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Nachhaltigkeit und Innovation - so kann's gehen

Gerade in der Krise braucht es Innovationen. Dann wären das aktuell perfekte Zeiten für Erfinder. Die Realität ist nicht ganz so einfach. Vor allem nachhaltige Ideen brauchen als Antrieb eher Vertrauen als Angst. UmweltDialog geht in seinem neuen Magazin (ET 18. Mai 2020) auf 80 Seiten der Frage nach, warum wir Politik, Gesellschaft und Markt neu erfinden müssen.

Gerade in der Krise braucht es Innovationen. Dann wären das aktuell perfekte Zeiten für Erfinder. Die Realität ist nicht ganz so einfach. Vor allem nachhaltige Ideen brauchen als Antrieb eher Vertrauen als Angst. UmweltDialog geht in seinem neuen Magazin (ET 18. Mai 2020) auf 80 Seiten der Frage nach, warum wir Politik, Gesellschaft und Markt neu erfinden müssen.

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Ausgabe 13<br />

Mai 2020<br />

9,00 EUR<br />

<strong>Innovation</strong>en<br />

Warum wir Gesellschaft, Politik <strong>und</strong> Markt<br />

neu erfinden müssen<br />

umweltdialog.de


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<strong>Innovation</strong><br />

Eigentlich, ...<br />

EDITORIAL<br />

... liebe Leserinnen <strong>und</strong> Leser, stand das Konzept für diese Ausgabe ganz<br />

früh fest: Eine nachhaltige Entwicklung im Einklang mit den planetaren<br />

Belastungsgrenzen <strong>und</strong> dem Zwei-Grad-Ziel von Paris erreichen wir nur,<br />

wenn wir a) unseren Konsum einschränken <strong>und</strong> verzichten lernen oder b)<br />

die Art unseres Konsums <strong>und</strong> unserer Produktionsweisen verändern. Variante<br />

A geht von heute auf morgen. Diese Forderung findet sich übrigens<br />

meist in saturierten Ländern – <strong>so</strong>genannten Wohlstandsgesellschaften.<br />

In anderen Teilen der Welt bedeutet Verzicht die freiwillige Aufgabe<br />

von Zukunftschancen. Das wollen wenige. Darum Variante B: Lasst uns<br />

über <strong>Innovation</strong>en ein Morgen schaffen, das eben nicht auf Raubbau<br />

basiert! Das Problem daran ist, dass es eine Wette auf die Zukunft ist. Die<br />

<strong>Innovation</strong>en sind (noch) nicht da. Man kann sie nicht erzwingen, <strong>und</strong><br />

darum gibt es auch keine Erfolgsgarantie. Das muss man sich immer klar<br />

machen.<br />

Warum al<strong>so</strong> das Wort „eigentlich“ am Anfang? Weil seit Mitte März<br />

der Corona-Virus die Welt in Atem hält. Wie kann man da ein Magazin<br />

über ein ganz anderes Thema machen? Weil es gerade jetzt wichtig ist:<br />

Irgendwann geht auch diese Krise vorbei. Wollen wir danach zurück<br />

auf den 17. März, den Tag des Shutdowns in Deutschland? Bitte nicht.<br />

Lassen Sie uns lieber die Zukunft neu denken! Zugegeben, da wartet<br />

ein riesen Schuldenberg auf uns. Wie tragen wir den ab <strong>und</strong> sammeln<br />

die Corona-Scherben wieder ein? Indem wir ein Stück weit unser Land<br />

neu erfinden: <strong>Innovation</strong>en <strong>und</strong> nachhaltiges Unternehmertum sind<br />

gefragt. Und in der Post-Corona-Zeit werden wir uns entscheiden müssen,<br />

welche Art von Wiederaufbau wir wollen: Weiterhin den fossilen Raubbau-<br />

Kapitalismus? Eine Postwachstums-Biosphäre? Eine Zukunft, die von KI<br />

beherrscht wird? Oder ein Weg, an den noch keiner gedacht hat. Letzteres<br />

halte ich für wahrscheinlich, denn die Zukunft kommt immer anders, als<br />

man denkt ...<br />

Viel Spaß beim Lesen wünscht im Namen der gesamten Redaktion Ihr<br />

Dr. Elmer Lenzen<br />

Chefredakteur<br />

Das nächste<br />

UmweltDialog-Magazin<br />

erscheint am 16.11.2020.


<strong>Innovation</strong><br />

Inhalt<br />

EIN BÜNDNIS MIT DER ZUKUNFT<br />

Wie wird die Post-Corona Welt aussehen? ..................... 6<br />

Wenn wir den Blick über den Tellerrand der aktuellen<br />

Virus-Krise lenken, empfangen wir unklare Bilder der<br />

Zukunft. Wir ahnen: Vieles wird anders.<br />

Aufbruch in die ökologische Moderne .......................... 10<br />

Umweltpolitik ist kein Nischenthema mehr, <strong>so</strong>ndern wird<br />

zur neuen Zentralachse der Politik.<br />

Wirtschaften in einer vollen Welt .................................... 18<br />

Wie kann ein Wirtschaftssystem aussehen, das mit den<br />

Grenzen unseres Erdsystems kompatibel ist? Welche Ansätze<br />

gibt es, <strong>und</strong> welche werden bereits praktisch umgesetzt?<br />

Neue gesellschaftliche Allianzen ....................................24<br />

Die <strong>so</strong>ziale Organisation von Gesellschaften ist nicht nur<br />

Ursache von Umweltproblemen, sie ist zugleich Bedingung<br />

für deren Lösung. Die ökologische Frage wird damit zur<br />

<strong>so</strong>zialen Frage – genau<strong>so</strong> wie andersherum.<br />

10<br />

Ohne eine grüne industrielle<br />

Revolution werden wir den Wettlauf<br />

mit dem Klimawandel nicht gewinnen.<br />

„Wir sind eine überforderte Gesellschaft“ ....................28<br />

Größer, schneller, weiter. Noch immer glauben wir, unser<br />

Glück durch Konsum <strong>und</strong> Leistung erzwingen zu können.<br />

Ein Gespräch mit dem renommierten Psychologen<br />

Wolfgang Schmidbauer.<br />

THINK BIG<br />

Vom Gott der Zerstörung <strong>und</strong><br />

dem Perpetuum mobile der Milliardengewinne ...........32<br />

Nach Corona wird die Welt eine andere sein. Aber bedeutet<br />

die Krise nur Zerstörung, oder kann darin auch eine schöpferische<br />

Kraft liegen?<br />

Advertorial | Dy<strong>so</strong>n: Innovative Waschräume ...............37<br />

Kooperationen mit Gewinnchancen ...............................38<br />

Wenn Start-ups <strong>und</strong> etablierte Unternehmen zusammenarbeiten,<br />

prallen Welten aufeinander. Experten aber<br />

entdecken darin auch Möglichkeiten.<br />

Große Pläne! Visionäre, Fantasten <strong>und</strong> Erfinder ..........44<br />

Welche Erfindertypen gibt es?


<strong>Innovation</strong><br />

THINK TWICE<br />

Social Impact Economy:<br />

Konsum für einen guten Zweck .......................................48<br />

Immer mehr Menschen probieren heute Lösungsansätze im<br />

Kleinen aus, die morgen im Großen funktionieren können.<br />

32<br />

Wachstum ist ein Prozess<br />

schöpferischer Zerstörung.<br />

Neuer Konsum, neue Ökonomie? ....................................54<br />

Mehr Konsum gleich mehr Produktion gleich mehr Gewinn?<br />

Mit der <strong>Nachhaltigkeit</strong>sdiskussion haben sich in den letzten<br />

Jahren auch neue Arten des Konsums entwickelt.<br />

Advertorial | Nespres<strong>so</strong>:<br />

Die vielen Leben einer Kaffeekapsel ..............................58<br />

Ein Haus für <strong>Innovation</strong>en ...............................................60<br />

Idee plus Markterfolg gleich <strong>Innovation</strong>! Wie Unternehmen<br />

diesen Prozess managen können, weiß Angela Hengsberger.<br />

Erfindungen, die eigentlich für<br />

etwas ganz anderes gedacht waren ..............................62<br />

Die wichtigsten Erfindungen <strong>und</strong> <strong>Innovation</strong>en <strong>gehen</strong> entweder<br />

auf einen großen Geist oder auf einen Zufall zurück.<br />

Was haben Coca-Cola, Frisbee <strong>und</strong> Viagra gemeinsam?<br />

THINK INCREMENTALLY<br />

48<br />

Nachhaltiger Konsum heißt nicht<br />

weniger Konsum, <strong>so</strong>ndern<br />

effizienter <strong>und</strong> bewusster Konsum.<br />

Fünf Fragen zur Künstlichen Intelligenz ........................66<br />

Welche Umsatzpotenziale <strong>und</strong> Produktivitätseffekte haben<br />

KI-getriebene Geschäftsmodelle für Industriebetriebe? Machen<br />

Maschinen uns Menschen überflüssig?<br />

Weniger ist manchmal doch mehr .................................. 72<br />

Immer neue Produkte auf dem Markt. Wir haben uns alle<br />

daran gewöhnt. Elmar Schüller nicht. Für ihn bedeutet<br />

<strong>Nachhaltigkeit</strong> die Reduktion auf das Wesentliche.<br />

Advertorial | MAN: The Next Generation ....................... 76<br />

Mit der neuen Truck Generation hat MAN das<br />

bestmögliche Fahrzeug für die K<strong>und</strong>en entwickelt, mit<br />

dem sie die Marktumbrüche meistern können.<br />

Driven by Purpose: Eine neue Ära? ................................. 78<br />

Die Menschheit steht an der Schwelle zu einer zweiten<br />

Renaissance: Visionäre Unternehmen zeigen, welche<br />

Potenziale das Streben nach Höherem entfalten kann.<br />

72<br />

Wir müssen es einfach wieder schaffen,<br />

das Überflüssige wegzulassen.


<strong>Innovation</strong><br />

Wie wird die<br />

Post-Corona-Welt<br />

aussehen?<br />

Wenn wir den Blick über den Tellerrand der aktuellen Virus-<br />

Krise lenken, empfangen wir unklare Bilder der Zukunft. Wir<br />

ahnen: Vieles wird anders. In vier Szenarien hat das Team<br />

des Zukunftsinstituts die Möglichkeitsräume ausgeleuchtet.<br />

Foto: Joshua Stevens / NASA<br />

6 Ausgabe 13 | Mai 2020 | Umweltdialog.de


<strong>Innovation</strong><br />

1 Szenario 1: Totale I<strong>so</strong>lation<br />

▸ Willkommen in der Super-Safe-Society!<br />

Die Gesellschaft definiert sich wieder<br />

ganz klar als Nation. Denn Sicherheit<br />

kann nur gewährleistet werden, indem<br />

die Grenzen der Sicherheitszone klar<br />

abgesteckt werden. Sie steht an erster<br />

Stelle. Jeder Mensch ist sich selbst der<br />

nächste, <strong>und</strong> der Staat setzt alle verfügbaren<br />

Mittel ein, um die Bürgerinnen<br />

<strong>und</strong> Bürger zu beschützen – auch,<br />

indem er tiefliegende Ängste schürt<br />

oder Lebensmittel künstlich verknappt.<br />

Menschen nutzen daher alle möglichen<br />

Freiflächen, um Obst <strong>und</strong> Gemüse anzubauen.<br />

Der Schwarzmarkt <strong>und</strong> der<br />

Tauschhandel florieren.<br />

▸ De-Urbanisierung: Das Land gewinnt<br />

an Macht. Wer kann, zieht raus aus der<br />

Stadt, ver<strong>so</strong>rgt sich selbst – <strong>und</strong> verdient<br />

gutes Geld, indem er verarmte Städter<br />

mit Lebensmitteln ver<strong>so</strong>rgt. Der Trend<br />

zum Single-Leben, zu immer kleineren<br />

Wohnungen <strong>und</strong> Co-Living, zur Abhängigkeit<br />

von öffentlichen Verkehrsmitteln<br />

<strong>und</strong> globalen Warenströmen hat die<br />

Stadtbevölkerung unselbstständig gemacht.<br />

Die urbanen Hipster sind zur<br />

prekären Klasse geworden.<br />

▸ Germophobia, die Sehnsucht<br />

nach Keimfreiheit, hat das<br />

Misstrauen gegenüber Produkten,<br />

deren Herkunft<br />

nicht klar nachverfolgbar<br />

ist, kontinuierlich anwachsen<br />

lassen. Obst<br />

<strong>und</strong> Gemüse werden<br />

vor dem Verzehr klinisch<br />

desinfiziert, an<br />

sicheren Verpackungen<br />

wird mit Hochdruck<br />

geforscht. Aus<br />

Angst, dass Keime<br />

über die Produkte<br />

aus dem Ausland<br />

eingeschleppt werden,<br />

wurde der Import<br />

beschränkt. Es<br />

gibt weniger exotische<br />

Früchte – aber vieles kann<br />

inzwischen auch hierzulande<br />

angebaut werden,<br />

dem Klimawandel sei Dank.<br />

▸ Was mit Empfehlungen begann,<br />

Großveranstaltungen über<br />

1000 Per<strong>so</strong>nen abzusagen, hat sich<br />

zu einem Verbot von Versammlungen<br />

mit über 10 Per<strong>so</strong>nen entwickelt, zum<br />

Wohle der Menschen. Das öffentliche<br />

kulturelle Leben ist daher fast komplett<br />

zum Erliegen gekommen. Konzerte oder<br />

Sportevents finden noch statt, aber das<br />

Publikum sitzt zu Hause <strong>und</strong> beobachtet<br />

das Geschehen von der heimischen<br />

Couch – kostenlos, vom Staat gefördert.<br />

Einst beliebte Third Places wie Cafés<br />

werden gemieden, Restaurants sind zu<br />

Ghost Kitchens geworden, die K<strong>und</strong>innen<br />

<strong>und</strong> K<strong>und</strong>en mit Mahlzeiten nach<br />

höchsten hygienischen Standards beliefern.<br />

Szenario 2: System-Crash<br />

▸ Friktionen in der multipolaren Weltordnung<br />

sind an der Tage<strong>so</strong>rdnung:<br />

Gegenseitige Schuldzuweisungen, aggressive<br />

Drohgebärden <strong>und</strong> nervöses<br />

Handeln im Eigeninteresse wechseln<br />

mit Bestrebungen zu Offenheit <strong>und</strong><br />

Kooperation – weil dennoch das Bewusstsein<br />

vorhanden ist, dass man<br />

aufeinander angewiesen ist. Der Neo-<br />

Nationalismus nimmt zu, es herrscht<br />

ein dauernder Spannungszustand.<br />

▸ Nearshoring wird mit Blick auf die nationalen<br />

Absatzmärkte zu einer auch politisch-ideologischen<br />

Prämisse. Zugleich<br />

bleibt aber die Abhängigkeit von internationalen<br />

Handelsbeziehungen <strong>und</strong><br />

Warenströmen bestehen. Beide Tendenzen<br />

stehen dauerhaft unvermittelt nebeneinander<br />

<strong>und</strong> reiben sich. Auch Glokalisierung<br />

ist nur noch Ausdruck der<br />

Unstimmigkeiten zwischen lokalen <strong>und</strong><br />

internationalen Märkten, die ohne einander<br />

nicht können. Und Global Citys sind<br />

mehr<br />

denn je<br />

die nervösesten<br />

Orte der Welt: Hier werden die Spannungen<br />

zwischen den regionalen, nationalen<br />

<strong>und</strong> internationalen Finanz-,<br />

Dienstleistungs- <strong>und</strong> Warenströmen unablässig<br />

spürbar.<br />

▸ High times for Big Data! Je unsicherer<br />

die Zeiten, um<strong>so</strong> mehr Analyse wird<br />

verlangt. Das Sammeln <strong>und</strong> Verarbeiten<br />

großer Datenmengen erlebt einen<br />

kontinuierlichen Aufschwung. Die Entwicklung<br />

von Künstlicher Intelligenz<br />

wird forciert, nicht zuletzt für die Simulation<br />

von Krisenszenarien <strong>und</strong> die<br />

Steuerung von Krisen. Folglich nimmt<br />

auch Cybercrime im staatlichen Auftrag<br />

zu – mit dem Ziel, die internationalen<br />

Konkurrenten zu schwächen. Nach innen<br />

nutzt der Staat Technologie zur<br />

Überwachung: Predictive Analytics,<br />

die datenbasierte Vorausberechnung<br />

menschlichen Verhaltens, wird in einer<br />

permanent verunsicherten Gesellschaft<br />

immer wichtiger.<br />

▸ Privacy ist dementsprechend stark im<br />

Rückzug. Die individuelle Datenfreiheit<br />

wird immer stärker eingeschränkt, Datenschutz<br />

ist größtenteils abgeschafft,<br />

<strong>so</strong>wohl im internationalen Austausch<br />

als auch im Umgang mit der eigenen<br />

Bevölkerung. Ges<strong>und</strong>heitsdaten werden<br />

zur Staatsangelegenheit – <strong>und</strong> die Bevölkerung<br />

macht mit, da das Vertrauen<br />

in die staatliche Vor<strong>so</strong>rge <strong>und</strong> Betreuung<br />

schon lange geschw<strong>und</strong>en ist. >><br />

Foto: peterschreiber.media / stock.adobe.com<br />

Ausgabe 13 | Mai 2020 | Umweltdialog.de<br />

7


<strong>Innovation</strong><br />

Immer mehr bauen Menschen auf ges<strong>und</strong>heitliche<br />

Eigenverantwortung, auf<br />

Digital Health, kontinuierliches Self<br />

Tracking <strong>und</strong> die Überwachung ihrer<br />

Vitalwerte durch Smart Devices, die persönliche<br />

Ges<strong>und</strong>heitsdaten jederzeit in<br />

die staatlichen Datenbanken einspeisen.<br />

Impact Map für Szenarien<br />

<strong>und</strong> Megatrends Szenario 1<br />

Totale I<strong>so</strong>lation<br />

1<br />

Szenario 3: Neo-Tribes<br />

▸ Die Menschen vertrauen staatlichen<br />

Akteuren <strong>und</strong> supranationalen Bündnissen<br />

nicht mehr – <strong>und</strong> trauen ihnen auch<br />

keine Handlungsmacht mehr zu. Die<br />

Abkehr von der globalen Weltgemeinschaft<br />

mündet in eine partikularisierte<br />

Wir-Kultur <strong>und</strong> die vermehrte Bildung<br />

von Neo-Tribes. Gemeinschaft wird im<br />

Kleinen gesucht, denn im Zuge der Corona-Krise<br />

ist der Trend zur Post-Individualisierung<br />

für eine breitere Masse<br />

attraktiv geworden.<br />

Silver Society<br />

Sicherheit<br />

Individualisierung<br />

Ges<strong>und</strong>heit<br />

▸ Die Angst vor Ansteckung hat einen<br />

Rückzug ins Private <strong>und</strong> die Wiederentdeckung<br />

der Häuslichkeit befeuert.<br />

Großveranstaltungen gibt es praktisch<br />

nicht mehr, dafür wird viel gestreamt,<br />

denn via Virtual Reality kann man an<br />

Mega-Events teilnehmen, ohne dabei<br />

das sichere Zuhause verlassen<br />

zu müssen. Nachbarschaftshilfe wird<br />

großgeschrieben, es existieren feste<br />

Strukturen, wie man sich im Krisenfall<br />

untereinander helfen kann. Vorräte<br />

werden geteilt oder getauscht, auf die<br />

Alten <strong>und</strong> Schwachen wird be<strong>so</strong>ndere<br />

Rücksicht genommen. Auch ziehen<br />

Menschen vermehrt aufs Land oder in<br />

kleinere Städte – die Progressive Provinz<br />

hat ihren Peak erreicht.<br />

▸ Statt öffentliche Verkehrsmittel zu<br />

nutzen, wird immer mehr auf Fahrrad<br />

oder E-Roller umgestiegen. Fernreisen<br />

haben stark an Attraktivität verloren<br />

– im Gegensatz zu umliegenden Regionen<br />

oder Nachbarländern. Die massive<br />

De-Touristification führt dazu, dass<br />

sich ganze Landschaften <strong>und</strong> ehemalige<br />

Tourismus-Hotspots vom Overtourism<br />

erholen. Reisen ist nicht mehr selbstverständlich,<br />

<strong>so</strong>ndern wird – wieder – als<br />

2<br />

Szenario 4<br />

System-Crash<br />

Quelle: Zukunftsinstitut, FAS Research<br />

Konnektivität<br />

etwas Be<strong>so</strong>nderes gesehen, auch weil<br />

es in Post-Corona-Zeiten eine Menge<br />

Vorsichtsmaßnahmen <strong>und</strong> viel Planung<br />

erfordert.<br />

▸ Der Ausfall globaler Handelsketten<br />

<strong>und</strong> das Misstrauen gegenüber bestimmten<br />

Herkunftsländern führen zu<br />

einer f<strong>und</strong>amentalen Re-Regionalisierung.<br />

Menschen kaufen mehr denn je lokal,<br />

die Sharing Economy gewinnt in regionalen<br />

Netzwerken stark an Auftrieb,<br />

Globalisierung<br />

Gender Shift<br />

Szenario 4<br />

Adaption<br />

4<br />

Urbanisierung<br />

traditionelle Handwerkstechniken erleben<br />

eine Renaissance. Urban Farming<br />

<strong>und</strong> Genossenschaften lösen kapitalistische<br />

Konsummuster ab, in regionalen<br />

Gemeinschaften erwächst eine Circular<br />

Economy mit autonomen Ökosystemen.<br />

Konzepte wie Cradle to Cradle oder Postwachstum<br />

sind selbstverständlich in<br />

den Alltag der Menschen eingebettet –<br />

als eben<strong>so</strong> gewünschte wie notwendige<br />

Praktiken. Die Wirtschaft funktioniert<br />

im Regionalen vollkommen autark.<br />

8 Ausgabe 13 | Mai 2020 | Umweltdialog.de


<strong>Innovation</strong><br />

3<br />

Mobilität<br />

Robuste Megatrends<br />

Treibende Megatrends<br />

Ambivalente Megatrends<br />

Szenario 3<br />

Neo-Tribes<br />

New Work<br />

Neo-Ökologie<br />

Wissenskultur<br />

▸ Die Corona-Krise hat sich als überraschender<br />

Treiber von New-Work-Trends<br />

hin zu mehr Flexicurity erwiesen: Dadurch,<br />

dass Flexibilität am Arbeitsplatz<br />

aus der Not heraus breitflächig ermöglicht<br />

wurde, haben sich Arbeitskulturen<br />

dauerhaft verändert. Home Office<br />

ist nun essenzieller Bestandteil jeder<br />

Unternehmenskultur, internationale<br />

Unternehmen vereinbaren Meetings in<br />

VR-Konferenzen, Verträge werden via<br />

Blockchain geschlossen.<br />

Szenario 4: Adaption<br />

▸ Das Corona-Virus hat eine Selbstreinigung<br />

der Märkte angestoßen: eine<br />

kollektive Reflexion der Herkunft unserer<br />

Güter, die zu neuen Konsummustern<br />

angeregt hat. Der Ausfall globaler<br />

Produktions- <strong>und</strong> Handlungsketten hat<br />

zu einer Wiederentdeckung heimischer<br />

Alternativen geführt. Der stationäre<br />

Handel, regionale Produkte <strong>und</strong> Lieferketten<br />

haben einen Aufschwung erlebt.<br />

Seitdem boomen Wochenmärkte, regionale<br />

Erzeuger <strong>und</strong> lokale Online-Shops.<br />

Die Monopolstellung von Online-Händlern<br />

wie Amazon <strong>und</strong> Alibaba hat sich<br />

zugunsten mehrerer kleinerer Player<br />

aufgelöst, die weniger abhängig von globalen<br />

Produktionsketten <strong>und</strong> schneller<br />

lokal verfügbar sind. Die Gesellschaft<br />

bewegt sich weg von Massenkonsum<br />

<strong>und</strong> Wegwerf-Mentalität, hin zu einem<br />

gesünderen Wirtschaftssystem.<br />

▸ Corona hat die Vision eines neuen holistischen<br />

Ges<strong>und</strong>heitsverständnisses<br />

wahr werden lassen: Ges<strong>und</strong>heit wird<br />

nicht länger als etwas gesehen, das nur<br />

den individuellen Körper <strong>und</strong> das eigene<br />

Verhalten betrifft. Vielmehr wird<br />

Ges<strong>und</strong>heit ganzheitlicher betrachtet:<br />

Umwelt, Stadt, Politik, Weltgemeinschaft<br />

– all das sind wichtige Faktoren<br />

für die menschliche Ges<strong>und</strong>heit. Weltges<strong>und</strong>heit<br />

<strong>und</strong> individuelle Ges<strong>und</strong>heit<br />

werden zusammengedacht. Dieses<br />

neue Mindset krempelt das gesamte<br />

Ges<strong>und</strong>heitssystem um: Regierungen,<br />

Stadtplanung <strong>und</strong> Unternehmen kooperieren,<br />

um ges<strong>und</strong>e Umwelten für alle<br />

zu schaffen. Die Nutzung von Digital-<br />

Health-Apps ist in diesem Zusammenhang<br />

selbstverständlich geworden, um<br />

Ges<strong>und</strong>heitsdaten in Echtzeit anonymisiert<br />

zu teilen. Dank Predictive Health<br />

können <strong>so</strong> genaue Vorhersagen, etwa<br />

über die Wahrscheinlichkeiten einer<br />

Epidemie, getroffen werden.<br />

▸ Globale Risiken erfordern überstaatliche<br />

Akteure, die global vernetzt agieren<br />

können. So hat die Corona-Krise politische<br />

Handlungsmacht neu gewichtet.<br />

Während Nationalstaaten an Relevanz<br />

verloren haben, werden Städte <strong>und</strong> supranationale<br />

Instanzen immer wichtiger<br />

– eine Re-Organisation im Sinne der Glokalisierung:<br />

Die lokale Ebene (Städte,<br />

Gemeinden, Bürgermeisterinnen etc.)<br />

verknüpft sich direkt mit globalen Organisationen.<br />

So können lokale Probleme<br />

schnell <strong>und</strong> kreativ gelöst <strong>und</strong> auch globale<br />

Risiken schneller erkannt <strong>und</strong> kooperativ<br />

angegangen werden. Insgesamt<br />

nimmt die Menschheit sich seit der Pandemie<br />

stärker als globale Gemeinschaft<br />

wahr, die Herausforderungen gemeinsam<br />

lösen muss. Denn weder eine Epidemie<br />

noch die Klimakrise macht vor<br />

Nationalgrenzen halt. Es ist eine globale<br />

Identität entstanden.<br />

▸ Die Corona-Krise hat zu konkreten<br />

Learnings im supranationalen Umgang<br />

mit Big Data, Predictive Analytics <strong>und</strong><br />

Frühwarnsystemen geführt. Künstliche<br />

Intelligenz wird nun konstruktiver<br />

eingesetzt: nicht nur, um frühzeitig<br />

Epidemien einzudämmen, <strong>so</strong>ndern<br />

zur Minimierung aller möglichen Risiken,<br />

die sich nicht um Landesgrenzen<br />

scheren. Jeder Mensch ist mit Health-<br />

Tracking-Devices ausgestattet, denn<br />

durch den globalen Austausch aktueller<br />

Ges<strong>und</strong>heitsdaten können Risiken frühzeitig<br />

erkannt werden. Das kontinuierliche<br />

Voneinander-Lernen in einer Vielzahl<br />

funktionierender Netzwerke schafft<br />

eine globale Resilienz. Dieser neue Spirit<br />

prägt auch die Medienlandschaft:<br />

Konstruktiver Journalismus stellt Lösungsansätze<br />

in den Mittelpunkt,<br />

statt Alarmismus <strong>und</strong> Fake News zu<br />

verbreiten. f<br />

Copyright <strong>und</strong> weitere Infos:<br />

Zukunftsinstitut GmbH<br />

Kaiserstr. 53<br />

60329 Frankfurt am Main<br />

zukunftsinstitut.de<br />

Ausgabe 13 | Mai 2020 | Umweltdialog.de<br />

9


<strong>Innovation</strong><br />

Aufbruch<br />

in die<br />

Vom Raubbau an der<br />

Natur zur Kooperation<br />

mit der Natur<br />

ökologische<br />

Moderne<br />

10 Ausgabe 13 | Mai 2020 | Umweltdialog.de


<strong>Innovation</strong><br />

Von Ralf Fücks<br />

Die Auseinandersetzung um den Klimawandel ist<br />

in eine neue Phase getreten: Die Alarmzeichen<br />

einer immer rascheren Veränderung der Ökosphäre<br />

nehmen zu, <strong>und</strong> gleichzeitig wird diese zu<br />

einem bestimmenden politischen Faktor.<br />

H<strong>und</strong>erttausende junger Leute sind Vorreiter einer<br />

„Klima-APO“, <strong>und</strong> sie ziehen die Älteren mit sich.<br />

Klimaschutz war bei der Europawahl 2019 ein<br />

zentrales Motiv <strong>und</strong> birgt auch mit Blick auf<br />

Deutschland das Potenzial, die politische<br />

Landschaft umzupflügen. Umweltpolitik ist kein<br />

Nischenthema mehr, <strong>so</strong>ndern wird zur neuen<br />

Zentralachse der Politik.<br />

Ausgabe 13 | Mai 2020 | Umweltdialog.de<br />

Foto: Lorant / stock.adobe.com<br />

Aktuell halten fast 60 Prozent der<br />

Bevölkerung den Klimawandel<br />

für das drängendste Problem<br />

unserer Zeit – <strong>so</strong> die Ergebnisse einer<br />

Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen<br />

aus dem September 2019. Dieser Wert<br />

wurde bislang nur übertroffen von früheren<br />

Sorgen vor Arbeitslosigkeit <strong>so</strong>wie<br />

der Unruhe um die Flüchtlingspolitik<br />

2015/16. Wahrend der Konflikt um die<br />

Flüchtlingspolitik durch ein Bündel von<br />

integrativen <strong>und</strong> restriktiven Maßnahmen<br />

eingedämmt werden konnte, ist<br />

eine Entschärfung bei der Klimafrage<br />

nicht in Sicht. Wie die Reaktionen auf<br />

das jüngst beschlossene „Klimapaket“<br />

der B<strong>und</strong>esregierung zeigen, nimmt die<br />

Auseinandersetzung noch an Heftigkeit<br />

zu. Wenn die Kluft zwischen klimapolitischer<br />

Ungeduld in der Gesellschaft<br />

<strong>und</strong> der Trägheit von Politik <strong>und</strong> Wirtschaft<br />

tiefer wird, kann daraus >><br />

11


<strong>Innovation</strong><br />

eine Legitimationskrise unseres Gesellschaftsmodells<br />

entstehen, das auf der<br />

Kombination von liberaler Demokratie<br />

<strong>und</strong> Marktwirtschaft beruht. Wer beide<br />

zukunftsfest machen will, muss sich der<br />

ökologischen Herausforderung stellen.<br />

Die industrielle Moderne basiert bislang<br />

auf der scheinbar unbegrenzten<br />

Verfügbarkeit fossiler Energien. Sie<br />

waren der Treibstoff für eine ungeheure<br />

Steigerung von Produktion <strong>und</strong><br />

Konsum <strong>und</strong> eine immer weiter ausgreifende<br />

Mobilität. Gleichzeitig haben<br />

die Industrialisierung der vormaligen<br />

„Dritten Welt“ <strong>und</strong> der expansive Lebensstil<br />

der wachsenden globalen Mittelschicht<br />

zu einem dramatischen Anstieg<br />

des Energieverbrauchs geführt.<br />

Seine Hauptquellen sind Kohle <strong>und</strong> Öl.<br />

R<strong>und</strong> die Hälfte aller fossilen Energieträger,<br />

die seit Beginn der Industrialisierung<br />

verfeuert wurden, fallen in die<br />

vergangenen 30 Jahre.<br />

Historisch betrachtet sind die Vorreiter<br />

der industriellen Moderne – Europa<br />

<strong>und</strong> die USA – für den Löwenanteil der<br />

steigenden CO 2<br />

-Konzentration in der Atmosphäre<br />

verantwortlich. Inzwischen<br />

sind die bevölkerungsreichen neuen<br />

Industrienationen Asiens an ihnen vorbeigezogen:<br />

China steht heute für r<strong>und</strong><br />

28 Prozent der weltweiten CO 2<br />

- Emissionen,<br />

Indien folgt nach den USA bereits<br />

auf Rang drei. Japan hat seinen<br />

CO 2<br />

-Ausstoß seit 1960 verfünffacht.<br />

Deutschland ist das einzige Land unter<br />

den sechs weltgrößten „Klimasündern“,<br />

dessen CO 2<br />

-Emissionen in diesem Zeitraum<br />

in etwa gleich geblieben sind. Im<br />

Verhältnis zum Basisjahr 1990 sind sie<br />

<strong>so</strong>gar um r<strong>und</strong> 30 Prozent gesunken.<br />

Der Anteil der B<strong>und</strong>esrepublik an der<br />

globalen Wirtschaftsleistung beträgt<br />

etwa 3,2 Prozent, an den Treibhausgasemissionen<br />

zwei Prozent. Dennoch liegen<br />

die deutschen CO 2<br />

-Emissionen pro<br />

Kopf über dem europäischen Durchschnitt.<br />

Das liegt vor allem am hohen<br />

Anteil der Kohle am Energiemix. Schweden<br />

kommt mit seiner Kombination aus<br />

Wasserkraft <strong>und</strong> Atomenergie nur auf<br />

die Hälfte des deutschen Werts.<br />

12 Ausgabe 13 | Mai 2020 | Umweltdialog.de


<strong>Innovation</strong><br />

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„Tuet Buße<br />

<strong>und</strong> kehrt<br />

um!“ ist<br />

deshalb<br />

der neue<br />

kategorische<br />

Imperativ.<br />

Einem Zauberlehrling gleich hat die industrielle<br />

Moderne einen Prozess globaler<br />

Erwärmung in Gang gesetzt. Er führt<br />

uns in einer historisch kurzen Frist aus<br />

der relativ stabilen Klimazone der vergangenen<br />

zehntausend Jahre hinaus,<br />

in der sich die menschliche Zivilisation<br />

entwickeln konnte. In den zurückliegenden<br />

200 Jahren stieg die mittlere globale<br />

Temperatur um 1,1 Grad; der Trend<br />

geht steil nach oben. Die Erwärmung der<br />

Arktis <strong>und</strong> das Schmelzen des Grönland-<br />

Eises verlaufen schneller als vermutet,<br />

ein Hitze<strong>so</strong>mmer jagt den nächsten. Wir<br />

müssen um die künftigen Lebensbedingungen<br />

auf unserem Heimatplaneten<br />

fürchten. Wenn der Treibhauseffekt außer<br />

Kontrolle gerät, wird das die Lebenswelt<br />

von Milliarden Menschen gefährden.<br />

Die dramatischen Folgen eines sich<br />

selbst verstärkenden Klimawandels sind<br />

oft genug beschrieben worden, eben<strong>so</strong><br />

ihre sicherheitspolitische Dimension.<br />

Umweltbedingte Massenmigration <strong>und</strong><br />

Konflikte um knappe Wasserreserven<br />

bergen ein erhebliches Gewaltpotenzial.<br />

Neuer „Kulturkampf“<br />

Jetzt, da sich erweist, dass die Verbrennung<br />

von Kohle, Öl <strong>und</strong> Gas das Erdklima<br />

aus den Fugen hebt, gerät auch der Hedonismus<br />

der Moderne in die Kritik. In<br />

den wohlhabenden Ländern – vorneweg<br />

in Deutschland – wächst eine Bewegung,<br />

die eine radikale Veränderung des individuellen<br />

Lebensstils fordert. Die Freude<br />

am Fahren, der Urlaubsflug, die große<br />

Wohnung, die permanente Online-Kommunikation,<br />

die jährlich wechselnden<br />

Moden, die jahreszeitunabhängige Verfügbarkeit<br />

von Lebensmitteln aus der<br />

ganzen Welt <strong>und</strong> der hohe Fleischkonsum<br />

gelten als ökologischer Sündenfall.<br />

Für die Anhänger eines neuen Öko-<br />

Puritanismus ruiniert unser Streben<br />

nach „immer mehr“ den Planeten. „Tuet<br />

Buße <strong>und</strong> kehrt um!“ ist deshalb der<br />

neue kategorische Imperativ.<br />

Der Philo<strong>so</strong>ph Peter Sloterdijk hat diesen<br />

neuen „Kulturkampf“ bereits vor Jahren<br />

vorausgesehen: „Die expressions- <strong>und</strong><br />

emissionsfeindliche Ethik der Zukunft<br />

zielt geradewegs auf die Umkehrung der<br />

bisherigen Zivilisationsrichtung“, sagte<br />

er 2009 in einer Rede auf der Klimakonferenz<br />

in Kopenhagen. „Sie verlangt<br />

Verminderung, wo bisher Vermehrung<br />

auf dem Plan stand, sie fordert Minimierung,<br />

wo bisher Maximierung galt, sie<br />

will Zurückhaltung, wo bisher Explosion<br />

erlaubt war, sie verordnet Sparsamkeit,<br />

wo bisher Verschwendung als höchster<br />

Reiz empf<strong>und</strong>en wurde, sie mahnt die<br />

Selbstbeschränkung an, wo bisher die<br />

Selbstfreisetzung gefeiert wurde. Denkt<br />

man diese Umschwünge zu Ende, <strong>so</strong><br />

gelangt man im Zuge der meteorologischen<br />

Reformation zu einer Art von ökologischem<br />

Calvinismus.“<br />

Die bisherige Wirkung all dieser Bußpredigten<br />

ist allerdings sehr überschaubar.<br />

Zwar geht unter den Jungen <strong>und</strong> Gebildeten<br />

der Fleischkonsum eben<strong>so</strong> zurück<br />

wie der Drang zum eigenen Auto.<br />

Zugleich steigen die Zulassungszahlen<br />

für SUVs eben<strong>so</strong> wie die Zahl der Flugreisen<br />

<strong>und</strong> der Stromverbrauch der digitalen<br />

Kommunikation. Die Zahl derjenigen,<br />

die ihre persönliche CO 2<br />

-Bilanz<br />

drastisch gesenkt haben, fällt kaum ins<br />

Gewicht.<br />

Das liegt nicht nur an der Macht alter Gewohnheiten<br />

<strong>und</strong> individueller Bequemlichkeit.<br />

Unsere persönliche Klimabilanz<br />

hängt stark von Strukturen ab,<br />

die sich individuell nur sehr bedingt verändern<br />

lassen: von der Art der Energieerzeugung,<br />

den Gebäuden, in denen wir<br />

wohnen, den verfügbaren Alternativen<br />

zum Automobil <strong>und</strong> von den Berufen, in<br />

denen wir tätig sind. Für Geschäftsleute,<br />

Wissenschaftlerinnen, Angehörige des<br />

internationalen Kulturbetriebs, Politiker<br />

<strong>und</strong> die Eliten der globalen Zivilgesellschaft<br />

ist das Fliegen keine Frage >><br />

Ausgabe 13 | Mai 2020 | Umweltdialog.de<br />

13


<strong>Innovation</strong><br />

der individuellen Moral, <strong>so</strong>ndern ihres beruflichen Alltags.<br />

Selbst wo es sinnvoll <strong>und</strong> zumutbar wäre, den Zug statt des<br />

Flugzeugs zu nehmen, scheitert das allzu oft an fehlenden<br />

Kapazitäten <strong>und</strong> zeitraubenden Verbindungen der Bahn.<br />

Damit wir uns recht verstehen: Es gibt keine Freiheit ohne persönliche<br />

Verantwortung. Es ist gut <strong>und</strong> richtig, mit Rad oder<br />

Bahn zu fahren <strong>und</strong> keine Produkte zu kaufen, für die Menschen<br />

gesch<strong>und</strong>en werden oder Tiere leiden. Jedem steht es<br />

frei, das „gute Leben“ in einem Mehr an Muße <strong>und</strong> <strong>so</strong>zialen<br />

