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<strong>Schweißen</strong><br />
<strong>verbindet</strong><br />
You‘ll Never Work Alone<br />
Stephan Thiemonds
Für alle jene,<br />
die sich<br />
fachlich oder menschlich<br />
bereits vor<br />
oder erst nach dieser Lektüre<br />
durch <strong>Schweißen</strong><br />
verbunden fühlen.<br />
Ganz gleich<br />
ob lokal, sozial, national oder global.
Stephan Thiemonds<br />
<strong>Schweißen</strong> <strong>verbindet</strong><br />
You’ll never work alone
Bibliografische Information<br />
der Deutschen Nationalbibliothek<br />
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation<br />
in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte<br />
bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.<br />
dnb.de abrufbar.<br />
Schweißtechnisches Lektorat:<br />
Prof. Dr. Ing. Gerd Kuscher, GSI SLV Hannover,<br />
Achim Hauspurg (SFM), Üdingen<br />
ISBN 978-3-96144-078-8<br />
Alle Rechte vorbehalten.<br />
© DVS Media GmbH, Düsseldorf 2020<br />
Herstellung: SDL - Digitaler Buchdruck,<br />
Schaltungsdienst Lange oHG, Berlin
Inhaltsverzeichnis<br />
Vorwort Herr Hoene........................................................ 1<br />
Vorwort Prof. Dr. Kuscher.............................................. 3<br />
<strong>Schweißen</strong> <strong>verbindet</strong>!...................................................... 6<br />
Die Geschichte vom kleinen w..................................... 16<br />
Die Rückkehr der Jedi-Ritter........................................ 46<br />
Kurz und schmerzlos..................................................... 96<br />
Wir lieben die Stürme, die brausenden Wogen........... 146<br />
Was wäre die Welt ohne Stahl?................................... 206<br />
Die Sache mit dem Edelstahl...................................... 220<br />
Zehn kleine Klärschlammtrockner<br />
und der Erzengel Raphael........................................... 246<br />
Die Magie der Industrie.............................................. 270<br />
<strong>Schweißen</strong> <strong>verbindet</strong> – und erfüllt Kinderträume ...... 294<br />
Herzlich bedanken möchte ich mich .......................... 314<br />
Hinweise und Quellenangaben................................... 317
»Das Wichtigste am <strong>Schweißen</strong> ist das w,<br />
ansonsten geht’s in die Hose.«<br />
Alte Schweißerweisheit
Die Schweißtechnik – eine Branche<br />
für kreative Köpfe<br />
Der Autor hat sein schweißtechnisches Know-how<br />
hier in Deutschland gelernt, beruflich aber ist er<br />
querweltein unterwegs. Damit ist er ein Paradebeispiel<br />
für einen beruflichen Lebensweg in der Schweißtechnik:<br />
eine solide duale Aus- und Weiterbildung in Deutschland<br />
und dann weltweit unterwegs zu internationalen Einsätzen<br />
und Projekten. Genau wie der DVS – Deutscher<br />
Verband für <strong>Schweißen</strong> und verwandte Verfahren e. V.<br />
in seinen Ausbildungsmöglichkeiten und -varianten dies<br />
als eine mögliche Karriereoption anbietet.<br />
DVS Media als Tochter des DVS – Deutscher Verband<br />
für <strong>Schweißen</strong> und verwandte Verfahren e. V. freut sich<br />
daher ganz besonders, dieses Buch zu publizieren.<br />
In diesem erzählt unser Kollege von seinen beruflichen<br />
Stationen, internationalen Projekten und persönlichen<br />
Begegnungen rund um den Globus auf seine<br />
unnachahmliche und sehr persönliche Weise.<br />
Der von Comics und Filmen inspirierte Erzählstil erzeugt<br />
