lehnen den Begriff<br />

ab, weil in ihm die Vorstellung<br />

von Genetik mitschwingt. Die<br />

Deutung als Kürzel für Biografisch-Deutsche<br />

ist inzwischen<br />

verloren gegangen.<br />

Deutsch-Türken usw. ist<br />

eine Möglichkeit die Internationalität<br />

von Menschen<br />

zu beschreiben. Dabei ist<br />

es allerdings sinnvoll, ihren<br />

Lebensmittelpunkt zu betonen,<br />

also Türkei-Deutsche statt<br />

Deutsch-Türken, Greco-Deutsche<br />

statt Deutsch-Griechen,<br />

Spanisch-Deutsche, Polnisch-Deutsche<br />

usw. Denn bei<br />

Wortzusammensetzungen im<br />

Deutschen steht die Hauptbedeutung<br />

immer am Ende (z.B.<br />

Hausschuh). Übrigens empfinden<br />

sich auch Einwanderer<br />

ohne deutschen Pass oft als Teil<br />

der deutschen Gesellschaft,<br />

also z. B. als Türkei-Deutsche.<br />

Diverskulturelle empfiehlt<br />

sich auch als Adjektiv und<br />

ist eine Alternative zur Bezeichnung<br />

von Menschen aus Einwandererfamilien.<br />

Sie wurde von<br />

Heidelberger Bürgern mit und<br />

ohne Einwanderungsbiografie<br />

in einem Workshop mit den<br />

NdM beim Diversity-Day <strong>20</strong>14<br />

entwickelt.<br />

People of Color (PoC) ist eine<br />

Selbstbezeichnung von Menschen<br />

mit Rassismuserfahrung,<br />

die nicht als weiß, deutsch und<br />

westlich wahrgenommen werden<br />

und sich auch selbst nicht<br />

so definieren. PoC sind nicht<br />

unbedingt Teil der afrikanischen<br />

Diaspora, ursprünglich ist der<br />

Begriff u.a. zur Solidarisierung<br />

mit Schwarzen Menschen entstanden.<br />

Schwarz und weiß sind<br />

dabei politische Begriffe. Es geht<br />

nicht um Hautfarben, sondern<br />

um die Benennung von Rassismus<br />

und den Machtverhältnissen<br />

in einer mehrheitlich weißen<br />

Gesellschaft. Inzwischen wird<br />

häufiger von BPoC (Black and<br />

People of Color) gesprochen,<br />

um Schwarze Menschen<br />

ausdrücklich einzuschließen.<br />

Singular: Person of Color.<br />

Rasse ist eigentlich seit dem<br />

Nationalsozialismus („Rassengesetze“)<br />

ein Unwort in<br />

Deutschland, das im Sprachgebrauch<br />

nicht mehr üblich ist.<br />

Dennoch existiert es noch in<br />

zahlreichen Gesetzestexten wie<br />

dem Grundgesetz („Niemand<br />

darf wegen … seiner Rasse …<br />

benachteiligt oder bevorzugt<br />

werden.“). In der Berichterstattung<br />

taucht es zudem auf,<br />

wenn zum Beispiel Rassismus-<br />

Debatten aus den USA wiedergegeben<br />

werden.<br />

Schwarze „Wenn es um<br />

Rassismus, unterschiedliche<br />

Erfahrungen und Sozialisationen<br />

geht, ist der politisch<br />

korrekte Begriff Schwarze.<br />

In allen anderen Fällen gibt<br />

es aber meistens gar keinen<br />

Grund, dazu zu sagen, ob eine<br />

Person Schwarz oder weiß ist.“<br />

(zitiert von www.derbraunemob.info).<br />

Farbige / farbig<br />

ist ein kolonialistischer<br />

Begriff und negativ konnotiert.<br />

Eine Alternative sind die<br />

Selbstbezeichnungen People<br />

of Color (PoC, Singular:<br />

Person of Color) oder Black<br />

and People of Color (BPoC).<br />

12


Auftakt<br />

Whaaaaat? Klingt komisch, is aber so!<br />

Sexuelle Identität<br />

Binäres Geschlecht Das<br />

binäre Geschlecht ist das Ergebnis<br />

der westlichen Sichtweise,<br />

die nur zwei Geschlechter – also<br />

Mann und Frau – anerkennt,<br />

und keine Zwischenstufen<br />

oder Geschlechtsidentitäten außerhalb<br />

dieser Norm erlaubt.<br />

Cis Als Cismann oder Cisfrau<br />

werden Menschen bezeichnet,<br />

deren angeborene Geschlechtsorgane<br />

mit ihrer persönlichen<br />

Geschlechtsidentität übereinstimmen.<br />

Gender Der Begriff Gender<br />

beschreibt das gesellschaftliche<br />

Geschlecht. Also die Geschlechterrolle,<br />

die Menschen schon<br />

bei der Geburt von sozialen und<br />

kulturellen Einflüssen zugeschrieben<br />

wird. So wird Babies<br />

mit weiblichen Geschlechtsmerkmal<br />

(Vagina) nur aufgrund<br />

der biologischen Attribute das<br />

soziale Geschlecht Frau zugeordnet.<br />

Gender beinhaltet außerdem<br />

die Normen, Pflichten und<br />

Interessen, die mit einer solchen<br />

zugeschriebenen Identität einhergehen.<br />

Genderfluid Die Bezeichnung<br />

fluid (englisch: flüssig) soll<br />

darauf hinweisen, dass Identitäten<br />

nicht starr festgeschrieben<br />

sind, sondern sich dauerhaft<br />

ändern können. Genderfluid sind<br />

Menschen, deren Gender sich<br />

verändert.<br />

Inter Als inter bezeichnet<br />

man Menschen, deren biologisches<br />

Geschlecht (anatomisch,<br />

genetisch oder hormonell)<br />

nicht eindeutig in die binären<br />

Kategorien Mann oder Frau<br />

passt. Intermenschen können<br />

weibliche und männliche Geschlechtsorgane/Geschlechtsmerkmale<br />

haben oder solche,<br />

die in einem Spektrum<br />

zwischen zwei Geschlechtsnormen<br />

liegen.<br />

LGBTQI* Diese Abkürzung<br />

kommt aus dem Englischen<br />

und steht für Lesbian, Gay, Bi,<br />

Trans, Queer und Inter soll<br />

die geschlechtliche Vielfalt der<br />

sogenannten queeren Community<br />

abbilden. Das Sternchen<br />

soll verdeutlichen, dass auch<br />

alle Menschen, die sich nicht<br />

in LGBTQI wiederfinden, hier<br />

ebenfalls berücksichtigt werden.<br />

Nichtbinär Als nichtbinär<br />

beschreibt man alle<br />

Geschlechts- und Genderidentitäten,<br />

die außerhalb<br />

der Definitionen Mann<br />

und Frau stattfinden.<br />

Queer Queer ist ein Überbegriff<br />

für alle Menschen deren<br />

Identität, Geschlecht oder sexuelle<br />

Orientierung nicht mit<br />

den Normen einer binären<br />

Gesellschaft übereinstimmen.<br />

Queer ist auch oft ein Wort,<br />

mit dem sich Menschen<br />

aus dieser Community selbst<br />

beschreiben.<br />

Transgender Als Trans werden<br />

alle Menschen bezeichnet,<br />

deren eigene Identität nicht<br />

mit dem biologischen oder dem<br />

bei der Geburt zugewiesenen<br />

Geschlecht übereinstimmt. Der<br />

Begriff Transgender beschreibt<br />

Transfrauen, Transmänner und<br />

alle Transmenschen, die sich außerhalb<br />

der binären Geschlechterkategorien<br />

identifizieren.<br />

Transition Als Transition<br />

bezeichnet man eine körperlichen<br />

Geschlechtsangleichung.<br />

Ziel dabei ist es, sich im eigenen<br />

Körper wohl zu fühlen und die<br />

äußere Erscheinung dem inneren<br />

Empfinden anzupassen. Bis vor<br />

wenigen Jahren wurde noch<br />

von einer „Umwandlung“ von<br />

bzw. einer Frau zu einem Mann<br />

gesprochen. Nun wird dagegen<br />

anerkannt, dass die Menschen<br />

mit ihrer Transition ihre<br />

individuelle Identität ausleben.<br />

Zugewiesenes Geschlecht<br />

Das zugewiesene Geschlecht ist<br />

das Geschlecht, das einem Kind<br />

bei der Geburt zugewiesen wird<br />

und in der Geburtsurkunde<br />

festgelegt ist. Seit <strong><strong>20</strong>19</strong> kann in<br />

Deutschland neben „männlich“<br />

und „weiblich“ auch „divers“<br />

als Geschlecht eines Menschen<br />

in das offizielle Dokument<br />

eingetragen werden.<br />

Wir danken<br />

NOIZZ.de für die<br />

Bereitstellung<br />

des Glossars.<br />

13


Der Verlust<br />

von Diversität<br />

Warum es besser wäre,<br />

Menschen nicht einzuteilen.<br />

INTERVIEW MIT ISLAMWISSENSCHAFTLER THOMAS BAUER<br />

Das wahrscheinlich berühmteste Gemälde<br />

der Welt gibt auch nach 500 Jahren immer<br />

noch Rätsel auf, und vielleicht ist die<br />

Mona Lisa von Leonardo da Vinci genau<br />

deswegen so berühmt, weil ihr Gesichtsausdruck<br />

rätselhaft und nicht nur in eine Richtung<br />

deutbar ist. „Gute Kunst braucht Mehrdeutigkeit“,<br />

sagt der Islamwissenschaftler Thomas Bauer, der<br />

über die Kultur der Ambiguität im Islam und ganz<br />

allgemein über den Verlust der Vielfalt in unserer<br />

Gesellschaft geschrieben hat.<br />

Anja Reinhardt: Thomas Bauer, erstmal müssen<br />

wir vielleicht etwas Begriffsklärung betreiben. Sie<br />

haben über den Begriff der Ambiguität geschrieben<br />

und über den Verlust an Mehrdeutigkeit und Vielfalt.<br />

Statt Vielfalt würde man heute eher das Wort<br />

Diversität nutzen. Meinen Sie das Gleiche?<br />

Thomas Bauer: Jetzt fangen Sie gleich mit so einer<br />

Frage an. [lacht] Es ist nicht immer exakt das<br />

Gleiche. Mit der Vielfalt meine ich auch die Vielfalt<br />

von Weltsichten, die Vielfalt, die Welt wahrzunehmen,<br />

und zwar unabhängig von den Menschen. Ich<br />

würde sagen, mit der Vielfalt der Menschen umzugehen,<br />

mit ihren verschiedenen Herkünften, ihren<br />

verschiedenen Zuordnungen und ihren verschiedenen<br />

Religiositäten, das ist tatsächlich ein Teil<br />

von dem, was ich unter der Ambiguitätstoleranz<br />

gesehen habe. Aber es geht eben auch darum, wie<br />

man selbst die Welt wahrnimmt und ob man damit<br />

umgehen kann, wenn Dinge einem rätselhaft und<br />

unklar sind, wenn sie keine genaue Information<br />

hergeben, also Vagheit und Mehrdeutigkeit. Da ist,<br />

glaube ich, eine große Vereinheitlichungstendenz<br />

sichtbar, und das gehört dazu, wie wir mit anderen<br />

Menschen umgehen und ist ein Teil davon.<br />

A. R.: Wir leben in einer Zeit, in der Diversität ernst<br />

genommen wird, in der die Rechte von Minderheiten<br />

immer wieder betont und geschützt werden, je<br />

nach Land sicher unterschiedlich. Wo stellen Sie da<br />

den Verlust von Mehrdeutigkeit fest?<br />

T. B.: Wir müssen sehen: Wenn wir heute Diversität<br />

zu einem Thema machen, dann geht dem etwas<br />

voraus, nämlich die Klassifikation. Wir haben heute<br />

ein sehr unkritisches Verhältnis zu dem, was wir<br />

Aufklärung nennen, weil es geradezu Distinktionsund<br />

Identitätsmerkmal ist. Wir sind eben die Gesellschaft,<br />

die die Aufklärung hatte.<br />

Aufklärung bedeutet aber auch, dass jemand wie<br />

der geniale Botaniker und Biologe Carl von Linné<br />

nicht nur die beste Pflanzenklassifikation entwickelt<br />

hat, die es bis dahin gab, sondern auch auf den Gedanken<br />

gekommen ist, Menschen zu klassifizieren.<br />

Und diese frühen Klassifikationen waren durchaus<br />

wertend. So wie es höhere und niedere Tiere gibt,<br />

so gab es auch höhere und niedere Menschenrassen.<br />

Diese Klassifizierungen haben dazu geführt, Kategorien<br />

einzuführen, die es früher so nicht gab.<br />

A. R.: Das heißt, früher gab es diese Identitätspolitiken<br />

gar nicht, wie es sie heute gibt?<br />

T. B.: Die gab es definitiv nicht. Islamische Gelehrte<br />

in der Vormoderne haben gerne und mit großer<br />

Leidenschaft klassifiziert – Wissenschaften, Themen<br />

des Rechts, all das wurde wie wild auf das Exaktes-<br />

14


Auftakt<br />

te und Genaueste klassifiziert. Auch Pflanzen hat<br />

man klassifiziert, aber wenn es um Menschen ging,<br />

hatte man lediglich ganz vage Kategorien. Natürlich<br />

gab es Wörter für verschiedene Hautfarben, für<br />

verschiedene Herkünfte, aber das hat nie zu einer<br />

Kästchenbildung oder einer Klassifizierung geführt.<br />

Stattdessen war die Wahrnehmung eben, dass die<br />

Welt vielfältig ist. Und dabei vergessen wir immer<br />

eines: Wir sind in Europa so stolz auf unsere Vielfalt,<br />

dabei war Europa in der Geschichte ein extrem<br />

wenig differenzierter Kontinent.<br />

Wir sind<br />

in Europa<br />

so stolz<br />

auf unsere<br />

Vielfalt,<br />

dabei war<br />

Europa<br />

in der<br />

Geschichte<br />

ein extrem<br />

wenig<br />

differenzierter<br />

Kontinent.<br />

A. R.: Größere Völkerbewegungen gab es in den letzten<br />

Jahrhunderten nicht unbedingt in Europa.<br />

T. B.: Nein, und für die längste Zeit der europäischen<br />

Geschichte nach der Christianisierung gab es auch<br />

immer nur eine einzige Religion, und selbst innerhalb<br />

dieser Religion wurde noch normiert. Man<br />

durfte irgendwann kein Arianer mehr sein, sondern<br />

musste einer bestimmten Form des Christentums<br />

angehören. Das hat sich dann gespalten und sofort<br />

zu Kriegen und Auseinandersetzungen geführt.<br />

Und außer den eher widerwillig geduldeten Juden<br />

gab es keine andere Religion.<br />

Wenn Sie im osmanischen Reich oder in Indien<br />

aus dem Haus gegangen sind, trafen Sie sofort auf<br />

Menschen, die einer anderen Religion angehörten,<br />

eine andere Muttersprache hatten, anders angezogen<br />

waren. Das ist eine Selbstverständlichkeit der<br />

Wahrnehmung des Anderen, die einen erstmal gar<br />

nicht auf den Gedanken kommen lässt, dass man<br />

Menschen in Kategorien einteilen und klassifizieren<br />

und dann dafür sorgen muss, dass alle irgendwie<br />

gleichberechtigt sind, weil es einfach das Normale<br />

des Alltags ist. Das hat sich wissenschaftlich<br />

erst seit der Aufklärung geändert und dann natürlich<br />

ganz massiv seit dem Aufkommen des Nationalstaats<br />

und der Idee, dass es Nationen gibt, die<br />

einheitlich sein müssen.<br />

A. R.: Da würde ich gerne noch einmal einhaken,<br />

denn das ist ja etwas, das uns heute überrascht, dass<br />

ausgerechnet im heutigen arabischen Raum, also<br />

im osmanischen Reich, die Vielfalt so groß gewesen<br />

sei, denn heute steht ja der Islam und der arabische<br />

Raum eher für das Gegenteil.<br />

T. B.: Ja, das sind tatsächlich Entwicklungen, die<br />

nach dem ersten Weltkrieg einsetzten, wo man<br />

auch in den arabischen Ländern die Idee des Nationalismus<br />

entdeckt hat. Es kam zuerst der Nationalismus<br />

und als der dann weitgehend gescheitert<br />

ist, kam die neue Ideologie des Islamismus und<br />

beide wirken sich natürlich anti-pluralistisch aus.<br />

Sie sehen gewisse Reste von dem, was mal war, in<br />

einem kleinen Land wie Libanon, mit seinem Religionsgemisch.<br />

Wir haben ja immer dieses Datum –<br />

„Da und da kam der Islam“ und wir denken immer<br />

automatisch, dass es wie die Ankunft des Christentums<br />

ist, die dazu führte, dass es innerhalb von<br />

wenigen hundert Jahren, nachdem es zur Staatsreligion<br />

wurde, nur noch Christen gab in christlichen<br />

Gebieten. Das war mit dem Islam ganz anders. Der<br />

kam einfach nur dazu und es dauerte Jahrhunderte,<br />

bis die Muslime in der Mehrheit waren. Also, diese<br />

sprachliche und religiöse Vielfalt war etwas absolut<br />

Normales und ist tatsächlich erst in den letzten Jahrzehnten<br />

dermaßen zurückgegangen, dass wir heute<br />

diesen doch stark veränderten Eindruck haben.<br />

A. R.: Das Interessante ist ja, dass mit der Aufklärung,<br />

über die wir vorhin gesprochen haben, durchaus auch<br />

die Suche nach der einen allgemeingültigen Wahrheit<br />

begonnen hat. Das ist etwas, was sich auch in der<br />

Philosophie von Hegel sehr stark manifestiert und<br />

was wir vielleicht heute im arabischen Raum sehen –<br />

dass es nur diese eine Wahrheit gibt. Ist es das, was<br />

importiert worden ist, wie Sie es vorhin gesagt haben?<br />

T. B.: Das fängt gegen Ende des 19. Jahrhunderts<br />

an, wo die gesamte Welt vielleicht gerade wegen ihrer<br />

„unordentlichen Diversität“ auf die Aggression<br />

15


Auch<br />

die Idee,<br />

dass es<br />

genau zwei<br />

Geschlechter<br />

gibt,<br />

Mann<br />

und Frau,<br />

ist vielen<br />

Kulturen,<br />

übrigens<br />

auch<br />

islamischen<br />

Kulturen,<br />

sehr<br />

fremd.<br />

Europas im Imperialismus und Kolonialismus einfach<br />

nicht vorbereitet war, wo die ganze Welt sich<br />

erst zu der militärischen und dann auch zu der<br />

wirtschaftlichen Übermacht Europas irgendwie<br />

verhalten musste. Dazu kam, dass es einheimische,<br />

junge Eliten gab, die sich ganz stark an Europa orientierten,<br />

und das waren dann solche Leute, die<br />

sich auch später die Macht erkämpften, vor allem<br />

über den Weg des Militärs, ohne das es ja heute eigentlich<br />

in allen arabischen Ländern gar nicht geht.<br />

Das sind also neue westliche und nicht umsonst im<br />

Militär beheimatete Eliten, die die alten, abwägenden<br />

Religionsgelehrten und die alten Literaten, die<br />

Spaß hatten an vieldeutigen Gedichten, abgelöst<br />

haben und natürlich zu dieser Vereinheitlichung<br />

sehr stark beigetragen haben.<br />

A. R.: Sie schreiben in Ihrem Buch, dass es gerade in<br />

der Literatur möglich war, sehr ambiguitätstolerant<br />

zu sein, dass es da große Widersprüche gab.<br />

T. B.: Wenn Sie heute in einem arabischen Land<br />

etwas veröffentlichen, müssen Sie mit einer sehr<br />

strengen Zensur rechnen. Sie müssen sogar damit<br />

rechnen, in Ägypten z.B. sehr schnell im Gefängnis<br />

zu sein, wenn man das Falsche schreibt. Das ist<br />

eine völlig neue Entwicklung. Sie konnten bis ins 19.<br />

Jahrhundert hinein alles schreiben, was Sie wollten,<br />

und man hat das auch gemacht. Zum Beispiel – das<br />

hat ja auch mit Diversität zu tun – eine Einteilung<br />

in sexuelle Orientierungen. Das gab es überhaupt<br />

nicht. Es gab ja überhaupt den Begriff der Sexualität<br />

weltweit, auch in Europa, erst seit dem 19. Jahrhundert.<br />

In der islamischen Welt war es eigentlich<br />

anerkannte Tatsache, dass man sich in junge, hübsche<br />

Männer genauso verlieben kann, wie in junge,<br />

hübsche Frauen, und man hat das in der Literatur<br />

ausgelebt.<br />

Man hat Liebesgedichte geschrieben und zwar immer<br />

auf beide Geschlechter, auch solche, bei denen<br />

man das Geschlecht der geliebten Person gar nicht<br />

erkennen kann. Man konnte auch als frommer Muslim<br />

Weingedichte schreiben, obwohl das Weintrinken<br />

ja bekanntlich im Islam verboten ist, und mehr<br />

noch sogar: wichtige religiöse und mystische Erlebnisse<br />

eines Eins-Sein mit Gott hat man in Weindichtung<br />

ausgedrückt, ganz unabhängig davon, ob man<br />

ihn nun getrunken hat oder nicht. Aber das Bild des<br />

Weins, des Berauscht-Seins, auch durch die Nähe<br />

Gottes, das waren mächtige literarische Themen.<br />

A. R.: Man schafft sich seine Identität ja nicht nur<br />

über die sexuelle Orientierung, die wichtig ist. Das<br />

merken wir immer wieder, es gibt ich-weiß-nichtwieviele<br />

Geschlechter mittlerweile…<br />

T. B.: Schauen Sie, damit fängt das Problem schon an,<br />

mit der Zählerei. Das ist diese typisch moderne Reaktionsweise.<br />

Auch die Idee, dass es genau zwei Geschlechter<br />

gibt, Mann und Frau, ist vielen Kulturen,<br />

übrigens auch islamischen Kulturen, sehr fremd.<br />

In Pakistan hatte man sogar schon die Möglichkeit,<br />

ein drittes Geschlecht in den Pass eintragen zu<br />

lassen lange bevor wir das in Deutschland hatten.<br />

Dann sehen wir, dass das mit der Zweiteilung, also<br />

der Dichotomie, nicht geht und schaffen Zwischenkategorien,<br />

aber die müssen alle schön definiert<br />

sein. Wir müssen also ganz genau wissen, wie viel<br />

Geschlechter es sind, aber die Tatsache zu sagen,<br />

dass es eine vage Kategorie ist, wo wir aufhören zu<br />

zählen und zu klassifizieren, und dass es einfach<br />

unordentlich ist, das scheint wahnsinnig schwer zu<br />

ertragen zu sein.<br />

A. R.: Warum ist das so wichtig, dass man sich über<br />

Eindeutigkeit definiert? Das scheint ja genau das<br />

Gegenteil von Diversität zu sein. Warum wird das<br />

Private so politisch? Warum muss man sofort nach<br />

außen tragen, dass man Vegetarier oder Veganer ist?<br />

Warum muss man seinen Beziehungsstatus nach außen<br />

tragen? Warum wird das alles so kategorisiert?<br />

T. B.: Ich glaube, das ist tatsächlich eine moderne<br />

Entwicklung, die mit dem allgemeinen Rückgang<br />

von Ambiguitätstoleranz zu tun hat. Man sucht<br />

Eindeutigkeit. Wo findet man Eindeutigkeit? Man<br />

findet sie einmal außen, von einer äußeren Autorität,<br />

etwa im Fundamentalismus. Die Alternative<br />

ist, man findet sie, das ist vielleicht der protestantisch<br />

induzierte Weg, durch beharrliches Hineinhorchen<br />

in sich selbst. Das heißt, man sucht<br />

Identitäten, man will authentisch sein. Das ist vielleicht<br />

kein sehr glücklicher Weg, weil Menschen<br />

von der Evolution her sehr gut fähig sind, andere<br />

Menschen einzuschätzen. Da man sich selbst aber<br />

nicht groß einschätzen muss, wissen die meisten<br />

Menschen wenig über sich selbst, und das dauern-<br />

16


Auftakt<br />

de In-Sich-Hineinhorchen führt vielleicht auch zu<br />

viel weniger, als viele Menschen glauben. Heute ist<br />

es geradezu zur Pflicht jedes Menschen geworden,<br />

dauernd in sich hineinzuhorchen und Achtsamkeitskurse<br />

zu nehmen und sich auf seine Identität<br />

zu befragen. Diese Identitätsfragen haben inzwischen<br />

eine Wichtigkeit angenommen, die schon<br />

auch irgendwann asozial wird.<br />

A. R.: Inwiefern?<br />

T. B.: Weil Menschen in Gemeinschaften leben<br />

und nur in Gemeinschaften Mensch sein können,<br />

d.h. die Gesellschaft ist das, was das Menschsein<br />

überhaupt erst ermöglicht. Gesellschaft heißt aber,<br />

dass wir auf Andere eingehen müssen und uns mit<br />

Anderen arrangieren müssen, auch mit unsympathischen<br />

Anderen, und das ist eine viel wichtigere<br />

Beschäftigung, als mit sich selber eins zu werden.<br />

Also wir müssen in Gesellschaft leben und nicht<br />

unsere Identität suchen und dauernd in uns selbst<br />

hineinhorchen.<br />

A. R.: Ich würde gerne auch noch das Thema Politik<br />

ansprechen, denn auch darüber schreiben Sie in<br />

Ihrem Essay „Die Vereindeutigung der Welt“, und<br />

da wir dieses Jahr 70 Jahre Grundgesetz feiern, ist<br />

das vielleicht ein ganz guter Anlass, mal darauf zu<br />

schauen. Denn das Grundgesetz, das wurde auch<br />

in vielen Rückblicken klar, ist gar nicht so eindeutig,<br />

vor allem die Präambeln sind in viele Richtungen<br />

deutbar. Ist das möglicherweise ein Erfolgsrezept<br />

dieses Grundgesetzes, dass es eben nicht so<br />

eindeutig ist?<br />

T. B.: Gesetze und auch religiöse Texte können nur<br />

dann wirksam sein, wenn sie ambiguitätstolerant<br />

sind. Das schönste Beispiel ist der Artikel 1 des<br />

Grundgesetzes: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“<br />

Da hat man glücklicherweise 1948 darauf verzichtet,<br />

nähere Definitionen anzufügen, was denn die<br />

Würde des Menschen ist, d. h. es bleibt über die Zeiten<br />

gültig, auch wenn sich unsere Vorstellungen von<br />

der Würde des Menschen verändern, auch wenn<br />

niemand ganz genau sagen kann, was das eigentlich<br />

ist; aber wir spüren, wenn etwas dagegen verstößt.<br />

Das macht es so wirksam und allgemeingültig.<br />

Wenn das in <strong>20</strong> Unterpunkten ausdefiniert worden<br />

wäre, dann käme sehr schnell der Zeitpunkt, an dem<br />

man sagt: „Ja, wir müssen Unterpunkt 18 wieder ändern“,<br />

und dergleichen mehr, d. h. alles, was wirklich<br />

wichtig ist im Leben, was wirklich zählt, muss einen<br />

Ambiguitätsspielraum haben.<br />

A. R.: Ich würde gerne auch über den Begriff der<br />

Diversität bzw. der Vielfalt in der Politik sprechen,<br />

denn das ist etwas, das heute in der Politik durchaus<br />

möglich ist, also dass z. B. ein homosexueller Politiker<br />

bei der CDU und dann auch noch Bundesgesundheitsminister<br />

ist, was vielleicht vor <strong>20</strong> Jahren so<br />

in der CDU noch nicht möglich gewesen wäre.<br />

T. B.: Ja, jedenfalls nicht offen möglich. Der erste<br />

deutsche Außenminister war ja auch schon schwul,<br />

aber das hat er natürlich nicht gesagt. Adenauer<br />

wusste das. Er hat gesagt: „Solange er mich nicht<br />

anfasst, ist es mir wurscht“, aber natürlich war das<br />

nicht offiziell nach außen, das ist schon klar.<br />

A. R.: Es gibt ja sowas wie einen Spiegel in der<br />

Politik, dass es ein Bewusstsein für Vielfalt, für<br />

Diversität in der Gesellschaft gibt. Andererseits<br />

sagen Sie, und das hat auch mit Authentizität zu<br />

tun – dass Authentizität eigentlich etwas ist, das<br />

der Demokratie nicht wirklich zugute kommt. Wie<br />

meinen Sie das?<br />

T. B.: Das Problem ist, dass wir die Vielfalt durch<br />

solche Kategorien regeln und geregelte Vielfalt ist<br />

eigentlich keine mehr. Das müsste ein größeres<br />

Maß an Selbstverständlichkeit haben. Wenn alle<br />

Menschen sehr darauf beharren, dass die Art, wie<br />

sie sind, richtig ist, dann ist das ein Problem für<br />

die Gemeinschaft, weil es da um andere Dinge<br />

geht. Sie können Demokratie nicht haben, ohne<br />

Entscheidungen zu treffen, mit denen man nicht<br />

100-prozentig einverstanden ist, d. h. es geht darum,<br />

Kompromisse zu schließen, auch Dinge hinzunehmen,<br />

mit denen man nicht einverstanden ist.<br />

Bei allen möglichen Entscheidungen, mit denen<br />

Leute unzufrieden sind, redet man von abgekarteten<br />

Spielen in Hinterzimmern, aber die Dinge<br />

müssen ausgehandelt werden, und was herauskommt<br />

ist nicht immer etwas, mit dem alle Leute<br />

einverstanden sind. Das zu sehen, fällt immer<br />

mehr Menschen schwer. Diese identitären Diskurse<br />

sind sehr wichtig, solange sie emanzipatorische<br />

17


Auftakt<br />

Am Anfang<br />

steht immer<br />

die<br />

Klassifikation.<br />

Man<br />

muss<br />

erstmal die<br />

Kästchen<br />

haben, in<br />

die man die<br />

Menschen<br />

einteilt.<br />

18<br />

Diskurse sind. Eine Schwulenbewegung musste es<br />

geben, weil es die Diskriminierung gab. Besser wäre<br />

es aber, wenn es erst gar nicht diese Identifizierungen<br />

geben müsste.<br />

A. R.: Also Identitätspolitiken sind dann sinnvoll,<br />

wenn man damit Gleichberechtigung durchsetzen<br />

möchte,<br />

T. B.: … wenn Sie gegen Diskriminierung kämpfen...<br />

A. R.: … aber was die AfD macht, ist ja auch Identitätspolitik.<br />

Das wendet sich doch eher zurück?<br />

T. B.: Irgendwann wendet sich Identitätspolitik<br />

wieder gegen die Leute zurück. Allein schon dieser<br />

Zwang sich zu identifizieren, der Zwang eine Identität<br />

zu haben – wozu brauche ich die eigentlich?<br />

Man ist der, der man ist. Es ist doch auch anstrengend,<br />

sich immer identifizieren zu müssen, seine<br />

Identität suchen zu müssen. Identitätspolitiken<br />

kippen sehr schnell um. Wenn Sie nämlich eine<br />

Gruppe definieren und dann dafür kämpfen, dass<br />

sie gleichberechtigt wird, dann ist das der Schritt in<br />

die eine Richtung. Aber wer sagt einem denn, dass<br />

unter veränderten politischen Bedingungen nicht<br />

genau diese Gruppe Objekt von Verfolgung und<br />

Diskriminierung wird?<br />

A. R.: Der Bezug auf die Identität, der ja eigentlich<br />

mit Diversität zu tun haben soll, dass verschiedene<br />

Identitäten in einer ambiguitätstoleranten bzw. diversen<br />

Gesellschaft möglich sind, der führt eigentlich<br />

zu dem Gegenteil von Diversität?<br />

T. B.: Er kann dazu führen. Am Anfang steht immer<br />

die Klassifikation. Man muss erstmal die Kästchen<br />

haben, in die man die Menschen einteilt. Diese<br />

Kästchenbildung ist alles andere als natürlich vorgegeben.<br />

Nehmen Sie das Kästchen „Rasse“. Ich habe<br />

befürchtet, dass für diese Sachen manchmal das Vorbild<br />

USA gilt, wo es eine große Diversity-Politik gibt.<br />

A. R.: ...wo es auch einfach ein wichtigeres Thema<br />

ist als bei uns...<br />

T. B.: Ja, wir haben da die Rassenzuordnung<br />

„weiß“, oder noch mit der lustigen Bezeichnung<br />

„Kaukasier“, und „schwarz“. Wie wird man weiß?<br />

Wenn man einen schwarzen Vorfahren hat, dann<br />

ist man schwarz und nicht weiß. Daran sehen Sie,<br />

wie schrecklich es ist, solche Kategorien bilden zu<br />

müssen. Natürlich braucht es zunächst eine Emanzipationsbewegung<br />

der Schwarzen, das ist völlig<br />

klar. Das war etwas Wichtiges und ist es immer<br />

noch, denn das Problem ist alles andere als gegessen.<br />

Aber solche Kategorien wenden sich auch immer<br />

gegen einen, d. h. es wäre besser, solche Kategorien<br />

nicht zu haben. Deshalb sage ich: Wenn es<br />

um Emanzipation geht, ist es unvermeidlich, aber<br />

der Idealzustand ist der, diese Kategorien einfach<br />

nicht zu haben. Menschen einzuteilen, steht immer<br />

am Anfang von Identitätspolitik, und es wäre<br />

besser, Menschen nicht einzuteilen.<br />

A. R.: Herr Bauer, jetzt haben wir mit Ihnen darüber<br />

gesprochen, dass Diversität oder Vielfalt, Mehrdeutigkeit<br />

vor vielen hundert Jahren noch eher möglich<br />

war, sagen wir mal bis die Religionen an Bedeutung<br />

verloren haben oder angefangen haben, zu verlieren.<br />

Andererseits sehen wir doch, dass wir von einer unglaublichen<br />

Vielfalt umgeben sind. Wir können uns<br />

unsere Identität aussuchen, unser Lebensmodell.<br />

Wenn wir ins Kaufhaus gehen, können wir uns zwischen<br />

sehr vielen Waren entscheiden. Es gibt durchaus<br />

so etwas wie einen Konsumterror. Kommt mit der<br />

Warenvielfalt auch die Abnahme an Mehrdeutigkeit,<br />

an Vielfalt?<br />

T. B.: Nicht notwendigerweise. Das hängt auch von<br />

der Frage ab, inwieweit man systemkonform funktioniert,<br />

d. h. Diskriminierung von Schwulen ist im<br />

Kapitalismus einfach wenig attraktiv, weil Schwule<br />

gute Konsumenten sind („double income, no kids“).<br />

Solche Diskriminierungen sind heute aber weniger<br />

relevant als solche durch die Klassenzugehörigkeit<br />

und durch die Frage, wie reich man ist.<br />

A. R.: Sie schreiben in Ihrem Buch, dass Authentizität,<br />

um auch nochmal auf dieses Wort zurückzukommen,<br />

durch Konsum möglich ist. Jeder hat die<br />

Möglichkeit, sich durch Konsum eine sehr besondere<br />

Authentizität zu schaffen. Andererseits ist Authentizität<br />

auch etwas, das man Donald Trump zuschreiben<br />

könnte – ... und dass es da möglicherweise Probleme<br />

für die Demokratie gibt. Kapitalismus und<br />

Demokratie passen vielleicht gar nicht zusammen?<br />

T. B.: Das ist jedenfalls ein Verdacht, den ich habe,<br />

ja. Ein vielleicht ganz nettes Beispiel, das mir immer<br />

wieder einfällt, ist ganz alltäglich. Es ist die Frage<br />

nach der Höflichkeit. Höflichkeit ist in der Regel<br />

nicht unbedingt authentisch. Ich sage Leuten höflich<br />

eine Sache, die ich aber vielleicht gar nicht so meine.