Beziehungen statt in einer Steigerung von Einkommen <strong>und</strong><br />

Konsum zu suchen. Aber ein nüchterner Blick auf die Größe<br />

der ökologischen Herausforderung zeigt, dass sie mit dem Appell<br />

zur Genügsamkeit nicht zu lösen ist. Eine Reduktion von<br />

Treibhausgasen um 90 Prozent <strong>und</strong> mehr ist nicht durch die<br />

Beschränkung von Mobilität <strong>und</strong> Konsum zu erreichen. Ohne<br />

eine grüne industrielle Revolution werden wir den Wettlauf<br />

mit dem Klimawandel nicht gewinnen. Ihr Kern besteht in<br />

einer Entkopplung von Wohlstandsproduktion <strong>und</strong> Naturverbrauch.<br />

Das ist ambitioniert, aber machbar.<br />

Ohne eine grüne<br />

industrielle Revolution<br />

werden wir den Wettlauf<br />

mit dem Klimawandel<br />

nicht gewinnen.<br />

Klimawandel <strong>und</strong> Demokratie<br />

Die Kritik an der Langsamkeit der Demokratie mit ihrer Kompromis<strong>so</strong>rientierung<br />

hat eine lange Tradition. Angesichts immer<br />

neuer Alarm-Nachrichten über schmelzende Gletscher,<br />

brennende Wälder <strong>und</strong> auftauende Permafrostböden wird der<br />

Ruf nach durchgreifenden Maßnahmen lauter. Es ist kein Zufall,<br />

dass prominente Umweltschützer wie der Norweger Jørgen<br />

Randers mit dem chinesischen Modell eines vermeintlich<br />

aufgeklärten Autoritarismus sympathisieren. Randers gehörte<br />

zu dem Team um den Ökonomen Dennis Meadows, das 1971<br />

den berühmten Bericht zu den „Grenzen des Wachstums“ für<br />

den Club of Rome verfasste. Bereits diese Urschrift der modernen<br />

Umweltbewegung war von einem autoritären Gr<strong>und</strong>ton<br />

durchzogen.<br />

Wenn man die Rettung aus der ökologischen Krise vor allem<br />

in der Einschränkung von Produktion, Konsum <strong>und</strong> Fortpflanzung<br />

sucht, ist das konsequent. Autoritäre Regimes scheinen<br />

dann eher in der Lage, die notwendigen Verzichtsleistungen<br />

durchzusetzen, weil sie in geringerem Maße als parlamentarische<br />

Demokratien von der Zustimmung der Bevölkerung<br />

abhängig sind. Demokratie wird in dieser Lesart zu einem<br />

Luxus, den wir uns angesichts der Klimakrise nicht mehr leisten<br />

können.<br />

Gegen die autoritäre Versuchung der Ökologie zu argumentieren,<br />

bedeutet nicht, die ökologische Krise zu verharmlosen.<br />

Wenn die Erderwärmung außer Kontrolle gerät <strong>und</strong> die Meere<br />

kippen, wird das große Verwerfungen nach sich ziehen, von<br />

wirtschaftlichen Einbrüchen bis zu weltweiten Wanderungsbewegungen.<br />

In<strong>so</strong>fern gefährdet die Umweltkrise auch die<br />

Demokratie. Wir müssen deshalb alles tun, um die ökologische<br />

Transformation der Industriegesellschaft voranzutreiben.<br />

14 Ausgabe 13 | Mai 2020 | Umweltdialog.de


<strong>Innovation</strong><br />

Foto: Aleh Varanishcha / stock.adobe.com<br />

Wider eine Ökologie des Verzichts<br />

Die Ökologie des Verzichts beruht auf einer<br />

statischen Sicht auf die Beziehungen<br />

zwischen Mensch <strong>und</strong> Natur. Sie begreift<br />

die Erde als einen fixen Raum, der nur<br />

ein begrenztes Potenzial an Res<strong>so</strong>urcen<br />

bietet, in dem sich die Menschen einrichten<br />

müssen. Überschreiten sie die<br />

von der Natur gesetzten Grenzen, droht<br />

die Selbstvernichtung der menschlichen<br />

Gattung. Ein Vorläufer dieses Denkens<br />

war der britische Theologe <strong>und</strong> Ökonom<br />

Thomas Malthus, ein Zeitgenosse<br />

von Goethe. Seine berühmt gewordene<br />

„Bevölkerungstheorie“ postulierte, dass<br />

die Erde nur r<strong>und</strong> eine Milliarde Menschen<br />

ernähren kann. Ein Überschreiten<br />

dieser Schwelle führe zu katastrophalen<br />

Hungersnöten bis hin zum Zusammenbruch<br />

der menschlichen Zivilisation.<br />

Was Malthus nicht voraussah, war die<br />

enorme Steigerung der landwirtschaftlichen<br />

Produktivität durch chemische<br />

Dünger, Pflanzenschutzmittel, moderne<br />

Maschinen <strong>und</strong> die Züchtung ertragreicherer<br />

Pflanzen <strong>und</strong> Nutztiere. Heute<br />

leben mehr als sieben Milliarden Menschen<br />

auf der Erde, ihre Lebenserwartung<br />

hat sich seither verdoppelt <strong>und</strong> die<br />

verfügbare Kalorienmenge pro Kopf um<br />

mehr als die Hälfte erhöht. Ein W<strong>und</strong>er?<br />

Ja, aber ein W<strong>und</strong>er auf der Basis von<br />

Wissenschaft <strong>und</strong> Technik. Was Malthus<br />

außer Acht ließ, war die menschliche<br />

Erfindungskraft. Wir können die Naturgesetze<br />

nicht außer Kraft setzen, aber<br />

die wachsende Naturerkenntnis <strong>und</strong> der<br />

technische Fortschritt ermöglichen es,<br />

die „natürlichen Grenzen“ immer weiter<br />

hinauszuschieben. Die „Grenzen des<br />

Wachstums“ sind keine fixe Größe. Die<br />

Sonneneinstrahlung auf der Erde bietet<br />

ein fast unerschöpfliches Energiepotenzial<br />

für eine ökologische Industriegesellschaft,<br />

die auf der Kombination<br />

von natürlicher <strong>und</strong> technischer Photosynthese,<br />

von Bioökonomie <strong>und</strong> Wasserstoff<br />

beruht.<br />

Auch der Report „Die Grenzen des<br />

Wachstums“ huldigt einer linearen<br />

Logik. Für Dennis Meadows <strong>und</strong> seine<br />

Kollegen war Wirtschaftswachstum<br />

unvermeidbar mit einem wachsenden<br />

Verbrauch eng begrenzter Res<strong>so</strong>urcen<br />

verb<strong>und</strong>en. Nach ihren Hochrechnungen<br />

musste eine fortgesetzte Expansion<br />

der Weltwirtschaft bereits um das Jahr<br />

2000 zur Erschöpfung der natürlichen<br />

Res<strong>so</strong>urcen führen. Öl, Gas, Kupfer, Bauxit,<br />

Zinn, Eisenerz <strong>und</strong> andere wichtige<br />

Rohstoffe würden versiegen, die Meere<br />

wären leergefischt, die Kontamination<br />

von Böden <strong>und</strong> Gewässern mit giftigen<br />

Stoffen würde irreversibel.<br />

Womit sie nicht gerechnet hatten, war<br />

die steigende Effizienz im Umgang mit<br />

knappen Res<strong>so</strong>urcen, die Entdeckung<br />

immer neuer Rohstoffquellen <strong>und</strong> eine<br />

immer umfassendere Umweltgesetzgebung,<br />

die zumindest in den fortgeschrittenen<br />

Ländern dem Raubbau<br />

an der Natur Grenzen zog. Im Ergebnis<br />

hat sich die Weltbevölkerung seit 1970<br />

glatt verdoppelt, die Lebenserwartung<br />

ist eben<strong>so</strong> gestiegen wie das Bildungsniveau,<br />

die Kindersterblichkeit ist gesunken,<br />

<strong>und</strong> die Luft- <strong>und</strong> Gewässerqualität<br />

ist in Europa <strong>und</strong> Nordamerika<br />

deutlich besser als zu Beginn der 1970er<br />

Jahre, gleichzeitig sind die bekannten<br />

Vorräte der meisten Rohstoffe heute größer.<br />

Inzwischen ist unsere Sorge nicht<br />

mehr, dass der Industriegesellschaft die<br />

Rohstoffe aus<strong>gehen</strong>. Als zentrales ökologisches<br />

Problem haben sich die Dezimierung<br />

der biologischen Vielfalt <strong>so</strong>wie<br />

die Überlastung des Erdsystems mit den<br />

Schadstoffen des Industriesystems entpuppt,<br />

vorneweg die Überfrachtung der<br />

Atmosphäre mit Treibhausgasen.<br />

Freiwilliger oder erzwungener Verzicht<br />

auf dieses <strong>und</strong> jenes wird die ökologische<br />

Krise bestenfalls verlangsamen,<br />

aber nicht stoppen. Das gilt erst recht<br />

mit Blick auf die Milliarden Menschen<br />

auf unserem Planeten, die nichts sehnlicher<br />

wollen als den Anschluss an ein<br />

modernes Leben: gut ausgestattete Wohnungen,<br />

Bildung <strong>und</strong> professionelle<br />

Ges<strong>und</strong>heitsver<strong>so</strong>rgung, die Möglichkeit<br />

zu reisen, eine reichhaltige Ernährung.<br />

Für die große Mehrheit der Weltbevölkerung<br />

ist „Nullwachstum“ keine<br />

Alternative. Für sie ist wirtschaftliches<br />

Wachstum nach wie vor der Hebel >><br />

Ausgabe 13 | Mai 2020 | Umweltdialog.de<br />

15


<strong>Innovation</strong><br />

für höheren Lebensstandard, bessere<br />

Bildung <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heitsver<strong>so</strong>rgung.<br />

Es kommt deshalb alles darauf an, die<br />

Art <strong>und</strong> Weise unseres Wirtschaftens zu<br />

verändern: vom Raubbau an der Natur<br />

zur Kooperation mit der Natur. Das wäre<br />

der Modus für ein nachhaltiges beziehungsweise<br />

grünes Wachstum, das steigenden<br />

Wohlstand – zumindest für die<br />

große Mehrheit der Weltbevölkerung –<br />

mit der Treuhänderschaft für die natürlichen<br />

Lebensgr<strong>und</strong>lagen verbindet.<br />

Für eine grüne industrielle Revolution<br />

In einer stagnierenden oder gar<br />

schrumpfenden Ökonomie sinken auch<br />

die Investitionen <strong>und</strong> damit das <strong>Innovation</strong>stempo.<br />

Gerade weil die Zeit angesichts<br />

des Klimawandels drängt, brauchen<br />

wir umgekehrt ein höheres Tempo<br />

bei der Umstellung auf erneuerbare<br />

Energien, umweltfre<strong>und</strong>liche Landwirtschaft<br />

<strong>und</strong> klimaneutrale Mobilität. Der<br />

ökologische Umbau der Industriegesellschaft<br />

erfordert steigende Investitionen<br />

in alternative Energiesysteme <strong>und</strong> neue<br />

Produktionsanlagen, in den Ausbau des<br />

öffentlichen Verkehrs <strong>und</strong> die ökologische<br />

Modernisierung unserer Städte.<br />

Wenn wir es richtig anstellen, entsteht<br />

daraus eine neue ökonomische Dynamik,<br />

eine lange Welle umweltfre<strong>und</strong>lichen<br />

Wachstums.<br />

Bei Lichte besehen, geht es ohnehin<br />

nicht um die Frage, ob die Weltwirtschaft<br />

weiterhin wächst. Angesichts<br />

einer auf zehn Milliarden steigenden<br />

Weltbevölkerung, der fortschreitenden<br />

Industrialisierung der Länder des Südens<br />

<strong>und</strong> des anhaltenden Wachstums<br />

der Städte lautet die alles entscheidende<br />

Frage, ob es gelingt, Wertschöpfung<br />

<strong>und</strong> Umweltbelastung zu entkoppeln.<br />

Bei einer jährlichen Wachstumsrate<br />

von drei Prozent wird sich die globale<br />

Wirtschaftsleistung in den kommenden<br />

20 Jahren in etwa verdoppeln. Im gleichen<br />

Zeitraum müssen die Treibhausgasemissionen<br />

dramatisch sinken, um<br />

den Temperaturanstieg im Zaum zu<br />

halten. Das erfordert nichts weniger<br />

als eine grüne industrielle Revolution<br />

mit einer ähnlich durchschlagenden<br />

Wirkung wie die Erfindung der Dampfmaschine,<br />

die Elektrifizierung oder das<br />

Automobil. Im Kern geht es um eine<br />

dreifache Transformation der alten Industriegesellschaft:<br />

erstens von fossilen<br />

Energiequellen zu erneuerbaren Energien,<br />

zweitens um eine kontinuierliche<br />

Steigerung der Res<strong>so</strong>urceneffizienz (aus<br />

weniger Rohstoffen <strong>und</strong> Energie mehr<br />

Wohlstand erzeugen) <strong>und</strong> drittens um<br />

den Übergang zu einer modernen Kreislaufwirtschaft,<br />

in der jeder Reststoff wieder<br />

in die biologische oder industrielle<br />

Produktion zurückgeführt wird.<br />

Wer Freiheit <strong>und</strong> Ökologie in Einklang<br />

bringen will, muss vor allem auf <strong>Innovation</strong><br />

setzen <strong>und</strong> den Wettbewerb um die<br />

besten Lösungen fördern. Das ist keine<br />

Absage an staatliche Eingriffe in den<br />

Markt. Auch eine liberale Umweltpolitik<br />

kommt nicht ohne Grenzwerte <strong>und</strong> Verbote<br />

aus. Aber sie sind nicht der Königsweg<br />

für die Lösung der ökologischen<br />

Frage. Zielführender ist die Einbeziehung<br />

ökologischer Kosten in die Preisbildung.<br />

Marktwirtschaft funktioniert<br />

nur, wenn die Preise die ökologische<br />

Wahrheit spiegeln. Eine ökologische<br />

Steuerreform, die Treibhausgasemissionen<br />

<strong>und</strong> den Verbrauch knapper natürlicher<br />

Res<strong>so</strong>urcen verteuert, hat einen<br />

weitaus größeren Effekt als immer neue<br />

Ge- <strong>und</strong> Verbote. Die Mehrbelastungen,<br />

die durch Umweltsteuern entstehen,<br />

können in Form eines Öko-Bonus an alle<br />

Bürgerinnen <strong>und</strong> Bürger zurückerstattet<br />

werden. Ein <strong>so</strong>lcher Pro-Kopf-Betrag hätte<br />

<strong>so</strong>gar einen <strong>so</strong>zialen Umverteilungseffekt,<br />

weil Geringverdienende in der<br />

Regel einen geringeren CO 2<br />

-Fußabdruck<br />

aufweisen als Wohlhabende.<br />

Der Weg über einen sukzessiv ansteigenden<br />

CO 2<br />

-Preis ist der kostengünstigste<br />

Weg zum Klimaschutz – er setzt<br />

die Maßnahmen zur Senkung von Kohlendioxid-Emissionen<br />

frei, bei denen das<br />

günstigste Kosten-Nutzen-Verhältnis er-<br />

16 Ausgabe 13 | Mai 2020 | Umweltdialog.de


<strong>Innovation</strong><br />

zielt werden kann. Der zweite große Vorteil<br />

liegt darin, dass er die Eigeninitiative<br />

von Unternehmen <strong>und</strong> Verbrauchern<br />

in eine nachhaltige Richtung lenkt, ohne<br />

ihnen Vorschriften zu machen. Zugleich<br />

liefert ein steigender CO 2<br />

-Preis Anreize<br />

für klimafre<strong>und</strong>liche Investitionen <strong>und</strong><br />

Kaufentscheidungen aufseiten der Produzenten<br />

<strong>und</strong> Konsumenten.<br />

Klimaökonomen kommen auf lenkungswirksame<br />

Einstiegspreise von 50 bis 60<br />

Euro pro Tonne, die nach <strong>und</strong> nach auf<br />

einen dreistelligen Betrag ansteigen. Der<br />

von der B<strong>und</strong>esregierung beschlossene<br />

CO 2<br />

-Tarif von 10 Euro pro Tonne bleibt<br />

weit unter dieser Schwelle. In Schweden,<br />

das bereits Anfang der 1990er Jahre<br />

eine nationale CO 2<br />

-Steuer einführte,<br />

liegt der Preis gegenwärtig bei 115 Euro<br />

je Tonne. Er gilt für wirtschaftliche Aktivitäten,<br />

die nicht vom europäischen CO 2<br />

-<br />

Emissionshandel erfasst werden.<br />

Neuer Anlauf<br />

Foto: chokniti / stock.adobe.com<br />

Die Pariser Klimakonferenz von 2015<br />

hat sich nicht als der große Durchbruch<br />

erwiesen, den sich viele erhofft hatten.<br />

Die globalen Treibhausgasemissionen<br />

steigen weiter, die meisten Staaten bleiben<br />

hinter ihren Absichtserklärungen<br />

zurück. Das gilt auch für die B<strong>und</strong>esrepublik.<br />

Die Trägheit von Politik, Wirtschaft<br />

<strong>und</strong> Alltagsgewohnheiten bremst rasche<br />

Fortschritte. CO 2<br />

-intensive Industrien<br />

wehren sich gegen die Entwertung ihres<br />

Kapitals. Viele Entwicklungsländer setzen<br />

nach wie vor auf Kohle zur Deckung<br />

ihres Energiehungers. In Schlüsselländern<br />

wie den USA <strong>und</strong> Brasilien ist<br />

ein klimapolitisches Rollback im Gang.<br />

Für Trump <strong>und</strong> Bol<strong>so</strong>naro ist das Pariser<br />

Abkommen nur lästiger Ballast. Die<br />

russische Führung setzt auf die Steigerung<br />

der Öl-, Gas- <strong>und</strong> Kohleexporte als<br />

Geschäftsmodell. Auch in China steigen<br />

die CO 2<br />

-Emissionen weiter an, trotz des<br />

beeindruckenden Ausbaus erneuerbarer<br />

Energien <strong>und</strong> der Elektromobilität. Dieser<br />

Trend kann nur umgekehrt werden,<br />

wenn die fortgeschrittenen Industrieländer<br />

zeigen, dass es auch anders <strong>und</strong><br />

besser geht.<br />

Die ökologische Krise erzwingt einen<br />

f<strong>und</strong>amentalen Umbau der Industriegesellschaft.<br />

Die rasche Entwicklung<br />

digitaler Technik, von Hochleistungsrechnern<br />

<strong>und</strong> superschnellen Datennetzen<br />

bis hin zu selbstlernenden Robotern<br />

<strong>und</strong> 3D-Druck im industriellen<br />

Maßstab, bietet auch neue Potenziale<br />

für res<strong>so</strong>urcenoptimierte Produktion<br />

<strong>und</strong> eine vernetzte Kreislaufwirtschaft.<br />

Ohne intelligente Verb<strong>und</strong>netze wäre<br />

die Energiewende, die eine Verknüpfung<br />

von Millionen dezentraler Anlagen<br />

erfordert, <strong>und</strong>enkbar. Auf diesem Weg<br />

voranzu<strong>gehen</strong>, ist die be<strong>so</strong>ndere Verantwortung<br />

<strong>und</strong> Chance der hochindustrialisierten<br />

Länder.<br />

Die deutsche Energiewende hat dazu<br />

beigetragen, die Lernkurve erneuerbarer<br />

Energien zu finanzieren. Heute sind<br />

Solar- <strong>und</strong> Windkraftanlagen vielerorts<br />

kostengünstiger als neue Kohle- <strong>und</strong><br />

Atomkraftwerke. Diese Pionierrolle <strong>so</strong>llten<br />

wir auch bei Stromspeichern <strong>und</strong><br />

intelligenten Netzen, der Umwandlung<br />

von Regenerativstrom in Wasserstoff<br />

<strong>und</strong> synthetische Kraftstoffe, bei Elektromobilität<br />

<strong>und</strong> Biotechnologie übernehmen.<br />

Nur wenn wir zeigen, dass Klimaschutz<br />

<strong>und</strong> wirtschaftlicher Erfolg zwei<br />

Seiten einer Medaille sind, kann Europa<br />

zum Modell für andere werden. Gleichzeitig<br />

sichern wir damit unsere eigene<br />

wirtschaftliche Zukunft.<br />

Angesichts einer drohenden Zuspitzung<br />

ökologischer Krisen stehen wir vor drei<br />

absehbaren Optionen. Die erste liegt in<br />

der Radikalisierung einer Umkehrbewegung,<br />

die die Rettung in der freiwilligen<br />

oder erzwungenen Schrumpfung von<br />

Produktion <strong>und</strong> Konsum sucht, in Verzicht<br />

<strong>und</strong> Verbot. Ihr Gegenpol ist ein<br />

trotziges „Weiter <strong>so</strong>“, die Verlängerung<br />

des fossilen Industrialismus bis zum<br />

Kollaps. Die dritte Möglichkeit liegt in<br />

einer neuen Synthese zwischen Natur<br />

<strong>und</strong> Technik. Angesichts der Belastungsgrenzen<br />

des Erdsystems bleiben<br />

uns zwei Quellen des Fortschritts: Die<br />

Einstrahlung von Sonnenenergie auf<br />

die Erde <strong>und</strong> die menschliche Kreativität.<br />

Auf einer Kombination von beidem<br />

muss eine freiheitliche <strong>und</strong> nachhaltige<br />

Gesellschaft aufbauen. Wir können die<br />

drohende Selbstzerstörung der Moderne<br />

mit den Mitteln der Moderne bewältigen:<br />

mit demokratischer Politik, Wissenschaft,<br />

einer dynamischen Ökonomie<br />

<strong>und</strong> einer aktiven Zivilgesellschaft. f<br />

Bei diesem Beitrag handelt<br />

es sich um eine überarbeitete<br />

Fassung von Ralf Fücks,<br />

Letzte Chance, in: APuZ<br />

47/2019, S. 21-25<br />

Ralf Fücks ist Mitgründer<br />

des Zentrums Liberale<br />

Moderne. Zuvor war er<br />

lange Jahre Vorstand der<br />

Heinrich-Böll-Stiftung.<br />

Ausgabe 13 | Mai 2020 | Umweltdialog.de<br />

17


<strong>Innovation</strong><br />

Wirtschaften<br />

in einer vollen<br />

Welt<br />

Von Nina V. Michaelis<br />

Unser Wirtschaftssystem<br />

stößt an planetarische Grenzen,<br />

wie beispielsweise durch<br />

den immer schneller voranschreitenden<br />

menschgemachten<br />

Klimawandel<br />

deutlich wird. Es stellt sich<br />

die Frage, ob das auch anders<br />

geht: Wie kann ein Wirtschaftssystem<br />

aussehen, das mit den<br />

Grenzen unseres Erdsystems<br />

kompatibel ist? Welche<br />

Ansätze gibt es, <strong>und</strong> welche<br />

werden bereits praktisch<br />

umgesetzt? Kann das<br />

funktionieren, ohne dass unser<br />

Wohlstand abnimmt?<br />

Unser Wirtschaftssystem<br />

Wirtschaftssysteme lassen sich in zwei idealtypische Formen<br />

unterscheiden: die Marktwirtschaft <strong>und</strong> die Zentralverwaltungswirtschaft.<br />

In einer Marktwirtschaft befinden sich die<br />

Produktionsmittel (al<strong>so</strong> zum Besispiel Maschinen <strong>und</strong> Gebäude)<br />

in privatem Besitz, die Preise für Güter bilden sich auf<br />

Märkten durch Angebot <strong>und</strong> Nachfrage <strong>und</strong> Wirtschaftsprozesse<br />

werden dezentral durch die einzelnen Wirtschaftsakteure<br />

geplant. In einer Zentralverwaltungswirtschaft befinden<br />

sich die Produktionsmittel in öffentlicher Hand oder sind<br />

Kollektiveigentum, Löhne <strong>und</strong> Preise werden festgesetzt <strong>und</strong><br />

Wirtschaftsprozesse werden zentral geplant. In der Realität<br />

treten ausschließlich Mischformen auf, das heißt, der Staat<br />

greift mehr oder weniger lenkend in die Marktwirtschaft ein.<br />

Die Volkswirtschaftslehre beschäftigt sich mit dem Funktionieren<br />

von Marktwirtschaften. Dabei wird davon ausgegangen,<br />

dass die Bedürfnisse der Menschen unendlich sind <strong>und</strong> wir<br />

wirtschaften, um diese Bedürfnisse zu befriedigen. Dabei geht<br />

es darum, dies <strong>so</strong> gut oder <strong>so</strong> effizient wie möglich zu tun.<br />

Wenn wir das schaffen, dann wächst die Menge an produzierten<br />

Waren <strong>und</strong> Dienstleistungen (das Bruttoinlandsprodukt)<br />

jedes Jahr um einen bestimmten Prozentsatz, das heißt wir<br />

produzieren jedes Jahr mehr als im Jahr zuvor. Dazu werden<br />

Res<strong>so</strong>urcen benötigt.<br />

18 Ausgabe 13 | Mai 2020 | Umweltdialog.de


<strong>Innovation</strong><br />

Gibt es Grenzen?<br />

Foto: wx-bradwang / iStockphoto.com<br />

Wenn die Gütermenge jedes Jahr nur um<br />

2,5 Prozent wächst <strong>und</strong> wir technologischen<br />

Fortschritt zunächst ausschließen,<br />

würden wir damit auch jedes Jahr<br />

2,5 Prozent mehr Res<strong>so</strong>urcen verbrauchen<br />

<strong>und</strong> Schadstoffe emittieren. Res<strong>so</strong>urcenverbrauch<br />

<strong>und</strong> Schadstoffeinträge<br />

würden sich alle 28 Jahre verdoppeln<br />

(vgl. Rogall 2012). Schaut man sich das<br />

in der realen Welt an, merkt man, dass<br />

unsere Art des Wirtschaftens tatsächlich<br />

schon in einigen Bereichen zu einer<br />

Übernutzung unserer natürlichen Umwelt<br />

geführt hat.<br />

Das Konzept der planetarischen Grenzen<br />

von Rockström <strong>und</strong> Steffen (2015)<br />

macht das sehr deutlich: Sie haben für<br />

neun Bereiche unserer natürlichen<br />

Umwelt Grenzen definiert, deren Überschreiten<br />

die Wahrscheinlichkeit für abrupte,<br />

großskalige Veränderungen der<br />

Stabilität des gesamten Erdsystems bedeuten<br />

würde, mit entsprechenden Folgen<br />

für die Menschen, das heißt es wird<br />

ungemütlich. In vier Bereichen haben<br />

wir diese Grenzen bereits überschritten:<br />

beim Klimawandel, beim Verlust biologischer<br />

Vielfalt, bei der Veränderung biochemischer<br />

Kreisläufe – vor allem durch<br />

Phosphor- <strong>und</strong> Stickstoffeinträge durch<br />

die Industrie <strong>und</strong> die intensive Landwirtschaft<br />

– <strong>so</strong>wie bei der Veränderung<br />

der Landnutzung durch die Umwandlung<br />

von Wald in Agrarflächen, Straßen<br />

<strong>und</strong> Städte (vgl. Steffen et al. 2015).<br />

Grenzen spielen in Standardmodellen<br />

der Volkswirtschaftslehre keine Rolle.<br />

Die Mainstream-Volkswirtschaftslehre<br />

vertraut darauf, dass über den Preismechanismus<br />

<strong>und</strong> den technischen<br />

Fortschritt diese Probleme überw<strong>und</strong>en<br />

werden können. Der Preismechanismus<br />

<strong>so</strong>ll dafür <strong>so</strong>rgen, dass knapper werdende<br />

Res<strong>so</strong>urcen oder Umweltleistungen,<br />

wie beispielsweise die Schadstoffaufnahme,<br />

teurer werden, <strong>und</strong> daraufhin<br />

die Nachfrage sinkt. Dadurch lohnen<br />

sich dann auch Investitionen in neue<br />

res<strong>so</strong>urcensparende <strong>und</strong> umweltfre<strong>und</strong>liche<br />

Verfahren wirtschaftlich, <strong>und</strong> technischer<br />

Fortschritt wird damit gefördert.<br />

Das funktioniert leider nicht ganz, denn<br />

vielfach sind die Preise für Res<strong>so</strong>urcen<br />

<strong>und</strong> Umweltleistungen zu niedrig, <strong>so</strong><br />

dass der Markt bei der ökonomisch effizienten<br />

Bereitstellung versagt. Die gesellschaftlichen<br />

Kosten sind dann höher als<br />

die privatwirtschaftlichen, <strong>und</strong> nach der<br />

Theorie <strong>so</strong>llte hier der Staat eingreifen.<br />

Zudem ist bislang nicht erkennbar, dass<br />

durch den technischen Fortschritt der<br />

Res<strong>so</strong>urcenverbrauch oder die Schadstoffeinträge<br />

– ab<strong>so</strong>lut gesehen – zurück<strong>gehen</strong>.<br />

Beispielsweise steigen die<br />

Treibhausgasemissionen weltweit: 2017<br />

sind die weltweiten CO 2<br />

-Emissionen um<br />

1,4 Prozent <strong>und</strong> 2018 um 2,1 Prozent<br />

gestiegen, für 2019 wird ein weiterer<br />

Anstieg erwartet. Gr<strong>und</strong> dafür ist ein<br />

anhaltendes Wachstum der Weltwirtschaft<br />

verb<strong>und</strong>en mit einem steigenden<br />

Verbrauch von Erdgas <strong>und</strong> Öl (vgl.<br />

Jack<strong>so</strong>n et al. 2019) (Anmerkung der<br />

Redaktion: mögliche Auswirkungen des<br />

Corona-Virus sind hierbei nicht berücksichtigt<br />

...).<br />

Wie kann ein Wirtschaftssystem aussehen,<br />

das mit den planetarischen Grenzen<br />

vereinbar ist? Darüber wird in der<br />

Wissenschaft <strong>und</strong> auch in Teilen der Gesellschaft<br />

bereits seit einigen Jahrzehnten<br />

diskutiert. Gr<strong>und</strong>sätzlich lassen<br />

sich die Vorschläge in drei verschiedene<br />

Kategorien einteilen:<br />

1. Wachstum mit neuen Attributen,<br />

2. Verringerung der Wachstumsabhängigkeit<br />

(weniger Wachstum) <strong>und</strong><br />

3. Wohlbefinden statt Wachstum (vgl.<br />

Pirgmeier 2012).<br />

Aus der gesamtwirtschaftlichen Perspektive<br />

sind die ersten beiden Ansätze interessant<br />

<strong>und</strong> <strong>so</strong>llen hier jeweils anhand eines<br />

Beispiels genauer betrachtet werden.<br />

Grünes Wachstum<br />

„Wachsen wie bisher, aber grüner“<br />

ist Leitbild der <strong>so</strong>genannten Green<br />

Growth-Strategie. Hierbei <strong>so</strong>ll Wachstum<br />

res<strong>so</strong>urceneffizienter, sauber <strong>und</strong> widerstandsfähiger<br />

gemacht werden (vgl.<br />

World Bank 2012). Es <strong>so</strong>llen hier al<strong>so</strong><br />

zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen<br />

werden: Wirtschaftswachstum <strong>und</strong><br />

Umweltschutz. Erreicht werden <strong>so</strong>ll das<br />

durch eine Steigerung der Res<strong>so</strong>urceneffizienz,<br />

staatlich induzierte Investitionen,<br />

ein forciertes <strong>Innovation</strong>stempo,<br />

die Ausnutzung der Dynamik grüner<br />

Zukunftsmärkte <strong>und</strong> der Vermeidung<br />

wachstumsschädlicher Entwicklungen,<br />

wie beispielsweise Rohstoffengpässe,<br />

steigende Energiepreise, Umweltschäden<br />

<strong>und</strong> Klimawandel (vgl. Jänicke<br />

2011). Der Ansatz ist bei internationalen<br />

Institutionen <strong>und</strong> nationalen Regierungen<br />

sehr beliebt, da er suggeriert, dass<br />

wir <strong>so</strong> weiter machen können wie bisher,<br />

nur halt grüner. Auch die neue EU-Kommission<br />

hat diese Strategie unter dem<br />

Namen „Green New Deal“ ganz nach<br />

oben auf die politische Agenda gesetzt.<br />

Südkorea kann bei der Umsetzung als<br />

Vorreiter gelten, da es 2009 im Zuge<br />

der Weltwirtschaftskrise seine Konjunkturhilfen<br />

explizit auf eine grüne >><br />

Ausgabe 13 | Mai 2020 | Umweltdialog.de<br />

19


<strong>Innovation</strong><br />

Wachstumsstrategie ausgerichtet hat:<br />

Südkorea hat insgesamt Mittel in Höhe<br />

von 98,8 Mrd. USD eingesetzt; davon<br />

ein gutes Viertel für die Dekarbonisierung<br />

der Wirtschaft – unter anderem<br />

für den Ausbau des Schienennetzes,<br />

<strong>so</strong>nstige Maßnahmen zur Minderung<br />

des Klimawandels <strong>und</strong> der Energiesicherheit,<br />

Förderung der erneuerbaren<br />

Energien, Ausbau der Atomenergie,<br />

Entwicklung grüner Städte <strong>und</strong> Verringerung<br />

der Fahrzeugemissionen. Dadurch<br />

ist es gelungen, die Effizienz der<br />

Energieerzeugung insbe<strong>so</strong>ndere in den<br />

Bereichen Stromgewinnung, Industrie<br />

<strong>und</strong> motorisierter Individualverkehr zu<br />

erhöhen. Allerdings sind die CO 2<br />

-Emissionen<br />

nach der Wirtschaftskrise schnell<br />

wieder gestiegen: 2008 um 2,3 Prozent,<br />

2009 um 2,8 Prozent <strong>und</strong> 2010 um 9,5<br />

Prozent. Selbst wenn das BIP nur noch<br />

um ein Prozent pro Jahr wachsen <strong>so</strong>llte,<br />

sind noch radikalere Maßnahmen <strong>und</strong><br />

mehr Mittel erforderlich (vgl. Sonnenschein<br />

<strong>und</strong> M<strong>und</strong>aca 2016).<br />

Woran liegt es, dass trotz erheblicher<br />

Anstrengungen die zwei Fliegen nicht<br />

mit einer Klappe erlegt werden konnten?<br />

Zum einen liegt es an den <strong>so</strong>genannten<br />

Rebo<strong>und</strong>effekten, das heißt die Einsparung<br />

durch verbesserte Technologie fällt<br />

nicht <strong>so</strong> hoch aus wie erwartet, weil sich<br />

im Zuge der Nutzung auch das menschliche<br />

Verhalten verändert. Ein Beispiel<br />

für einen Rebo<strong>und</strong>effekt wäre, dass man<br />

sich ein Auto kauft, das weniger Treibstoff<br />

verbraucht. Da man ja nun ein umweltfre<strong>und</strong>liches<br />

Auto hat, fährt man jedoch<br />

mehr damit als mit dem alten <strong>und</strong><br />

verbraucht eventuell <strong>so</strong>gar mehr Benzin<br />

als vorher (vgl. Golde 2016).<br />

Auch ein Vergleich mit der Dampfmaschine<br />

drängt sich auf: Eine Dampfmaschine<br />

fördert Kohle <strong>und</strong> verbraucht sie<br />

zugleich. Das kann als eine Parabel für<br />

unsere Technikgläubigkeit gesehen werden:<br />

Zwar schieben wir Grenzen durch<br />

neue Technologien hinaus (durch die<br />

Dampfmaschine den Mangel an leicht<br />

verfügbarer Kohle), stoßen dabei aber<br />

häufig an neue Grenzen (durch das Verbrennen<br />

der geförderten fossilen Energieträger<br />

emittieren wir immer mehr<br />

CO 2<br />

) (vgl. Rauchmüller 2013). Auch benötigen<br />

wir für unsere neuen Erfindungen<br />

(zum Beispiel digitale Technologien)<br />

andere Rohstoffe, deren verstärkter Einsatz<br />

auch dazu führt, dass wir – schon<br />

teilweise heute – an Grenzen der Verfügbarkeit<br />

stoßen.<br />

Wirtschaft im Gleichgewicht<br />

Ein Ansatz für eine Wirtschaft im Gleichgewicht<br />

stammt aus den 1970er Jahren<br />

<strong>und</strong> wurde von Herman Daly, einem volkswirtschaftlichen<br />

Querdenker, entwickelt.<br />

Elementar ist bei dem Ansatz, dass die<br />

Wirtschaft nur als ein Teilsystem der Umwelt<br />

betrachtet wird <strong>und</strong> nicht als i<strong>so</strong>liertes<br />

System, wie von der Volkswirtschaftslehre<br />

angenommen. Das uns umgebende<br />

Ökosystem hat Grenzen, zusätzliches<br />

Material kann weder ein- noch austreten,<br />

nur Sonnenenergie strömt permanent<br />

von außen ein <strong>und</strong> Wärme wird abgegeben.<br />

Es gibt unökonomisches Wachstum,<br />

dessen Schäden höher sind als die Vorteile.<br />

Solange das ökonomische Teilsystem<br />

relativ klein ist, ergeben sich keine Probleme.<br />

Ab einer bestimmten Größe muss<br />

sich die Wirtschaft jedoch an die Größe<br />

des sie umgebenden Systems anpassen,<br />

<strong>so</strong>nst bricht das Gesamtsystem zusammen,<br />

weil lebenserhaltende Systeme<br />

beginnen zu versagen (vgl. Daly 1993).<br />

Mittlerweile ist unser Wirtschaftssystem<br />

zu groß geworden, <strong>und</strong> es treten<br />

die von Daly beschrieben Schäden auf.<br />

Für das Wirtschaften in einer <strong>so</strong>lchen<br />

„vollen“ Welt ist es notwendig, dass in<br />

einer Volkswirtschaft der physische Kapitalbestand<br />

(Stock) <strong>und</strong> der Materialdurchsatz<br />

(Flow) innerhalb ökologischer<br />

Grenzen (Scale) möglichst konstant gehalten<br />

werden, die Bevölkerung durch<br />

Geburtenlizenzen stabilisiert wird <strong>und</strong><br />

mehr Verteilungsgerechtigkeit durch Einkommens-<br />

<strong>und</strong> Vermögen<strong>so</strong>bergrenzen<br />

hergestellt wird (vgl. Pirgmeier 2012).<br />

Über diese drei Bedingung kann man<br />

lange streiten. Unter dem Aspekt der<br />

planetarischen Grenzen lohnt sich ein<br />

Blick auf die konstanten Durchsätze, Bestände<br />

<strong>und</strong> den Maßstab unserer Wirtschaft.<br />

Es gibt bislang keine Volkswirtschaft,<br />

die das Ziel verfolgt, nicht mehr<br />

20 Ausgabe 13 | Mai 2020 | Umweltdialog.de


<strong>Innovation</strong><br />

Es gibt bislang keine<br />

Volkswirtschaft, die<br />

das Ziel verfolgt, nicht<br />

mehr zu wachsen.<br />

zu wachsen. O'Neill (2015) hat anhand eines umfassenden<br />

Systems an biophysikalischen <strong>und</strong> <strong>so</strong>zialen Indikatoren untersucht,<br />

ob trotzdem einige Volkswirtschaften unfreiwillig in die<br />

Nähe eines <strong>so</strong>lchen Systems kommen <strong>und</strong> ob man in einem<br />