einen suggestiven Sog sowohl beim fachlich versierten<br />
Leser/-in als auch beim schweißtechnischen<br />
Laien/-in, der/die so auf lockere Weise nebenbei etwas<br />
über die Schweißtechnik und deren Verfahren erfährt.<br />
Der Autor teilt sein inneres und äußeres Erleben mit dem<br />
Leser/der Leserin. Als literarischer Schweißzusatz dient<br />
eine großzügige Portion Magischer Realismus, der die<br />
einzelnen Kapitel durchwebt und <strong>verbindet</strong>. Das fantasievolle<br />
Kopfkino läuft mal schneller, mal langsamer,<br />
aber immer mit viel Verve für die gemeinsame schweißtechnische<br />
Sache und darüber hinaus auch für humanitäre<br />
Projekte wie ein Schulbau in Asien.<br />
1
Kein Monteursmärchen, kein Schelmenstück, sondern<br />
fachlich fundierte Erlebnisberichte, packend erzählt und<br />
gewürzt mit einer positiven Sicht auf die Welt, sich technisch<br />
und menschlich mit Gleichgesinnten einsetzend,<br />
weil man großartige Projekte gemeinsam angeht und<br />
verwirklicht – in der Welt der Schweißer/innen und auch<br />
sonst.<br />
Dieses vergnügliche Buch unseres Metallographilosophen<br />
wird hoffentlich zahlreiche begeisterte Leser finden.<br />
Wer Technik, Abenteuer und Fantasie als Kreativitätsmotor<br />
schätzt, wird an diesem Buch Gefallen finden.<br />
Paul Robert Hoene,<br />
Verlagsleiter DVS Media GmbH<br />
2
Vorwort von der Gesellschaft für Schweißtechnik<br />
International – Schweißtechnische<br />
Lehr- und Versuchsanstalt Hannover<br />
Wen die Lasertechnik erfasst hat, der kommt nicht wieder<br />
davon los.<br />
Das ist auch dem Verfasser dieses Buches passiert. Er<br />
kommt von der konventionellen Schweißtechnik. In<br />
seinen Geschichten erklärt er allgemein verständlich,<br />
was Stahl in all seinen Konfigurationen ist und wie<br />
die Schweißtechnik Stahl <strong>verbindet</strong>. Es sollte bewusst<br />
keine rein wissenschaftliche Abhandlung werden,<br />
obwohl alle Aussagen fachlich fundiert sind. Natürlich<br />
spielt der Laser, der mit Licht Stahl <strong>verbindet</strong>, eine<br />
große Rolle, aber der Stahl reagiert beim Laserstrahlschweißen<br />
anders als sonst bekannt ist. Das ist klar<br />
herausgearbeitet worden.<br />
Ich kenne die Firma DSI Thailand gut, die Inhaberin,<br />
Ms. Thongplew Banpao und den Technischen Direktor,<br />
Mr. Thanapol Pradissum. Seit Jahren auditiere<br />
ich die DSI Thailand zur Zertifizierung nach DIN EN<br />
ISO 3834-2. Durch meine Besuche und unsere Zusammenarbeit<br />
vor Ort kann ich das vorhandene fachliche<br />
Können dieser Firma positiv, mit sehr gut, einschätzen.<br />
Das kommt allen ihren Kunden zugute, die von der DSI<br />
Thailand betreut werden. Sowohl an ihrem Hauptstandort<br />
in Chonburi, als auch in den Zweigniederlassungen<br />
in Rayong und in Pathum Thani. Das gilt darüber hinaus<br />
auch bei Laserschweißeinsätzen vor Ort beim Kunden,<br />
was dank der modular aufgebauten, von daher leicht<br />
zu transportierenden Laserschweißanlagen problemlos<br />
möglich ist.<br />
3
Auch die DSI Thailand-Laserspezialisten wissen,<br />
dass die Möglichkeiten und Anwendungen eines Laserstrahls<br />
bei weitem noch nicht ausgeschöpft sind,<br />
weswegen auch sie an deren Weiterentwicklungen<br />
arbeiten, was letztendlich allen Anwendern der Lasertechnik<br />
zugute kommen wird.<br />
Prof. Dr.-Ing. Gerd Kuscher<br />
Auditor und Zertifi zierer<br />
GSI-SLV Hannover<br />
4
<strong>Schweißen</strong> <strong>verbindet</strong>!<br />