Ich sage ihnen: „Das war ein sehr interessanter Vortrag,<br />

auch wenn ich nicht mit allem einverstanden<br />

bin“, aber in Wahrheit halte ich den Vortrag für absoluten<br />

Mist. Das sage ich aber nicht, weil ich höflich<br />

bin. Das ist stark am Rückgang. Wir haben heute das<br />

gute Gewissen, wenn wir andere beleidigen. Schauen<br />

Sie sich die Internetkommentare zu Zeitungsartikeln<br />

an, ...<br />

...Shitstorms (ich habe auch selber mal einen bekommen<br />

dürfen) und dergleichen. Das Schlimme<br />

ist, dass die Leute, die andere Leute beleidigen, kein<br />

schlechtes Gewissen mehr haben. Ein Präsident, der<br />

fortwährend andere Leute beleidigt, jetzt erst wieder<br />

diese vier Kongressabgeordneten auf eine infame<br />

Weise, das wäre vor wenigen Jahrzehnten oder sogar<br />

Jahren einfach nicht denkbar gewesen.<br />

im Beleidigen und diese Eindeutigkeit, dass man ja<br />

nichts Missverständliches mehr sagen darf. Da hört<br />

es auf, gesellschaftskompatibel zu sein.<br />

A. R.: Welche Form von Diversität bräuchten wir<br />

denn in einer Gesellschaft, die ambiguitätstolerant<br />

ist, die Vagheit aushält?<br />

T. B.: Eben eine ambiguitätstolerante, die Vagheit<br />

aushält, ganz recht! [lacht]<br />

A. R.: Herr Bauer, wir danken Ihnen für das interessante<br />

Gespräch.<br />

Das Interview basiert auf einem Gespräch des<br />

Deutschlandfunks.<br />

Foto: : Julia Holtkötter-Exzellenzcluster-„Religion und Politik“<br />

A. R.: Er macht das ja zum Markenzeichen.<br />

T. B.: Ja. Was ist der Ersatz der Höflichkeit? Was<br />

kommt stattdessen? Wir haben einerseits die Beleidigung<br />

guten Gewissens und auf der anderen Seite<br />

die Political Correctness, die dazu führt, dass auch<br />

Gedichte von Hauswänden getilgt werden müssen,<br />

wenn sich irgendwer falsch verstanden fühlt und<br />

dergleichen.<br />

A. R.: Eugen Gomringer in Berlin an der Alice-Salomon-Hochschule.<br />

T. B.: Ja genau, das meinte ich damit. Wir haben es<br />

dann immer mit allen möglichen Gender-Sternchen<br />

zu tun und so weiter. Das hat alles auch einen<br />

Sinn, aber wir haben statt Höflichkeit, die immer ein<br />

bisschen verlogen ist, diese komplette Eindeutigkeit<br />

Thomas Bauer, Dr. , Professor für Islamwissenschaft<br />

und Arabistik an der Universität Münster,<br />

Mitglied der Nordrhein-Westfälischen Akademie<br />

der Wissenschaften und der Künste und wurde mit<br />

dem Leibniz-Preis der DFG ausgezeichnet. Mit seiner<br />

Studie „Die Kultur der Ambiguität. Eine andere<br />

Geschichte des Islams“ (<strong>20</strong>11) hat er weit über sein<br />

Fach hinaus gewirkt. Im Reclam Verlag veröffentlichte<br />

er <strong>20</strong>18 den Essay „Die Vereindeutigung der<br />

Welt“, für den er den Tractatus -Essaypreis erhielt.<br />

Anja Reinhardt ist freie Autorin, Moderatorin<br />

und Redakteurin für den Deutschlandfunk,<br />

Deutschlandfunk Kultur und den WDR mit den<br />

Arbeitsschwerpunkten Kunst, Philosophie,<br />

Geschichte. Studium der Germanistik, Philosophie<br />

und Kunstgeschichte in Trier, Bochum und Köln.<br />

19


Tüllkleid oder<br />

Matschhose?<br />

Sex, Gender und die gesellschaftliche<br />

Konstruktion.<br />

VON MEDIENWISSENSCHAFTLERIN MAYA GÖTZ<br />

Z<br />

weimal war ich schwanger, eine außergewöhnliche<br />

Zeit in vielerlei Hinsicht und beide<br />

Male kam permanent eine Frage: „Was ist<br />

es denn?“ Und diese Frage zielte nicht etwa<br />

auf eine Neugierde, ob das sich entwickelnde Leben<br />

ein gewolltes Kind oder gesund ist, sondern darauf,<br />

welches Geschlecht (lateinisch Sex) das Kind hat.<br />

Von dem Augenblick an, in dem die Hebamme<br />

dann in dem kleinen gelben Heft das Kreuz bei dem<br />

einen oder anderen Geschlecht gesetzt hat, beziehungsweise<br />

in Ausnahmefällen „divers“ angekreuzt<br />

hat, bestimmt sich das Leben dieses Kindes. Von<br />

diesem Augenblick an werden es alle als das eine<br />

oder andere ansehen, bestimmte Erwartungen haben<br />

und alles, was es tut, immer (auch) als das Handeln<br />

eines Mädchens oder Jungen bewerten.<br />

Das ist weder böse noch nachhaltig gemeint, sondern<br />

erscheint als die einfachste und unverfänglichste<br />

Frage, die sich so stellen lässt. Wer will schon<br />

gerne bei einer Erstbegegnung mit einem neuen<br />

Erdenmenschen eine lange Geschichte über die ungewollte<br />

Schwangerschaft, das Verlassen des Vaters<br />

oder die diversen Krankheiten hören. Welches Sex<br />

das Kind hat, erscheint da völlig unproblematisch –<br />

und doch steckt es einen noch sehr kleinen Menschen<br />

von Anfang an in die eine oder andere Schublade.<br />

Es gibt keine Kategorie, die für einen Menschen<br />

so prägend ist, wie die Kategorie Geschlecht.<br />

Wir haben unsere Kinder dann bewusst genderneutraler<br />

angezogen mit dem Ergebnis,<br />

dass alle sie für Jungen hielten.<br />

Zu den unhinterfragten Ritualen unserer Kultur<br />

gehört es nämlich, Mädchen mit Rosa oder Schleifchen<br />

zu kennzeichnen. Das signalisiert, sie ist etwas<br />

Besonderes und sie ist schön. Inhaltlich macht es<br />

bei dem Baby keinen Sinn, denn dem kleinen Menschen<br />

ist es wichtig, geliebt zu werden, sicher zu sein<br />

und versorgt zu werden. Es ist etwas, was dem Kind<br />

völlig unhinterfragt angezogen wird und allen Sicherheit<br />

gibt, wie sie dieses kleine Menschlein sehen<br />

sollen. Es sind gesellschaftliche Konventionen, auf<br />

die wir uns geeinigt haben, Konstrukte, was es heißt,<br />

ein Junge oder ein Mädchen zu sein. Dies ist nicht<br />

naturgegeben, sondern wir konstruieren es. Das<br />

ist Gender. Die gesellschaftliche Konstruktion von<br />

dem, was es heißt, ein Mädchen oder ein Junge zu<br />

sein (Gender), entscheidet sich historisch, kulturell,<br />

je nach Milieu der Eltern etc. Historisch ist die Farbe<br />

Rosa zum Beispiel in unseren Breitengraden eigentlich<br />

die Farbe des kleinen Prinzen gewesen – Rot für<br />

den König – Rosa für den Prinzen, während Blau als<br />

Marienfarbe für die Königin oder Edelfrau vorgesehen<br />

war und Hellblau für die Prinzessin. Nun Zeiten<br />

und Rituale ändern sich.<br />

Selbstverständlich können Eltern versuchen, ihre<br />

Kinder genderneutral zu erziehen. Boulevardblätter<br />

wussten zu berichten, dass Prinz Harry und Herzogin<br />

Megan verkündet hätten, ihr Kind genderneutral<br />

zu erziehen. Doch solange sie selbst – bzw. ihre<br />

Nanny – eindeutig als Mann oder Frau zu erkennen<br />

sind, wird das Kind anhand ihres Vorbilds lernen,<br />

was es heißt, „ein richtiger Mann“ oder „eine richtige<br />

Frau“ zu sein. Und Kinder nehmen sehr sensibel<br />

wahr, wer sich typischerweise wie verhält, wer<br />

welche Rolle bei der Hausarbeit übernimmt, wer<br />

mit Technik kompetent umgeht, wer reflektiert und<br />

über Beziehung und Gefühle spricht etc. Selbst<br />

wenn Eltern „weniger übliche“ Formen der Aufteilung<br />

von Familien- und Hausarbeit wählen und der<br />

Vater den Haushalt macht sowie den Hauptteil der<br />

<strong>20</strong>


Auftakt<br />

Foto: Christian Rudnik<br />

Erziehung übernimmt, so nehmen Kinder sehr genau<br />

wahr, was in ihrer Kultur „normal“ ist und ordnen<br />

sich entsprechend dem einen oder anderen zu.<br />

Und selbst das Weltbild eines im englischen Königshaus<br />

geborenen Kindes wird sich Stück für Stück<br />

gendern, in ein „normal“ oder „anders“ unterscheiden<br />

– und wir können nur im Detail erahnen, was<br />

in diesem familiären Fall „normal“ und „außergewöhnlich“<br />

heißt.<br />

Schreitet die Zeit dann fort, ist sich die Forschung<br />

über den exakten Zeitpunkt, wann ein Kind sich<br />

selbst dem einen oder anderen zuordnet nicht völlig<br />

einig. Ich bin mir sicher bei uns wussten die Kinder<br />

spätestens ab dem Alter von ca. zwei Jahren, dass<br />

sie Mädchen sind. Sie beginnen damit, sich selbst<br />

zu definieren und ihr Mädchen-Sein zu gestalten.<br />

Dieses „Doing Gender“ ist eine aktive Form, wie<br />

sich das Kind Angebote der Kultur zu eigen macht.<br />

Die Ältere liebte Rosa und wir verhandelten, dass es<br />

doch bitte nie „nur“ Rosa als Kleidung sein sollte,<br />

sondern es immer auch andere Farben braucht. Die<br />

Jüngere hatte schon früh einen besten Freund, den<br />

Toni, und war sich im Kindergarten sicher: „Ich hasse<br />

Rosa! Ich hasse Feen!“. Grundstrukturen, die sich<br />

bis heute, wo sie gerade elf Jahre alt geworden ist,<br />

erhalten haben.<br />

Gender ist gesellschaftlich konstruiert, es ist gemacht.<br />

Es hilft Menschen, von Anfang an einzuordnen<br />

und sie bei aller Individualität zumindest in<br />

zwei Grundkategorien einordnen zu können. Das<br />

gibt Sicherheit aber schränkt eben auch ein.<br />

Rosa Prinzessinnen spielen nicht selbstverständlich<br />

im Matsch FuSSball und Jungen<br />

dürfen nicht einfach so ein rosa Kleid anziehen,<br />

selbst wenn sie es schön finden.<br />

Aber natürlich geht es auch mit einem Tüllkleid,<br />

zum Beispiel von einer Matschhose geschützt, in<br />

der größten Dreckpfütze zu spielen und als Junge<br />

im Kleid zum Kindergarten zu gehen. Doch dafür<br />

braucht es Menschen, die immer wieder die gesellschaftlichen<br />

Konventionen in Frage stellen. Das<br />

braucht Energie, denn irgendeine Frage wird kommen,<br />

Blicke sind auszuhalten und wohlgemeinte<br />

Ratschläge zumindest lächelnd anzuhören. Genau<br />

da beginnt gesellschaftliche Gestaltung, Politik im<br />

privaten Handeln, bzw. in Medienberufen das Prägen<br />

des Bildes der Gesellschaft. Denn wer ist die Gesellschaft?<br />

Wir sind die Gesellschaft und jede kleine<br />

Auseinandersetzung um die individuelle Erweiterung<br />

der Stereotypen von Gender, jede Verweigerung<br />

gegenüber dem Klischee von „so ist aber nun<br />

mal eine echte Frau bzw. echter Mann bzw. echter<br />

Trans/Inter“ ist hilfreich, um Individualität und<br />

Entfaltung zu ermöglichen.<br />

Maya Götz, Dr. phil., verheiratet,<br />

zwei Töchter (11 und 14 Jahre), ist<br />

Leiterin des Internationalen Zentralinstituts<br />

für das Jugend- und Bildungsfernsehen<br />

(IZI) beim Bayerischen<br />

Rundfunk und des PRIX JEUNESSE<br />

INTERNATIONAL. Sie schloss ihr<br />

Studium an der PH Kiel mit dem<br />

Staatsexamen für Lehramt ab und<br />

promovierte 1998 an der Gesamthochschule<br />

Kassel mit der Dissertation<br />

„Mädchen und Fernsehen“.<br />

Ihr Hauptarbeitsfeld: Forschung im<br />

Bereich „Kinder/Jugendliche<br />

und Fernsehen” mit geschlechtersensibler<br />

Perspektive.<br />

Studie: Gender in der Sprache<br />

Welchen Einfluss hat Sprache<br />

auf Kinder bei der Berufswahl?<br />

Die Psychologin Bettina Hannover hat schon <strong>20</strong>15<br />

herausgefunden, dass eine geschlechtergerechte<br />

Sprache eine mögliche Berufswahl bei Kindern<br />

beeinflussen kann.<br />

In Ihrer Studie „Yes I can! Effects of gender fair job<br />

descriptions on children’s perceptions of job status,<br />

job difficulty, and vocational self-efficacy“ hat sie<br />

die folgende Leitfrage gestellt „Kann geschlechtergerechte<br />

Sprache dazu beitragen, junge Frauen für<br />

„männliche“ Berufsbilder zu motivieren?“ Sie fand<br />

heraus, dass eine geschlechtergerechte Sprache<br />

eine mögliche Berufswahl bei Kindern beeinflussen<br />

kann. Je nachdem ob nur die männliche oder auch<br />

die weibliche Berufsbezeichnung verwendet wird,<br />

bewerten Kinder die Berufe anders.<br />

Wird auch die weibliche Form gebraucht, trauen<br />

sich Mädchen zum Beispiel viel eher zu, den Beruf zu<br />

erlernen. Bettina Hannover führt dieses Ergebnis auf<br />

die Selbstwirksamkeit zurück. Unter Selbstwirksamkeit<br />

versteht die kognitive Psychologie die Überzeugung<br />

einer Person, auch schwierige Situationen und<br />

Herausforderungen aus eigener Kraft erfolgreich<br />

bewältigen zu können.<br />

Die Studie zeigt, dass bei maskulin konnotierten<br />

Berufen, Mädchen weniger überzeugt sind, diesen<br />

selber ausüben zu können. Sie haben also das Gefühl,<br />

eine geringe Selbstwirksamkeit zu haben. Außerdem<br />

kommt die Studie zu dem Schluss, dass stereotyp<br />

männliche Aufgaben häufig als schwieriger eingeschätzt<br />

werden.<br />

Gendergerechte Sprache kann zum einen dieser<br />

Stereotypisierung entgegenwirken, zum anderen<br />

steigt die Selbstwirksamkeit der Mädchen, wenn<br />

beide Formen bei der Berufsbezeichnung verwendet<br />

werden, wie die Erkenntnisse der Studie zeigen.<br />

21


RUBRIK<br />

„Man kann kaum noch<br />

sagen, dass wir über<br />

Minderheiten reden, weil<br />

es so viele verschiedene<br />

Minderheiten gibt.“<br />

Inez Boogarts, Geschäftsführerin ZAK NRW<br />

Foto:


Bühne<br />

Foto:<br />

23


Der Ruf<br />

der Seele<br />

Depression – wie wenn<br />

einen die infektiöseste aller<br />

Krankheiten erwischt hätte.<br />

24


Unser Gesprächspartner ist ein deutscher<br />

Theater- und Filmschauspieler. Er hat in<br />

seiner beruflichen Laufbahn durchweg<br />

im festen Engagement an namhaften Theatern<br />

gearbeitet. Das hat ihm ermöglicht,<br />

mit großartigen Meistern zu arbeiten. Von der Zeitschrift<br />

„Theater heute“ wurde er als „Schauspieler des<br />

Jahres“ ausgezeichnet. Hier äußert er sich zum sensiblen<br />

Thema Depression.<br />

Antoine Monot, Jr.: Es ist mir ein großes Anliegen,<br />

auch über Krankheiten zu sprechen, da diese<br />

auch zum Themenkomplex der Diversität gehören.<br />

Welche Form der Krankheit haben Sie? Sind es Depressionen,<br />

Manien oder eine bipolare Erkrankung?<br />

Gesprächspartner: Durch die Fragestellung<br />

suggerieren Sie, dass eine solche Erkrankung ewig<br />

ist. Ich bin jetzt vollkommen gesund. Allerdings vor<br />

15 Jahren hat mich von einem Tag auf den anderen<br />

etwas erfasst, das man gemeinhin als Depression<br />

und Bipolare Störung definiert.<br />

Inzwischen ist mir klar – das wird von Therapeuten,<br />

Psychologen, Sozialpädagogen wie Dr. Franz<br />

Ruppert oder Birgit Assel bestätigt –, dass es diese<br />

Form der Krankheit, pauschal als Depression oder<br />

Bipolare Störung bezeichnet, so eigentlich nicht gibt,<br />

sondern, dass konkrete Ereignisse zu starken – auch<br />

physiologischen – Symptomen führen. Ursachen<br />

sind Konflikte, Schocks oder Traumata. Das klingt<br />

für den allgemeinen Kanon bzgl. der psychischen<br />

Erkrankungen noch etwas fremd. Diese Herangehensweise,<br />

die einem ganzheitlichen Verständnis<br />

von Gesundheit zugrunde liegt, hat mich schließlich<br />

wieder ins Gleichgewicht gebracht.<br />

Meine Diagnose war damals Agitierte Depression.<br />

Das war für mich der Super-Gau. Jetzt sehe ich das<br />

differenzierter. Depression, Bipolare Störung, Burn-<br />

Out sind für mich physiologisch sichtbar gewordene<br />

Expressionen der Seele. Das wird in unserer heutigen<br />

Gesellschaft als krank bezeichnet. Krishnamurti<br />

sagte: Es ist kein Maß für Gesundheit, gut an eine<br />

Gesellschaft angepasst zu sein, die zutiefst krank ist.<br />

Bipolare<br />

Störung,<br />

Burn-Out<br />

sind für<br />

mich physiologisch<br />

sichtbar<br />

gewordene<br />

Expressionen<br />

der<br />

Seele.<br />

Bühne<br />

A. M.: Wie muss sich ein nicht Betroffener diese<br />

Krankheit vorstellen? Können Sie beschreiben, wie<br />

es sich für Sie angefühlt hat, festzustellen, depressiv<br />

zu sein?<br />

G.: Fassungslos. Panik. Dass mir so etwas passiert.<br />

Eben wegen der sofortigen Ahnung: das ist DE-<br />

PRESSION. Wie wenn einen die infektiöseste aller<br />

Krankheiten erwischt hätte. Es ist so wie wenn man<br />

dir sagt: Du bist geisteskrank, nicht mehr zurechnungsfähig.<br />

Heute sehe ich das als ein Zeichen, dass<br />

man die Missstände in und um sich herum nicht<br />

mehr verträgt. Damals hatte ich Angst, den Effektivitätserwartungen<br />

nicht mehr entsprechen zu<br />

können. Es war die Hölle auf Erden. Abgeschnitten<br />

von mir selbst. Wie ein lebender Toter. Die Seele<br />

scheint unerreichbar. Eine treffende Beschreibung<br />

fand Michael Ende in seiner Momo: Am Anfang<br />

merkt man noch nicht viel davon. Man hat eines<br />

Tages keine Lust mehr, irgendetwas zu tun. Nichts<br />

interessiert einen, man ödet sich (…) Man fühlt<br />

sich immer missmutiger, immer leerer im Innern,<br />

immer unzufriedener mit sich und der Welt. Dann<br />

hört nach und nach sogar dieses Gefühl auf und<br />

man fühlt gar nichts mehr. Man wird gleichgültig<br />

und grau und grau, die ganze Welt kommt einem<br />

fremd vor und geht einen nichts mehr an (…) man<br />

verlernt das Lachen und das Weinen. Dann ist es<br />

kalt geworden in einem und man kann nichts und<br />

niemanden mehr lieb haben.<br />

Keiner versteht dich. Es geht aber darum, dass du<br />

dich selbst verstehst und ernst nimmst. Jenseits aller<br />

Konventionen und Erwartungshaltungen. Und wenn<br />

du dich inmitten dieser scheinbar ausweglosen Situation<br />

auf den Weg machst, den Dingen auf den Grund<br />

zu gehen, dann geschehen Wunder! Das habe ich persönlich<br />

erleben dürfen. Ich möchte Betroffene ermutigen,<br />

weiter nach Wegen zu suchen, bis die Seele ruft,<br />

hier bin ich richtig, hier darf ich sein. Diese Erfahrungen<br />

sind extrem individuell, es macht keinen Sinn, sie<br />

en Detail zu schildern. Jeder hat seinen eigenen Zugang.<br />

Bei mir war es ein tiefer Glauben. Ein Licht am<br />

25


Bühne<br />

Ende des Tunnels, das zum Glück nicht erlosch und<br />

das alle weitere Entwicklung auslöste.<br />

A. M.: Wie erging es Ihnen beruflich? Waren Sie,<br />

nachdem Sie die Diagnose bekamen, arbeitsfähig?<br />

G.: In dieser heftigen Situation war das Theater ein<br />

Halt, daher habe ich auch nicht aufgehört, zu spielen.<br />

Gleichzeitig war es grauenvoll, in diesem Lebendigbegrabensein<br />

auf die Bühne zu gehen und<br />

Gefühle zu zeigen. Denn genau das war mir ja nicht<br />

mehr möglich als Privatperson. Auf der Bühne muss<br />

man ja voll wach, durchlässig und ganz im Augenblick<br />

sein, wie ich das geschafft habe, ist mir heute<br />

ein Rätsel. Ich war immer arbeitsfähig. Leider. Ich<br />

hätte mich mal phasenweise in die Natur zurückziehen<br />

sollen, dann wäre es schneller gut geworden.<br />

Ich bin allen meinen beruflichen Verpflichtungen<br />

nachgekommen. Es gab allerdings sehr schwierige<br />

Situationen, wo auch viel Glück dabei gewesen ist<br />

und das Wohlwollen aller Beteiligten.<br />

A. M.: In welchem beruflichen Umfeld hatten Sie sich<br />

befunden, als Sie die Diagnose bekamen?<br />

G.: Ich war erfolgreich in einem festen Engagement,<br />

von meiner bisherigen Laufbahn erfüllt, äußerlich<br />

lief mein Leben relativ gut. Aber, ich war wie verloren<br />

im eigenen Leben. Zunächst suchte ich nach unterschiedlichen<br />

Therapieformen und machte beruflich<br />

so gut wie möglich weiter. Das Umfeld reagiert<br />

mit Hilflosigkeit, manchmal auch Unverständnis.<br />

Aus dem normalen Alltag heraus, ist das ja kaum<br />

vorstellbar. Oft hörte ich: jetzt reiß Dich mal zusammen.<br />

Freu Dich doch an dem und dem… Gleichzeitig<br />

war meine Familie mein Halt und einige haben<br />

Unglaubliches vollbracht. Aber eine Überforderung<br />

stellt diese Situation für das gesamte Umfeld dar.<br />

A. M.:Wie lange dauerte es, bis Sie sich in Behandlung<br />

begeben haben?<br />

G.: Innerhalb der zwei Jahre nach den ersten Symptomen<br />

suchte ich nach geeigneten Therapieformen<br />

innerhalb des Gesundheitssystems. Zuletzt war ich<br />

Gleichzeitig<br />

war es<br />

grauenvoll,<br />

in diesem<br />

Lebendigbegrabensein<br />

auf<br />

die Bühne<br />

zu gehen<br />

und<br />

Gefühle<br />

zu zeigen.<br />

bei einem Psychiater, zu dem ich in die Sprechstunde<br />

kam, meist um eine neue Dosierung von üblichen<br />

Mitteln überreicht zu bekommen. Keine der Therapien<br />

hat mir nachhaltig geholfen, aber die Hoffnung<br />

trieb mich an. Nach etwa einem Jahr psychiatrischer<br />

Behandlung mit Psychopharmaka, habe ich diese<br />

selbstständig abgesetzt, da sie mich sonst in den<br />

Selbstmord getrieben hätten, so war mein Gefühl.<br />

Was mich am meisten gestützt hat, war, in die<br />

Natur zu gehen, das Weiterarbeiten am Theater und<br />

das eingebettet sein im familiären Kontext. Bei der<br />

psychiatrischen Behandlung gibt man seine Gesundheit<br />

an die Weißkittel ab und hat selbst keine<br />

Verantwortung mehr, glaubt auch nicht, eine haben<br />

zu können, weil die Psyche so komplex ist, dass nur<br />

Spezialisten sie zu durchleuchten vermögen. Auf<br />

die Idee, dass man selbst der Experte des eigenen<br />

Selbst ist, kommt man dann gar nicht mehr. Heilung<br />

kommt meiner Erfahrung nach, wenn man sich inmitten<br />

dieser Dunkelheit traut, selbstverantwortlich<br />

zu werden und schaut, woher kommt das Ganze,<br />

was stimmt nicht in meinem Leben?<br />

A. M.: Welches war der auslösende Moment, die<br />

Krankheit anzunehmen?<br />

G.: Intuitiv habe ich erkannt, dass diese Äußerung<br />

der Seele mich auffordert, mein Leben zu ändern.<br />

Das Theatermachen habe ich nicht infrage gestellt,<br />

denn es ist meine Berufung. Aber ich habe verstanden,<br />

dass ich mit Herausforderungen in meinem<br />

Leben gänzlich anders, humor- und liebevoller umgehen<br />

muss, um meinem eigentlichen Ethos gerecht<br />

zu werden. In dem Sinne habe ich die Situation<br />

angenommen. Ich habe damals gefühlt, dass diese<br />

Krankheit (noch) nicht verstanden wird und deshalb<br />

bin ich eigene Wege gegangen. Natürlich ist jeder<br />

individuell zu betrachten, ich würde hier nichts<br />

pauschalisieren. Man sollte den Weg einschlagen,<br />

wo das Herz spontan Ja sagt. Selbst wenn man sich<br />

entschließen sollte, doch lieber dem medizinischen<br />

Protokoll zu folgen. Denn die Ausrichtung des Geistes<br />

ist für die Heilung entscheidend.<br />

26


A. M.:Wie lange dauerte die Phase an?<br />

G.: Ich habe mein Leben sukzessive geändert durch<br />

Liebe, wirkliche Beziehung zu mir und anderen,<br />

durch Meditation, durch eine weitestgehend vegetarische<br />

Ernährung und durch Supplementierung<br />

von Vitaminen und Mineralien. Der Prozess<br />

dauert, man braucht Geduld und Mut, sich trotz<br />

scheinbarer Ausweglosigkeit zu trauen, mitten<br />

durch das Dunkel hindurch zum letzten kleinen<br />

Schimmer Licht zu gehen. Ich würde sagen, von<br />

den Anfängen bis zum Gefühl, ich bin durchs<br />

Gröbste durch, vier Jahre.<br />

A. M.:War die Krankheit erblich bedingt oder lag damals<br />

ein situativer Auslöser vor?<br />

G.: Diese Unterscheidung halte ich für Quatsch,<br />

wenn man weiß, dass <strong>20</strong> Minuten joggen, musizieren<br />

oder meditieren bereits deine DNA verändern<br />

können. Stichwort Epigenetik. Allerdings<br />

sind Glaubenssätze durchaus vererbbar wie: Du<br />

bist nichts wert, du bist nicht gut genug, das was<br />

du hast, ist erblich bedingt, du hast keine Chance<br />

je wieder gesund zu werden. Auslöser ist meiner<br />

Meinung nach meistens, wenn man sich gegen das<br />

Leben selbst wendet, aus welchem Grund auch<br />

immer!<br />

A. M.: Haben Sie durch die Krankheit eine zusätzliche<br />

Qualität, wie zum Beispiel eine Sensibilität, in<br />

Ihrer Arbeit feststellen können?<br />

G.: Ich war davor und bin danach hochsensibel und<br />

durchlässig gewesen. Dass Leid eine Verbesserung<br />

künstlerischer Qualität bewirkt, halte ich für ein Klischee.<br />

Seit den Anfängen der Moderne will man den<br />

kranken Künstler. Es ist profitabel, Verzweiflung als<br />

Krankheit zu bezeichnen. Heute gibt es ja schon Impulse,<br />

Menschen, die länger als zwei Wochen dem<br />

Tod eines Nahestehenden nachtrauern als behandlungsbedürftig<br />

einzustufen. Wir leben in einer kranken<br />

Gesellschaft. Meine Qualität wächst mit meiner<br />

Reife, mit oder ohne Einbrüche. Natürlich bin ich<br />

auch durch diesen Prozess gereift. Aber notwendig<br />

Alles<br />

gerät ins<br />

Wanken.<br />

Existentielle<br />

Situationen.<br />

Aber es<br />

geschehen<br />

Wunder!<br />

sind Krisen für den Reifeprozess nicht. Mein Credo:<br />

Van Gogh wäre ohne psychische oder finanzielle<br />

Probleme ein noch besserer Künstler gewesen.<br />

A. M.: Wusste Ihr Arbeitgeber von Ihrem Krankheitsbild<br />

und wurde im Theater-Alltag darauf Rücksicht<br />

genommen?<br />

G.: Mein damaliger Arbeitgeber hat davon durch<br />

mich erfahren. Wir haben vertrauensvoll nach<br />

Wegen gesucht. Er hat sein Bestes gegeben, einen<br />

Lösungsweg sensibel zu unterstützen. Konnte aber<br />

nicht tiefgreifend helfen, weil die Rahmenbedingungen<br />

ja auch Theaterleiter zwingen, an die Zahlen<br />

zu denken. Der Raum für rein philanthropische<br />

Entscheidungen ist eng. Da müsste erst ein systemisches<br />

Bewusstsein entstehen, damit einem Theater<br />

strukturell, finanziell die Möglichkeit gegeben<br />

wird, noch besser zu reagieren. Allgemein gibt es<br />

noch kein ganzheitliches Bewusstsein darüber, wie<br />

Krankheit entsteht und auch wieder vergehen kann.<br />

Aber im Großen und Ganzen haben wir das Ding<br />

geschaukelt.<br />

A. M.: Geriet Ihr soziales Leben ins Wanken?<br />

G.: Alles gerät ins Wanken. Existentielle Situationen.<br />

Aber es geschehen Wunder! Ich hatte viele Engel an<br />

meiner Seite. Inzwischen ist mein Leben wieder gefestigt,<br />

voller Begeisterung und Freude. Dafür bin<br />

ich sehr dankbar. Und mit Geduld regeln sich alle<br />

Ursachen. Es gibt immer einen Weg. Wichtig ist,<br />

dass man den ganz eigenen findet, und sich nicht<br />

noch mehr schamfördernde Muster aufbürdet. Der<br />

erste Schritt ist, zu realisieren, nicht man selbst ist<br />

fehlerhaft und ungenügend, sondern dass die gesellschaftlichen<br />

Rahmenbedingungen Traumatisierung<br />

vor und ab der Geburt favorisieren. Ob und wann<br />

die Bombe hochgeht, ist individuell verschieden.<br />

A. M.: Alkohol kann Depressionen kurzfristig lindern<br />

und oft rutschen Betroffene dadurch auch noch in<br />

eine Alkoholsucht. Spielte Alkohol während Ihrer<br />

depressiven Phase eine Rolle?<br />

27


G.: Alkohol ist leider DIE Theaterdroge. Es betäubt<br />

den persönlichen, systemischen Missstand, unterminiert<br />

Heilung, ist absolut inkompatibel mit Psychopharmaka<br />

und bringt vermeintlich kurze betäubende<br />

Erleichterung. Heute kann ich genuss- und<br />

maßvoll trinken. Aber das war auch schon anders.<br />

Ich empfehle jedem, der Depressionen hat, drei bis<br />

vier Jahre absolut alkoholfrei und vegetarisch zu leben.<br />

Meditation statt Alkohol.<br />

A. M.: In unserer Gesellschaft werden die Worte Depression,<br />

Manie und Bipolarität oft in einem ganz<br />

anderen Zusammenhang benutzt. Aussagen wie,<br />

„da werde ich depressiv“ für eigentliche Nichtigkeiten<br />

oder „der ist doch manisch“ für extrem wirkende<br />

Handlungen, haben Einzug in die Umgangssprache<br />

gefunden. Behindert das einen Heilungsprozess?<br />

G.: Persönlich halte ich diese Begriffe für überholt.<br />

Sie werden verwendet, um die Gesellschaft zu spalten,<br />

zu stigmatisieren und damit en passant Geschäfte<br />

zu machen. Wir leben insgesamt in einer<br />

traumatisierten Gesellschaft. Man sollte sie aus dem<br />

Wortschatz streichen und überall, wo sie auftauchen,<br />

genauer beleuchten, woher die Probleme der<br />

Individuen und des Kollektivs herrühren. Das wirkt<br />

deeskalierend und heilsam, weil man merkt, man ist<br />

mit dem Problem nicht allein. Nur hat jeder andere<br />

Empfindungsintensitäten, je nach Prägung oder<br />

Schädigung.<br />

Theaterstrukturen<br />

sind<br />

autoritär<br />

aufgebaut.<br />

Selbst<br />

bei unbewusstem<br />

Missbrauch<br />

gerät für<br />

alle das<br />

System ins<br />

Wanken.<br />

Zudem sollten die Symptome selbst entpathologisiert<br />

werden. Sie sind Auswirkungen unserer entfesselten<br />

turbokapitalistischen Gesellschaftsform, die<br />

sich in zerstörerischen Arbeits- und Beziehungsformen<br />

niederschlägt. Theaterstrukturen sind hier<br />

leider auch anfällig, da sie autoritär aufgebaut sind.<br />

Selbst bei unbewusstem Missbrauch gerät für alle<br />

das System ins Wanken. Da aber Führungspositionen<br />

heute unter extremen finanziellem Druck stehen,<br />

ist Tür und Tor fürs Ungleichgewicht geöffnet,<br />

selbst bei besten Absichten und höchstem Qualitätsbewusstsein.<br />

A. M.:Was wünschen Sie sich, dass sich für Menschen<br />

mit diesem Krankheitsbild ändert?<br />

G.: Wir brauchen einen radikalen Systemwandel.<br />

Eine Gemeinschaftsform, die nicht auf unendliches<br />

Wachstum und Profitmaximierung basiert,<br />

sondern auf Kooperation, Respekt, Nachhaltigkeit,<br />

Kreativität. Hier liegt ein großes Potential: Die<br />

Künste werden Vorreiter für diesen Wandel, eine<br />

systemerneuernde Avantgarde, diesmal nicht Industrialisierung<br />

fördernd, wie die zu Beginn des <strong>20</strong>.<br />

Jahrhunderts oder Marktkonformismus stützend,<br />

wie die Entwicklung seit dem Jahrtausendwechsel,<br />

sondern herzbasiert, ganzheitlich heilsam. Wenn<br />

man sich als Teil der natürlichen Ganzheit sieht, das<br />

auch poetisch, künstlerisch artikulieren kann, ist<br />

das ein machtvolles Medium, für den notwendigen<br />

Bewusstseinswandel. Das was wir brauchen, gab es<br />

noch nicht, es geht wirklich um Neuland.<br />

A. M.: Und speziell in Bezug auf das Theater?<br />

G.: Dieser Wandel ist auch für’s Theater sinnreich.<br />

Es muss sich ja in Bezug auf die neuen Medien positionieren:<br />

Hier findet etwas Einzigartiges statt.<br />

Es kommen Menschen live in einem heterogenen<br />

Versammlungsort zusammen und können Utopie<br />

leben. Friedrich Schiller hat sowas auch geschaffen.<br />

Könige wie Bürger sahen seine Stücke, so hielt er<br />

auch den Mächtigen den Spiegel vor, wie Machtausübung<br />

sein könnte! Dieser Idealismus ist immer<br />

28


Bühne<br />

Foto: Ron Flieger<br />

noch in unserem kollektiven Bewusstsein, auch<br />

wenn er durch viel Spaltung und Gewalt zugeschüttet<br />

wurde. Kollektiv brennt noch ein letztes Licht am<br />

Ende des Tunnels! Wir alle haben es in der Hand,<br />

diesem Licht zu folgen und individuell zum Wandel<br />

beizutragen. Auch damit, dass Schwäche, Liebesfähigkeit<br />

wieder zur eigentlichen Stärke erklärt wird.<br />

In unserem Beruf müsste die Spaltung zwischen<br />

Kopf und Körper, auf der einen Seite Regisseure,<br />

Dramaturgen, auf der anderen Seite die ausführenden<br />

Gliedmaßen Schauspieler, aufgehoben werden.<br />

Ein respektvolles ganzheitliches Miteinander würde<br />

uns viel ersparen und auch noch bessere Kunst hervorbringen.<br />

Von Geburt an immer bewertet zu werden,<br />

ist auch eine Quelle von Traumata. Da ist der<br />

Beruf des Schauspielers schwer, weil wir auch vom<br />

Feedback leben und es leider nicht selten abschätzige<br />

Bewertungen sind, die uns als Antrieb dienen sollen.<br />

Wenn sich hier das Bewusstsein wandelt, könnte<br />

das die Lebens- und Arbeitsqualität verbessern.<br />

Theatermacher sollten sich Gedanken machen, ob<br />

sie die Gesellschaft und ihre immer absurder werdenden<br />

Konventionen wirklich hinterfragen, wenn<br />

sie in der Absicht, Kritik zu üben, die Missstände<br />

der Welt auf der Bühne reproduzieren. Als Künstler<br />

wissen wir, dass wir Resonanzräume sind und<br />

schaffen, dass Gefühle und Gedanken den Raum<br />

prägen. Die allgegenwärtige Gewalt und Technisierung<br />

fräsen sich tief in unser Unterbewusstsein. Wir<br />

werden die Herausforderung, damit friedensstiftend<br />

umzugehen, nicht ohne einen regelrechten Bewusstseinssprung<br />

bewältigen. Die ersten Leidtragenden<br />

dieser gut gemeinten Kritik, sind nicht selten die<br />

Schauspieler. Denn wir müssen das alles durch unseren<br />

Körper lassen. Wenn dies weiterhin so praktiziert<br />

wird, dann sollte man zukünftig auch als<br />

Arbeitgeber dafür sorgen, dass Schauspieler wieder<br />

ins Gleichgewicht kommen. Oder aber, das Theater<br />

setzt hier Zeichen und beleuchtet die Dinge neu. Die<br />

Kunst ist in Zeiten der Krise ein wichtiger Impuls.<br />

Katharsis setzt, meiner Meinung nach, einen liebenden<br />

Blick voraus.<br />

Schauspielkunst hat einen archaisch-spirituellen<br />

Urgrund, den wir in diesen turbulenten Zeiten<br />

durchaus wieder brauchen könnten. Nur da müssten<br />

wir weg von der Macht- und Profitgier, vom<br />

Selbstdarstellungstheater hin zu einem Kultivieren<br />

der Kunst als Potential zur Wiederherstellung eines<br />

Gleichgewichts. Wie Diderot schon sagte, könnte<br />

der sich dessen bewusste Schauspieler mit seinem<br />

Einfühlungsvermögen eine Vorbildrolle einnehmen.<br />

Das bedeutet viel Arbeit und Selbstverantwortung.<br />

Man muss viel loslassen, auch liebgewonnene<br />

Gewohnheiten. Wolle die Wandlung!<br />

In unserem<br />

Beruf<br />

müsste die<br />

Spaltung<br />

zwischen<br />

Regisseuren,<br />

Dramaturgen<br />

und auf<br />

der anderen<br />

Seite<br />

Schauspielern<br />

aufgehoben<br />

werden.<br />

Das würde<br />

uns viel<br />

ersparen<br />

und auch<br />

noch bessere<br />

Kunst<br />

hervorbringen.<br />

A. M.: Zum Ende dieses Gesprächs die Frage, warum<br />

Sie anonym bleiben möchten?<br />

G.: Weil es nicht um meine Person geht, sondern um<br />

die Bewusstwerdung eines systemischen Problems.<br />

Wir Menschen, auch Institutionen, die von Menschen<br />

geführt werden, haben die Möglichkeit, hier<br />

Verantwortung zu übernehmen und eine heilsame<br />

Transformation einzuleiten.<br />

A. M.:Vielen Dank für das interessante Gespräch.<br />

Die Deutsche DepressionsLiga e.V.<br />

beteiligt sich seit Juli <strong>20</strong>11 an der<br />

bundesweiten Telefon- und E-Mail-<br />

Beratung des Bundesarbeitskreises der<br />

Angehörigen psychisch Kranker (BApK).<br />

Unter der Nummer 01805 950951 und der<br />

E-Mail-Adresse seelefon@psychiatrie.de<br />

hat der Bundesverband der Angehörigen<br />

psychisch Kranker, unterstützt von<br />

der Techniker–Krankenkasse, ab Juli <strong>20</strong>11<br />

sein Angebot zur bundesweiten Selbsthilfeberatung<br />

zu psychischen Erkrankungen<br />

ausgebaut und erweitert.<br />

Die Berater*innen sind ehrenamtlich<br />

tätige Menschen aus verschiedenen Bereichen<br />

der gesundheitlichen Selbsthilfe<br />

bei psychischen Erkrankungen, z. B.<br />

der Deutschen DepressionsLiga, und<br />

kommen aus verschiedenen Altersgruppen<br />

und Wirkungsbereichen. Durch eigene<br />

Erfahrung – ob selbst erkrankt oder als<br />

Angehörige – verfügen sie über ein großes<br />

gemeinsames Beratungspotenzial. Sie<br />

fangen auf, haben Verständnis und weisen<br />

auf Hilfsangebote im professionellen<br />

System und der Selbsthilfe hin. Durch<br />

Hilfe zur Selbsthilfe stärken sie Anrufende<br />

in ihrer Verantwortung, Unabhängigkeit<br />

und Entscheidungsfreiheit.<br />

Antoine Monot, Jr.<br />

ist Schauspieler und<br />

Vorstandsmitglied des<br />

Bundesverband Schauspiel.<br />

Dort verantwortet er das<br />

Ressort Marketing und<br />

zusammen mit Klara Deutschmann<br />

Gender und Diversität.<br />

Antoine Monot, Jr. leitet die<br />

Redaktion des <strong>Schauspiegel</strong>s.<br />

Er lebt zusammen mit<br />

seiner Lebensgefährtin<br />

Stefanie in München.<br />

29


Chancen für<br />

Schauspieler*innen<br />

mit Behinderung<br />

Die Initiative Rollenfang macht Mut.<br />

VON ROLLENFANG-GRÜNDER WOLFGANG JANSSEN<br />

Unsere Initiative Rollenfang hatten wir im<br />

August <strong>20</strong>15 vorgestellt, und damals waren<br />

wir noch brandneu. Knapp vier Jahre<br />

später haben wir reichlich Erfahrung gesammelt<br />

und ein paar wirklich schöne Erfolge erzielt.<br />

Trotzdem ist es noch ein gutes Stück des Weges<br />

hin zu einer inklusiven Filmbranche.<br />

Es ist unser Ziel, dass Schauspieler*innen mit Beeinträchtigungen<br />

die gleichen Chancen bekommen,<br />

wie ihre Kolleg*innen ohne Behinderungen vor und<br />

hinter der Kamera, um auf Augenhöhe gemeinsam<br />

arbeiten zu können. Was auch gleiche Risiken und<br />

Herausforderungen bedeutet.<br />

Es ist uns gelungen, den Schauspieler*innen von<br />

Rollenfang eine ganze Reihe von Filmrollen zu<br />

vermitteln. Das reicht von kleineren Rollen in der<br />

ARD-Serie „In aller Freundschaft“ oder in der<br />

ARD-Telenovela „Rote Rosen“ bis hin zu einer etwas<br />

größeren in der Netflix-Serie „The Missing II“<br />

mit Drehort Brüssel. Auch Episodenhauptrollen in<br />

den ZDF-Serien „Kommissarin Lucas“ und „Die<br />

Bergretter“ sowie in der ARD-Primetime-Reihe<br />

„Praxis mit Meerblick“ konnten vermittelt werden!<br />

Seit Januar <strong><strong>20</strong>19</strong> spielen zudem Carina Kühne und<br />

Max Edgar Freitag im Berliner Grips Theater Hauptrollen<br />

in dem Stück „Cheer out loud“. Dort werden<br />

die beiden auch in der kommenden Spielzeit zu sehen<br />

sein. Zwar steht bei der Besetzung der Rollen<br />

fast immer die Behinderung im Vordergrund und<br />

weniger die künstlerische Leistung, doch verfügen<br />

sie neben ihrem Talent auch über umfangreiche<br />

darstellerische Fähigkeiten. Diese haben sie in der<br />

Praxis meist im Theater, mehr und mehr aber auch<br />

schon beim Film unter Beweis gestellt. Neben der<br />

Vermittlung von Jobs konnten wir ein weitgespanntes<br />

Netzwerk aus Partnern, Paten, Institutionen und<br />

weiteren Multiplikatoren der Branche knüpfen. Ohne<br />

diese Unterstützung hätten wir niemals so große<br />

Fortschritte machen können. Neben dem VIA-Unternehmensverbund,<br />

der Aktion Mensch, den Internationalen<br />

Filmfestspielen Berlin und der Medienkanzlei<br />

Raue gehörte der BFFS übrigens zu einer der ersten<br />

Institutionen, die uns unterstützt haben. Dafür an<br />

dieser Stelle ein herzliches Dankeschön!<br />

Wir schätzen es sehr, wie positiv unsere Initiative<br />

aufgenommen und wie wohlwollend unser Engagement<br />

zur Kenntnis genommen wird. Freilich dauert<br />

es mit der konkreten Umsetzung von Projekten<br />

oftmals sehr lange – nicht unüblich bei solchen Unternehmungen.<br />

Allerdings kommt es unserer Erfahrung<br />

nach öfter als bei anderen Projekten vor, dass<br />

sich die Angesprochenen nach einiger Zeit daran<br />

erinnern, dass sie vielleicht doch nicht die bestgeeigneten<br />

Partner sind und dann teils zurückrudern.<br />

Zu hören sind dann Verweise auf vermeintlich stärkere<br />

Player und angeblich besser passende Partner.<br />

Nicht nur wir kennen solche Drehtüreffekte.<br />

Doch möchten wir Sendern, Produzenten, Casting-<br />

und Schauspielagenturen, Schreibenden<br />

und Regieführenden in dieser Hinsicht<br />

Mut machen – und auffordern, mit uns gemeinsam<br />

Chancen und Risiken einzuschätzen.<br />

FotoS: v. O. n. U.: Rollenfang / Wolfgang JanSSen; u. r.: Gianni Plescia<br />

30


Peter Pankow,<br />

Neele Buchholz,<br />

Louis Edler,<br />

Addas Ahmad,<br />

Mereika Schulz,<br />

Silja Korn,<br />

Jana Zöll,<br />

Lucy Alena Wilke<br />

Bühne<br />

Waren wir anfangs auf der Suche nach einer schon<br />

erfolgreich am Markt agierenden Agentur für unsere<br />

Schauspieler*innen, wollen wir uns nun im<br />

nächsten Schritt selbst hin zu einer AgenturPlus entwickeln.<br />

Und zwar zum einen für echte Profis und<br />

zum anderen für neue Talente! Die Profis werden<br />

wir neben Fotos auch mit einem Showreel ausstatten<br />

und in die gängigen Datenbanken einspeisen.<br />

Damit agieren wir dann wie eine vollwertige Schauspielagentur.<br />

Darüber hinaus veranstalten wir individuelle<br />

Coachings und setzen unsere inklusiven Kameraworkshops<br />

fort. Dabei geht es auch darum,<br />

die vertretenen Schauspielenden auf die harten<br />

Produktionsbedingungen vorzubereiten.<br />

Aufgrund vermehrter Anfragen nach Kindern und<br />

auch älteren Menschen mit besonderen Merkmalen<br />

starten wir gleichzeitig die neue Rubrik Talente.<br />

Diese werden wir anhand von digitalen Sedcards auf<br />

unserer Website präsentieren – und als Kleindarsteller*innen,<br />

Statist*innen und Models vermarkten.<br />

Noch enger als bisher wollen wir mit dem inklusiven<br />

Kulturnetzwerk Barner16 aus Hamburg und mit der<br />

Filmproduktion Leib+Seele aus Köln kooperieren,<br />

gemeinsam unsere individuellen Weiterbildungsprogramme<br />

ausbauen und neue „Filmformate“ und<br />

Distributionswege entwickeln. Es ist unser Schritt<br />

hin zu einer aktiveren Rolle in der Branche.<br />

Foto:<br />

Wolfgang JanSSen studierter<br />

Betriebswirt, seit über 25 Jahren<br />

in unterschiedlichen Funktionen im<br />

Kulturbereich engagiert. Bevor er<br />

<strong>20</strong>15 Rollenfang gegründet hat, war<br />

er u.a. vier Jahre Geschäftsführer<br />

des Kulturnetzwerkes Neukölln und<br />

zehn Jahr Verwaltungsleiter der<br />

Internationalen Filmfestspiele Berlin.<br />

Ausschlaggebend für die Umsetzung<br />

dieser Idee war für ihn, der Wunsch<br />

seines Patensohnes mit Behinderung<br />

Schauspieler zu werden.<br />

31


Wenn das Theater nicht umdenkt,<br />

verliert es seine Zuschauer<br />

Die Zukunftsakademie NRW hat Ideen, wie<br />

junges Publikum ins Theater geholt werden kann.<br />

INTERVIEW MIT KULTURMANAGERIN INEZ BOOGAARTS<br />

Es geht um Diversität, um Vielfalt im Kulturbereich.<br />

Eine viel geäußerte These<br />

dazu lautet: In den Kulturinstitutionen ist<br />

das Thema längst nicht so verankert, wie<br />

es in der dazugehörigen Stadtgesellschaft<br />

sichtbar stattfindet. Diversität wird als hoch relevantes<br />

Thema für die Gesellschaft der Zukunft gesehen,<br />

aber es wird eher noch wenig dafür getan.<br />

Wir stellen deshalb eine Institution vor, die sich<br />

ganz der Vielfalt im Kulturbereich verschrieben hat –<br />

die Zukunftsakademie Nordrhein-Westfalen, kurz<br />

ZAK NRW in Bochum. Die Zukunftsakademie NRW<br />

bezeichnet sich selbst als das Zentrum für Diversität<br />

in Kunst, Kultur und kultureller Bildung in NRW. Es<br />

will Kulturinstitutionen dabei unterstützen, sich für<br />

mehr Teilhabe zu öffnen und die Vielfalt der Gesellschaft<br />

für ihre Organisation zu nutzen. Zum Ende des<br />

Jahres <strong><strong>20</strong>19</strong> wird die Arbeit des Zentrums eingestellt.<br />

Geschäftsführerin der ZAK NRW war von Oktober<br />

<strong>20</strong>16 bis Oktober <strong><strong>20</strong>19</strong> die Kulturmanagerin Inez<br />

Boogaarts. Sie ist Niederländerin, seit vielen Jahren in<br />

der Programmentwicklung und Kulturberatung aktiv.<br />

Karin Fischer: Was beinhaltet der Begriff Diversität<br />

für Sie?<br />

Inez Boogaarts: Der Begriff wird sehr unterschiedlich<br />

verwendet. Für mich bedeutet er, dass die<br />

Gesellschaft divers ist. Früher hieß das wahrscheinlich<br />

Multikulturalismus. Das hat unterschiedliche<br />

Titel bekommen: transkulturell, interkulturell, Integration<br />

kam auch noch dazu. Für mich ist der Begriff<br />

Diversität insgesamt eher beschreibend. Das beinhaltet<br />

natürlich auch die unterschiedlichen Integrationsbewegungen,<br />

aber vor allem – das ist mir wichtig zu<br />

sagen – hat sich die Gesellschaft verändert. Ich denke<br />

bei dem Begriff Diversität an die zweite, dritte, vierte,<br />

vielleicht fünfte Generation Migrant*innen, aber<br />

natürlich auch an Leute, die in der Vergangenheit<br />

nach Deutschland zugewandert sind und sich auf<br />

verschiedene Art und Weise divers entwickelt haben.<br />

K. F.: Und die Wichtigkeit ergibt sich natürlich daraus,<br />

dass Sie auch mit Zahlen hantieren, z.B. die,<br />

dass 25 Prozent der Menschen in Nordrhein-Westfalen<br />

eine diverse Geschichte haben?<br />

I. B.: Absolut. Das ist eine Zahl. Eine andere ist,<br />

dass mittlerweile über 50 Prozent bis manchmal<br />

70 Prozent der Kinder und Jugendlichen in Nordrhein-Westfalen<br />

eine diverse Geschichte haben. Das<br />

sind die Steuerzahler von morgen. Deshalb ist uns<br />

auch wichtig, dass sich die Kultureinrichtungen in<br />

Nordrhein-Westfalen darüber Gedanken machen,<br />

wie ihr Publikum in den nächsten zehn bis zwanzig<br />

Jahren aussieht und wie sie sich darauf vorbereiten,<br />

es so zu entwickeln, dass es auch für neue Generationen<br />

interessant, wichtig und relevant bleibt.<br />

K. F.: Das Thema Diversität hat, seit wir die Debatte<br />

um die Flüchtlinge führen, indirekt eine neue Dringlichkeit<br />

gewonnen, nämlich in der Frage, wie wir in<br />

Deutschland eigentlich zusammenleben wollen. Welche<br />

Antwort haben Sie als Diversitätsexpertin darauf?<br />

I. B.: Das ist natürlich eine riesengroße Frage. Mittlerweile<br />

ist es in vielen Städten in Nordrhein-Westfalen<br />

und im Ruhrgebiet eine Mehrheit von Minderheiten.<br />

Man kann kaum noch sagen, dass wir über<br />

Minderheiten reden, weil es so viele verschiedene<br />

Minderheiten gibt. Manchmal benutzt man auch<br />

32


Bühne<br />

den Begriff Community in diesem Zusammenhang<br />

dafür, aber auch Sie und ich sind am Tag mindestens<br />

zehnmal Teil einer anderen Community und spielen<br />

da unterschiedliche Rollen.<br />

Diversität ist einfach eine Tatsache. Die Gesellschaft<br />

hat sich geändert und man muss damit<br />

klarkommen, ob man das positiv oder negativ bewertet.<br />

In der Wirtschaft gibt es schon viele Unternehmen,<br />

die sich mit dieser Realität auseinandergesetzt<br />

haben und z.B. das Angebot dazu verändert<br />

haben. Diese Realität kann man jeden Tag, zu jeder<br />

Stunde, in der S-Bahn oder auch bei IKEA beobachten.<br />

Das ist die Realität. Ich glaube, da spielt<br />

auch die Kultur eine wichtige Rolle. Die hat meiner<br />

Meinung nach eine gesellschaftliche Aufgabe. Museen,<br />

Theater, Musikensembles und so weiter sind<br />

Teil dieser Gesellschaft und diese Gesellschaft hat<br />

sich geändert.<br />

K. F.: Dann kommen wir zu Ihrer Arbeit und der der<br />

ZAK NRW. Was genau tun Sie? Erklären Sie vielleicht<br />

an einem Beispiel, wie man Kultureinrichtungen<br />

sensibilisieren kann, sich eben mehr zu öffnen,<br />

und was das für Effekte haben kann.<br />

I. B.: Ja, hier mal eine kurze Alltagsgeschichte: Man<br />

kommt manchmal ins Gespräch mit einem Theater<br />

oder einem Festival, das vorhat, eine andere Zielgruppe<br />

zu erreichen. Manchmal fängt es einfach mit der<br />

Frage an: „Unser Publikum hat sich verändert oder<br />

wir möchten gerne an andere Publika rankommen,<br />

aber wir schaffen es nicht, sie zu erreichen. Können<br />

Sie uns im Sinne der Zukunftsakademie NRW dabei<br />

unterstützen, diese Frage noch einmal zu schärfen?“<br />

Dann kommt man ins Gespräch und schaut: Was<br />

machen sie? Welches Programm haben sie entwickelt?<br />

Welche Kommunikationsmittel haben sie? Und<br />

was wollen sie nicht nur in diesem Jahr, sondern auch<br />

in den nächsten zwei, drei, vier Jahren erreichen? Auf<br />

welche Art und Weise haben sie sich schon mit der<br />

Frage auseinandergesetzt, ob das aktuelle Programm<br />

auch für andere Publika interessant ist?<br />

Dann fängt man manchmal an, sich diese Fragen<br />

zu stellen: Ist mein Programm vielleicht nicht so interessant?<br />

Was könnte ich daran ändern? Muss ich<br />

daran etwas ändern oder versuche ich einfach, ein<br />

neues Publikum abzuholen, oder versuche ich, mit<br />

Intermediären das Gespräch zu führen? Also Leu-<br />

te, die die Unterschiede zu anderen Publika schon<br />

besser kennen oder vielleicht auch das Programm<br />

besser erklären können?<br />

K. F.: Sie haben das Stichwort Kommunikation erwähnt.<br />

Wie wichtig ist so etwas wie schwellenlose<br />

Kommunikation, die man ja nicht von vornherein<br />

gelernt hat? Wenn ich die Museumslandschaft anschaue,<br />

oder auch die Theaterlandschaft – die Leute,<br />

die dort die Macher*innen sind, sind weiß, gebildet<br />

und müssen sich die andere Perspektive sozusagen<br />

noch aneignen.<br />

I. B.: Ja. Ich sage mal, im Kommunikationsbereich<br />

und im Bereich der Öffentlichkeitsarbeit ist das einer<br />

der ersten Schritte, den man machen kann und<br />

manchmal auch einer der leichtesten. Da hat sich<br />

natürlich auch in der Pressearbeit eine Menge geändert<br />

in den letzten Jahren.<br />

K. F.: Also Theater gehen raus aus ihren Bunkern<br />

vor Ort, auch manchmal an Orte, die wir als Brennpunkte<br />

definieren – das hat es alles schon gegeben,<br />

das ist auch öffentlich gefördert. Aber was macht<br />

jetzt so ein normales Stadttheater? Vielleicht sagen<br />

Sie uns einfach mal, wie das geht?<br />

I. B.: Ein Beispiel von der Komischen Oper in Berlin.<br />

Da ist eine Person, die als Auftrag hat, sich die<br />

ganze Zeit mit unterschiedlichen Gruppen in der<br />

Berliner Gesellschaft auseinanderzusetzen, einfach<br />

auf sie zuzugehen, sie zu fragen, was sie machen,<br />

wie sie kommunizieren, und einfach aufrichtiges<br />

Interesse zu zeigen.<br />

Ich habe in letzter Zeit viele neue Programme für<br />

Spielzeitpläne empfangen. Das sind dann oft sehr<br />

dicke Broschüren mit unfassbar vielen Programmteilen,<br />

d. h. von September bis Mai nächsten Jahres<br />

ist das Programm in einer riesigen Broschüre zusammengefasst.<br />

Ich frage mich, wer das noch liest.<br />

Während wir uns immer mehr über digitale Instrumente<br />

informieren lassen, planen wir im September<br />

schon eine Aufführung für Januar oder Februar. Die<br />

Leute gibt es zwar noch immer, das ist ein Stammpublikum,<br />

und das ist auch total wichtig, aber<br />

ich wünsche mir, dass Theater und auch Museen<br />

sich darüber Gedanken machen, dass<br />

sie anders kommunizieren müssen, wenn sie<br />

andere Publika erreichen möchten.<br />

33


Bühne<br />

Das andere Publikum liest kein Programmbuch<br />

mehr. Die entscheiden sich wahrscheinlich<br />

um 19 Uhr, ob sie um 19.30 Uhr nochmal ins<br />

Theater gehen wollen.<br />

Das sind andere Entscheidungsprozesse und das<br />

sind auch andere Kommunikationswege. Das kann<br />

über Instagram sein, das kann über Flyer sein, die<br />

man überhaupt nicht mehr erwartet. Da sind unterschiedliche<br />

Interessen und man muss sich da reinarbeiten,<br />

um zu verstehen, wie andere Personen und<br />

Gruppen kommunizieren.<br />

K. F.: Was können Sie bewegen und wie nachhaltig<br />

sind die Ergebnisse Ihrer Arbeit? Gibt es dazu Untersuchungen?<br />

Können Sie Erfolge vorweisen?<br />

I. B.: Als Beispiel: Das Stadtarchiv in Oberhausen<br />

ist ein kleines Archiv, hat immer super funktioniert<br />

und hat sich gedacht: „Okay, wir sind da für<br />

die Stadt Oberhausen und unsere Arbeit ist gut<br />

und schön“, aber sie haben sich mit der theoretischen<br />

Frage von Diversität nie richtig auseinandergesetzt.<br />

In dem Moment, in dem sie sich im<br />

gemeinsamen Prozess mit der ZAK NRW damit<br />

aktiv auseinandergesetzt haben, haben sie auch für<br />

sich festgestellt: „Die Oberhausener Bevölkerung<br />

hat sich in den letzten dreißig, vierzig Jahren sehr<br />

verändert. Unser Auftrag als Stadtarchiv ist es, alles<br />

zu archivieren, aber wir haben auch öffentliche<br />

Veranstaltungen und Aktivitäten und diese sind<br />

immer auf das traditionelle Publikum ausgerichtet,<br />

das wir immer versorgt haben. Wenn Oberhausen<br />

z. B. eine Bevölkerung mit vielleicht 40 Prozent bis<br />

50 Prozent diversem Hintergrund hat (ohne die genaue<br />

Zahl zu kennen), müssen wir vielleicht auch<br />

unser Programm ändern, wenn wir dieses Publikum<br />

auch erreichen wollen.“ Und das Stadtarchiv<br />

hat das getan.<br />

Ich finde auch das Schauspielhaus Bochum spannend.<br />

Das hat im letzten Jahr einiges ausprobiert,<br />

z.B. bei den Akteur*innen, das Ensemble hat sich<br />

verändert, die Art und Weise der Kommunikation<br />

hat sich verändert, man versucht auch im Personalbereich<br />

etwas zu verändern und nicht alle neuen<br />

Angebote sind gut angekommen. In der Presse<br />

waren sehr unterschiedliche Reaktionen darauf. Das<br />

muss man dann natürlich aushalten können. Auch<br />

die Politik muss das aushalten können, denn die<br />

Politik bestimmt teilweise die Förderung am Schauspielhaus.<br />

Es gibt leider kein Erfolgsrezept. Auch in<br />

der Wirtschaft ist das so, man probiert einiges aus,<br />

manches gelingt oder es gelingt ein bisschen, aber<br />

das nächste Mal dann nicht mehr. Wir müssen gemeinsam<br />

Mut haben, etwas auszuprobieren.<br />

K. F.: Jeden Tag stellt sich uns als Kulturinstitution<br />

die Frage: Wie können wir Menschen in der Zukunft<br />

noch an uns binden, die jünger sind, die keine<br />

biodeutschen Wurzeln haben, die meistens auch<br />

unter dem Radar von Kultureinrichtungen segeln,<br />

die vielleicht Nachwuchs suchen, aber an den falschen<br />

Stellen? Die Frage ist wirklich: Wie kommt<br />

man zusammen?<br />

I. B.: Ja, wie gesagt, viel ausprobieren und vor allem<br />

auch Fragen zulassen. Wir hatten vor einigen Wochen<br />

als Zukunftsakademie NRW eine informelle<br />

Runde mit Jugendlichen im Alter zwischen 17 und<br />

25 Jahren, die wir zusammengeführt haben. Diese<br />

kamen aus unterschiedlichen Bereichen. Einige sind<br />

noch in der Schule, andere sind schon in der Ausbildung<br />

als Theatermacher*innen und einige sind<br />

als Musiker*innen unterwegs. Die Veranstaltung<br />

dauerte nur zwei Stunden, in denen wir uns austauschen<br />

konnten, sie fragen konnten, wie sie kommunizieren,<br />

was ihnen wichtig ist, welche Themen<br />

sie beschäftigen. Und daraus konnten wir sehr interessante<br />

Schlussfolgerungen ziehen, wie man das<br />

Programm anders gestalten kann. Manchmal haben<br />

wir, auch ich persönlich, Angst: Das sind ja Jugendliche,<br />

die eine andere Perspektive haben, die wir<br />

nicht sofort verstehen. Einfach ein Gespräch zu führen<br />

und Fragen zu stellen, bringt schon eine Menge.<br />

Das fängt für die großen Häuser z.B. damit an:<br />

Wieso gründet man keinen Jugendbeirat, der<br />

viermal im Jahr zusammenkommt und gemeinsam<br />

auf das Programm schaut und Feedback<br />

dazu gibt?<br />

Das ist ziemlich harmlos, aber sehr direkt. Wie<br />

sieht es mit Jurys aus? In Nordrhein-Westfalen<br />

werden viele Fördergelder auf unterschiedlichen<br />

Ebenen über sogenannte Jurys weitervermittelt<br />

und -verteilt. Man stellt einen Antrag und es gibt<br />

eine Jury, die darüber diskutiert. Man kann auch<br />

schon dort anfangen, andere Jurymitglieder einzustellen,<br />

die nicht unbedingt nur sogenannte<br />

34


Fachkräfte sind, die sich in dem Thema sehr gut<br />

auskennen und eine Menge Expertise haben, sondern<br />

eine andere Expertise im Bereich Publikumsentwicklung<br />

oder Ethno-Marketing oder einfach<br />

generell einen anderen Blickwinkel haben.<br />

K. F.: Frau Boogaarts, Sie haben kürzlich eine Studie<br />

zum Thema Diversität in Kultureinrichtungen vorgestellt,<br />

auf die ich noch kurz eingehen möchte. Was<br />

sind deren wichtigsten Aussagen?<br />

I. B.: Was uns als erstes sehr gefreut hat ist, dass es<br />

eine sehr hohe Rücklaufquote gab: 64 Prozent aller<br />

Angeschriebenen haben diesen Online-Fragebogen<br />

ausgefüllt.<br />

Drei Viertel dieser Kultureinrichtungen legen<br />

offen, dass Ihnen das Thema Diversität<br />

wichtig ist. Das ist wirklich eine sehr positive<br />

Entwicklung, die aus dieser Bestandsaufnahme ersichtlich<br />

wird.<br />

Schritt für Schritt voran. Man geht drei Schritte vor<br />

und muss wieder zwei Schritte zurück machen.<br />

Ich hoffe natürlich, dass das Ministerium sich bewusst<br />

ist, dass diese permanente Fokussierung auf das<br />

Thema so wichtig ist, dass man es nicht nur einfach so<br />

nebenher ein bisschen unterstützen kann. Ich erhoffe<br />

nicht nur für die ZAK NRW, sondern vor allem für<br />

das Thema selbst und auch für alle Kultureinrichtungen,<br />

die sich jetzt auf den Weg gemacht haben, dass<br />

das Ministerium so schnell wie möglich mit einem<br />

Plan kommt. Darüber bleibe ich mit dem Ministerium<br />

gerne im Gespräch und auch mit allen Verbündeten.<br />

K. F.: Frau Boogaarts, vielen Dank für das interessante<br />

Gespräch.<br />

Das Interview basiert auf einem Gespräch des<br />

Deutschlandfunks.<br />

Die vielen Erfahrungen<br />

rund um<br />

Diversität in der<br />

Kultur sowie<br />

nützliche Materialien<br />

und Tipps<br />

für Akteur*innen<br />

und Akteure<br />

finden sich<br />

weiterhin auf<br />

der Webseite<br />

www.zaknrw.de.<br />

K. F.: Aber es gibt natürlich diese sichtliche Diskrepanz<br />

zwischen der Wahrnehmung des Themas als<br />

hochrelevant und der Praxis, z.B. der Nutzung von<br />

vielfältiger oder zielgruppenorientierter Kommunikation,<br />

oder? Das heißt, die Wege sind noch nicht<br />

gut gebahnt, es mangelt an Erfahrung und Wissen…<br />

I. B.: Es mangelt nicht an Erfahrung. Es mangelt<br />

noch an Praxis und viele trauen sich noch nicht.<br />

Es ist wirklich gut, dass das Thema in den Köpfen<br />

angekommen ist, aber jetzt muss das Thema in den<br />

Herzen ankommen und in der Umsetzung, d. h. ins<br />

„Doing“. Ich weiß, dass es Widerstände gibt und es<br />

nicht immer einfach ist, diese Maßnahmen umzusetzen,<br />

aber gleichzeitig wird überhaupt nichts passieren,<br />

wenn man nichts macht.<br />

Inez Boogaarts, seit Oktober <strong><strong>20</strong>19</strong> Leiterin<br />

des Poetry International Festivals in Rotterdam,<br />

war drei Jahre lang Geschäftsführerin der<br />

Zukunftsakademie NRW. Die gebürtige Rotterdamerin<br />

hatte unter anderem die Leitung<br />

der Presse- und Kulturabteilung des Generalkonsulats<br />

der Niederlande in Düsseldorf inne,<br />

wo sie insbesondere die Koordination und<br />

Kommunikation des niederländischen Beitrags<br />

für die Kulturhauptstadt RUHR. <strong>20</strong>10 verantwortete.<br />

Neben einem Abschluss in Sozialer<br />

Geografie in Utrecht blickt sie auf langjährige<br />

internationale Erfahrungen in den Bereichen<br />

kulturpolitische Beratung, Programmentwicklung,<br />

Kulturmanagement und<br />

Kommunikation zurück.<br />

Fotos: Yuriy Ogarkov, Bettina Fürst-FastrÉ<br />

K. F.: Wir müssen am Ende noch erwähnen, Frau<br />

Boogaarts, dass die Zukunftsakademie NRW eingestellt<br />

wird und die Förderung ausgelaufen ist. Nicht,<br />

weil alle Arbeit schon getan wäre, sondern weil sie in<br />

anderer Form weitergehen soll. Was ist Ihr größter<br />

Wunsch in dieser Hinsicht?<br />

I. B.: Die Zukunftsakademie NRW läuft bis zum<br />

Ende des Jahres. Die Arbeit bei der ZAK NRW machen<br />

wir schon seit sechs, sieben, acht Jahren. Es hat<br />

sich gezeigt, dass das Thema sehr viel Zeit braucht.<br />

Es sind lange, zähe Prozesse und man kommt nur<br />

Karin Fischer, geb. 1963, studierte<br />

Germanistik und Philosophie in Tübingen<br />

und arbeitet seit 1999 als Kulturredakteurin<br />

beim Deutschlandfunk in Köln. Radio, in<br />

allen Formen und Ausspielwegen, ist für sie<br />

das perfekte Medium für das diskursive<br />

Nachdenken über Kultur, Geschichte, Zeitgeschehen<br />

und Zeitgeist – schnell, originell,<br />

mündlich, authentisch, fragend. Sie leitet die<br />

Abteilung „Aktuelle Kultur“ und die Redaktion<br />

„Kultur heute“ beim Deutschlandfunk und<br />

ist als Planerin, Moderatorin und Theaterkritikerin<br />

auf dem Feld der Kultur zugange,<br />

von „Antigone“ bis „Zukunftsangst“.<br />

35


RUBRIK<br />

„Der nächste<br />

prominente junge<br />

schwule Schauspieler<br />

zwischen <strong>20</strong> und 40,<br />

der sich outet,<br />

wird deutsche Filmgeschichte<br />

– wenn<br />

er sehr gut ist.“<br />

Matthias Beier, Schauspieler und Coach<br />

Foto:


RUBRIK<br />

Film/Fernsehen<br />

Foto:<br />

37


38


Film/Fernsehen<br />

Jede* packt mit an<br />

Was können wir Schauspieler*innen verändern, um<br />

unseren Teil zum Klimawandel beizutragen und diese<br />

Ziele sozial, fair und gleichberechtigt erreichen?<br />

VON SCHAUSPIELERIN ESTHER ROLING<br />

Beim diesjährigen Deutschen Schauspielpreis<br />

war es ein großes Thema: Der Klimawandel.<br />

JETZT! Moderator*innen,<br />

Laudator*innen und Gewinner*innen<br />

sprachen sich für den Klimastreik am<br />

<strong>20</strong>. September und für eine unbedingte Aktion ab sofort<br />

aus und auch auf der anschließenden Party, die so<br />

klimafreundlich wie möglich gestaltet wurde, war es<br />

das dominierende Thema.<br />

Erste ökologische Maßnahmen, wie das Vermeiden<br />

von Plastikmüll, allem voran Einweggeschirr<br />

am Set, sind bereits zu Standards in den Köpfen vieler<br />

Kolleg*innen geworden. Das ist allerdings längst<br />

nicht genug. Themen wie Catering, Licht, Energie,<br />

Transport, Finanzierung und Kostüm können ebenfalls<br />

dazu beitragen. Dazu haben wir mit Fachleuten<br />

gesprochen, die dem Hamburger Stammtisch seit<br />

zwei Jahren helfen, diese Themen in unseren Verband<br />

einzubringen.<br />

Hierbei ist der Grüne Drehpass als Produkt der<br />

Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein in diesem<br />

Bezug besonders von Bedeutung. Der Grüne<br />

Drehpass ist deutschlandweit die erste Initiative,<br />

die die Themen Nachhaltigkeit und Umwelt bei<br />

Dreharbeiten im Blick hat. Die Auszeichnung eines<br />

Filmprojektes findet nach einer Beratung mit einer<br />

anschließenden Aufstellung von ökologischen Maßnahmen<br />

während der Dreharbeiten statt.<br />

Wie bekommt man dieses zertifizierte Gütesiegel<br />

der Stadt Hamburg? Jede Film- und TV-Produktion<br />

kann den Grünen Drehpass beantragen.<br />

In einem Orientierungsgespräch zu Beginn der<br />

Zusammenarbeit werden Ziele definiert, wobei,<br />

vereinfacht gesagt, vier der sechs Handlungsfelder<br />

erreicht werden müssen.<br />

Die sechs Handlungsfelder<br />

setzen sich wie folgt zusammen:<br />

AUSSTATTUNG<br />

Reduzierung von Elektromüll, Recycling in der Ausstattung<br />

und Verwendung von ökologisch unbedenklichem<br />

Material bei Requisiten und Ausstattung.<br />

CATERING<br />

Verwendung von regionalen und saisonalen Produkten<br />

und Mehrweggeschirr, Vermeidung von<br />

Plastikbechern und -flaschen sowie nachhaltiges<br />

Abfallmanagement.<br />

PRODUKTIONSBÜRO<br />

Vermeidung von Druckerzeugnissen, Verwendung<br />

von umweltfreundlichem Papier und doppelseitiges<br />

Bedrucken, Nutzung elektronischer Dispo, Benennung<br />

eines Umweltbeauftragten für die gesamte Produktion,<br />

strikte Mülltrennung sowie Ökostrom im<br />

Büro.<br />

TRANSPORT, MOBILITÄT<br />

Bildung von Fahrgemeinschaften und, soweit möglich,<br />

Einsatz von reinen Elektroautos und Hybridfahrzeugen,<br />

Vermeidung von Flugreisen.<br />

LICHT, TECHNIK<br />

Verwendung von energieeffizienter Lichttechnik<br />

und festen bzw. wiederaufladbaren Stromquellen<br />

am Set, Vermeidung von Generatoren.<br />

ERSTELLUNG EINER CO2-BILANZ<br />

mit Hilfe eines CO2-Rechners, der zum Beispiel von<br />

der MFG Baden-Württemberg online angeboten wird.<br />

39


Wie können wir Schauspieler*innen in diesen<br />

Handlungsfeldern aktiv werden und das Grüne Drehen<br />

unterstützen?<br />

Christiane Dopp vom Grünen Drehpass: „Schauspieler*innen<br />

sind durch ihre Reichweite und<br />

Strahlkraft in der Lage, Inhalte nicht nur zu transportieren,<br />

sondern auch zu emotionalisieren. Beim<br />

Thema Nachhaltigkeit ist Leidenschaft ein wichtiger<br />

Faktor, wenn man verstaubten Strukturen, Vorurteilen<br />

und Ängsten begegnen möchte.<br />

Wir suchen immer starke Botschafter*innen, die<br />

die Vision des Grünen Drehpasses in der Branche<br />

und darüber hinaus verbreiten. In Hamburg war es<br />

z.B. die Schauspielerin Franziska Weisz (u.a. Tatort<br />

Hamburg), die sich schon zu einem ganz frühen<br />

Zeitpunkt gegen Plastikbecher am Set öffentlich<br />

ausgesprochen und alle mitgerissen hat. In ihrem<br />

großen Engagement hat sie sogar die erste Ausstattung<br />

an Kaffeebechern selbst gekauft, diese waren<br />

mit Kreide wiederbeschreibbar. Man findet sie<br />

immer noch an diversen Cateringwagen – wer in<br />

Hamburg dreht, kennt sie. Das sind gute und wichtige<br />

Anfänge.”<br />

Unser Stammtisch-Gast Regisseur Lars Jessen Set<br />

hat die Standards des Grünen Drehpasses bereits<br />

weit übertroffen und fordert konsequenteres Handeln<br />

in der Branche:<br />

„Ein veganes Catering sollte nicht Alternative,<br />

sondern alternativlos sein. Wenn Fleisch zusätzlich<br />

angeboten wird, dann unbedingt regional und bio.<br />

Durch die Fütterung der Tiere mit Soja vom Amazonas<br />

bekommt auch die regionale Kuh eine katastrophale<br />

CO2-Bilanz.<br />

Das Konsumverhalten am Set spielt hier eine<br />

enorm große Rolle. Wie in einer Mikrogesellschaft<br />

kann durch Nachfrage das Angebot schnell verändert<br />

40<br />

Schauspieler<br />

*innen<br />

sind durch<br />

ihre Reichweite<br />

und<br />

Strahlkraft<br />

in<br />

der Lage,<br />

Inhalte<br />

nicht nur<br />

zu transportieren,<br />

sondern<br />

auch zu<br />

emotionalisieren.<br />

werden. Hierbei sind Schauspieler*innen natürlich<br />

auch in einer Vorreiterrolle und können viel bewegen.<br />

Ein weiterer spannender Bereich ist das Green Storytelling,<br />

sicherlich in erster Linie ein Handlungsfeld<br />

für Autoren und Redaktionen, aber nicht nur. Auch<br />

Schauspieler*innen können durch ihre Rolle und<br />

durch ihr Spiel Green Storytelling unterstützen.“<br />

Es geht mir persönlich, wie auch dem Hamburger<br />

BFFS-Stammtisch, bei diesem Thema um soziale<br />

Fairness und vor allem um neue Lösungsansätze.<br />

Unsere Aufgabe als Gewerkschaft ist, Umwelt,<br />

Produktion und die Schauspieler*innen ins Boot<br />

zu holen. In diesem Fall alle in einen Zug, denn die<br />

Devise lautet: Zug statt Flug. Dieser Konsens sollte<br />

Gegenstand der nächsten Tarifverhandlungen sein.<br />

Die Bahncard 50 beispielsweise kostet ca. 300<br />

Euro im Jahr, absetzbar und sowohl privat als auch<br />

beruflich nutzbar. Dennoch, wer kennt es nicht,<br />

nach der Besetzung kommt die Frage zur Anreise:<br />

„Ist eine Bahncard vorhanden? Ja? TOLL!!!“<br />

Die finanzielle Einsparung ist willkommen und<br />

natürlich möchte man auch der Umwelt zuliebe den<br />

Zug nehmen. Die Kosten der BahnCard verbleiben<br />

zu 100 Prozent bei den Schauspieler*innen. Das<br />

können wir ändern, indem zum Beispiel die Arbeitgeber<br />

einen Teil daran übernehmen.<br />

Ich finde, das ist ein wunderbarer Ansatz, um eine<br />

faire und grüne Förderung zu erreichen. Gemeinsam<br />

mit den Filmförderungen und unseren Arbeitgebern<br />

können wir Modelle entwickeln, die Schule machen.<br />

Denn nachhaltig arbeiten, bedeutet auch fair<br />

zu vergüten und Verantwortung zu übernehmen.<br />

Sonst bleibt es als eine Art Mischung aus Luxus<br />

und Idealismus nur einem elitären Kreis vorbehalten.<br />

Deswegen muss Nachhaltigkeit politisch<br />

verankert werden. In unserem Fall bedeutet das,


Film/Fernsehen<br />

Foto: Thomas Leidig<br />

dass es in den Tarifverhandlungen festgelegt wird.<br />

Beim Grünen BFFS-Stammtisch fiel den Beteiligten<br />

auf, dass der Bereich Kostüm noch nicht in<br />

den Handlungsfeldern des Grünen Drehpasses vorkommt,<br />

ebenfalls ein Feld, in dem Schauspieler*innen<br />

bei Kostümanproben ihren Einfluss geltend machen<br />

können.<br />

„Die Textilindustrie produziert mehr CO2 als der<br />

Schiffs- und Flugverkehr zusammen“, sagt Thekla<br />

Wilkening, Expertin im Bereich nachhaltige Mode,<br />

die gemeinsam mit der in Hamburg ansässigen<br />

Fair Fashion Designerin Lotta Meyer damit einen<br />

wichtigen Impuls gesetzt hat und dem Hamburger<br />

Stammtisch seitdem beratend zur Seite steht. „Wir<br />

arbeiten an einer stärkeren und direkten Vernetzung<br />

zwischen Modelabels, die nachhaltig produzieren,<br />

und dem Kostümbereich. Ziel ist es, dass<br />

zum Beispiel Überhangware der Marken im Fundus<br />

zum Einsatz kommt, so dass alle darauf zurückgreifen<br />

können. In allen Industrien – und damit auch<br />

beim Film – müssen wir dringend mehr in Kreisläufen<br />

denken, statt linear.”<br />

Ergänzend zum nachhaltigen Wert eines grünen<br />

Kostüms, ist uns allen ja auch bewusst, wie wichtig<br />

es ist, „gut in einem Schuh“ und somit in seiner Rolle<br />

zu stehen. Das kann jeder bestätigen, der schon<br />

einmal in billig produzierten Plastikschuhen seine<br />

Rolle durchstehen musste.<br />

Es passiert gerade ganz viel und es zeigt sich,<br />

dass das Engagement jedes Einzelnen zählt. Unsere<br />

neuen Mitgliedsausweise sind beispielsweise zu<br />

100 Prozent biologisch abbaubar.<br />

Weil es uns am Herzen liegt, sind wir alle aufgerufen<br />

uns einzubringen! Wir müssen unser Verhalten<br />

anpassen und permanent überdenken.<br />

Denn „Jeder packt mit an“ lautet die Lösung.<br />

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Esther Roling ist seit Gründung<br />

des BFFS Mitglied. Sie besuchte<br />

regelmäßig die Stammtische<br />

in Köln und Berlin war nach Ihrem<br />

Umzug in die Hansestadt, eine von<br />

zwei Teilnehmerinnen des ersten<br />

Hamburger Stammtisches – den<br />

zweiten Gast hatte sie mitgebracht.<br />

Seit <strong>20</strong>14 ist sie Regionalpatin des<br />

Hamburger Stammtisch und hat<br />

das Plakat „Hamburg deine Perlen“<br />

übernommen und erfolgreich<br />

die bundesweite Plattform<br />

DeinePerlen.de ins Leben gerufen.<br />

41


Diversität im TV – Warum ist<br />

das denn so kompliziert?<br />

Auf allen Ebenen wird über den Begriff Diversität in der<br />

Filmbranche diskutiert und jeder hätte gerne ein<br />

Stück vom Kuchen „Sichtbarkeit“ und „Repräsentanz“.<br />

VON SCHAUSPIELER JERRY KWARTENG<br />

Warum ist die Umsetzung eines Begriffes,<br />

über dessen Wichtigkeit anscheinend<br />

so große Einigkeit in der<br />

gesamten Branche herrscht, dann so<br />

schwer umzusetzen? Warum ist es denn so kompliziert,<br />

in jedem Filmprojekt für ausreichende Diversität<br />

in den Geschichten zu sorgen? Warum kann<br />

z. B. der Polizeichef im Krimi, nicht auch von<br />

schwarzen Kolleg*innen gespielt werden oder gar<br />

die Titelfigur? Will man denn etwas so Kompliziertes,<br />

Unverständliches oder Außergewöhnliches?<br />

Ich bin Schauspieler geworden, vermutlich aus<br />

denselben Gründen, wie viele meiner Kollegen,<br />

weil mich die Arbeit von Schauspielern, wie Eddy<br />

Murphy, Al Pacino, Sean Connery, Michelle Pfeiffer<br />

und Denzel Washington fasziniert hat und ich<br />

machen wollte, was diese Schauspieler*innen machen.<br />

Wenn ich früher einen Anzug anzog und<br />

mich Freunde plötzlich „James Bond“ nannten,<br />

überkam mich sofort ein Lächeln. Das Image eines<br />

coolen Typen, der anscheinend immer locker<br />

alle Bösewichte besiegt und dem alle Frauenherzen<br />

zufliegen, ist weltweit ein so klares Bild, dass<br />

jeder sofort dieses Kompliment versteht. Die „Rocky“-Titelmusik,<br />

die mich beim Joggen motiviert<br />

oder wenn mein Kumpel und ich nur den Namen<br />

„Jack Bauer“ sagen müssen und uns beiden klar ist,<br />

dass es jetzt weiterkämpfen heißt.<br />

Die Bilder, die wir in unseren Filmen zeigen, setzen<br />

ein Image, Kraft und Macht weit über die Kinosäle<br />

und Fernseher hinaus. Sie finden sich in unser<br />

aller Ansichten, Emotionen, Selbstbewusstsein,<br />

Träumen und Vorstellungen wieder.<br />

Ich fieberte mit den weiSSen Titelfiguren<br />

mit. Warum sollte es dann weiSSen Zuschauern<br />

mit einer schwarzen Titelfigur anders<br />

gehen?<br />

Nach schwarzen Figuren in großen Rollen oder<br />

sogar Titelrollen suchte ich im deutschen TV und<br />

Kino aber in meiner Jugend vergebens. Und das ist<br />

ein Zustand der sich auch heute noch nicht wesentlich<br />

verändert hat.<br />

Selbstverständlich gibt es mittlerweile mehr kleine<br />

Rollen und Kurzauftritte, die mit schwarzen<br />

Schauspieler*innen besetzt werden. Einigen Lesern<br />

fallen bestimmt auch vier bis fünf schwarze Schauspieler*innen<br />

in großen Rollen ein. Auch wenn diese<br />

Entwicklung in der Branche begrüßenswert ist, so<br />

ist dies aber bei weitem nicht repräsentativ, sondern<br />

es handelt sich hier immer noch um seltene Ausnahmen<br />

einzelner schwarzer Kolleg*innen. Dieser Umstand<br />

wurde mir schmerzlich bewusst, als ich Zeuge<br />

einer Unterhaltung zweier schwarzer Schuljungen<br />

wurde, in der einer zum anderen sagte: „Ich würde<br />

gerne Arzt werden.“ Und der andere antwortete<br />

ihm: „Kannst du vergessen, im Fernsehen gibt es ja<br />

auch keine schwarzen Ärzte.“ Die Macht der Bilder<br />

und deren Auswirkung auf jeden in unserer Gesellschaft<br />

ist unwiderlegbar. Im Moment wird die deutsche<br />

Gesellschaft jedoch nicht adäquat dargestellt.<br />

Der Verlust dieser Repräsentanz für Deutsche mit<br />

anderer Hautfarbe im TV, ist stark prägend für junge<br />

schwarze Menschen, die das Gefühl bekommen,<br />

dass Sie keinen Platz in dieser Gesellschaft haben.<br />

Die Repräsentanz von asiatisch- oder indisch-deutschen<br />

Menschen im deutschen TV oder Kino ist in<br />

meinen Augen sogar noch schlechter.<br />

Warum ist das so kompliziert? Zu Diversität<br />

gehört ohne Zweifel die „Genderfrage“, aber eben<br />

nicht nur. Der Begriff steht für viel mehr und<br />

mitunter auch für das Verständnis von Identität.<br />

In unserer Gesellschaft gibt es Deutsche mit unterschiedlichen<br />

Hautfarben (Ich benutze dieses<br />

furchtbare Wort Migrationshintergrund bewusst<br />

42


Film/Fernsehen<br />

Foto: Henning Rogge<br />

nicht). Das bedeutet vor allem, dass die Perspektive<br />

wie man Deutschland erlebt eine andere ist, aber<br />

sie dennoch eine deutsche bleibt.<br />

Wie Diversität andere Perspektiven auch in unsere<br />

Geschichten bringen kann, zeigte mir der französische<br />

Film „Zum Verwechseln Ähnlich“. In dem<br />

Film adoptiert ein kinderloses Ehepaar ein Kind<br />

und weiß nicht, wie die Familie und Freunde diese<br />

Neuigkeit aufnehmen werden. Soweit keine wirklich<br />

neue Idee. Allerdings wurde die Perspektive in diesem<br />

Film mit einem simplen Rollentausch komplett<br />

verändert. Das Ehepaar ist schwarz und das adoptierte<br />

Baby weiß. Diese kleine Veränderung ändert<br />

die gesamte Perspektive des Films und schafft vollkommen<br />

neue Situationen.<br />

Mein persönliches Erlebnis mit diesem Film werde<br />

ich nie vergessen. Kurz bevor der Film begann,<br />

schaute ich im Kino meinen weißen, älteren Sitznachbarn<br />

an und wir beschlossen beide in genau<br />

diesem Moment, dass es besser sei, wenn jeder stur<br />

nach vorne schaute und den anderen nicht weiter<br />

beachtete. Nach dem Film schaute ich mich um und<br />

sah überall lächelnde Menschen, und mein störrischer<br />

Sitznachbar verabschiedete sich von mir mit<br />

einem liebevollen Knuff auf die Schulter, den ich<br />

mit einem Lächeln erwiderte. Und ich dachte mir<br />

dabei, ja, das kann Kino schaffen. Man kommt<br />

als Fremder und geht als nicht mehr ganz<br />

so fremd.<br />

Mein Sitznachbar und ich teilten uns diese Geschichte<br />

und für einen Moment war man verbunden,<br />

unabhängig von Hautfarbe, politischen<br />

Ansichten oder sonst irgendwas. Das kann die Veränderung<br />

der Erzählperspektive schaffen. Sie hilft<br />

beim Abbau von Ängsten, Vorurteilen, erweitert<br />

persönliche Horizonte und gibt mir als Deutschem<br />

mit anderer Hautfarbe das Gefühl von Sichtbarkeit<br />

und Repräsentanz. Diversität ist die Chance für die<br />

Filmbranche, von der andere Länder schon längst in<br />

vollen Zügen Gebrauch machen.<br />

In Deutschland habe ich das Gefühl, Diversität ist<br />

eher noch eine Pflicht als die Brücke zur Kreativität,<br />

die sie auch für uns sein könnte. Denn Diversität<br />

meint nicht, dass man mal eine Rolle beispielsweise<br />

mit einem Schwarzen besetzt, um damit dann<br />

einen Punkt auf der Diversitätsliste für den Film<br />

abzuhaken, sondern es bedeutet eine vollkommen<br />

neue Herangehensweise. Auch wir könnten diverse<br />

Geschichten erzählen wie es das Ausland vormacht<br />

mit Filmen wie: “POSE”, “Where Hands Touch”,<br />

„Orange is The New Black“, „Takers“ oder „Wohne<br />

lieber Ungewöhnlich“. Diversität ist ein großer<br />

Topf voller Möglichkeiten, aus denen wir mit beiden<br />

Händen schöpfen sollten. Es bleiben deutsche<br />

Geschichten, auch wenn die Titelfigur schwarz,<br />

asiatisch-deutsch, transsexuell oder schwul ist, beziehungsweise<br />

eine Behinderung hat. Erzählt nicht<br />

als Opfer oder mit gehobenem Zeigefinger, sondern<br />

frei und beflügelt. Dann kann die Umsetzung von<br />

Diversität ganz leicht gelingen.<br />

Jerry Kwarteng, geb. 1976 in<br />

Hamburg, kam über das Jugendtheater<br />

zum Schauspiel. Er spielte u.a. in<br />

der Emmy prämierten Serie „Deutschland<br />

83“ unter der Regie von Samira<br />

Radsi. <strong>20</strong>17 gewann er den Preis beim<br />

Hollywood International Moving Pictures<br />

Film Festival. Neben dem Schauspiel<br />

gibt der studierte Jurist mit Staatsexamen<br />

Marketing-Seminare für<br />

Schauspieler. Für den Film „4 Wände“<br />

von Anjorka Strechel, ist er erstmals<br />

als Produzent mitverantwortlich.<br />

43


So viel Potential steckt<br />

in diesen Geschichten<br />

Welchen Stellenwert hat Diversität<br />

heutzutage in den Fernsehredaktionen?<br />

INTERVIEW MIT DEM LEITER DER ABTEILUNG<br />

FILM UND PLANUNG BEIM SWR, MANFRED HATTENDORF<br />

Das Label Noir, bestehend aus den afro-deutschen<br />

Schauspielerinnen Dela<br />

Dabulamanzi und Lara-Sophie Milagro,<br />

hat Manfred Hattendorf, Leiter<br />

der Abteilung Film und Planung<br />

im SWR und damit zuständig für Fernsehfilme,<br />

Tatorte, Debüts und Kinokoproduktionen, auch zu<br />

Nischen-Sendeplätzen, Diversen-Besetzungen in der<br />

deutschen Fernsehlandschaft im Gespräch befragt.<br />

Label Noir: Warum machen Sie diesen Beruf,<br />

und auf welche Herausforderungen stoßen Sie als<br />

Redakteur?<br />

Manfred Hattendorf: Das Erzählen von Geschichten<br />

ist meine Leidenschaft seit dem Studium.<br />

Im Übrigen liebe ich gute Dokumentarfilme<br />

ebenso sehr wie Fernsehfilme und Spielfilme. Mit<br />

Dokumentarfilmen habe ich aber seit längerem<br />

nur noch im Ehrenamt zu tun – ich engagiere<br />

mich für das Haus des Dokumentarfilms in Stuttgart.<br />

Eine der größten Herausforderungen als Leiter<br />

einer Fernsehfilmredaktion ist es sicher, den<br />

richtigen Riecher bei der Stoffauswahl zu haben,<br />

die passenden Menschen im kreativen Prozess zusammenzubringen<br />

und das Stehvermögen zu haben,<br />

gemeinsam um den besten Film zu ringen.<br />

Das schließt auch den Kampf um die finanziellen<br />

Mittel ein. Die Neugier auf Neues ist dabei ein großer<br />

Antrieb. Wir erzählen für Menschen, wollen<br />

unterhalten, zum Nachdenken bringen, herausfordern,<br />

dazu anregen, sich auch mit unbequemen<br />

Themen in unseren Filmen auseinanderzusetzen.<br />

Das ist eine riesige Herausforderung und ein großes<br />

Privileg zugleich.<br />

L. N.: Was verstehen Sie unter dem Thema Diversität?<br />

M. H.: Mit dem Thema Diversität beschäftigen wir<br />

uns in den Fernsehfilmredaktionen des SWR intensiv.<br />

So habe ich in den letzten Jahren eine Reihe von<br />

Workshops organisiert, bei denen wir gemeinsam<br />

mit externen Referent*innen unseren Blick auf das<br />

geschärft haben, was in einem Modewort als Diversität<br />

bezeichnet wird. Dabei geht es für mich um das<br />

Reflektieren der eigenen Position und Haltung in Bezug<br />

auf die vielen Arten von ‚Anders-Sein‘. In den Geschichten,<br />

die wir für das Fernsehen und Kino anstoßen,<br />

redaktionell entwickeln und (ko-)produzieren,<br />

geht es sehr häufig um Erfahrungen von Fremdheit,<br />

um Minderheiten und ungewohnte Milieus. Dabei ist<br />

es wichtig, sich zu vergewissern, aus welcher Position<br />

heraus man diese Geschichten erzählt. Unsere Position<br />

ist dabei häufig eine privilegierte.<br />

‚Divers‘ sind für meine Kolleg*innen und mich<br />

dabei ganz unterschiedliche Erfahrungsbereiche<br />

von Vielfalt, Hautfarbe, Geschlecht, sexueller Orientierung,<br />

Religion, Herkunft, Handicap, Gewicht,<br />

Bildung, Job – es gibt Tausende von Arten anders<br />

zu sein. Dabei geht es uns bei allem fiktionalen Storytelling<br />

immer um eine humane Haltung der Toleranz,<br />

die wir mit unseren Filmen möglichst ohne<br />

didaktischen Zeigefinger vermitteln wollen.<br />

Im Umgang mit Diversität gibt es jede Menge<br />

Fettnäpfchen. Mit Recherche und der nötigen<br />

Sensibilisierung für die eigenen blinden<br />

Flecken bemühen wir uns als Fachredaktion,<br />

nicht blind in Fettnäpfchen zu treten,<br />

sondern Klischees und Stereotype bewusst zu verwenden,<br />

wenn es die Geschichte und das Genre<br />

verlangen und Stereotype auch bewusst spielerisch<br />

44


Film/Fernsehen<br />

aufzubrechen. Dabei hilft es, Stoffe mit klug gewählten<br />

Experten zu entwickeln, die über Fachkenntnisse<br />

oder über eigene Erfahrungen mit dem<br />

erzählten Sujet verfügen, also von innen heraus erzählen,<br />

inszenieren oder spielen können.<br />

L. N.: Wie bilden die öffentlich-rechtlichen Sender<br />

die deutsche diverse Gesellschaft ab, in welcher Vielfalt,<br />

zu welcher Sendezeit und warum?<br />

M. H.: Die Frage insinuiert ja, dass es leichter sei,<br />

auf Nischenplätzen am späteren Abend Diversität<br />

adäquat in Filmen abzubilden. Nun engagiert sich<br />

der SWR seit Langem und ausdrücklich im Bereich<br />

der Debütfilme. Und dort arbeiten unsere Redakteur*innen<br />

mit einem sehr hohen Anspruch an<br />

Qualität und an Diversität der Filme, die oft über<br />

mehrere Jahre mit Herzblut entwickelt und produziert<br />

werden. Ich möchte die Frage aber anders<br />

beantworten: Als Redaktion bemühen wir uns darum,<br />

spannende und emotionale Geschichten über<br />

einzelne Aspekte und Milieus der Gesellschaft auf<br />

allen fiktionalen Sendeplätzen der ARD, gerade<br />

auch in der Primetime, zu erzählen. Hier ist sicher<br />

noch viel Luft nach oben.<br />

Aber nehmen wir als Beispiel einen Film, den der<br />

SWR gemeinsam mit der ARD Degeto für den Freitagabend<br />

im Ersten realisiert hat: „Billy Kuckuck –<br />

Eine gute Mutter“, der am 15.11.<strong><strong>20</strong>19</strong> um <strong>20</strong>.15 Uhr<br />

lief. In dieser Episode der unterhaltsamen Reihe mit<br />

Aglaia Szyszkowitz spielt Nina Gummich eine Mutter<br />

mit einem IQ von 75. Durchaus eine besondere Form<br />

von Diversität. Kann solch eine Frau eine gute Mutter<br />

sein, oder muss das Jugendamt ihr das Sorgerecht für<br />

ihren Sohn entziehen? Diese Frage wird in dem von<br />

Thomas Freundner inszenierten Film behandelt.<br />

Oder nehmen wir die Krimireihe „Über die Grenze“,<br />

die ebenfalls der SWR gemeinsam mit der ARD<br />

Degeto für den Donnerstagabend entwickelt hat<br />

(zwei neue Folgen werden <strong>20</strong><strong>20</strong> ausgestrahlt). Anke<br />

Retzlaff, Carlo Ljubek, Philippe Caroit, Noémie Kocher,<br />

Bernhard Piesk und Joanne Trudeau spielen die<br />

sehr diverse, deutsch-französische Polizeieinheit GZ<br />

auf beiden Seiten des Rheins in Kehl und Straßburg.<br />

In der Rubrik FilmMittwoch im Ersten hat der<br />

SWR im Mai <strong><strong>20</strong>19</strong> die zusammen mit ARTE und<br />

der ARD Degeto produzierte Miniserie „Eden“ ausgestrahlt.<br />

In dem Drama Europa im Zeichen von<br />

Migration prallen Lebenswege von Angehörigen der<br />

Mehrheitsgesellschaft in Griechenland, Deutschland<br />

und Frankreich auf Migrantenschicksale aus<br />

Äthiopien und Syrien. Dabei zeigt der von einem<br />

syrischen Flüchtling in Mannheim gespielten Erzählstrang<br />

den Spagat eines bereits in Deutschland<br />

Angekommenen, der dennoch nicht dazu gehört –<br />

ein Zustand des Dazwischen, in dem sich auch viele<br />

Deutsche mit Migrationshintergrund befinden, die<br />

schon deutlich länger hier sozialisiert sind.<br />

L. N.:Was macht einen Charakter für Sie im Deutschen<br />

Film und Fernsehen deutsch?<br />

M. H.: Ich denke da an die Werbung des DFB – so<br />

bunt, so vielfältig ist Deutschland! So viel Potential<br />

steckt in diesen Gesichtern! Wir sollten uns viel<br />

mehr trauen so selbstbewusst auch in der Fiktion<br />

unsere Protagonisten zu besetzen, und die Rolle des<br />

Antagonisten nicht den vermeintlich ‚fremd‘ Aussehenden<br />

zuzuschreiben. Aber auch den positiven<br />

Rassismus sollten wir uns verkneifen. Wie in der<br />

Genderdebatte gilt: Die ‚Mannschaft‘ auch in deutschen<br />

Fernsehfilmen etwas breiter aufzustellen!<br />

L. N.: Wer darf bzw. kann die deutsche Geschichte repräsentieren<br />

und mit welchen äußerlichen Features<br />

bringen Sie diese Berechtigung in Verbindung?<br />

M. H.: Wenn die Frage auf historische Filme gemünzt<br />

sein sollte: Hier würde ich immer sehr konkret vorgehen.<br />

Der SWR hat bereits viele historische Filme<br />

gemacht. In Filmen über Aenne Burda, Fritz Bauer,<br />

Clara Immerwahr oder über Georg Elser haben die<br />

mit uns zusammenarbeitenden Produktionsfirmen<br />

und Regisseur*innen, die Darsteller*innen realistisch<br />

nach dem Prinzip der Ähnlichkeit besetzt.<br />

Spannend finde ich die Frage, welche Geschichten<br />

wir aus der deutschen Geschichte<br />

künftig in das kollektive Bewusstsein heben<br />

wollen. Da fällt mir z.B. der schwarze, amerikanische<br />

GI ein, der in den Fünfziger Jahren in der Pfalz<br />

stationiert ist. In einem der nächsten historischen<br />

Filme des SWR werden schwarze GIs eine wichtige<br />

Rolle spielen.<br />

L. N.: Würden Sie auch eine oder einen Afro-Deutschen,<br />

Türkisch-Deutschen, Asiatisch-Deutschen<br />

etc. in einer Hauptrolle im Zweiten Weltkrieg-,<br />

DDR-Film, Beziehungsdrama besetzen?<br />

M. H.: Alle genannten Beispiele würden wir in der<br />

Redaktion sehr genau und differenziert zusammen<br />

mit Autor*innen, Fachberater*innen und der<br />

Regie angehen, recherchieren und mit guten Castingbüros<br />

besetzen.<br />

45


Film/Fernsehen<br />

L. N.: Die Enttäuschung und der emotionale Schmerz<br />

von uns People of Color-Schauspieler*innen ist sehr<br />

groß, wenn man nach einem sehr erfolgreichen Casting<br />

gesagt bekommt, dass man nicht „blond“ genug<br />

für die Rolle ist. (Es geht hier nicht um eine Typfrage).<br />

Verstehen Sie solche Begründungen, würden Sie<br />

diese ebenfalls aussprechen? Mit welchen Worten<br />

würden Sie diese Schauspieler*innen trösten?<br />

M. H.: Ich würde hier aus redaktioneller Sicht weit<br />

vor dem Castingprozess beginnen. Lang bevor sich<br />

z.B. die Frage nach einer „blonden“ Hauptdarstellerin<br />

stellt, haben wir doch gemeinsam im Kreativteam mit<br />

Produktion und Autor*innen zu entscheiden, welche<br />

Geschichten wir erzählen wollen, welche Menschen<br />

wir aus welchen Milieus in welchem Genre in den<br />

Mittelpunkt einer Erzählung stellen wollen. Hier gibt<br />

es aus meiner Sicht im Ringen um mehr Diversität<br />

viel Handlungsbedarf, der „mit-weinende“ Perspektivwechsel<br />

beginnt in unseren Köpfen.<br />

In der Debüt-Redaktion des SWR entwickelt Stefanie<br />

Groß bereits seit <strong>20</strong>16 mit der Afro-Deutschen<br />

Autorin Nancy Mac Granaky Quaye die Komödie<br />

„Homeshoppers‘ Paradise“, die <strong>20</strong><strong>20</strong> von der Firma<br />

