unternehmen Ausgabe71 März 2020
Das Wirtschaftsmagazin im Südwesten. Ausgabe 71 - März 2020
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SPEZIAL <strong>unternehmen</strong> [!]<br />
FOTO: BIG FOOT PRODUCTIONS/SHUTTERSTOCK.COM<br />
Branche mit 28 Milliarden Euro Umsatz<br />
Viele Obstsorten sind eigentlich schon ganz natürlich mit einer Schale geschützt.<br />
„ Die Biopolymere schneiden hinsichtlich<br />
der Ökobilanz nicht besser<br />
ab als viele andere Verpackungsmaterialien.“<br />
Aber sie vermittelten<br />
Kunden ein gutes Gefühl.<br />
„Im Bereich der Papierverpackung<br />
gibt es Neuentwicklungen,<br />
die als Substitution von Kunststoffverpackungen<br />
eingesetzt werden<br />
können.“ Darauf weist Vera Fritsche<br />
hin. Ein Beispiel seien Verpackungspapiere<br />
mit einer Mineralöl- und<br />
Fettbarriere, die eine hohe Produktsicherheit<br />
gewährleisteten und sich<br />
vollständig recyceln ließen.<br />
Aber auch bei Papierverpackungen<br />
gibt es Nachteile. Die Papierfasern<br />
verkürzen sich, man kann es<br />
nicht unendlich oft recyceln, sagt<br />
Kunststoff ist ein Schwerpunkt<br />
der Verpackungsindustrie<br />
in Deutschland, ein zweiter<br />
ist die Papier- und Pappeherstellung.<br />
Dies zeigt auch<br />
die Anzahl der Betriebe: 2018<br />
gab es insgesamt 303 Betriebe,<br />
die Verpackungen aus Papier<br />
und Pappe herstellten<br />
und 259 Unternehmen, die<br />
sich auf Kunststoffverpackungen<br />
spezialisiert haben. Fast<br />
28 Milliarden Euro betrug der<br />
gesamte Umsatz der deutschen<br />
Verpackungsindustrie<br />
im Jahr 2018. Gut 19 Milliarden<br />
Euro sind dabei Inlandsumsatz,<br />
8,7 Milliarden Euro sind<br />
Auslandsumsatz. Rund<br />
121 000 Menschen arbeiteten<br />
in diesem Jahr in der Verpackungsindustrie.<br />
Zur Person<br />
Michael Braungart<br />
ist Professor an der<br />
Leuphana Universität<br />
Lüneburg und<br />
Gründer mehrerer<br />
Organisationen. Seit<br />
Jahren vertritt er das<br />
Cradle-to-Cra dle-<br />
Designkonzept, das<br />
öko-effektive Produkte<br />
entwickelt.<br />
Die Verwertungsquoten<br />
sind vor allem bei Papier und<br />
Pappe sehr hoch, sie liegen bei<br />
99,8 Prozent. Der Verbrauch<br />
von Pappe- und Papierverpackungen<br />
stieg bis 2015 stetig<br />
an, bevor er im Jahr 2016 auf<br />
7,9 Milliarden Tonnen leicht zurück<br />
ging.<br />
Die Menge der eingesammelten<br />
Verpackungen bei gewerblichen<br />
und industriellen Endverbrauchern<br />
betrug im Jahr<br />
2016 rund 4,8 Millionen Tonnen.<br />
Bei privaten Endverbrauchern<br />
wurden insgesamt 5,6<br />
Millionen Tonnen eingesammelt.<br />
Sadlowsky. Braungart gibt zu bedenken,<br />
dass viele Papierverpackungen<br />
eigentlich auch aus Kunststoff seien<br />
– wegen Zusatzstoffen wie Nassfestigkeitsstabilisatoren.<br />
Eine Serviette,<br />
von einem Kreuzfahrtschiff verloren,<br />
bleibe im Meer ein halbes Jahr<br />
erhalten, sagt der Experte. „Ich habe<br />
mit meinen Studenten auch gezeigt,<br />
dass Papiertaschentücher, die beim<br />
Wandern im Gebirge weggeworfen<br />
werden, sechs Jahre lang dort bleiben.“<br />
Selbst Glas ist umstritten. So gerät<br />
Sadlowski fast ins Schwärmen,<br />
wenn er von Glasverpackungen<br />
spricht, die ja aus Stoffen wie Sand<br />
und Siliziumoxid bestehen. Stoffe,<br />
die sich fast beliebig oft in neue<br />
Strukturen packen lassen, wie er<br />
sagt. Braungart hingegen weist auf<br />
die Verletzungsgefahr, das Gewicht,<br />
Bleibelastungen und Keramikeinschlüsse<br />
hin, die das Glas brüchiger<br />
machen.<br />
Sadlowsky stellt angesichts der<br />
Diskussion um Nachhaltigkeit und<br />
Müll die grundsätzliche Frage:<br />
Brauchen wir überhaupt Verpackungsmaterialien?<br />
Die Antwort aller<br />
drei Experten ist klar: Ja. „Viele<br />
Produkte unseres täglichen Lebens,<br />
das gilt besonders für Lebensmittel<br />
und Getränke, Medikamente<br />
und andere schützenswerte Konsumgüter,<br />
sind ohne Verpackung<br />
nicht denkbar“, erklärt Vera Fritsche.<br />
Braungart erzählt von Erfahrungen<br />
aus Russland, wo 90 Prozent<br />
der Ernte verloren gegangen<br />
wären, weil sie nicht richtig verpackt<br />
waren.<br />
Eigentlich ist<br />
alles, was uns<br />
umgibt, entweder<br />
Verpackung oder<br />
Inhalt.<br />
Michael Braungart<br />
Chemiker<br />
Der Cradle-to-Cradle-Experte<br />
geht sogar noch weiter. „Eigentlich<br />
ist alles, was uns umgibt, entweder<br />
Verpackung oder Inhalt.“ Ein Auto<br />
sei eine Menschentransportumverpackung.<br />
Ein Kleidungsstück eine<br />
Menschenprimärverpackung, ein<br />
Auto dessen Sekundärverpackung.<br />
„Was wir in der Verpackungsherstellung<br />
lernen, ist also elementar<br />
wichtig und kann auf andere Lebensfelder<br />
übertragen werden.“<br />
Die Produktverpackungen seien<br />
aufgrund des Kostendrucks und der<br />
öffentlichen Debatte die am weitesten<br />
entwickelten Industrieprodukte.<br />
Deshalb gelte: „Wir müssen Verpackungen<br />
nochmal neu denken.“<br />
Für einen großen Eishersteller<br />
haben er und seine Kollegen eine<br />
Verpackung entwickelt, die sich in<br />
Flüssigkeit auflöst, wenn sie eine<br />
gewisse Zeit nicht mehr gekühlt<br />
wird. Integriert sind Samen seltener<br />
Blumen, die wachsen und erblühen,<br />
wenn man das Eis gegessen<br />
und die Verpackung in die Wiese<br />
geworfen hat. Braungart wartet<br />
noch auf ihren Einsatz. [!]