Diese simple Tatsache beruht auf unzähligen<br />
Beweisen. Ein Beweis ist dieses Büchlein, das<br />
Sie gerade in Händen halten. Zwar wurden der Einband<br />
und die Seiten dazwischen nicht durch <strong>Schweißen</strong><br />
miteinander verbunden, sondern durch das in der DIN<br />
8593-8 beschriebene Fügeverfahren »Kleben«. Jedoch<br />
würde es dieses Büchlein und seine darin enthaltenen<br />
Geschichten ohne das in der DIN 1910-100 beschriebene<br />
Verfahren »<strong>Schweißen</strong>« schlichtweg nicht geben. Was<br />
nicht weiter tragisch wäre. Wohl aber schade. Immerhin<br />
steht dieses Büchlein als Beweis für die Faszination, die<br />
vom <strong>Schweißen</strong> ausgeht: weil <strong>Schweißen</strong> – Achtung! –<br />
im doppelten Sinne <strong>verbindet</strong>: nämlich Stähle und Menschen.<br />
Und zwar interkontinental. Phänomenal, nicht<br />
wahr!<br />
Doch bevor ich von der großen Welt der Schweißtechnik<br />
da draußen erzähle, möchte ich Ihnen etwas<br />
Kleines, aus meinem Inneren, verraten: wie es zu diesem<br />
Büchlein kam. Auch wenn es den Eindruck erwecken<br />
sollte, so steckt kein durchdachtes Konzept dahinter.<br />
Basierend auf dem wirtschaftsbedrohlichen Facharbeitermangel<br />
in Deutschland, um die Attraktivität schweißtechnischer<br />
Berufe auf unterhaltsame Weise zu steigern.<br />
Ebensowenig ist dieses Büchlein aus einer biergeselligen<br />
Laune mit Berufskollegen in einer verrauchten Bar in<br />
Bombay, Bangkok oder Butzbach entstanden. Inspiriert<br />
durch das Plaudern über alte Zeiten und vollbrachte Taten,<br />
während jemand aus der Runde euphorisch meinte; Hey,<br />
Jungs, lasst uns ein Geschichts-Buch drüber schreiben!<br />
Diese Vorstellung begeistert mich zwar, trifft aber leider<br />
nicht den wahren Auslöser. Sie beweist lediglich mein<br />
Talent zur Phantasie.<br />
Der Auslöser, auf den ich hinauswill, kam vielmehr<br />
plötzlich: in Form einer aufpoppenden Emotion! Ausgelöst<br />
durch einen äußeren Umstand. Losgelöst im<br />
Bruchteil einer Sekunde. Als hätte jemand den Ver-<br />
6
schlusspfropfen gezogen, löste die Emotion – Wusch!<br />
– in meinem Gehirn eine Inspirationsflut aus, die mich<br />
mit Leib und Seele mitriss: ich erlebte einen ganzkörperlichen<br />
Vollrausch aus Gefühlen, Ideen, Erinnerungen<br />
und Konstrukten. Gepaart mit einer Prise abschweifender<br />
Phantasie, was summa summarum auf einem tragenden<br />
Fundament aus Sach- und Fachkenntnis basierte.<br />
Dieser geile Emotionsmix, der weitaus länger andauerte<br />
als der in meinem kühnsten Jugendtraum erlebte Orgasmus<br />
mit Brooke Shields, – Aahhh! – in »Der blauen Lagune«<br />
von Nanuya Levu, – Aahhh! – Ähm, verdammt! Worauf<br />
wollte ich eigentlich hinaus? Ach ja, richtig. An einem ähnlich<br />
paradiesischen Ort überkam mich im Frühjahr 2014<br />
eben diese Büchlein-Emotion: in Thailand! Doch leider<br />
nicht bei einem erotischen Bad vor dem Wasserfall einer<br />
Lagune, sondern während der Arbeitszeit. Als ich im Auftrag<br />
meines Chefs die Reparatur zweier Dünnschichtverdampfer-Rotoren<br />
überwachen sollte: mit dem erfahrenen<br />
Blick eines Europäischen Schweißfachmannes. Als mir<br />
der Kunde bei der Eingangsbesprechung mitteilte, dass<br />
die Risse nicht, wie ursprünglich von mir über den Wolken<br />
ersonnen, durch das herkömmliche WIG-Verfahren reparaturgeschweißt<br />
würden, sondern von einem Laser!<br />
Das war das emotionsauslösende Signalwort, woraufhin<br />