Ziegler Film mit Unterstützung der MFG Baden-Württemberg<br />

realisiert wird. Zusammen mit<br />

dem Afro-Deutschen Koautor Toks Körner stellt<br />

Quaye eine junge deutsche Frau in den Mittelpunkt,<br />

die gar nicht „blond“, sondern People of Color ist.<br />

Lisa lebt in einem Bauwagen und nimmt zum Überleben<br />

hinter dem Rücken ihrer Peer Group einen Job<br />

als Verkäuferin in einem Homeshopping-Sender an.<br />

Hier werden wir selbstverständlich eine People of<br />

Color-Schauspielerin casten. Doch am Anfang steht<br />

bei diesem, wie bei jedem anderen Film, die Frage,<br />

ob wir uns für Geschichten und Schicksale abseits<br />

des Mainstreams interessieren, was nach unserem<br />

Verständnis zum Kernauftrag öffentlich-rechtlichen<br />

Fernsehens gehört, ebenso wie die Frage, ob man genau<br />

solche Geschichten für den Mainstream erzählen<br />

kann. Denn nur so kommen Minderheiten aus ihrer<br />

Nische heraus.<br />

L. N.: Wie würde die Besetzungspolitik aussehen,<br />

wenn Sie sich nicht an den Messwerten der heutigen<br />

erhobenen Standards der Quote orientieren müsste?<br />

M. H.: Ich glaube nicht an ein Diktat der Quote.<br />

Wir müssen uns alle miteinander mehr anstrengen,<br />

um diverse, moderne und auch visionäre<br />

Filme zu schreiben, zu produzieren und<br />

zu inszenieren. Hier haben wir die Aufgabe,<br />

besser zu recherchieren, mutiger zu schreiben,<br />

frecher zu inszenieren. Ganz beiläufig<br />

kann man durch beherztes Casten auch bei<br />

Nebenrollen und Komparsen die Realität in<br />

Deutschland diverser abbilden. In einem der<br />

nächsten Stuttgarter Tatorte spielt eine deutsche<br />

Schauspielerin mit afroamerikanischen Wurzeln<br />

eine Spurensicherin, die Schwäbisch spricht.<br />

L. N.: Welche wirtschaftlichen, gesellschaftlichen<br />

und politischen Vor- und Nachteile sehen Sie, die<br />

das diverse Erzählen mit sich bringen?<br />

M. H.: Alles spricht für mehr Diversität im deutschen<br />

Film. Die wirtschaftlichen Risiken sind dieselben<br />

wie bei allen Filmen: Die Story muss gut, der Film<br />

originell und qualitativ hochwertig gemacht sein,<br />

um sein Publikum zu finden – ob in der Primetime,<br />

im Kino oder in der Mediathek!<br />

L. N.: Vielen Dank für das interessante Gespräch.<br />

Label Noir wurde <strong>20</strong>09 als ein<br />

afro-deutsches Künstlerkollektiv<br />

in Berlin gegründet. Künstlerische<br />

Leiterinnen sind die Schauspielerinnen<br />

Dela Dabulamanzi und<br />

Lara-Sophie Milagro. Label Noir<br />

sieht eine seiner Hauptaufgaben darin,<br />

einen künstlerischen Raum zu schaffen,<br />

in dem die Hautfarbe und Herkunft<br />

von People of Color-Schauspieler*innen,<br />

nicht darauf beschränkt wird,<br />

Fremdheit und Exotik zu generieren.<br />

Wir glauben daran, dass ein Perspektivwechsel<br />

auf der Bühne und im<br />

Film einen Perspektivwechsel im<br />

wahren Leben bewirken kann.<br />

Manfred Hattendorf, Dr. volontierte<br />

1994 beim damaligen Südwestfunk<br />

(SWF) in Baden-Baden und arbeitete<br />

zunächst als Autor und Redakteur in<br />

der Hauptabteilung Kultur. Ab dem Jahr<br />

<strong>20</strong>00 war er viereinhalb Jahre Programmreferent<br />

in der Fernsehdirektion<br />

des SWR. <strong>20</strong>05 übernahm er die Leitung<br />

der Abteilung Film und Planung.<br />

Er ist unter anderem verantwortlich<br />

für die SWR-Tatorte, Fernsehfilme des<br />

SWR, Kino-Koproduktionen und die<br />

Nachwuchsreihe „Debüt im Dritten“.<br />

FotoS: Malina Ebert, Greg Veit, Monika Maier<br />

46


Tschüß lineares Fernsehen<br />

Das klassische, lineare Fernsehen büßt immer mehr<br />

an Anziehung und Relevanz in Deutschland ein.<br />

VON SCHAUSPIEGEL-REDAKTEURIN JULIA RAHMANN<br />

Foto: Carlo Sperfeld<br />

Die Studie „Quo Vadis, deutsche Medien?<br />

Zur Zukunft deutscher Fernsehanbieter in<br />

digitalen Streaming-Zeiten“ von der Unternehmensberatung<br />

Roland Berger und<br />

der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster<br />

zeigt, dass immer mehr Fernsehzuschauer ihre Zeit<br />

mit Netflix und anderen Online-Streaming-Diensten<br />

verbringen als mit jedem TV-Sender. Nur noch<br />

etwa die Hälfte der Sehzeit (54 Prozent) verbringt<br />

das deutsche Publikum demnach mit linearem<br />

Fernsehen.<br />

Die drei großen linearen deutschen Fernsehanbieter<br />

konkurrieren bei der Gesamtsehzeit mit den<br />

beiden großen Streamingplattformen: Netflix<br />

führt mit 10,3 Prozent des Zeitkontingents<br />

für audiovisuelle Medien des deutschen Publikums,<br />

danach folgt RTL mit 10,0 Prozent, ZDF<br />

mit 9,8 Prozent und ARD mit 8,8 Prozent, dann<br />

Amazon mit 8,7 Prozent. Diese Zahlen zeigen eine<br />

Entwicklung, die nach der Berechnung der Autoren<br />

der Studie noch weiter voranschreiten wird, wodurch<br />

den TV-Sendern Zuschauerabwanderung und<br />

Verluste bei den linearen Werbeeinnahmen in Milliardenhöhe<br />

drohen. Die Autoren erwarten, dass den<br />

Sendern rund ein Drittel der Zuschauerzeit und damit<br />

verbunden zwischen 4,5 und 8,8 Milliarden Euro<br />

in den kommenden zehn Jahren verloren gehen.<br />

Nach der Veröffentlichung der Studie hagelte es<br />

sogleich Widerspruch. Die ARD warf den Urhebern<br />

vor, dass die methodischen Standards zur Erhebung<br />

von Reichweiten und zeitlichen Verfügbarkeiten<br />

nicht transparent offengelegt wurden und zweifelte<br />

aufgrund der sehr kurzen Untersuchungszeit von<br />

nur zwei Wochen für ca. 1600 Zuschauer die Repräsentativität<br />

der Studie an. Sie verwies auf die zeitnah<br />

veröffentlichte ARD/ZDF-Studie, die die Trends der<br />

Massenkommunikation <strong><strong>20</strong>19</strong> untersucht. Ergebnis<br />

dieser Studie ist, dass zwar 76 Prozent der Gesamtbevölkerung<br />

lineares Fernsehen nutzt, zeigt jedoch<br />

zugleich – weniger drastisch, aber auch sehr deutlich<br />

– dass unter 30-Jährige immer mehr zu Streamingdiensten<br />

abwandern.<br />

Zu den beiden etablierten Plattformbetreibern<br />

Netflix und Amazon gesellten sich in diesem November<br />

noch Apple TV+ und Disney+ (zunächst<br />

nur in den USA verfügbar) hinzu. Insbesondere im<br />

Hinblick auf die Kundenbindung haben die amerikanischen<br />

Anbieter einen immensen Vorteil: Im<br />

Gegensatz zum Linearfernsehen haben die amerikanischen<br />

Konzerne exakte Kundeninformationen,<br />

denn dank einer genauen Datenanalyse wissen die<br />

Streaminganbieter, was die Zuschauer gern sehen<br />

und können Filmempfehlungen anbieten und das<br />

weltweit. Schon längst haben die Streamingdienste<br />

einen Weg gefunden, der ihnen exakte Zahlen für<br />

die Zuschauervermessung generiert, während in<br />

Deutschland fürs lineare Fernsehen noch immer<br />

nach einer aussagekräftigen Form der Datenerhebung<br />

gesucht wird. Bleibt zu hoffen, dass die Vertreter<br />

des deutschen Fernsehens diese alarmierenden<br />

Signale ernst nehmen und für die Zielgruppen relevante<br />

Inhalte und Formate mit Fokus auf Attraktivität,<br />

Qualität und Exklusivität entwickeln.<br />

Julia Rahmann wurde 1989<br />

in Düsseldorf geboren. Nach<br />

einigen Auslandsaufenthalten<br />

in Italien landete sie schließlich<br />

in Berlin, wo sie sich ihrem<br />

literaturwissenschaftlichen<br />

Studium widmete. Seit diesem<br />

Jahr ist sie Teil der Redaktion<br />

des <strong>Schauspiegel</strong>s. Neben ihrer<br />

redaktionellen Arbeit für den<br />

BFFS unterrichtet sie mit viel<br />

Leidenschaft Yoga.<br />

47


Auf den Hund<br />

gekommen<br />

Die Anlaufstelle des BFFS<br />

zur Meldung von illegitimen<br />

Gagen und Verletzungen<br />

des Tarifvertrages ist ein<br />

voller Erfolg.<br />

VON SCHAUSPIEGEL-REDAKTEURIN<br />

JULIA RAHMANN<br />

T<br />

rotz erfolgreicher Aushandlung von Tarifverträgen<br />

werden immer wieder viel zu<br />

niedrige Gagen angeboten oder bezahlt, die<br />

maximal erlaubten Arbeitszeiten überschritten,<br />

falsch oder gar nicht versichert. Um diesen und<br />

anderen Missständen entgegenzuwirken, ist vor neun<br />

Jahren die Idee entstanden, eine Anlaufadresse zu<br />

schaffen, an die sich Schauspieler*innen und andere<br />

betroffene Personen aus der Branche wenden können,<br />

die ungerechte und rechtswidrige Arbeitsbedingungen<br />

erfahren haben, die eben „Auf den Hund<br />

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Franz Meiller, before breakfast, Tokio <strong><strong>20</strong>19</strong><br />

Stiftung sucht starke Unterstützer (m/w/d)<br />

Helfen Sie uns Kunst zu fördern und Künstler (m/w/d) zu unterstützen!<br />

FRANZ MEILLER<br />

48<br />

STIFTUNG http://franzmeillerstiftung.de<br />

Foto:


Film/Fernsehen<br />

Wer im Berufsleben illegitime bzw. illegale Behandlung<br />

erfährt und will, dass sein Fall behandelt will, sollte sich<br />

an die Rechtsabteilung des BFFS wenden, sprich die für<br />

Mitglieder kostenlose Erstberatung in Anspruch nehmen.<br />

gekommen sind“. Alle Anliegen können seitdem an<br />

aufdenhundgekommen@bffs.de geschickt werden.<br />

Seit ihrer Gründung wird die Anlaufstelle viel in<br />

Anspruch genommen, wie die Auswertung der bisher<br />

eingegangenen E-Mails belegt. Bei der Betrachtung<br />

der bisher eingetroffenen E-Mails zeigt sich,<br />

dass vor allem die vorgeschriebene Gagenregelung,<br />

sowohl in der Film- als auch in der Werbebranche,<br />

immer wieder verletzt wird. Auf unserer letzten<br />

Mitgliederversammlung in Leipzig wurde in der<br />

Diskussion der Mitglieder deutlich, wie groß der<br />

Leidensdruck, das Bedürfnis nach verbindlichen<br />

Gagen- und Buyout-Regelungen in der Werbebranche<br />

ist. Um in Verhandlungen gehen zu können,<br />

sind zuvor einige Voraussetzungen zu klären:<br />

Gesetzt den Fall, dass Schauspieler*innen in der<br />

Werbung, wie der Abgrenzungskatalog der Sozialversicherungsträger<br />

es nahelegt, als Unselbständige<br />

gelten, würde ein Tarifvertrag die größtmögliche<br />

Verbindlichkeit schaffen. Vorausgesetzt sie würden<br />

dort jedoch als Selbständige angesehen werden,<br />

müssten andere Wege beschritten werden, um für<br />

faire Gagen und Buyouts zu sorgen. Der Vorstand<br />

sieht seine Aufgabe nun darin, diese offenen Fragen<br />

zu klären, um anschließend in Verhandlungen für<br />

angemessene Vergütungen und faire Standards für<br />

die Werbebranche eintreten zu können.<br />

Für den BFFS ist „Auf den Hund gekommen“ von<br />

besonderer Wichtigkeit, wie die Auswertung offenbart<br />

hat. Es ist ein bedeutendes Hilfsmittel, um immer<br />

wieder den Überblick zu bekommen, was in der<br />

Film-, Fernseh- und Theaterbranche vor sich geht:<br />

Werden Tarifbestimmungen, Gesetze oder Arbeitsverträge<br />

verletzt? Werden Dumpinggagen gezahlt<br />

oder angeboten? Wird schikaniert oder gedemütigt?<br />

Wird falsch oder gar nicht sozialversichert?<br />

Werden widerrechtlich Beiträge zur Pensionskasse<br />

Rundfunk einbehalten anstatt sie abzuführen? Werden<br />

die maximal erlaubten Arbeitszeiten überzogen?<br />

Werden Nachtruhezeiten verletzt? Und so weiter<br />

und so fort… Diese Informationen ermöglichen eine<br />

Wer aber illegitime bzw. illegale Dinge erlebt oder davon<br />

erfährt und dem Verband helfen möchte, über solche<br />

bedenkliche Entwicklungen in unserer Branche auf dem<br />

Laufenden zu bleiben, der wendet sich am besten an:<br />

aufdenhundgekommen@bffs.de.<br />

Die Informationen werden gesammelt, anonymisiert und<br />

mit anwaltlicher Unterstützung ausgewertet. Sie sind<br />

eine wichtige Grundlage bei unserem Engagement –<br />

sei es nun bei Tarifverhandlungen, beim Austausch mit<br />

Politikern, Sender- oder Theaterverantwortlichen, bei<br />

strategischen Planungen mit Partnergewerkschaften<br />

und -verbänden.<br />

Die Hinweisgeber müssen also keine Angst haben, dass<br />

wir ihre Fälle konkret beim Arbeitgeber thematisieren<br />

und sie damit in Gefahr bringen. Um eine optimale Diskretion<br />

zu wahren, nehmen wir mit den Hinweisgebern<br />

nur dann Kontakt auf, wenn wir wichtige Nachfragen<br />

zum Verständnis des Zusammenhangs haben.<br />

entscheidende Grundlage für Verhandlungen mit<br />

den entsprechenden Tarif- oder Interessensgegnern.<br />

Daher unser Appell an Sie, bitte nutzen Sie diese<br />

Anlaufadresse weiterhin, damit wir wissen, in welchen<br />

Bereichen und mit wem wir Verhandlungen<br />

aufnehmen sollen, damit wir weiterhin gemeinsam<br />

für faire Arbeitsbedingungen in der Film-, Fernseh-,<br />

Bühnen- und Synchronbranche eintreten und diese<br />

bewirken können.<br />

Jetzt an aufdenhundgekommen@bffs.de schreiben:<br />

Über die Autorin Julia Rahmann<br />

... lesen Sie auf Seite 47.<br />

49


Film/Fernsehen<br />

Diversität als Normalität ist zurzeit die neue<br />

Devise der deutschen Medienbranche. Gemeint<br />

ist damit nichts anderes, als dass die<br />

Realität, so wie wir sie tagtäglich auf den<br />

Straßen unseres Landes erleben, auch so auf den Bildschirmen<br />

wiedergegeben wird. Warum das bis jetzt<br />

nicht schon selbstverständlich ist, hat eine lange Geschichte,<br />

die nun eine jähe Wendung erfährt.<br />

Die Sichtweise, wie wir in der deutschen Medienbranche<br />

die Welt sehen, ist ganz klar von einem eurozentrischen<br />

Blickwinkel geprägt. Ein Blickwinkel<br />

aus dem Kolumbus Amerika „entdeckt“ hat – als ob<br />

dort vorher keine anderen Menschen gelebt hätten –<br />

ein Blickwinkel aus dem alles Gute auf der Welt<br />

seine Wiege in Europa hat und ein Blickwinkel aus<br />

dem schlichtweg der weiße Mann das Subjekt ist,<br />

das alle anderen Menschen und Dinge auf der Welt<br />

zum Objekt macht.<br />

Im Zeitalter, in der die Digitalisierung jedoch die<br />

Sicht auf die Welt, in der wir leben, genauso verändert<br />

wie vor langer Zeit die Maschine das Pferd ersetzte,<br />

wandelt sich nun auch die Art und Weise wie<br />

kommuniziert wird. Das Prinzip der Pyramide,<br />

in der ein Mächtiger an der Spitze steht und<br />

alle das glauben müssen, was er sagt, ist<br />

vorbei und die neue Art der Kommunikation<br />

im Netzwerk bedeutet eine Demokratisierung<br />

von Geschichten. Bisher Stimmlose bekommen<br />

eine Stimme verliehen, dürfen mitbestimmen was,<br />

wie und über wen erzählt wird und erlangen somit<br />

Schritt für Schritt ein bisschen mehr Deutungshoheit.<br />

Eine Tatsache, die bei vielen Herren, die zuvor<br />

die alleinige Deutungshoheit besaßen, zu sichtbar<br />

schlechter Stimmung führt.<br />

Phänomene wie #metoo und #blacklivesmatter,<br />

#oscarssowhite oder auch #fridaysforfuture bringen<br />

die alte Weltordnung ins Wanken und viele alte<br />

weiße Männer auf die Palme. Es wird zunehmend<br />

deutlich, dass sich für die Menschen, die lange Zeit<br />

privilegiert waren, Gleichberechtigung wie Ungerechtigkeit<br />

anfühlt und es ist aus psychologischer<br />

Sicht leicht verständlich, dass diese privilegierte Position<br />

nicht kampflos aufgegeben werden will.<br />

Die Gleichberechtigung von Frauen, Menschen<br />

mit Behinderung, Schwulen, Lesben, Bi-Sexuellen,<br />

Trans-Sexuellen, nicht Bio-deutschen Deutschen,<br />

Menschen mit Migrationshinter- und Vordergrund,<br />

Menschen mit nicht christlichem oder gar keinem<br />

religiösen Glauben, alte Menschen, Menschen mit<br />

einem schwachen sozioökonomischen Hintergrund<br />

und nicht zuletzt Menschen, die sich von der Gesellschaft<br />

abgehängt fühlen, lässt sich aber in einer Zeit,<br />

in der jeder eine Stimme hat und diese auch hörbar<br />

machen kann, nicht mehr aufhalten.<br />

Der Wandel unserer Gesellschaft, der sich schon<br />

längst vollzogen hat, wird nun – durch die Demokratisierung<br />

der Deutungshoheit – schlicht und ergreifend<br />

sichtbar und damit auch spürbar. Diversität<br />

bedeutet somit nichts anderes als eine wirkliche Demokratisierung<br />

unserer Gesellschaft.<br />

Führt man sich die tatsächlichen Zahlen unserer<br />

heutigen Gesellschaft vor Augen, wird schnell klar,<br />

dass unter den neuen Bedingungen des technologischen<br />

Wandels jeder Versuch, die alte Erzählweise<br />

aufrechtzuerhalten, zwecklos ist.<br />

Es gibt mehr Frauen als Männer in Deutschland<br />

und jeder vierte Mensch in unserem Land hat mittlerweile<br />

einen Migrationshintergrund. Bei Menschen<br />

unter 30 ist es sogar jeder dritte!<br />

Wie wahrscheinlich ist es, dass Programme, in denen<br />

Frauen seltener als Männer vorkommen, nichts<br />

Relevantes zu sagen haben oder sogar in ihren Rollen<br />

degradiert werden? Und wie wahrscheinlich ist<br />

es, dass diese Programme in Zukunft noch erfolg-<br />

50


Widerstand ist zwecklos<br />

Der große Umbruch steht zweifelsohne unserer Gesellschaft bevor,<br />

auch die Film-, Theater- und Synchron-Branche steht unmittelbar vor<br />

einer bunten nahen Zukunft.<br />

VON SCHAUSPIELER UND PRODUZENT TYRON RICKETTS<br />

reich sein werden? Wer soll sich in einem Zeitalter,<br />

in dem sich die neuen, mündigen Zuschauer aus<br />

einem bunten Angebot an Streamingdiensten und<br />

Internetportalen ihr eigenes Programm zusammenstellen<br />

können, Programme ansehen, in denen Menschen<br />

mit Migrationshintergrund immer noch als<br />

„die anderen“ dargestellt werden, obwohl sie in der<br />

wahren Welt schon lange Teil des Ganzen sind? Ist<br />

es nicht an der Zeit, dass alle Menschen, die zu den<br />

bereits erwähnten marginalisierten Gruppen gehören,<br />

aber doch in Wahrheit unsere Gesamtheit ausmachen,<br />

eben auch in unseren Geschichten als ganz<br />

normaler Teil dieser Gesamtheit gezeigt werden?<br />

Ohne, dass jene erhöht oder erniedrigt, ausgesondert<br />

oder zum Stein des Anstoßes gemacht werden.<br />

Muss nicht zuletzt auch der sogenannte Wutbürger,<br />

der sich teilweise zurecht von einer Gesellschaft,<br />

in der er keine Stimme hatte, abgehängt fühlt, ernst<br />

genommen und gehört werden, anstatt belächelt und<br />

ignoriert zu werden? Und müssen nicht alle diese<br />

Geschichten in unsere Erzählungen aufgenommen<br />

werden, damit wir den Wandel, der in der Art und<br />

Weise wie wir die Welt, in der wir leben, darstellen<br />

ohne größere Reibungsverluste überstehen?<br />

Schaut man letztendlich über den deutschen<br />

Tellerrand hinaus, so sehen die Zahlen noch ganz<br />

anders aus. Bestünde die Welt aus 100 Menschen,<br />

wären davon 60 Asiaten, 16 Afrikaner, zehn Europäer,<br />

neun Latein- und Mittelamerikaner (Warum<br />

heißt es eigentlich Latein?) und fünf Nordamerikaner.<br />

Unterm Strich sind also nur ca. 30 Prozent<br />

aller Menschen auf der Welt Weiß und 70 Prozent<br />

sind People of Color. Möchte man also im Rahmen<br />

der Digitalisierung Geschichten erzählen, die auf<br />

der ganzen Welt Menschen ansprechen – weil sie<br />

sich in diesen repräsentiert und gesehen fühlen – so<br />

macht es nur Sinn, diese neuen Geschichten unter<br />

Einbeziehung der tatsächlichen Zahlenverhältnisse<br />

zu erzählen und die alte Mär vom weißen Retter zusammen<br />

mit den verstaubten Filmrollen und ewig<br />

weißen Erzählmustern, die seit der Erfindung des<br />

Fernsehens über unsere Bildschirme flimmerten,<br />

ins Archiv zu verbannen.<br />

Netflix, Amazon und Co. haben den Wandel bereits<br />

verstanden. Die ganze Welt ist offen für die<br />

neuen Geschichten geworden, die erzählt werden.<br />

Sowohl bei meinen Besuchen in den Redaktionen<br />

von öffentlich-rechtlichen als auch privaten Sendern<br />

in Deutschland stelle ich fest, dass der Wunsch nach<br />

einem Wandel in der Art der Erzählungen da ist.<br />

Oft fehlt es dort leider an Menschen, die selber Diversitätserfahrung<br />

haben, die es bräuchte, um diese<br />

neuen Geschichten zu erzählen. Macht Platz an<br />

den Tischen, an denen die neuen deutschen<br />

Geschichten erzählt werden, für alle, die<br />

Deutschland auch wirklich ausmachen. Nur<br />

so kann aus dem Wunsch „Diversität als Normalität“<br />

– „Diversität ist Normalität“ werden.<br />

Tyron Ricketts ist Schauspieler und<br />

Produzent. Seine Firma Panthertainment<br />

produziert Inhalte für Film und Fernsehen<br />

mit dem Fokus auf Geschichten von People<br />

of Color für den globalen Markt. Es ist das<br />

Ziel von Panthertainment alternative Erzählweisen<br />

zu dem vorherrschend eurozentrischen<br />

Narrativ der Medienwelt zu schaffen.<br />

In enger Zusammenarbeit mit der UFA<br />

entwickelt Panthertainment Stoffe für den<br />

TV-, Kino- sowie Streamingmarkt. Tyron<br />

Ricketts ist zum Thema Diversität in<br />

beratender Position bei Sendeanstalten<br />

sowie im Bundeskanzleramt im Rahmen<br />

des Aktionsplans Integration tätig.<br />

51


Mensch = männlich,<br />

weiblich oder divers<br />

Über sprachliche Konstruktionen, die<br />

Möglichkeiten schaffen, aber auch ausgrenzen.<br />

Interview mit Schauspieler*IN, Regisseur*in und Performer*in Miriam Heinrich Horwitz<br />

Seit Januar <strong><strong>20</strong>19</strong> gibt es im Geburtenregister<br />

ein drittes Geschlecht im Personenstandsrecht.<br />

Männlich, weiblich, divers –<br />

so lautet die neue Geschlechterordnung<br />

in Deutschland. Divers oder Intersexuell ist die<br />

Bezeichnung für Menschen, die sich weder immer<br />

eindeutig als Mann noch immer eindeutig als Frau<br />

empfinden. Ein längst überfälliges Novum in unserer<br />

auf dem binären Mann-Frau-System normierten<br />

Gesellschaft. Die Süddeutsche Zeitung schrieb im<br />

Januar <strong><strong>20</strong>19</strong>, dass in Deutschland rund 160.000 intersexuelle<br />

Menschen leben.<br />

Eine angebrachte Anrede hat sich im Deutschen<br />

noch nicht etabliert und wird in Genderkreisen und<br />

den Medien diskutiert. Es gibt zwar das Gender*-<br />

sternchen oder den Gender_Gap, die zumindest<br />

schon geläufig sind im Schriftbild. Im Englischen<br />

scheint das ein wenig einfacher: Asia Kate Dillon ist<br />

die*der erste non-binäre bzw. intersexuelle Star in<br />

den USA (bekannt aus ‚Orange is the new Black’ und<br />

‚Billions’). Dillon bezeichnet sich selbst als „diverse“.<br />

Sie*er bevorzugt die Anrede mit „they/theirs und<br />

them“ was im Deutschen dem Plural „sie/ihr(e) und<br />

sie“ entspricht. Das aber klingt nach dem weiblichen<br />

Singular und scheint deshalb wenig geeignet. Da ist<br />

die Verunsicherung im Umgang mit intersexuellen<br />

Menschen so gut wie vorprogrammiert.<br />

Heinrich Horwitz ist 35 Jahre alt und Schauspieler*in.<br />

Geboren wurde sie*er als Miriam Horwitz in<br />

München. Der neue Name steht seit <strong>20</strong>18 zusätzlich<br />

in ihrem*seinem Pass.<br />

Denise Kanty: Heinrich, wie möchtest Du angesprochen<br />

werden?<br />

Heinrich Horwitz: Das überlasse ich meinem<br />

Gegenüber*. Ich würde mir wünschen, es gäbe in<br />

der deutschen Sprache ein genderneutrales Personalpronomen.<br />

Ich selbst komme sehr gut ohne<br />

aus. Gender ist eine sprachliche Konstruktion,<br />

der ich mich verweigere. Sprache erschafft Kategorien,<br />

sie beinhaltet sowohl die Möglichkeit der<br />

Verständigung, als auch die der Ausgrenzung.<br />

Gender ist keine Identität, es ist eine Idee,<br />

eine Möglichkeit. Benutzt wird es aber als<br />

Mittel der Ausgrenzung und Diskriminierung.<br />

Es ist mir leider nicht möglich, in unserer zivilisierten<br />

Welt mein Gender frei zu wählen oder gar auf<br />

dessen Angabe zu verzichten.<br />

D. K.: Wie definierst Du Dich selbst?<br />

H. H.: Ich bin in erster Linie Regisseur*in, Choreograf*in<br />

und Performer*in. Ich bin aber auch Frau,<br />

Bruder, Freund*in. Ich bin ein Sternchen, ein Unterstrich,<br />

ein Gender_Gap. Ich bin ein warmer Bruder,<br />

ein kesser Vater, eine Schwulette, eine Butch, ein<br />

Boy, ein Girl, eine Lesbe, queer, geschieden, nichtbinär,<br />

divers*.<br />

D. K.: Du trägst jetzt den Namen Heinrich. Wieso<br />

hast Du Dich für einen männlichen Namen entschieden?<br />

H. H.: Das war ich gar nicht selbst. Den Namen hat<br />

mir meine großartige Kollegin Marie Rosa Tietjen<br />

bereits zur Schauspielschulzeit gegeben und<br />

lag damit sehr richtig. Dass der Name männlicher<br />

gelesen wird, hat für mich zunächst keine Rolle<br />

gespielt.<br />

52


Film/Fernsehen<br />

D. K.: Bei Wikipedia findet man Dich noch unter<br />

Miriam Horwitz. Sind das Dinge, die Dich stören?<br />

H. H.: Keineswegs. Ich will meinen alten Namen<br />

nicht auslöschen. Denn ich bin ja keine neue<br />

Person. Ich fand ein Leben mit vielen Identitäten<br />

immer spannend. Deswegen habe ich mich<br />

wohl für die Kunst entschieden. Heinrich Horwitz<br />

zu heißen, ist vor allem eine politische Entscheidung.<br />

Ich versuche damit die Lesbarkeit und Benennung<br />

von Gender zu überlisten und interessanterweise<br />

ergeben sich dadurch tatsächlich Reibungen<br />

und Anstöße zu Gesprächen.<br />

D. K.: Erlebst Du bei Deinen Kolleg*innen Dir gegenüber<br />

Verunsicherung oder Berührungsängste –<br />

wie zeigt sich das und wie gehst Du damit um?<br />

H. H.: Ich versuche meine Diversität als Vorteil zu<br />

erleben. Die Fragen der Kolleg*innen nach meiner<br />

Identität ermöglichen zuweilen eine intensive<br />

Begegnung. Der Versuch, Antworten zu finden,<br />

schafft im besten Falle einen neuen Raum, in dem<br />

leider auch manchmal Unverständnis und Intoleranz<br />

Platz nehmen. Dennoch sind in den Gesprächen<br />

die Reaktionen erfreulicherweise meist positiv<br />

und zugewandt.<br />

an der Elbphilharmonie tätig. Und im Herbst dieses<br />

Jahres war ich im Bozen Krimi (ARD) zu sehen.<br />

Jede dieser Zusammenarbeiten ist für mich eine riesige<br />

Bereicherung.<br />

D. K.: Vielen Dank, Heinrich, und weiterhin alles<br />

Gute für Dich.<br />

Szenenfoto<br />

Heinrich Horwitz<br />

D. K.: Hast Du das Gefühl als diverse*r Schauspieler*in<br />

benachteiligt zu sein?<br />

H. H.: Nein, zum Glück nicht. Aber ich bin mir<br />

durchaus bewusst über den gender pay gap, Sexismen<br />

und Diskriminierung in der Branche. Ich würde<br />

mir mehr Empowerment und weniger Ausgrenzung<br />

wünsche.<br />

Heinrich Horwitz ist Regisseur*in, Choreograf*in,<br />

Schauspieler*in. Sie studierte Schauspielregie und Choreografie<br />

an der HfS Ernst Busch Berlin, arbeitet in der<br />

freien Szene und am Stadttheater. Seit <strong>20</strong>17 arbeitet sie<br />

als Choreograf*in/Dramaturg*in mit dem Decoder<br />

Ensemble zusammen. Außerdem ist sie kontinuierlich<br />

als Schauspieler*in an Theater, Film und Fernsehen tätig.<br />

Seit <strong>20</strong>16 arbeitet sie mit dem Künstler*innen Team The<br />

Agency zusammen und hat einen Lehrauftrag in Hamburg.<br />

Fotos: v. o. n. u.: Gerhard Kühne, Tim Flavor<br />

D. K.: Als Schauspieler*in schlüpfst Du ja ständig in<br />

Rollen. Welche Rollen waren Dir bisher die liebsten<br />

und welche Rolle(n) würde(n) Dich besonders reizen?<br />

H. H.: Mich reizt vor allem das Außergewöhnliche.<br />

Ich brauche ständig neue Herausforderungen. Zum<br />

Beispiel arbeite ich seit Jahren mit dem Kollektiv The<br />

Agency zusammen. Dort kann ich mich politisch<br />

mit gesellschaftlichen Normen und Konstruktionen<br />

auseinandersetzen und mein eigenes Verständnis<br />

von Identitätspolitik und Körperverständnis einbringen.<br />

Ich trete dort als Performer*in auf. Für das<br />

Ensemble Decoder bin ich im Bereich der neuen<br />

Musik als Dramaturg*in, Choreograph*in und Performer*in<br />

unter anderem in der Reihe Unterdeck<br />

Denise Kanty ist Synchronschauspielerin<br />

und Sprecherin.<br />

Seit Anfang <strong>20</strong>18 gehört sie zur<br />

Redaktion der Unsyncbar, die nun<br />

in dem neuen BFFS-Titel ‚<strong>Schauspiegel</strong>‘<br />

aufgegangen ist. Denise hat<br />

ihre journalistischen Erfahrungen<br />

in Radiostationen wie ‚Berliner<br />

Rundfunk‘ und Print-Titeln wie dem<br />

‚Stern‘ oder der deutschen ‚Vanity<br />

Fair‘ gesammelt. Sie lebt mit ihrem<br />

Mann, Kindern und Hund in Berlin.<br />

53


„Wofür mache<br />

ich das hier<br />

eigentlich alles?“<br />

Der Wunsch nach Selbstverständlichkeit<br />

und sichtbare<br />

Integration im Alltag.<br />

INTERVIEW MIT SCHAUSPIELERIN CHRISTINE URSPRUCH<br />

Bekannt ist sie vor allem durch ihre Rolle<br />

als Sams, als rechtsmedizinische Assistentin<br />

Silke Haller im Tatort oder als Kinderärztin<br />

Dr. Klein aus der gleichnamigen<br />

Serie im ZDF, die in diesem Jahr mit dem Deutschen<br />

Schauspielpreis in der Kategorie Deutscher<br />

Fairnesspreis ausgezeichnet wurde: Schauspielerin<br />

ChrisTine Urspruch.<br />

Julia Rahmann: „Dr. Klein“ ist Ihre erste eigene<br />

Hauptrolle. Wie war es, nicht wie im Münsteraner<br />

„Tatort“ eine von Dreien zu sein, sondern alleine die<br />

Chefin zu spielen?<br />

ChrisTine Urspruch: Es war ja nicht meine erste<br />

Hauptrolle, ich war ja auch das „Sams“. Und wenn<br />

jemand Chefin ist, dann das Sams!<br />

Aber eine von Dreien kann sehr schön und anregend<br />

sein! Dennoch war es natürlich großartig,<br />

in „Dr. Klein“ die Hauptrolle zu spielen. Ich konnte<br />

in der Rolle vieles ausprobieren, meiner Figur viele<br />

Facetten verleihen, aus mir selbst heraus. Vielleicht<br />

lässt es sich so beschreiben: je größer die Herausforderung,<br />

desto mehr komme ich in Fahrt. Ich habe<br />

immer gedacht, ich schaffe das, ich kann das, ich<br />

möchte das… natürlich auch bezogen auf das große<br />

Pensum eines Seriendrehs. Um dann doch am ersten<br />

Drehtag in voller Aufregung zu sein und zu denken:<br />

Was tue ich hier, wie erzähle ich die Geschichte<br />

meiner Figur, wie komme ich überhaupt darauf<br />

zu meinen, ich könnte schauspielern…? Und dann<br />

springe ich ins kalte Wasser… und schwimme!<br />

J. R.: Wie haben Sie diese Herausforderung empfunden?<br />

C. U.: Es ist ja auch nicht selbstverständlich, als Frau<br />

im Mittelpunkt einer Geschichte zu stehen. Ich wünsche<br />

mir für unsere Film- und Fernsehlandschaft<br />

viel mehr solcher Rollen für Schauspielerinnen!<br />

J. R.: Die Körpergröße von Frau Dr. Klein ist zu Beginn<br />

der Serie ein großes Thema, vor allem bei Kollegen<br />

wie Dr. Lang. Doch bei ihrer ersten Operation tritt<br />

sie so souverän auf, dass es ab diesem Moment keine<br />

Rolle mehr spielt. Kommt Ihnen das bekannt vor?<br />

C. U.: Was den Umgang mit mir und meiner KörpergröSSe<br />

betrifft, so denke ich, wie man in<br />

den Wald hinein ruft, so schallt es hinaus.<br />

Je selbstverständlicher ich mit mir selbst umgehe,<br />

desto mehr wirft es ein Licht auf meine Ausstrahlung.<br />

Ich lebe in Frieden mit mir und meiner Größe.<br />

Natürlich gibt es Momente in meinem Leben,<br />

wo ich an mir zweifle und vieles in Frage stelle. Die<br />

Ursachen sind dann eher anderer Natur, als nur im<br />

Entferntesten zu spekulieren, es hätte mit meiner<br />

Kleinwüchsigkeit zu tun.<br />

Diese Souveränität war mir immer ein gutes<br />

Standbein bei „Dr. Klein“. Sie bot mir eine gute<br />

Spielfläche, um mit Erwartungshaltungen und Vorurteilen<br />

umzugehen. Daher konnten wir in der Serie<br />

Diversität sichtbar und erlebbar machen.<br />

J. R.: Was ist der häufigste Fehler, den Menschen im<br />

Umgang mit Kleinwüchsigen machen und was wünschen<br />

Sie sich?<br />

54


Film/Fernsehen<br />

Foto: Jim Rakete<br />

C. U.: Sie werden häufig unterschätzt. Ich wünsche<br />

mir, dass sie sichtbarer im Alltag werden, dass wir<br />

sie in Berufen wahrnehmen, wie zum Beispiel dem<br />

der Bäckerin, des Bäckers, der Lehrerin, des Lehrers<br />

bis hin zur Konzernchefin, dem Konzernchef. Denn<br />

nur so können wir unsere eigenen Wahrnehmungen<br />

schulen und unseren Umgang mit Toleranz üben.<br />

J. R.: Im Münsteraner Tatort spielen Sie die Assistentin<br />

von Gerichtsmediziner Dr. Boerne. Silke Haller,<br />

die von ihren Kollegen Alberich – eine Anspielung<br />

auf den Zwerg im Nibelungenlied – genannt wird,<br />

ist eine Figur, die zwischen einem wortkargen Kommissar<br />

und einem exaltierten Rechtsmediziner stets<br />

alles ins Lot zu bringen versucht, die mit einem großen<br />

Herzen agiert und die sich trotz der Sprüche von<br />

Dr. Boerne nicht unterkriegen lässt. Wie viel<br />

Alberich steckt in ChrisTine Urspruch?<br />

C. U.: Alberich hält vieles aus, arbeitet sehr gewissenhaft,<br />

sieht über vermeintliche Schwächen des anderen<br />

hinweg. Das ist wahrscheinlich ihrem weiblichen<br />

Gen geschuldet… Und da ich auch eine Frau<br />

bin, trage ich Alberichs Anteile in mir.<br />

J. R.: Ab wann wussten Sie, dass Sie Schauspielerin<br />

werden wollen und was bedeutet es für Sie?<br />

C. U.: Eigentlich im Kindergarten, da habe ich mal<br />

einen Matrosen gespielt. Ich habe diesen Spannungsmoment<br />

sehr ausgekostet, meinen Satz endlich auf<br />

der Bühne sagen zu können: „Land in Sicht…“.<br />

Wahrscheinlich war ich damals schon kühn und<br />

machtgeil… Heute würde ich hinzufügen, dass ich<br />

ein Teamplayer und Ensemblespieler bin, aber eben<br />

auch gerne die Rampensau…<br />

Das Tolle ist, dass wir Geschichten erzählen können,<br />

die mal im politischen, gesellschaftlichen oder<br />

anderen Kontexten stehen. Wir können die Welt auf<br />

den Kopf stellen, Träume leben und oder einfach<br />

nur Spaß machen. Das empfinde ich gleichzeitig als<br />

Gabe und Geschenk.<br />

J. R.: Was möchten Sie Ihren Schauspielkolleg*innen<br />

mit auf ihren Weg geben? Und welchen Rat haben<br />

Sie für jüngere Schauspieler*innen?<br />

C. U.: Unbedingt an die eigenen Träume glauben.<br />

Es ist gut, im Job vieles auszuprobieren. Das erfordert<br />

gerade in den Anfängerjahren eine hohe Flexibilität<br />

und Disziplin. Manchmal gelangt man an<br />

den Punkt, an dem man sich fragt, wofür mache<br />

ich das hier eigentlich alles? Meine Erfahrung ist,<br />

dass es für irgendetwas immer gut ist. Wir treffen<br />

ja immer wieder auf neue Menschen, durch die sich<br />

neue Kontakte ergeben können, manchmal auch<br />

erst nach Jahren…also: Durchhalten – wenn man es<br />

wirklich will!<br />

J. R.: Für Ihren Vornamen haben Sie eine besondere<br />

Schreibweise gewählt: „ChrisTine“. Warum ist das T<br />

groß?<br />

C. U.: Die Schreibweise mit großem ‚T‘ habe ich mir<br />

vor vielen Jahren ausgedacht. Eigentlich ein Jux!<br />

Es symbolisiert einen spielerischen Umgang<br />

mit Klein und GroSS, eine Leichtigkeit, einen<br />

Akt der Selbstbestimmung, die Lust am Ausdruck.<br />

So, nun will ich es aber nicht überstrapazieren,<br />

mein geliebtes ‚T‘!<br />

J. R.: Vielen Dank für das interessante Gespräch, liebe<br />

ChrisTine Urspruch.<br />

ChrisTine Urspruch wurde 1970<br />

geboren. Sie lebt mit ihrer Tochter<br />

im Allgäu. Mit der Titelrolle in den drei<br />

„Das Sams“-Filmen wurde sie bekannt.<br />

Bis <strong><strong>20</strong>19</strong> spielt sie die Titelrolle in<br />

der ZDF-Serie „Dr. Klein“. Im „Tatort“ aus<br />

Münster ist sie die Gerichtsmedizinerin<br />

‚Alberich‘. Ihre Theaterlaufbahn begann<br />

1993 am Schauspiel Bonn, weitere<br />

Stationen waren u.a. das Residenztheater<br />

München und das Volkstheater Wien.<br />

An der Volksbühne Berlin spielte sie sechs<br />

Jahre lang die „Die (S)panische Fliege“,<br />

demnächst wieder am Theater Basel.<br />

Über die Autorin Julia Rahmann<br />

... lesen Sie auf Seite 47.<br />

55


Angst<br />

essen<br />

Seele<br />

auf<br />

Auch prominente<br />

Kolleg*innen scheuen<br />

ein Outing. Es fehlt in<br />

unserem Beruf an<br />

Vorbildern für junge<br />

Schwule, Lesben<br />

und Trans*.<br />

VON REGISSEUR UND AUTOR KAI S. PIECK<br />

Im Mai <strong>20</strong>18 ist mir der Kragen geplatzt. Die erschütternden<br />

