Stahlreport 2020.04
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BDS<br />
Recht<br />
vorübergehend kurze Zeit aus persönlichen<br />
Gründen).<br />
Fraglich ist hier, ob die Verhinderung<br />
noch als „vorübergehend“<br />
anzusehen ist. Ein Zeitraum von bis<br />
zu zehn Tagen wird als eine „verhältnismäßig<br />
nicht erhebliche Zeit“<br />
im Sinne des § 616 Satz 1 BGB angesehen.<br />
Die Schließung des Kindergartens<br />
für sogleich zwei Wochen<br />
oder länger fällt daher nicht mehr<br />
unter § 616 BGB. In jedem Fall ist<br />
es ratsam, § 616 BGB vertraglich<br />
oder per Betriebsvereinbarung abzubedingen.<br />
Da das Kind selbst weder krank<br />
noch pflegebedürftig ist, besteht kein<br />
Anspruch der Arbeitnehmer auf<br />
„Krankengeld wegen Erkrankung<br />
des Kindes“ gemäß § 45 SGB V oder<br />
auf „Pflegeunterstützungsgeld“ ge -<br />
mäß § 44a Abs. 3 SGB XI.<br />
8Hat ein Arbeitnehmer<br />
Anspruch auf Vergütung,<br />
wenn er wegen des Virus seinen<br />
Arbeitsplatz nicht erreichen<br />
kann, etwa weil der ÖPNV<br />
lahmgelegt ist?<br />
Hier gilt der allgemeine Grundsatz<br />
im Arbeitsrecht, dass der Arbeitnehmer<br />
das Risiko trägt, dass er zu<br />
seinem Arbeitsplatz gelangt (sogenanntes<br />
Wegerisiko). Kann der<br />
Arbeitnehmer aufgrund von allgemein<br />
angeordneten Maßnahmen seinen<br />
Arbeitsplatz nicht oder nur verspätet<br />
erreichen und somit seine<br />
Arbeitsleistung nicht erbringen, entfällt<br />
sein Vergütungsanspruch (§<br />
326 Abs. 1 BGB), wenn arbeits- oder<br />
tarifvertraglich nicht etwas anders<br />
vereinbart worden ist.<br />
9Gelten besondere Fürsorgepflichten<br />
für Arbeitgeber,<br />
die aus China, Italien oder<br />
einem anderen Gefahrengebiet<br />
zurückkehrende Arbeitnehmer<br />
beschäftigen?<br />
Kehren Arbeitnehmer aus Risikogebieten<br />
(China, Italien, Iran usw., und<br />
weitere, zum Beispiel bundesdeutsche<br />
Risikogebiete) in den Betrieb<br />
zurück, wird man Arbeitgeber trotz<br />
der besonderen datenschutzrechtlichen<br />
Pflichten bei der Preisgabe personenbezogener<br />
Daten der Arbeitnehmer<br />
für verpflichtet halten, die<br />
anderen Arbeitnehmer darüber zu<br />
informieren (§ 26 Abs. 1 Satz 1 BDSG<br />
und § 26 Abs. 3 Satz 1 BDSG im<br />
Krankheits- oder Verdachtsfall).<br />
Sinnvollerweise sollten die<br />
zurückkehrenden Arbeitnehmer –<br />
zumindest von der Rückkehr aus<br />
den vorgenannten Risikogebieten<br />
und gegebenenfalls noch bekannt<br />
werdenden Risikogebieten – für<br />
einige Tage freigestellt werden, ärztlich<br />
untersucht werden (Schnelltest),<br />
um eine Ansteckung auszuschließen.<br />
Da die Zeit bis zum Auftreten<br />
der Symptome 14 Tage betragen<br />
kann, genügt die Beobachtung in<br />
diesen besonderen Situationen nicht.<br />
Hat ein Arbeitnehmer in<br />
10 Zeiten von Corona<br />
Anspruch auf Arbeit im Home -<br />
office?<br />
Nein, ein Anspruch besteht nicht.<br />
Von sich aus darf der Arbeitnehmer<br />
nicht im Homeoffice arbeiten. Allerdings<br />
können sich Arbeitgeber und<br />
Arbeitnehmer auf eine Tätigkeit im<br />