meine phantastische Reise in die Welt der Laserschweißtechnik<br />
begann. Musikalisch begleitet von der unverkennbaren<br />
Star Wars Eröffnungsmelodie.<br />
»Ta Ta, Ta-da-da-da Ta, Ta-da-da-da Ta, Tadadada …«<br />
Der Rest ist Geschichte. Nachzulesen, in der in diesem<br />
Büchlein erzählten Lasergeschichte, Die Rückkehr der<br />
Jedi-Ritter. Nachdem ich sie im Groben noch während<br />
meines Aufenthaltes bei der DSI in Thailand geschrieben<br />
hatte, führte mich eben diese Lasergeschichte, zwecks weiterer<br />
Recherche, Achtung! – <strong>Schweißen</strong> <strong>verbindet</strong> – zum<br />
Jedi-Ritter Christian Frank, ins baden-württembergische<br />
Maulbronn. Zum Meister Yoda der Laser-Schweißtechnik.<br />
Zum Geschäftsführer des deutschen DSI Laser-Service.<br />
Zu seiner liebreizenden Assistentin Frau Kuzma, zu dem<br />
7
8<br />
aufgeweckten Herrn Hocke und zu anderen Kollegen<br />
seines Mitarbeiterteams: zu den Lasermasters of the Universe.<br />
Weltweit kämpfen sie für die Gute Macht. Laserschweißen<br />
mit Mut, Disziplin und Know-how alle möglichen<br />
und alle unmöglichen Stahlsorten. Wie eben auch<br />
die Risse an unseren Thailand-Rotoren.<br />
Ein weiterer Beweis dafür, das <strong>Schweißen</strong> im doppelten<br />
Sinne <strong>verbindet</strong>, ist meine berufliche Schiffsreise von<br />
Uruguay aus zur Antarktis. Hin zu jenem Ort, an dem ich<br />
glaubte, aus der Welt gefallen zu sein. Damals, im Jahre<br />
2009. Auf dem norwegischen Krillfänger Juvel. Mit an<br />
Bord: zwei jeweils 70 Tonnen schwere Horizontaltrockner.<br />
Konstruiert und gebaut von meinen Kollegen bei der Buss-<br />
SMS-Canzler in Butzbach. Um den im antarktischen Eismeer<br />
gefangenen, als gleich zu Schlamm weiterverarbeiteten<br />
Krill noch auf hoher See zu Pulver zu trocknen: zu<br />
Krill-Flavour. Beispielsweise für Tiefkühl-Pizzen.<br />
Zwecks Inbetriebnahme ging ich mit meinem Kollegen<br />
Ralf in Montevideo an Bord. Bezog mit ihm eine,<br />
Achtung! – <strong>Schweißen</strong> <strong>verbindet</strong> besonders eng auf<br />
kleinstem Raum – eine winzige, dennoch urgemütliche<br />
Kajüte mit sogar einem Bullauge. Ganz vorn im Bug des<br />
Schiffes. Wohlwissend, dass wenige Monate zuvor aus der<br />
ursprünglichen Perangi die Juvel wurde: in einer kolossalen<br />
Verwandlungsaktion, bei der Bremerhavener MWB-<br />
Werft. In deren Trockendock wurde die Perangi durchtrennt<br />
und anschließend auseinandergeschoben. Nachdem<br />
die beiden Krilltrockner und andere Krill-Verarbeitungsmaschinen<br />
unter Deck gebracht und vorinstalliert waren,<br />
wurde ein knapp 40 Meter langes, neu gefertigtes Rumpfstück<br />
passgenau in die Lücke gesetzt. Woraufhin alle drei<br />
Rumpfteile, Bug, Mitte und Heck zusammengeschoben<br />
und – Achtung! – <strong>Schweißen</strong> <strong>verbindet</strong> – metallisch vereint<br />
wurden. Durch zwei rund um den Rumpf herum verlaufende<br />
Rundschweißnähte. Die Verwandlung der 60 Meter<br />
kurzen Perangi zur 99 Meter langen Juvel war vollendet.<br />
Mit diesem Hintergrundwissen, plus meiner Weiterbildung<br />
zum Europäischen Schweißfachmann, der aus
eigener Schweißerfahrung weiß, welch‘ unentdeckte<br />
Schweißnahtfehler in Schweißnähten schlummern und<br />
was sie unter wechsellastiger Beanspruchung anrichten<br />
können, gerieten wir eines Nachts in einen antarktischen<br />
Sturm. Stundenlang kämpfte die Juvel gegen zehn Meter<br />
hohe Kaventsmänner. Mit dem Bug voran. Dort, wo mein<br />