Enthüllungen, die zur MeToo-Debatte<br />

geführt hatten, bildeten den Anfang. Nicht<br />

nur die Taten machten mich wütend, sondern<br />

auch wie das Umfeld, die Mitwisser*innen, darauf<br />

reagierten. Letztere schienen Angst zu haben,<br />

auf einer schwarzen Liste zu landen und keine Jobs<br />

mehr zu bekommen, wenn sie „etwas sagen“ würden.<br />

Es wurde mir drastisch klar, wie rückgratlos und vor<br />

allem angstbesetzt unsere Freiberufler-Branche ist.<br />

Und wie dringend notwendig es ist, das Miteinander<br />

aller Geschlechter und Geschlechteridentitäten<br />

neu zu definieren. Den gegenseitigen Respekt neu<br />

zu erlernen.Einen weiteren Denkanstoß gab mir<br />

das Buch von Autor, Blogger und Aktivist Johannes<br />

Kram, „Ich hab ja nichts gegen Schwule, aber...“, in<br />

dem er sehr analytisch den Finger in die Wunde legt:<br />

Nämlich wie „die schrecklich nette Homophobie in<br />

56


Film/Fernsehen<br />

der Mitte der Gesellschaft“ (so der Untertitel des Buches)<br />

heute funktioniert. Durch alle Gesellschaftsschichten,<br />

Berufsgruppen, politischen Lager und<br />

Generationen, sogar bis in die eigene queere Community<br />

hinein. Oft unbewusst, weil heteronormativ<br />

sozialisiert und gelernt. Das hat meinen Blick auf<br />

den eigenen Umgang mit meiner Homosexualität<br />

und meinem queeren und heterosexuellen Umfeld<br />

geschärft.<br />

Der Trigger für mein folgendes Engagement war<br />

dann der Eklat zur ECHO-Verleihung <strong>20</strong>18. Trotz<br />

Ethik-Kommission waren die Deutschrapper Kollegah<br />

und Farid Bang mit ihren antisemitischen<br />

Songtext-Zeilen bis zur Preisverleihung gekommen.<br />

Der Aufschrei war groß, Künstler wie Westernhagen<br />

und Barenboim gaben empört ihre ECHOS zurück<br />

und schließlich wurde der größte Musikpreis<br />

Deutschlands eingestampft. Als Abschlusserklärung<br />

verkündete der Vorstand des Bundesverbandes Musikindustrie,<br />

der Preis dürfe „keine Plattform für<br />

Antisemitismus, Frauenverachtung, Homophobie<br />

oder Gewaltverharmlosung sein“. Das empfand ich<br />

als extrem zynisch, denn Frauenverachtung, Homophobie<br />

oder Gewaltverharmlosung gibt es seit<br />

Jahrzehnten nicht nur im deutschen Rap und Hip<br />

Hop. Der Antisemitismus stellte nun eine neue Dimension<br />

dar, die im Mainstream angekommen zu<br />

sein schien. Ich möchte nicht missverstanden werden:<br />

Antisemitismus ist ein zurecht extrem sensibles<br />

Thema und in keinster Weise hinnehmbar. Nur:<br />

Warum hatte sich zuvor noch nie jemand über die<br />

anderen Diskriminierungen dermaßen erzürnt?<br />

Warum wurde die Fragwürdigkeit der ECHO-Vergaberichtlinien<br />

nicht schon früher diskutiert?<br />

Also beschloss ich etwas zu unternehmen und gemeinsam<br />

mit anderen queeren Medienschaffenden<br />

für mehr Sichtbarkeit und Repräsentanz queerer Inhalte<br />

und Akteur*innen in den Medien und damit<br />

in unserer Gesellschaft zu kämpfen. Mit dem Ziel,<br />

Akzeptanz zu schaffen und dringend benötigte Vorbilder<br />

zu liefern. Die Queer Media Society entstand<br />

und befindet sich derzeit im Aufbau.<br />

Ich habe mich nie besonders dafür interessiert,<br />

wer hetero, lesbisch, schwul, bi, trans oder anders<br />

Denn ich<br />

erkannte,<br />

wie wenig<br />

ich mich<br />

über all die<br />

Jahrzehnte<br />

repräsentiert<br />

gefühlt<br />

hatte.<br />

Die Stereotypen,<br />

die in den<br />

Medien<br />

verbreitet<br />

wurden,<br />

hatten<br />

nichts mit<br />

mir zu tun.<br />

ist. Ob bei den „Promis“ oder den Menschen um<br />

mich herum. „Spannend“ wurde es nur, wenn klar<br />

war, dass da jemand versuchte, etwas zu verbergen.<br />

Doch erst durch die eingehende Beschäftigung mit<br />

der gesamten, komplexen Thematik wurde mir klar,<br />

wie wichtig diese queere Sichtbarkeit ist. Denn ich<br />

erkannte, wie wenig ich mich über all die Jahrzehnte<br />

repräsentiert gefühlt hatte. Die Stereotypen, die in<br />

den Medien verbreitet wurden, hatten nichts mit<br />

mir zu tun.<br />

Ich begann darüber nachzudenken, wen ich als<br />

schwules Vorbild hatte, an dem ich mich orientieren<br />

konnte. Da gab es nicht viele: Helmut Berger und<br />

Jean Marc Barr waren meine ersten „Pinups“. Keiner<br />

der beiden lebte mir aber als Person schwules Leben<br />

vor. Im Prä-Internet-Zeitalter wusste man, Berger<br />

war offen schwul und wurde stets „skandalumwittert“<br />

und exaltiert präsentiert. Über Barr erfuhr<br />

man erst später, dass er eventuell bisexuell sei...<br />

Rosa von Praunheim und Rainer Werner Fassbinder<br />

prägten mit ihren Filmen derweil mein Bild<br />

vom schwulen Mann und der „Szene“. Nicht immer<br />

schön, manchmal einfach nur schrill, oft angstbesetzt,<br />

selten positiv. Kein Wunder: Erst 1994 wurde<br />

Paragraph 175, der Homosexualität unter Strafe<br />

stellte, in der Bundesrepublik abgeschafft!<br />

25 Jahre später muss ich feststellen, dass sich<br />

trotz vieler Errungenschaften, wie der Ehe für alle,<br />

im Wesentlichen nicht viel verändert hat. Ich habe<br />

sogar den Eindruck, wir entwickeln uns wieder<br />

zurück. Noch immer muss ein Coming Out vorbereitet<br />

werden. Die Suizidgefahr homosexueller<br />

Jugendlicher gegenüber heterosexuellen Gleichaltrigen<br />

ist bis zu siebenmal höher. Bei transsexuellen<br />

Minderjährigen ist sie fast doppelt so hoch. Noch<br />

immer glauben die meisten, sich nicht angstfrei<br />

outen zu können.<br />

Das schließt natürlich queere Schauspieler*innen<br />

mit ein. Dabei bin ich der festen Überzeugung,<br />

dass das nicht sein müsste. Und ich stelle<br />

mir ernsthaft die Frage, ob die Furcht der queeren<br />

Schauspieler*innen – befeuert von ihrem angstbesetzten<br />

Umfeld bestehend aus teils gutmeinenden,<br />

teils profitorientierten und teils auch unbewusst<br />

57


homofeindlichen Berater*innen – nicht ein hausgemachtes<br />

Problem ist. Ein schwuler Kollege von<br />

mir behauptet gar, dass homosexuelle Schauspieler*innen<br />

sich nicht outen, ist kein gesellschaftliches,<br />

sondern ein sehr individuelles Problem, weil<br />

sie ein Problem mit sich selbst haben. Ich meine,<br />

dass man das Individuum nicht von der Gesellschaft<br />

trennen kann. Aber nur das Individuum<br />

allein kann und muss entscheiden, wie es mit dieser<br />

Situation umgeht. Natürlich gibt es Mobbing,<br />

natürlich gibt es Diskriminierung. Aber woher<br />

kommt sie? Rassismus sowie Homo-/Trans-/Interphobie<br />

beruhen auf einer Mischung aus Angst<br />

und Ablehnung gegenüber Unbekanntem, Fremdem,<br />

und aus mangelnder Selbstliebe. Und wenn<br />

wir den Teufelskreis nicht durchbrechen und keine<br />

Sichtbarkeit erzeugen, wird sich niemals etwas<br />

ändern. Die Publizistin und Netzaktivistin Anke<br />

Domscheit-Berg sagt dazu: „Wenn wir frei sein<br />

wollen, müssen wir aufhören uns zu verstecken!”<br />

Als sich von Praunheim 1991 in einer Live-Sendung<br />

bei RTL Talkmaster Alfred Biolek und Comedian<br />

Hape Kerkeling outete, war das ein Skandal.<br />

Allerdings eher, weil er es ohne ihr Wissen tat. Beide<br />

TV-Lieblinge bestätigten später einhellig, es sei<br />

eine Befreiung gewesen. Auch, weil das Publikum<br />

„irre normal“ (Kerkeling) reagiert habe. Moderator<br />

und Schauspieler Jochen Schropp, der einer jüngeren<br />

Generation angehört und sich erst <strong>20</strong>18 outete,<br />

berichtet dasselbe.<br />

Im Gegensatz zu Schropp, der seitdem sehr entspannt<br />

damit umgeht, wollen sich andere geoutete<br />

prominente Moderator*innen und Schauspieler*innen<br />

nicht (mehr) für die Community stark machen,<br />

weil sie von der Presse nicht ausschließlich und immer<br />

wieder nur auf „dieses Thema“ reduziert werden<br />

wollen. Nach einem Outing habe man in der<br />

Berichterstattung schnell das Attribut „der schwule<br />

Schauspieler XY“ oder die „lesbische Sängerin YX“<br />

anhaften. Dabei könnten diese Künstler*innen doch<br />

beeinflussen, dass sie ebenso für andere Themen<br />

neben den queeren Inhalten stehen, genauso wie<br />

sie jetzt beeinflussen, was sie zu ihrem Privatleben<br />

erzählen und was nicht, und ob überhaupt. Genauso<br />

58<br />

Jeder<br />

springt<br />

für sich<br />

allein. Wir<br />

können<br />

niemandem<br />

den<br />

Sprung<br />

vom<br />

10-Meter-<br />

Brett<br />

abnehmen.<br />

Aber wir<br />

können<br />

zumindest<br />

dafür<br />

sorgen,<br />

dass<br />

im Becken<br />

Wasser ist.<br />

wie es alle ungeouteten Prominenten auch beeinflussen.<br />

Immerhin scheint es nach wie vor eine Art<br />

unausgesprochenen Kodex zu geben, nachdem die<br />

Presse niemanden outet, auch wenn intern bekannt<br />

ist, dass jemand homosexuell ist.<br />

Auch ungeoutete Künstler*innen berichten mir<br />

immer wieder, dass sie Angst hätten, nicht mehr<br />

besetzt zu werden oder nur noch homosexuelle Rollen<br />

angeboten zu bekommen (von denen es sowieso<br />

so gut wie keine gibt). Besetzer*innen, PR-Manager*innen<br />

und Schauspielagent*innen raten ihren<br />

Klient*innen ab, sich zu outen. Entscheider*innen<br />

in den Sendern und Produktionsfirmen sowie Regisseur*innen<br />

befürchten, „das Publikum“ würde es<br />

nicht akzeptieren, wenn der Love Interest im echten<br />

Leben schwul oder lesbisch ist. Ulrike Folkerts und<br />

Maren Kroymann können ein Lied davon singen.<br />

(Heute haben beide einen Status erreicht, in dem sie<br />

wieder alles spielen können.)<br />

Machen wir uns nichts vor, es geht auch ums Geld,<br />

das verdient werden soll. Dass am Ende das Publikum,<br />

die Fans, sich abwenden, ausschalten, keine<br />

Kinotickets mehr kaufen, ist im Schauspielbereich<br />

nicht bewiesen. Denn so gut wie niemand outet sich<br />

und bekommt die Möglichkeit zu beweisen, was im<br />

Geheimen eh seit jeher passiert: ungeoutete homosexuelle<br />

Schauspieler*innen spielen heterosexuelle<br />

Mütter, Väter, den Love Interest etc. und die Welt<br />

glaubt es ihnen, weil sie einfach ihr Handwerk beherrschen.<br />

Um nichts anderes sollte es doch gehen!<br />

In was für einer Welt leben wir?<br />

Was diese Welt jedenfalls hervorbringt sind Menschen,<br />

die glauben, sich verstecken zu müssen, weil<br />

sie nicht so sein können wie sie sind. Die sich, wie<br />

Sänger Daniel Küblböck, das Leben nehmen, weil sie<br />

mit sich und dieser Welt nicht klarkommen. Weil es<br />

z.B. auch Menschen gibt, die – wie ein prominenter<br />

heterosexueller Nachrichtensprecher, der in diesem<br />

Zusammenhang nicht genannt werden darf –<br />

alles daran setzen, nicht als homosexuell bezeichnet<br />

zu werden. Die einerseits vorgeben tolerant zu<br />

sein, aber andererseits Homosexualität zum Stigma<br />

erheben, indem sie nicht „dafür gehalten werden“<br />

wollen. So fucking what?! Vielleicht sollte ich dem-


Film/Fernsehen<br />

Foto: Frank Bock<br />

Immerhin<br />

scheint es<br />

nach wie<br />

vor eine<br />

Art unausgesprochenen<br />

Kodex<br />

zu geben,<br />

nachdem<br />

die Presse<br />

niemanden<br />

outet,<br />

auch wenn<br />

intern<br />

bekannt<br />

ist, dass<br />

jemand<br />

homosexuell<br />

ist.<br />

nächst gerichtliche Schritte einleiten, wenn jemand<br />

öffentlich annimmt, ich sei heterosexuell.<br />

Der junge, offen schwule Journalist Sebastian<br />

Goddemeier hat in einem sehr autobiografischen<br />

noizz-Artikel über seinen „Weg zu mehr Selbstliebe<br />

mitten durch die Scham“ berichtet. Dabei spricht er<br />

von der Suche jedes Menschen nach Liebe und Anerkennung,<br />

über die fehlenden queeren Vorbilder<br />

in seiner Kindheit, die bisher nicht erreichte eigene<br />

Akzeptanz für sich selbst und seine Sexualität, und<br />

dass aber am Ende dieses Prozesses die Selbstliebe<br />

stehen wird.<br />

Ich bin überzeugt davon, dass viele queere Schauspieler*innen<br />

viel freier spielen würden und damit<br />

bessere Künstler*innen sein könnten, wenn sie<br />

geoutet wären. Den Druck, als Mensch ständig jemand<br />

anderes sein zu müssen und dieses kreierte<br />

Image dann auch noch in eine Rolle transportieren<br />

zu wollen und bloß nicht zu tuntig oder butch rüberzukommen,<br />

kann auf Dauer niemand unbeschadet<br />

aushalten. Der offen schwule, junge Schauspieler<br />

Til Schindler wird in einem SZ-Artikel dazu zitiert:<br />

„Wenn du bekannt bist, heißt das ja, dass du dich<br />

und dein Begehren wirklich aktiv verstecken musst.<br />

Und das bedeutet eine hohe psychische Belastung.“<br />

Und auch er hätte sich gewünscht, dass er als Jugendlicher<br />

schwule Vorbilder gehabt hätte. Dominic<br />

Frohn vom Institut für Diversity und Antidiskriminierungsforschung<br />

bricht das für alle Betroffenen<br />

herunter: „Homosexuelle sollten sich (...) nicht zu<br />

einer neuen Unsichtbarkeit verleiten lassen. Wer im<br />

Berufsleben offen ist, hat weniger psychosomatische<br />

Beschwerden – und ist insgesamt zufriedener mit<br />

der Arbeit.“<br />

Die Queer Media Society sucht das Gespräch mit<br />

allen queeren Medienschaffenden. Vor allem aber<br />

mit den Schauspieler*innen, weil sie die symbolische<br />

Schnittstelle für die queere Repräsentanz in den Medien<br />

und damit in der Öffentlichkeit sind. Einerseits<br />

in ihren Rollen, andererseits als Privatpersonen, die<br />

Teil des öffentlichen Interesses sind, und damit in<br />

beiden „Welten“ dringend benötigte Vorbilder sein<br />

können! Deshalb lade ich alle dazu ein, sich mit uns<br />

auszutauschen, sich aus der Komfortzone zu wagen,<br />

die Blase zu verlassen und Präsenz zu zeigen!<br />

In diesem Zusammenhang möchte ich den oben<br />

erwähnten Johannes Kram aus seiner Keynote zitieren,<br />

die er bei unserer Kick-Off-Veranstaltung<br />

während der diesjährigen Berlinale gehalten hat:<br />

„Wenn Homosexualität irgendwann keine Benachteiligung,<br />

kein Risiko mehr sein soll, dann müssen<br />

wir Benachteiligungen und Risiken eingehen. Wir<br />

müssen aber vor allem Konzepte dafür haben, dass<br />

diese Risiken minimiert sind. (...) Jeder springt für<br />

sich allein. Wir können niemandem den Sprung<br />

vom 10-Meter-Brett abnehmen. Aber wir können<br />

zumindest dafür sorgen, dass im Becken Wasser ist.“<br />

Wenn ich oben davon gesprochen habe, dass sowohl<br />

die Individuen jeweils für sich allein entscheiden<br />

müssen, was sie tun, dann bilden all diese Individuen<br />

auch „die Gesellschaft“ und gleichzeitig besagtes<br />

„Becken voll Wasser“. Und wenn wir – wie eingangs<br />

ebenfalls erwähnt – den gegenseitigen Respekt wieder<br />

neu erlernen müssen, dann sollten wir mit dem<br />

Respekt vor uns selbst anfangen.<br />

Kai S. Pieck ist Autodidakt<br />

und begann seine Filmarbeit<br />

Ende der 1970er Jahre mit<br />

Kurzfilmen auf Super 8. In<br />

seiner Geburtsstadt Hannover<br />

war er Gründungsmitglied des<br />

ersten Super 8 Kinos der BRD.<br />

Mit dem Umzug nach München<br />

kamen erste professionelle<br />

Jobs in der Filmbranche.<br />

Außerdem baute er als Filmbeschaffer<br />

und Filmdisponent<br />

Anfang der 1980er Jahre das<br />

Filmfest München logistisch<br />

mit auf. Seit Anfang der 1990er<br />

Jahre arbeitet er als Regisseur<br />

und Autor für Film, TV, Event<br />

und Bühne. <strong>20</strong>18 initiierte<br />

er die Queer Media Society.<br />

59


Niemals einen Schwulen für<br />

eine schwule Rolle besetzen?<br />

Über die Diskriminierung schwuler Schauspieler.<br />

von Schauspieler Matthias Beier<br />

E<br />

s ist eine Tatsache, dass schwule Schauspieler<br />

eine diskriminierte Minderheit<br />

sind. Diese Diskriminierung war einer<br />

der Gründe, warum ich mich als Schauspieler<br />

zurückgezogen habe.<br />

Film und vor allem Fernsehen bilden die Gesellschaft<br />

ab. Deshalb frage ich mich, in was für einer<br />

Gesellschaft wir in Deutschland leben. Denn diese<br />

Gesellschaft ist unser Publikum. Da ich optimistisch<br />

bin, würde ich behaupten, dass wir in einer positiv-dynamischen<br />

Zeit des Übergangs vom Patriarchat<br />

ins Matriarchat leben. Noch haben wir nicht die<br />

völlige Gleichstellung von Mann und Frau erreicht,<br />

aber trotz reaktionärer Kräfte glaube ich, dass dieser<br />

Wandel nicht aufzuhalten ist. Aber egal ob Patriarchat,<br />

Matriarchat oder Gleichberechtigung – wir<br />

leben in einer heteronormativen Gesellschaft. Das<br />

heisst, Heterosexualität gilt als die soziale Norm und<br />

Homosexualität wird zwar weitgehend geduldet,<br />

aber eben nicht vollends für gut befunden.<br />

Warum ist das so? Unsere westlichen Werte basieren<br />

auf dem Christentum. Im Alten Testament<br />

ist Homosexualität eine Sünde und darauf stand die<br />

Todesstrafe. Wir befinden uns in einer Zeit des Wandels<br />

und dieser macht selbst vor den Kirchen nicht<br />

halt: Papst Franziskus entschuldigte sich für die<br />

Diskriminierung Homosexueller, die evangelische<br />

Kirche spricht ihre liberale Haltung und Segnung<br />

gleichgeschlechtlicher Paare aus. Aber der Stachel<br />

der jahrtausendelangen Stigmatisierung sitzt tief im<br />

allgemeinen Unterbewusstsein. Das nenne ich Homophobie.<br />

Noch <strong>20</strong>17 stimmten Angela Merkel und<br />

Annegret Kramp-Karrenbauer gegen die „Ehe für<br />

alle“ unter Berufung auf das christliche „C“ der CDU.<br />

Die Abgeordneten der SPD, Linken und Bündnis 90/<br />

Die Grünen stimmten geschlossen dafür.<br />

Die Homophobie steckt also unbewusst oder sogar<br />

bewusst immer noch tief in unserer Gesellschaft –<br />

unserem Publikum. Deswegen verstehe ich zwar die<br />

Entscheidungen von Caster*innen, Regisseur*innen,<br />

Redakteur*innen, Produzent*innen und auch<br />

Kolleg*innen, aber ich respektiere sie nicht.<br />

Das grundsätzliche Misstrauen und die damit<br />

verbundenen Vorurteile der Menschen in unserer<br />

Branche sind die eine Sache. Das Absprechen der<br />

Eignung offen schwuler Schauspieler für heterosexuelle<br />

Rollen ist aber eine ganz andere:<br />

Erstens unterschätzen vor allem die öffentlich-rechtlichen<br />

Sender ihre Zuschauer – kein Wunder,<br />

dass die Jugend zu Streamingdiensten abwandert.<br />

Dort spielt die private sexuelle Orientierung<br />

keine Rolle. Und haben die Öffentlich-Rechtlichen<br />

keinen Bildungsauftrag? Und zwar nicht mit klischeehaften<br />

schwulen Rollen, sondern mit offen<br />

schwulen Schauspielern in heterosexuellen Rollen?<br />

Zweitens ruft mich die Unkenntnis der Kunst<br />

des Schauspiels innerhalb der Branche als Coach<br />

auf die Barrikaden: Spätestens seit der Einführung<br />

des Handwerks der „sexual chemistry“ durch die<br />

internationale Schauspiel-Koryphäe Ivana Chubbuck<br />

kann ein guter Schauspieler eine Liebesszene<br />

mit einer Mülltonne spielen! Die Frage ist also<br />

nicht die sexuelle Orientierung eines Schauspielers,<br />

sondern ob er ein guter Schauspieler ist. Ergo<br />

sind die ungeouteten, schwulen Schauspieler verdammt<br />

gute Schauspieler. Warum trauen sich diese<br />

verdammt guten Schauspieler nicht, sich zu outen?<br />

Es wird ihnen wegen der Fans, der Quote, des Ti-<br />

60


Film/Fernsehen<br />

cketverkaufs abgeraten – also letztlich für den Profit<br />

der Branche. Diese Fahrt auf Sicht ist allerdings<br />

wenig visionär: Das Publikum von morgen ist mit<br />

dem Internet aufgewachsen und weiß besser mit<br />

Homosexualität umzugehen als seine Eltern. Ich<br />

habe als schwuler Junge auch für Schauspielerinnen<br />

geschwärmt – einfach, weil sie gut waren und<br />

toll aussahen. Warum sollte es dem heterosexuellen<br />

Teenie-Mädchen mit schwulen Schauspielern<br />

anders gehen?<br />

Egal, ob schwul oder nicht-schwul: Schauspieler*innen<br />

lösen in ihren Rollen gesellschaftliche<br />

Konflikte als „Rollenbilder“ auf.<br />

Als öffentliche Person schenken sie den Menschen<br />

Bewusstsein und sind ein Vorbild dafür, wie man ein<br />

Leben leben kann. Und das verfolgen zehn, 100, 1000,<br />

100 000, 1 000 000 Menschen. Schauspieler*innen<br />

sind eine Projektionsfläche und Vorbild zugleich.<br />

Wir Schwulen sind eine nicht reproduktive Gruppe<br />

der Bevölkerung. Die vedischen Sanskrit-Schriften<br />

weisen dieser Bevölkerungsgruppe besondere Aufgaben<br />

zu – ihnen wurde grundlegende Nähe zu künstlerischen<br />

und spirituellen Tätigkeiten nachgesagt. Sie<br />

waren Gäste an Höfen und in Palästen und wurden<br />

zur Unterhaltung oder für Lehrtätigkeiten eingestellt.<br />

Ist das nicht, was Schauspieler*innen ausmacht? Vielleicht<br />

sollten wir ein bisschen über das Christentum<br />

hinaus schauen: Die vedische Kultur bestand ausdrücklich<br />

auf das Vorhandensein von Nicht-Heterosexualität.<br />

Das traditionelle indische Recht verurteilt<br />

bis heute Ehebruch bei Heterosexuellen wesentlich<br />

strenger als sexuelle Vergehen unter Homosexuellen.<br />

Da zitiere ich gerne meinen englischen Coach-Kollegen<br />

Giles Foreman in Bezug auf heterosexuelle,<br />

männliche Schauspieler: „I pitty them, because they<br />

have less fun!“ Oder sinngemäß mit den Worten<br />

des tibetischen Meditationslehrers Chögyam Trungpa<br />

zum Thema Homosexualität: „Es geht zwischen<br />

Menschen nicht um die Form ihres Körpers, sondern<br />

um die Form ihrer Beziehung.“ Oder – weil wir ja<br />

Deutsche sind – mit Schiller: „Der Mensch spielt nur,<br />

wo er in voller Bedeutung des Worts Mensch ist, und<br />

er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.“ Wie auch<br />

immer: Wäre Homosexualität kein Tabu mehr, wäre<br />

die Welt friedlicher und glücklicher.<br />

Was können wir konkret gegen die Diskriminierung<br />

tun? Ich möchte uns Schwule nicht zu Opfern<br />

machen und um öffentlich geleitete Inklusion bitten.<br />

Aber ich rufe jeden Einzelnen auf, sehr bewusste<br />

Entscheidungen zu treffen.<br />

Mir hat mal ein prominenter Klient, den ich gecoacht<br />

habe, gesagt, dass er schwulen Kollegen nicht<br />

empfehlen würde, sich zwischen <strong>20</strong> und 40 zu outen.<br />

Er hat Recht und er hat Unrecht.<br />

Recht hat er, weil es sicher einfacher ist, mit<br />

dem Strom zu schwimmen. Unrecht hat er, denn<br />

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Zum 60. Geburtstag<br />

freuen wir uns über<br />

den „Neuen“.<br />

Dieses Jahr feiert die GVL ihr 60-jähriges<br />

Jubiläum und den Beitritt des BFFS als dritten<br />

Gesellschafter. Herzlich willkommen!<br />

Foto:<br />

Wer mehr über die Geschichte<br />

der GVL erfahren will, kann<br />

unter www.gvl.de/chronik in die<br />

Vergangenheit eintauchen.<br />

Gesellschaft zur Verwertung von<br />

Leistungsschutzrechten mbH | www.gvl.de<br />

61


Film/Fernsehen<br />

welchen Wert hat materieller Erfolg, wenn ich dabei<br />

als Künstler meine Authentizität verkaufe? Ich weiss<br />

noch, dass ich, als ich eine durchgehende schwule<br />

Serienrolle gespielt habe, in einem Interview auf<br />

die Frage, ob ich selber schwul sei, gelogen habe.<br />

Das bereue ich bis heute. Nicht, weil ich mich nicht<br />

in der Produktion geoutet habe – im Gegenteil:<br />

Mein schwuler Spielpartner war das Gegenteil<br />

meines Beuteschemas und es wäre mir<br />

leichter gefallen, eine Frau zu küssen. Sondern<br />

weil ich in dem Interview einfach hätte sagen<br />

sollen: „Darüber möchte ich nicht sprechen.“ Das ist<br />

das Recht eines jeden Schauspielers, nicht über sein<br />

Privatleben zu sprechen. Lustigerweise sagte mir der<br />

sehr etablierte und übrigens ebenfalls homosexuelle<br />

Caster, der mich für diese schwule Rolle vorschlug,<br />

er „würde niemals einen Schwulen für eine schwule<br />

Rolle besetzen“. Nun, da hat er sich wohl selbst widersprochen.<br />

Ich bereue meine Lüge, weil ich Grenzen<br />

hätte setzen können, weil ich ehrlich zu mir<br />

selbst gestanden hätte, weil ich noch mehr jungen<br />

schwulen Männern und vor allem Kollegen ein Vorbild<br />

hätte sein können und weil ich gegen Diskriminierung<br />

gehandelt hätte.<br />

Und noch aus einem weiteren Grund hatte mein<br />

prominenter Klient Recht: Schauspieler müssen bezüglich<br />

aller Geschlechterrollen versatil sein. Ich erinnere<br />

an die Mülltonne. Wenn ein heterosexueller<br />

Mann keine Beziehung zu einem Mann spielen kann<br />

oder ein schwuler Schauspieler keine Beziehung zu<br />

einer Frau – dann sind sie einfach schlechte Schauspieler!<br />

In der Außenwirkung muss ein Schauspieler<br />

immer zugänglich wirken – für Männer wie für<br />

Frauen. Was er privat für Vorlieben hat, ist seine Sache.<br />

Und ob er darüber sprechen will erst recht.<br />

Nun ist die Außenwirkung ja mehr oder weniger<br />

intelligent steuerbar. Branchenintern ist das komplizierter:<br />

Während uns entsprechende Caster*innen,<br />

Regisseur*innen, Redakteur*innen und Produzent*innen<br />

– egal was sie zu uns sagen – immer hinter<br />

vorgehaltener Hand diskreditieren oder diskriminieren<br />

können, passiert das am Set oder auf der<br />

Probebühne unmittelbar und unvermittelt. Es kann<br />

uns egal sein, was über uns gesprochen wird, denn<br />

was zählt, ist die Wirkung beim Publikum. Nicht<br />

egal darf uns allerdings jegliche Diskriminierung<br />

unter Kolleg*innen sein – und sei sie noch so flapsig<br />

oder unterschwellig. Die müssen wir benennen,<br />

verurteilen und unterbinden. Auch wenn sie uns<br />

dann als Spaßbremsen bezeichnen, Diskriminierung<br />

ist ein Ausdruck von Macht und von Machtmissbrauch.<br />

Daher gilt die Regel: Nur Minderheiten<br />

dürfen Witze über ihre Minderheit machen.<br />

Ich schliesse mit dem Thema „bewusste Entscheidungen“<br />

zum Outing oder nicht: In den Nuller-Jahren<br />

habe ich noch keinem gewünscht, der erste<br />

Lemming zu sein. Heute ist das anders, das Rad<br />

der Zeit dreht sich nach vorne. Aber wir wissen alle<br />

aus den Geschichtsbüchern, dass sich das Rad auch<br />

zurückdrehen kann. Deswegen müssen wir es am<br />

Laufen halten. Jeder Einzelne von uns auf seine Art.<br />

Ich wage es vorauszusagen: Der nächste prominente<br />

junge schwule Schauspieler zwischen<br />

<strong>20</strong> und 40, der sich outet, wird deutsche Filmgeschichte<br />

– wenn er sehr gut ist.<br />

Matthias Beier<br />

ist seit über zehn Jahren<br />

Coach u. a. auch prominenter<br />

Schauspieler<br />

und war selber mehr als<br />

<strong>20</strong> Jahre Schauspieler.<br />

Er hat zwei Jahre<br />

bei Susan Batson in<br />

New York studiert und<br />

hat auch eine eigene<br />

Schauspiel-Technik<br />

entwickelt. Er lebt in<br />

München und arbeitet<br />

in Berlin und Wien.<br />

62


Hinter den Kulissen<br />

Am Set von … SOKO Köln<br />

FotoS: links: Marc Reimann; rechts, Network Movie / Martin Rottenkolber, Kornelia Boje<br />