<strong>so</strong>lchen System noch gut leben kann. Er hat herausgef<strong>und</strong>en,<br />

dass die meisten Länder Wachstumsökonomien sind, es aber<br />

20 von 181 Ländern gibt, die zumindest bei den biophysikalischen<br />

Indikatoren relativ stabil sind. Allerdings sind das noch<br />

keine Volkswirtschaften im Gleichgewicht, da ja zusätzlich die<br />

Grenzen unseres Planeten beachtet werden müssen. Das ernüchternde<br />

Ergebnis ist hierbei, dass je mehr Umwelt ein Land<br />

für seinen Lebensstil verbraucht, desto besser es auch bei den<br />

<strong>so</strong>zialen Indikatoren abschneidet. Der Staat kann allerdings bis<br />

zu einem gewissen Maß durch entsprechende Maßnahmen im<br />

<strong>so</strong>zialen Bereich gegensteuern. Allerdings werden wir unseren<br />

Umweltverbrauch tatsächlich einschränken müssen, wenn wir<br />

innerhalb der planetarischen Grenzen bleiben wollen.<br />

Zukunftsfähiges Wirtschaften in der Praxis<br />

Betrachtet man die aktuelle politische Lage, ist eine wirklich<br />

konsequente Umsetzung der Green Growth-Strategie unter<br />

pragmatischen Gesichtspunkten der Spatz in der Hand. Trotzdem<br />

müssen wir hier voranschreiten. Der erste Entwurf der<br />

EU-Kommission für einen New Green Deal aus dem Dezember<br />

2019 ist durchaus positiv zu beurteilen, es muss jetzt abgewartet<br />

werden, ob tatsächlich entsprechende Taten folgen werden.<br />

Gleichzeitig <strong>so</strong>llte jedoch weiter das öffentliche Bewusstsein<br />

für alternative Lebensstile, die mit weniger materiellen Gütern<br />

auskommen, geschärft werden. Dazu ist Bildung in allen Bereichen<br />

notwendig <strong>so</strong>wie eine ambitionierte Politik.<br />

Ausgabe 13 | Mai 2020 | Umweltdialog.de<br />

Foto: MAGNIFIER Foto: / stock.adobe.com<br />

MAGNIFIER / stock.adobe.com<br />

Was heißt das jetzt für Unternehmen? Unternehmen können<br />

unterschiedliche Motive haben, nachhaltig zu wirtschaften.<br />

Entweder sind die Eigentümer / Geschäftsführer selber ethisch<br />

motiviert. Das ist jedoch nicht unbedingt notwendig, denn<br />

<strong>Nachhaltigkeit</strong> kann auch zu einem Geschäftsmodell werden:<br />

Unternehmen können mit nachhaltigem Wirtschaften Risiken<br />

vermeiden, indem sie gesetzliche Vorgaben einhalten (die sich<br />

vorhersehbar verschärfen werden), Imageschäden vermeiden<br />

<strong>und</strong> sich Zugang zu wichtigen Inputfaktoren sichern (Rohstoffe,<br />

Mitarbeiter oder Motivation). Positiv gewendet können<br />

Wettbewerbsvorteile entstehen, wenn man durch das nachhaltige<br />

Wirtschaften mittelfristig Kosten reduziert, K<strong>und</strong>enwünsche<br />

erfüllt (Generation Greta), das Image verbessert <strong>und</strong> sich<br />

die besseren Inputfaktoren sichert (vgl. Loew <strong>und</strong> Claussen<br />

2010). Auch die Dynamik grüner Wachstumsmärkte spricht<br />

für Möglichkeiten zur Gewinnerzielung, für 2016 bis 2025<br />

wird auf diesen Märkten ein Wachstum von 8,8 Prozent im<br />

Jahr erwartet (vgl. BMU 2018).<br />

Unternehmen sind ein Teil dieser Gesellschaft, <strong>und</strong> die herrschende<br />

Managementlehre weist den Stakeholdern eines Unternehmens<br />

eine hohe Bedeutung zu. Wichtige Stakeholder<br />

sind die K<strong>und</strong>en, die Mitarbeiter, die Geldgeber <strong>und</strong> der >><br />

21


<strong>Innovation</strong><br />

Staat. In der Gesellschaft findet zur Zeit<br />

ein massives Umdenken statt: Konsumenten<br />

achten verstärkt auf <strong>Nachhaltigkeit</strong>saspekte,<br />

es gibt Bewegungen<br />

wie Dinvest, <strong>und</strong> die Regierungen werden<br />

von gesellschaftlichen Bewegungen<br />

wie Fridays For Future zu schnellerem<br />

politischen Handeln getrieben. Dadurch<br />

sind Unternehmen direkt betroffen.<br />

Sie tun al<strong>so</strong> gut daran, eher proaktiv<br />

als reaktiv zu handeln, um sich nicht<br />

selber ins Aus zu katapultieren. Dabei<br />

sind Investitionen in grüne Technologien<br />

<strong>und</strong> Prozesse schon ein Schritt in<br />

die richtige Richtung. Allerdings <strong>so</strong>llte<br />

zumindest mittelfristig auch überdacht<br />

werden, ob kurzfristige Gewinnmaximierung<br />

ein Ziel an sich sein muss.<br />

Vielleicht kann man die Interessen der<br />

Stakeholder besser befriedigen, wenn<br />

ein Unternehmen nicht permanent<br />

wächst, <strong>so</strong>ndern dauerhaft <strong>und</strong> nachhaltig<br />

wirtschaftet, seine ökologischen<br />

Auswirkungen minimiert <strong>und</strong> für einen<br />

<strong>so</strong>zialen Ausgleich <strong>so</strong>rgt?<br />

Die Corona-Pandemie, die zur Zeit<br />

weltweit wütet, hat die notwendigen<br />

Diskussionen um ein nachhaltigeres<br />

Wirtschaftsmodell in den Hintergr<strong>und</strong><br />

gedrängt. Jedoch ist offensichtlich, dass<br />

die Klimakrise <strong>und</strong> auch andere ökologische<br />

<strong>und</strong> <strong>so</strong>ziale Herausforderungen<br />

nach dem Hochfahren der Volkswirtschaften<br />

nicht gelöst sein werden. Zwar<br />

sinken in der Zeit des erzwungenen<br />

Shutdowns zunächst die CO 2<br />

-Emissionen,<br />

diese werden jedoch auch schnell<br />

wieder steigen, <strong>so</strong> wie in Südkorea<br />

nach der letzten Wirtschaftskrise. Auch<br />

verschärfen sich durch die Pandemie<br />

<strong>so</strong>ziale Probleme wie beispielsweise<br />

Arbeitslosigkeit <strong>und</strong> unterschiedliche<br />

Bildungschancen. Da <strong>so</strong>wie<strong>so</strong> massive<br />

Konjunkturhilfen notwendig sein<br />

werden, <strong>so</strong>llten die Investitionen des<br />

Staates, ganz im Sinne eines grünen<br />

Wachstums, in die „richtigen“ Bereiche<br />

fließen. Das kann auch Unternehmen<br />

motivieren ihre Produktion umzustellen.<br />

Die EU-Kommission hat Ende März<br />

2020 noch einmal bekräftigt, am New<br />

Green Deal festhalten zu wollen. Zudem<br />

kann <strong>und</strong> <strong>so</strong>llte diese erzwungene Pause<br />

vom „Immer-Mehr“ genutzt werden, um<br />

gr<strong>und</strong>sätzlich über unser Wirtschaftsmodell<br />

<strong>und</strong> unsere Werte nachzudenken.<br />

Was ist uns wichtig? Brauchen wir<br />

immer mehr? f<br />

Dieser Artikel basiert auf<br />

einem ausführlicheren<br />

Buchbeitrag: Michaelis, N. V.<br />

(2020): Alternative Wirtschaftssysteme<br />

– Wege zu<br />

einer nachhaltigen Entwicklung,<br />

in: Rupprecht, M., Aktuelle<br />

Themen der Volkswirtschaftslehre<br />

verständlich<br />

erklärt – Handelskriege,<br />

Niedrigzinsen, Nachhaltiges<br />

Wirtschaften, Kohlhammer<br />

(erscheint im Herbst 2020).<br />

Literatur<br />

n BMU - B<strong>und</strong>esministerium für Umwelt,<br />

Naturschutz <strong>und</strong> nukleare Sicherheit<br />

(2018): GreenTech made in<br />

Germany 2018 – Umwelttechnik-Atlas<br />

für Deutschland, Dessau-Roßlau.<br />

n Daly, H. E. (1993): Steady-State<br />

Economics: A New Paradigm, in:<br />

New Literary History, 1993, 24:<br />

S. 811-816.<br />

n Golde, M. (2016): Rebo<strong>und</strong>-Effekte -<br />

Empirische Ergebnisse <strong>und</strong> Handlungsstrategien,<br />

Umweltb<strong>und</strong>esamt,<br />

Hintergr<strong>und</strong> Juni 2016, Dessau-<br />

Roßlau.<br />

n Jack<strong>so</strong>n R. B.; Le Quéré, C; Andrew,<br />

R. M.; Canadell, J. G.; Korsbakken,<br />

J. I.; Liu, Z.; Peters, G.P.; Zheng, B.;<br />

Friedlingstein, P. (2019): Global Energy<br />

Growth Is Outpacing Decarbonization.<br />

A special report for the United<br />

Nations Climate Action Summit<br />

September 2019. Global Carbon<br />

Project, International Project Office,<br />

Canberra.<br />

n Jänicke, M. (2011): „Green Growth“<br />

– Vom Wachstum der Öko-Industrie<br />

zum nachhaltigen Wirtschaften,<br />

Freie Universität Berlin, FFU-Report<br />

06-2011, Berlin.<br />

n Loew, T. & Clausen, J. (2010): Wettbewerbsvorteile<br />

durch CSR. Eine<br />

Metastudie zu den Wettbewerbsvorteilen<br />

von CSR <strong>und</strong> Empfehlungen<br />

zur Kommunikation an Unternehmen.<br />

Berlin, Hannover.<br />

n Pirgmaier. E. (2012): Wachstum<br />

im Wandel – Alternative Wirtschafts-<br />

<strong>und</strong> Gesellschaftskonzepte,<br />

Zukunftsdossier No. 3, B<strong>und</strong>esministerium<br />

für Land- <strong>und</strong> Forstwirtschaft,<br />

Umwelt <strong>und</strong> Wasserwirtschaft<br />

(Lebensministerium)(Hrsg.), Wien.<br />

n Rauchmüller, M. (2013): Der große<br />

Raubbau, in: Süddeutsche Zeitung<br />

16./17.03.2013, Nr. 64, 22.<br />

n Rogall, H. (2012): Nachhaltige Ökonomie<br />

– Ökonomische Theorie <strong>und</strong><br />

Praxis einer Nachhaltigen Entwicklung,<br />

2. Auflage, Marburg.<br />

n<br />

Sonnenschein, J.; M<strong>und</strong>aca, L.<br />

(2016): Decarbonization <strong>und</strong>er green<br />

growth strategies? The case of<br />

South Korea. In: Journal of Cleaner<br />

Production, S. 180-193.<br />

n Steffen, W. et al. (2015): Planetary<br />

bo<strong>und</strong>aries: Guiding human<br />

development on a changing planet,<br />

in: Science 347, 1259855, 2015. DOI:<br />

10.1126/science.1259855.<br />

n World Bank (2012): Toward a Green,<br />

Clean, and Resilient World for All –<br />

A World Bank Group Environment<br />

Strategy 2012-2022, Washington, D.C.<br />

22 Ausgabe 13 | Mai 2020 | Umweltdialog.de


<strong>Innovation</strong><br />

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23


Neue gesellschaftliche<br />

Allianzen<br />

Fotos: Gajus / stock.adobe.com<br />

Von der Klimakrise über die<br />

Corona-Krise zur <strong>so</strong>zialökologischen<br />

Transformation<br />

24


<strong>Innovation</strong><br />

Von Ulrich Petschow <strong>und</strong> Helen Sharp<br />

Internationale wissenschaftliche<br />

Organisationen, die sich<br />

etwa mit den Herausforderungen<br />

des Klimaschutzes <strong>und</strong> der<br />

Biodiversität befassen, <strong>gehen</strong><br />

übereinstimmend <strong>und</strong> dringlich<br />

davon aus, dass eine weitreichende<br />

<strong>so</strong>zial-ökologische<br />

Transformation erforderlich ist.<br />

Dies nicht zuletzt, um die Überschreitung<br />

planetarer Grenzen<br />

mit potenziell katastrophalen<br />

Wirkungen auch auf die<br />

menschliche Ges<strong>und</strong>heit<br />

zu vermeiden.<br />

Transformationsprozesse sind dabei immer auch verb<strong>und</strong>en<br />

mit Machtfragen <strong>und</strong> Verteilungswirkungen.<br />

Sie sind daher auch abhängig davon, inwieweit die unterschiedlichsten<br />

gesellschaftlichen Akteure diese Prozesse<br />

unterstützen oder auch bekämpfen. Gr<strong>und</strong>sätzlich gilt: Die<br />

<strong>so</strong>ziale Organisation von Gesellschaften ist nicht nur Ursache<br />

von Umweltproblemen, sie ist zugleich Bedingung für deren<br />

Lösung. Die ökologische Frage wird damit zur <strong>so</strong>zialen Frage –<br />

genau<strong>so</strong> wie andersherum.<br />

Was bedeutet dieser Zusammenhang aber mit Blick auf die<br />

Ebene gesellschaftlicher Akteure? „Neue Allianzen“ <strong>so</strong>zialer<br />

<strong>und</strong> ökologisch motivierter Akteure, etwa zwischen den Umwelt-,<br />

Sozial-, Wohlfahrtsverbänden <strong>und</strong> den Gewerkschaften,<br />

können, <strong>so</strong> die hier zugr<strong>und</strong>e gelegte Prämisse, die <strong>so</strong>zialökologische<br />

Transformation vorantreiben. Dies erfordert aber<br />

entsprechende langfristig angelegte <strong>und</strong> systematische Austausch-<br />

bzw. Aushandlungsprozesse, innerhalb derer gemeinsame<br />

Leitideen wie etwa die einer „Just Transition“ (eines gerechten<br />

Wandels) oder des „leave no one behind“ (Gr<strong>und</strong>satz<br />

der globalen <strong>Nachhaltigkeit</strong>sziele) gemeinsam konkretisiert<br />

werden. Die zivilgesellschaftlichen Interessenverbände spielen<br />

hierbei im politischen System Deutschlands weiterhin eine<br />

wichtige Rolle, indem sie etwa im Vorfeld politischer Entscheidungsprozesse<br />

aggregierte Interessen <strong>und</strong> Wissen einbringen.<br />

Als kollektive Gemeinwohlakteure nehmen sie damit an gesellschaftlichen<br />

Aushandlungsprozessen teil, deren Ergebnisse<br />

sie wiederum gegenüber der eigenen Basis vermitteln. Die<br />

Verbände besitzen aber dabei nicht nur theoretisch, <strong>so</strong>ndern<br />

auch praktisch noch immer eine zentrale Relevanz: Fast jede/r<br />

zweite B<strong>und</strong>esbürger/in ist Mitglied in einer gemeinnützigen<br />

Organisation. R<strong>und</strong> zehn Millionen Menschen in Deutschland<br />

sind in Natur-, Tier- <strong>und</strong> Umweltschutzorganisationen organisiert,<br />

knapp sechs Millionen sind es in den Gewerkschaften des<br />

Deutschen Gewerkschaftsb<strong>und</strong>es. Allein die Wohlfahrtsverbände<br />

der freien Wohlfahrtspflege werden nach eigenen Angaben<br />

von knapp drei Millionen Ehrenamtlichen unterstützt, wobei<br />

die Mitgliederzahlen weit darüber hinaus<strong>gehen</strong> dürften. Die<br />

Sozialverbände in Deutschland (SoVD, VdK) kommen zusammen<br />

ebenfalls auf knapp drei Millionen Mitglieder.<br />

Das Beispiel der Kohlekommission hat gezeigt, dass mithilfe<br />

gesellschaftlicher Aushandlung Transformationsprozesse<br />

durchaus proaktiv begleitet <strong>und</strong> <strong>so</strong>ziale Kosten vermieden<br />

oder zumindest gerechter verteilt werden können. Die Frage<br />

<strong>so</strong>zial-ökologischer Allianzen ist nun allerdings nicht unbedingt<br />

eine ganz neue Frage, insbe<strong>so</strong>ndere zwischen einigen<br />

Gewerkschaften <strong>und</strong> den Umweltverbänden wurden mehrfach<br />

Überlegungen angestellt, inwieweit weiter<strong>gehen</strong>de Kooperationen<br />

oder Allianzen zwischen diesen Akteuren möglich sein<br />

könnten. In der Praxis konnten mehrere Phasen beobach- >><br />

Ausgabe 13 | Mai 2020 | Umweltdialog.de<br />

25


<strong>Innovation</strong><br />

tet werden, in denen das Thema auf der<br />

Agenda war, aber letztlich nicht wirkmächtig<br />

werden konnte. So beispielsweise<br />

Mitte / Ende der 80er Jahre, als die Ideen<br />

des ökologischen Umbaus prominent<br />

wurden. Diese Diskussion ist im Kontext<br />

der Wiedervereinigung abgeebbt. Zu<br />

Anfang der 10er Jahre wurde ein breit<br />

angelegtes Forschungsvorhaben auf den<br />

Weg gebracht, mit der Vorstellung, dass<br />

gemeinsame <strong>und</strong> konsensfähige Entwicklungspfade<br />

zwischen den Gewerkschaften<br />

<strong>und</strong> den Umweltverbänden<br />

ausgelotet werden könnten. In der Folge<br />

der Wirtschaftskrise 2008 wurde unter<br />

breiter Beteiligung unterschiedlichster<br />

Verbände ein Transformationskongress<br />

(2013) durchgeführt, der aber mit Blick<br />

auf direkte Folgeaktivitäten letztlich nur<br />

eine begrenzte Wirkung hatte.<br />

Diese Situation ändert sich aktuell. Es<br />

zeigt sich, dass auch die Verbände selbst<br />

aus eigener Initiative an unterschiedlichen<br />

Stellen miteinander aktiv geworden<br />

sind. So gab es im Juni 2019 die<br />

große Fairwandel-Demonstration der IG<br />

Metall unter Beteiligung von Sozial- <strong>und</strong><br />

Umweltverbänden, es gab gemeinsame<br />

Erklärungen <strong>und</strong> Debattenbeiträge der<br />

jeweiligen Verbandsspitzen etwa zu Fragen<br />

der Mobilität oder Industrie- <strong>und</strong><br />

Wirtschaftspolitik. Gleichwohl bleibt<br />

festzuhalten, dass diese Allianzen sich<br />

noch in einem frühen Stadium befinden<br />

<strong>und</strong> häufig eher auf einer deklamatorischen<br />

Ebene verbleiben. Hinzu kommt<br />

nun, dass sich die Verbände mit der<br />

„Corona-Krise“ auf einmal in einer Situation<br />

befinden, in der die Debatten um<br />

klima- <strong>und</strong> umweltpolitische Herausforderungen<br />

plötzlich mehr oder weniger<br />

stummgeschaltet scheinen. Auch die<br />

zarten Pflänzchen <strong>so</strong>zial-ökologischer<br />

Allianzenbildung scheinen damit bedroht.<br />

Und doch wird es gerade vor dem<br />

Hintergr<strong>und</strong> der wirtschaftlichen Folgewirkungen<br />

eines „Shut-Downs“ darum<br />

<strong>gehen</strong>, die <strong>so</strong>zial-ökologische Frage neu<br />

zu stellen. Auch hier braucht es neue<br />

Allianzen, insbe<strong>so</strong>ndere da sich bereits<br />

jetzt beobachten lässt, wie die Krise<br />

von unterschiedlichen Akteuren durchaus<br />

instrumentalisiert wird. Im breiten<br />

Spektrum des Diskurses lassen sich<br />

dabei bisher sicherlich zwei Extrempositionen<br />

ausmachen: Auf der einen Seite<br />

wird spekuliert, dass, ausgelöst durch<br />

die ges<strong>und</strong>heitliche <strong>so</strong>wie die zu erwartende<br />

gravierende Wirtschaftskrise, die<br />

Gesellschaft zur „Vernunft“ kommen<br />

<strong>und</strong> auf die „harten Tatsachen“ des Lebens<br />

zurückgeführt werden würde. In<br />

der Konsequenz müsse wirtschaftlichem<br />

Wachstum in jedem Fall Priorität eingeräumt<br />

werden. Auf der anderen Seite<br />

des Diskussionsspektrums wird die derzeitige<br />

Krise vor allem auch als Chance<br />

für die <strong>so</strong>zial-ökologische Transformation<br />

bezeichnet, u.a. weil, zumindest zum<br />

gegenwärtigen Zeitpunkt, deutlich wird,<br />

wie eng die wirtschaftlichen Aktivitäten<br />

<strong>und</strong> der Lebensstil mit den Umweltbelastungen<br />

zusammenhängen. Mit<br />

den ergriffenen Maßnahmen der Politik<br />

zur Eindämmung der Verbreitung<br />

des Virus durch ein Einschränken des<br />

öffentlichen Lebens auf ein notwendiges<br />

Minimum sind auch wirtschaftliche<br />

Aktivitäten zum Teil radikal heruntergefahren<br />

worden – <strong>und</strong> dies zum Teil<br />

mit großer Umweltrelevanz. Während<br />

China etwa eine umfassende Verbesserung<br />

der Luftqualität erlebt hat, wurde<br />

auch der weltweite Flugbetrieb teilweise,<br />

<strong>so</strong> Zeitungsberichte, auf ein Niveau<br />

der 50er Jahre zurückgeschraubt. Ein<br />

Niveau, das möglicherweise zukunftsfähig<br />

sein könnte. Mithin entspringt al<strong>so</strong><br />

bei einigen Akteuren die Vorstellung,<br />

aus der Ges<strong>und</strong>heitskrise könne sich<br />

eine <strong>Nachhaltigkeit</strong>schance ergeben.<br />

Nicht mitgedacht wird dabei allerdings,<br />

dass in Folge der Krise in den bestehenden<br />

Strukturen auch massive <strong>so</strong>ziale<br />

Konsequenzen zu erwarten sind. Zentral<br />

wird es daher sein, eine geeignete<br />

Balance zwischen Wiederaufbau <strong>und</strong><br />

Pfadwechsel herzustellen. Eine tiefgreifende<br />

wirtschaftliche Krise stellt eben<br />

auch eine gewaltige Herausforderung<br />

für die Gesellschaften dar <strong>und</strong> kann,<br />

<strong>so</strong> eine der Lehren der Weltwirtschaftskrise<br />

der 1920er/30er Jahre, sehr leicht<br />

auch zu autoritären Systemen führen.<br />

Mit den ergriffenen Maßnahmen der Politik zur<br />

Eindämmung der Verbreitung des Virus durch ein<br />

Einschränken des öffentlichen Lebens auf ein<br />

notwendiges Minimum sind auch wirtschaftliche<br />

Aktivitäten zum Teil radikal heruntergefahren worden<br />

– <strong>und</strong> dies zum Teil mit großer Umweltrelevanz.<br />

Was die Corona-Krise auf eindrückliche<br />

Weise deutlich macht, ist, dass staatliche<br />

Akteure sich durchaus als radikal handlungsfähig<br />

erweisen können. Konfrontiert<br />

mit einer akuten <strong>und</strong> weitreichenden<br />

Krise, wird sich der Stimme „der“<br />

Wissenschaft, zwar spät, aber immerhin<br />

geöffnet. Die Herausforderung für die<br />

staatlichen Akteure endet aber nicht mit<br />

der Durchsetzung des Shut-Down. In absehbarer<br />

Zeit wird es vor allem darum<br />

<strong>gehen</strong>, die wirtschaftliche Folgekrise zu<br />

bewältigen. Während staatliche Politik<br />

al<strong>so</strong> gegenwärtig im Wesentlichen ungerichtet<br />

mit dem Auffangen der kurzfristigen<br />

ökonomischen Konsequenzen<br />

befasst ist, wird es schon bald darum<br />

<strong>gehen</strong> müssen, wie künftige Strukturen<br />

aussehen <strong>so</strong>llen. Ein „weiter <strong>so</strong>“– <strong>und</strong><br />

auch das hält die Corona-Krise vor Augen<br />

– kann dabei weder aus <strong>so</strong>zialer<br />

noch ökologischer Sicht eine Option sein.<br />

26 Ausgabe 13 | Mai 2020 | Umweltdialog.de


Was können wir damit schon jetzt aus<br />

der Corona-Krise auch für die <strong>so</strong>zial-ökologische<br />

Transformation lernen? Es sind<br />

zweifel<strong>so</strong>hne viele Lehren zu ziehen,<br />

<strong>und</strong> viele Lehren werden erst im Nachhinein<br />

gezogen werden können.<br />

Angefangen von der Nicht-Vorbereitung<br />

auf einen Pandemiefall, der fehlenden<br />

Resilienz der Systeme (gerade auch der<br />

Ges<strong>und</strong>heitsver<strong>so</strong>rgung) bis hin zu der<br />

Frage, welche Relevanz die unterschiedlichen<br />

gesellschaftlichen Systeme letztlich<br />

besitzen.<br />

Erstmals wird die Zentralität der Bereiche<br />

betont, die bislang von Niedriglohn-Jobs<br />

<strong>und</strong> Gig-Arbeiter/innen<br />

sichergestellt werden – von der Verkäufer/in,<br />

der Pfleger/in bis hin zum<br />

Krankenhausper<strong>so</strong>nal betrifft dies mithin<br />

vielfach vor allem Bereiche, die der<br />

„Care-Ökonomie“ zugeordnet werden<br />

können. Dies verweist darauf, dass die<br />

Resilienz einer Gesellschaft essenziell<br />

eben von diesen systemrelevanten<br />

Bereichen <strong>und</strong> damit zusammenhängend<br />

der lokalen <strong>und</strong> regionalen Infrastruktur<br />

abhängt. Und dies ist eine<br />

zentrale <strong>so</strong>ziale Frage, die zudem eng<br />

verb<strong>und</strong>en ist mit den ökologischen Fragen.<br />

Mithin geht es tatsächlich um die<br />

Neubeantwortung der Frage nach der<br />

Systemrelevanz gesellschaftlicher <strong>und</strong><br />

wirtschaftlicher Aktivitäten.<br />

Und exakt hier wird auch deutlich, dass<br />

die <strong>so</strong>ziale <strong>und</strong> die ökologische Dimension<br />

nicht nur Hand in Hand <strong>gehen</strong> können,<br />

sie müssen es <strong>so</strong>gar. Drängender<br />

denn je müssen sich neue Allianzen für<br />

eine resiliente <strong>und</strong> nachhaltige Zukunft<br />

bilden, die die unabdingbare Verzahnung<br />

der <strong>so</strong>zialen <strong>und</strong> ökologischen Frage<br />

in der Debatte abbilden können. Diese<br />

Blickwende auf die essenziellen Gr<strong>und</strong>lagen<br />

von Wirtschaft <strong>und</strong> Gesellschaft<br />

könnte <strong>und</strong> <strong>so</strong>llte auch das Selbstverständnis<br />

der Gesellschaft im Sinne des<br />

„Höher“, „Weiter“ <strong>und</strong> vor allen Dingen<br />

auch „Mehr“ gr<strong>und</strong>legend verändern. f<br />

Ausgabe 13 | Mai 2020 | Umweltdialog.de<br />

27


<strong>Innovation</strong><br />

Grafik: Covermotiv „Raubbau an der Seele“<br />

„Wir sind eine<br />

überforderte<br />

Gesellschaft“<br />

Größer, schneller, weiter. Noch immer glauben wir,<br />

unser Glück durch Konsum <strong>und</strong> Leistung erzwingen<br />

zu können. Der renommierte Psychologe Wolfgang<br />

Schmidbauer weiß Rat – jenseits von Medikamenten,<br />

Illusionierung <strong>und</strong> Verdrängung.<br />

28 Ausgabe 13 | Mai 2020 | Umweltdialog.de


<strong>Innovation</strong><br />

UmweltDialog: In Ihrem Buch „Raubbau<br />

an der Seele: Psychogramm einer überforderten<br />

Gesellschaft“ erzählen Sie, dass<br />

Sie − durchaus glücklich − eine Weile<br />

als Aussteiger in Italien ohne Strom <strong>und</strong><br />

Fernsehen gelebt haben. Heute dagegen<br />

leben Sie in der Weltstadt München − gut<br />

vernetzt, erfolgreich <strong>und</strong> vermutlich mit<br />

allerlei modernem Komfort. Ihre Großeltern<br />

würden sicher sagen: Aus dem<br />

Jungen ist ja doch noch was geworden!<br />

Haben Sie sich schlussendlich auch unserer<br />

Konsum- <strong>und</strong> Leistungsgesellschaft<br />

unterworfen?<br />

Wolfgang Schmidbauer: Unterworfen<br />

würde ich nicht sagen. Zum Teil angepasst<br />

trifft es eher. Das Aussteigerleben<br />

habe ich aufgegeben, als meine Älteste<br />

schulpflichtig wurde <strong>und</strong> ich mich für<br />

eine Therapieausbildung interessierte.<br />

Aber die Kritik an dem Wachstumswahn<br />

<strong>und</strong> der organisierten Verschwendung<br />

habe ich nicht aufgegeben. Im Übrigen<br />

waren meine Großeltern toleranter als<br />

Sie denken. Dogmatismus lag ihnen <strong>so</strong><br />

fern wie mir.<br />

Wir leben in einer Welt, die auf ehrgeizige,<br />

tüchtige, allseitig funktionierende Individuen<br />

zugeschnitten ist. Da hält nicht jeder<br />

mit. Depressionen <strong>und</strong> Burn-out sind gängige<br />

Schlagworte. Was läuft da aus Ihrer<br />

Sicht bei uns gr<strong>und</strong>sätzlich schief?<br />

Das zentrale psychologische Thema ist<br />

der Wandel des gr<strong>und</strong>legenden emotionalen<br />

Motivs durch den Schritt von<br />

einer altsteinzeitlichen Gleichgewichtsgesellschaft<br />

in die erst langsam, dann<br />

rapide − durch den Kapitalismus − sich<br />

zum Raubbau hin steigernde Ungleichgewichtsgesellschaft.<br />

Auf die Gleichgewichtsgesellschaft<br />

ist unser Organismus<br />

zugeschnitten. In diesen Kulturen,<br />

die wir altsteinzeitlich nennen, wurden<br />

die Menschen durch den Hunger motiviert,<br />

der gut <strong>und</strong> eindeutig zu stillen<br />

ist. Die Ungleichgewichtsgesellschaft<br />

motiviert sich durch die Angst, gegen<br />

die der Mensch nie genug an Sicherheit<br />

anhäufen kann. Wer Vorräte hat, hat<br />

auch Angst, dass sie ihm jemand wegnehmen<br />

kann. Seither werden Kinder<br />

geschlagen; Jägerkulturen tun das nicht,<br />

weil <strong>so</strong>lche Kinder schlechte Jäger sind,<br />

aber „gute“ Sklaven. Im modernen Staat<br />

haben wir zwar die Prügel wieder abgeschafft,<br />

aber die Angst ist geblieben.<br />

Sie hat sich multipliziert, inzwischen<br />

zum Beispiel zu den zahlreichen Ängsten<br />

vor falschen Entscheidungen, vor<br />

beruflichem oder privatem Versagen.<br />

Depressionen wurzeln darin, dass Kinder<br />

Ängste der Eltern wahrnehmen, es<br />

könnte „nichts“ aus ihnen werden, <strong>und</strong><br />

sich deshalb überanpassen, sich nicht<br />

mehr an ihren vitalen Bedürfnissen <strong>und</strong><br />

Grenzen orientieren.<br />

Nicht jeder erfährt in seiner täglichen Arbeit<br />

Sinnhaftigkeit. Die meisten arbeiten<br />

wegen des Geldes <strong>und</strong> allem, was sich<br />

daraus ergibt: ein angesehener Beruf, viel<br />

Geld verdienen, für den Partner attraktiv<br />

sein et cetera. Sie kritisieren das als unpersönlichen<br />

Perfektionismus. Warum<br />

eigentlich?<br />

Perfektionismus ist die Form der<br />

Angstabwehr, die in der Konsumgesellschaft<br />

„normal“ wird. Wer ihn anstrebt,<br />

verliert oft die Orientierung an dem, was<br />

ihm auf einer vitalen Ebene gut tut, was<br />

bekömmlich für ihn ist. Burn-out ist oft<br />

die Folge einer Übererfüllung beruflicher<br />

Normen. Wer sein Leben auf die<br />

Leistungskarte setzt, lebt sehr riskant.<br />

Viele Depressionen brechen aus, wenn −<br />

oft unbewusst − die Betroffenen den Eindruck<br />

haben, dass sie sich für weniger<br />

Anerkennung mehr anstrengen <strong>so</strong>llen.<br />

Sich in ihrer Haut wohlfühlen, Freizeit<br />

genießen können − das können Kinder<br />

nicht von Eltern lernen, die Angst haben,<br />

dass sie die nötige Leistung nicht<br />

bringen.<br />

An einer Stelle in Ihrem Buch heißt es: „In<br />

der Konsumgesellschaft <strong>so</strong>llen wir glauben,<br />

dass das Leben durch Leistung kontrollierbar<br />

wird. Wer genug leistet, kann<br />

sich Sicherheit <strong>und</strong> Glück kaufen.“ Aber<br />

was ist genug?<br />

Es ist eben eine Illusion, dass man Sicherheit<br />

<strong>und</strong> Glück kaufen kann. Das<br />

funktioniert einfach nicht. Man kann nur<br />

dem Geld hinterherjagen − die aktive,<br />

manische, realitätsverleugnende >><br />

Wolfgang Schmidbauer:<br />

Raubbau an der Seele.<br />

Psychogramm einer<br />

überforderten Gesellschaft<br />

Oekom Verlag:<br />

München 2019<br />

Softcover, 256 Seiten<br />

ISBN 978-3-96006-009-3<br />

Euro 18,00.–<br />

Ausgabe 13 | Mai 2020 | Umweltdialog.de<br />

29


<strong>Innovation</strong><br />

Variante − oder jammern <strong>und</strong> anderen<br />

die Schuld geben, dass sie einem nicht<br />

das Glück verschaffen, das man sich<br />

wünscht. Wichtig an den Überlegungen<br />

zum Raubbau ist ja, dass uns im<br />

depressiven Zusammenbruch oft die<br />

Kraft fehlt, uns mit einer Fehlentwicklung<br />

auseinanderzusetzen. Ein ges<strong>und</strong>er<br />

Mensch kann Kränkungen verarbeiten<br />

<strong>und</strong> einen neuen Weg suchen;<br />

der zusammengebrochene Perfektionist<br />

wünscht sich nur, dass alles wieder <strong>so</strong><br />

wird wie früher. Ihm werden Medikamente<br />

angeboten. Sie entlasten ihn ein<br />

wenig, lenken ihn aber von Einsicht <strong>und</strong><br />

Neuorientierung ab, vor allem wenn sie<br />

mit dem Mythos einer womöglich ererbten<br />

Anomalie des Gehirnstoffwechsels<br />

vorgetragen werden. Heute nehmen in<br />

den fortgeschrittenen Gesellschaften Depressionen<br />

parallel zum Verbrauch von<br />

Antidepressiva rapide zu. Man könnte<br />

sagen, dass die antidepressiven Medikamente<br />

mit dem Motto „Schluck mich,<br />

<strong>und</strong> du wirst normal“ eher ein Symptom<br />

als eine Kur der Depression sind.<br />

Da sind wir ja auch beim Thema <strong>Nachhaltigkeit</strong><br />

<strong>und</strong> den planetaren Grenzen:<br />

All unsere bisherige Kreativität <strong>und</strong> unser<br />

Erfindergeist setzen grenzenlose Res<strong>so</strong>urcen<br />

voraus. Der künftige New Green<br />

Deal oder das Pariser Klimaabkommen<br />

versprechen, das besser zu machen. Aber<br />

auch sie setzen dabei auf die gleiche bisherige<br />

Kreativität <strong>und</strong> den gleichen Erfindergeist.<br />

Kann das klappen?<br />

Ich hoffe sehr, dass wir die destruktiven<br />

Motive hinter der menschlichen Erfindungsgabe<br />

nicht behalten. Bisher hat sie<br />

ja vorwiegend einseitig dem Wachstum<br />

der Verschwendung <strong>und</strong> der Mehrung<br />

des Profits gedient. Viel zu selten <strong>und</strong><br />

völlig neben den Machtstrukturen wurden<br />

alternative Ziele wie mehr Lebensqualität,<br />

Schonung der Natur <strong>und</strong> Ähnliches<br />

verfolgt <strong>und</strong> <strong>so</strong>ziale Strukturen<br />

entwickelt, die <strong>so</strong>lche Ziele festigen.<br />

Der andere Weg ist der des Verzichts.<br />

Dazu formulieren Sie einen interessanten<br />

Gedanken: Die Konsumgesellschaft<br />

entfalte ihre Macht keineswegs durch das<br />

lustvolle Angebot, <strong>so</strong>ndern durch Angst,<br />

die einsetzt, wenn das Erwartungsniveau<br />

unterschritten wird. Fühlt sich Konsumverzicht<br />

dann nicht <strong>so</strong> an wie ein kalter<br />

Entzug für einen Junkie?<br />

Die Metapher ist schief, weil der Junkie<br />

körperlich abhängig ist <strong>und</strong> sein Organismus<br />

gegen den Mangel an seinem<br />

Stoff rebelliert, während wir uns nur einbilden,<br />

dass uns unser Konsumniveau<br />

glücklicher macht. Es ist nachgewiesen,<br />

dass die Befriedigung durch ein tolles<br />

neues Produkt sehr schnell abebbt. Wer<br />

viele tolle Produkte um sich hat, hat wenig<br />

Freude an ihnen, aber viel Sorge,<br />

dass sie nicht funktionieren. In Wahrheit<br />

machen uns die Verlustängste abhängig,<br />

während Verzicht uns Freiheit,<br />

Lebensqualität <strong>und</strong> Energie zurückgibt.<br />

Wenn Greta Thunberg fordert, dass die<br />

Menschen Angst haben <strong>so</strong>llen, wenn sie<br />

sich nicht <strong>so</strong>fort ändern, stoßen dann<br />

nicht gleich zwei Angstwelten zusammen?<br />

Wie können wir da am besten reagieren?<br />

Frau Thunberg trifft einen wichtigen<br />

Punkt: Nur Angst vor einem größeren<br />

Schaden kann etwas gegen die Verlustangst<br />

ausrichten, die unser absurd<br />

hohes Konsumniveau bewacht. Die Vernunft<br />

ist zu schwach dazu. Viele Alkoholiker<br />

wissen, dass Alkohol nicht gut<br />

für sie ist − aber sie hören erst auf zu<br />

trinken, wenn sie die Schäden an Herz,<br />

Leber oder Nervensystem nicht mehr<br />

ignorieren können oder ihre Ehe auf<br />

der Kippe steht. Leider gehört es zu den<br />

großen Schwächen der Demokratie, dass<br />

sie politische Lügner, die den Wählern<br />

unangenehme Wahrheiten ersparen,<br />

viel zu lange gewähren lässt. Der Staat<br />

<strong>so</strong>llte durch energische Gesetze gegen<br />

Verschwendung von Rohstoffen <strong>und</strong><br />

Energie, gegen Müllproduktion <strong>und</strong> <strong>und</strong>urchschaubare,<br />

nicht zu reparierende<br />

Produkte den Verzicht Einzelner unterstützen.<br />

Eine Steuer <strong>und</strong> eine Schranke<br />

motivieren den SUV-Fahrer, öffentlich<br />

zu fahren − das Lob auf dem Plakat in<br />

der U-Bahn, dass ihre Nutzer Klimaschützer<br />

sind, bringt damit verglichen<br />

herzlich wenig. f<br />

Wolfgang Schmidbauer hat<br />

über sein Aussteigerleben<br />

in der Toskana <strong>und</strong> seinen<br />

Weg vom Journalisten zum<br />

Therapeuten <strong>und</strong> Schriftsteller<br />

in dem Buch „Die<br />

Seele des Psychologen“<br />

berichtet, das 2016 in<br />

Zürich erschienen ist.<br />

Bekannt wurde er durch den<br />

Bestseller „Hilflose Helfer“,<br />

der seit 1977 viele Auflagen<br />

erlebt hat <strong>und</strong> immer<br />

noch gedruckt wird. Dort<br />

entwickelt er das Konzept<br />

des Helfersyndroms <strong>und</strong> der<br />

Burn-out-Problematik in den<br />

helfenden Berufen.<br />

Schmidbauer ist einer der<br />

ersten psychologischen<br />

Kritiker der Konsumgesellschaft:<br />

„Homo consumens.<br />

Der Kult des Überflusses“<br />

erschien 1971.<br />

2017 entstand auf Anregung<br />

des oekom verlags<br />

eine weitere Schrift zu den<br />

psychologischen Aspekten<br />

der Konsumgesellschaft:<br />

„Raubbau an der Seele:<br />

Psychogramm einer überforderten<br />

Gesellschaft“.<br />

Foto: Wolfgang Schmidbauer<br />

30 Ausgabe 13 | Mai 2020 | Umweltdialog.de


<strong>Innovation</strong><br />

... <strong>und</strong> dann war da noch der tote Gaul<br />

Wenn du entdeckst, dass du<br />

einen toten Gaul reitest, steige<br />

ab! Warum reiten manche<br />

Menschen trotzdem weiter?<br />

Ein paar nachdenkliche,<br />

amüsante Argumente von<br />

Arnold Retzer, deutscher<br />

Mediziner <strong>und</strong> Psychotherapeut:<br />

1.<br />

So haben wir den Gaul immer<br />

geritten!<br />

2.<br />

Wir halten unserem Gaul die<br />

Treue!<br />

3.<br />

4.<br />

5.<br />

✝<br />

Wir gründen eine Untersuchungskommission,<br />

um den<br />

Gaul zu analysieren!<br />

Wir besuchen andere, um zu<br />

sehen, wie man dort tote<br />

Gäule reitet! (Benchmarking)<br />

Wir ändern die Kriterien dafür,<br />

ob ein Gaul tot ist!<br />

6.<br />

✝<br />

7.<br />

8.<br />

Man redet uns nur ein, der<br />

Gaul sei tot!<br />

Kein Gaul kann <strong>so</strong> tot sein,<br />

dass man ihn nicht noch<br />

schlagen könnte!<br />

Wir „frisieren“ die<br />

Vergangenheit<br />

9.<br />

10.<br />

11.<br />

Wir spannen mehrere tote<br />

Gäule zusammen, damit sie<br />

schneller werden! (Synergie)<br />

Wir entwickeln eine sehr enge,<br />

intime Beziehung zu unserem<br />

toten Gaul!<br />

Tote Gäule zu reiten ist<br />

die hohe Schule der<br />

Reitkunst!<br />

Ausgabe 13 | Mai 2020 | Umweltdialog.de<br />

31


<strong>Innovation</strong><br />

Illustrationen: Alexander Pokusay / stock.adobe.com<br />

Von Dr. Elmer Lenzen<br />

Vom<br />

Gott der<br />

Zerstörung<br />

<strong>und</strong> dem Perpetuum mobile<br />

der Milliardengewinne<br />

Nach Corona wird die Welt eine andere sein. Aber bedeutet die Krise nur Zerstörung, oder kann<br />

darin auch eine schöpferische Kraft liegen? Der Wiener Ökonom Joseph Schumpeter hat dazu<br />

schon vor 100 Jahren gearbeitet. Vor allem im Silicon Valley <strong>und</strong> bei Start-ups genießen seine<br />