Kollege und ich in unseren Kojen lagen. Steil ging’s den<br />
Wellenberg hinauf. Mit den Füßen voran. Hoch oben,<br />
am Wellenkamm angekommen, verharrte die Juvel den<br />
Bruchteil einer Sekunde. Als ob sie auf der Kippkante<br />
das Unaufhaltsame hinauszögerte. Mut fasste – um sich<br />
dann, als eine Masse aus mehreren tausend Tonnen Stahl,<br />
in die Wellenschlucht zu stürzen. Um nach zehn Metern<br />
freiem Fa– Ahhhhh! –ll auf die betonharte Wasseroberfläche<br />
aufzuschlagen, Wroommm! – währenddessen ich,<br />
bretthart vor Angst erstarrt, in meiner Koje ausharrte.<br />
Mich beidhändig an den seitlich meiner dünnen Matratze<br />
angebrachten Begrenzungsbrettern festkrallte. Stundenlang<br />
nur einen einzigen Gedanken verfolgend.<br />
Hoffentlich halten die Schweißnähte!<br />
Wroommm! –<br />
Hoffentlich halten die Schweißnäh-!<br />
Wroommm! –<br />
Welche Schweißnahtfehler genau in den Rumpfstoßstellen<br />
der Juvel schlummerten, wie diese dort hineinkamen<br />
und wie sie von der Qualitätsstelle vertuscht<br />
wurden, nur um den Endtermin der Rumpfverlängerung<br />
einzuhalten, und ob die Schweißnähte überhaupt zurück<br />
bis in den sicheren Hafen von Montevideo hielten, verrät<br />
die in diesem Büchlein enthaltene Seemannsgeschichte,<br />
Wir lieben die Stürme. Übrigens, das gleichnamige Piratenlied<br />
der bündischen Jugendbewegung, das ich als<br />
kleiner Pfadfinder-Wölfling am Lagerfeuer lernte, sang<br />
ich ebenfalls in jener Sturmnacht. Stundenlang. Während<br />
draußen, in stockdunkler Nacht und umgeben von Eisbergen,<br />
das Meer wütete, die Wellen aufbäumte, – um die<br />
Juvel mit seiner 52-köpfigen Besatzung zu versenken.<br />
Um den milliardenfachen Tod der wehrlosen Bewohner<br />
9
10<br />
des Eismeeres, um den von uns gefangenen und pulverisierten<br />
Krill, zu rächen.<br />
Wroommm! –<br />
Um ehrlich zu sein sang ich nicht, weil mir die schiffsschaukelähnlichen<br />
Auf- und ab-Bewegungen Freude<br />
bereitet hätten. Nein, nein. Im Gegenteil! Ich sang, um<br />
die dunkle Stimme meiner Angst zu übertönen. Und um<br />
den in meinem Kopf umhergeisternden Film von Rache<br />
und Schweißnahtfehler zu verbannen:<br />
»Wir lieben die Stürme, die brausenden Wogen<br />
der eiskalten Winde rauhes Gesicht.<br />
Wir sind schon der Meere so viele gezogen<br />
und dennoch sank unsre Fahne nicht.«<br />
Sowohl als Pfadfinder als auch als Seemann auf Zeit,<br />
bereitete mir das laute Singen des Refrains am meisten<br />
Freude. Bescherte mir das größte Glückgefühl und somit<br />
die wenigste Angst vor der großen, weiten, dunklen Welt<br />
da draußen:<br />
»Heio, heio, heio, heioheioheioho, heiho, heioho,<br />
heiho.«<br />
Allein durch das Schreiben dieser einen Liedzeile,<br />
spüre ich wieder dieses angenehm euphorische Kribbeln.<br />
Was mich leichtsinnigerweise dazu verleitet, Ihnen<br />
bereits jetzt zu verraten, dass die Juvel weder durch die<br />
Rache des Weißen Krills, noch aufgrund vertuschter<br />
Schweißnahtfehler, unterging. Darauf sind Sie bestimmt<br />
schon selber gekommen. Weil Sie, im wortwörtlichen<br />
Sinne, den Beweis dafür gerade in Ihrer Hand halten.<br />
Wäre die Juvel in besagter Sturmnacht auseinandergebrochen,<br />
fünf Schiffstagesreisen weit ab der nächsten<br />
Küste, würde meine in der Koje beim Aufschlagen auf<br />
der Wasseroberfläche entstandene Idee zur Wir lieben die<br />
Stürme-Geschichte, ganz sicher jetzt mit auf dem Meeresgrund<br />
liegen.