Wie viele Drehtage für wie<br />

viele Sendeminuten / Folgen?<br />

152 Drehtage in sechs Blöcken<br />

à zwei bis vier Folgen<br />

(Zahlen aus dem Jahr <strong><strong>20</strong>19</strong>)<br />

16–30 Drehtage pro Block, Vorbereitungen<br />

und Postproduktion<br />

sind fortlaufend über das ganze Jahr<br />

<strong>20</strong> Folgen à ca. 43 Minuten<br />

860 Minuten im Jahr <strong><strong>20</strong>19</strong><br />

Wie viele Leute sind<br />

ungefähr an der<br />

Produktion beteiligt?<br />

ca. 70-80 Beteiligte pro Folge<br />

vor und hinter der Kamera<br />

Cast setzt sich zusammen aus:<br />

sechs Hauptdarstellern, bis zu<br />

acht Nebendarstellern,<br />

Komparsen, Crew über 50 Leute<br />

Catering:<br />

Bei ungefähr 50 Leuten am<br />

Set werden ca. 15.<strong>20</strong>0 Brötchen<br />

im Jahr benötigt … alles<br />

andere ist schwer zu sagen,<br />

weil es variiert.<br />

Ilona Brokowski<br />

arbeitet seit 26 Jahren als<br />

Synchronschauspielerin und<br />

seit einigen Jahren auch<br />

als Dialogbuchautorin und<br />

Synchronregisseurin. Seit<br />

<strong>20</strong>06 ist sie in der Redaktion<br />

der Unsyncbar und seit diesem<br />

Jahr Teil der Redaktion<br />

des <strong>Schauspiegel</strong>s – ihr<br />

Hauptaugenmerk war und<br />

ist, die Kommunikation in der<br />

Branche zu verbessern. Sie<br />

lebt mit Mann, Kindern und<br />

Katzen in Berlin.<br />

Pierre Besson am Set von SOKO Köln<br />

Pierre Besson<br />

wurde 1967 in Ost-Berlin<br />

geboren. Er ist der Sohn der<br />

deutschen Schauspielerin<br />

Ursula Karusseit und des<br />

Schweizer Theaterregisseurs<br />

Benno Besson und<br />

Halbbruder von Katharina<br />

Thalbach und Philippe Besson.<br />

Seit <strong>20</strong>11 spielt er die<br />

Rolle des Kriminalhauptkommissars<br />

Matti Wagner<br />

in der ZDF-Serie Soko Köln.<br />

KurzInterview mit<br />

Schauspieler Pierre Besson<br />

Ilona Brokowski: Pierre<br />

Besson, wie lange bereiten Sie sich<br />

auf die Dreharbeiten vor?<br />

Pierre Besson: Vorbereitung<br />

ist wichtig. „Text wie Wasser können<br />

und nicht an die Möbel stoßen“:<br />

Das A und O beim Spielen.<br />

I. B.: Haben Sie Rituale, um nach<br />

einem Drehtag abzuschalten?<br />

P. B. : Nach der Arbeit gibt es Bier.<br />

Besser kann man nicht abschalten.<br />

Kino oder Theater sind dann tabu.<br />

Höchstens eine Kochshow im TV.<br />

I. B.: Gibt es beim Dreh einer<br />

Staffel auch gewisse Rituale mit<br />

den Kolleg*innen? Unterscheiden<br />

sich diese von Staffel zu<br />

Staffel oder bleiben sie gleich?<br />

P. B. : Das Team fluktuiert personell<br />

immer wieder. Da wird es schwierig<br />

mit den Ritualen. Aber vielleicht<br />

sollten wir mal über so eine Art<br />

Feuertaufe ab einer gewissen Anzahl<br />

an Drehtagen nachdenken. Ähnlich<br />

eklige Sachen wie bei einer<br />

Äquatorüberquerung fände ich gut.<br />

I. B.: Welches war der witzigste<br />

Dreh bzw. die Szene, die Ihnen<br />

von dieser Staffel am meisten<br />

im Gedächtnis geblieben ist?<br />

P. B. : Die witzigsten Vorkommnisse<br />

seht ihr am besten in unseren,<br />

regelmäßig auf Facebook<br />

bzw. YouTube ausgegebenen,<br />

Outtakes. Das muss man<br />

einfach gesehen haben.<br />

63


RUBRIK<br />

„Ich fände es<br />

toll, wenn man als<br />

Synchronschauspieler*in<br />

nur nach<br />

der Stimme und<br />

dem Können gebucht<br />

wird und nicht nach<br />

der Herkunft!“<br />

Minh-Khai Phan-Thi<br />

Foto:


RUBRIK<br />

Sprache/Synchron<br />

Foto:<br />

65


Diversität,<br />

Schubladen und<br />

Akzeptanz am Mikro<br />

Gibt es in der Synchronbranche<br />

Benachteiligungen durch Hautfarbe<br />

oder sexuelle Identität?<br />

Interview mit Schauspielerin und<br />

Regisseurin Philippa Jarke<br />

Das Thema Diversität für diese Ausgabe<br />

hat mich vor einige Probleme<br />

gestellt. Denn der erste Gedanke war,<br />

dass es ein sehr spannendes Thema<br />

ist, dass ich tausend Fragen habe,<br />

und dass ich gern darüber schreiben<br />

möchte. Der zweite Gedanke war: Wie soll ich an<br />

die notwendigen Informationen kommen, wenn<br />

ich mich selbst nicht stigmatisiert, diskriminiert<br />

oder benachteiligt fühle? Kann ich das überhaupt?<br />

Ich kann, wenn ich meine eigenen Erfahrungen mit<br />

einbeziehe und wenn ich mit anderen Leuten über<br />

ihre Erfahrungen spreche. Denn wir werden alle völlig<br />

unabhängig von Hautfarbe, Aussehen und sexueller<br />

Identität tagtäglich mit Vorurteilen konfrontiert.<br />

Regisseur*innen stecken uns und unser Können in<br />

gewisse Schubladen. Aufnahmeleiter*innen machen<br />

das auch. Das ist per se erstmal nichts Schlechtes.<br />

Sie kennen im besten Fall unsere Qualitäten, unsere<br />

Stimmfarbe, die beruflichen Erfahrungen, die wir<br />

bisher gesammelt haben und überprüfen dann, ob<br />

wir damit dem aktuellen Job bzw. einer zukünftigen<br />

Rolle gewachsen sein könnten. Es ist aber auch<br />

nicht selten, dass die Stimme der Originalschauspieler*in<br />

gar nicht im Vordergrund<br />

steht, sondern das Aussehen des Originals.<br />

66


Sprache /Synchron<br />

Da kommen dann Kollegen ins Studio und fragen,<br />

ob Ilona die synchronisieren würde, die sähe ja genauso<br />

aus.<br />

26 Jahre in dieser Branche haben mich gelehrt,<br />

dass es tausend Schubladen gibt, in die man gesteckt<br />

werden kann: zu jung, zu alt, kompliziert, zu hoch,<br />

wenig Zeit, schnell-sprechend – um nur einige zu<br />

nennen. Und diese Schubladen machen ja auch eine<br />

Besetzung zum Teil erst möglich. Es gibt aber einen<br />

schmalen Grat zwischen künstlerischer Bewertung<br />

und Diskriminierung bzw. Ausgrenzung. Offenheit<br />

und vor allem die Bereitschaft auch „außerhalb der<br />

Norm“ zu denken, Schubladen zu vergrößern oder<br />

zu erweitern und Dinge auszuprobieren, können die<br />

Arbeit im Synchronstudio entschieden bereichern.<br />

Denn für die Synchronisation einer Rolle ist es unerheblich,<br />

ob der Synchronschauspieler hetero- oder<br />

homosexuell ist und auch ob die Synchronschauspielerin<br />

afroamerikanischer, asiatischer oder australischer<br />

Herkunft ist.<br />

Wir sind Schauspieler*innen und können deshalb<br />

in viele Rollen schlüpfen und sie mit Leben<br />

füllen. Das Original gibt die Marschrichtung vor<br />

und die eigenen Fähigkeiten bestimmen dann, ob<br />

man für diese Rolle geeignet ist und wie man sie<br />

mit Leben füllt.<br />

Die Erfahrungen der Kolleg*innen unterscheiden<br />

sich sehr stark und ich kann an dieser Stelle<br />

leider nicht ausschließen, dass es Benachteiligung,<br />

Stigmatisierung und Diskriminierung in der Branche<br />

gibt. Denn jede*r einzelne hat eigene Geschichten<br />

zu erzählen und andere Erfahrungen gemacht.<br />

Doch im Gespräch mit meiner Kollegin Philippa<br />

Jarke habe ich festgestellt, dass die Synchronbranche<br />

in weiten Teilen schon toleranter und offener<br />

ist, als manch andere Branche. Ihre Geschichte<br />

lässt hoffen, dass in der Synchronbranche jedem<br />

die Möglichkeit geboten wird, durch Qualität zu<br />

überzeugen und Äußerlichkeiten tatsächlich „außen<br />

vor“ bleiben.<br />

Ilona Brokowski: Wann hast Du Dich als Transfrau<br />

geoutet und hast Du vorher schon in der Branche<br />

gearbeitet?<br />

Philippa Jarke: Ich habe mich Mitte <strong>20</strong>18 als<br />

Transfrau in der Branche geoutet. Vorher habe ich<br />

als Filmemacher, Schauspieler, Synchronsprecher –<br />

und Synchronregisseur gearbeitet und war Inhaber<br />

einer Film- und Synchron Produktionsfirma.<br />

I. B.: Erzähle von Deinen Erfahrungen mit Kolleg*innen,<br />

der Aufnahmeleitung und mit Regisseur*innen.<br />

P. J.: Bisher hatte ich das Glück nur aufgeschlossenen<br />

Menschen zu begegnen, die mich mit offenen<br />

Armen empfangen haben. Natürlich stand anfangs<br />

schon die Frage im Raum, auf welche Rollen man<br />

mich besetzen kann. Es lag eine Verunsicherung<br />

in der Luft, ob ich weiterhin Männerrollen<br />

sprechen kann. Da ich die erste offizielle<br />

Transfrau in der Branche bin, gab es natürlich bis<br />

dahin keine Erfahrungswerte auf Seiten der Aufnahmeleiter*innen<br />

und Regisseur*innen. Ich kann sehr<br />

gut nachvollziehen, dass eine gewisse Verwirrung<br />

herrschte. Wird sich meine Stimme verändern?<br />

Möchte ich überhaupt noch Männerrollen sprechen?<br />

Ist es ok, wenn man mich auf homosexuelle<br />

Rollen besetzt? Meine Stimme und mein Spiel hatten<br />

sich ja nicht verändert und je deutlicher ich mit<br />

dieser Information an die Regie und die Aufnahmeleitung<br />

herantrat, desto besser konnten sie mich<br />

einschätzen. Es lag also in erster Linie an mir, für die<br />

nötige Aufklärungsarbeit zu sorgen.<br />

I. B.: Hast Du mit diesen Reaktionen gerechnet?<br />

P. J.: Ich hatte ehrlich gesagt große Sorge und Angst,<br />

mich zu outen. Ich dachte, ich würde es sehr schwer<br />

haben, weiterhin Rollen zu bekommen. Ich habe<br />

aber festgestellt, dass je offener und normaler ich<br />

mit mir und der Situation umgehe, desto weniger<br />

sehen die Kollegen die äußere Verpackung, sondern<br />

einfach den Menschen mit dem man zusammenarbeitet,<br />

lacht und eine gute Zeit hat.<br />

I. B.: Du bist Schauspielerin, welche Rollen werden<br />

Dir angeboten? Und lehnst Du Rollen ab?<br />

P. J.: Die Rollen, die ich sprechen darf, sind männliche<br />

Figuren, bunt gemischt in allen Genres und ich<br />

lehne grundsätzlich gar keine Angebote per se ab.<br />

67


Ich spreche gerne den testosterongesteuerten Special<br />

Forces Soldier, den Sitcom Freak oder den wahnsinnigen<br />

Anime Character. Ich empfinde nicht, dass ich<br />

durch mein Outing rollen-technisch gesehen automatisch<br />

in eine Schublade gesteckt werde, aber dass<br />

ich in letzter Zeit vermehrt auch auf Transen und<br />

Schwule besetzt wurde, finde ich großartig. Es erweitert<br />

nicht nur meine Bandbreite, sondern gibt mir die<br />

Möglichkeit, auch mal so richtig ausgelassen zu<br />

performen. Der Spaßfaktor vor dem Mikrofon ist<br />

also gestiegen und die Auswahl an Rollen ist im Endeffekt<br />

größer geworden.<br />

Erklärt von euch aus, wie die Situation ist. Die<br />

Branche ist aus meiner Erfahrung sehr entspannt<br />

und vielfältig, und wird einem Chancen geben. Als<br />

ich zum ersten Mal als Transfrau ins Synchronatelier<br />

gestolpert bin, hatte ich Monsterpanik, dass ich<br />

das nicht packen werde. Und dann waren die Leute<br />

plötzlich alle völlig cool mit mir. Als wenn gar nichts<br />

gewesen wäre. Ein paar Fragen hier, ein paar Erklärungen<br />

dort und die Sache hatte sich erledigt. Ich<br />

war total entspannt und konnte mich endlich nur<br />

auf mich und den Take konzentrieren. Es war Ruhe.<br />

Endlich angekommen.<br />

I. B.: Gibt es etwas, dass Du verbesserungswürdig<br />

findest?<br />

P. J.: An dieser Stelle kann ich nur eine Lanze für<br />

die Synchronwelt brechen. Ich habe bisher grenzenlose<br />

Toleranz erfahren. Alle Menschen, die ich in der<br />

Branche getroffen habe, sind sehr entspannt, wahnsinnig<br />

liebevoll und total offen mit mir umgegangen.<br />

Ich denke, man muss einfach immer weiter an sich<br />

selbst arbeiten und sich anbieten, dann wird man<br />

auch respektiert.<br />

I. B.: Was würdest Du jungen Kolleg*innen raten, die<br />

Angst davor haben, sich zu outen?<br />

P. J.: Meine Mamma schickt mir vor jedem einzelnen<br />

Job eine „toi toi toi“ WhatsApp-Nachricht und<br />

mein Papa sagte zu mir: Egal, ob du grün, gelb,<br />

dick, dünn oder ´ne Pflanze bist. Das ist deine Natur!<br />

Du bist mein Kind und du bist wunderschön!<br />

Wenn man so viel Liebe und Toleranz aus der Familie<br />

erfährt, ist es natürlich leicht zu sagen: „Outet<br />

euch!!! Easy!!!“ Das Gegenteil ist der Fall. Ich habe<br />

mein Leben lang mit Todes- und Verlustängsten zu<br />

kämpfen gehabt, und es hat mich sehr viel Mut gekostet,<br />

diesen Schritt zu gehen. Aber was die Ehrlichkeit<br />

zu mir selbst und zu meinem Umfeld betrifft,<br />

war er unerlässlich. Ich rate meinen Kolleg*innen,<br />

Mut zu haben und sich selbst zu hinterfragen. Je<br />

offener man mit sich selbst umgeht, desto besser<br />

verstehen einen die Menschen im Umfeld. Nehmt<br />

euch die Zeit, den richtigen Moment für das<br />

Outing abzupassen. Streckt den Leuten die<br />

Hand aus und geht offensiv mit dem Thema um.<br />

I. B.: Hast Du selber noch Gedanken, Wünsche, die<br />

Du erwähnen möchtest?<br />

P. J.: Ich würde gerne die Chance nutzen, um meinem<br />

Disponenten Alessandro Alioto zu danken. Er<br />

hat mich auch schon lange vor meinem Outing unterstützt<br />

und ist seither keinen Millimeter von meiner<br />

Seite gewichen. Dieser Support und diese Liebe<br />

bedeuten mir wahnsinnig viel. Danke Schatzo!<br />

I. B.: Vielen Dank für das interessante und offene<br />

Gespräch.<br />

Philippa Jarke ist am<br />

3.6.1975 in Berlin Wilmersdorf als<br />

Jan-Philipp Jarke geboren. Sie<br />

war mehrfacher deutscher Jugendmeister<br />

in der Leichtathletik und<br />

hat ihr Abitur an der Waldoberschule<br />

Berlin gemacht. Danach folgte ein<br />

Studium der Kommunikation an der<br />

FU Berlin. Sie hat eine Ausbildung<br />

zum Film- und Videoeditor absolviert<br />

und war Inhaber einer Film-Synchronproduktionsfirma<br />

(prämierte Filme<br />

„Geschwisterliebe“, „Wedgetail“). Seit<br />

<strong>20</strong>06 arbeitet Philippa als freie Synchronregisseurin,<br />

Autorin, Schauspielerin<br />

und Synchronschauspielerin.<br />

Über die Autorin<br />

Ilona Brokowski<br />

... lesen Sie auf Seite 63.<br />

Foto: Nadine Renneisen<br />

68


Sprache /Synchron<br />

Der Zeitdruck steigt<br />

Über Wertschätzung und Respekt in der Synchronbranche, die<br />

Gründung der VeSAL und veränderte Arbeitsbedingungen.<br />

Interview mit Aufnahmeleiter Hendrik Meyerhof<br />

Aufnahmeleiter*innen sind als Teil des<br />

Produktionsteams im Wesentlichen<br />

verantwortlich, die Schauspieler*innen<br />

auf die zu synchronisierenden Rollen<br />

zu besetzen. In der Regel betreut er oder<br />

sie mehrere Produktionen gleichzeitig: sichtet die<br />

Filme und Serien, schreibt die Dispos, steht in engem<br />

Austausch mit Kolleg*innen, der Produktionsleitung<br />

und der Regie. Kurz, die Aufnahmeleitung<br />

betreut die „Projekte“ von vorn bis hinten. „Der<br />

absolute Traumjob“ sagen die einen, „arbeiten unter<br />

verschärften Bedingungen“ die anderen.<br />

Denise Kanty: Hendrik, wie sieht der typische Arbeitstag<br />

in der Aufnahmeleitung aus?<br />

Hendrik Meyerhof: Man schaut, welche großen<br />

oder kleinen Rollen man akut noch offen hat und<br />

gleicht das dann mit den Voranmeldungen bzw. der<br />

zeitlichen Verfügbarkeit der Sprecher ab – also Sperrzeiten,<br />

Urlaube etc. Und dann beginnt das große Telefonieren,<br />

da man sämtliche Aufnahmeleiter*innen,<br />

die in den Voranmeldungen vor einem stehen, fragen<br />

muss, ob man einen Sprecher zur gewünschten<br />

Zeit bekommen kann.<br />

Das ist meistens ein riesiges Micro-Management,<br />

weil man dutzende Befindlichkeiten der anderen Gewerke,<br />

also Regie, Cut, Ton, Sprecher und natürlich<br />

auch Wünsche der anderen Aufnahmeleiter erfüllen<br />

muss bzw. sollte. Und am Ende steht dann, meistens<br />

irgendwann am Nachmittag, die jeweilige Dispo des<br />

Folgetages einer Produktion.<br />

Parallel dazu muss man sich oft noch kreative Besetzungen<br />

ausdenken. Das geschieht manchmal komplett<br />

im Alleingang, manchmal zusammen mit der Regie.<br />

Voranmeldungen bei den Sprechern oder Disponenten<br />

müssen für das laufende oder auch für künftige<br />

Projekte gemacht werden. Außerdem muss man dutzende<br />

Projektverträge drucken, sich um kurzfristige<br />

Trailer, Spots, Retakes und Ähnliches kümmern.<br />

D. K.: Der Verband VeSAL wurde am 6. Oktober<br />

<strong>20</strong>15 in den Geschäftsräumen des damaligen IVS gegründet.<br />

Du bist seit der ersten Stunde des VeSAL als<br />

Vorstandsmitglied aktiv. Was hat Euch Gründungsmitglieder<br />

dazu bewogen, Euch zusammen zu tun?<br />

H. M.: Seit Jahren, eigentlich seit dem großen Boom<br />

der vielen Pay-TV-Serien um <strong>20</strong>10 herum, haben<br />

sich die Arbeitsbedingungen bei den Synchronfirmen<br />

für alle Gewerke massiv verschärft. Seit den<br />

vielen Streamingdienst-Produktionen ist das Ganze<br />

noch schlimmer geworden.<br />

Vor <strong>20</strong>10 war es eigentlich Usus, dass man als Aufnahmeleiter<br />