Ideen bis heute viel Zuspruch, gilt er doch als Urvater der Disruption.<br />

32 Ausgabe 13 | Mai 2020 | Umweltdialog.de


<strong>Innovation</strong><br />

Er wollte der bedeutendste<br />

Wirtschaftswissenschaftler, der<br />

größte Liebhaber <strong>und</strong> der beste<br />

Reiter seiner Zeit werden. Später<br />

beklagte er, dass zum Reiten zu wenig<br />

Zeit geblieben sei. Der Österreicher<br />

Joseph Schumpeter (1883 - 1950) war zu<br />

Lebzeiten kein Mann übermäßiger Bescheidenheit.<br />

Hinzu kam ein brillanter<br />

Intellekt, der die meisten Geister seiner<br />

Zeit weit hinter sich ließ. Das brachte<br />

ihm nicht nur Fre<strong>und</strong>e ein. „Wachstum<br />

ist ein Prozess schöpferischer Zerstörung“,<br />

formulierte Schumpeter <strong>und</strong><br />

erkannte damit schon früh eine zentrale<br />

Dynamik des Kapitalismus. Sein<br />

Unternehmerbegriff unterscheidet sich<br />

deshalb bis heute ganz wesentlich vom<br />

gewohnten Sprachgebrauch. Ein Unternehmer<br />

ist jemand für ihn nämlich erst<br />

dann, „wenn er eine neue Kombination<br />

durchsetzt“. Pioniergeist, Mut, der unbedingte<br />

Wille, alte Pfade zu verlassen <strong>und</strong><br />

die Bereitschaft, Altes zu zerstören, um<br />

Neues zu erschaffen – nur das sei echtes<br />

Entrepreneurship.<br />

Erst dieser Prozess „schöpferischer<br />

Zerstörung“ ermögliche Wachstum<br />

<strong>und</strong> technischen Fortschritt. Dadurch<br />

werden alte Strukturen verdrängt <strong>und</strong><br />

neue, bessere, billigere oder effizientere<br />

nehmen ihren Platz ein. Zerstörung<br />

<strong>und</strong> brutale Marktverwerfungen, wie<br />

wir sie jetzt etwa im Zuge der Corona-Krise<br />

erleben, sind in der Welt von<br />

Joseph Schumpeter keine Systemfehler,<br />

<strong>so</strong>ndern notwendig, um Neues <strong>und</strong> Besseres<br />

wachsen zu lassen. Politik könne<br />

das <strong>so</strong>zial abfedern, dürfe es aber nicht<br />

verhindern, war sein Credo.<br />

„Wachstum<br />

ist ein<br />

Prozess<br />

schöpferischer<br />

Zerstörung“<br />

Joseph Schumpeter (1883 - 1950)<br />

Foto: Bildarchiv der Österr. Nationalbibliothek<br />

Die radikalste Form von Veränderung<br />

ist die Disruption. Hierbei werden bestehende<br />

Geschäftsmodelle nicht langsam<br />

<strong>und</strong> steuerbar vom Markt verdrängt,<br />

<strong>so</strong>ndern das geschieht sehr schnell <strong>und</strong><br />

sehr hart. Disruptive Ideen denken nicht<br />

bestehende Produkte weiter, <strong>so</strong>ndern<br />

sie <strong>gehen</strong> vom K<strong>und</strong>enbedürfnis aus<br />

<strong>und</strong> denken die Lösung mit ganz neuen<br />

Ansätzen. Schumpeter wird von vielen<br />

seiner Anhänger bis heute deshalb gern<br />

auch als Gott der Zerstörung bew<strong>und</strong>ert.<br />

Lieblingsthema auf Konferenzen<br />

Jeder, der eine Konferenz zu Wirtschaftsthemen<br />

besucht, kennt diesen<br />

Moment, wenn einer der Vortragenden<br />

– meist passiert das schon in der Eröffnungsrede<br />

– die Worte „Disruption“ <strong>und</strong><br />

„<strong>Innovation</strong>“ in einem Satz fallen lässt.<br />

Ich nennen das immer den Kassandraruf<br />

(benannt nach – Sie wissen schon –<br />

Troja, Ilias, Wahrsagerin. Genau!)<br />

Der Sinn ist es, zunächst Angst zu erzeugen:<br />

Nichts ist mehr gewiss! Alle unsere<br />

Geschäftsmodelle sind dem Untergang<br />

geweiht! Dann kommt im zweiten Teil<br />

die Hoffnung: Es gibt Lösungen <strong>und</strong> Hilfe.<br />

Meistens in Form von Beratern, als<br />

die sich die meisten Redner dann gleich<br />

andienen. Wo einer die Karriereleiter<br />

aufsteigt, muss ein anderer sie herabklettern<br />

– zur Veränderung gehören Disruption<br />

<strong>und</strong> Zerstörung. In diesem Punkt<br />

hat Schumpeter bereist vor 100 Jahren<br />

einen ungeschminkten Blick auf unsere<br />

Ökonomie geworfen. Veränderung kennt<br />

stets Gewinner <strong>und</strong> Verlierer. Und vor<br />

Letzterem haben viele eine Heiden- >><br />

Ausgabe 13 | Mai 2020 | Umweltdialog.de<br />

33


<strong>Innovation</strong><br />

angst. So sehr das Neue auch fasziniert,<br />

<strong>so</strong> sehr erzeugt der Verlust des Vertrauten<br />

<strong>und</strong> angesammelter Erfahrungswerte<br />

Angst. Da flüchten sich viele nur allzu<br />

gern in Illusionen der Vergangenheit –<br />

früher war alles Besser – oder fordern<br />

vom Staat Schutz <strong>und</strong> Subventionen. Der<br />

Ordnungskraft <strong>und</strong> Weitsicht der Politiker<br />

traute Joseph Schumpeter übrigens<br />

wenig zu. So <strong>so</strong>ll folgendes Bonmot von<br />

ihm stammen: „Eher legt sich ein H<strong>und</strong><br />

einen Wurstvorrat an als eine demokratische<br />

Regierung eine Budgetreserve.“<br />

Bin ich noch wichtig?<br />

Vielleicht ist die Angst vor der Disruption<br />

deshalb zuallererst die Angst vor dem<br />

eigenen Bedeutungsverlust. Der etablierte<br />

Banker etwa ist das Produkt einer<br />

über lange Zeit gewachsenen Status-<br />

Hierarchie. Hier von einem Start-up in<br />

lässigen Sneakers verdrängt zu werden<br />

ist eine schmerzhafte Erfahrung, vor<br />

der viele sich in die Selbstillusion des<br />

Unverzichtbaren (Banken nennen das<br />

„systemrelevant“) retten. Oder schauen<br />

wir auf die Energiekonzerne: Vattenfall,<br />

EON <strong>und</strong> RWE haben sich durch ihre<br />

Kultur <strong>und</strong> Zufriedenheit selbst in die<br />

Krise geritten. Die Trägheit war sicher<br />

auch dem Quasi-Monopol geschuldet.<br />

Sehr spät erst verstand man in den<br />

Konzernzentralen, dass eine Welt, in<br />

der die Menschen selbst anfangen,<br />

Energie zu produzieren, keine zentralen<br />

Kraftwerke mehr braucht, die von<br />

einer Handvoll Ingenieuren gesteuert<br />

werden. Dann tröstete man sich damit,<br />

als Reserve bereitzustehen. Doch wieder<br />

verstanden die Vorstände nicht: Die<br />

Energiewende bezieht ihre Dynamik<br />

nicht aus dem Antrieb mündiger Bürger,<br />

<strong>so</strong>ndern es geht um Klimaschutz<br />

<strong>und</strong> CO 2<br />

-Reduktion. Und in diesem Konstrukt<br />

sind fossile Kraftwerke – vor allem<br />

Kohlekraftwerke – langfristig nicht<br />

mehr geplant.<br />

Matthias Horx,<br />

Trend- <strong>und</strong> Zukunftsforscher<br />

Foto: Klaus Vyhnalek / www.vyhnalek.com, www.horx.com<br />

Vom Zukunftsforscher Matthias Horx<br />

wissen wir, dass man Disruption nur<br />

verstehen kann, wenn man die Gesetze<br />

der Evolution anwendet. Und da gibt es<br />

dann tatsächlich Fossile <strong>und</strong> Saurier,<br />

die sich überlebt haben. Es gibt dafür<br />

andere, deren St<strong>und</strong>e nun gekommen<br />

ist. Und es gibt ein paar wenige, die sich<br />

neu erfinden <strong>und</strong> allem zum Trotz überleben.<br />

Ein Beispiel für Letzteres ist die<br />

Firma IBM, die im Prinzip schon zwei<br />

Mal von den Toten auferstanden ist: Angefangen<br />

hat das Unternehmen 1914<br />

mit der Produktion von Lochkarten.<br />

Später sattelte man auf die Produktion<br />

von Großrechnern - die wurden lange<br />

mit Lochkarten gefüttert – um, <strong>und</strong> verpasste<br />

dabei in den 80er Jahren fast den<br />

Wechsel zum Per<strong>so</strong>nal Computer (PC).<br />

Das ging <strong>so</strong> lange gut, bis es nicht mehr<br />

ging. 2004 verkaufte IBM mit den Thinkpad-Notebooks<br />

sein Kerngeschäft an die<br />

Chinesen. Seitdem konzentriert man<br />

sich ganz auf Software <strong>und</strong> Wissensmanagement.<br />

Mit Erfolg: 80 Milliarden Dollar<br />

setzt der Konzern jährlich um.<br />

Vom Koch zum Kellner<br />

Geld, von dem Nokia nur träumen kann.<br />

Auch die Finnen haben sich mehrfach<br />

erf<strong>und</strong>en, aber die disruptive <strong>Innovation</strong><br />

meinte es nicht ganz <strong>so</strong> gut mit ihnen.<br />

Los ging's mit Holzwirtschaft, Gummistiefeln<br />

<strong>und</strong> Gummireifen. Ab den 70er<br />

Jahren kam die Telekommunikation hinzu.<br />

Ende der 1990er Jahre genoss Nokia<br />

ein Renommee als Hersteller von hochwertigen<br />

Mobiltelefonen. Der Marktanteil<br />

weltweit lag 2003 bei unglaublichen<br />

35 Prozent. In seiner Euphorie verkaufte<br />

das Management alle Geschäftsbereiche<br />

bis auf die Mobiltelefonsparte. Doch<br />

dann kam das Smartphone. Anders als<br />

IBM verpasste Nokia den Anschluss,<br />

<strong>und</strong> <strong>so</strong> begann der Abstieg. Was heute<br />

noch geblieben ist, ist das Geschäft als<br />

Netzwerkausrüster.<br />

34 Ausgabe 13 | Mai 2020 | Umweltdialog.de


<strong>Innovation</strong><br />

Ist Tesla disruptiv?<br />

Wie ist es mit den Produkten, die man<br />

unmittelbar damit verbindet? Das Elektroauto<br />

zum Beispiel gilt als disruptiver<br />

Nachfolger des Verbrennungsmotors.<br />

Aber ist das Disruption? Ist Elon Musk<br />

ein schöpferischer Zerstörer? Wohl eher<br />

nicht, denn eigentlich will Musk auch<br />

nur eins: Möglichst viele Autos verkaufen.<br />

Das unterscheidet ihn keinen Deut<br />

von seinen Konkurrenten in Stuttgart,<br />

Wolfsburg oder in Japan. Der Antrieb<br />

ändert sich, aber <strong>so</strong>nst nix.<br />

Elektrofahrzeuge sind innovativ <strong>und</strong><br />

haben den Energieverbrauch <strong>und</strong> das<br />

Design traditioneller Autos sicherlich<br />

verbessert. Aber egal, wie viele Leute<br />

Tesla als Disruptor bezeichnen, es ist<br />

keiner. Ryan Moore, Chef der Vertriebsplattform<br />

Peaksales, findet, Elektrofahrzeuge<br />

seien zwar innovativ <strong>und</strong><br />

hätten den Energieverbrauch <strong>und</strong> das<br />

Design traditioneller Autos sicherlich<br />

verbessert. Aber egal, wie viele Leute<br />

Musk als Disruptor bezeichnen, er ist<br />

keiner. „Tesla ist nicht in einem niedrigen<br />

oder nicht existierenden Marktsegment<br />

eingestiegen. Er richtet sich an<br />

K<strong>und</strong>en im oberen Marktsegment, die<br />

von den etablierten Autoherstellern immer<br />

noch sehr begehrt sind. Außerdem<br />

machen die hohen Preise Tesla nicht<br />

gerade für die Übersehenen <strong>und</strong> Unterbezahlten<br />

zugänglich.“<br />

Einer der größten Zerstörer, wenn man<br />

denn <strong>so</strong> will, ist Karlheinz Brandenburg.<br />

Der Erlanger entwickelte mit Kollegen<br />

ab 1982 am Fraunhofer-Institut<br />

für Integrierte Schaltungen (IIS) ein<br />

Verfahren zur Audiodatenkompression.<br />

Klingt sperrig, echt wissenschaftlich<br />

<strong>und</strong> wenig aufregend. Ihre Idee war es,<br />

Tonsignale <strong>so</strong> zu kodieren, dass sie für<br />

das menschliche Gehör noch genau<strong>so</strong><br />

klingen wie das Original. Als Namen<br />

Karlheinz Brandenburg,<br />

Entwickler der mp3<br />

Foto: Christliches Medienmagazin pro / Kreuzschnabel /<br />

commons.wikimedia.org / CC Attribution 3.0 Unported /<br />

schwarz-weiß<br />

dafür wählten sie schlicht die Dateinamenserweiterung:<br />

mp3. Wahrscheinlich<br />

hat damals in Erlangen keiner auch<br />

nur ansatzweise die Potenziale erkannt.<br />

In den 90er Jahren <strong>so</strong>rgte mp3 für den<br />

Siegeszug der CDs <strong>und</strong> dann ein paar<br />

Jahre weiter für den Durchmarsch der<br />

Streamingdienste: Ob Netflix, Amazon,<br />

Spotify oder Apple Music, Karlheinz<br />

Brandenburgs Verfahren zur Datenkompression<br />

bildet für alle die Gr<strong>und</strong>lage.<br />

Einen wichtigen Beitrag leistete<br />

indirekt auch die Sängerin Suzanne<br />

Vega, deren Musik Brandenburg im<br />

Ohr hatte. Während der Entwicklungsphase<br />

von mp3 diente insbe<strong>so</strong>ndere ihr<br />

Song „Tom's Diner“ als Gr<strong>und</strong>lage, um<br />

die Sprachqualität zu optimieren.<br />

The next big thing?<br />

Künstliche Intelligenz (KI) ist die disruptivste<br />

Technologie der heutigen Zeit<br />

<strong>und</strong> verfügt über immense Macht <strong>und</strong><br />

Fähigkeiten, um Unternehmen an eine<br />

andere Grenze zu bringen. Die Technologie<br />

ist nicht nur in der Lage, Sci-Fi in<br />

die Realität umzusetzen, <strong>so</strong>ndern auch<br />

einen Meilenstein im Zeitalter der Analytik<br />

zu setzen. Das Start-up Ople beispielsweise<br />

hat eine einfach zu bedienende<br />

KI-Plattform entwickelt, welche<br />

in kürzester Zeit sehr präzise Projektionen<br />

liefert. „Was wäre wenn“-Szenarien<br />

beschleunigen die Zeit bis zur<br />

Wertschöpfung <strong>und</strong> ermöglichen es<br />

Unternehmen, produktionsreife KI-Modelle<br />

in Minuten statt in Monaten zu<br />

erstellen.<br />

Ein anderer Hoffnungsträger aus dem<br />

Silicon Valley heißt Ro<strong>so</strong>ka Software.<br />

Diese beschäftigt sich mit Techniken<br />

<strong>und</strong> Methoden zur Veränderung psychischer<br />

Abläufe im Menschen, dem<br />

<strong>so</strong>genannten Neuro-Linguistischen<br />

Programmieren (NLP). Bis zur Entwicklung<br />

von Ro<strong>so</strong>ka war NLP <strong>so</strong> >><br />

Ausgabe 13 | Mai 2020 | Umweltdialog.de<br />

35


<strong>Innovation</strong><br />

ziemlich die Domäne der Supercomputer<br />

oder der massiv parallelen Verarbeitung.<br />

Ro<strong>so</strong>ka erzielt die gleichen<br />

Extraktionsergebnisse mit viel geringerem<br />

Aufwand. Das hat für Spracherkennungsprogramme<br />

eine f<strong>und</strong>amentale<br />

Bedeutung. Während Siri, Cortana <strong>und</strong><br />

Alexa alle Daten zur Verarbeitung an<br />

das Rechenzentrum zurückschicken,<br />

erlaubt Ro<strong>so</strong>ka eine Lösung vor Ort. Allein<br />

die Auswirkungen auf den Datenschutz<br />

sind enorm. Gregory Roberts,<br />

Gründer von Ro<strong>so</strong>ka findet: „Es sind<br />

Ihre Daten, wollen Sie sie wirklich an<br />

eine dritte Partei <strong>und</strong> zurück zur Verarbeitung<br />

schicken?“<br />

Attacke auf allen Kanälen<br />

Sven Hellmann, Senior Partner bei der<br />

Beratungsgesellschaft Cassini meint:<br />

„Ein einzelnes Geschäftsmodell kopieren<br />

kann schließlich jeder. Durch kluge<br />

Kombination jedoch könnte der Angriff<br />

auf die Konkurrenz gleich auf mehreren<br />

Ebenen stattfinden.“ Deshalb, <strong>so</strong> sein<br />

Credo, gehört die Zukunft <strong>so</strong>genannten<br />

hyper-disruptiven Unternehmen, die<br />

Märkte kombiniert attackieren. Dazu<br />

verbinden sie mehrere bereits erfolgreiche<br />

<strong>und</strong> oftmals digitale Geschäftsmodelle.<br />

Dadurch würden sich die Hebel,<br />

Geld zu verdienen, multiplizieren.<br />

Wie kann das aussehen? Die ultimative<br />

Stufe der Hyper-Disruption lebt uns<br />

Apple vor. Der Konzern erzeugt bei<br />

vielen seiner K<strong>und</strong>en eine umgedrehte<br />

Abhängigkeit. Hellmann: „Physisch<br />

<strong>und</strong> psychisch kann man dem allumfassenden<br />

Ökosystem aus begehrenswerter<br />

Marke, hippen Geräten <strong>und</strong> dem<br />

Hypermarkt an attraktiven E-Shops,<br />

App-Store-Angeboten <strong>und</strong> Services<br />

kaum noch entrinnen. Die Kombination<br />

der Geschäftsmodelle führt schließlich<br />

zum Perpetuum mobile der Milliardengewinne.“<br />

f<br />

Gregory Roberts,<br />

Gründer von Ro<strong>so</strong>ka<br />

Foto: Gregory Roberts / medium.com<br />

Die<br />

Madman-Theorie<br />

Ist die Politik von Donald Trump<br />

eigentlich destruktiv oder<br />

disruptiv? Diese Frage stellen sich<br />

nicht nur die Menschen in den<br />

USA. In Europa weitverbreitet ist<br />

die Ansicht, dass Trump vor allem<br />

Bestehendes wie etwa die transatlantische<br />

Fre<strong>und</strong>schaft zerstört.<br />

In Amerika sehen einige darin<br />

durchaus eine disruptive Chance.<br />

Etwa der Paypal-Mitbegründer,<br />

Großinvestor <strong>und</strong> Philo<strong>so</strong>ph Peter<br />

Thiel. Er findet in einem NZZ-Interview<br />

lobende Worte für den Mann<br />

im Weißen Haus: „Ich bin längst<br />

nicht in allem seiner Meinung, aber<br />

er benennt Probleme <strong>und</strong> packt sie<br />

an.“ Dabei setze Trump auf Mittel<br />

der <strong>so</strong>genannten Madman-Theorie.<br />

Diese stammt vom US-Präsidenten<br />

Richard Nixon, den seine Parteifre<strong>und</strong>e<br />

„Tricky Dicky“ nannten.<br />

Während des Vietnamkriegs entwarf<br />

er mit Außenminister Henry<br />

Kissinger die List, dass der Präsident<br />

unzurechnungsfähig <strong>und</strong> zu<br />

irrationalen Handlungen imstande<br />

sei. Nixon sagte intern: „I call it the<br />

Madman Theory, Bob. I want the<br />

North Vietnamese to believe I've<br />

reached the point where I might do<br />

anything to stop the war.“ Tagelang<br />

ließen Nixon <strong>und</strong> Kissinger deshalb<br />

atomar bestückte Kampfflugzeuge<br />

nahe am russischen Luftraum fliegen.<br />

Mit Erfolg. In Moskau wuchsen<br />

die Sorgen vor dem Verrückten<br />

im Weißen Haus, <strong>und</strong> man drängte<br />

die Führung in Nordvietnam zu<br />

Gesprächen einzulenken.<br />

36 Ausgabe 13 | Mai 2020 | Umweltdialog.de


<strong>Innovation</strong><br />

Advertorial<br />

Nähere Informationen finden Sie unter:<br />

www.dy<strong>so</strong>n.de/haendetrockner.aspx<br />

Können Waschräume<br />

hygienisch <strong>und</strong> umweltfre<strong>und</strong>lich<br />

zugleich sein?<br />

Nachhaltige <strong>und</strong> papierlose Waschräume<br />

sind ein wichtiger Schritt in die Zukunft.<br />

Doch natürlich gilt es, als erstes<br />

an die Waschraumhygiene zu denken.<br />

Dy<strong>so</strong>n hat hierfür die passenden Lösungen:<br />

die verschiedenen Dy<strong>so</strong>n Airblade<br />

Händetrocknermodelle, die für die<br />

unterschiedlichsten Waschraumanforderungen<br />

konzipiert sind. Eines haben sie<br />

jedoch gemeinsam: den vliesbeschichteten<br />

Glasfaser-HEPA-Filter (H13), der für<br />

eine gereinigte Luft <strong>so</strong>rgt, die die Hände<br />

schnell <strong>und</strong> hygienisch trocknet.<br />

Dy<strong>so</strong>n Airblade TM Händetrockner<br />

sind besser für die Umwelt<br />

Papierhandtücher haben große Auswirkungen<br />

auf die Umwelt. Für die Papiertuchproduktion<br />

werden Bäume gefällt,<br />

große Mengen an Wasser <strong>und</strong> Energie<br />

verbraucht <strong>so</strong>wie Chemikalien wie<br />

Chlor <strong>und</strong> Schwefeldioxid eingesetzt.<br />

Der spätere Papierabfall, der weltweit in<br />

Waschräumen anfällt, ist enorm.<br />

Dy<strong>so</strong>n Airblade TM Händetrockner können<br />

den ökologischen Fußabdruck hingegen<br />

verbessern, denn sie erzeugen bis<br />

zu 85 Prozent weniger CO 2<br />

als Papierhandtücher<br />

(siehe Infokasten). Der Papierabfall<br />

entfällt hierbei komplett.<br />

Die schnellste Art, Hände hygienisch<br />

zu trocknen<br />

Dy<strong>so</strong>n Airblade TM Händetrockner sind<br />

serienmäßig mit HEPA-Filtern ausgestattet,<br />

die 99,95 Prozent aller Partikel<br />

in Bakteriengröße – erfasst wurden Elemente<br />

ab einer Größe von einem Mikron<br />

– aus der Luft entfernen, wie Tests nach<br />

der Norm EN 1822 ergaben. So werden<br />

die Hände mit sauberer, gefilterter Luft<br />

getrocknet.<br />

1. Die Umweltauswirkungen von<br />

Elektrogeräten <strong>und</strong><br />

Papierhandtüchern wurden vom<br />

Carbon Trust gemessen. Die<br />

Berechnungen wurden mit der<br />

Software Footprint Expert Pro<br />

auf Gr<strong>und</strong>lage einer Produktnutzung<br />

über fünf Jahre <strong>und</strong> mit<br />

gewichteten Durchschnitten der<br />

einzelnen Einsatzländer erstellt.<br />

Die Trocknungszeiten wurden<br />

mithilfe der Dy<strong>so</strong>n Testmethode<br />

769 getestet.<br />

2. Für die Berechnung der möglichen<br />

Einsparungen wird ein<br />

durchschnittlicher Strompreis<br />

von 0,1 Euro pro Kilowattst<strong>und</strong>e<br />

zum Stand vom 1. Dezember<br />

2018 zugr<strong>und</strong>egelegt. Die<br />

Berechnungsgr<strong>und</strong>lagen werden<br />

auf der Internetseite<br />

www.dy<strong>so</strong>n.de/calcs erläutert.<br />

Die Bedienung der Geräte erfolgt dabei<br />

berührungslos: für eine optimale Hygiene<br />

beim Trocknen der Hände. Zwei 690<br />

Kilometer pro St<strong>und</strong>e schnelle Luftströme<br />

streifen das Wasser von den Händen<br />

ab <strong>und</strong> <strong>so</strong>rgen für eine schnelle Trocknungszeit<br />

innerhalb von zehn bis 14<br />

Sek<strong>und</strong>en.<br />

Positiver Nebeneffekt: weniger<br />

Aufwand <strong>und</strong> geringere Kosten im<br />

Betrieb<br />

Die Dy<strong>so</strong>n Airblade Händetrockner<br />

sind wartungsfrei <strong>und</strong> nicht mit zusätzlichem<br />

Aufwand verb<strong>und</strong>en. Bereiche<br />

wie Beschaffung, Lagerung, Wiederauffüllen<br />

<strong>und</strong> Ent<strong>so</strong>rgung entfallen, <strong>so</strong>dass<br />

das Per<strong>so</strong>nal Zeit sparen kann. Per<strong>so</strong>nalausfall<br />

oder mögliche Lieferengpässe<br />

tangieren <strong>so</strong>mit den Betrieb von<br />

Waschräumen nicht. Des Weiteren können<br />

die Dy<strong>so</strong>n Airblade TM Händetrockner<br />

bis zu 99 Prozent der Betriebskosten<br />

im Vergleich zu Papierhandtüchern einsparen<br />

(siehe Infokasten).<br />

Zufriedene K<strong>und</strong>en sind der beste<br />

Beweis<br />

Nach den ersten Monaten der Nutzung<br />

stellt der stellvertretende Ausstellungskoordinator<br />

Marcel Rathman fest:<br />

„Mit der kurzen Trocknungszeit können<br />

wir Energie einsparen. Auch die Warteschlangen<br />

sind verschw<strong>und</strong>en, <strong>und</strong> die<br />

Waschräume sehen jetzt sehr viel sauberer<br />

aus. Die Besucher sind begeistert<br />

von Hightech pur.“ f<br />

Ausgabe 13 | Mai 2020 | Umweltdialog.de<br />

37


<strong>Innovation</strong><br />

Kooperationen<br />

mit Gewinnchancen<br />

Von Gerd Pfitzenmaier<br />

Wenn Start-ups <strong>und</strong><br />

etablierte Unternehmen<br />

zusammenarbeiten,<br />

prallen Welten<br />

aufeinander. Experten<br />

aber entdecken darin<br />

auch Möglichkeiten.<br />

38 Ausgabe 13 | Mai 2020 | Umweltdialog.de


<strong>Innovation</strong><br />

Foto: g-stockstudio / iStockphoto.com<br />

„Doch“,<br />

sagt Kevin Kuhn. Es stimme<br />

durchaus. Er kenne Startups,<br />

in denen eine Tischtennisplatte<br />

im Büro steht. Manchmal auch ein Kickertisch, <strong>und</strong><br />

auf den Arbeitsplatten darf die Schale mit Frisch-Obst eben<strong>so</strong><br />

wenig fehlen wie im Kühlschrank hippe Szenedrinks. „Das ist<br />

nicht nur ein Klischee“, bestätigt der Mitgründer der EcoToiletten<br />

GmbH aus Rudersdorf in Brandenburg, „das ist Teil der<br />

Identität in der Szene.“<br />

Mit seinem eigenen Start-up stellt Kuhn seit 2013 Kompost-WCs<br />

bei Veranstaltungen auf, will damit dazu beitragen, irgendwann<br />

pro Jahr <strong>und</strong> Mensch 16.000 Liter Trinkwasser sauber<br />

zu halten <strong>und</strong> fruchtbaren Humus statt giftigen Klärschlamm<br />

aus den etwa 50 Kilogramm Feststoffen <strong>und</strong> 440 Litern<br />

Urin zu erzeugen, die jeder Mensch pro Jahr ausscheidet.<br />

Seine unternehmerische Vision: Allen fast zweieinhalb Milliarden<br />

Menschen auf der Erde, die bis dato noch keinen Zugang<br />

zu Sanitäranlagen haben, endlich ein stilles Örtchen bieten zu<br />

können.<br />

Inzwischen verhandelt Kuhn zumindest schon einmal mit<br />

ersten Großk<strong>und</strong>en wie der Deutschen Bahn oder den Berliner<br />

Verkehrsbetrieben. Er will mit seinen Toiletten auch den<br />

K<strong>und</strong>enservice der Mobilitätskonzerne aufpolieren. Der Jungunternehmer<br />

hat erkannt, dass das Geschäft mit Bigplayern<br />

lukrativer sein wird als der tägliche Kampf um Klein-Abnehmer.<br />

„Die Zahlen forderten ein Umdenken“, erzählt er. Al<strong>so</strong><br />

saßen Gründer <strong>und</strong> Team zusammen, diskutierten die Lage,<br />

beschlossen ein verändertes Businesskonzept – <strong>und</strong> setzten es<br />

um.<br />

Das war typisch für Start-ups. Auch Claudio Vietta kennt die<br />

Situation. Auch er musste mit seinem Start-up Leef, das Einweggeschirr<br />

aus nachwachsenden Rohstoffen produziert, erkennen,<br />

dass seine Ursprungsidee nicht trug. Binnen sechs<br />

Monaten krempelte er mit seinen Mitgründern <strong>und</strong> einigen<br />

Mitarbeitern den Laden um. Heute floriert das Geschäft. „Das<br />

geht vor allem, weil wir näher an unseren K<strong>und</strong>en sind als Mitarbeiter<br />

großer Konzernstrukturen“, verrät er das Geheimnis:<br />

„Beschlossen, gemacht!“ Die Geschwindigkeit, mit der Jungunternehmen<br />

auf geänderte Vorzeichen im Markt reagieren,<br />

übertrumpft die Reaktionsmöglichkeit alteingessener Firmen.<br />

Bei einer Messe in Südamerika erkannte Vietta das Potenzial<br />

seines Einweggeschirrs aus Blättern. Binnen eines Halbjahrs<br />

baute er den neuen Vertriebskanal inklusive Büro <strong>und</strong> Angestellten<br />

vor Ort auf dem anderen Kontinent auf. „In einem<br />

großen Laden wäre <strong>so</strong>was nicht vorstellbar“, meint er. Zu viele<br />

Abstimmungen <strong>und</strong> zu viele Mitentscheider zerreden dort oft<br />

noch immer wichtige <strong>und</strong> richtige Lösungen. In Großbetrieben<br />

ist <strong>so</strong>lch rasches Umsteuern kaum denkbar, dort reden zu >><br />

Ausgabe 13 | Mai 2020 | Umweltdialog.de<br />

39


<strong>Innovation</strong><br />

Foto: PeopleImages / iStockphoto.com<br />

viele Hierarchieebenen mit. „Mit Controller-Denke<br />

klappt das nie“, sagt Claudio<br />

Vietta.<br />

In der zu <strong>so</strong> etwas wie einem Hauptstadtbüro<br />

umgewidmeten Altbauwohnung im<br />

Hinterhaus am Prenzlauer Berg in Berlin<br />

sitzen Kevin Kuhn <strong>und</strong> ein Kollege<br />

derweil am Küchentisch, bearbeiten an<br />

ihren Laptops Dokumente <strong>und</strong> fischen<br />

in einer Holzschale nach Keksen. Knabbern<br />

verschönert auch dem Team der<br />

Ökoklosettanbieter das Tagwerk. Solch<br />

eher zwangloses Ambiente gilt als Markenzeichen<br />

der Szene. Sie wirbt für sich<br />

mit „flachen Hierarchien“, setzt auf Entscheidungsfindungen<br />

im Kollektiv <strong>und</strong><br />

gründet ihre Geschäftsmodelle auf Digitalprozesse.<br />

Hier sind, was natürlich<br />

auch eine Generationenfrage ist, gr<strong>und</strong>sätzlich<br />

alle per Du – selbst mit den<br />

Chefs. Und alle suchen sie eine „Arbeit<br />

mit Sinn“. Dafür rackern sie schon einmal<br />

über die Maßen, fragen nicht nach<br />

Mindestlöhnen. Als – wie im Frühjahr<br />

2020 geschehen – in New York beim<br />

Szene-Finanzportal Kickstarter, auf dem<br />

auch viele deutsche Start-ups Startkapital<br />

zu finden hoffen, die Belegschaft sich<br />

erdreistete, einen Betriebsrat zu fordern,<br />

schlugen die Wellen hoch. Deutschen<br />

Tageszeitungen war das eine News wert.<br />

„Bällebad <strong>und</strong> Kickertisch waren gestern“,<br />

schrieb etwa die Berliner taz, „was<br />

aussehen wollte wie eine individuelle<br />

Überwindung des kapitalistischen Gegensatzes<br />

zwischen Kapital <strong>und</strong> Arbeit,<br />

ist inzwischen in der Realität klassischer<br />

Ausbeutung angekommen.“<br />

Die Mehrheitsgesellschaft hat al<strong>so</strong><br />

längst das Paradies okkupiert: Oben gut<br />

dotierte Manager <strong>und</strong> unten Malocher<br />

in Sweatshops. Plötzlich erinnern sich<br />

auch andere, die aufgebrochen waren,<br />

im Land der Start-ups die bessere Art<br />

des Arbeitens zu finden, an Schreckliches:<br />

Die Gründerszene stelle sich gerne<br />

als „effizient, mitarbeiterfre<strong>und</strong>lich <strong>und</strong><br />

offen dar“, hatte 2017 der Tagesspiegel<br />

40 Ausgabe 13 | Mai 2020 | Umweltdialog.de


<strong>Innovation</strong><br />

berichtet. Hinter dem schönen Versprechen<br />

fanden die Journalisten dann aber<br />

„Ausbeutung <strong>und</strong> absichtlich unterentwickelte<br />

Produkte am Rande der Legalität“.<br />

Ganz anders die reine Idee: Authentizität,<br />

Charakter, Agilität <strong>und</strong> Leidenschaft<br />

– die Schlagworte kennzeichnen Startups<br />

als Kraftquell der Wirtschaft. Inspirationsbuden,<br />

in denen Kreative neue<br />

Verfahren, Produkte <strong>und</strong> Dienstleistungen<br />

kreieren, haben längst den Nimbus<br />

des Exotischen oder gar des Singulären<br />

abgestreift: Weil immer wieder geniale<br />

Ideengeber durchstarten <strong>und</strong> mit den<br />

finanziellen Spritzen von Investoren<br />

ein florierendes Business stemmen, das<br />

mitunter binnen kurzer Zeit <strong>so</strong>gar den<br />

Status von millionenschweren, <strong>so</strong> genannten<br />

„Einhörnern“ erreicht, werden<br />

Start-ups <strong>und</strong> deren Gründer inzwischen<br />

längst auch von Ökonomen in etablierten<br />

Unternehmen ernst genommen. Sie<br />

werden <strong>so</strong>gar regelrecht umgarnt oder<br />

gelockt. Dickschiffe der deutschen Wirtschaft,<br />

die jahrelang darauf vertrauten,<br />

dass die Dynamik ihres Dampfers die<br />

Spur auch durch höhere Wogen schon<br />

halten werde, erhoffen sich nun von den<br />

Start-ups Mumm für ihre Muskeln <strong>und</strong><br />

Schwung für die eigenen Strukturen.<br />

Sie setzen beim Blick in die Zukunft<br />

nur noch selten ausschließlich auf eigene<br />

Forschung <strong>und</strong> Entwicklung. Sie<br />

erhoffen sich vielmehr von der Kooperation<br />

mit outge<strong>so</strong>urcten Kreativen den<br />

Schwung, der das schlingernde Geschäft<br />

wieder auf Kurs bringt. Nicht selten<br />

spielt dabei deren Nähe zum universitären<br />

Umfeld, in dem sie ihre Fähigkeiten<br />

lernten <strong>und</strong> erprobten, eine entscheidende<br />

Rolle. Sie ist der Trigger dieser Partnerschaften.<br />

Und durchaus auch neues<br />

Wissen – etwa im Digitalen, wo Junge<br />

den Erfahrenen oft einfach voraus sind.<br />

Auch für Start-up-Gründer gibt es Gründe,<br />

die Nähe zu etablierten <strong>und</strong> kapitalstarken<br />

Unternehmen zu suchen.<br />

71 Prozent der Neu-Chefs aus der<br />

IT-Szene können sich die Übernahme<br />

durch ein größeres Unternehmen vorstellen,<br />

behauptet das Zukunftsinstitut<br />

in seinem 2017 publizierten Leadership-Report.<br />

Für Biotech- wie Fintech-<br />

Start-ups gelten ähnliche Werte. Motto:<br />

Neues schaffen <strong>und</strong> Exit. Mit der Strategie<br />

winkt rasch gutes Geld. Darauf arbeiten<br />

viele der Gründer hin – auch wenn<br />

ein <strong>so</strong>lcher Plan einer neuen <strong>und</strong> <strong>so</strong>zialeren<br />