Wroommm! –<br />
Die Tiefe des letzten Satzes möchte ich nutzen, um<br />
zur Basis aller menschlichen und metallischen Schweißverbindungen<br />
vorzustoßen. Zu dem dafür notwendigen<br />
Material: zum Stahl. Zu diesem so überaus bedeutenden,<br />
heutzutage aus unserem Leben nicht mehr wegzudenkenden<br />
Werkstoff: diese Wunder vollbringenden Metalllegierungen,<br />
von denen es mehr als 2.500 Sorten gibt und<br />
deren Hauptbestandteil immer Eisen ist. Bevor ich noch<br />
ins Schwärmen gerate, was in unserer Branche eher verpönt<br />
ist, weil’s weder männlich, noch genormt ist, komme<br />
ich rasch zum Worst-Case-Szenario: Würde es keinen<br />
Stahl geben, könnte <strong>Schweißen</strong> (ihn) nicht verbinden.<br />
Weder den Werkstoff noch uns Menschen. Was im doppelten<br />
Sinne nicht nur schade, sondern sehr tragisch wäre.<br />
Wroommm! –<br />
Denn in einer Welt ohne Stahl wären meine Kollegen<br />
und ich arbeitslos. Wir hätten nicht nur nichts zu schweißen,<br />
sondern auch nichts zu lachen. Es gäbe keine Dünnschichtverdampfer<br />
und kein Krill-Fangschiff Juvel. (Was zumindest<br />
den Krill sehr freuen dürfte.) Sowohl in Maulbronn als<br />
auch in Thailand gäbe ‘s keine DSI, in Bremerhaven keine<br />
MWB-Werft, und im Ruhrpott noch nicht mal mehr einen<br />
einzigen, letzten – Ups! fast hätte ich Mohikaner, statt<br />
Stahlkocher geschrieben. Was mich zu dem inspirierenden<br />
Gedanken verleitet, Der letzte Stahlkocher. – Hm, hört sich<br />
doch gar nicht mal so schlecht an. Werde es als Romanidee<br />
mal im Hinterkopf behalten. Kern der Handlung: die langfristige<br />
Erhaltung des deutschen Stahl-Industriestandortes<br />
im Kampf gegen die aufstrebende, sich im Untergrund zu<br />
modernen Wirtschaftsmächten formierende Konkurrenz<br />
aus Russland, Indien und China.<br />
Zurück zu den Fakten: Stahl ist von elementarer<br />
Bedeutung. Nicht nur für Deutschland oder Europa.<br />
Für die gesamte Welt. Insbesondere für die der Männer.<br />
Denn in einer Männerwelt ohne Stahl könnten wir uns<br />
weder stählen noch hart wie Krupp-Stahl werden. Statt<br />
solch einer Persönlichkeitsentwicklung – vom Jüng-<br />
11
12<br />
ling zum Ironman – müssten wir uns in der klassischen<br />
Männerrolle zurechtfinden: als echte deutsche Eiche. Die<br />
allerdings von ihrer Wortart, sprich, ihrem Geschlecht<br />
in der traditionellen deutschen Grammatik, weiblich ist:<br />
die Eiche. Überdies hat sie von Natur aus 34 Chromosomen<br />
weniger als ein Mensch. Warum also zur echten<br />
deutschen Eiche werden? Um sich im Laufe seines<br />
Mann-werdens zurück zu entwickeln? Von 46 Chromosomen<br />
zurück auf 12? – Egal.<br />
Hauptsache ein Kerl wie ein typischer, deutscher<br />
Wappenbaum. Eingeschlechtig, mit starkem, hoch aufragendem<br />
Stamm und rauer Rinde; einer weit ausladenden<br />
Krone, die jedem Sturm trotzt; die im Frühjahr hängende<br />
Blütenstände trägt und zur Jahresmitte hin sommergrün<br />
dichtes Laub; leicht erkennbar an seiner Frucht: der<br />
Eichel. Ihr ganzes langes Leben lang, bleibt die deutsche<br />
Eiche ihrem von Gott bestimmten Lebensplatz<br />
treu. Neigt mit zunehmendem Alter ihre Äste ehrfürchtig<br />