Homeoffice einigen. Es ist davon auszugehen,<br />
dass der Druck, Homeoffice-Regelungen<br />
zuzulassen bzw.<br />
auszuweiten, steigen wird. Der<br />
Arbeitgeber hat dann zu prüfen, dass<br />
der Arbeitnehmer über technisches<br />
Equipment verfügt, der Datenschutz<br />
gewährleistet ist und die Wohnung<br />
des Arbeitnehmers für eine Tätigkeit<br />
im Homeoffice geeignet ist.<br />
Hat der Arbeitnehmer die<br />
11 Pflicht, Dienstreisen in<br />
Risikogebiete bzw. Geschäftstermine<br />
mit Kunden aus Risikogebieten<br />
wahrzunehmen?<br />
Bei einer derartigen Anweisung muss<br />
der Arbeitgeber billiges Ermessen<br />
anwenden, § 106 Gewerbeordnung.<br />
Der Arbeitgeber hat die Individualinteressen<br />
des Arbeitnehmers mit<br />
den betrieblichen Interessen abzuwägen.<br />
Dabei sind die gesundheitlichen<br />
Fürsorgepflichten des Arbeitgebers<br />
zu beachten. Ein starkes Indiz<br />
für die Unzumutbarkeit von Dienstreisen<br />
sind offizielle Reisewarnungen<br />
des Auswärtigen Amtes.<br />
Hat der Arbeitnehmer<br />
12 gegen den Arbeitgeber<br />
einen Vergütungsanspruch,<br />
wenn er nachweislich aufgrund<br />
des Coronavirus erkrankt und<br />
damit arbeitsunfähig ist?<br />
Liegen weder staatliche noch<br />
behördliche Anordnungen vor, hat<br />
der Arbeitnehmer bei Erkrankung<br />
den üblichen Vergütungsanspruch<br />
aus dem Entgeltfortzahlungsgesetz<br />
(„EntgFG“), § 3 EntgFG.<br />
Hat der Arbeitnehmer<br />
13 gegen den Arbeitgeber<br />
einen Vergütungsanspruch,<br />
wenn eine Behörde gegen ihn<br />
ein Tätigkeitsverbot verhängt?<br />
Wenn gegen den am Corona-Virus<br />
erkrankten Arbeitnehmer zugleich<br />
ein Tätigkeitsverbot angeordnet worden<br />
ist (§ 31 Satz 2 IfSG), konkurrieren<br />
der Entgeltfortzahlungsanspruch<br />
des Arbeitnehmers gemäß<br />
§ 3 EntgFG mit dem Entschädigungsanspruch<br />
nach dem IfSG (§ 56 Abs.<br />
1 IfSG).<br />
Danach entschädigt der Staat<br />
den Verdienstausfall für die Dauer<br />
von sechs Wochen. Bei Arbeitnehmern<br />
hat nach § 56 Abs. 5 IfSG der<br />
Arbeitgeber die Entschädigung in<br />
Geld zu leisten (§§ 57 ff IfSG). Der<br />
Arbeitgeber kann dann innerhalb<br />
von drei Monaten nachträglich bei<br />
der zuständigen Behörde Erstattung<br />
der geleisteten Beträge beantragen.<br />
Das Verhältnis des Entgeltfortzahlungsanspruchs<br />
gemäß EntgFG und<br />
des Erstattungsanspruchs gemäß IfSG<br />
ist nicht höchstrichterlich geklärt.<br />
Unseres Erachtens spricht viel dafür,<br />
dass das infektionsschutzrechtliche<br />
Tätigkeitsverbot wegen der öffentlich-rechtlichen<br />
Zwangswirkung der<br />
Erkrankung des Arbeitnehmers vorgeht.<br />
Zudem greift der Erstattungsanspruch<br />
gemäß IfSG nach der gesetzlichen<br />
Konzeption grundsätzlich<br />
unabhängig davon, ob Arbeitnehmer<br />
tatsächlich erkrankt sind. Unseres<br />
Erachtens sollte daher der Erstattungsanspruch<br />
vorgehen gemäß IfSG<br />
und in jedem Fall ein Antrag auf<br />
Erstattung gestellt werden.<br />
Der Entschädigungsanspruch<br />
gemäß IfSG ist auch dann fraglich,<br />
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