04_2020 HEINZ Magazin Wuppertal, Solingen, Remscheid
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KUNST | ÜBERSICHT<br />
Aenne Biermann, Kinderhände (Helga), 1928.<br />
Museum Folkwang, Essen<br />
VERTRAUTHEIT MIT DENDINGEN<br />
Aenne Biermann<br />
DasBlatt des Gummibaums glänzt metallischwie<br />
ein Bronzeschild, dasSpiegelei<br />
schillertinder Pfanne,samtigweiße<br />
Eier werfen graue Schlagschattenund<br />
einkleines Mädchen schaut<br />
versonnenaus dem Bild–es sind Fotos<br />
mit sensiblemGespürfür Komposition<br />
undDynamik,für Stimmungen und<br />
denoptischenReizeines unspektakulärenMotivs.<br />
Aufgenommenhat sievor<br />
90 Jahren eine Autodidaktin, Aenne<br />
Biermann (1898-1933), Unternehmergattin<br />
undMutter, dieinihrem kurzen<br />
Leben eineverblüffende Karriereals<br />
Avantgardefotografin hinlegte, obwohl<br />
sie nur fotografierte,was ihrnah<br />
undvertraut war. Ihre Kinder,Zimmerpflanzen,<br />
die Steinsammlung,Obst,<br />
Stillleben, Porträts.Inallenwichtigen<br />
Ausstellungen zum „Neuen Sehen“<br />
rund um 1930 warsie vertreten; im<br />
MuseumFolkwang nun mit100 Vintage-Abzügen.<br />
ch<br />
❚ AENNE BIERMANN Museum Folkwang,<br />
Museumsplatz 1, Essen; Dauer: bis1.6.<br />
FILMFOTO POLITIK<br />
On View2<br />
Die blutigenSpuren, dieder Stacheldraht-Hula-Hoop-Reifen<br />
im Bauch der<br />
Protagonistin in Sigalit LandausVideofilm<br />
„Barbed Hula“ (2000)hinterlässt,<br />
erinnernanKörpermarkierungen wie<br />
sieinreligiösen Ritualen üblich sind,<br />
an Marina Abramovic oder die Body-<br />
Artder WienerAktionisten der 1960er<br />
und70er Jahren. Zudemsindsie ein<br />
starkes Bild fürdie Repressionen, unterdenen<br />
vieleMenschen/Frauenauf<br />
derganzen Welt lebenmüssen. Der<br />
Film istderzeit in derfamosen Gruppenausstellung<br />
ON VIEW in derJulia<br />
Stoschek Collection zu sehen.<br />
(Kunst)Filmund Fotografie in ihrer Auseinandersetzungmit<br />
gesellschaftspolitischen<br />
Themen, das ist die Klammer,<br />
diedie Werkeder elf beteiligten Kunstschaffenden<br />
zusammenfasst.Ja, es ist<br />
richtigund wichtig, gerade heuteauch<br />
an das politische Potential vonKunst<br />
zu erinnern.<br />
kb<br />
❚ JSCONVIEW2JuliaStoschek Collection,<br />
Schanzenstr. 54, Düsseldorf; Dauer: bis 19.7.<br />
Sigalit Landau, Barbed Hula, 2000, Video, Loop, Farbe, Ton.<br />
Videostill. Courtesy of the artist.<br />
Claudia Heinrich<br />
EinHaus fürdie Sammlung<br />
Anfang April ist es so weit: Das<br />
KunstmuseumBochumwächst und gewinnt<br />
Platzfür diestädtische Kunstsammlung.<br />
Man erweitert sich in die<br />
benachbarte Gründerzeitvilla –nach<br />
jahrelanger Planung und Grundsanierung.Ein<br />
waschechtes Coming-home!<br />
Denn dieVilla Marckhoff-Rosenstein,<br />
1900 alshochherrschaftliches Doppelhausfür<br />
zwei Industriellenfamilien errichtet,<br />
im Kriegteilzerstört und danach<br />
provisorisch fürAusstellungen instandgesetzt,<br />
wardas ersteBochumer<br />
Museum.Eröffnete fast auf den Tag<br />
genauvor 60 Jahren,am3.April1960<br />
–zunächstals Städtische Kunstgalerie,<br />
einpaar Jahrespäterdank schnell<br />
wachsender Sammlung offiziell als<br />
Museum.Bis 1983. Da weihte man<br />
den angefügtenNeubau ein, diebaufälligeVilla<br />
schloss. Und dieSammlung<br />
wanderte ins Depot. Mittlerweile über<br />
5000 Werkeschlummerndortseither<br />
unsichtbarvor sich hin, dennder Neubau<br />
hatnur Raum für Wechselausstellungen<br />
ausallerWelt. Ab und an erblickten<br />
eingemottete Werkeaus BochumerBestandmal<br />
kurz dasTageslicht,<br />
integriert in eine Gruppenschau,um<br />
dannaberfix wieder in der Versenkung<br />
zu verschwinden.Das ändertsichjetzt:<br />
Die Villa istbereit. Die gesamte 1. Etage<br />
zeigtzunächst einmaldie Highlights,<br />
das Tafelsilber,über 50 Meisterwerke<br />
und zwar dauerhaftbis Ende 2022.<br />