hinab zu ihren Wurzeln. Dorthin, woraus die Krone einst<br />
entspross. Was man als echte deutsche Eiche solange zu<br />
tun hat, bis jemand kommt, den Unbeugsamen fällt, klein<br />
hackt und im Kaminofen verheizt, was über viele Jahrzehnte<br />
langsam gewachsen ist. –<br />
Wer als Mann diesem klassischen Symbol für die<br />
Ewigkeit, dem der echten deutschen Eiche, nicht standhalten<br />
kann oder nicht standhalten will, der könnte sich<br />
ins Münchener Mutterhaus einquartieren: ins Hotel<br />
Deutsche Eiche. Um sich dort in der Sauna von der kaltmetallischen<br />
Welt aus Stahl aufzuwärmen.<br />
Beim Gedanken an diese Alternative bin ich heilfroh,<br />
dass Mutter Natur aus mir einen Kupferschmied gemacht<br />
hat! Wenn auch einen Metaller-Typ, mit gelegentlichem<br />
Hang zur Melancholie. Was nicht weiter schlimm ist.<br />
Weil’s vorüber geht. Manchmal ist’s sogar produktiv!<br />
Wie beispielsweise mein melancholischer Anflug in<br />
Kombination mit einem beruflichen Ausflug nach China.<br />
Als ich mir dort, im Jahre 2009 die philosophische Frage<br />
stellte: Was wäre die Welt ohne Stahl? Woraus wiederum
die gleichnamige, ebenfalls in diesem Büchlein erzählte<br />
Geschichte hervorging.<br />
Doch Freude, schöner Götterfunken: zu unser aller<br />
Glück (jedoch zum Pech für den armen Krill) gibt es<br />
Stahl. Diesen verbinden wir Schweißer durch <strong>Schweißen</strong>.<br />
Wodurch sich wiederum, wie ich aufgezeigt habe,<br />
menschliche Beziehungen ergeben. Weil <strong>Schweißen</strong> nun<br />
mal <strong>verbindet</strong>. Manchmal bewusst, manchmal überraschend.<br />
Erwischen kann‘s faktisch jeden. Und überall.<br />
Man muss sich nur drauf einlassen: auf den Menschen.<br />
Auf das <strong>Schweißen</strong>. Auf den Stahl. Ob lokal oder interkontinental.<br />
Egal. Weil immer phänomenal.<br />
Ziemlich am Ende dieser einleitenden Erzählung<br />
angekommen, bleibt mir einmal mehr nur die Hoffnung.<br />
Ähnlich wie damals, in der antarktischen Sturmnacht.<br />
Doch diesmal richtet sich meine Hoffnung nicht an Zeus<br />
und seinen Bruder Poseidon; nicht an den Schutzpatron<br />
der Schweißer und an den Schutzpatron des Meeres.<br />
Nein, diesmal richtet sich meine Hoffnung an Sie, liebe<br />
Leserin, lieber Leser! Dahingehend, dass Sie hoffentlich<br />
mit Leib und Seele, ganzkörperlich-ganzheitlich, in<br />
die folgenden Schweißgeschichten eintauchen. Worüber<br />
ich mich ganz besonders freuen würde, wenn Sie nicht,<br />
ich wiederhole und unterstreiche der Wichtigkeit wegen,<br />
wenn Sie nicht gebürtig aus der Schweißtechnik kommen.<br />
Sich aber dennoch von der Thematik anstecken und vom<br />
Sog der Erzählungen mitreißen lassen.<br />
Und vielleicht sogar, um nicht zu sagen hoffentlich!,<br />
verfallen Sie beim Lesen der Faszination des <strong>Schweißen</strong>s.<br />
– Von jetzt auf gleich fühlen Sie sich phantastisch,<br />
aufgenommen in einer globalen Gemeinschaft. Eng mit<br />
uns im Einklang verbunden: spürbar durch ein angenehm<br />
kribbelndes, aphrodisierendes Verbundenheitsgefühl, das<br />
Sie noch lange nachspüren werden. Lange nachdem Sie<br />
