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4 <strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 21 · 2 5./26. Januar 2020<br />
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Politik<br />
Seitenwechsel<br />
Der ehemalige SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel soll Mitglied des Aufsichtsrats der Deutschen Bank werden<br />
VonAndreas Niesmann<br />
Als SPD-Vorsitzender hatte<br />
Sigmar Gabriel eine klare<br />
Meinung über die Deutsche<br />
Bank. Als deren damaliger<br />
Vorstandschef John Cryan<br />
2016 einen von Spekulanten betriebenen<br />
Kurssturz der Aktie des Geldhauses<br />
beklagte, hatte der damalige<br />
SPD-Chef und Bundeswirtschaftsminister<br />
für die Larmoyanz des Top-<br />
Bankers nur Spott übrig. „Ich wusste<br />
nicht, ob ich lachen oder weinen<br />
sollte, dass die Bank, die das Spekulantentum<br />
zum Geschäftsmodell gemacht<br />
hat, sich jetzt zum Opfer von<br />
Spekulanten erklärt“, ließ Gabriel<br />
seinerzeit wissen.<br />
Künftig wird sich Gabriel derart<br />
bissige Kommentare über die Deutsche<br />
Bank und deren Führungspersonal<br />
wohl verkneifen –oder sie lieber<br />
in vertraulichen Runden vorbringen,<br />
denn der 60-Jährige aus<br />
dem niedersächsischen Goslar soll<br />
einer der Kontrolleure des Institutes<br />
werden.<br />
Die Deutsche Bank bestätigte am<br />
Freitag einen Bericht des Handelsblatts,wonach<br />
sie beim Amtsgericht<br />
Frankfurt einen Antrag zur Bestellung<br />
des 60-Jährigen als Aufsichtsrat<br />
eingereicht hat. Gabriel selbst wollte<br />
sich dazu nicht äußern.<br />
DieSPD,deren Parteichef Gabriel<br />
von 2009 bis 2017 war, äußerte sich<br />
ausdrücklich nicht zu der Personalie.<br />
Auch der linke Parteiflügel<br />
schwieg. Die Bundesregierung<br />
wollte das Aufsichtsratsmandat<br />
nicht kommentieren.<br />
Zustimmung kam aus<br />
dem Gewerkschaftslager,<br />
das grundsätzlich in Aufsichtsräten<br />
deutscher Unternehmen<br />
vertreten ist.<br />
Die Deutsche Bank baut<br />
gerade radikal um. Bis 2022 sollen<br />
rund 18 000 Stellen gestrichen werden.<br />
Nicht nur wegen dieser Pläne<br />
dürfte Gabriels Schritt in Teilen der<br />
SPD für Unmut sorgen.<br />
Gabriel würde im Aufsichtsrat<br />
Jürg Zeltner ersetzen, den ehemaligen<br />
Manager der schweizerischen<br />
Sigmar<br />
Gabriel<br />
AFP<br />
Großbank UBS. Zeltner<br />
hatte den Posten bereits<br />
kurz nach seiner Berufung<br />
im August vergangenen<br />
Jahres wieder geräumt,<br />
weil die Bankenaufsicht<br />
Vorbehalte wegen eventuell<br />
vorhandener Interessenkonflikte<br />
geäußert<br />
hatte.<br />
Widerspruch der Finanzaufsicht<br />
muss Gabriel nicht<br />
fürchten. Für die „stellt sich nur die<br />
Frage der hinreichenden Sachkunde“,<br />
sagte der Präsident der Bundesanstalt<br />
für Finanzdienstleistungsaufsicht<br />
(Bafin), Felix Hufeld.<br />
„Die kann bei einem ehemaligen<br />
Vorsitzenden des KfW-Verwaltungsrates<br />
und Wirtschaftsminister ohne<br />
Weiteres bejaht werden.“ Bevor der<br />
frühereVizekanzler in das Aufsichtsgremium<br />
des Dax-Konzerns einziehen<br />
kann, muss er allerdings vonden<br />
Aktionären bei der Hauptversammlung<br />
der Deutschen Bank am 20. Mai<br />
gewählt werden.<br />
Über mangelnde Job-Angebote<br />
konnte sich Gabriel nach seinem<br />
Ausstieg aus der Politik offenbar<br />
nicht beklagen. Erst Ende vergangenen<br />
Jahres schlug er die lukrativeOfferte<br />
aus, Präsident des Verbandes<br />
der Automobilindustrie (VDA) zu<br />
werden. Geschätztes Jahresgehalt:<br />
mehr als eine halbe Million Euro.<br />
Die Grundvergütung eines Aufsichtsrats<br />