Arbeitswelt diametral entgegen<br />

steht <strong>und</strong> die Denke eher aus der frühkapitalistischen<br />

Zeit stammen dürfte.<br />

Spätestens seit am 4. April 1975 in Albuquerque<br />

(New Mexico) die US-Jungs<br />

Bill Gates <strong>und</strong> Paul Allen ihre Softwarefirma<br />

Micro<strong>so</strong>ft in ihrer heute berühmt<br />

gewordenen Garage gründeten, gelten<br />

<strong>so</strong>lch dynamische Business-Cracks als<br />

Hoffnungsträger verkrusteter Unternehmenskulturen.<br />

Produkte oder Dienstleistungen,<br />

die weitere Märkte erschließen<br />

<strong>und</strong> <strong>so</strong> die Existenz in der Zukunft<br />

sichern helfen, erwarten sich viele gestandene<br />

Chefs zurzeit eher von Startups<br />

<strong>und</strong> ihren agilen Gründern als wie<br />

ehedem von eigenen Ingenieuren <strong>und</strong><br />

Buchhaltern.<br />

„Hier werden Utopien real“, erklärt Markus<br />

Sauerhammer das Phänomen. Der<br />

Vorstand des Social Entrepreneurship<br />

Netzwerk Deutschland (SEND), einem<br />

Verein unter dem Dach des B<strong>und</strong>esverbands<br />

Deutsche Start-ups, empfängt –<br />

„Bällebad <strong>und</strong><br />

Kickertisch waren<br />

gestern.“<br />

ganz dem Image der Szene gehorchend<br />

– Gesprächspartner in einem Kreuzberger<br />

Café. Sauerhammer klappt den<br />

Laptop zu, vor dem er inmitten anderer<br />

Menschen sitzt <strong>und</strong> gewartet hat. Die<br />

Geräuschkulisse aus Geklapper von<br />

Cappuccinotassen <strong>und</strong> Geplapper anderer<br />

Gäste stört seine Hymne auf die<br />

Start-ups wenig. Sauerhammer wirkt<br />

nicht nur wie, er ist ein Überzeugungstäter:<br />

„In Umbruchzeiten braucht es<br />

Gestaltungsräume“, quillt der gelernte<br />

Landwirt, studierte Ökonom <strong>und</strong> nach<br />

Jahren der Begleitung vieler Start-ups<br />

zu deren Funktionär mutierte Lobbyist<br />

über: „Veränderungen erreichen wir<br />

nicht nur mit Reden, das reicht nicht<br />

mehr. Wir müssen handeln.“ Start-ups<br />

dürften nicht das alte System replizieren,<br />

sie stünden vielmehr für Neues.<br />

„Damit haben wir die Chance, auf friedliche<br />

Weise den Umbruch zu gestalten.“<br />

Disruption heißt sein Schlüsselwort, an<br />

das er <strong>und</strong> die Szene fest glauben. Sie<br />

wollen die Welt aus den Angeln heben.<br />

Vielen Gründern gelang genau dies. Inzwischen<br />

florierende Unternehmen wie<br />

N26, Flixbus, Zalando, CureVac, Blabla-<br />

Car, Hellofresh oder Delivero sind dafür<br />

nur einige der bekannten Belege. Geholfen<br />

hat dabei oft der virtuelle Austausch<br />

in der Datenwelt des Digitalen. Das<br />

verschlankt Prozesse, verkürzt Wege<br />

zwischen Anbietern <strong>und</strong> K<strong>und</strong>en, spart<br />

damit Zeit <strong>und</strong> meist Geld. Solche Konzepte<br />

begeistern Investoren. Dafür >><br />

Ausgabe 13 | Mai 2020 | Umweltdialog.de<br />

41


<strong>Innovation</strong><br />

bieten sie Milliarden für den Aufbau der<br />

Neuunternehmen.<br />

Wirtschaft wird salonfähig – oder <strong>so</strong>gar<br />

zur TV-Unterhaltung. Die Höhle der<br />

Löwen begeistert Millionen Fernsehzuschauer<br />

zur Primetime für ein Thema,<br />

das noch vor wenigen Jahren der<br />

Berliner Wirtschaftsprofes<strong>so</strong>r Günter<br />

Faltin – selbst erfolgreicher Initiator von<br />

Unternehmen wie der Teekampagne –<br />

als „völlig unterbelichtet“ einstufte.<br />

Faltin machte in Deutschland eine ablehnende<br />

Gr<strong>und</strong>haltung der Menschen<br />

gegenüber allem Ökonomischen dafür<br />

verantwortlich <strong>und</strong> sprach vielen ab, die<br />

Zusammenhänge der Märkte zu verstehen<br />

– weil Schulen <strong>und</strong> Lehrer versäumt<br />

hätten, es ihren Pennälern zu erklären.<br />

Bei der Deutschen B<strong>und</strong>esstiftung Umwelt<br />

(DBU) begleitet auch Jörg Lefèvre<br />

seit 1992 etwa 100 Technologie-Entwicklungsprojekte<br />

pro Jahr. Er schöpft<br />

al<strong>so</strong> aus einem reichen F<strong>und</strong>us an Erfahrungen,<br />

wenn er über Start-ups Auskunft<br />

gibt. „Seit mehr als 5 Jahren befasse<br />

ich mich systematischer mit dem<br />

Gründungsumfeld“, sagt er. Etliche der<br />

von ihm betreuten Projekte befassten<br />

sich mit der Gründungsumfeldanalyse<br />

oder mit den Interdependenzen zu <strong>Nachhaltigkeit</strong><br />

<strong>und</strong> Digitalisierung. Lefèvre<br />

ist Spezialist im Themenfeld. 2019 legte<br />

er mit einem Team der DBU eine Förderinitiative<br />

auf – im „Green-Start-up Sonderprogramm“<br />

prüfte er inzwischen 130<br />

Anträge auf Förderung.<br />

Der Experte sieht immer wieder, wie<br />

gute Ideen in etablierten Unternehmen<br />

einfach „versanden“: weil Arbeitsroutinen<br />

sich als „<strong>Innovation</strong>skiller“ entpuppen,<br />

wie er glaubt. „F&E-Projekte<br />

scheitern daran, dass zwar oft das notwendige<br />

Know-how in Firmen da, aber<br />

Fachper<strong>so</strong>nal nicht verfügbar ist.“<br />

Die Lage spitze sich noch weiter zu,<br />

weil etwa „mehr als 10.000 umwelttechnische<br />

Unternehmen zurzeit keine<br />

Perspektive für den anstehenden Generationenwechsel<br />

haben“. Das biologische<br />

Alter <strong>so</strong>lcher von ihm als „Silberrücken“<br />

titulierten Firmenlenker gehe<br />

laut DBU-Spezialist Lefèvre „oft analog<br />

Goldgräberstimmung<br />

am Gründermarkt<br />

mit einem Alterungsprozess in Produktportfolios<br />

oder Produktionsverfahren“<br />

einher. Die Dynamik der Digitalisierung<br />

verstärke den Prozess. Die Schere klafft<br />

al<strong>so</strong> immer weiter auseinander. Der Experte<br />

der DBU weiß aber, dass <strong>so</strong>lche<br />

Unternehmer über „Eigenkapital, Markterfahrung,<br />

Netzwerke, Marktzugänge“<br />

verfügten.<br />

Darin sieht Lefèvre nun die große<br />

Chance für die Zusammenarbeit von<br />

Start-ups mit etablierten Playern der<br />

Wirtschaft. Hier liege der Schlüssel zur<br />

Kooperation zwischen jungen Gründern<br />

mit ihren zeitgemäßen Lösungsansätzen.<br />

Dies treibe eine neue Gründungsdynamik,<br />

glaubt der Experte,<br />

<strong>und</strong> lege den Schalter um. Statt arbeitsmarktbedingten<br />

„Notgründungen“, die<br />

laut seiner Erkenntnis rückläufig seien,<br />

„sind ‚Chancengründungen‘ auf dem<br />

Vormarsch“.<br />

Goldgräberstimmung am Gründermarkt:<br />

Per Definition sind die Gründerinnen<br />

<strong>und</strong> Gründer meist jung.<br />

Ihr Start-up ist ein digitalgetriebenes<br />

Neubusiness, dessen Geschäftsmodell<br />

rasch skalierbar ist. Start-ups al<strong>so</strong><br />

sind auf rasches Wachstum ausgelegt.<br />

Das bringt zumindest jene, deren Mitarbeiter<br />

auf mehr Sinn in ihrer Arbeit<br />

hofften, durchaus in Bedrängnis. Hier<br />

kollidiert der Anspruch auf rasches Firmenwachstum<br />

– meist um Investoren einen<br />

rentablen Ausstieg zu sichern – mit<br />

der Erkenntnis, dass ökologisches Wirtschaften<br />

auch mit weniger Wachstum zu<br />

vereinbaren sei.<br />

Anspruch <strong>und</strong> Wirklichkeit. Auch wenn<br />

laut Szene-Funktionär Markus Sauerhammer<br />

r<strong>und</strong> 90 Prozent der Start-ups<br />

scheitern, viele Gründer mehrere Anläufe<br />

nehmen <strong>und</strong> andere zumindest<br />

ihr Geschäftsmodell mindestens einmal<br />

korrigieren: Das Konzept der jungen<br />

Firmengründer scheint zu funktionieren.<br />

In Deutschlands Start-up-Metropole<br />

Berlin sind laut der jüngsten Erhebung<br />

der grünen Wirtschaftssenatorin Ramona<br />

Pop Anfang 2020 gut 3.000 Start-ups<br />

im Tech- <strong>und</strong> Digitalbereich am Start.<br />

78.000 Menschen fanden im Segment<br />

einen Job, in den zwei jüngsten Jahren<br />

schuf die Szene 19.000 neue Arbeitsplätze,<br />

die meisten in kleineren Firmen,<br />

etwa 30 Prozent aber auch in Betrieben<br />

mit mehr als 150 Mitarbeitern.<br />

Dennoch: Die Unterschiede in Deutschland<br />

variieren heftig. Während die drei<br />

Stadtstaaten Berlin, Hamburg <strong>und</strong> Bremen<br />

laut einer Auswertung des Analysedienstes<br />

Start-updetector mit 1,6 Prozent<br />

Start-ups an allen Unternehmensgründungen<br />

in Deutschland die Nasen vorn<br />

haben, dominieren unter den Flächenländern<br />

Bayern, Nordrhein-Westfalen,<br />

Baden-Württemberg <strong>und</strong> Hessen. Dort<br />

42 Ausgabe 13 | Mai 2020 | Umweltdialog.de


<strong>Innovation</strong><br />

siedeln sich Start-ups vornehmlich in<br />

den Branchen Software, Medizin, Lebensmittel<br />

<strong>und</strong> Hardware an.<br />

Nach einer Statistik der KfW-Bankengruppe<br />

waren an den zusammen im Jahr<br />

2018 gegründeten r<strong>und</strong> 70.000 Startups<br />

129.000 Gründerinnen <strong>und</strong> Gründer<br />

beteiligt. Auf jedes Unternehmen<br />

kamen damit rein rechnerisch 1,8 Initiatoren.<br />

Die sammeln immer mehr Startkapital<br />

bei Investoren. Laut einer Studie<br />

der Beratungsgesellschaft EY akquirierten<br />

Start-ups in Deutschland 2019 mit<br />

6,2 Milliarden Euro 36 Prozent mehr als<br />

im Jahr zuvor. Ein Zeichen, dass immer<br />

mehr etablierte Kapitalgeber den Nachwuchsunternehmern<br />

vertrauen. Die versprechen,<br />

dieses Kapital zu mehren.<br />

Diese beiden Welten – hier junge Ideen,<br />

dort etablierte <strong>und</strong> kapitalstarke<br />

Strukturen – will Jörg Lefèvre versöhnen.<br />

Er sieht eine „kluge mikro- <strong>so</strong>wie<br />

makroökonomische Strategie darin,<br />

etablierte Unternehmen mit Marktzugang<br />

<strong>und</strong> ‚Branchenwahrnehmung‘<br />

mit Nachwuchsunternehmen <strong>so</strong> miteinander<br />

in Kontakt zu bringen, dass<br />

dabei Mehrwerte entstehen“. Die allzu<br />

harsche Kritik an der Wachstumsphilo<strong>so</strong>phie<br />

der Start-ups teilt er nicht ganz.<br />

„Selbstverständlich kann das billige<br />

Abschöpfen von Know-how (<strong>so</strong> etwas<br />

gibt es durchaus in manchen geförderten<br />

Verb<strong>und</strong>forschungsprojekten) kein<br />

befriedigendes Kooperationsergebnis<br />

sein“, räumt er zwar ein. Für die Skalierung<br />

junger Geschäftsmodelle im<br />

Sinne einer „positiven“ Disruption statt<br />

sukzessiver Substitution könne jedoch<br />

der gut organisierte Kontakt zwischen<br />

den beiden „Welten“ zur Win-win-Situation<br />

werden. Sein ausgleichendes Fazit<br />

zum Kontakt zwischen Start-ups <strong>und</strong><br />

etablierten Unternehmen: „Auch bei<br />

engeren Kooperationen, wo dann Markt<br />

<strong>und</strong> Kapital sich mit <strong>Innovation</strong> <strong>und</strong><br />

Zeithorizont verbinden, ist sehr viel zu<br />

gewinnen.“ f<br />

Foto: PeopleImages / iStockphoto.com<br />

Ausgabe 13 | Mai 2020 | Umweltdialog.de<br />

43


<strong>Innovation</strong><br />

Große Pläne!<br />

Visionäre, Fantasten <strong>und</strong> Erfinder<br />

Große Erfindungen sind immer<br />

untrennbar verb<strong>und</strong>en mit<br />

den Menschen, die sie gemacht<br />

haben. Aber was zeichnet<br />

Erfinder aus? Vor allem, dass sie ein<br />

Problem erkennen <strong>und</strong> sich nicht damit<br />

abfinden, <strong>so</strong>ndern eine kreative Lösung<br />

suchen <strong>und</strong> finden. Damit die nicht von<br />

anderen einfach kopiert wird, gibt es<br />

Patentämter. Be<strong>so</strong>nders fleißig in der<br />

Patentanmeldung ist übrigens der 1958<br />

in Australien geborene Kia Silverbrook.<br />

Er bringt es auf über 9.000 Patent-Anträge.<br />

Wie? Sie haben noch nie von ihm<br />

gehört? Schon möglich – <strong>und</strong> das bringt<br />

uns auf ein weiteres Problem vieler Erfinder:<br />

Nicht jedem bringt seine Erfindung<br />

auch Anerkennung, geschweige<br />

denn Wohlstand. Richard Vetter zum<br />

Beispiel ist ein vor einigen Jahren gestorbener<br />

Erfinder aus Peine. Von ihm<br />

stammt der erste Voll-Brennwertkessel<br />

(„Vetter-Ofen“) – super umweltfre<strong>und</strong>lich,<br />

hochgelobt (1987 erhielt er den<br />

Umweltschutzpreis) <strong>und</strong> doch erfolglos.<br />

TÜV & Schornsteinfeger wollten sich<br />

nicht vorstellen können, dass es auch<br />

anders geht. „Das haben wir schließlich<br />

schon immer <strong>so</strong> gemacht“. Funktionale<br />

Fixiertheit nennt das der Psychologe.<br />

Reden wir al<strong>so</strong> lieber über die Helden,<br />

wie etwa Thomas Alva Edi<strong>so</strong>n, Werner<br />

von Siemens oder Robert Bosch.<br />

Alle drei waren nicht nur überaus erfolgreiche<br />

Erfinder, <strong>so</strong>ndern auch geschäftstüchtige<br />

Unternehmer: Der eine<br />

gründete General Electric, die anderen<br />

beiden benannten die Firma nach sich<br />

selbst. Ihre Erfindungen waren nicht<br />

bloß pfiffig, <strong>so</strong>ndern trafen den Nerv<br />

der Zeit, <strong>und</strong> <strong>so</strong> wurden sie Vorreiter<br />

der wichtigsten Industriebranchen des<br />

20. <strong>und</strong> wohl auch 21. Jahrh<strong>und</strong>erts:<br />

Energiever<strong>so</strong>rgung, Kommunikation<br />

<strong>und</strong> Mobilität.<br />

Welche Erfindertypen<br />

gibt es? Wir<br />

hätten uns dem<br />

Thema sachlich<br />

nähern <strong>und</strong><br />

Persönlichkeitstests<br />

anwenden<br />

können – Big Five,<br />

Myers-Briggs-<br />

Typenindikator,<br />

HEXACO Modell<br />

usw... Per<strong>so</strong>naler<br />

wissen, worüber<br />

wir reden. Letztendlich<br />

führt uns<br />

das zu weit weg<br />

vom <strong>Innovation</strong>sthema,<br />

daher<br />

präsentieren wir<br />

Ihnen hier eher eine<br />

launige Typologie:<br />

Der Tüftler<br />

Der Tüftler ist jemand, der mit viel Geduld <strong>und</strong> Ausdauer <strong>so</strong> lange an einem<br />

Detail arbeitet, bis es (wieder) funktionsfähig ist. Berühmtes Beispiel ist<br />

Daniel Düsentrieb. Er erblickte 1952 auf dem Zeichenbrett von Carl Barks<br />

das Licht der Welt. Daniel Düsentriebs Wahlspruch in den deutschen<br />

Ausgaben lautet „Dem Ingenör ist nichts zu schwör“ <strong>und</strong> macht ihn damit<br />

zum Verwandten des deutschen Ingenieurtums. Sein Originalname Gyro<br />

Gearloose ist aber eher eine Anspielung auf „to have a screw loose“<br />

(dt. „eine Schraube locker haben“).<br />

Foto: robotcity / stock.adobe.com<br />

44 Ausgabe 13 | Mai 2020 | Umweltdialog.de


<strong>Innovation</strong><br />

Foto: Aerostat_18th_1853_www.neo-cortex.fr / stock.adobe.com<br />

Der<br />

Visionär<br />

Visionäre sind<br />

vor allem eins:<br />

hoffnungslose<br />

Idealisten.<br />

Die Welt steckt<br />

voller aufregender<br />

Möglichkeiten. Oder<br />

wie der amerikanische<br />

Philo<strong>so</strong>ph <strong>und</strong><br />

Bürgerrechtler Howard<br />

Thurman sagte: „Frag<br />

nicht, was die Welt<br />

braucht. Frag, was<br />

dich mit Leben erfüllt,<br />

<strong>und</strong> tu das. Denn<br />

was die Welt braucht<br />

sind Menschen, die ihre<br />

Bestimmung gef<strong>und</strong>en<br />

haben.“<br />

Foto: J.M. / stock.adobe.com<br />

Der Macher<br />

Erfinder scheitern<br />

immer wieder daran,<br />

dass die Idee stimmt,<br />

aber nicht die<br />

Vermarktung.<br />

Das kann man<br />

mit Sicherheit<br />

nicht über Steve<br />

Jobs sagen. Er<br />

war nicht bloß<br />

Mitbegründer von<br />

Apple <strong>und</strong> ihr langjähriger CEO. Jobs war<br />

vielmehr Markenbotschafter <strong>und</strong> Markenbotschaft in einem.<br />

Steve Jobs war Apple. Als Mensch war Steve Jobs,<br />

sagen wir es <strong>so</strong>: schwierig. Kollegen fürchteten seine<br />

arrogante <strong>und</strong> kaltherzige Art. Geschäftspartner bew<strong>und</strong>erten<br />

seine Fähigkeit, das Potenzial hinter einer Idee zu<br />

erkennen. „Verlassen. Ausgewählt. Be<strong>so</strong>nders.“ Mit diesen<br />

Worten hat sein Biograf Walter Isaac<strong>so</strong>n ihn treffend<br />

charakterisiert.<br />

Foto: AA+W / stock.adobe.com<br />

Der „deutsche<br />

Ingenieursgeist“<br />

Wann immer von „Made in Germany“<br />

die Rede ist, wird der deutsche<br />

Ingenieursgeist beschworen. Der<br />

Wirtschaftshistoriker Werner Abelshauser<br />

sagt, dieser Mix aus Technik<br />

<strong>und</strong> Wissenschaft sei ein Produkt<br />

der „Forschungsuniversität“. Dieses<br />

Uni-Konzept entstand zu Beginn des<br />

19. Jahrh<strong>und</strong>erts auf Betreiben<br />

Preußens. Die Idee: Hochschulen<br />

forschen wirtschaftsnah, <strong>und</strong> die<br />

Wirtschaft fördert ihrerseits <strong>so</strong>lche<br />

Lehrstühle (Stichwort: Stiftungsprofessur).<br />

Überraschenderweise zündete<br />

die Idee im Stammland Preußen eher<br />

weniger. Dafür um<strong>so</strong> besser in einer<br />

weit entfernten Provinz: Dem<br />

Schwabenland.<br />

>><br />

Ausgabe 13 | Mai 2020 | Umweltdialog.de<br />

45


<strong>Innovation</strong><br />

Das erkannte Genie<br />

Der Universalgelehrte (genius universalis) ist das Ideal<br />

der Wissenschaft seit den Tagen der Antike. Er beschert<br />

uns nicht nur geniale Ideen, <strong>so</strong>ndern vor allem den „Blick<br />

über den Tellerrand“, weil die Per<strong>so</strong>n auf verschiedenen<br />

Wissensgebieten außergewöhnliche Leistungen<br />

vollbringt. Solche Typen sind naturgemäß selten <strong>und</strong><br />

strahlen über alle Zeiten hinweg: Der Altägypter Imhotep,<br />

der Grieche Aristoteles, der Perser Ibn Sina, der Deutsche<br />

Alexander von Humboldt <strong>und</strong> natürlich <strong>und</strong> immer wieder<br />

an erste Stelle genannt<br />

der aus Italien<br />

stammende<br />

Leonardo<br />

da Vinci.<br />

Foto: euthymia / stock.adobe.com<br />

Das verkannte Genie<br />

Es ist nicht<br />

jedem<br />

vergönnt, zu<br />

Lebzeiten<br />

die Anerkennung<br />

zu<br />

bekommen,<br />

die er oder<br />

sie verdient<br />

hätte. Der<br />

Autor habe<br />

„schlicht<br />

einen Dachschaden“,<br />

<strong>und</strong> das<br />

Buch sei eine<br />

„schlampig<br />

hergestellte<br />

Mixtur“, bescheinigten<br />

zum Beispiel<br />

Kritiker einem damals 33 Jahre jungen Autor, den das<br />

<strong>so</strong> mitnahm, dass er für zwei Jahrzehnte das Schreiben<br />

sein ließ <strong>und</strong> seinen Lebensunterhalt als Zollinspektor in<br />

New York verdiente. Sein Name: Herman Melville. Das<br />

Buch heißt „Moby Dick“.<br />

Foto: ratpack223 / stock.adobe.com<br />

Der Perfektionist<br />

Im Beliebtheitsranking ähnlich schlecht<br />

schneidet auch dieser Kandidat ab:<br />

Ferdinand Piëch. Geboren wurde er in<br />

eine Familie mit „Benzin im Blut“. Sein<br />

Großvater Ferdinand Porsche baute den<br />

ersten VW-Käfer <strong>und</strong> begründete den<br />

Volkwagenkonzern. Sein Onkel Ferry<br />

Porsche stand auf schnellere Modelle<br />

<strong>und</strong> gründete die Automarke Porsche.<br />

Piëch wurde von Kindesbeinen an<br />

zum Autoerben erzogen: Maschinenbau-Studium<br />

<strong>und</strong> Ingenieursabschluss,<br />

Entwicklungsabteilung bei Porsche,<br />

Technikvorstand bei Audi, schließlich<br />

dann Vorstandsvorsitzender <strong>und</strong> später<br />

Aufsichtsratschef der Volkswagen AG.<br />

Piëch galt zeitlebens als „Herr der<br />

Ventile <strong>und</strong> Zylinder“ – mit Akribie <strong>und</strong> harter Hand machte er aus Volkswagen einen der größten Autokonzerne der Welt. Sein<br />

Biograf Wolfgang Fürweger sagte über ihn: „Piëch ist kein harmoniebedürftiger Mensch“.<br />

Foto: franz12 / stock.adobe.com<br />

46 Ausgabe 13 | Mai 2020 | Umweltdialog.de


<strong>Innovation</strong><br />

Foto: Otto-Lilienthal-Museum, Originalfoto:Ottomar Anschütz, 1893<br />

Das gescheiterte Genie<br />

Scheitern gehört zum Schaffen. Die wahre<br />

Größe liegt in der Art, wie man damit umgeht<br />

<strong>und</strong> den Mut aufbringt, immer wieder aufzustehen.<br />

So gesehen war der Mecklenburger<br />

Otto Lilienthal (1848-1896) ein sehr mutiger<br />

Mann. Trotz ungezählter Rückschläge ließ<br />

er sich nicht von seinem Traum vom Fliegen<br />

abbringen. Schon als kleiner Junge schnallte<br />

er sich Bretter an die Arme, rannte auf<br />

einen Abhang zu, <strong>und</strong>... naja, man kann sich<br />

denken, wie die Geschichte endete. Otto<br />

Lilienthals Fiaskos waren <strong>so</strong> bekannt, dass<br />

seine Flugversuche stets eine große Schar<br />

an Schaulustigen anzogen. Am 9. August<br />

1896 stürzte er in Berlin vor den Augen des<br />

Publikums aus 15 Metern Höhe ab <strong>und</strong> zog<br />

sich dabei schwere Verletzungen zu, denen<br />

er Tage später erlag. Auf dem Sterbebett<br />

<strong>so</strong>ll er lapidar gesagt haben: „Opfer müssen gebracht werden“. Zu seiner Zeit ein Spinner, leistete Otto Lilienthal mit seinen<br />

(Fehl)-Versuchen dennoch wichtige Vorarbeiten für die Aerodynamik <strong>und</strong> gilt heute als einer der Pioniere der Luftfahrt.<br />

Der Deutsche <strong>Nachhaltigkeit</strong>spreis Design prämiert ab <strong>so</strong>fort<br />

vorbildliche Beispiele nachhaltiger Gestaltung: etablierte Ikonen,<br />

aktuelle Vorreiter <strong>und</strong> Visionen für eine nachhaltigere Zukunft.<br />

Gesucht werden Produkte, Dienstleistungen <strong>und</strong> Systeme, die<br />

einen wirksamen Beitrag zur Transformation leisten.<br />

Teilnehmen können Unternehmen jeder Größe, Designer/innen<br />

innerhalb <strong>und</strong> außerhalb von Agenturen, Studierende<br />

<strong>und</strong> Startups.<br />

Bis zum 15. Juni 2020 bewerben:<br />

www.nachhaltigkeitspreis.de/design<br />

Ausgabe 13 | Mai 2020 | Umweltdialog.de<br />

47


<strong>Innovation</strong><br />

Foto: sewcream / stock.adobe.com<br />

Social Impact Economy:<br />

KONSUM FÜR EINEN GUTEN<br />

ZWECK<br />

T E I L E I N E R B E S S E R E N Z U K U N F T<br />

Von Dr. Alexandra Hildebrandt<br />

48 Ausgabe 13 | Mai 2020 | Umweltdialog.de


<strong>Innovation</strong><br />

„Sei mal positiv. Glaub an das Gute <strong>und</strong><br />

Richtige! Erkenne deine Stärken <strong>und</strong><br />

Möglichkeiten!“, sagte die Fernsehköchin<br />

<strong>und</strong> Autorin Sarah Wiener vor einigen<br />

Jahren dem Magazin FOCUS. Sie<br />

wollte Menschen ins Herz treffen <strong>und</strong><br />

zum Aufstehen bewegen, auch wenn das<br />

Kommende ungewiss ist <strong>und</strong> viele mit<br />

dem Begriff Urvertrauen nichts mehr<br />

anzufangen wissen. Ohne Urvertrauen<br />

könne der Mensch nämlich morgens<br />

sein Bett nicht verlassen, bemerkte einst<br />

der Soziologe Niklas Luhmann: Es wird<br />

auf etwas vertraut, ohne zu wissen, welche<br />

Erfahrungen folgen werden. Das ist<br />

oft verlässlicher als der mühsame Versuch,<br />

dem Leben die eigenen Bedingungen<br />

aufzudrücken. Urvertrauen <strong>und</strong> Optimismus<br />

sind miteinander verb<strong>und</strong>en.<br />

Max Roser, Ökonom am Institute for New<br />

Economic Thinking (INET) in Oxford,<br />

studierte erst Philo<strong>so</strong>phie <strong>und</strong> wechselte<br />

dann zur Ökonomie. Ihn überraschte,<br />

dass die Nachrichten voll von schrecklichen<br />

Ereignissen sind, sich langfristig<br />

aber positive Entwicklungen zeigen,<br />

die allerdings in den Medien kaum erwähnt<br />

werden. Auf seiner Website „Our<br />

World in Data“ trägt er alles zusammen,<br />

was wir über die Entwicklung der Welt<br />

wissen <strong>und</strong> postet regelmäßig ein Diagramm,<br />

das verdeutlicht, dass die Welt<br />

in vielerlei Hinsicht besser wird. Dafür<br />

wirbt er auf Twitter: „Warum ich optimistisch<br />

bin“. Leider ist es aber häufig<br />

<strong>so</strong>, dass jene, die die Welt optimistisch<br />

betrachten, dafür belächelt <strong>und</strong> für naiv<br />

gehalten werden.<br />

Die Sehnsucht nach Sinn steht im<br />

Zusammenhang mit einem neuen<br />

Optimismus<br />

Während sich der Ansatz von Max Roser<br />

auf statistisches Material beschränkt,<br />

finden sich in „Good“, einer globalen,<br />

redaktionellen HuffPost-Initiative, vor<br />

allem Geschichten über Menschen, die<br />

Lösungen für sehr reale Herausforderungen<br />

unseres Lebens bereithalten.<br />

Diese Sehnsucht nach mehr Sinn steht<br />

in Zusammenhang mit einem neuen<br />

Optimismus. <strong>Nachhaltigkeit</strong> bedeutet<br />

für den internationalen Managementexperten<br />

Tim Leberecht „den Zugang zu<br />

essentiellen Fragen, zu authentischen<br />

Gefühlen <strong>und</strong> markanten Erfahrungen,<br />

die das schnelllebige Geschäft <strong>und</strong> die<br />

Tyrannei des Jetzt überdauern.“ Vor allem<br />

in der digitalen Netzwerkökonomie<br />

<strong>so</strong>llten Unternehmen durch ihre Produkte<br />

<strong>und</strong> K<strong>und</strong>enerfahrungen, aber<br />

auch ihre Firmenkulturen, langfristig<br />

Sinn stiften. „In Märkten geprägt von<br />

Maximierung <strong>und</strong> Optimisierung (Optimierung?)<br />

können sie Entgrenzungen<br />

<strong>und</strong> Grenzerfahrungen ermöglichen, die<br />

über den reinen Profit hinaus<strong>gehen</strong> <strong>und</strong><br />

neben dem gesellschaftlichen <strong>und</strong> dem<br />

ökologischen Impuls eine zutiefst subjektive,<br />

romantische <strong>und</strong> <strong>so</strong>mit zutiefst<br />

humanistische Welt schaffen.“<br />

„Corporate Social Responsibility“,<br />

„Conscious Capitalism“, „Purpose-Driven<br />

Business“, Benefit Corporations<br />

<strong>und</strong> andere Konzepte, die auf die positive<br />

gesellschaftliche Wirkung des Unternehmens<br />

abzielen, sind allerdings<br />

häufig zu abstrakt für die Mitarbeiter.<br />

Tim Leberecht interviewte für sein<br />

Buch „Business Romantiker“ Angestellte<br />

von „Conscious Capitalism“-Firmen,<br />

zum Beispiel vom Outdoor-Bekleider<br />

<strong>und</strong> Ausrüster Patagonia. Einige der<br />

Befragten gaben zu, dass sie sich zwar<br />

mit der Mission ihres Unternehmens<br />

vollkommen identifizieren <strong>und</strong> auch<br />

davon inspiriert seien, sich allerdings<br />

oft im Arbeitsalltag gelangweilt fühlten.<br />

Es gibt al<strong>so</strong> offensichtlich auch da<br />

eine „Entzauberungskluft“ zwischen<br />

Abstraktion <strong>und</strong> konkreter Erfahrung.<br />

Einer der Interviewten beklagte <strong>so</strong>gar,<br />

dass er sich manchmal vorkäme, als sei<br />

er in einem „Tue Gutes“-Hinterland <strong>und</strong><br />

vertraute ihm an, dass er sich heimlich<br />

nach der Intensität von stärker konkurrenzorientierten,<br />

darwinistischen Kulturen<br />

an der Wall Street oder im Silicon<br />

Valley sehnte. Hier kommt die Business-<br />

Romantik ins Spiel, denn sie schlägt die<br />

Brücke zwischen der Mission des Unternehmens<br />

<strong>und</strong> dem Erleben von vielen<br />

kleinen intensiven, sinnstiftenden Momenten<br />

in der alltäglichen Arbeit. >><br />

Ausgabe 13 | Mai 2020 | Umweltdialog.de<br />

49


<strong>Innovation</strong><br />

Immer mehr Menschen probieren<br />

heute aber auch Lösungsansätze im<br />

Kleinen aus, die morgen im Großen<br />

funktionieren können.<br />

Der Deutsche Social Entrepreneurship<br />

Monitor 2019 zeigt, dass Sozialunternehmen<br />

gesellschaftliche Wirkung<br />

über finanzielle Rendite stellen, innovative<br />

Lösungen entwickeln <strong>und</strong> eine<br />

überdurchschnittlich hohe Gründerinnenquote<br />

haben. Dass in einem Café<br />

Trinkgeld gegeben wird, ist etwas Selbstverständliches,<br />

aber was wäre, wenn Arbeiter*innen<br />

weltweit Trinkgeld für ihre<br />

Arbeit erhielten – <strong>und</strong> das direkt beim<br />

Kaufen von Produkten? Die Vision von<br />

tip me ist es, Lösungen für faire Wertschöpfungsketten<br />

anzubieten. Transparenz<br />

<strong>und</strong> Verantwortung in Lieferketten<br />

<strong>so</strong>llen gestärkt <strong>und</strong> Konsument*innen<br />

darin unterstützt werden, informierte<br />

<strong>und</strong> nachhaltige Entscheidungen zu<br />

treffen. Dafür werden die digitalen Möglichkeiten<br />

genutzt. Die Idee für das globale<br />

Trinkgeld hatte Jonathan Funke bei<br />

einer Demonstration gegen Primark. Es<br />

fühlte sich für ihn nicht richtig an, dass<br />

ein T-Shirt weniger kostet als eine Tasse<br />

Kaffee. Wenn wenige Cent direkt <strong>und</strong><br />

sicher an die Näher*innen <strong>gehen</strong> würden,<br />

könnte dies ihr Leben wirksam verändern.<br />

Auf Konferenzen traf er seine<br />

zwei Mitstreiter, die auf internationaler<br />

Ebene im Bereich der Armutsbekämpfung<br />

arbeiteten <strong>und</strong> die Auswirkung<br />

von Transparenz in globalen Lieferketten<br />

studierten <strong>und</strong> IT-Expertise hatten.<br />

Gemeinsam ließen sie die Idee zu einem<br />

Sozialunternehmen heranwachsen. Sie<br />

möchten Geschichten von Menschen erzählen<br />

<strong>und</strong> dadurch einen Beitrag zum<br />

nachhaltigen Konsum leisten.<br />

„share“ <strong>und</strong> „Vytal“<br />

„Probiere eine bessere Welt. 1+1: Mit<br />

deinem Kauf hilfst du gleichzeitig einem<br />

Menschen in Not.“ Das 1+1 Prinzip<br />

von share ist einfach: Wer ein share<br />

Produkt kauft, <strong>so</strong>rgt dafür, dass auch<br />

tip me: Globales Trinkgeld<br />

Foto: Daniela Haupt / share Foto: tip me<br />

Wer ein share Produkt kauft, <strong>so</strong>rgt dafür,<br />

dass auch einem bedürftigen Menschen<br />

etwas Gutes getan wird<br />

einem bedürftigen Menschen etwas<br />

Gutes getan wird – beispielsweise eine<br />

Mahlzeit für jeden share Nussriegel, ein<br />

Hygieneartikel für jede share Handseife,<br />

sauberes Trinkwasser für jede share<br />

Wasserflasche, mit der auch die Umwelt<br />

geschont wird, weil sie aus 100 Prozent<br />

recyceltem Material ist. Mit dem Kauf<br />

einer share Wasserflasche wird ein Tag<br />

Trinkwasser an einen Menschen in Not<br />

gespendet. Der Anspruch an <strong>Nachhaltigkeit</strong><br />

spiegelt sich auch bei der Produktion<br />

wider. So setzt die Marke konsequent<br />

auf eine umweltschonende Kreislaufwirtschaft,<br />

um natürliche Res<strong>so</strong>urcen zu<br />

schonen.<br />

Kreislaufökonomie ist auch die Basis<br />

des Startups Vytal, das Gastronomien,<br />

Kantinen <strong>und</strong> Supermärkte mit Gefäßen<br />

ver<strong>so</strong>rgt, in denen die K<strong>und</strong>innen <strong>und</strong><br />