dieses Büchlein an dessen Ende in heiterer Gelassenheit<br />
sanft zugeklappt haben. –<br />
Wenn dem so sein sollte, wenn ja, dann Hurra! Dann<br />
hat sich meine allererste Emotion, die mich damals in<br />
13
Thailand, beim Signalwort Laserschweißen überkam,<br />
nicht nur doppelt, sondern dreifach gelohnt. Weil dieses<br />
Büchlein, dank Ihres hinzugewonnenen Verbundenheitsgefühls,<br />
eine bislang ungeahnte Dimension erhält: eine<br />
Dritte! Weil dann dieses Büchlein als Beweis dafür steht,<br />
dass durch <strong>Schweißen</strong>, Achtung! – metallische, fachpersonalspezifische<br />
und fachübergreifende Verbindungen<br />
entstehen.<br />
<strong>Schweißen</strong> <strong>verbindet</strong>! Sie, und mich und irgendwie<br />
uns alle. So hat‘s Mutter Natur für uns vorgesehen. Und<br />
so hat es der Dichter der deutschen Aufklärung, der Vordenker<br />
für das neue Selbstbewusstsein des Bürgertums,<br />
Gotthold Ephraim Lessing (1729 – 1781), verfasst.<br />
»In der Natur ist alles mit allem verbunden;<br />
alles durchkreuzt sich, alles wechselt mit allem,<br />
alles ändert sich, eines in das andere.«<br />
Wroommm! –<br />
Querweltein irgendwo unterwegs,<br />
im Frühjahr 2015<br />
14
Die Spezialisten für Großes<br />
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Barlage GmbH I Am Gleis 5 I 49740 Haselünne<br />
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16<br />
Die Geschichte vom kleinen w …<br />
…, das in unserer Branche den großen Unterschied<br />
macht. Ja, sogar den entscheidenden! »Sein oder nicht<br />
sein, das ist …« auch in diesem Theater-Stück, die<br />
zentrale Frage. Abgekupfert, Sie haben’s sicher erkannt,<br />
aus Shakespeares Hamlet. Aus zwei einfachen Gründen:<br />
zum einen, wegen des hohen Bekanntheitsgrades<br />
der Frage. Gleichermaßen bekannt unter den Kennern<br />
des klassischen Theaters, beim Volksmund (der ohnehin<br />
alles weiß), sowie beim Arbeitervolk, das sich aus dem<br />
Volksmund heraus entwickelte. Der zweite Grund ist,<br />
weil die Sein-oder-nicht-Sein-Frage hervorragend zum<br />
Kernthema dieser Geschichte passt. Im leicht abgewandelten<br />
Originaltext sogar noch besser:<br />
»To be or not to be, that is the question:<br />
because that makes the huge difference!«<br />
Was auf unser Thema bezogen und locker aus der<br />
Hüfte übersetzt, so viel bedeutet wie:<br />
»Vorhandensein oder Nichtvorhandensein,<br />
genau das macht den großen Unterschied!«<br />
Gemeint ist das kleine w, das mir und meinen Kollegen<br />
aus der Schweißtechnik, milde ausgedrückt, gern‘<br />
einen Streich spielt. Mir als Autor dieses Büchleins sogar<br />
Angst einjagte. Beim ersten Durchblättern nachdem<br />
es gedruckt worden war. Ein Angstgefühl, das mich<br />
unterschwellig auf jeder Seite, bei jedem Satz und bei<br />
jedem verdammten Wort begleitete. Solange, bis sich<br />
die Angst auch tatsächlich bestätigte. Als selbsterfüllende<br />
Prophezeiung, um es in der Sprache der Soziologen<br />
auszudrücken. Ein gutes Beispiel dafür ist folgender<br />
Schriftsteller, der hauptberuflich Kriminalromane<br />
schreibt. Womit ich sagen möchte, dass nicht nur ich, als<br />
nebenher schriftstellernder Kupferschmied, mir diese