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PORTRÄT |<br />
Nathalie Schertenleib – Spitzensportlerin auf der Suche nach Lebenssinn<br />
Der Lauf des Lebens<br />
TV-TIPP<br />
FENSTER ZUM SONNTAG<br />
«Ausgerannt – Depression<br />
und Spitzensport»<br />
Sa, 6. <strong>Juni</strong><br />
So, 7. <strong>Juni</strong><br />
16.40 Uhr<br />
18.30 Uhr<br />
11.45 Uhr<br />
17.45 Uhr<br />
Nathalie Schertenleib: Die Profisportlerin, die durch ein Burnout ihre Berufung entdeckt.<br />
VON ANJA LAUWINER<br />
Der Sprung in die Spitze der Schweizer<br />
Leichtathletikszene ist bereits in unmittelbarer<br />
Reichweite – doch dann platzt der<br />
Traum von Nathalie Schertenleib. Sie<br />
zerbricht am Leistungsdruck. Ein Burnout<br />
und Depressionen zwingen sie in die Knie.<br />
So stellt sie sich einem Neuanfang und lernt<br />
sich selbst neu kennen.<br />
Bereits als Kind träumt Nathalie Schertenleib<br />
von einer Karriere als Profisportlerin,<br />
dafür kämpft sie hart. «Als Leichtathletin<br />
wollte ich der Weltelite angehören und auch<br />
an Olympischen Spielen teilnehmen.» Durch<br />
dieses Ziel ist ihr Alltag von Trainings- und<br />
Ernährungsplänen bestimmt. Sie nimmt an<br />
etlichen Wettkämpfen und Schweizermeisterschaften<br />
teil, mit Erfolg – Nathalie<br />
Schertenleib gewinnt mehrere Titel. «Die<br />
Wettkämpfe spornten mich enorm an,<br />
dabei konnte ich meine wichtigsten Werte<br />
ausleben: Fokus, Energie, Engagement<br />
und Professionalität.» Der internationale<br />
Durchbruch scheint nicht mehr fern.<br />
Ausgerannt<br />
Doch nachdem sich ihre Mutter unerwartet<br />
von der Familie trennt, wird Nathalie Schertenleib<br />
mit der Aufgabe konfrontiert, ihren<br />
Vater aus der darauffolgenden Depression<br />
und ihre Schwester aus einer Essstörung zu<br />
führen. Als Teenagerin schmeisst sie den<br />
Haushalt und regelt die Finanzen der Familie<br />
– neben täglichem Intensivtraining und<br />
Gymnasium. «Als Leistungssportlerin lernte<br />
ich, mit Schmerz umzugehen,<br />
ihn zu überwinden und durchzubeissen.<br />
Doch ich ging allen<br />
unangenehmen Gefühlen aus<br />
dem Weg und unterdrückte<br />
meinen emotionalen Schmerz.»<br />
Dann überrennen Nathalie Schertenleib die<br />
Gefühle, die sich in ihr aufstauten. Bis dahin<br />
waren ihre Tage total durchstrukturiert.<br />
«Alles brach ein, ich war körperlich am<br />
Ende und konnte mich physisch nicht mehr<br />
aus meinem Bett bewegen.» Stillstand. Ihr<br />
Körper ist verkrampft. Nathalie Schertenleib<br />
hinterfragt alles, an erster Stelle sich<br />
selbst und den ihr vermittelten christlichen<br />
Glauben. Denn auch im Glauben an Gott<br />
fühlt sie einen enormen Leistungsdruck.<br />
Neustart<br />
«Mein Körper schottete sich ab, damit er<br />
nichts mehr leisten musste, und er zwang<br />
mich, nach innen zu schauen und mich mit<br />
mir zu beschäftigen.» Durch den Zusammenbruch<br />
von all dem, was Nathalie Schertenleib<br />
zuvor Lebenssinn verlieh, stellt sie<br />
sich ihre Frage nach dem Sinn ganz neu.<br />
«Dabei spürte ich einen nie dagewesenen<br />
Ort, einen ‹liebenden›, wohltuenden Ort, tief<br />
in mir drin.» Am<br />
Tiefpunkt ihres<br />
Lebens entdeckt<br />
sie den Gott, der<br />
sie nicht aufgrund<br />
ihrer Leistung liebt,<br />
sondern aus voller Gnade. «Diese Gewissheit<br />
bereichert mich viel mehr, als unzählige<br />
Stunden zu trainieren und auf dem Höhepunkt<br />
eine sportliche Leistung abzuliefern.»<br />
Wieder berufsfähig, entscheidet sie sich für<br />
ein Theologiestudium. Heute leitet Nathalie<br />
Schertenleib den Bereich der beruflichen<br />
Wiedereingliederung der Stiftung WG-<br />
Treffpunkt. Dort begleitet sie Menschen, die<br />
oft aus psychischen Gründen aus dem<br />
Arbeitsmarkt ausgeschieden sind, wie sie<br />
es einst selbst erlebte.<br />
«In dem Moment, als alles<br />
zerbrach und ich nichts<br />
mehr für Gott leisten konnte,<br />
war er plötzlich da.»<br />
8 | <strong>Life</strong> <strong>Channel</strong> <strong>Magazin</strong> | <strong>Juni</strong> <strong>2020</strong>