K<strong>und</strong>en frische Lebensmittel transportieren<br />

können. Die K<strong>und</strong>en geben die<br />

Gefäße nach der Nutzung wieder bei<br />

einem teilnehmenden Betrieb ab, wo<br />

sie gereinigt werden. Das <strong>so</strong>ll den Müll<br />

im Take-away-Geschäft reduzieren. Als<br />

Bezahlmodelle gibt es die Abrechnung<br />

pro Nutzung der Vytal-Schüsseln oder<br />

eine Flatrate. Das System (derzeit noch<br />

etwas teurer als Einweg) leistet einen<br />

Beitrag zu mehr <strong>Nachhaltigkeit</strong> im Außer-Haus-Verzehr.<br />

Die Zeiten sind vorbei, in denen „Zielgruppen“<br />

penetrant mit TV-Spots berieselt<br />

werden konnten, um eine Botschaft<br />

wie „Geiz ist geil“ oder „Supergeil“ in<br />

ihr Bewusstsein zu drücken. Billigprodukte<br />

werden heute meistens mit einer<br />

schlechten Ökobilanz, Lohn-Dumping,<br />

Kinderarbeit oder verantwortungslosen<br />

Unternehmenspraktiken as<strong>so</strong>ziiert. Die<br />

bewussten <strong>und</strong> mündigen Konsumenten<br />

von heute sind gut informiert <strong>und</strong> möchten<br />

wissen, wo die Produkte hergestellt<br />

werden, die sie kaufen. Besser leben<br />

heißt für sie, anders herzustellen <strong>und</strong> zu<br />

konsumieren. Sie sind davon überzeugt,<br />

dass Geiz am Ende schädlich für Mensch<br />

<strong>und</strong> Umwelt ist.<br />

50 Ausgabe 13 | Mai 2020 | Umweltdialog.de


<strong>Innovation</strong><br />

Nachhaltiger Konsum heißt nicht<br />

weniger Konsum, <strong>so</strong>ndern effizienter<br />

<strong>und</strong> bewusster Konsum.<br />

Der symbolische Wechsel von der Ökonomie<br />

der „Zuvielisation“ zu einer „Ökonomie<br />

der Bedeutsamkeit“ zeigt sich in<br />

allen gesellschaftlichen Bereichen. Bei<br />

dem dabei stattfindenden Perspektivenwechsel<br />

vom Wollen zum Brauchen<br />

entstehen neue Konsum- <strong>und</strong> Geschäftsmodelle.<br />

tip me erhält beispielsweise<br />

eine Provision von seinen Partnerunternehmen,<br />

weil diese vom positiven Marketing<br />

profitieren. Dadurch kann tip me<br />

sicherstellen, dass 100 Prozent Deines<br />

Trinkgeldes an die Arbeiter*innen geht.<br />

Um mit dem Unternehmen zusammenzuarbeiten,<br />

müssen sie Transparenz<br />

<strong>und</strong> Verantwortung in ihrer Lieferkette<br />

nachweisen. Es wird nur mit Unternehmen<br />

zusammengearbeitet, die fair <strong>und</strong><br />

nachhaltig sind <strong>und</strong> die internationalen<br />

Arbeitsstandards der International<br />

Labour Organization (ILO) einhalten.<br />

Dadurch wird sichergestellt, dass das<br />

Unternehmen ebenfalls einen Beitrag<br />

leistet, faire <strong>und</strong> nachhaltige Lieferketten<br />

die Norm werden zu lassen. Für<br />

Webshopbetreiber wie ethletic <strong>und</strong> bayti<br />

ist dieses Trinkgeldmodul auch ein<br />

attraktives CSR-Instrument <strong>und</strong> ein Alleinstellungsmerkmal<br />

für K<strong>und</strong>*innen,<br />

denen die <strong>Nachhaltigkeit</strong> ihrer Produkte<br />

am Herzen liegt.<br />

ChariTea: Von jedem verkauften Getränk<br />

geht ein fester Betrag an den Lemonaid &<br />

ChariTea e.V.<br />

z o t t e r Schokolade: Für die Produktion<br />

werden ausschließlich bio-zertifizierte <strong>und</strong><br />

fair gehandelte Rohstoffe verwendet.<br />

Foto: z o t t e r Foto: Lea Aring / ChariTea<br />

Der bewusste <strong>und</strong> informierte K<strong>und</strong>e<br />

erwartet heute Produkte, die unter akzeptablen<br />

Umweltschutz- <strong>und</strong> Sozialbedingungen<br />

produziert werden – wahrhaftige<br />

Produkte al<strong>so</strong>. Viele werden<br />

heute mit einem zusätzlichen Attribut<br />

verkauft. Neu an diesem Ansatz ist,<br />

dass nicht das Unternehmen, <strong>so</strong>ndern<br />

der definierte Begünstigte den Benefit<br />

hat. Darauf setzt auch seit seiner<br />

Gründung die weltweit gemeinnützige<br />

Organisation ChariTea: Von jedem verkauften<br />

Getränk geht ein fester Betrag<br />

an den Lemonaid & ChariTea e.V. Über<br />

eine Million Euro konnte bislang in <strong>so</strong>ziale<br />

Projekte investiert werden. Die Gelder<br />

fließen vor allem in Sozialprojekte<br />

innerhalb der Anbauregionen wie Sri<br />

Lanka <strong>und</strong> Südafrika. Hier machen sich<br />

die Gründer gegen die Ausbeutung von<br />

Kindern, für eine bessere Bildung <strong>und</strong><br />

ökologische Landwirtschaft stark.<br />

Auch der österreichische Chocolatier<br />

Josef Zotter wollte stets Lebensmittel<br />

herstellen, die ehrlich <strong>und</strong> fair zu<br />

Mensch <strong>und</strong> Umwelt sind. Worauf es<br />

seiner Meinung nach ankommt, ist,<br />

Menschen zu erklären, warum es genial<br />

ist, wenn man an morgen denkt. Die<br />

z o t t e r Schokoladen Manufaktur<br />

GmbH mit Sitz in Riegersburg, Bergl<br />

(Österreich), wurde 1999 gegründet. Für<br />

die Produktion werden ausschließlich<br />

bio-zertifizierte <strong>und</strong> fair gehandelte Rohstoffe<br />

verwendet. Zudem wird Schokolade<br />

direkt von der Bohne weg produziert<br />

(Bean-to-Bar). Der Großteil der Branche<br />

verwendet Halbfertigprodukte, doch<br />

z o t t e r stellt seine Schokoladen direkt<br />

am Standort selbst her. Die Kakaobohnen<br />

werden nach Bergl (Riegersburg)<br />

geliefert <strong>und</strong> verlassen die Manufaktur<br />

erst als fertige Schokoladentafel.<br />

Dadurch werden Transportwege eingespart.<br />

Die Fusion der drei Kriterien Bio +<br />

Fairtrade + Bean-to-Bar sind ein Alleinstellungsmerkmal<br />

des Unternehmens,<br />

das europaweit der einzige Hersteller<br />

ist, der von der Bohne weg komplett in<br />

Bio- <strong>und</strong> Fairtrade-Qualität produziert.<br />

Josef Zotter verweist darauf, dass es gerade<br />

in der Lebensmittelbranche viele<br />

kleine Unternehmen gibt, die aus Überzeugung<br />

nachhaltig sind. Diese müssen<br />

ihre K<strong>und</strong>schaft finden, haben aber leider<br />

nicht die Werbemöglichkeiten wie<br />

die Großen. Deshalb <strong>so</strong>llten sie ausgewählt<br />

<strong>und</strong> be<strong>so</strong>nders unterstützt werden.<br />

Beispielsweise auch koawach, wo<br />

mit dem Slogan geworben wird: „Wach<br />

auf! Die Welt braucht Dich wach.“ Menschen<br />

<strong>so</strong>llen mit Bio-Trinkschokoladen<br />

„geweckt“ werden – alles produziert<br />

von Bio-Bauern aus Lateinamerika, >><br />

Ausgabe 13 | Mai 2020 | Umweltdialog.de<br />

51


<strong>Innovation</strong><br />

ebenfalls direkt <strong>und</strong> fair gehandelt. Das<br />

Unternehmen sieht sein nachhaltiges<br />

Handeln als Beitrag für eine wachere<br />

Welt: „Fair schmeckt einfach besser.“<br />

Die guten Produkte müssen teurer verkauft<br />

werden, denn sie haben einen anderen<br />

Wert als billige Massenware. Doch<br />

was teurer verkauft werden <strong>so</strong>ll, braucht<br />

auch eine wahrhaftige Geschichte, weil<br />

Fakten allein unser Herz nicht erreichen<br />

können – <strong>und</strong> das ist be<strong>so</strong>nders wichtig,<br />

wenn es darum geht, uns <strong>und</strong> andere zu<br />

bewegen.<br />

Viva con Agua<br />

Gründer wie Benjamin Adrion haben<br />

eine Vision davon, wie die Welt sein<br />

könnte: Anfang 2005 reiste der FC St.<br />

Pauli nach Kuba, wo sie die schwierigen<br />

Verhältnisse vor Ort sahen. Adrion war<br />

als Mittelfeldspieler dabei. Damals kam<br />

ihm die „spontane Schnapsidee“, die<br />

Trinkwasserver<strong>so</strong>rgung zu verbessern.<br />

Obwohl die Erde zu drei Vierteln mit<br />

Wasser bedeckt ist, ist nur der geringste<br />

Teil davon (2,6 Prozent) Süßwasser, <strong>und</strong><br />

nur 0,3 Prozent können als Trinkwasser<br />

verwendet werden. Es ist kostbar <strong>und</strong><br />

rar. Vor allem in den von Dürre geplagten<br />

Ländern in Afrika oder Asien, wo<br />

90 Prozent der Menschen leben, ist die<br />

Gr<strong>und</strong>ver<strong>so</strong>rgung mit Trinkwasser <strong>und</strong><br />

Sanitärdienstleistungen keineswegs gesichert.<br />

Im September 2006 wurde deshalb die<br />

Trinkwasserinitiative „Viva con Agua<br />

de Sankt Pauli e.V.“ offiziell gegründet<br />

– getragen von Adrion <strong>und</strong> unterstützt<br />

von Mitspielern wie Marcel Eger, Florian<br />

Lechner oder Felix Luz. Unter dem<br />

Motto „Wasser für alle, alle für Wasser“<br />

werden Wasserprojekte im In- <strong>und</strong> Ausland<br />

unterstützt. Aus dem Verein heraus<br />

wuchs ein großes <strong>und</strong> nachhaltiges Projekt:<br />

zuerst in den Stadtteil hinein, dann<br />

ins Land <strong>und</strong> über viele Grenzen hinweg.<br />

Längst ist die Organisation auch in<br />

vielen Ländern wie Uganda, Nepal oder<br />

Äthiopien aktiv.<br />

koawach: „Fair schmeckt<br />

einfach besser.“<br />

Viva con Agua: „Wasser für alle,<br />

alle für Wasser“<br />

Foto: Viva con Agua Foto: koawach<br />

Jährlich werden mehr als drei Millionen<br />

Euro Spenden gesammelt. Seit 2006<br />

konnte Viva con Agua mit über 40 Projekten<br />

die Lebenssituation von r<strong>und</strong> 2,5<br />

Millionen Menschen verbessern. Seit<br />

seiner Gründung ist Viva con Agua auch<br />

in Deutschland aktiv, organisiert Spendenläufe<br />

<strong>und</strong> informiert über das globale<br />

Thema Wasser. Zum stetig wachsenden<br />

Ehrenamtsnetzwerk gehören auch<br />

Musiker wie Bela B, Mark Tavas<strong>so</strong>l von<br />

Gloria, Fettes Brot oder Bosse, Sportler<br />

wie Nico Rosberg, Timo Hildebrand, Kevin<br />

Kurányi oder Arne Friedrich. Sie teilen<br />

nicht nur die Idee, dass sich die Welt<br />

ändern lässt, <strong>so</strong>ndern auch ihre Freude<br />

am Machen.<br />

Es ist <strong>so</strong> etwas wie eine F<strong>und</strong>raising-<br />

Kampagne im Supermarktregal <strong>und</strong> an<br />

der Theke: Jede Flasche ist ein „flüssiger<br />

Flyer“ <strong>und</strong> transportiert die Idee hinter<br />

Viva con Agua. Neben dem Verein,<br />

der Spenden sammelt, ist die Mineralwassermarke<br />

Viva con Agua in Szenekneipen<br />

wie Supermärkten, beim Ärzte-Konzert<br />

wie im Hamburger Rathaus<br />

angekommen – <strong>und</strong> schüttet jährlich<br />

Gewinne für die Wasserprojekte aus.<br />

„Sieh dir an, wie Viva con Agua sich für<br />

den weltweiten Zugang zu sauberem<br />

Trinkwasser <strong>und</strong> Sanitärver<strong>so</strong>rgung<br />

einsetzt“, schreibt David Hieatt in seinem<br />

Buch „Bestimmung. Warum Marken<br />

mit Sinn den Unterschied machen“.<br />

Er hat Apple <strong>und</strong> Google beraten, mit<br />

Howies eine der einflussreichsten fairen<br />

Sportmarken auf dem Markt etabliert<br />

<strong>und</strong> 2007 mit seiner Frau Clare die Do<br />

Lectures gegründet. In seiner walisischen<br />

Heimatstadt Cardigan stand einst<br />

die größte Jeans-Fabrik Großbritanniens.<br />

Diese Tradition hat er aufgegriffen<br />

<strong>und</strong> das nachhaltige Label Huit Denim<br />

gegründet. In seinem Buch zeigt er, wie<br />

<strong>so</strong>lche Firmen zu Vorbildern für zukünftige<br />

Unternehmen werden. Die Besten<br />

sehen den ganzen Menschen <strong>und</strong> nicht<br />

nur den kleinen Teilaspekt, der ihnen<br />

etwas nützt. f<br />

52 Ausgabe 13 | Mai 2020 | Umweltdialog.de


<strong>Innovation</strong><br />

Die Welt ist voller<br />

guter Ideen.<br />

Lass sie wachsen.<br />

Landwirtin Aminata Compaoré verbessert mit guten Ideen <strong>und</strong> viel Tatkraft den Anbau von Zwiebeln<br />

<strong>und</strong> anderen Gemüse<strong>so</strong>rten in einem Dorf in Burkina Fa<strong>so</strong>. Jede Spende hilft Menschen wie Aminata,<br />

53<br />

sich selbst zu helfen. Ihre Geschichte unter: www.misereor.de/ideen<br />

Ausgabe 13 | Mai 2020 | Umweltdialog.de


<strong>Innovation</strong><br />

Neuer Konsum,<br />

neue Ökonomie?<br />

Lange galt für Unternehmen die Formel: mehr Konsum<br />

gleich mehr Produktion gleich mehr Gewinn. Im Rahmen der<br />

<strong>Nachhaltigkeit</strong>sdiskussion haben sich in den letzten Jahren<br />

aber auch neue Arten des Konsums entwickelt – <strong>und</strong> die sind<br />

häufig nicht nur umweltfre<strong>und</strong>licher, <strong>so</strong>ndern gleichzeitig<br />

erfolgreiche Geschäftsmodelle.<br />

Sharing Economy:<br />

benutzen statt besitzen<br />

Hinter der Sharing Economy steckt die Ökonomie des Teilens. Statt Konsumgüter<br />

oder auch Dienstleistungen zu kaufen, leiht man sie sich (oft kostenpflichtig) aus.<br />

So werden im Idealfall weniger Waren produziert, was wiederum Res<strong>so</strong>urcen schont.<br />

Mittlerweile ist das Prinzip in der Wirtschaft angekommen. Und das mit einer breiten<br />

Produktpalette: Beim Carsharing teilt man sich ein Auto mit Fremden, Co-Working-Spaces<br />

bieten einzelne Miet-Büroplätze an. Tchibo verzeichnet mit Tchibo Share<br />

(eine Mietplattform für Kinder- <strong>und</strong> Jugendkleidung) Erfolge, das Start-up Windelei<br />

hingegen bietet Stoffwindeln zum Mieten an – inklusive Reinigungsservice. Allerdings<br />

kann die Sharing Economy zu Rebo<strong>und</strong>-Effekten führen, warnt das Institut für<br />

Energie, Ökologie <strong>und</strong> Ökonomie (DFGE): Das <strong>so</strong> gesparte Geld (im Vergleich zum<br />

Kauf) könnten Verbraucher stattdessen für andere Dinge ausgeben <strong>und</strong> <strong>so</strong> wiederum<br />

die Umwelt negativ belasten.<br />

54 Ausgabe 13 | Mai 2020 | Umweltdialog.de


<strong>Innovation</strong><br />

Dematerialisierung durch Streaming<br />

E-Book statt Printausgabe, Musikstreaming statt CD: Digitale Produkte <strong>und</strong> Streamingdienste<br />

ersetzen zunehmend materielle Güter. Für die Umwelt hat das einen<br />

großen Vorteil: Die Produktion von physischen Datenträgern – wie CD, Blu-ray oder<br />

Buch – <strong>und</strong> deren Verpackungen entfällt. Auch der Warentransport fällt weg. Das<br />

spart Rohstoffe <strong>und</strong> CO2. Dafür müssen aber unter Umständen Geräte zur Nutzung<br />

<strong>so</strong>lcher Angebote hergestellt werden, beispielsweise E-Book-Reader. Abgesehen davon<br />

verbraucht vor allem Video-Streaming große Mengen an Strom, insbe<strong>so</strong>ndere<br />

in den Rechenzentren: Energiedienstleister E.ON geht von bis zu 200 Milliarden Kilowattst<strong>und</strong>en<br />

Strom pro Jahr weltweit aus. Damit könnte man alle Privathaushalte<br />

in Deutschland, Italien <strong>und</strong> Polen für ein Jahr ver<strong>so</strong>rgen, heißt es im Webmagazin<br />

„E.ON Erleben“. Wie nachhaltig Netflix, Amazon Prime Video, Spotify <strong>und</strong> Co. tatsächlich<br />

sind, liegt al<strong>so</strong> auch am Nutzungsverhalten jedes Einzelnen. Immerhin: Um<br />

die Datennetze während der Corona-Krise nicht zu überlasten, drosselten viele Streaming-Anbieter<br />

zeitweise ihre Datenmengen durch verringerte Videoqualität.<br />

Aus zweiter Hand<br />

T-Shirt <strong>und</strong> Hose von den älteren Geschwistern auftragen? Was früher Gang <strong>und</strong> Gäbe<br />

war, hat längst den Weg in die (Online-) Geschäfte gef<strong>und</strong>en. Schon seit einigen Jahren<br />

verkaufen hierzulande zahlreiche Secondhand-Läden bereits getragene Kleidung<br />

an andere weiter. Die Digitalisierung bringt indes neue Distributionsmöglichkeiten<br />

mit sich: Über Online-Plattformen <strong>und</strong> Apps wie Ebay oder Kleiderkreisel kann jeder<br />

seine „alten“ Dinge wieder zu Geld machen – oder günstig shoppen. Der Handel mit<br />

gebrauchten Waren ist auch ökologisch sinnvoll: Laut Greenpeace fallen zum Beispiel<br />

allein bei der Produktion eines T-Shirts knapp 2.700 Liter Wasser an. Wer al<strong>so</strong> bereits<br />

gebrauchtes kauft, spart nicht nur Geld, <strong>so</strong>ndern schont auch die Umwelt.<br />

2.<br />

„Nackte“ Ware<br />

Etwas neuer ist das Konzept der Unverpackt-Läden. Das Ziel: Möglichst wenig Abfall<br />

produzieren. Die Produkte werden hier deshalb ganz ohne Karton- oder Plastikverpackung<br />

zum Kauf angeboten. Milch gibt es zum Beispiel in Glas-Mehrwegflaschen,<br />

Müsli, Nüsse <strong>und</strong> Pasta befinden sich in Spendern, <strong>so</strong>genannten „Bulk Bins“. Die<br />

Waren füllt sich jeder K<strong>und</strong>e selbst in mitgebrachte Vorratsdosen oder Flaschen.<br />

Ganz „nackt“ geht aber noch nicht: Die Waren kommen in den Läden nämlich in<br />

Verpackungen an – die sind aber möglichst groß, um unnötigen Müll zu vermeiden.<br />

Der häufigste Gr<strong>und</strong> für die Ablehnung von Unverpackt-Läden, neben fehlenden Geschäften<br />

in der Nähe, ist übrigens die Angst vor mangelnder Hygiene, hat eine Studie<br />

von Splendid Research rausgef<strong>und</strong>en. Ob die Corona-Krise das noch verschärft, wird<br />

sich zeigen. Dabei muss sich wegen der Sauberkeit eigentlich keiner Sorgen machen:<br />

„Unverpackt-Läden unterliegen den gleichen Hygieneanforderungen wie alle anderen<br />

Betriebe, in denen Lebensmittel verarbeitet werden, <strong>und</strong> unterliegen Kontrollen<br />

vom Ges<strong>und</strong>heitsamt bzw. der Lebensmittelaufsichtsbehörde“, heißt es auf der Website<br />

des Unverpackt-Ladens „Stückgut Hamburg“.<br />

Ausgabe 13 | Mai 2020 | Umweltdialog.de<br />

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<strong>Innovation</strong><br />

Erfolgreiche Geschäftsmodelle<br />

für <strong>Nachhaltigkeit</strong><br />

Substitution<br />

Was? Ersetzung „schädigender“<br />

Produkte durch nachhaltigere<br />

Alternativen<br />

Beispiel: Erneuerbare Energien anstatt<br />

fossiler Brennstoffe, veganer Ersatz für<br />

Fleisch<br />

Re- <strong>und</strong> Upcycling<br />

Was? Umwandlung von Abfallprodukten<br />

oder (scheinbar) nutzlosen Stoffen<br />

in Rohstoffe oder neuwertige Produkte<br />

Beispiel: Adidas X Parley Kollektion<br />

(Sneaker aus aufbereitetem Plastikmüll)<br />

Dematerialisierung<br />

Was? Umwandlung physischer Produkte<br />

in Software/Apps<br />

Beispiel: Nuki-App (Smart Lock, die<br />

Millionen metallener Schlüssel ob<strong>so</strong>let<br />

macht)<br />

Disintermediation<br />

Was? Wegfall einer oder mehrerer<br />

Wertschöpfungsstufen ohne positiven<br />

Wertbeitrag<br />

Beispiel: Avocadostore, Marktplatz<br />

für nachhaltige Produkte, kollaboriert<br />

direkt mit Herstellern<br />

56 Ausgabe 13 | Mai 2020 | Umweltdialog.de


<strong>Innovation</strong><br />

Re-Commerce<br />

Was? Lebenszyklusverlängerung von<br />

Produkten, Komponenten <strong>und</strong> Nebenprodukten<br />

durch Rücknahme <strong>und</strong><br />

Weiterverkauf<br />

Beispiel: Ikea hat jüngst seinen Einstieg<br />

in den Re-Commerce-Markt seiner<br />

Möbel bekannt gegeben<br />

Product-as-a-Service<br />

Was? Transformation von Produkten<br />

mit einmaligem Verkaufspreis in<br />

kontinuierliche Dienstleistungen mit<br />

Servicegebühren<br />

Beispiel: Claas Landmaschinen mit<br />

Precision Farming<br />

Sharing Economy<br />

Was? Erhöhung des Nutzungsgrads<br />

von Produkten <strong>und</strong> Res<strong>so</strong>urcen durch<br />

kommerzielles, kurzfristiges Teilen.<br />

Beispiel: Daimler <strong>und</strong> BMW mit ihrem<br />

Joint Venture Share Now<br />

Zirkuläre Lieferkette<br />

Was? Aufbau geschlossener Energie<strong>und</strong><br />

Materialkreisläufe zur Minimierung<br />

des Energie- <strong>und</strong> Res<strong>so</strong>urceneinsatzes<br />

<strong>so</strong>wie der Abfall- <strong>und</strong> Emissionsentstehung.<br />

Beispiel: BASF hat jüngst diesbezügliche<br />

Ziele formuliert<br />

Social Impact Economy<br />

Was? Profitable Systeme zur Behebung<br />

<strong>so</strong>zialer Missstände, Förderung des<br />

<strong>so</strong>zialen Miteinanders <strong>und</strong> der Verständigung<br />

zwischen Kulturen.<br />

Beispiel: Metro, Allos <strong>und</strong> Edeka<br />

kooperieren mit SirPlus gegen Lebensmittelverschwendung<br />

Ausgabe 13 | Mai 2020 | Umweltdialog.de<br />

57


<strong>Innovation</strong><br />

Advertorial<br />

Foto: KAY HERSCHELMANN / Nespres<strong>so</strong><br />

Foto: KAY HERSCHELMANN / Nespres<strong>so</strong><br />

DIE VIELEN LEBEN<br />

einer Kaffeekapsel<br />

Qualität <strong>und</strong> <strong>Nachhaltigkeit</strong> eines Produktes<br />

sind oft zwei Seiten derselben<br />

Medaille. Am Beispiel der Kaffeeproduktion<br />

zeigt Nespres<strong>so</strong>, wie es gelingt,<br />

in allen Bereichen der Wertschöpfungskette<br />

die CO 2<br />

-Emissionen zu senken <strong>und</strong><br />

dabei die hohe Qualität des Premiumkaffees<br />

langfristig zu sichern.<br />

Nespres<strong>so</strong> hat sich hohe Ziele gesetzt<br />

<strong>und</strong> geht dafür innovative Wege. Bis<br />

Ende 2020 wollen die Schweizer den<br />

CO₂-Fußabdruck jeder Tasse Nespres<strong>so</strong><br />

Kaffee im Vergleich zu 2009 um insgesamt<br />

28 Prozent reduzieren. Bis Ende<br />

2018 lag die erreichte Reduktion bereits<br />

bei 22 Prozent. Der von über 110.000<br />

Kaffeebauern in 14 Ländern im Rahmen<br />

des „AAA Sustainable Quality<br />

Program“ hergestellte Kaffee wird <strong>so</strong>gar<br />

schon seit 2015 klimaneutral produziert,<br />

bezogen auf die Emissionskategorien<br />

Scope 1 <strong>und</strong> Scope 2. Nespres<strong>so</strong><br />

hat das Programm 2003 zusammen mit<br />

der Umwelt-NGO „Rainforest Alliance“<br />

gegründet.<br />

Die CO 2<br />

-Neutralität des operativen Geschäfts<br />

wird über eine spezielle agroforstwirtschaftliche<br />

Methode auf den<br />

Kaffeeplantagen des AAA-Programms<br />

erreicht. Über 95 Prozent des verwendeten<br />

Kaffees stammen aus diesen Quellen.<br />

Beim „Insetting“ werden innerhalb<br />

der Kaffeeplantagen <strong>und</strong> in den umliegenden<br />

Gebieten einheimische Bäume<br />

gepflanzt, die alle bei den betrieblichen<br />

Prozessen entstehenden CO 2<br />

-Emissionen<br />

vollständig ab<strong>so</strong>rbieren.<br />

Eine wichtige Rolle bei der Reduzierung<br />

der Treibhausgasemissionen spielt<br />

außerdem der Transport. Der Rohkaffee<br />

in den genannten Regionen wird<br />

ausschließlich auf der Schiene zu den<br />

Produktionszentren transportiert. Auch<br />

die Lieferung zu den Verkaufsstellen<br />

erfolgt, <strong>so</strong>weit es möglich ist, mit der<br />

Eisenbahn.<br />

Dem Ansatz, alle Res<strong>so</strong>urcen <strong>so</strong> umwelt<strong>und</strong><br />

klimafre<strong>und</strong>lich wie möglich zu<br />

nutzen, bleibt Nespres<strong>so</strong> auch im weiteren<br />

Verlauf der Wertschöpfungskette<br />

treu. Be<strong>so</strong>nders deutlich wird dies an<br />

den Kaffeekapseln aus Aluminium. Diese<br />

schützen die Aromen der Premiumkaffees<br />

wie kein anderes Material vor<br />

äußeren Einflüssen wie Luft, Licht <strong>und</strong><br />

Feuchtigkeit. Vor allem aber sind sie<br />

sehr gut recycelbar.<br />

Nahezu energieautarkes Recycling<br />

Denn aluminiumhaltige Leichtverpackungen<br />

wie etwa die Nespres<strong>so</strong> Kapseln<br />

werden in den automatischen<br />

Sortieranlagen der Ent<strong>so</strong>rger durch<br />

<strong>so</strong>genannte Wirbelstromscheider be<strong>so</strong>nders<br />

gut erkannt. Deshalb lassen<br />

sie sich zu qualitativ hochwertigem Sek<strong>und</strong>äraluminium<br />

aufbereiten, aus dem<br />

wiederum neue Produkte entstehen<br />

können. Kein W<strong>und</strong>er al<strong>so</strong>, dass von den<br />

1,3 Millionen Tonnen Aluminium, die<br />

2018 laut Gesamtverband der Aluminiumindustrie<br />

in Deutschland produziert<br />

wurden, knapp 60 Prozent Sek<strong>und</strong>äraluminium<br />

gewesen sind.<br />

58 Ausgabe 13 | Mai 2020 | Umweltdialog.de


<strong>Innovation</strong><br />

Foto: KAY HERSCHELMANN / Nespres<strong>so</strong><br />

Gerade in punkto Energieeffizienz ist<br />

Recycling-Aluminium dem „neuen“ Hütten-Aluminium<br />

deutlich überlegen. Es<br />

werden nämlich nur fünf Prozent der<br />

Energie für dessen Herstellung benötigt.<br />

Aluminiumrecycling mit innovativen<br />

Technologien wie der Pyrolyse ist nach<br />

Einschätzung des UmweltMagazins des<br />

VDI <strong>so</strong>gar weit<strong>gehen</strong>d energieautark.<br />

Denn dabei wird wirklich alles verwertet.<br />

Selbst anhaftende Verschmutzungen<br />

wie beispielsweise Kaffeesatz werden<br />

in Energie für den Anlagenbetrieb<br />

umgewandelt. Nur für den Start der<br />

Pyrolyseanlagen wird externe Heizenergie<br />

benötigt.<br />

Eine der wenigen deutschen Pyrolyse-<br />

Anlagen steht im sächsischen Freiberg<br />

beim Unternehmen Pyral. Dort werden<br />

Aluminium-Abfälle wie etwa Nespres<strong>so</strong><br />

Kaffeekapseln unter Ausschluss von<br />

Sauerstoff bei 450 bis 500 Grad Celsius<br />

quasi gebacken. Durch die Hitze trennen<br />

sich die anhaftenden Materialien vom<br />

Aluminium, ohne aber zu verbrennen,<br />

berichtet das UmweltMagazin.<br />

Diese Reststoffe werden verglimmt. Die<br />

dabei entstehenden Synthesegase werden<br />

gereinigt als Energiequelle in die<br />

Anlage zurückgeführt. Mit der anfallenden<br />

Abwärme wird die Pyrolysekammer<br />

beheizt. Selbst das beim Verschwelen<br />

erzeugte Rauchgas wird abgekühlt. Dabei<br />

entsteht Dampf, der wiederum zur<br />

Stromerzeugung verwendet wird. Zurück<br />

bleibt das <strong>so</strong>rtenreine Aluminium,<br />

das auf verschiedene Weise ohne Qualitätseinbußen<br />

weiterverarbeitet wird.<br />

Keine Kaffeekapsel <strong>so</strong>ll verloren<br />

<strong>gehen</strong><br />

Damit möglichst alle Nespres<strong>so</strong> Kapseln<br />

wiederverwertet werden können, müssen<br />

sie natürlich zuverlässig gesammelt<br />

werden. In Deutschland funktioniert<br />

dies über die Sammlung mit gelben<br />

Säcken oder Wertstofftonnen sehr gut.<br />

Schon 1993 lizenzierte Nespres<strong>so</strong> seine<br />

Verpackungen freiwillig beim Dualen<br />

System Deutschland.<br />

Darüber hinaus investiert Nespres<strong>so</strong><br />

nach eigenen Angaben jährlich 40 Millionen<br />

Euro in ein global integriertes<br />

Recyclingprogramm. Dieses eröffnet<br />

den Liebhabern der portionierten Kaffeespezialitäten<br />

verschiedene Möglichkeiten,<br />

die Wiederverwertung ihrer gebrauchten<br />

Kapseln sicherzustellen: Sie<br />

können diese etwa in jeder Nespres<strong>so</strong><br />

Boutique abgeben. Des Weiteren existieren<br />

weltweit über 100.000 weitere<br />

Kapsel-Sammelstellen. In 33 Ländern<br />

gibt es außerdem „recycling@home“.<br />

Der Postbote nimmt dann Alt-Kapseln<br />

gleich mit, wenn er eine neue Lieferung<br />

vorbeibringt.<br />

Alu-Fahrräder mit Mehrwert<br />

Foto: Velo<strong>so</strong>phy / Jimmy Östholm / Nespres<strong>so</strong><br />

Bereits beim Produktdesign hat<br />

Nespres<strong>so</strong> al<strong>so</strong> auf die gute Recycelbarkeit<br />

der Kapseln geachtet. Zudem kündigt<br />

das Unternehmen für 2020 einen<br />

echten Meilenstein im Bereich <strong>Nachhaltigkeit</strong><br />

an. Dennoch: Nespres<strong>so</strong> forscht<br />

stetig an sinnvollen Alternativen, die in<br />

Frage kommen könnten.<br />

Wie aber sieht nun das „zweite Leben“<br />

der Kaffeeportionsbehälter aus? Vor allem:<br />

vielfältig. Das Sek<strong>und</strong>äraluminium<br />

aus Kapseln kann immer wieder neue<br />

Formen annehmen <strong>und</strong> findet ein zweites<br />

Leben in z. B. Fensterrahmen <strong>und</strong><br />

Autoteilen. Das zeigen auch immer wieder<br />

spannende Kooperationen zwischen<br />

Nespres<strong>so</strong> <strong>und</strong> weiteren Unternehmen.<br />

2019 stellte man beispielsweise gemeinsam<br />

mit dem schwedischen Hersteller<br />

Vélo<strong>so</strong>phy das limitierte RE:CYCLE-<br />

Fahrrad vor, bei dessen Produktion<br />

wiederverwertete Nespres<strong>so</strong> Kapseln<br />

verwendet wurden. Das Be<strong>so</strong>ndere an<br />

Vélo<strong>so</strong>phy: Für jedes verkaufte Modell<br />

schenkt das Unternehmen einem Mädchen<br />

in einem Entwicklungsland ein<br />

Fahrrad. Dadurch erhalten die Mädchen<br />

mehr Handlungsmöglichkeiten <strong>und</strong> können<br />

beispielsweise leichter die Schule<br />

erreichen.<br />

Und auch der zeitlose Kugelschreiber<br />

„849 Nespres<strong>so</strong>“ des Schreibgeräteherstellers<br />

Caran d'Ache zeigt, was mit dem<br />

Recycling von Nespres<strong>so</strong> Aluminiumkapseln<br />

möglich ist: Mehrere Auflagen<br />

des Stifts wurden mittlerweile produziert,<br />

zuletzt im metallisch-schimmernden<br />

Grün der Sorte Master Origins India.<br />

Eine weitere Edition ist geplant. f<br />

Ausgabe 13 | Mai 2020 | Umweltdialog.de<br />

59


Foto: TAW4 / stock.adobe.com<br />

<strong>Innovation</strong><br />

Ein Haus<br />

für <strong>Innovation</strong>en<br />

Foto: Michael Kammeter<br />

Angela Hengsberger,<br />

LEAD <strong>Innovation</strong><br />

Idee plus Markterfolg gleich <strong>Innovation</strong>! Wie Unternehmen<br />

diesen Prozess managen können, weiß Angela Hengsberger.<br />

Sie arbeitet bei LEAD <strong>Innovation</strong> <strong>und</strong> berät Unternehmen in<br />

Sachen <strong>Innovation</strong>smanagement.<br />

Von Sonja Scheferling<br />

UmweltDialog: Frau Hengsberger, viele<br />

gute Ideen landen am Ende doch nur in<br />

der Schublade. Was braucht es, damit aus<br />

Ideen schließlich doch innovative Produkte<br />

oder Services werden?<br />

Angela Hengsberger: Unabhängig davon,<br />

welche großartigen Ideen Entwickler<br />

haben, ist generell der entscheidende<br />

Erfolgsfaktor für <strong>Innovation</strong> der K<strong>und</strong>e.<br />

Denn nur, wenn der Markt eine Idee<br />

für ein neues Produkt oder eine neue<br />

Dienstleistung annimmt, spricht man<br />

überhaupt von <strong>Innovation</strong>.<br />

Das haben wir unter anderem für die<br />

Firma Danone analysiert. Das Ergebnis<br />

der Studie: 90 Prozent der neuen<br />

Produktideen, die man im Supermarkt<br />

kaufen konnte, waren nach Ablauf eines<br />

Jahres wieder aus dem Kühlregal<br />

verschw<strong>und</strong>en, weil die Verbraucher sie<br />

60 Ausgabe 13 | Mai 2020 | Umweltdialog.de


<strong>Innovation</strong><br />

nicht gekauft haben. Deswegen ist es im<br />

<strong>Innovation</strong>smanagement immer sehr<br />

wichtig, den K<strong>und</strong>en einzubinden.<br />

Sie sind Expertin auf dem Gebiet des <strong>Innovation</strong>smanagements.<br />

Klären Sie uns<br />

auf: Woran erkennt man ein innovatives<br />

Unternehmen?<br />

Ein innovatives Unternehmen erkennt<br />

man an den vier Bestandteilen eines<br />

ganzheitlichen, strategischen <strong>Innovation</strong>smanagements.<br />

Wir haben dazu ein<br />

Modell entwickelt, das wir „House of <strong>Innovation</strong>“<br />

nennen. Demnach bilden die<br />

<strong>Innovation</strong>skultur <strong>und</strong> die Struktur die<br />

Gr<strong>und</strong>lage <strong>und</strong> das F<strong>und</strong>ament des <strong>Innovation</strong>smanagements.<br />

Darüber liegt der<br />

<strong>Innovation</strong>sprozess mit seinen Methoden,<br />

der den Rahmen des <strong>Innovation</strong>smanagements<br />

ausmacht. Das Dach bildet<br />

die jeweilige Strategie, nach der sich alle<br />

<strong>Innovation</strong>saktivitäten ausrichten.<br />

Das klingt kompliziert. Können Sie uns<br />

das näher erklären?<br />

Die Strategie gibt an, welche <strong>Innovation</strong>sziele<br />

ein Unternehmen erreichen<br />

will. Wo will es in den nächsten fünf<br />

bis zehn Jahren innovationstechnisch<br />

stehen? Was sind die Trends <strong>und</strong> die<br />

Treiber, die das Unternehmen <strong>und</strong> den<br />

Markt beeinflussen? Durch den <strong>Innovation</strong>sprozess<br />

wird aus einer anfänglichen<br />

Idee eines Mitarbeiters am Ende<br />

ein marktreifes Produkt. Für diesen Prozess<br />

benötigt man die richtigen Methoden<br />

<strong>und</strong> Tools, durch die die Mitarbeiter<br />

überhaupt Ideen entwickeln <strong>und</strong> weiterverarbeiten<br />

können.<br />

Nach meiner Erfahrung ist in einem<br />

typisch deutschen mittelständischen<br />

Unternehmen der Bereich Forschung<br />

<strong>und</strong> Entwicklung strukturell für das<br />

<strong>Innovation</strong>smanagement verantwortlich.<br />

Al<strong>so</strong> dort, wo man täglich an neuen<br />

Ideen arbeitet. Es macht aber auch<br />

Denn nur, wenn<br />

der Markt eine<br />

Idee für ein<br />

neues Produkt<br />

oder eine neue<br />

Dienstleistung<br />

annimmt, spricht<br />

man überhaupt<br />

von <strong>Innovation</strong>.<br />

Sinn, das <strong>Innovation</strong>smanagement als<br />

eigenständige Institution in einem Unternehmen<br />

zu sehen, die als Koordinator<br />

funktioniert. Dabei kümmert sich ein<br />

<strong>Innovation</strong>smanager darum, dass eine<br />

<strong>Innovation</strong>sstrategie steht, der Prozess<br />

designt wird <strong>und</strong> die Mitarbeiter Ideen<br />

entwickeln können.<br />

Wie das?<br />

Ein <strong>Innovation</strong>smanager dirigiert die an<br />

neuen Ideen arbeitenden Mitarbeiter <strong>so</strong>,<br />

dass Unternehmen deren kreatives Potenzial<br />

ausschöpfen können. Beispielsweise<br />

organisiert er Kreativworkshops<br />

oder <strong>so</strong>rgt für die entsprechenden Fortbildungen<br />

der Kollegen. Er hat außerdem<br />

relevante Trends <strong>und</strong> Treiber im<br />

Blick.<br />

Was macht eine <strong>Innovation</strong>skultur aus?<br />

Eine gute <strong>Innovation</strong>skultur erkennt<br />

man an den Parametern „dürfen“,<br />

„können“ <strong>und</strong> „wollen“. So müssen Unternehmen<br />

zunächst den Angestellten<br />

ermöglichen, dass diese an <strong>Innovation</strong>en<br />

arbeiten dürfen. Google etwa stellt<br />

seinen Mitarbeitern dafür 25 Prozent<br />

ihrer Arbeitszeit zur Verfügung. Beim<br />

„können“ geht es darum, dass man die<br />

Mitarbeiter kontinuierlich schult <strong>und</strong><br />

sie dazu befähigt, an <strong>Innovation</strong>en zu<br />

arbeiten. Schlussendlich muss man bei<br />

den Mitarbeitern aber auch eine intrinsische<br />

Motivation dafür wecken.<br />

Auch beim <strong>Innovation</strong>smanagement gilt:<br />

„You can only manage, what you measure”.<br />

Welche Kennzahlen sind relevant, um<br />

die <strong>Innovation</strong>stätigkeit eines Unternehmens<br />

zu messen?<br />

Es gibt eine Vielzahl von <strong>Innovation</strong>skennzahlen,<br />

die man maßgeschneidert<br />

für das eigene Unternehmen auswählen<br />

<strong>so</strong>llte. Zwei davon passen allerdings auf<br />

jedes Unternehmen: Das sind zum einen<br />

die <strong>Innovation</strong>srate <strong>und</strong> zum anderen<br />

die <strong>Innovation</strong>squote.<br />

Die <strong>Innovation</strong>srate stellt die <strong>Innovation</strong>stätigkeit<br />

in Beziehung zum Umsatz<br />

des Unternehmens. Da sie den Umsatz<br />

der <strong>Innovation</strong>en misst, gibt sie darüber<br />

Auskunft, ob Neuentwicklungen<br />

am Markt erfolgreich sind oder nicht.<br />

Die <strong>Innovation</strong>squote zeigt, wie wichtig<br />

einem Unternehmen <strong>Innovation</strong>en sind,<br />

da sie deren Anzahl mit dem gesamten<br />

Sortiment in Beziehung setzt.<br />

Vielen Dank für das Gespräch! f<br />

Ausgabe 13 | Mai 2020 | Umweltdialog.de<br />

61


<strong>Innovation</strong><br />

Erfindungen,<br />

die eigentlich für<br />

etwas ganz anderes<br />

gedacht waren<br />

Grafik: christianchan / stock.adobe.com<br />

Die wichtigsten Erfindungen <strong>und</strong> <strong>Innovation</strong>en<br />