der Deutschen Bank liegt<br />
laut Vergütungsbericht 2018 bei<br />
100 000 Euro jährlich, hinzu kommen<br />
weitereBezüge für die Mitgliedschaften<br />
in den Ausschüssen des<br />
Kontrollgremiums. Unterm Strich<br />
darf der künftige Bankenaufseher<br />
Gabriel wohl auf 200 000 Euro im<br />
Jahr und mehr hoffen.<br />
Hinzu kommen Einnahmen aus<br />
einem Autorenvertrag mit dem<br />
Holtzbrinck-Verlag, für den Gabriel<br />
laut Angaben auf der Homepage des<br />
Bundestages zuletzt zwischen 15 001<br />
und 30 000 Euro pro Monat kassiert<br />
hat, und aus einem Beiratsmandat<br />
bei der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft<br />
DeLoitte.Darben muss Unruheständler<br />
Gabriel also auch künftig<br />
nicht. (mit dpa)<br />
Seehofer<br />
verzichtet auf<br />
Gesichtserkennung<br />
Minister ändert Entwurf für<br />
Bundespolizeigesetz<br />
VonMarkus Decker<br />
Bundesinnenminister Horst Seehofer<br />
(CSU) will der Bundespolizeianders<br />
als bisher geplant nicht gestatten,<br />
an sicherheitsrelevanten Orten<br />
Softwarezur automatisierten Gesichtserkennung<br />
einzusetzen. Das<br />
teilte ein Sprecher des Ministeriums<br />
am Freitag mit. Manhabe den Passus<br />
aus der Novelle des Bundespolizeigesetzes<br />
vorerst gestrichen, sagte er,<br />
und warte nun auf das parlamentarische<br />
Verfahren. Ob der Passus später<br />
wieder in den Gesetzentwurf aufgenommen<br />
wird, ließ der Sprecher offen.<br />
Er räumte aber ein, dass in den<br />
Entscheidungsprozess auch die<br />
Nachricht über die US-Firma Clearview<br />
eingeflossen sei. DasUnternehmen<br />
hat demnach drei Milliarden Bilder<br />
aus frei zugänglichen Quellen gesammelt;<br />
angeblich arbeiten 600 Behörden<br />
bereits damit.<br />
Der Plan war, die automatisierte<br />
Gesichtserkennung an 135 deutschen<br />
Bahnhöfen und 14 Verkehrsflughäfen<br />
einzuführen. Zuvor war<br />
ein Pilotprojekt am <strong>Berliner</strong> Bahnhof<br />
Südkreuz nach Angaben des Ministeriums<br />
erfolgreich verlaufen. Dies<br />
sollte im Rahmen einer Neufassung<br />
des Bundespolizeigesetzes geregelt<br />
werden, das eine Kompetenzerweiterung<br />
auf mehreren Ebenen vorsieht.<br />
In einer älteren Fassung des<br />
Entwurfs hieß es, die Bundespolizei<br />
könne Daten aus Bildaufzeichnungsgeräten<br />
„automatisch mit biometrischen<br />
Daten abgleichen“, die<br />
sie zur Erfüllung ihrer Aufgaben weiterverarbeitet<br />
oder für die sie eine<br />
Berechtigung zum Abruf hat. Dies<br />
gelte allerdings nur, „soweit es sich<br />
um Daten von Menschen handelt,<br />
die ausgeschrieben sind“.<br />
Daran gab es breite Kritik. Der<br />
Vorsitzende der Innenministerkonferenz,<br />
Thüringens Innenminister<br />
Georg Maier (SPD), äußerte Skepsis.<br />
„Verhältnisse wie in China möchte<br />
ich nicht. Dort ist man auf dem Weg<br />
zur totalen Überwachung.“ Der<br />
Bundesbeauftragte für den Datenschutz,<br />
Ulrich Kelber, hatte bereits<br />
erklärt, die automatisierte Gesichtserkennung<br />
stelle „einen potenziell<br />
sehr weitgehenden Grundrechtseingriff<br />
dar, der auf jeden Fall durch<br />
konkrete Vorschriften legitimiert<br />
sein müsste“. Kelber würde es begrüßen,<br />
„wenn in Europa die Gesichtserkennung<br />
im öffentlichen Raum<br />
untersagt würde“.<br />
Unionsinnenexperte Mathias<br />
Middelberg(CDU) zeigte sich hingegen<br />
unzufrieden mit Seehofers<br />
Rückzieher. Esgehe nicht um eine<br />
flächendeckende Überwachung der<br />
Bürger,sondernum„die gezielte Suche<br />
nach Schwerstkriminellen und<br />
Terroristen an besonders gefährdeten<br />
Bahnhöfen oder Flughäfen“.