mindestens zwei bis drei Tage im Voraus<br />

seine Dispo geplant hat, gedanklich oft sogar noch<br />

weiter war. Man hatte viel mehr Zeit, sich Besetzungen<br />

zu überlegen und Nachwuchs zu fördern.<br />

Heutzutage ist man oft froh, wenn um 17:15 Uhr die<br />

Dispo für den nächsten Tag steht. Aber selbst wenn<br />

man mal schneller ist, wird man ausgebremst, sobald<br />

man bei den anderen Aufnahmeleiter*innen eine<br />

Frage für den übernächsten Tag stellt: die Antwort<br />

lautet meist: „Kann ich dir jetzt noch nicht sagen, das<br />

musst Du mich morgen nochmal fragen.“<br />

Auch beim Thema Gehälter wächst der Druck.<br />

Manche Aufnahmeleiter*innen, die in dieser Branche<br />

Top-Produktionen betreuen, verdienen nur<br />

Mindestlohn, wovon man sich heutzutage in Berlin<br />

ja nicht mal mehr ne eigene Wohnung leisten kann.<br />

69


Sprache /Synchron<br />

Sprich: Die Diskrepanz zwischen immer schlechteren<br />

Arbeitsbedingungen, dem wachsenden Zeitdruck<br />

bei immer kurzfristiger eintreffendem Arbeitsmaterial<br />

zu den Gehältern der Festangestellten<br />

ist bei den meisten Aufnahmeleiter*innen sicherlich<br />

erheblich. Und das betrifft leider nahezu alle großen<br />

wie kleinen Firmen. Hinzu kommt, dass von manchen<br />

Nachwuchs-Aufnahmeleiter*innen erwartet<br />

wird, dass sie ab ihrer ersten Arbeitswoche eine<br />

Produktion betreuen. Es gibt nur noch sehr wenige<br />

Synchronfirmen, die den Nachwuchs entsprechend<br />

ernsthaft und gewissenhaft anlernen, also quasi die<br />

ersten Monate nur ins Atelier schicken, um ein Gefühl<br />

für die Arbeitsabläufe zu bekommen und die<br />

Stimmen der Sprecher kennenzulernen.<br />

Das führte dazu, dass viele von uns der Meinung<br />

sind, dass sich daran langfristig etwas ändern muss.<br />

Der Anspruch und die hohe Qualität muss sich in<br />

den Arbeitsbedingungen, Gehältern und Ausbildungsmethoden<br />

widerspiegeln – deshalb haben wir<br />

uns zu unserem kleinen Berufsverband zusammengeschlossen.<br />

D. K.: Wie viele Mitglieder hat der Verband?<br />

H. M.: Wir haben aktuell um die 30 Mitglieder bei<br />

ca. 70 klassischen Synchron-Aufnahmeleiter*innen<br />

in Berlin und um die 100 deutschlandweit. So bilden<br />

wir also trotz der überschaubaren Mitgliederzahl<br />

einen durchaus beachtlichen Teil der Branche<br />

ab. Dennoch würden wir uns natürlich noch über<br />

weiteren Mitgliederzuwachs freuen!<br />

D. K.: Der Faktor Zeit verknappt sich für alle Mitarbeiter*innen<br />

in der Synchronbranche. Wie ist da die<br />

Situation für Aufnahmeleiter*innen?<br />

H. M.: Das Problem ist einerseits, dass das Material<br />

immer kurzfristiger kommt oder sich gerne auch<br />

in der laufenden Produktion zeitlich verzögert, also<br />

dass beispielsweise eine angekündigte Final-Schnittfassung<br />

viel später als angekündigt eintrifft. An der<br />

Deadline wird aber nie gerüttelt, egal ob das nun Kinostart<br />

oder Online-Verfügbarkeit ist. Das ist für alle<br />

Gewerke immer eine riesige Herausforderung, vor<br />

allem für Cut und Aufnahmeleitung, das dann trotzdem<br />

noch wie geplant fertig zu bekommen. Und dass<br />

Synchronschauspieler*innen auch Menschen sind,<br />

die nicht dauernd im Keller der Firmen angekettet<br />

jederzeit verfügbar sind, und vielleicht zwischendurch<br />

auch mal krank werden, sodass sie einige Tage<br />

ausfallen, ist dort noch nicht mal eingepreist.<br />

D. K.: Was hat sich in den letzten Jahren noch verändert?<br />

H. M.: Es scheint, dass dem Beruf der Aufnahmeleitung<br />

immer weniger Wertschätzung und Respekt<br />

entgegengebracht wird. Das zeigt sich nicht nur in<br />

den angesprochenen kurzen Ausbildungszeiten des<br />

Nachwuchses, sondern auch darin, dass plötzlich<br />

Praktikant*innen oder auch gerne mal Cutter*innen<br />

zu Aufnahmeleiter*innen werden bzw. aufnahmeleiterische<br />

Tätigkeiten durchführen – und das<br />

wohl nur selten auf eigenen Wunsch hin.<br />

Ich setze mich ja auch nicht ins Studio und entscheide,<br />

was Synchron ist oder drehe an irgendwelchen<br />

Knöpfchen des Tonmeisters rum.<br />

D. K.: Was sind für den VeSAL Ziele für die kommenden<br />

Jahre?<br />

H. M.: Der sogenannte „Runde Tisch Synchron“ ist<br />

seit längerem nicht mehr zusammengekommen. Da<br />

es keinen richtigen Arbeitgeberverband seitens der<br />

Produzenten gibt, werden wir zusammen mit ver.di<br />

die Produzenten einzeln an den Verhandlungstisch<br />

bitten müssen, um langfristig einen Tarifvertrag für<br />

die Aufnahmeleiter*innen, Festangestellte wie Freie,<br />

zu bekommen.<br />

70


Um den Sprecher-Nachwuchs zu<br />

fördern, also neue Leute auszuprobieren,<br />

fehlt aber meistens die Zeit.<br />

Das ist auf jeden Fall das übergeordnete große Ziel,<br />

neben kleineren Zielen. Wir wollen, dass unsere Arbeitgeber<br />

gegenüber den Kunden etwas in der Hand<br />

haben, dass sie, egal an welche Synchronfirma sie<br />

eine Produktion geben, entsprechende Mehrkosten<br />

oder Arbeitsbedingungen vorherrschen müssen –<br />

und das kann eigentlich nur mit einem richtigen Tarifvertrag<br />

wirksam gelingen.<br />

D. K.: Erfahrene Synchronkolleg*innen erzählen davon,<br />

dass früher die Aufnahmeleiter*innen während<br />

der Dreharbeiten im Studio bzw. der Regie anwesend<br />

waren. Warum ist das heute so selten geworden?<br />

H. M.: Es fehlt schlicht die Zeit, sich während des<br />

Disponierens noch genauer mit den Aufnahmen<br />

im Studio zu befassen. Natürlich versucht man als<br />

Aufnahmeleiter immer zu schauen, ob eine Besetzungsidee<br />

im Studio auch gut aufgeht oder wie sie<br />

zeitlich so während der Aufnahmen liegen, aber<br />

man ist einfach den Großteil der Zeit mit anderen<br />

Dingen befasst.<br />

D. K.: Warum werden Sprecher*innen so kurzfristig<br />

gebucht, z.T. 16–17 Stunden vor der Produktion?<br />

H. M.: Auch hier liegt der Grund in den von mir beschriebenen<br />

Arbeitsbedingungen und kurzfristigen<br />

Materialanlieferungen. Die meisten Aufnahmeleiter*innen<br />

sind froh, wenn sie die Dispo für den<br />

nächsten Tag fertig haben. Weitreichendere Planungen<br />

können nur noch in sehr seltenen Fällen oder<br />

bei ganz besonderen Projekten geschehen.<br />

D. K.: Was bedeutet es für die Aufnahmeleitung,<br />

wenn Synchronschauspieler*innen teilweise zahlreiche<br />

Optionen bzw. Voranmeldungen in ihrem<br />

Kalender haben?<br />

H. M.: Dieser Überbuchungswahnsinn führt auch<br />

dazu, dass man kaum noch mit der Dispo hinterherkommt.<br />

Für die Besetzung einer kleinen 6-Take-Rolle<br />

von max. 30 Minuten Aufnahmezeit telefonieren<br />

wir mitunter zwei bis drei Stunden, weil zwölf Voranmeldungen<br />

vor einem stehen. Und es gibt nun mal<br />

besetzungsintensive Produktionen, das heißt viele<br />

kleine Rollen, die alle gut besetzt werden müssen.<br />

Aber auch mangelnder qualifizierter Nachwuchs<br />

führt zu überproportionalen Voranmeldungen. Hätten<br />

wir genug Sprecher*innen, die auch in der Lage<br />

sind, große wie kleine Rollen zu sprechen, würden<br />

sich die Besetzungen auf mehr Leute verteilen. Um<br />

den Sprecher-Nachwuchs zu fördern, also neue Leute<br />

auszuprobieren, fehlt aber meistens die Zeit.<br />

D. K.: Gibt es irgendwelche Veränderungen, die Du<br />

Dir wünschst?<br />

H. M.: Neben den Verbesserungswünschen für die<br />

angesprochenen Probleme, würde ich mir wünschen,<br />

dass wir in dieser Branche trotz des vielen<br />

Stresses, vielleicht einfach mal ein bisschen entspannter<br />

werden: Weder sind wir Hirnchirurgen<br />

noch Nuklearphysiker, wir retten auch nicht das<br />

Klima des Planeten – wir machen hier immer noch<br />

pures Entertainment, nicht mehr und nicht weniger.<br />

D. K.: Vielen Dank, Hendrik, für das schöne Gespräch<br />

und weiterhin viel Erfolg für den VeSAL.<br />

Hendrik Meyerhof ist seit <strong>20</strong>06 Synchron-<br />

Aufnahmeleiter. Seinen Beruf lernte er bei der<br />

Synchronfirma Cinephon. Er ist Gründungsmitglied<br />

des ersten Verbandes Synchron Aufnahmeleitung in<br />

Deutschland. Er lebt mit seiner Familie in Berlin.<br />

Über die Autorin Denise Kanty<br />

... lesen Sie auf Seite 53.<br />

71


Aus dem Off ...<br />

Technik, die entbegeistert!<br />

VON SCHAUSPIELER STEFAN KRAUSE<br />

Von dem vielen technischen Schnickschnack,<br />

der einen nicht zuletzt in Synchronstudios<br />

umgibt, sind meine Favoritinnen<br />

eindeutig die schicken, digitalen<br />

Anzeigetafeln, auf denen man im Eingangsbereich<br />

sehen kann, wer gerade wo und was<br />

aufnimmt. Diese Tafeln, die im Design den Infowänden<br />

auf Flughäfen nachgebildet sind, geben dem Ort<br />

sofort ein internationales und modernes Flair.<br />

Andere Firmen begnügen sich noch immer mit<br />

dem (analogen) Auslegen der aktuellen Dispo-Listen,<br />

was den gleichen Zweck erfüllt, nämlich zu informieren,<br />

in welches Studio man gehen muss, um<br />

selbst zu sprechen – oder nette Kolleg*innen zu besuchen<br />

und bei der Arbeit zu stören…<br />

Bei der Gestaltung der Rubriken einer solchen<br />

Anzeigetafel sieht man dann zum Beispiel Folgendes:<br />

Atelier Zeit Titel<br />

Studio A<br />

Regie Tonmeister Cutter<br />

Man könnte natürlich auch Ton und Cut als Bezeichnungen<br />

wählen, was ebenso neutral wie Regie<br />

wäre, aber es sind eben mal wieder die männlichen<br />

Begriffe gewählt worden. Und die schließen<br />

ja die weibliche Form mit ein, wie immer wieder<br />

von informierter Seite klargestellt wird. Neben Modernem<br />

finden sich in den Studios aber auch jede<br />

Menge formschöner und praktischer Antiquitäten:<br />

Zuweilen wurden z.B. hochmoderne Pulte wieder<br />

durch alte Notenständer (geschätzt: aus den 80er<br />

Jahren) ersetzt, weil die dann doch praktischer<br />

sind. Ein weiteres, verblüffendes Phänomen ist die<br />

Tatsache, dass häufig eine antike VHS-Cassette(!)<br />

dazu dient, den Dialogbuch-Ordner so auf Höhe zu<br />

bringen, dass in Richtung Mikrofon und nicht „auf ’s<br />

Pult“ gesprochen wird.<br />

Apropos auf ’s Pult: Dorthin strahlt Licht. Licht,<br />

das man braucht, um den Text lesen zu können.<br />

Aber nicht jede Lichtquelle erfüllt blendfrei diese<br />

schlichte Anforderung. Und das Teuerste ist auch<br />

nicht immer das Beste. Aber das Billigste auch<br />

oft gerade gut genug. Das Lichtdesign, d. h. eine<br />

(regelbare) Mischung aus Raumhelligkeit, Pultbeleuchtung<br />

und Strahlkraft des TV- oder Beamer-Bildes<br />

kann in den verschiedenen Studios sehr<br />

unterschiedlich sein. Deshalb: Vorsicht in dunklen<br />

Ateliers! Stolperfallen lauern oft direkt hinter<br />

der Tür. Zumindest fällt man dann (dem X-en sei<br />

Dank!) nicht mehr so häufig über oder gar auf dort<br />

sitzende Kolleg*innen.<br />

Auch beim Mobiliar – vor und im Atelier – findet<br />

sich Neues (z.B. Modell „Ganz in Weiß“ oder „Ein<br />

Hauch von Asien“) neben Stühlen, Tischen und<br />

Couchgarnituren, die augenscheinlich beim erfolgreichen<br />

Beutezug eines „Trödel-Trupps“ ergattert<br />

wurden. Die sind dafür jedoch wiederum bequem<br />

und fast schon gemütlich. Weil vor vielen Studios<br />

aber auch häufig gar keine Sitzgelegenheiten mehr<br />

angeboten werden, hocken dort (bei Ensemble-Terminen)<br />

erwachsene Menschen auf dem Fußboden,<br />

oder sie lesen, telefonieren oder chatten im Stehen –<br />

nicht anders als in Bus & Bahn im Berufsverkehr.<br />

Insgesamt ist es beruhigend, dass unsere Arbeit<br />

nicht gänzlich durch neue Technik umgekrempelt<br />

wird, sondern dass es doch immer noch Nischen für<br />

nützliche Dinge aus der guten alten Zeit gibt. Aber<br />

wohin sind bloß die vielen Aschenbecher von damals<br />

verschwunden?<br />

72


Sprache /Synchron<br />

Aus dem Off ...<br />

Autsch! oder<br />

Von der Aufnahmeleiter<br />

gefallen<br />

von Stefan Krause<br />

Foto: Lutz Rohrbeck<br />

Es ist eine bekannte Tatsache, dass es nicht<br />

immer aus dem Wald herausschallt, wie man<br />

in ihn hineinruft. Freundlichkeit und gegenseitiger<br />

Respekt werden (besonders an dieser<br />

Stelle) zwar immer wieder eingefordert, aber gelten<br />

bei einigen Menschen weiterhin eher als überbewertet.<br />

Dass es auch im Verdeutschungs-Gewerbe<br />

Hierarchien gibt, Vorgesetzte und Nachgeordnete,<br />

Wichtige und „ganz Wichtige“, wird niemand ernsthaft<br />

leugnen. Aber dabei macht im Miteinander<br />

eben auch der Ton die Musik…<br />

Beim Thema Diversität muss man sensibel sein,<br />

nicht zuletzt, was die Sprache beziehungsweise bestimmte<br />

Formulierungen oder Schreibweisen angeht.<br />

Ein einfaches Beispiel: Es heiSSt „die Aufnahmeleiter“.<br />

Der Begriff beschreibt eine<br />

spezielle Leiter, von der aus man einen guten<br />

Überblick auf die laufenden Aufnahmen hat<br />

(nicht zu verwechseln mit einem sogenannten „hohen<br />

Ross“).<br />

Nun schrieb neulich eine Kollegin eine freundliche<br />

Nachricht mit der Anrede „Liebe Aufnahmeleiter*innen<br />

der…XY!“ Die Antwort kam postwendend – und<br />

zwar von ganz oben: „…Verzichte auf Anreden wie<br />

‚Aufnahmeleiter*innen’ oder ‚AufnahmeleiterInnen’.<br />

Der Beruf ist der des Aufnahmeleiters. Alles andere<br />

ist schlicht falsch, auch wenn es gerade ziemliche<br />

Mode ist.“ Das ist zwar noch nicht mal der gesamte<br />

Text, aber auch diese Zeilen lassen einen schon ein<br />

wenig schaudern. Nicht vor der geballten Stringenz<br />

der Beweisführung, sondern eher vor dem Ton, der<br />

da angeschlagen wird. Denn er klingt nicht gut.<br />

Jeder klingt bei uns anders. Und das meint nicht<br />

nur die Stimmen der Sprechenden, sondern aller<br />

Beteiligten: Die lauten und die leisen, die tiefen<br />

und die hohen, die warmen und die kühlen. Das ist<br />

nicht immer harmonisch, aber so ist das eben nun<br />

mal bei einer „großen Familie“. Da geht es manchmal<br />

ganz schön durcheinander. Nur: Von oben herab<br />

– das geht gar nicht.<br />

Schmuddelecke<br />

von Stefan Krause<br />

Manchmal holt einen die Geschichte ein, besser gesagt:<br />

alte Geschichten… Im Jahr <strong>20</strong>14 berichteten wir<br />

zum ersten Mal über eine bekannte Synchron-Firma,<br />

bei der grundsätzlich ohne CutterIn im Atelier gearbeitet<br />

wurde, eine Arbeitsweise, die der damalige IVS<br />

für nicht akzeptabel hielt. Sicher auch deshalb wurde<br />

von dieser Firma betont, dass (trotzdem) viele namhafte<br />

Kolleg*innen genau zu diesen Bedingungen<br />

gern bei ihnen arbeiten würden.<br />

Als mir vor einigen Wochen dort eine Hauptrolle<br />

angeboten wurde, fragte ich, wie das Thema Cut<br />

denn heute „gehandhabt“ würde? Antwort: „Normalerweise<br />

wird ohne Cutterin aufgenommen, auf<br />

besonderen Wunsch aber auch mit“ – aber das gäbe<br />

es nur selten.<br />

Auch wenn ich es mehr als bedauerlich finde, dass<br />

Kolleg*innen ihren eigenen Kodex unterlaufen (vorausgesetzt,<br />

sie sind BFFS-Mitglieder), ist das nicht<br />

“verboten” – und nicht zu verhindern. Ich habe<br />

trotzdem dankend abgelehnt. Schön dumm?<br />

Stefan Krause<br />

synchronisiert schon seit<br />

analogen Zeiten in Hamburg,<br />

München und (hauptsächlich)<br />

Berlin. Er ist seit Anbeginn<br />

Mitglied des IVS und der<br />

Gewerkschaft ver.di und seit<br />

<strong>20</strong>07 in der Redaktion der<br />

UNSYNCBAR. Er lebt, liest<br />

und arbeitet autolos &<br />

mobil in Berlin-Kreuzberg.<br />

73


Der<br />

Ton ist<br />

wieder<br />

roher<br />

und<br />

rauer<br />

Über die Höhen und<br />

Tiefen der letzten<br />

<strong>20</strong> Jahre, berufliche<br />

Diskriminierung<br />

und der Umgang mit<br />

dem weltweiten<br />

Rechtsruck.<br />

INTERVIEW MIT SCHAUSPIELERIN<br />

MINH-KHAI PHAN-THI<br />

Minh-Khai Phan-Thi ist Schauspielerin<br />

und steht nicht nur vor der Kamera, sondern<br />

synchronisiert auch seit vielen Jahren.<br />

Sie spricht über Rassismus, die politische<br />

Entwicklung in Deutschland und warum die<br />

Zeit reif ist, jetzt auch eigene Projekte zu initiieren.<br />

Antoine Monot, Jr: Liebe Minh-Khai, als wir vor<br />

kurzem zusammen gedreht haben, hast Du mich<br />

darauf aufmerksam gemacht, dass Du Fragen nach<br />

„Woher kommst Du?“ mit „aus Darmstadt“ beantwortest<br />

und Du Dir wünschst, dass man Dich stattdessen<br />

nach Deinen Wurzeln fragt. Warum ist das<br />

so wichtig?<br />

Minh-Khai Phan-Thi: Die Frage: „Woher kommst<br />

du?“ bedeutet für mich immer zeitgleich „Du<br />

kommst nicht von hier, und das stimmt ja nicht. Ich<br />

74


Sprache /Synchron<br />

Foto: Andre Röhner<br />

komme von hier, bin hier geboren und aufgewachsen.<br />

Meine Eltern kommen nicht von hier, sie stammen<br />

aus Vietnam.<br />

Ich weiß immer, dass das die eigentliche Frage<br />

meines Gegenübers ist. Wieso siehst du so aus, wie<br />

du aussiehst? Wenn wir beide nebeneinander sitzen<br />

würden, dann werde meist nur ich gefragt: „Woher<br />

kommst du?“ Ich weiß, dass das Neugierde ist und<br />

der Fragende es nicht böse meint, sondern nur wissen<br />

will, warum ich ein asiatisches Aussehen habe.<br />

Trotzdem wünsche ich mir, dass der oder die Fragende<br />

dann aber auch mir die Frage so stellt: „Woher<br />

kommen deine Eltern?“ Oder noch besser, wo sind<br />

deine Wurzeln? Das beinhaltet für mich immer:<br />

„Du kommst von hier! Du gehörst dazu!“<br />

Wir sprechen seit Jahrzehnten von Integration,<br />

Ankommen, Zugehörigkeit. All das kann – meiner<br />

Meinung nach – aber nur stattfinden, wenn sich<br />

auch die Fragen, die Sensibilität – und das damit dazugehörige<br />

Bewusstsein über Menschen mit Migrationshintergrund<br />

ändert.<br />

A. M.: Es etabliert sich der Begriff PoC, People of Color.<br />

In England hat sich inzwischen BAME für Black<br />

Asian Minorithy Ethics etabliert, der aber auch immer<br />

wieder kritisiert wird. Wo fühlst Du Dich persönlich<br />

angesprochen und zugehörig?<br />

M.-K. P.-T.: Weder zu dem einen, noch zu dem anderen.<br />

Ich habe es nicht so mit Gruppenzugehörigkeit,<br />

kann aber verstehen, wenn man sich darüber definieren<br />

will. Ich fühle mich als Deutsche mit Migrationshintergrund.<br />

A. M.: Wie politisch bist Du, das Thema Diversität<br />

betreffend?<br />

M.-K. P.-T.: Ich bin sehr politisch – schon immer<br />

gewesen. Mein Papa hat mich früh politisch und<br />

weltoffen erzogen. Bei uns zu Hause wurde und wird<br />

viel über Politik und Sport diskutiert. Ich wurde<br />

Die Frage<br />

„Wo sind<br />

deine<br />

Wurzeln?“<br />

beinhaltet<br />

für mich<br />

immer:„Du<br />

kommst<br />

von hier!<br />

Du gehörst<br />

dazu!“<br />

schon oft zu Panel-Diskussionen zum Thema Diversität<br />

eingeladen und engagiere mich leidenschaftlich<br />

für dieses Thema. Seitdem ich Schauspielerin<br />

und Moderatorin bin, habe ich das Privileg, gehört<br />

zu werden. Oberste Priorität für das Thema Diversität<br />

und Integration ist, dass die Bereitschaft und<br />

die Diskussionen von beiden Seiten geführt werden<br />

müssen! Aufeinander zugehen, einander zuhören<br />

und das Verständnis füreinander kann nur im gegenseitigen<br />

Einverständnis erfolgen.<br />

A. M.: Du gehörst zur ersten Generation der asiatischen<br />

Schauspieler*innen in Deutschland und hast<br />

einen großen Einfluss auf das heutige Bild und die<br />

jungen Kolleg*innen. Gibt es etwas, was Dir wichtig<br />

ist, wie asiatische oder vietnamesische Geschichten<br />

erzählt werden sollen?<br />

M.-K. P.-T.: Das ist gerade mein Herzensthema! Aktuell<br />

arbeite ich an einem Projekt, in dem ich versuche,<br />

all meine vietnamesisch-deutschen Kollegen<br />

zusammenzubringen, um unsere Geschichte zu erzählen.<br />

Die Vietnamesen sind ja weitestgehend unsichtbar<br />

und laufen unter dem Radar. Dabei leben in<br />

Deutschland ca 125.000 Vietnamesen, davon haben<br />

ca 40.000 auch die deutsche Staatsbürgerschaft. Fast<br />

jeder hat einen vietnamesischen Gemüse- oder Blumenhändler,<br />

geht zum Vietnamesen essen, lässt sich<br />

die Fingernägel dort machen oder kauft um die Ecke<br />

Zeitungen oder Zigaretten. Kaum einer weiß aber<br />

etwas über sie. Ich versuche sie sichtbar zu machen.<br />

Es gibt mittlerweile so tolle vietnamesisch-deutschen<br />

Kolleg*innen – sowohl vor, als auch hinter<br />

der Kamera – die ich zusammenbringen möchte. Ich<br />

bin wie eine stolze große Schwester und es wird Zeit,<br />

dass wir uns zeigen!<br />

A. M.: Wenn Du engagiert wirst und ein Drehbuch<br />

angeboten bekommst, worauf achtest Du dabei vor<br />

allem?<br />

75


Sprache /Synchron<br />

M.-K. P.-T.: Ich habe das Glück, dass ich seit langer<br />

Zeit dabei sein darf – also seit fast <strong>20</strong> Jahren –<br />

und in den letzten zehn – fünfzehn Jahren hat sich<br />

auch mein Rollenprofil geändert. Ich darf fast alles<br />

spielen. Ich werde also nicht mehr auf „die Asiatin“<br />

reduziert. Im Gegenteil, aktuell stehe ich für einen<br />

Vierteiler der ARD Degeto unter der Regie von<br />

Andreas Herzog als „Bettina Meier“ vor der Kamera.<br />

Auch bei unserem gemeinsamen Dreh war ich<br />

die hessische Taxifahrerin „Marlene“. Ich achte also<br />

bei meiner Rollenwahl – wie alle Kollegen auch –<br />

auf das Buch, den Regisseur und vor allem auf die<br />

Rolle, ob ich eine Vision zu der Figur habe.<br />

A. M.: Inwiefern hat sich aus Deiner Sicht das Thema<br />

Migration in den letzten <strong>20</strong> Jahren verändert?<br />

M.-K. P.-T.: Es gibt seit <strong>20</strong> Jahren Höhen und Tiefen.<br />

Aktuell machen wir leider – durch den weltweiten<br />

Rechtsruck – und die vielen populistischen<br />

Politiker – wieder mehrere Schritte zurück. Der<br />

Ton auf der Straße ist wieder roher und rauer. Der<br />

kleine Mann hat durch die AfD eine legale und laute<br />

Stimme bekommen und traut sich Menschen mit<br />

Migrationshintergrund verbal und auch körperlich<br />

anzugreifen. Die sozialen Medien tun ihr übriges.<br />

Jeder kann seinen Hass, Frust und seine Kleingeistigkeit<br />

ungefiltert und unzensiert kundtun. Umso<br />

wichtiger ist es, dass wir Filmschaffende dagegen<br />

halten und die Diversität in Filmen abbilden. Wir<br />

müssen die Welt wieder groß und nicht klein und<br />

eng machen. Ich finde es schade, dass wir beispielsweise<br />

keine Paare in Filmen zeigen, die einen diversen<br />

Hintergrund haben, ohne dabei groß darauf<br />

einzugehen. Aber: Es ist wirklich schon alles besser<br />

geworden!<br />

76<br />

Ich<br />

empfinde<br />

es eher<br />

als diskriminierend,<br />

wenn man<br />

nur als<br />

Asiate einen<br />

Asiaten<br />

synchronisieren<br />

darf<br />

oder nur<br />

als Schwarzer<br />

einen<br />

Schwarzen.<br />

A. M.: Du synchronisierst seit einigen Jahren die vietnamesische<br />

Schauspielerin Hong Chau („Downsizing“),<br />

die amerikanische Muttersprachlerin ist.<br />

Kam es vor, dass Du in der deutschen Synchronisierung<br />

mit Akzent spielen musstest, obwohl sie im<br />

Original akzentfrei gesprochen hat?<br />

M.-K. P.-T.: Nein, wenn sie ohne Akzent spricht,<br />

dann habe ich sie natürlich auch ohne Akzent gesprochen.<br />

In Downsizing spricht sie mit einem vietnamesischen<br />

Akzent und deshalb habe ich sie natürlich<br />

auch mit Akzent synchronisiert.<br />

A. M.: Was war für Dich die größte Herausforderung<br />

bei der Synchronisierung von Hong Chau?<br />

M.-K. P.-T.: Grundsätzlich braucht man im Englischen<br />

viel weniger Worte – im Gegensatz zur deutschen<br />

Sprache – um Dinge exakt auszudrücken. In<br />

dem Film „Inherent Vice“ spricht und spielt Hong<br />

Chau aber so schnell, dass ich doppelt so schnell<br />

sprechen musste. In Downsizing sprach sie mit Akzent<br />

und ich musste mir den erst einmal draufschaffen.<br />

Aber auch das war nicht sonderlich schwer. Ich<br />

habe dann meine Eltern ein paar Sätze einlesen lassen.<br />

Mir kam der Akzent dieses Jahr auch zugute,<br />

weil ich im Sommer einen Film in einer Hauptrolle<br />

gedreht habe, in dem ich das erste Mal nach zehn<br />

Jahren wieder mit Akzent gespielt habe. Und das hat<br />

wirklich mega Spaß gemacht. Während den langen<br />

Umbaupausen bei Dreharbeiten parodiere ich sowieso<br />

ziemlich häufig Thaifrauen. Das sorgt immer<br />

für Lacher.<br />

A. M.: Du sprichst akzentfrei Deutsch, synchronisierst<br />

Du eigentlich auch nicht-asiatische Schauspielerinnen?<br />

M.-K. P.-T.: Ich bekomme immer sehr viel Lob für<br />

meine Synchronarbeit, werde aber komischerweise<br />

immer nur für asiatisch-amerikanische Schauspieler<br />

besetzt. Meiner Stimme hört man ja nicht an, dass<br />

ich einen asiatischen Background habe. Ich würde<br />

liebend gern mehr synchronisieren. Ich habe einen<br />

Heidenrespekt vor Synchronschauspieler*innen und<br />

lerne jedes Mal etwas dazu. Nur mit der Stimme zu<br />

arbeiten, ist eine große Herausforderung, der ich<br />

mich gerne öfter stellen würde. Ich träume davon,<br />

meine Stimme endlich einer Animationsfigur leihen<br />

zu dürfen. Zweimal war ich schon knapp davor. Irgendwann<br />

wird es hoffentlich klappen!<br />

A. M.: Randolf Kronberg hat bis zu seinem Tod Eddie<br />

Murphy synchronisiert. Er gab ihm eine sehr<br />

hohe lustige Stimme. Murphy hat im Original aber<br />

eine viel tiefere Stimme. Ist es ein Problem, wenn<br />

Weiße Schwarze oder Asiaten synchronisieren und


ihnen eine lustige oder böse Stimme geben, obwohl<br />

das im Original anders ist?<br />

M.-K. P.-T.: Nein, das finde ich überhaupt nicht. Im<br />

Gegenteil, ich empfinde es eher als diskriminierend,<br />

wenn man nur als Asiate einen Asiaten synchronisieren<br />

darf oder nur als Schwarzer einen Schwarzen.<br />

Ich fände es toll, wenn man als Synchronsprecher<br />

nur nach der Stimme und dem Können gebucht<br />

wird, und nicht nach der Herkunft!<br />

A. M.: In Bezug auf Diversität, was wünschst Du Dir<br />

für die Zukunft?<br />

M.-K. P.-T.: Dass die Filmschaffenden mutiger werden<br />

und mehr divers besetzen, ohne dass es in der<br />

Rollenbeschreibung steht. Je diverser wir in Filmen<br />

die Realität abbilden und selbstverständlicher wir<br />

Ich<br />

wünsche<br />

mir, dass<br />

die Filmschaffenden<br />

mehr<br />

divers<br />

besetzen,<br />

ohne dass<br />

es in<br />

der Rollenbeschreibung<br />

steht.<br />

damit umgehen, desto einfacher wird unsere Gesellschaft<br />

mit der Vielfältigkeit umgehen. Zumindest ist<br />

das meine große Hoffnung!<br />

A. M.: Vielen Dank für das interessante Gespräch.<br />

Minh-Khai Phan-Thi wuchs als Kind vietnamesischer<br />

Einwanderer zunächst in Darmstadt und später in München<br />

auf. Sie ist eine deutsche Schauspielerin, Fernsehmoderatorin,<br />

Regisseurin und Drehbuchautorin und lebt in Berlin.<br />

Erste Bekanntheit erlangte sie durch ihre Arbeit beim<br />

Musiksender VIVA, später profilierte sie sich als Charakterdarstellerin<br />

in Film und Fernsehen.<br />

Über den Autoren Antoine Monot, Jr.<br />

... lesen Sie auf Seite 29.<br />

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auf und hinter der Bühne/<br />

vor und hinter der Kamera<br />

Foto:<br />

77


Sprache /Synchron<br />

Der Aufnahmeleiter sieht alles<br />

Wie Arbeitsabläufe vereinfacht werden und auch neue<br />

Synchronschauspieler*innen eine Chance erhalten.<br />

Screenshots<br />

der produb App<br />

Interview mit Björn Steiner von SDI Media<br />

E<br />

s gibt eine neue App, die wie eine Community<br />

funktionieren soll. Über die Herausforderungen<br />

und die Vorbehalte innerhalb der<br />

Synchronbranche erzählt Björn Steiner von<br />

der Synchronfirma SDI Media dem Schauspieler<br />

Dominik Auer.<br />

Dominik Auer: Wir haben ein Thema, und zwar<br />

heißt das magische Wort: produb App.<br />

Björn Steiner: Die Grundidee dahinter ist, dass<br />

wir unseren Sprecherpool erweitern wollen, um unseren<br />

Kunden, jetzt wo der Markt boomt, eine größere<br />

Stimmenvielfalt bieten zu können. Das war der<br />

Stein des Anstoßes.<br />

D. A.: Wie kann ich mir das konkret vorstellen?<br />

B. S.: produb ist konzipiert als eine Synchroncommunity,<br />

wie eine Art Netzwerk. Das betrifft vor<br />

allem Sprecher*innen und Sänger*innen, aber es<br />

deckt auch die ganze Bandbreite des Synchronbusiness<br />

ab, also es ist auch für Regisseur*innen, Autor*innen,<br />

Übersetzer*innen, Tonmeister*innen<br />

und Cutter*innen gemacht.<br />

SDI hat sich gesagt, wir müssen moderner werden,<br />

mit der Zeit gehen und endlich den Schritt<br />

ins digitale Zeitalter wagen. „Wie kriegen wir mehr<br />

Sprecher rein?“ war natürlich unwillkürlich das Thema<br />

der Aufnahmeleitung und dort haben wir angesetzt:<br />

Immer weniger Zeit für Produktionen, die<br />

Sprecher*innen sind schwerer verfügbar, Planungen<br />

werden komplizierter, deshalb haben wir überlegt,<br />

wie wir effizienter werden können, ohne die gängige<br />

Arbeitsweise völlig auf den Kopf zu stellen.<br />

Der Grundgedanke ist, dass man sich bei der App<br />

registriert und zunächst einen Qualifikationsprozess<br />

durchläuft. Es werden Fragen zu den jeweiligen Qualifikationen,<br />

zu den Erfahrungen und zusätzlichen<br />

Fähigkeiten gestellt und jedes einzelne Profil wird<br />

bestätigt. Das heißt, die Befürchtung, dass wir jedem<br />

jetzt Tür und Tor öffnen, ist unbegründet, denn jedes<br />

produb-Mitglied durchläuft diesen Qualifikationsprozess<br />

und wird am Ende manuell bewertet. So soll<br />

ein professioneller Pool an kreativen Talenten erzeugt<br />

werden, aus dem SDI sich bedienen kann.<br />

Wir wissen, dass dadurch eine hohe Bandbreite<br />

an schauspielerischem Können und Synchronisations-Erfahrung<br />

angesprochen wird, aber das ist<br />

durchaus so gewollt, da sowohl die Produktionen<br />

unterschiedliche Niveaus erfordern, als auch eine<br />

Förderung von einzelnen, neuen Künstlern oder<br />

Newcomern möglich sein muss.<br />

D. A.: Das wäre meine nächste Frage gewesen. Es ist<br />

schwierig, einen neuen Pool zu generieren, wenn je-<br />

Screenshots: Björn Steiner<br />

78


der Neuling gleich abgelehnt wird und die etablierten<br />

Sprecher keine App zur Job-Beschaffung brauchen.<br />

Wie soll das gelöst werden? Werden Neulinge<br />

zu verschiedenen Castings umgelenkt?<br />

B. S.: Exakt, das ist die Idee dahinter. Der jetzige Status<br />

ist doch so, dass per Post, persönlich oder wie<br />

auch immer eine Bewerbung vorbeigebracht wird<br />

und diese dann meist auf einem Haufen landet...<br />

D. A.: ...der dann nicht mehr bearbeitet wird.<br />

B. S.: Richtig, der dann brachliegt und keine Beachtung<br />

mehr findet. Und in der produb App ist eine<br />

ordentliche Registrierung notwendig: Dort werden<br />

die Sprachproben und alle Erfahrungen hinterlegt.<br />

Das heißt, bei allen Projekten, die in produb verfügbar<br />

sind, kann der Aufnahmeleiter auf einen<br />

Blick sehen, welche Sprecher*innen jetzt für diese<br />

Rolle oder für diesen Auftrag zur Verfügung stehen<br />

würden. Dadurch wird den Aufnahmeleiter*innen<br />

permanent ins Gedächtnis gerufen: „Da ist noch<br />

jemand!“ Die können dann zu Ensemble-Terminen<br />

oder auch zum Tag der offenen Tür eingeladen werden.<br />

Wichtig ist außerdem, dass durch die App nicht<br />

basierend auf Künstlicher Intelligenz irgendwelche<br />

automatisierten Besetzungen vorgenommen werden.<br />

Diese App ist so konzipiert, dass sie die Aufnahmeleitung<br />

in ihrem Arbeitsablauf unterstützt.<br />

Denn was macht unsere Aufnahmeleitung den ganzen<br />

Tag? Sie telefoniert und telefoniert und kann sich gar<br />

nicht mehr auf die grundlegenden Aufgaben konzentrieren,<br />

wie zum Beispiel auf die kreative Bewertung<br />

von Sprecher*innen, um Besetzungen vorzunehmen,<br />

oder neue Talente zu bewerten, denn diese Aufgaben<br />

sind zeitintensiv, und der Zeitdruck ist hoch.<br />

Zusätzlich wollen wir etwas Planungssicherheit<br />

in den Tagesablauf bringen und sprechen damit<br />

auch die etablierten Kreativen an. Es geht nicht<br />

darum, dass wir monatelang im Voraus planen<br />

können, aber zumindest eine gewisse Vorlaufzeit,<br />

sowohl für uns als Firma als auch den Sprechern<br />

oder generell den Kreativen, zu ermöglichen. Das<br />

wird ein sehr schwieriger Prozess sein, weil die<br />

Zeiten sich ja eigentlich eher weiter verkürzen,<br />

aber wir hoffen, dass wir durch diese App und die<br />

Digitalisierung einen kleinen Vorsprung herausarbeiten<br />

können.<br />

D. A.: Ab wann ist mit einer realistischen Nutzung<br />

zu rechnen?<br />

B. S.: Wir bauen jetzt gerade den Pool auf, müssen<br />

aber auch intern unsere Arbeitsweise umstellen,<br />

was teilweise drastischer ist, als wir vorher<br />

angenommen haben. Es werden jetzt mehr und<br />

mehr Projekte in das System eingepflegt und wir<br />

arbeiten daran, dadurch immer mehr Jobs anbieten<br />

zu können. Wir hoffen natürlich, dass sich mit<br />

einer lebendigen Community eine Art Synergieeffekt<br />

bildet.<br />

D. A.: Gut, Kolleg*innen könnten sich die Frage stelle:<br />

„Es gibt ja schon länger eine erfolgreiche Synchron<br />

App, warum braucht es jetzt eine zweite?“<br />

B. S.: Die zweite App, also unsere App, zielt auf ganz<br />

etwas anderes ab als die Synchron App von Synchron.de.<br />

In unserer App geht es weder um Abrechnungen<br />

noch um Gagen oder Ähnliches. Die App<br />

ist einzig und allein für die Besetzung der Produktionen<br />

an sich gedacht.<br />

79


InItIatIve vermIttelt Schau-<br />

Die Apps überschneiden sich in diesem Sinne eigentlich<br />

gar nicht. Sie ergänzen sich, was ich hervorragend<br />

finde. So haben beide Apps ihre Daseinsberechtigung,<br />

während die eine die buchhalterische<br />

Abrechnung ermöglicht, ermöglicht produb den<br />

ganzen produktiven Ablauf, den logistischen Weg<br />

von der Disponierung bis zu veränderten Terminen.<br />

D. A.: Ist es eine nationale App?<br />

B. S.: Diese App ist grundsätzlich international angelegt.<br />

Sie läuft schon seit mehreren Monaten erfolgreich<br />

in Polen. Die zweite Station ist Deutschland.<br />

Es werden weitere Länder folgen, die Planungen laufen.<br />

Es ist kein großes Geheimnis, dass SDI natürlich<br />

die App erst einmal in den Ländern herausbringen<br />

wird, in denen SDI auch aktiv ist, aber Deutschland<br />

ist jetzt die zweite Station, in der produb an den<br />

Start gegangen ist.<br />

D. A.: Eine Frage, die immer wieder auftaucht, weil<br />

sie natürlich auch gerade medial stark bearbeitet<br />

wird, ist der Klassiker Datenschutz und Sicherheit.<br />

B. S.: Ja, das war auch ein sehr wichtiger Punkt, der<br />

lange von unseren Anwälten durchgearbeitet wurde.<br />

Unsere App funktioniert nach den strengen DSGVO<br />

Regeln, die auch einsehbar sind und vor der Bewerbung<br />

bestätigt werden müssen. Und weil die Frage<br />

immer wieder aufkam: Es ist einer Person, die in der<br />

App angemeldet ist, zu keiner Zeit möglich irgendwelche<br />

persönlichen Daten über andere Personen<br />

einzusehen.<br />

Was ersichtlich und auch per DSGVO geregelt ist –<br />

und das geht mit der gewünschten Transparenz und<br />

dem Funktionieren als Community einher – ist, dass<br />

wenn ich bei produb angemeldet und für ein Projekt<br />

ausgewählt bin, ich in der Übersicht des kreativen<br />

Teams gelistet werde. Das heißt, wenn ich in der App<br />

registriert und beispielsweise als Regisseur*in für ein<br />

Projekt gebucht bin, werde ich auch bei weiteren Jobs<br />

desselben Projektes im Kreativ-Team als Regisseur*in<br />

geführt. Nur dort sind die Namen anderer sichtbar.<br />

Ich kann weder sehen, wer sich für irgendwas bewirbt,<br />

noch kann ich sehen, wer für irgendwas nicht<br />

genommen wurde. Das ist zu keiner Zeit möglich.<br />

D. A.: Wenn diese App funktioniert, ist dann geplant,<br />

sie auch an andere Firmen zu übergeben?<br />

B. S.: (lacht) Das war nicht das eigentliche Ziel<br />

von SDI. Wir wollten erstmal sehen, funktioniert<br />

das System als solches und ist es fähig, am<br />

auSgaBe 1<br />

WInter <strong><strong>20</strong>19</strong><br />

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Jahresabo für BFFS-Mitglieder € 24.-*<br />

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Schreiben Sie an abo@schauspiegel.com – gerne<br />

schicken wir Ihnen den <strong>Schauspiegel</strong> vierteljährlich zu.<br />

*Das Abo für BFFS-Mitglieder ist kostenlos. Die Gebühr<br />

in Höhe von € 24.- wird für Verpackung und Versand erhoben.


Sprache /Synchron<br />

Markt zu bestehen? Und sollte es bestehen, warum<br />

nicht auch andere daran teilhaben und profitieren<br />

lassen? Es gäbe durchaus die Möglichkeit,<br />

aber es ist jetzt weder spruchreif noch geplant.<br />

D. A.: Würde es sich SDI in der App zutrauen, eine<br />

Form von objektivem Qualitätssiegel für die jeweiligen<br />

Nutzer einzuführen, um es den Aufnahmeleiter*innen<br />

leichter zu machen beispielsweise in Form<br />

von ein bis fünf Mikros? Jemand ist seit <strong>20</strong> Jahren<br />

dabei, hat 100 Filme, 80 Blockbuster, 60 Serien als<br />

Sprecher synchronisiert und kriegt dann vier Platin<br />

Mikros, um der Aufnahmeleitung die Auswahl zu<br />

erleichtern?<br />

B. S.: Wir müssen natürlich, um auch dem Tempo<br />

Tribut zu zollen, eine gewisse Form der Einstufung<br />

vornehmen, das ist klar. Wir hoffen da auf die gute,<br />

alte Arbeitsweise der Aufnahmeleiter*innen und auf<br />

das Know-how und das Fingerspitzengefühl von<br />

den Produktionsleiter*innen. Nichtsdestotrotz muss<br />

es eine grundsätzliche Einstufung in produb geben.<br />

Das wird zwar nicht in Form eines Qualitätssiegels<br />

geschehen, aber das System muss ja Anfänger*innen<br />

von durchschnittlichen Sprecher*innen sowie von<br />

absoluten Vollblutsprecher*innen unterscheiden<br />

können. Doch am Ende des Tages ist es immer ein<br />

Mensch, der am Rechner sitzt und die Entscheidung<br />

über die Besetzungen treffen wird. Er wird dabei nur<br />

zukünftig vom System unterstützt. Und sollten alle<br />

Vorschläge, die das System bereithält, die Aufnahme-<br />

und Produktionsleiter*innen nicht zufrieden<br />

stellen, bleibt der Griff zum Telefon und der Job<br />

wird erledigt wie bisher. Das ist Fakt.<br />

D. A.: Vielen Dank für das interessante Gespräch.<br />

Björn Steiner Community<br />

Manager für produb Deutschland,<br />

ist Diplom-Toningenieur<br />

und studierte Germanistik.<br />

Er steht seit über zehn Jahren<br />

in Diensten der SDI Media<br />

Germany GmbH und war dort<br />

zuletzt als Redakteur tätig.<br />

Dominik Auer ist Synchronschauspieler,<br />

Synchronregisseur und Dialogbuchautor.<br />

Seit seinem elften Lebensjahr steht er im<br />

Synchronstudio. Er ist Familienvater und neben<br />

seiner schauspielerischen Arbeit Initiator und<br />

Mitbegründer des BSD – des Bundesverbands<br />

Synchronregie und Dialogbuch.<br />

Impressum<br />

Erscheint vierteljährlich.<br />

1. Jg., Ausgabe No 1,<br />

<strong>Winter</strong> <strong><strong>20</strong>19</strong><br />

Herausgeber<br />

Bundesverband<br />

Schauspiel e.V.<br />

Kurfürstenstraße 130<br />

10785 Berlin<br />

Redaktion<br />

Antoine Monot, Jr.<br />

(V.i.S.d.P.),<br />

Ilona Brokowski,<br />

Klara Deutschmann,<br />

Denise Kanty,<br />

Stefan Krause,<br />

Julia Rahmann,<br />

Sandra Schulz<br />

Simone Wagner<br />

Grafische<br />

konzeption und<br />

PRODUKTION<br />

Prof. Andine Müller –<br />

das Magazin wurde im<br />

Sommersemester <strong><strong>20</strong>19</strong><br />

mit Studierenden (13d,<br />

13k, insb. Johanna Groß<br />

und Nadin Reichbodt)<br />

an der HMKW Hochschule<br />

für Medien,<br />

Kommunikation und<br />

Wirtschaft Berlin<br />

entwickelt. Die finale<br />

Umsetzung erfolgte<br />

in enger Zusammenarbeit<br />

mit Max Bartram.<br />

Illustrationen<br />

Max Bartram<br />

Autor*innen<br />

Dominik Auer,<br />

Matthias Beier,<br />

Ilona Brokowski,<br />

Dela Dabulamanzi,<br />

Klara Deutschmann,<br />

Karin Fischer,<br />

Maya Götz,<br />

Wolfgang Janßen,<br />

Denise Kanty,<br />

Stefan Krause,<br />

Jerry Kwarteng,<br />

Antoine Monot, Jr.,<br />

Julia Rahmann,<br />

Anja Reinhardt,<br />

Tyron Ricketts,<br />

Esther Roling,<br />

Kai S. Pieck,<br />

Simone Wagner,<br />

Yugen Yah<br />

Anzeigenverkauf<br />

Sandra Schulz<br />

sandra.schulz@bffs.de<br />

Abonnement<br />

Das Abonnement<br />

ist im Mitgliedsbeitrag<br />

des Bundesverbands<br />

Schauspiel enthalten.<br />

BFFS-Mitglieder<br />

können ein Jahresabo<br />

(4 Ausgaben) gegen<br />

einen postalischen<br />

Unkostenbeitrag<br />

in Höhe von € 24.-<br />

bestellen. Ohne<br />

BFFS-Mitgliedschaft<br />

kann das Magazin für<br />

€ 48.- pro Jahr<br />

abonniert werden.<br />

+49 30 225027930<br />

abo@schauspiegel.com<br />

ISSN Print-Ausgabe<br />

2698-9565<br />

ISSN Online-Ausgabe<br />

2698-9573<br />

Wir haben für<br />

den <strong>Schauspiegel</strong><br />

PEFC®-zertifiziertes<br />

Papier ausgewählt<br />

und verwenden<br />

mineralölfreie<br />

Druckfarben auf<br />

Basis nachwachsender<br />

Rohstoffe.<br />

Der Druck des<br />

Magazins erfolgt<br />

klimaneutral.<br />

Foto: privat<br />

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Die Dernière<br />

<strong>Schauspiegel</strong>-Kreuzworträtsel<br />

Zu gewinnen gibt es unter allen richtigen Antworten:<br />

4x ein <strong>Schauspiegel</strong>-Jahresabo im Wert von je 48 €.<br />

Wir drücken die Daumen und wünschen viel Spaß beim Rätseln!<br />

1<br />

2<br />

3<br />

4<br />

5<br />

6<br />

7<br />

8<br />

9<br />

10<br />

11<br />

12<br />

13<br />

14<br />

15<br />

Fragen<br />

Auszeichnung, die <strong>20</strong>12<br />

das erste Mal verliehen<br />

wurde (Abk.)<br />

Gewinner* Deutscher<br />

Hörbuchpreis <strong><strong>20</strong>19</strong><br />

(Bester Interpret)<br />

Gewinner* Ehrenpreis<br />

Lebenswerk, DSP <strong><strong>20</strong>19</strong><br />

Synchronschauspieler*,<br />

der <strong><strong>20</strong>19</strong> das Bundesverdienstkreuz<br />

erhielt<br />

Deutscher Komponist<br />

in Hollywood<br />

Schauspielerin, die <strong>20</strong>17<br />

die Goldene Palme<br />

gewonnen hat<br />

Gewinnerin Dt. Hörbuchpreis<br />

<strong><strong>20</strong>19</strong> (Beste<br />

Interpretin)<br />

Gewinner* Berliner<br />

Theaterpreis <strong><strong>20</strong>19</strong><br />

Stück, für das Angela<br />

Winkler beim DSP <strong><strong>20</strong>19</strong><br />

ausgezeichnet wurde<br />

Fand 1964 erstmals<br />

unter der Bezeichnung<br />

Berliner Theaterwettbewerb<br />

statt<br />

Sprecher* Hörbuch des<br />

Jahres <strong><strong>20</strong>19</strong> (Die Jahre<br />

von Annie Ernaux)<br />

Name Hollywood-<br />

Regisseur aus Stuttgart<br />

Hotel, in dem die<br />

erste Verleihung des<br />

DSP stattfand<br />

Name der ersten<br />

Synchron-Kategorie<br />

beim DSP<br />

Gesellschaft, die<br />

Folgevergütungen an<br />

Schauspieler*innen<br />

verteilt (Abk.)<br />

Lösungswort:<br />

Teilnahmebedingungen:<br />

Senden Sie das Lösungswort bis zum 10. Januar <strong>20</strong><strong>20</strong><br />

zusammen mit Ihrem Namen, Vornamen und Ihrer Adresse<br />

per E-Mail an: redaktion@schauspiegel.com<br />

Alternativ ist eine Teilnahme über den Postweg möglich:<br />

Bundesverband Schauspiel e.V., Redaktion <strong>Schauspiegel</strong>,<br />

Kurfürstenstraße 130, 10785 Berlin<br />

Die Gewinner*innen geben wir in der nächsten Ausgabe bekannt,<br />

die Anfang März <strong>20</strong><strong>20</strong> erscheinen wird.<br />

82


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