<strong>gehen</strong> entweder auf einen großen Geist oder<br />

auf einen Zufall zurück. Und dann gibt es noch<br />

eine kleine dritte Gruppe: Das sind die Erfindungen,<br />

die eigentlich für etwas ganz anderes<br />

gedacht waren…<br />

62 Ausgabe 13 | Mai 2020 | Umweltdialog.de


<strong>Innovation</strong><br />

Foto: Roman Samokhin / stock.adobe.com<br />

Kaugummi<br />

Naturkautschuk war bis weit ins 20. Jahrh<strong>und</strong>ert<br />

einer der wertvollsten Rohstoffe weltweit.<br />

Ursprünglich aus dem Amazonasbecken<br />

stammend, bescherte Kautschuk den<br />

Großgr<strong>und</strong>besitzern r<strong>und</strong> um Manaus<br />

sagenhaften Reichtum. Die aufkommende Autoindustrie<br />

<strong>und</strong> damit der Bedarf an Reifen heizte die Nachfrage immer<br />

weiter an. Der amerikanische Erfinder Thomas Adams wollte an dem großen Geschäft<br />

teilhaben <strong>und</strong> experimentierte mit weichem Kautschuk. Vergeblich. Aber kauen ließ sich der Kautschuk<br />

gut. 1888 waren Adams kugelr<strong>und</strong>e „Kaugummis“ erstmals an einem Automaten erhältlich. Elf Jahre<br />

später schlossen Adams <strong>und</strong> sein Wettbewerber Wrigley ein Abkommen: Während sie in den USA konkurrierten,<br />

bekam Adams das Vertriebs-Monopol für Lateinamerika <strong>und</strong> Wrigley das für Europa.<br />

Coca-Cola<br />

Grafik: freepik.com<br />

Post-Its<br />

1968 begann Dr. Spencer Silver für 3M<br />

mit der Entwicklung eines Superklebers<br />

für den Bau von Flugzeugen. Das klappte<br />

nicht <strong>so</strong> recht, denn sein Klebstoff<br />

ließ sich leicht wieder lösen. Silver suchte<br />

jahrelang vergeblich nach einer alternativen<br />

Einsatzmöglichkeit für seine<br />

Erfindung. 1977 sprach ihn sein Kollege<br />

Art Fry an: Der sang im Kirchenchor<br />

<strong>und</strong> war genervt, dass die Lesezeichen<br />

immer aus den Gesangsbüchern fielen.<br />

Fry <strong>und</strong> Silver machte sich an die Arbeit<br />

– unter Zuhilfenahme von gelbem<br />

Schmierpapier aus dem Nachbarlabor.<br />

Der Post-it war geboren!<br />

Foto: rcfotostock / stock.adobe.com<br />

Dr. John Pemberton war ein<br />

amerikanischer Apotheker <strong>und</strong><br />

Offizier der Südstaaten. Während<br />

des Bürgerkrieges zog er sich<br />

eine Kriegsverletzung zu <strong>und</strong><br />

war er auf Schmerzmittel<br />

angewiesen. Mit der Zeit<br />

wurde Pemberton morphiumsüchtig<br />

<strong>und</strong> suchte nach<br />

einer legalen Alternative.<br />

Kokain galt damals nicht<br />

als ges<strong>und</strong>heitsgefährdende<br />

Droge. Und <strong>so</strong> mixte<br />

er ein Getränk aus Kokain<br />

<strong>und</strong> anderen Zutaten.<br />

Pemberton <strong>so</strong>llte von<br />

seiner genialen Idee nie erfahren<br />

– er verkaufte zwei<br />

Tage nach dem Patentantrag<br />

zwei Drittel seiner<br />

Rechte an Dritte, um Geld<br />

für seine Sucht zu bekommen.<br />

Den Rest verkaufte<br />

er wenig später <strong>und</strong><br />

starb an einer Überdosis<br />

Morphium.<br />

Ausgabe 13 | Mai 2020 | Umweltdialog.de<br />

63


<strong>Innovation</strong><br />

Viagra<br />

Herzmittel sind ein großes Geschäft.<br />

Zunehmendes Alter, Übergewicht,<br />

Bewegungsmangel – all das führt<br />

zu Bluthochdruck, Herzproblemen<br />

<strong>und</strong> Sauerstoffmangel<br />

des Herzens (Angina Pectoris).<br />

Medikamente dagegen sind ein<br />

einträgliches Geschäft, denn<br />

Patienten nehmen diese in der<br />

Regel über viele Jahre. Auch der<br />

amerikanische Pharma-Riese Pfizer<br />

forscht in diesem Bereich. Anfang<br />

der 90er führte er eine klinische Studie<br />

im britischen Kleinstädtchen Sandwich<br />

durch. Die Ergebnisse waren unter<br />

herzmedizinischer Sicht ein ab<strong>so</strong>luter<br />

Fehlschlag. Dennoch waren die Patienten<br />

hochzufrieden, denn die kleinen<br />

blauen Pillen hatten eine ganz spezielle<br />

„Nebenwirkung“.<br />

Foto: Soru Epotok / stock.adobe.com<br />

Blindenschrift<br />

Grafik: dzm1try / stock.adobe.com<br />

Im Krieg siegt oft das Überraschungsmoment. Und dazu<br />

gehört es, nicht entdeckt zu werden. Während der Napoleonischen<br />

Kriege beauftragte Bonaparte deshalb einen Fachmann<br />

damit, eine Technik zu entwickeln, mit der die Soldaten<br />

miteinander kommunizieren könnten, ohne dabei Licht oder<br />

Geräusche zu machen. Der Offizier Charles Barbier entwickelt<br />

daraufhin eine <strong>so</strong>genannte „Nachtschrift“, die er Sonographie<br />

nannte. Diese bestanden aus jeweils zwei senkrechten Reihen<br />

von ein bis sechs Punkten, denen alle französischen Laute<br />

zugeordnet waren. In der Armee konnte sich Barbiers Idee<br />

nicht durchsetzen. 1819 wandet er sich an das Blindeninstitut<br />

(Institut Royal des Jeunes Aveugles) in Paris. Dort traf er<br />

auf den blinden, gerade einmal elf Jahre alten Louis Braille,<br />

der begeistert war. Allerdings hatte er viele Verbesserungsvorschläge,<br />

was nun wiederum Barbier nicht begeisterte.<br />

Fre<strong>und</strong>e wurden die beiden nicht mehr, <strong>und</strong> Braille entwickelte<br />

die Idee alleine weiter zur heutigen Braille-Schrift.<br />

64 Ausgabe 13 | Mai 2020 | Umweltdialog.de


<strong>Innovation</strong><br />

Luftpolster<br />

Ob beim Umzug oder Versand: Immer dann,<br />

wenn Zerbrechliches eingepackt werden<br />

<strong>so</strong>ll, kommt die Luftpolsterfolie zum Einsatz.<br />

Mittlerweile spielen Luftpolster auch bei der<br />

geplanten Landung auf dem Mars eine ganz<br />

zentrale Rolle, <strong>so</strong>llen sie doch die „zerbrechliche<br />

Ladung“ Mensch schützen. Die Luftpolsterfolie<br />

wurde 1957 eher zufällig von den<br />

beiden Ingenieuren Alfred Fielding <strong>und</strong> Marc<br />

Chavannes in einer Garage in New Jersey erf<strong>und</strong>en.<br />

Gedacht war sie damals als Tapete:<br />

Abwaschbar <strong>und</strong> leicht anzubringen <strong>so</strong>llte<br />

die „Bubble Wrap“ die modernen amerikanischen<br />

Wohnzimmer erobern. Daraus wurde<br />

bekanntlich nichts, aber dafür gab es rege<br />

Nachfrage aus der Industrie nach diesem<br />

Verpackungsmaterial. Und <strong>so</strong> wurde aus der<br />

Luftnummer doch ein dauerhaftes Geschäft.<br />

Foto: Swapan / stock.adobe.com<br />

Frisbee<br />

Sonne, Strand, Frisbee spielen. Das vielseitige<br />

Plastikteil war ursprünglich etwas ganz<br />

anderes: Ein Teller. Die Frisbie Pie Company<br />

war bis Ende der 1950er Jahre eine große<br />

Bäckerei in den Neuenglandstaaten. Bis zu<br />

80.000 Torten (Pies) wurden dort jeden Tag<br />

ausgeliefert. Dafür musste der Boden stabil<br />

sein, leicht zu reinigen, wiederwendbar <strong>und</strong><br />

günstig in der Herstellung. Und <strong>so</strong> kamen<br />

schon bald Plastikteller zum Einsatz. Und<br />

weil in der Nachbarschaft der Bäckerei<br />

eine Schule lag, kam es, wie es kommen<br />

musste: Die Kids fingen an, die leeren Teller<br />

herum zu werfen. Frisbeeeeeeeee.<br />

Foto: Daniel Deak Bardos / stock.adobe.com<br />

Ausgabe 13 | Mai 2020 | Umweltdialog.de<br />

65


Foto: pinkeyes / stock.adobe.com<br />

<strong>Innovation</strong><br />

5Fragen zur Künstlichen<br />

Intelligenz<br />

66 Ausgabe 13 | Mai 2020 | Umweltdialog.de


<strong>Innovation</strong><br />

Welche Umsatzpotenziale<br />

<strong>und</strong> Produktivitätseffekte<br />

haben KI-getriebene<br />

Geschäftsmodelle für<br />

Industriebetriebe? Machen<br />

Maschinen uns Menschen<br />

überflüssig? Prägt Scrum<br />

künftig unseren Joballtag?<br />

Wie geht „grüne“<br />

Digitalisierung? Und wie<br />

bekommen wir auch den<br />

Mittelstand eingeb<strong>und</strong>en?<br />

Antworten auf einige<br />

wichtige Fragen.<br />

Technologisch betrachtet ist<br />

Künstliche Intelligenz nichts anderes<br />

als die Fortführung der digitalen<br />

Transformation: Sie ermöglicht<br />

es dem Menschen, sich bei der Arbeit<br />

von – nunmehr ständig dazu lernenden<br />

– Computersystemen unterstützen zu<br />

lassen.<br />

Denn lernfähige Computersysteme ermöglichen<br />

es, durch die intelligente<br />

Verknüpfung von Daten neue Erkenntnisse<br />

zu gewinnen. Dadurch lassen sich<br />

unternehmerische Prozesse entlang der<br />

gesamten Wertschöpfungskette optimieren<br />

<strong>und</strong> neue Geschäftsmodelle entwickeln<br />

– nicht nur für Großunternehmen.<br />

Immer mehr Betriebe wandeln sich<br />

deshalb vom reinen Produkthersteller<br />

zum innovativen Lösungsanbieter mit<br />

neuartigen Geschäftsmodellen <strong>und</strong> ergänzen<br />

ihr Kernprodukt um komplementäre<br />

Services. Die Digitalisierung<br />

spielt dabei eine entscheidende Rolle,<br />

weil digitale Technologien in hohem<br />

Maße die Entstehung neuer Geschäftsmodelle<br />

erleichtern. In Zukunft wird der<br />

Wettbewerb nicht mehr allein zwischen<br />

Produkten oder Prozessen, <strong>so</strong>ndern vielmehr<br />

zwischen Geschäftsmodellen stattfinden<br />

<strong>und</strong> für Industriebetriebe neue<br />

Wachstumspotenziale <strong>und</strong> Märkte mit<br />

sich bringen.<br />

Doch wie wirken sich digitale Geschäftsmodelle<br />

auf die Wettbewerbssituation,<br />

<strong>Innovation</strong>sfähigkeit <strong>und</strong> Produktivität<br />

von Unternehmen aus? Fünf Fragen <strong>und</strong><br />

Antworten dazu:<br />

>><br />

Ausgabe 13 | Mai 2020 | Umweltdialog.de<br />

67


Frage<br />

1<br />

Wie gelingt der Transfer von<br />

KI in den Mittelstand?<br />

Selbstlernende Computersysteme, die Bäckereien tagesaktuell bei ihrer Absatzplanung<br />

unterstützen. Eine Software, die mit Hilfe von Methoden des maschinellen<br />

Lernens die Fertigungsqualität hochpräziser Bauteile sichert. Eine intelligente Preissuchmaschine,<br />

die Händler dabei unterstützt, den besten Marktpreis für ihre online<br />

vertriebenen Produkte festzulegen. KI-basierte Anwendungen halten längst Einzug<br />

in die Wirtschaft – auch in mittelständische Betriebe.<br />

Insgesamt zeigen sich deutsche Mittelständler beim Einsatz von KI-Systemen noch<br />

zurückhaltend, <strong>so</strong> eine aktuelle Studie der Universität des Saarlandes, für die europaweit<br />

200 große Mittelständler (Jahresumsatz zwischen 10 <strong>und</strong> 50 Millionen Euro)<br />

befragt wurden. Mit KI beschäftigt sich demnach erst ein Drittel der Unternehmen,<br />

lediglich 13 Prozent verfügen nach eigener Einschätzung über fortgeschrittene<br />

Kenntnisse zum Thema.<br />

Leitfäden, Stolperfallen, Fördermöglichkeiten<br />

Die Plattform Lernende Systeme der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften<br />

will Mittelständlern eine Anlaufstelle bieten, um sich über die Bedeutung von<br />

Künstlicher Intelligenz für das eigene Geschäft zu informieren. Sie zeigt in ihrem<br />

Web-Special, worauf es bei der Einführung von KI im Unternehmen ankommt <strong>und</strong><br />

welche klassischen Fehler zu vermeiden sind. Gut zu wissen ist auch: Wo können<br />

sich Mittelständler kostenlos zum Thema KI weiterbilden? Welche Vernetzungsangebote<br />

gibt es in ihrer Region? Und nicht zuletzt: Mit welchen Programmen fördern<br />

B<strong>und</strong> <strong>und</strong> Länder den Einsatz von Künstlicher Intelligenz im Mittelstand? Aktuelle<br />

Termine zu KI-spezifischen Veranstaltungen für den Mittelstand <strong>so</strong>wie Leitfäden <strong>und</strong><br />

Publikationen ergänzen das Angebot.<br />

Frage<br />

2<br />

Kann 5G zum Wegbereiter einer<br />

„grünen“ Digitalisierung werden?<br />

Unterhaltung <strong>und</strong> Information sind längst essenzielle Bestandteile der mobilen<br />

Datennutzung der Verbraucher. Dieser Trend wird durch immer umfangreichere Tarife<br />

<strong>so</strong>wie bessere <strong>und</strong> leistungsfähigere Netze weiter getrieben. Doch welche digitalen<br />

Anwendungen sind be<strong>so</strong>nders nachhaltig <strong>und</strong> sinnstiftend? Und ergeben sich<br />

mit 5G künftig neue Anwendungen, die zu mehr Umweltschutz <strong>und</strong> <strong>Nachhaltigkeit</strong><br />

beitragen können? „Wenn es uns mit 5G möglich ist, das Datenvolumen mit weit weniger<br />

Energieverbrauch bereitzustellen, was machen wir dann sinnvollerweise mit<br />

den Daten? Oder wirkt 5G wie ein Brandbeschleuniger?“, hinterfragt zum Beispiel<br />

Digitalisierungsexperte Profes<strong>so</strong>r Santarius den Umgang mit dem Mobilfunkstandard<br />

<strong>und</strong> den neuen technischen Möglichkeiten. Er appelliert an Nutzer <strong>und</strong> Unternehmen,<br />

über die Datennutzung <strong>und</strong> deren Zweck intensiver zu reflektieren.<br />

Einen konkreten, positiven Anwendungsfall erläutert Joachim Sandt, Umweltbeauftragter<br />

bei Telefónica Deutschland: „Ein Beispiel, das bereits heute gut funktioniert,<br />

sind hochzuverlässige Videokonferenzen in Unternehmen, mit denen sich die Teilnehmer<br />

Auto- oder Flugreisen sparen können. Das ist eine konkrete Möglichkeit, bei<br />

der wir zwar Energie über unser Netz einsetzen müssen, aber dadurch an anderer<br />

Stelle deutliche Emissionen einsparen können.“<br />

68 Ausgabe 13 | Mai 2020 | Umweltdialog.de


Neue digitale Chancen <strong>und</strong> politische Teilhabe<br />

„Die Dringlichkeit der Klimakrise zeigt, dass wir unbedingt alles tun müssen, um<br />

die Emissionen zu reduzieren – <strong>und</strong> das drastisch“, sagt die Fridays for Future-Aktivistin<br />

Pauline Brünger. Dabei sind 5G <strong>und</strong> Digitalisierung für die Gesprächspartner<br />

auch Themen, die in einem gesamtgesellschaftlichen Kontext betrachtet <strong>und</strong><br />

diskutiert werden müssen. Durch ein schnelleres Netz können sich beispielsweise<br />

junge Menschen wie die von der Fridays for Future-Bewegung über digitale Kanäle<br />

organisieren <strong>und</strong> sich für wichtige gesellschaftliche Themen wie den Klimaschutz<br />

einsetzen. Hier zeigt sich, dass Anwendungen wie Social Media sehr sinnstiftend<br />

eingesetzt werden können.<br />

Ist Digitalisierung ein rein<br />

technisches Thema?<br />

Jeder spricht heute über Digitalisierung. So manchen mag das schon ermüden. Unternehmen<br />

müssen sich aber intensiv damit beschäftigen – <strong>und</strong> zwar alle, sagt Prof.<br />

Dr. Dennis Lotter von der Hochschule Fresenius in Wiesbaden. Denn: Die meisten<br />

meinen immer noch, es dreht sich alles um Technologie. Dabei geht es vielmehr um<br />

Kultur. „Die Technologie ist nur ein Treiber oder „Enabler“. Digitale Transformation<br />

ist ein hoch gestalterischer Akt, den immer noch Menschen initiieren <strong>und</strong> umsetzen<br />

müssen. Das kann keine Technik leisten“, sagt Prof. Dr. Dennis Lotter. „Viele haben<br />

noch nicht verstanden, dass die erfolgreiche digitale Transformation vor allem die<br />

Veränderung der Unternehmenskultur voraussetzt.“ Und es müssten sich wirklich<br />

alle damit befassen, unabhängig von der Branche oder der Größe: Immer mehr Wertschöpfungsketten<br />

verzahnen sich, <strong>und</strong> wer sich der Vernetzung verschließt, droht<br />

den Anschluss zu verlieren.<br />

3<br />

Frage<br />

Was heißt das konkret – Veränderung der Unternehmenskultur?<br />

Die Digitalisierung, neue Technologien heben Grenzen auf <strong>und</strong> eröffnen vollkommen<br />

neue Methoden des Zusammenwirkens. „In vielen Bereichen können wir heute zum<br />

Beispiel schon zeit- <strong>und</strong> ortsunabhängig arbeiten“, erklärt Lotter. „Die Technologie<br />

zu haben <strong>und</strong> bereitzustellen bringt aber nichts, wenn ich als Geschäfts- oder Bereichsleiter<br />

dann doch eine festgelegte Präsenz im Büro erwarte.“ Digital Leadership<br />

heißt für Lotter, Trainer oder Coach zu sein, der eine Vision hat, diese vorlebt <strong>und</strong><br />

als Mentor begleitet. Er oder sie lässt dem Team einen hohen Freiheitsgrad bei der<br />

Beantwortung der Frage, wie dieses Ziel, diese Vision erreicht werden kann.<br />

Digitale Transformation hat mit „Design“ zu tun. Wie <strong>gehen</strong> Designer vor? Sie experimentieren,<br />

werten Misserfolge als Lernprozess. Man mag einwenden, dass Unternehmen<br />

sich Experimente nicht leisten können. Das Risiko des großen Fehlwurfs<br />

vermeiden sie indes, wenn sie einerseits zwar schnell in den Realitätscheck <strong>gehen</strong>,<br />

andererseits aber kleine Schritte machen. „Wir arbeiten in kleinen Iterationen, wechseln<br />

vom Marathon zum Sprint. Wir legen die Mentalität ab, lange Zeiträume für Projekte<br />

zu haben. Das entspricht der heutigen Dynamik“, führt Lotter aus. Er sagt auch,<br />

dass es „Unternehmen heute gelingen muss, einer Organisation eine Sinnstiftung zu<br />

geben, die über das Gewinnmaximierungsmantra hinausgeht.“ Digital Natives stellen<br />

heute andere Ansprüche an Unternehmen, ob in der Rolle als Arbeitgeber oder<br />

Dienstleister. „Geschäftsführer müssen die Frage beantworten, wie sie ein ganzheitliches<br />

K<strong>und</strong>enerlebnis erschaffen können. Nur mit einzelnen technischen Features<br />

werden sie in Zukunft nicht mehr punkten können.“ >><br />

Ausgabe 13 | Mai 2020 | Umweltdialog.de<br />

69


4<br />

Frage<br />

Agilität in Unternehmen:<br />

Trend oder Hype?<br />

Agilität im Unternehmenskontext spaltet die Führungsebenen: Für die einen ist es<br />

essenziell für die langfristige Wettbewerbsfähigkeit, während andere die Methoden<br />

als einen unnötigen Hype bezeichnen. Aktuelle Studien zeigen jedoch: Agilität ist<br />

kein kurzfristiger Trend, <strong>so</strong>ndern die Arbeitsweise <strong>und</strong> -kultur der Zukunft.<br />

Die agile Transformation steht in den Startlöchern <strong>und</strong> bereitet sich auf ihren großen<br />

Durchbruch vor. Zumindest bestätigen das die Zahlen aus einer Studie des Marktforschungsinstitutes<br />

Lünendonk: Jedes dritte Vorhaben wird aktuell mit Hilfe von<br />

agilen Methoden umgesetzt.<br />

„Agil ist doch das mit Scrum?“ lautete die Frage eines Workshop-Teilnehmers. Die<br />

Antwort lautet: Ja, Scrum ist eine agile Methode. Agilität umfasst weit mehr als diese<br />

eine methodische Ausprägung.<br />

Beispiele für agile Methoden in der Arbeitsweise<br />

• Design Thinking zur k<strong>und</strong>enzentrierten<br />

Ideenfindung & -erprobung<br />

• Business Model Canvas als systematische<br />

Überprüfung der Wirtschaftlichkeit von neuen<br />

oder bestehenden Lösungen<br />

• Lean Startup, Kanban <strong>so</strong>wie Scrum in der<br />

schnelleren, iterativen, risikoärmeren<br />

Umsetzung<br />

• OKR (Objectives & Key Results) als agile<br />

Zielphilo<strong>so</strong>phie <strong>und</strong> -systematik, die die<br />

Mitarbeiter involviert.<br />

Nutzen von Agilität in Unternehmen<br />

Richtig angewandt bringt Agilität in Organisationen viele Vorteile mit sich. Agile<br />

Methoden beschleunigen laut Ergebnissen von Lünendonk in erster Linie die Markteinführung<br />

<strong>und</strong> erhöhen die K<strong>und</strong>enorientierung. Beispiele für erwartete <strong>und</strong> umgesetzte<br />

Benefits sind deutlich erhöhte Steigerungsraten bei diesen Themen: Teamwork,<br />

K<strong>und</strong>enzufriedenheit, <strong>Innovation</strong>sgeschwindigkeit, Ergebnisqualität <strong>so</strong>wie<br />

vielen weiteren Aspekten.<br />

Knackpunkt Führungsebene<br />

Gerade im Top-Management sind die Zahlen laut der Scalable Agility Studie von<br />

Lünendonk ernüchternd. Zwar geben 43 Prozent der Führungskräfte an, die Umstellung<br />

auf agile Methoden aktiv voranzutreiben, doch nur 22 Prozent leben agile<br />

Vor<strong>gehen</strong>sweisen im Unternehmen selbst vor. Auch die Incentivierung der Führungskräfte<br />

zahlt lediglich zu 13 Prozent auf agile Kennzahlen ein. Bei der nötigen<br />

Kompetenz der Führungskräfte zeigt sich ein ähnliches Bild: Nur ein Viertel der<br />

befragten Unternehmen geben an, Führungskräfte positioniert zu haben, die Projekte<br />

in einem digitalen Kontext <strong>und</strong> agilen Modus erfolgreich planen <strong>und</strong> umsetzen<br />

können.<br />

70 Ausgabe 13 | Mai 2020 | Umweltdialog.de


Machen Maschinen uns<br />

Menschen überflüssig?<br />

Der technische Fortschritt krempelt die Arbeitswelt derzeit kräftig um. Schon heute<br />

arbeiten Roboter, Computer <strong>und</strong> Co. an vielen Stellen schneller, präziser, günstiger<br />

als Menschen. Nehmen sie uns die Arbeitsplätze weg? Wer Antworten auf diese Frage<br />

sucht, trifft auf zwei Lager: Die Pessimisten auf der einen Seite, die einen Generalangriff<br />

auf Jobs <strong>und</strong> Löhne befürchten, der Gering- <strong>und</strong> Hochqualifizierte gleichermaßen<br />

trifft. Auf der anderen Seite stehen die Optimisten. Sie argumentieren, dass<br />

sich die Angst vor technischem Fortschritt in der Geschichte stets als übertrieben<br />

erwiesen hat. Einig sind sich beide Lager allerdings darin, dass die Arbeitswelt derzeit<br />

enorme Verwerfungen durchlebt.<br />

5<br />

Frage<br />

400 Millionen Vollzeitstellen in Gefahr?<br />

Das McKinsey Global Institute (MGI) ist dem in einer großen Studie auf die Spur<br />

gegangen. Schon 2030 könnten demnach 15 Prozent der heute üblichen Tätigkeiten<br />

in verschiedenen Berufen durch Automatisierung ersetzt werden. Weltweit entspräche<br />

das 400 Millionen Vollzeitstellen. Entwicklungsländer seien dabei weniger stark<br />

betroffen als Industrieländer, wo das hohe Lohnniveau starke Anreize zur Automatisierung<br />

biete.<br />

In Deutschland stehen im MGI-Durchschnittsszenario knapp 25 Prozent der Jobs auf<br />

der Kippe. Tritt das Szenario ein, müssten bis 2030 r<strong>und</strong> acht Prozent der Beschäftigten<br />

auf einen anderen Beruf umsatteln. Das wären drei Millionen Menschen. Eine<br />

Studie des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung kam 2015 zu deutlich<br />

höheren Zahlen. Demnach arbeiten 42 Prozent der Deutschen in Berufen mit einer<br />

hohen Automatisierungswahrscheinlichkeit. Das MGI geht zwar davon aus, dass sich<br />

nur fünf Prozent aller Jobs komplett automatisieren lassen. Doch bei 60 Prozent aller<br />

Berufe könnten mindestens 30 Prozent der Tätigkeiten durch Roboter, Computer <strong>und</strong><br />

lernende Systeme übernommen werden. Je weniger vorhersehbar <strong>und</strong> kreativer eine<br />

Tätigkeit ist, desto geringer schätzt das MGI ihr Potenzial zur technischen Automatisierung<br />

ein. Doch selbst hochqualifizierte Beschäftigte dürften deren Auswirkungen<br />

zu spüren bekommen, <strong>so</strong>gar Unternehmensvorstände. Ein Viertel ihrer täglichen<br />

Arbeit könne automatisiert werden, <strong>so</strong> die Denkfabrik, vor allem Analyse- <strong>und</strong> Planungsaufgaben.<br />

Jobbilanz mittelfristig positiv<br />

Geht uns al<strong>so</strong> die Arbeit aus? Das MGI erwartet das nicht. In Deutschland entstünden<br />

genügend Jobs, um die Verluste zu kompensieren. Auch weltweit wäre die Bilanz unter<br />

bestimmten Voraussetzungen positiv. Behält das MGI mit seinem Durchschnittsszenario<br />

recht, könnten bis 2030 global 390 bis 590 Millionen neue Stellen entstehen<br />

– deutlich mehr als wegfallen. Treiber hinter diesem Jobwachstum sind laut MGI<br />

vor allem die Sektoren Pflege, Ges<strong>und</strong>heit <strong>und</strong> Technologie, außerdem Investitionen<br />

in Infrastruktur <strong>und</strong> erneuerbare Energie. Vor allem schaffe die Automatisierung<br />

mehr Wohlstand, gerade in den Schwellenländern. Weltweit <strong>so</strong>llen <strong>so</strong> allein über<br />

300 Millionen neue Arbeitsplätze entstehen – <strong>und</strong> neue Märkte, von denen auch<br />

Deutschland profitiere.<br />

Das MGI verweist zudem auf die Geschichte: Der Einsatz bahnbrechender neuer<br />

Technologien habe den Arbeitsmarkt immer erschüttert, jedoch auf lange Sicht viele<br />

neue Jobs geschaffen. Für das Jahr 2030 erwartet das Institut, dass acht bis neun<br />