Temporär gibt’s alsJubiläumsbonus geballte<br />
Frauenpower: „Künstlerinnenin<br />
der BochumerKunstsammlung“, bis<br />
21.6. im Neubau.Nochackertman mit<br />
Hochdruckauf den Baustellen. Für<br />
denletzten Feinschliff, diefinaleHängung<br />
schließt das Haus bis4.April.<br />
Sonntag, 5. April,lädtdas KunstmuseumganzBochumein<br />
zumgroßen<br />
Eröffnungsfest.<br />
Claudia Heinrich<br />
Hannsjörg Voth, Himmelstreppe, 1987, Foto: Ingrid Amslinger ©VG Bild-Kunst, Bonn <strong>2020</strong><br />
ZWEI BERGISCHE KUNSTPREIS-TRÄGER<br />
Czupryn /Mühlenbrink<br />
ZWISCHENHEIMATSTOLZ UND KOMMERZ<br />
Revierfolklore<br />
DieEieruhr,die nach Ablauf dasSteigerliedspielt,<br />
dasQuietsche-Entchen<br />
im Kumpel-Look,schwarzeBrikett-Seife,Revierfußball-Devotionalien<br />
undall<br />
die liebevoll bemalten undbepflanztenLoren<br />
in Vorgärten–alles sentimentaler<br />
Kitsch?Kommerzwareder<br />
Imageindustrie?Relikteder Ruhrpott-<br />
Vergangenheit, diesoraschwie möglich<br />
auf dem Schuttablageplatzder<br />
Zeit entsorgt werden sollten, weil sie<br />
DieAusstellungkombiniertWerke<br />
zweier DüsseldorferKünstler,die einst<br />
als Bergische Kunstpreis-Träger ihre<br />
Karrierestarteten. Beide sindMaler,<br />
die mit erstaunlicherKunstfertigkeit<br />
das Auge täuschen.Jochen Mühlenbrink,<br />
Preisträger2012, malt nebensächliche<br />
„Unmotive“ wieandie Wand<br />
gelehnte Bilderstapel,benutztePizzaschachteln,<br />
Pappstücke, Klebeband<br />
oder Landschaftspanoramen, die hinterverschmiertenZugfenstern<br />
vorbeiziehen.Fotorealistische<br />
Malerei vom<br />
Feinsten!Und stilleGegenstücke zu der<br />
schrillen Trompe-l’œil-Malerei vonDavid<br />
Czupryn, der 2016 nebendem<br />
Haupt- auch denPublikumspreis abräumte.<br />
Czupryngestaltet groteske<br />
verspielteWimmelbilder. Vorkulissenartigem<br />
Hintergrundtummelnsich gemalteSkulpturen<br />
vonfaszinierender<br />
Stofflichkeit undominöse Dinge in<br />
poppigen Farben.<br />
ch<br />
❚ DAVIDCZUPRYAN/JOCHENMÜHLENBRINK<br />
Kunstmuseum <strong>Solingen</strong>; Dauer: bis26.4.<br />
©LWL/Martin Holtappels<br />
JENSEITS DERZEIT<br />
Voth /Amslinger<br />
HannsjörgVothmacht mit spektakulären,<br />
monumentalen Skulpturen seit<br />
den 1970erJahrenvon Menschen in<br />
Landschaftengemachte Eingriffe<br />
deutlich.Zeichnungen,Modelle und<br />
packende,stille schwarz-weiß Fotografien<br />
vonIngrid Amslinger zeigen<br />
acht dieser ProjekteimVon der Heydt-Museum.<br />
Darunterdie „Reiseins<br />
Meer“von einer verpackten Skulptur<br />
vonLudwigshafen bis Rotterdam, vorbeianIndustrie<br />
undNatur (1978)und<br />
eine in Marokkoerbaute steile „Himmelstreppe“(1980-87).<br />
Surreale,poetische<br />
Zeichnungen, Aquarelle undMaterialbilder,<br />
diewährend langer Aufenthalteinder<br />
Mahra-Ebene entstanden,<br />
verdeutlichen Vothszeitlos-existentielles,kritisches<br />
Konzept. Er sei,<br />
heißt es,vehementerGegner des<br />
landschaftszerstörenden Offroad-Tourismus.<br />
bws<br />
❚ HANNSJÖRG VOTH /INGRID AMSLINGER,ZU<br />
LANDE UND ZU WASSER Vonder Heydt-Museum,<br />
Turmhof8,<strong>Wuppertal</strong>,Dauer: 24.3.-13.9<br />
den Blick nach vorn verstellen? Oder<br />
doch wichtigeErinnerungsstücke,die<br />
wohlige Heimatgefühlepflegen? SolcheFragen<br />
willdie Ruhrfolklore-Schau<br />
im LWL-Museum ZecheZollern durchausaufwerfen.<br />
Aber im Vordergrund<br />
stehtfür Besucher die Lust am Schauen<br />
undEntdecken,lächelnd, schaudernd–dieüber<br />
250Exponate,nach<br />
Themenfelderngeordnet,haben unstrittig<br />
allerhöchsten Unterhaltungswert.<br />
ch<br />
❚ REVIERFOLKLORE LWL-Industriemuseum Zeche<br />
Zollern, Grubenweg 5, Dortmund; Dauer: bis25.10.<br />
Jochen Mühlenbrink, Dawn II. Foto: Ivo Faber,<br />
©VG Bild-Kunst, <strong>2020</strong><br />
30| <strong>HEINZ</strong> |<strong>04</strong>.<strong>2020</strong>