Ulf Miehe - Facetten eines Autors
Ulf Miehe – Facetten eines Autors ist der Versuch einer Biografie in Selbstzeugnissen und Dokumenten, die einen Überblick zu Leben, Persönlichkeit und Werk des Schriftstellers, Filmautors und Regisseurs Ulf Miehe (1940 Wusterhausen|Dosse – 1989 München) geben. Zitate verbinden sich mit Aussagen von Zeitzeugen, Interviews, Essays von renommierten heutigen Autoren und Bildzeugnissen. So entsteht ein facettiertes Bild von Ulf Miehes Denken und Schreiben. Durch das hier zusammengetragene Material eines kreativen Lebens voller Wendepunkte werden auch die gesellschaftlichen Spannungen thematisiert, aus denen ein knappes Werk seine große Lebendigkeit schöpft. Herausgegeben von Horst Kløver, Angelika Miehe und dem Wegemuseum Wusterhausen|Dosse.
Ulf Miehe – Facetten eines Autors ist der Versuch einer Biografie in Selbstzeugnissen und Dokumenten, die einen Überblick zu Leben, Persönlichkeit und Werk des Schriftstellers, Filmautors und Regisseurs Ulf Miehe (1940 Wusterhausen|Dosse – 1989 München) geben. Zitate verbinden sich mit Aussagen von Zeitzeugen, Interviews, Essays von renommierten heutigen Autoren und Bildzeugnissen. So entsteht ein facettiertes Bild von Ulf Miehes Denken und Schreiben.
Durch das hier zusammengetragene Material eines kreativen Lebens voller Wendepunkte werden auch die gesellschaftlichen Spannungen thematisiert, aus denen ein knappes Werk seine große Lebendigkeit schöpft.
Herausgegeben von Horst Kløver, Angelika Miehe und dem Wegemuseum Wusterhausen|Dosse.
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Der Spielfilm John Glückstadt
Progressive Gedanken in konservativen Formen
Ulf Miehes erste große Regiearbeit ragt aus einer ganzen Reihe von Literaturverfilmungen der sechziger
und siebziger Jahre heraus. Einige wenige davon haben heute noch Geltung. Rainer Werner Fassbinders
Effi Briest wurde wie Miehes John Glückstadt 1974 in Schwarzweiß gedreht. Die Presse bezeichnete John
Glückstadt als „Neuen Heimatfilm“ und stellte ihn sogar in eine Reihe mit „landschaftlich gebundenen filmischen
Erzählformen der dreißiger Jahre“.
Ulf Miehe: „Es ist ein sehr deutscher Film geworden.“
Um an Geld für die Realisierung zu kommen, mussten Ulf Miehe und Walter Fritzsche ein Film-Förder-Gremium
von ihrem Drehbuch überzeugen. Die literarischen Qualitäten einer Novelle wie Ein Doppelgänger
von Theodor Storm aus dem Jahr 1886 als Vorlage können da helfen; man zitiert anerkannte deutsche
Literatur im Script. Doch das Drehbuch von John Glückstadt entkleidet den Text des 19. Jahrhunderts seiner
Rahmenhandlung und nimmt ihm das Novellen-spezifische Dingsymbol: einen todbringenden Brunnen. So
arbeiten Miehe und Fritzsche die Kernhandlung heraus – und damit eine Gesellschaftskritik, die Storm so nur
einmal in seinem Werk geäußert hat.
Ulf Miehe: „Die Dichtung soll jedoch keine Anklage sein, sondern entspringt Storms tiefem Verständnis
für rein Menschliches und soll nach seinen eigenen Worten noch einmal das ‚Evangelium der Liebe’, das
Hauptmotiv seines ganzen Schaffens, aufleuchten lassen […] Das ist für mich natürlich nicht akzeptabel. Die
Liebe hängt von den Bedingungen ab, unter denen man lebt. Und wenn es eine Familie gibt, in der der Mann
arbeitslos ist, dann wird daran eben zumindest die Liebe schaden nehmen. […]
Wir, Drehbuchautor Fritzsche und ich, haben den Schicksalsbegriff Storms einfach nicht akzeptiert […] Der
Film behält den Verlauf des persönlichen Schicksals von John und Hanna Hansen bei, auch die Gefühlslage.
Die sozialen Umstände aber, welche ‚Leidenschaft’ tödlich und ‚Unheil’ unter bestimmten Bedingungen
zum gesellschaftlichen Gesetz werden lassen, wurden deutlicher gemacht, als das bei Storm geschieht.“
John Hansen, oder: John Glückstadt, benannt nach dem norddeutschen Ort des Gefängnisses, das ihm den
Stempel aufgedrückt hat, entflieht am Ende des Films mit seiner Tochter aus den repressiven kleinstädtischen
Verhältnissen in die Neue Welt, Amerika. Ganz anders als in der literarischen Vorlage: Hansen stürzt
dort in den schicksalhaften Brunnen.
Ulf Miehe: „Ich finde das billig, am Schluß einer Novelle, die andauernd mit dem Schicksal operiert, plötzlich
davon zu reden, die Gesellschaft habe ihn in den Tod gehetzt; wobei das außerdem durch den Mund
des Bürgermeisters diese Gesellschaft auch noch selbst sagt. Ich mochte diesen Schluß auch aus anderen
Gründen nicht. Warum soll ich den Leuten eine derart pessimistische Geschichte erzählen? Wenn wir schon
in der Lage sind, solche gesellschaftlichen Bedingungen zu durchschauen, wie sie der Film – so glaube ich –
auch offenlegt, dann sollte man auch sagen, daß es möglich ist, aus einer solchen Situation zu entkommen,
sich zu wehren. Natürlich habe ich keine Lösung des Problems der Resozialisierung anzubieten; ich habe
eben versucht, realistisch zu zeigen, wie es funktioniert: nämlich durch die Leute. Oder warum es nicht funktioniert:
weil einer den anderen kaputt machen will.“
Berlin am 24. Juni 2019.
Zitate aus dem Pressematerial zum Film, ausgewählt von Horst Kløver für einen Filmabend im Literaturhaus
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