Prozent der Arbeit in Berufen nachgefragt wird, die es zuvor nicht gab. f<br />

Ausgabe 13 | Mai 2020 | Umweltdialog.de<br />

71


<strong>Innovation</strong><br />

Weni<br />

ist manchmal doch<br />

mehr<br />

loading<br />

Die IT-Branche funktioniert nach<br />

dem Mooreschen Gesetz. Alle<br />

20 Monate verdoppelt sich die<br />

Prozes<strong>so</strong>rleistung, <strong>und</strong> damit<br />

einher<strong>gehen</strong>d auch der Stromverbrauch<br />

<strong>und</strong> das Angebot<br />

an neuen Programmen.<br />

Wir haben uns alle daran<br />

gewöhnt. Elmar Schüller nicht.<br />

Der Wirtschafts-, <strong>Innovation</strong>s<strong>und</strong><br />

Designexperte findet:<br />

Wir müssen es wieder schaffen,<br />

das Überflüssige wegzulassen.<br />

72 Ausgabe 13 | Mai 2020 | Umweltdialog.de


<strong>Innovation</strong><br />

ger<br />

UmweltDialog: Digitalisierung ist in aller<br />

M<strong>und</strong>e, aber nur wenige hinterfragen den<br />

Trend. Sie verweisen auf den Unterschied<br />

zwischen Dateneffizienz <strong>und</strong> digitaler<br />

Effizienz. Können Sie uns das näher erläutern?<br />

Elmar Schüller: Eine E-Mail, wo Sie nur<br />

das Wort „Hallo“ schreiben, verursacht<br />

schon zehn Gramm CO 2<br />

. Viele machen<br />

sich darüber keine Gedanken, <strong>so</strong>ndern<br />

überlegen nur, wie sie immer mehr<br />

Daten immer schneller versendet <strong>und</strong><br />

gespeichert bekommen. Kein Mensch<br />

fragt hier mal nach der Qualität der Daten:<br />

Brauchen wir die überhaupt alle in<br />

dieser Form? Das beschreibt im Gr<strong>und</strong>e<br />

genommen meinen Ansatz. Es geht<br />

nicht um Moralisieren, <strong>so</strong>ndern darum,<br />

kritisch zu hinterfragen, ob wir diese<br />

Datenberge benötigen.<br />

Oft ist es nämlich <strong>so</strong>: In dem Moment, in<br />

dem wir die Datenmengen reduzieren,<br />

erhöhen wir damit deren Effizienz. Sie<br />

senken damit zum Beispiel die Fehleranfälligkeit.<br />

Und das gilt im Gr<strong>und</strong>e<br />

genommen auf allen Unternehmensebenen.<br />

Das ist eine organisatorische,<br />

eine sicherheitsrelevante, in Corona-<br />

Zeiten eine ges<strong>und</strong>heitsrelevante <strong>und</strong><br />

damit auch eine nachhaltige Effizienz.<br />

Gerade jetzt in der aktuellen Krisenzeit<br />

sehen wir, dass aufgr<strong>und</strong> der Einrichtung<br />

von Home-Office-Arbeitsplätzen<br />

die Datenleitungen vollkommen überlastet<br />

sind. Die damit einher<strong>gehen</strong>den<br />

Arbeitszeit- <strong>und</strong> Effizienzverluste sind<br />

bereits jetzt immens. Und das ist erst<br />

der Anfang.<br />

Damit stellen Sie die vorherrschende<br />

IT-Landschaft ziemlich in den Regen. Die<br />

Datenmengen haben doch einen Gr<strong>und</strong>,<br />

oder?<br />

Als ich zu diesem Business gestoßen<br />

bin, habe ich gesagt: Ich mache das nur,<br />

wenn wir den Software-Markt komplett<br />

neu denken. Wenn wir genau das Gegenteil<br />

von dem tun, was da zurzeit passiert.<br />

Was passiert gerade? Micro<strong>so</strong>ft, Apple,<br />

Google <strong>und</strong> alle anderen haben das Geschäftsmodell<br />

der Abhängigkeit. Wenn<br />

ich zum Beispiel einmal Office benutze,<br />

muss ich mir immer wieder eine neue<br />

Lizenz kaufen. Wenn ich einen neuen<br />

Mitarbeiter habe, muss der die auch bekommen.<br />

Dann kommt ein Update <strong>und</strong><br />

sie bangen danach, ob anschließend der<br />

Drucker überhaupt noch da ist, ob sie<br />

wieder neue Treiber installieren müssen<br />

etc. Das sind alles potenzielle Fehlerquellen,<br />

die wir im Gr<strong>und</strong>e genommen<br />

nicht brauchen.<br />

Nebenbei erwähnt, haben wir gerade<br />

getestet, dass ein PC mit einem Office-<br />

Paket darauf einen ca. 400 Mal <strong>so</strong> hohen<br />

Energieverbrauch beim Start hat als ein<br />

Computer, den Sie unter Linux mit denselben<br />

Funktionen starten. Das bedeutet,<br />

dass al<strong>so</strong> diese Systeme zu komplex<br />

geworden sind, obwohl ich nur einen<br />

Bruchteil der Systeme benutzen kann<br />

<strong>und</strong> muss.<br />

Unser Ansatz ist, dass wir alles weglassen,<br />

was der K<strong>und</strong>e nicht braucht,<br />

<strong>und</strong> nur die Funktionen aktivieren, die<br />

wirklich relevant sind. Das macht das<br />

System schlank <strong>und</strong> schnell. Außerdem<br />

erzeugen wir keine Abhängigkeiten<br />

von Unternehmen. Sie <strong>so</strong>llen das, >><br />

Ausgabe 13 | Mai 2020 | Umweltdialog.de<br />

73


<strong>Innovation</strong><br />

"<br />

Sie müssen es<br />

einfach immer<br />

wieder schaffen,<br />

das Überflüssige<br />

wegzulassen.<br />

was wir für sie entwickeln, auch selbst<br />

verändern können <strong>und</strong> damit arbeiten,<br />

<strong>so</strong> wie sie es brauchen.<br />

So haben wir zum Beispiel für einen<br />

großen deutschen Flughafen das gesamte<br />

Berechtigungsmanagement neu<br />

gemacht: Das umfasst sehr, sehr viele<br />

Per<strong>so</strong>nen, die Besucher, das gesamte<br />

Sicherheitsper<strong>so</strong>nal, das Kantinen-<br />

Management <strong>und</strong> vieles mehr. Das gesamte<br />

Programm würde auf einem kleinen<br />

Raspberry Pi-Rechner in derselben<br />

Geschwindigkeit wie vorher auf allen<br />

drei Rechenzentren des Flughafens zusammen<br />

laufen. Das ist digitale Effizienz.<br />

Häufig ist das Denken in Unternehmen:<br />

Um <strong>so</strong> komplizierter etwas ist, desto komplexer<br />

muss es ja auch sein. Genau darin<br />

unterscheiden Sie sich, korrekt?<br />

Fotos: Annegret Breilmann<br />

Ja, <strong>und</strong> es funktioniert. Wir arbeiten ja<br />

auch für Behörden, Großunternehmen<br />

aus der Logistik <strong>und</strong> der Industrie <strong>so</strong>wie<br />

Ministerien im Mittleren Osten.<br />

Das sind alles hoch komplexe Projekte,<br />

die man auch ohne überbordende Kompliziertheit<br />

lösen kann. Goethe hat das<br />

Prinzip in einem Brief an seine Liebste<br />

treffend auf den Punkt gebracht: „Meine<br />

liebste Lotte, leider hatte ich nicht mehr<br />

Zeit, dir weniger zu schreiben.“<br />

Sie müssen es einfach immer wieder<br />

schaffen, das Überflüssige wegzulassen.<br />

Und es gibt bei uns eine Regel: Wir machen<br />

keine Ausnahmen. Und wenn das<br />

Projekt noch nicht <strong>so</strong> weit ist, dann ist es<br />

noch nicht gut. Das große Problem heutzutage<br />

in der ganzen Software-Branche<br />

ist doch, das alles immer nur Ausnahmen<br />

sind. Und wenn Sie dann eben halt<br />

ein Rädchen da irgendwo ändern, dann<br />

bricht Ihnen das ganze Kartenhaus zusammen.<br />

Und das wollten wir vermeiden.<br />

Und deswegen agieren wir da komplett<br />

anders.<br />

Unternehmen machen das alles nicht aus<br />

Spaß an Technik, <strong>so</strong>ndern weil sie innovativ<br />

sein wollen. Was macht dann für Sie<br />

heutzutage ein innovatives Unternehmen<br />

aus?<br />

Zum Thema <strong>Innovation</strong> muss ich mal<br />

gr<strong>und</strong>sätzlich sagen, dass ich der festen<br />

Überzeugung bin, dass wir heutzutage<br />

<strong>so</strong> gut wie nichts mehr neu erfinden<br />

müssen. Wir müssen nur das, was da<br />

ist, <strong>so</strong> intelligent <strong>und</strong> neu miteinander<br />

verknüpfen <strong>und</strong> anpassen, dass daraus<br />

etwas Intelligentes, Neues neu entsteht.<br />

Naja, das hat IBM früher auch gesagt <strong>und</strong><br />

zum Beispiel überhaupt keinen Bedarf<br />

geschweige denn Markt für Computer im<br />

Privathaushalt gesehen. Damit lagen sie<br />

aber gehörig falsch…<br />

Wenn Sie sich den Erfolg von Apple anschauen,<br />

dann hängt der damit zusammen,<br />

dass das Fraunhofer-Institut die<br />

MP3-Technologie entwickelt hat. Da ging<br />

es darum, komprimierte Daten schneller<br />

durch die Leitungen zu bekommen.<br />

Diese Erfindung selbst hat eigentlich<br />

keinen Wert. Der Wert kam erst, als Apple<br />

angefangen hat, daraus ein Produkt<br />

zu entwickeln. Und was hat Steve Jobs<br />

getan? Er hat erkannt, dass sich der<br />

Musikmarkt komplett ändert. Damals<br />

kamen die ganzen Tauschbörsen, Napster<br />

& Co., auf, <strong>und</strong> Apple hat daraufhin<br />

angefangen, mit iTunes auf Basis der<br />

MP3-Technologie einen ganz neuen Bu-<br />

74 Ausgabe 13 | Mai 2020 | Umweltdialog.de


<strong>Innovation</strong><br />

Elmar Schüller ist Initiator,<br />

Gründer <strong>und</strong> Präsident des<br />

Innovative Living Institutes,<br />

das Unternehmern hilft,<br />

zukunft<strong>so</strong>rientierte Produkte<br />

<strong>und</strong> Dienstleistungen zu<br />

entwickeln. Schüller hat<br />

vorher 19 Jahre lang als<br />

geschäftsführender Gesellschafter<br />

<strong>und</strong> Vice President<br />

den renommierten „red<br />

dot design award“ zu einer<br />

globalen Designwährung<br />

mitentwickelt. Er lehrt an<br />

der International School of<br />

Management.<br />

rechts, was der Wettbewerb macht, <strong>und</strong><br />

nicht nach vorne. Wenn Sie dann als<br />

angestellter Manager in einem großen<br />

Unternehmen etwas Neues beginnen,<br />

dann <strong>gehen</strong> Sie damit gleichzeitig auch<br />

ein hohes Risiko ein. Das Risiko nämlich,<br />

dass wenn es gut wird, der Chef<br />

sagt: War <strong>so</strong>wie<strong>so</strong> meine Idee. Und<br />

wenn es schlecht wird, hat es jeder<br />

andere im Haus schon vorher gewusst.<br />

Das sind systemische Hürden, die es im<br />

Unternehmen aufzulösen gilt. Die einzigen<br />

Unternehmen, die in den letzten<br />

Jahren wirklich erfolgreich waren, wie<br />

etwa Dy<strong>so</strong>n, haben alle „out of the box“<br />

gedacht.<br />

Da verlangen Sie aber sehr viel Mut <strong>und</strong><br />

Risikobereitschaft…<br />

"<br />

Für uns bedeutet<br />

<strong>Nachhaltigkeit</strong><br />

die Reduktion<br />

aufs Wesentliche.<br />

siness Case zu entwickeln. Und das ist<br />

eigentlich das Be<strong>so</strong>ndere damals gewesen.<br />

Ich muss auch nach wie vor sagen,<br />

das war einer der größten Coups in der<br />

IT-Branche, die es jemals gegeben hat.<br />

Als Unternehmer müssen sie im Gr<strong>und</strong>e<br />

genommen andersrum anfangen: Wir<br />

dürfen nicht technologische Entwicklungen<br />

entwickeln <strong>und</strong> uns fragen, wie wir<br />

die an den Mann bekommen, <strong>so</strong>ndern<br />

wir müssen uns anschauen, wie sich die<br />

Bedürfnisse der Menschen, der K<strong>und</strong>en<br />

verändern. Was sind deren Ängste, was<br />

sind deren Sehnsüchte, <strong>und</strong> was bedeutet<br />

das für mein Business? Das können<br />

Sie auf alle Lebens- <strong>und</strong> Industriebereiche<br />

übertragen.<br />

Das Erkennen von Trends ist <strong>so</strong> eine Sache:<br />

Dafür braucht es mutige Unternehmer.<br />

Viele haben aber mindestens <strong>so</strong> große<br />

Angst davor, entweder durch Zaudern<br />

den Anschluss zu verpassen oder mit einer<br />

neuen Ideen daneben zu liegen. Was<br />

sagen Sie zu diesen beiden Ängsten?<br />

Das größte Problem von Unternehmen<br />

ist, dass sie nur in Branchen-Kategorien<br />

denken. Im Gr<strong>und</strong>e genommen<br />

schauen Sie immer nach links <strong>und</strong><br />

Wie wir ja alle sehen, werden die Zyklen<br />

der Welt immer kürzer. Und da muss ich<br />

mir als Unternehmer überlegen, wie ich<br />

damit umgehe. Und ich muss dafür <strong>Innovation</strong>en<br />

schaffen. Es geht nicht nur<br />

darum, mutig zu sein, <strong>so</strong>ndern es geht<br />

im Gr<strong>und</strong>e genommen darum, neue<br />

Verknüpfungen zu entwickeln, um aus<br />

dem bereits Bekannten etwas Neues zu<br />

erschaffen.<br />

Ist <strong>Nachhaltigkeit</strong> dabei nicht auch schon<br />

ein mutiger Schritt? Das verlangt ja häufig<br />

einen Pfadwechsel <strong>und</strong> das Verlassen<br />

des gewohnten Trotts.<br />

Für uns bedeutet <strong>Nachhaltigkeit</strong> die Reduktion<br />

aufs Wesentliche. Weil wir sagen,<br />

diese hippen Funktionen, die derzeit<br />

die ganzen IT-Experten empfehlen,<br />

benötigen wir nicht. Wir brauchen es<br />

nicht, um effizient <strong>und</strong> effektiv zu sein.<br />

Im Gegenteil, es stört, weil es Fehlerquellen<br />

verursacht <strong>und</strong> weil es im Übrigen<br />

auch noch eine zeitliche Abnutzung<br />

hat. Das ist für mich auch eine Form von<br />

<strong>Nachhaltigkeit</strong>. Wenn ich einmal etwas<br />

richtig mache <strong>und</strong> es auf den Punkt<br />

gebracht habe, dann muss ich es auch<br />

nicht immer wieder mit irgendwelchen<br />

neuen Sicherheits-Updates usw. überarbeiten<br />

<strong>und</strong> erweitern.<br />

Vielen Dank für das Gespräch! f<br />

Ausgabe 13 | Mai 2020 | Umweltdialog.de<br />

75


<strong>Innovation</strong><br />

Advertorial<br />

Fotos: MAN<br />

MAN<br />

The Next Generation<br />

Wie können Kraftfahrer am komfortabelsten arbeiten,<br />

Digitalisierungsprozesse vereinfacht <strong>und</strong> die Emissionen<br />

gesenkt werden? Die Transportbranche steht aktuell vor<br />

großen Herausforderungen. Mit der neuen MAN Truck<br />

Generation hat MAN das bestmögliche Fahrzeug für die<br />

K<strong>und</strong>en entwickelt, mit dem sie die Marktumbrüche<br />

meistern können.<br />

Roter Pulli <strong>und</strong> Standard-Jeans:<br />

Dr. Manuel Marx, Leiter der<br />

Gesamtfahrzeugentwicklung bei<br />

MAN, kommt für einen Top-Entwickler<br />

herrlich normal daher: „Wir sind keine<br />

Freaks im Elfenbeinturm, die verrückte<br />

Erfindungen entwickeln“, sagt Marx.<br />

„Unsere Projekte orientieren sich an den<br />

Bedürfnissen der K<strong>und</strong>en. Die Ergebnisse<br />

müssen den Nutzen <strong>und</strong> die Kosten<br />

richtig ausbalancieren, um marktfähig<br />

zu sein.“ Marx hat die vergangenen fünf<br />

Jahre seines Berufslebens vor allem an<br />

der neuen MAN Truck Generation gearbeitet,<br />

die das Unternehmen im Frühjahr<br />

auf den Markt gebracht hat.<br />

Neben ihm waren insgesamt zirka<br />

2.100 MAN-Mitarbeiter an dem Projekt<br />

beteiligt. Darüber hinaus involvierte<br />

das Unternehmen auch 150 K<strong>und</strong>en<br />

aus verschiedenen Ländern, um ihre<br />

76 Ausgabe 13 | Mai 2020 | Umweltdialog.de


<strong>Innovation</strong><br />

Für jeden Einsatzzweck gibt<br />

es das passende Fahrerhaus,<br />

wobei eine leichte<br />

Bedienbarkeit, Ergonomie<br />

<strong>und</strong> ein hoher Wohnkomfort<br />

mit genügend Bewegungsfreiheit<br />

im Fokus stehen.<br />

Anforderungen herauszuarbeiten <strong>und</strong><br />

in dem neuen Fahrzeug zu integrieren.<br />

„Wir haben die Stärken des MAN-Trucks<br />

deutlich verbessert, seine Schwächen<br />

behoben <strong>und</strong> ihn mit der neuen EE-Architektur<br />

auf die Zukunft vorbereitet“,<br />

<strong>so</strong> Marx. „Das hier ist nun der optimal<br />

austarierte Lkw.“<br />

Der Fahrer steht im Mittelpunkt<br />

Dabei konzentrierten sich die Entwickler<br />

von MAN insbe<strong>so</strong>ndere auf die Fahrerkabine<br />

<strong>und</strong> haben sie innen neu entworfen.<br />

Zehn Jahre Forschung <strong>und</strong> Entwicklung<br />

mit über 740 Testanwendern<br />

haben das ermöglicht. „Wir haben den<br />

Lkw-Fahrer bewusst in den Fokus der<br />

Entwicklung gerückt. Unsere Aufgabenstellung<br />

war: Wie können wir dem Fahrer<br />

seine Tätigkeit erleichtern <strong>und</strong> außerdem<br />

seinen Wohn- <strong>und</strong> Schlafkomfort<br />

verbessern?“, erklärt Stephan Schütt,<br />

der als Chefentwickler Kabine / Chassis<br />

für die Modernisierung der Fahrerkabine<br />

verantwortlich war. Das Ergebnis:<br />

Für jeden Einsatzzweck gibt es das passende<br />

Fahrerhaus, wobei eine leichte<br />

Bedienbarkeit, Ergonomie <strong>und</strong> ein hoher<br />

Wohnkomfort mit genügend Bewegungsfreiheit<br />

im Fokus stehen. Wichtige Punkte,<br />

um neue Mitarbeiter zu gewinnen,<br />

fehlen der Transportbranche in Europa<br />

doch aktuell 50.000 Fahrer.<br />

Neben dem Fahrermangel ist auch die<br />

Digitalisierung eine weitere Herausforderung<br />

für das Transportwesen: „Digitale<br />

Services machen das Geschäft<br />

zwar wesentlich effizienter <strong>und</strong> helfen,<br />

höhere Margen zu realisieren. Aber die<br />

Kehrseite ist die größere Komplexität,<br />

die vielen unserer K<strong>und</strong>en zu schaffen<br />

macht“, <strong>so</strong> Joachim Drees, Vorstandsvorsitzender<br />

von MAN Truck & Bus. „Und<br />

schließlich ist das Thema <strong>Nachhaltigkeit</strong><br />

von entscheidender Bedeutung. Der Gesetzgeber<br />

verlangt eine deutliche Reduzierung<br />

des CO 2<br />

-Ausstoßes. Bis 2025 um<br />

15 Prozent, bis 2030 um 30 Prozent.“<br />

Simplifying Business<br />

Als Antwort auf diesen Transformationsprozess<br />

haben die Mitarbeiter von<br />

MAN eine neue LKW-Baureihe entwickelt,<br />

deren Standardsattelzugmaschine<br />

mit D26-Motor bis zu acht Prozent weniger<br />

Kraftstoff verbraucht, wodurch die<br />

Emissionen <strong>und</strong> damit die Betriebskosten<br />

gesenkt werden. Außerdem wurde<br />

die Nutzlast verbessert (bis zu 230 Kilogramm<br />

zusätzlich) <strong>und</strong> die Uptime optimiert.<br />

„Mit MAN ServiceCare bieten wir<br />

ein proaktives Wartungsmanagement<br />

an, mit dem dank vorausschauender<br />

Planung <strong>und</strong> intelligenter Bündelung<br />

von Wartungsterminen die Fahrzeugverfügbarkeit<br />

nochmals deutlich gesteigert<br />

werden kann“, sagt Drees.<br />

Um sicherzustellen, dass der technische<br />

Standard des neuen Trucks nicht in ein<br />

paar Jahren überholt ist, verwendet das<br />

Unternehmen eine komplett neue Elektronikarchitektur,<br />

die das Nachrüsten<br />

weiterer Sen<strong>so</strong>ren <strong>und</strong> Funktionen ermöglicht.<br />

Dadurch können alternative<br />

Antriebe, neue Assistenzsysteme oder<br />

Automatisierungsfunktionen integriert<br />

werden. Voll vernetzt bietet der Lkw<br />

eine Infrastruktur, die offen für künftige<br />

digitale Anwendungen ist. „Er [der<br />

K<strong>und</strong>e] bekommt von uns das beste Gesamtpaket<br />

am Markt, mit dem wir ihm<br />

seinen Job einfacher machen. Genau<br />

darum geht es. Das meinen wir mit unserem<br />

Markenversprechen: Simplifying<br />

Business.“<br />

Einzigartiges Erlebnis<br />

Welche Dimensionen die Markteinführung<br />

der neuen MAN Truck Generation<br />

hat, wird daran deutlich, dass MAN<br />

nicht nur ein einzelnes Fahrzeugmodell,<br />

<strong>so</strong>ndern das gesamte Produktportfolio<br />

modernisiert hat. Kein leichtes Unterfangen,<br />

ist doch die Entwicklung eines<br />

Lkw komplexer als die eines Automobils.<br />

Der letzte Launch dieser Größenordnung<br />

war für das Unternehmen der<br />

MAN TGA im Jahr 2000. „Ein <strong>so</strong>lches<br />

Ereignis erleben die meisten Mitarbeiter<br />

nur einmal in ihrem Berufsleben. Da ist<br />

es klar, dass sich alles im Unternehmen<br />

über Jahre darauf fokussiert. Schließlich<br />

ist die neue Truck Generation künftig<br />

das Aushängeschild von MAN“, sagt<br />

Drees. f<br />

Ausgabe 13 | Mai 2020 | Umweltdialog.de<br />

77


<strong>Innovation</strong><br />

Driven by<br />

Purpose:<br />

Eine<br />

neue<br />

Ära?<br />

Von Dominic Veken<br />

Die Menschheit steht an<br />

der Schwelle zu einer zweiten<br />

Renaissance: Visionäre<br />

Unternehmen zeigen, welche<br />

Potenziale das Streben nach<br />

Höherem entfalten kann.<br />

Wie mögen wohl die Menschen in 50<br />

oder 100 Jahren über die heutige Zeit<br />

denken <strong>und</strong> urteilen? Einerseits gab<br />

es Milliarden von Menschen, die täglich<br />

ihren Routinen folgten, streng reguliert<br />

lebten <strong>und</strong> arbeiteten, um sich<br />

mit imageträchtigen Konsumgütern zu<br />

umgeben, dabei sehnsüchtig auf ihre<br />

Rente warteten <strong>und</strong> es höchstens am<br />

Wochenende mal <strong>so</strong> richtig krachen ließen.<br />

Dann gab es Milliarden Menschen,<br />

die sich das alles nicht leisten konnten<br />

<strong>und</strong> täglich qualvoll um ihr Existenzminimum<br />

kämpfen mussten. Dazu kam<br />

eine globalisierte Industrie, die, angetrieben<br />

von ihrer Profitsucht, Natur <strong>und</strong><br />

Mensch als Heizmaterial für den immer<br />

weiter vorangetriebenen Fortschritt verbrauchte.<br />

Aber worin bestand dieser<br />

Fortschritt eigentlich, werden sich künftige<br />

Generationen fragen: in einer rasant<br />

wachsenden Zahl von Depressionen <strong>und</strong><br />

Erschöpfungszuständen? In einem größeren<br />

Artensterben, dem Vordringen<br />

von immer mehr Autokraten <strong>und</strong> Despoten,<br />

dem Wandel des Klimas, dem Clash<br />

der Kulturen?<br />

Wahrscheinlich werden die Menschen<br />

in etwas fernerer Zukunft unsere gegenwärtigen<br />

Handlungsstrategien <strong>so</strong><br />

absurd finden wie wir heute die mittelalterlichen<br />

Praktiken des Aberglaubens<br />

<strong>und</strong> Ablasshandels, der Alchemie, Hexenvertreibung<br />

<strong>und</strong> Inquisition. Aber<br />

was werden sie dann anders machen,<br />

<strong>und</strong> wie werden sie anders wirtschaften<br />

als wir heute?<br />

Eine neue Renaissance<br />

Vor mehr als 500 Jahren vollzog sich ein<br />

f<strong>und</strong>amentaler Wandel im menschlichen<br />

Denken <strong>und</strong> Handeln: Die Renaissance<br />

stellte vieles auf den Kopf, was vorher<br />

Selbstverständlichkeit war, entdeckte<br />

das Selbst als Mittelpunkt der Welt, befreite<br />

es aus seiner Einfügung in eine<br />

göttliche Ordnung <strong>und</strong> übertrug ihm<br />

die Verantwortung der Selbst-Bestimmung.<br />

Dieser Schritt leitete ein neues<br />

Zeitalter ein, die Neuzeit, in der Freiheit<br />

<strong>und</strong> Wohlstand, Glücksmaximierung<br />

<strong>und</strong> Weltbeherrschung die zentralen<br />

Programmbausteine der Menschheit<br />

wurden. Ein neues Denken bildete den<br />

Rahmen für ein anderes Handeln.<br />

Die Zeit gab nun den Ton an. Sie wurde<br />

knapp <strong>und</strong> trieb die Entwicklung in<br />

einen Beschleunigungsrausch, der bis<br />

heute andauert, der uns aber mittlerweile<br />

auch rasant an die Grenzen unserer<br />

Möglichkeiten <strong>und</strong> an die der Welt<br />

bringt. Es knirscht <strong>und</strong> kracht an allen<br />

Ecken <strong>und</strong> Enden. Es scheint, als könnten<br />

wir mit dem nun jahrh<strong>und</strong>ertelang<br />

antrainierten neuzeitlichen Denken, das<br />

uns ursprünglich befreite, die selbsterzeugten<br />

Probleme nicht mehr lösen.<br />

Die logische Konsequenz kann da nur<br />

lauten, ein neues Denken zu initiieren,<br />

das den Rahmen sprengt, in dem wir<br />

operieren, das eine völlig neue Perspektive<br />

eröffnet. So wie die Renaissance die<br />

heiligen Kühe des Mittelalters schlachtete,<br />

müsste eine erneute Zeitenwende viele<br />

unserer heutigen Selbstverständlichkeiten<br />

auf die Müllhalde der Geschichte<br />

verfrachten. Damit wäre der Weg frei<br />

gemacht für ein Zeitalter, in dem die<br />

Absurdität unseres heutigen Vor<strong>gehen</strong>s<br />

plötzlich offensichtlich würde <strong>und</strong> die<br />

sinnvolle Neuausrichtung zur zwangsläufigen<br />

Folge. Doch worin bestehen die<br />

uns behindernden heiligen Kühe?<br />

Der Philo<strong>so</strong>ph Charles Taylor hat in seinem<br />

epochalen Werk „Die Quellen des<br />

Selbst“ einige überkommene Selbstverständlichkeiten<br />

der Neuzeit freigelegt.<br />

Zwei davon sind im diesem Kontext<br />

entscheidend: zum einen der omnipräsente<br />

Utilitarismus. Wir bewegen uns<br />

gegenwärtig in einem engmaschigen<br />

Mittel-Zweck-Gewebe, das uns mit<br />

seiner quantifizierbaren Rationalität<br />

jederzeit den Weg zur maximalen Lösung<br />

weist: ein in sich abgeschlossenes<br />

System, das jedwede Gegenperspektive<br />

ausschließt. Damit zusammenhängend<br />

hat sich die „Bejahung des gewöhnlichen<br />

Lebens“ als Generalmoral globalen<br />

Handelns durchgesetzt. Produktion<br />

<strong>und</strong> Reproduktion sind demnach unser<br />

alleiniger profaner Lebenszweck, der<br />

den Vorteil hat, eben<strong>so</strong> mit einer quantifizierbaren<br />

Rationalität abgebildet werden<br />

zu können. Alles andere ist da bes-<br />

78 Ausgabe 13 | Mai 2020 | Umweltdialog.de


<strong>Innovation</strong><br />

tenfalls E<strong>so</strong>terik <strong>und</strong> schlimmstenfalls<br />

gefährlich. Das nicht Quantifizierbare<br />

wird in irrationale Bereiche wie den der<br />

Religion abgeführt, wo es mittlerweile<br />

unübersehbar Blüten treibt. Qualitative<br />

Unterscheidungen wie die Idee eines<br />

höheren Lebens <strong>und</strong> Strebens wurden<br />

hierbei einfach zugunsten der quantitativen<br />

Konzepte größtmöglicher Zahlen<br />

geopfert. Die Vorstellung des „Höheren“<br />

als Sinngeber <strong>und</strong> Leitinstanz wurde<br />

quasi wegrationalisiert. Das Resultat:<br />

Die Menschen stürzen sich „kopfüber in<br />

ihr homogenes Universum der rationalen<br />

Berechnung“ (Taylor).<br />

Etwas Höherem dienen<br />

Wenn wir an diesem Zustand etwas<br />

ändern wollen, müssen wir das gr<strong>und</strong>legend<br />

tun. Wir müssen dem Qualitativen<br />

gegenüber dem Quantitativen<br />

wieder zu seinem Recht verhelfen, die<br />

Unterscheidung von Pflicht <strong>und</strong> Neigung<br />

aufgeben <strong>und</strong> eine riesengroße<br />

Bresche schlagen für die Begeisterung,<br />

sich etwas Größerem, Höherem zu widmen,<br />

darin einen Sinn zu erkennen <strong>und</strong><br />

sich dafür zu engagieren mit allem, was<br />

man ist <strong>und</strong> was man hat. Großartige<br />

Unternehmen tun heute genau das: Sie<br />

widmen sich einem großen, manchmal<br />

<strong>so</strong>gar ehrenvollen Sinn – <strong>und</strong> machen<br />

Unternehmenszwecke wie „Umsatz“<br />

oder „Gewinn“ zum nachgelagerten Erfüllungsgehilfen:<br />

• SpaceX hat die Besiedlung des Mars<br />

in den nächsten zwanzig, dreißig Jahren<br />

zu seiner Mission auserkoren<br />

• Viva con Agua ermöglicht die Wasserver<strong>so</strong>rgung<br />

in Problemgebieten<br />

• Starbuck’s will seine Cafés zum „Third<br />

Place“ (neben Arbeit <strong>und</strong> Zuhause) in<br />

unserem Leben machen<br />

• Lego arbeitet dafür, dass das gute<br />

Spielen auf der Welt triumphiert<br />

• Google verfolgt das Ziel, uns alle Informationen<br />

der Welt zugänglich machen<br />

Gewiss kann man unterschiedlicher<br />

Meinung darüber sein, ob dies alles<br />

unmittelbar zur Verbesserung der Welt<br />

führt. Meine These aber ist: In den genannten<br />

Fällen tut es dies zumindest<br />

mittelbar, weil jedes Unternehmen, das<br />

aus dem reinen Mittel-Zweck-Utilitarismus<br />

ausbricht <strong>und</strong> deutlich mehr verfolgt<br />

als die Maximierung der finanziellen<br />

Profite, zu einem Übertritt in das<br />

neue Zeitalter beiträgt. In das Zeitalter<br />

des Sinns, in dem die heiligen Kühe des<br />

Utilitarismus <strong>und</strong> der „Bejahung des gewöhnlichen<br />

Lebens“ ersetzt werden.<br />

Die große Lust des<br />

Lebens <strong>und</strong><br />

Arbeitens besteht<br />

dann nicht im<br />

Maximieren von<br />

Materiellem <strong>und</strong><br />

Erlebnissen,<br />

<strong>so</strong>ndern in der<br />

Begeisterung <strong>und</strong><br />

der Leidenschaft<br />

beim Folgen<br />

„höherer“ Tugenden.<br />

Die Pointe ist: Unternehmen <strong>und</strong> Menschen,<br />

die „Driven by Purpose“ sind,<br />

die einen „höheren“ Sinn in den Mittelpunkt<br />

ihres Wirkens stellen, eröffnen<br />

eine neue Perspektive. Wo diese Perspektive<br />

genau hinführen wird, können<br />

wir noch nicht wissen. Wir können aber<br />

annehmen, dass sie uns deutlich mehr<br />

Möglichkeiten gibt, mit den Problemen<br />

der Neuzeit umzu<strong>gehen</strong> – <strong>und</strong> uns zugleich<br />

die Kraft einer intrinsischen<br />

Motivation bereitstellt, die uns mit der<br />

Energie zur Veränderung <strong>und</strong> Verbesserung<br />

der Welt ver<strong>so</strong>rgt. Die große Lust<br />

des Lebens <strong>und</strong> Arbeitens besteht dann<br />

nicht im Maximieren von Materiellem<br />

<strong>und</strong> Erlebnissen, <strong>so</strong>ndern in der Begeisterung<br />

<strong>und</strong> der Leidenschaft beim Folgen<br />

„höherer“ Tugenden.<br />

Die Wiederentdeckung von Sinn, von<br />

Höherem <strong>und</strong> Größerem im ökonomischen<br />

<strong>und</strong> lebenspraktischen Alltag<br />

bietet uns die Möglichkeit, die Menschheit<br />

in eine völlig neue Ära, in ein neues<br />

Zeitalter zu überführen – <strong>so</strong> wie beim<br />

Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit,<br />

nur sehr viel kondensierter. Darin liegt<br />

ein enormes Begeisterungspotenzial.<br />

Lassen Sie es uns gemeinsam nutzen! f<br />

Foto: The Cheroke / stock.adobe.com<br />

Ausgabe 13 | Mai 2020 | Umweltdialog.de<br />

79


<strong>Innovation</strong><br />

FORSCHUNGSNEWS<br />

ENERGIEWENDE<br />

Foto: hiLyte<br />

Fotos: Steve Suib / uconn.edu<br />

Bild oben:<br />

Grüne Batterie<br />

Bild unten:<br />

Neuer Katalysator<br />

Grüne Batterien erhellen die Dritte<br />

Welt<br />

Forscher des Start-ups hiLyte haben<br />

eine grüne Batterie für die Dritte Welt<br />

entwickelt, die für Licht <strong>so</strong>rgen oder<br />

Smartphones laden kann. So <strong>so</strong>llen Power<br />

Banks, die herkömmliche Batterien<br />

benötigen, <strong>und</strong> umweltbelastende Kerosinlampen<br />

abgelöst werden. Die ersten<br />

Batterien dieser Art werden gerade von<br />

Familien in Tansania getestet.<br />

Die hiLyte-Lösung setzt auf leicht zu<br />

beschaffende, preiswerte Ausgangsmaterialien.<br />

Zunächst füllen die Besitzer<br />

Eisenfolie, Kohlenstofffilz <strong>und</strong> Kaffeefilterpapier<br />

in die Kammern der Batterie.<br />

Dann gießen sie Wasser, in das<br />

Eisensulfat eingerührt wird, in den<br />

Stromspeicher. Diese Flüssigkeit saugt<br />

das Filterpapier auf, <strong>so</strong>dass die Eisenfolie<br />

langsam aufgelöst wird. Bei diesem<br />

Prozess werden Elektronen frei, die sich<br />

als elektrischer Strom nutzen lassen.<br />

Altbatterie taugt als Dünger<br />

Die Nutzer des Stromspeichers können<br />

diesen über einen USB-Anschluss zur<br />

Ver<strong>so</strong>rgung von elektronischen Geräten<br />

wie Smartphones <strong>und</strong> Laptops <strong>und</strong><br />

von Leuchtdioden nutzen. Eine Lampe,<br />

die zum Lesen <strong>und</strong> Lernen am Abend<br />

ausreicht, leuchtet damit fünf St<strong>und</strong>en<br />

lang. Zum Schluss befindet sich in der<br />

Batterie Eisen(II)Sulfat, das zwar ätzend<br />

ist, aber als Dünger genutzt werden<br />

kann.<br />

Eine Ladung kostet zwölf Cent<br />

von Kerosin, das zudem nur für die Beleuchtung<br />

reicht.<br />

Sprit aus CO 2<br />

?<br />

Forscher haben einen Katalysator entwickelt,<br />

der CO 2<br />

leichter, billiger <strong>und</strong> effektiver<br />

als bisher in wertvolle Produkte<br />

wie Treibstoffe umwandelt.<br />

Konkret hat das Team um Yongtao<br />

Meng, der inzwischen an der Stanford<br />

University forscht, eine elektrochemische<br />

Zelle entwickelt, die mit einem<br />

porösen, schaumartigen Katalysator<br />

gefüllt ist, der wiederum aus Eisen <strong>und</strong><br />

Nickel hergestellt wurde. Beide Metalle<br />

sind auf der Erde reichlich vorhanden<br />

<strong>und</strong> daher billig.<br />

Das heute am besten funktionierende<br />

Verfahren, CO 2<br />

elektrochemisch zu verändern,<br />

benötigt einen Kat, der Platin<br />

enthält. Das verteuert die Technik, <strong>so</strong>dass<br />

sie bislang weit entfernt ist von der<br />

Rentabilität.<br />

Der neue Kat ist nicht nur weitaus billiger<br />

als der platinhaltige, er ist auch effektiver.<br />

Er wandelt nahezu 100 Prozent des<br />

eingesetzten CO 2<br />

in CO um. „Ein gutes<br />

Umwandlungsverfahren hat eine Effektivität<br />

von 90 bis 95 Prozent“, sagt Institutsdirektor<br />

Steve Suib. Doch diese Prozesse<br />

seien oft instabil, benötigten hohe<br />

Spannungen <strong>und</strong> seien teuer. „Das alles<br />

vermeidet die neue Technik“, <strong>so</strong> Suib.<br />

Jetzt wird an einer industriell einsetzbaren<br />

Lösung gefeilt.<br />

Die Batterie kostet nach derzeitiger<br />

Kalkulation einmalig zwölf Dollar. Pro<br />

Ladung sind zum Kauf der Ausgangsmaterialien<br />

noch einmal zwölf Cent nötig.<br />

Das ist weitaus billiger als der Einsatz<br />

80 Ausgabe 13 | Mai 2020 | Umweltdialog.de


<strong>Innovation</strong><br />

TIERSCHUTZ<br />

„Leder“ ohne Tierhäute<br />

Evonik hat in ein Start-up zur nachhaltigen<br />

Herstellung biotechnologischer<br />

Materialien investiert, die vom Leder<br />

inspiriert sind, jedoch die Verwendung<br />

von Tierhäuten überflüssig machen.<br />

Die richtungsweisende Technologie von<br />

Modern Meadow produziert über einen<br />

Fermentationsprozess mit Hefezellen<br />

tierfreies Kollagen, ein Protein, das ein<br />

natürlicher Bestandteil von Tierhäuten<br />

ist.<br />

Die Geschäftsidee hat Zukunft: Die<br />

Nachfrage der Verbraucher nach<br />

nicht-tierischen Produkten steigt rasant.<br />

Der Markt für tierisches <strong>und</strong><br />

künstliches Leder wird auf 190 Milliarden<br />

US-Dollar geschätzt, mit zahllosen<br />

Anwendungen wie in der Automobil-,<br />

Schuh-, Möbel-, Bekleidungs- <strong>und</strong> Taschenindustrie.<br />

Biologisch produziertes Kollagen<br />

Gr<strong>und</strong>substanz ist Kollagen: Das ist in<br />

vielen Anwendungsbereichen zu finden,<br />

die weit über jene von lederähnlichen<br />

Materialien hinaus<strong>gehen</strong>. Als das<br />

am häufigsten vorkommende Protein<br />

im menschlichen Körper kann es auch<br />

für pharmazeutische <strong>und</strong> medizinische<br />

Anwendungen eingesetzt werden. Kollagen<br />

fördert die W<strong>und</strong>heilung, steuert<br />

die Geweberegeneration <strong>und</strong> kann die<br />

Haut revitalisieren.<br />

Die jetzt beschlossene Kooperation mit<br />

Evonik erlaubt es dem Start-up, die Produktion<br />

auf einen kommerziellen Maßstab<br />

zu bringen <strong>und</strong> gleichzeitig bestehende<br />

Prozesse zu optimieren. Die neue<br />

Technologie eröffnet zahlreiche Möglichkeiten,<br />

lederähnliche Materialien<br />

mit neuen Eigenschaften zu schaffen,<br />

wie beispielsweise durch ein geringeres<br />

Gewicht, neue Verarbeitungsformen<br />

oder Musterungen.<br />

Roboterfische ersetzen Tierversuche<br />

Jedes Jahr werden bis zu 450.000 Fische<br />

in Tierversuchen eingesetzt, nur um<br />

herauszubekommen, ob die Turbinen<br />

von Wasserkraftwerken fischverträglich<br />

sind. Diesem Treiben hat der Gesetzgeber<br />

jetzt Einhalt geboten. Künftig könnten<br />

Roboterfische genau<strong>so</strong> gut Informationen<br />

über Strömungsbedingungen<br />

<strong>und</strong> zu erwartende Schädigungen von<br />

Fischen in europäischen Flusskraftwerken<br />

geben.<br />

Wissenschaftler der Universität Magdeburg<br />

entwickeln dazu teilautonome Robotersysteme<br />

<strong>und</strong> Simulationsmodelle,<br />

die den Einsatz lebender Fische für Gutachten<br />

reduzieren <strong>und</strong> langfristig vermeiden<br />

<strong>so</strong>llen. „Die Behörden schreiben<br />

aufgr<strong>und</strong> der Europäische Wasserrahmenrichtlinie<br />

vor, für Wasserkraftanlagen<br />

an Fließgewässern per Gutachten<br />

nachzuweisen, dass die Anlagen für<br />

Fische <strong>und</strong> andere Flussfauna passierbar<br />

sind“, erläutert Stefan Hoerner<br />

vom Institut für Thermodynamik <strong>und</strong><br />

Strömungsmechanik der Universität<br />

Magdeburg. „Dafür wurden allein 2015<br />

450.000 Fische, meist aus Wildfängen,<br />

eingesetzt.“ Für die Tiere bedeute das<br />

extremen Stress, <strong>und</strong> die Mortalität<br />

liegt, wenn es sehr gut läuft, bei r<strong>und</strong><br />

zehn Prozent.<br />

Die künftigen Roboterfische werden<br />

eine Fülle an Druck- <strong>und</strong> Beschleunigungssen<strong>so</strong>ren<br />

besitzen. Die damit bei<br />

ihrem Einsatz in Wasserkraftwerken<br />

erfassten Daten erlauben es den Wissenschaftlerinnen<br />

<strong>und</strong> Wissenschaftlern<br />

dann, ohne Tierversuche Vorhersagen<br />

<strong>und</strong> Hochrechnungen zu Schädigungsrisiken<br />

zu treffen.<br />

Bild oben:<br />

Leder ohne Tierhäute<br />

Bild mitte:<br />

Modern Meadow entwickelt<br />

lederartige Werkstoffe<br />

Bild unten:<br />

Tests an Prototypen des<br />

Roboterfisches im Wasserkanal<br />

Foto: Jana Dünnhaupt / Universität Magdeburg Foto: Evonik<br />

Foto: Evonik<br />

Ausgabe 13 | Mai 2020 | Umweltdialog.de<br />

81


<strong>Innovation</strong><br />

guter<br />

Letzt<br />

Zu<br />

Grafik: Grafik: strichfiguren.de strichfiguren.de stock.adobe.com<br />

/ stock.adobe.com<br />

Das Büroklammer-<br />

Dilemma<br />

Die meisten Probleme<br />

auf der Welt sind von<br />

Menschen verursacht.<br />

Das scheint unstrittig.<br />

Aber wie lösen wir sie?<br />

Nicht wenige argumentieren,<br />

dass künstliche Intelligenz<br />

rationalere <strong>und</strong><br />

damit bessere Entscheidungen<br />

treffen würde. Kritiker<br />

fürchten, dass wir<br />

dabei die Kontrolle über<br />

die intelligenten Maschinen<br />

verlieren. Mag<br />

sein, aber <strong>gehen</strong> wir noch einen Schritt zurück: Wer<br />

sagt eigentlich, dass KI Probleme besser lösen kann?<br />

Der britische Philo<strong>so</strong>ph Nick Bostrom ist in einem absurd-genialen<br />

Gedankenspiel genau dieser Frage nachgegangen.<br />

Was ist, wenn wir einem Supercomputer die<br />

einfache Aufgabe stellen würden: Bitte produziere <strong>so</strong><br />

viele Büroklammern wie möglich. Büroklammern sind<br />

ein einfaches Produkt. Daran kann die KI Produkt-,<br />

Beschaffungs- <strong>und</strong> Verteilungs-Prozesse üben. Und<br />

tatsächlich legt der Supercomputer im Experiment los.<br />

Mit unerbittlicher Effizienz erweitert <strong>und</strong> optimiert<br />

die KI sich selbstständig <strong>und</strong> wird zur weltgrößten<br />

Produktionsanlage für Büroklammern. Zur Intelligenz<br />

gehört dabei auch, dass sie nicht nur die Produktivität<br />

steigert, <strong>so</strong>ndern eben auch die Effizienz der Produktion.<br />

Um ihren Auftrag zu erfüllen, konsumiert die Maschine<br />

daher sämtliche planetaren Metallreserven <strong>und</strong><br />

verarbeitet sie zu Büroklammern. Auf der Suche nach<br />

weiteren Rohstoffen zerlegt sie anschließend Autos,<br />

Gebäude <strong>und</strong> alles, was metallisch ist. Immer noch ist<br />

die Effizienz nicht ausgereizt: Die Maschine entwickelt<br />

<strong>Innovation</strong>en dahin<strong>gehen</strong>d weiter, dass sie jede Form<br />

von Materie in Elementarteilchen zerlegt <strong>und</strong> für die<br />

Produktion nutzbar macht. Dazu zählt natürlich auch<br />

alles Leben auf der Erde, einschließlich der Menschheit.<br />

Am Ende des Gedankenexperiments ist unser Planet<br />

eine leblose Büroklammerhalde. f<br />

IMPRESSUM<br />

UmweltDialog ist ist ein unabhängiger Nachrichtendienst<br />

r<strong>und</strong> um die Themen <strong>Nachhaltigkeit</strong> <strong>und</strong> Corporate Social<br />

Responsibility. Die Redaktion von UmweltDialog berichtet<br />

unabhängig, auch von den Interessen der eigenen Gesell-<br />

schafter, über alle relevanten Themen <strong>und</strong> Ereignisse aus<br />

Politik, Wirtschaft <strong>und</strong> Gesellschaft.<br />

Herausgeber:<br />

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Dahlweg 87<br />

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Redaktion dieser Ausgabe:<br />

Dr. Elmer Lenzen (V.i.S.d.P.), Sonja Scheferling,<br />

Elena Köhn, Ulrich Klose<br />

Bildredaktion:<br />

Marion Lenzen<br />

Gestaltung:<br />

Gesa Weber<br />

Lektorat:<br />

Marion Lenzen, Bettina Althaus<br />

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82 Ausgabe 13 | Mai 2020 | Umweltdialog.de


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Das nächste<br />

UmweltDialog-Magazin<br />

erscheint am 16.11.2020.


<strong>Innovation</strong><br />

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Menschen in den ärmsten Ländern trifft es be<strong>so</strong>nders hart. Aktion Deutschland<br />

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