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Wina April 2020

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DAS JÜDISCHE STADTMAGAZIN

#4, Jg. 8 | April 2020 | Nissan 5780 | € 4,90 | wina-magazin.at

Österreichische Post AG / WZ 11Z039078W / JMV, Seitenstetteng. 4, 1010 Wien / ISSN 2307-5341

Bleiben

wir zu

Hause.

Achten wir aufeinander!

„Nach einer Zeit der Fassungslosigkeit und Angst

entsteht eine innere Kraft. Die Welt ‚endet‘,

aber in der Erfahrung, dass wir immer noch da sind,

entsteht eine Art Neu-Sein im Inneren.“

Matthias Horx, Trend- und Zukunftsforscher


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Editorial

Julia Kaldori

© 123rf

Frühling ist Pessach und Pessach das Fest der Freiheit - des

Auszugs aus Ägypten, aus Mizrajim. Mizrajim bedeutet wörtlich

übersetzt auch Grenzen oder Einschränkungen. Damit

ist nicht nur der physische Auszug aus der Sklaverei, den

jede Jüdin und jeder Jude jährlich beim Pessachfest selbst

erfährt, gemeint. Vor allem ist es auch ein Symbol für das

Bestreben, innere Grenzen zu überschreiten, die Dunkelheit

des Winters hinter sich zu lassen und in die wieder

erblühten Natur hinaus zu treten. Frei zu sein. Jedes Jahr

fragen wir uns am Seder-Abend, was an diesem Tag anders

ist, als an allen anderen Tagen. Und heuer hat diese

Frage eine ganz besondere Bedeutung: Denn heuer feiern

wir das Fest, das meist auch ein rauschender Fest der Generationen

ist, im engsten Kreis - manche von uns auch alleine.

Heuer heißt unser höchstes Gebot social distancing -

heuer zeigen wir unsere Liebe und Fürsorglichkeit, in dem wir

uns von jenen fernhalten, die wir lieben, von unseren Eltern, von

unseren Verwandten und Freunden.

Heuer bleiben wir – nicht nur am Seder-Abend unter uns und mit

uns selbst, mit unseren Engsten: unseren Kindern und unseren

Partnern und allem voran mit uns selbst.

Am Anfang der Distanzierung war alles fremd, ich hatte das permanente

Gefühl – wie nach einem Popkonzert ins Bett zu fallen, wenn

alles wieder komplett still um mich ist, während die Erinnerungssplitter

der Bässe immer noch mein Trommelfell beschlagen. Erst in

der Stille, in der „Isolation“ wird klar, in welchem Rausch der Sinne

wir leben. Ein Rausch der Güter, der Erlebnisse, der äußeren Reize.

Eine Dauerberieselung, die uns dauerhaft fern hält von dem, was

uns am nächsten ist – am nächsten sein sollte: von uns selbst. Vom

Hineinhören, vom Begreifen, vom Auseinandersetzen mit dem ich,

mit den eigenen Wünschen und Träumen, mit den eigenen Ängsten,

mit den eigenen Erinnerungen.

Wir eilen durch das Leben wie der Märzhase im Wunderland und

merken dabei nicht, dass wir dabei unsere Freiheit freiwillig aufgeben,

unser eigenes Dasein – und damit auch das unserer Lieben

- so zu gestalten, dass es der für uns beste aller möglichen Lebensentwürfe

wird. Nicht fremdbestimmt, nicht eingeengt, nicht rastlos,

sondern achtsam, wertvoll und nachhaltig.

Zu Pessach brechen die Schranken der Zeit auf. Erzählen und erleben

wir den Auszug, die Befreiung von Generation zu Generation,

von Jahr zu Jahr immer wieder neu. Vielleicht gibt uns heuer diese

kollektive Erfahrung mehr denn je die mögliche Antwort auch auf

die Frage, wie wir unser Leben in Freiheit gestalten können. Vielleicht

brauchen wir doch ein bisschen weniger Sinnesrausch und

mehr Achtsamkeit, ein bisschen weniger Stadt und ein wenig mehr

Land, ein bisschen weniger Ego und eine Spur mehr Solidarität, ein

bisschen weniger Zukunftvision und umso mehr Jetzt und Hier.

Und vielleicht werden wir einmal, wenn all das vorbei ist, zurückblicken

und diese Zeit der social distancing, der gesellschaftlichen

und wirtschaftlichen Entschleunigung als das sehen, was es auch

sein könnte: ein Auszug unserer Welt aus der Gefangenschaft.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen allen eine stille und schöne

Zeit, einen frühlingshaften Pessach und allem voran Gesundheit

und Freude beim Lesen!

„Könnte es sein,

dass das Virus

unser Leben in

eine Richtung

geändert hat, in

die es sich sowieso

verändern

wollte?“

Matthias Horx*

wına-magazin.at

1


S. 32

Die Premiere von Geheimnisse einer

Unbekannten, Christopher Hamptons

Bühnenfassung nach einer Stefan-Zweig-

Novelle für das Theater in der Josefstadt,

wurde aus gegebenen Umständen

verschoben.

INHALT

MENSCHEN & MEINUNGEN

06 „Bin Journalistin“

Standard-Redakteurin Irene Brickner

schreibt seit vielen Jahren über Flucht

und Asyl und erhielt heuer den Ari-

Rath-Preis für kritischen Journalismus.

20 MenTschen

Als Sohn des Pianisten Friedrich

Gulda und der Schauspielerin Paola

Loew war Paul Gulda bereits früh von

Kunst und Musik umgeben.

„Viel zu viele Menschen

denken

einfach nicht

nach,

wollen nur eine gute

Zeit haben.“

IMPRESSUM:

Christopher

Hampton

Medieninhaber (Verlag):

JMV – Jüdische Medien- und Verlags-

GmbH, Seitenstettengasse 4, 1010 Wien

Chefredaktion: Julia Kaldori

Redaktion: Inge Heitzinger

(T. 01/53104–271), office@jmv-wien.at

Anzeigenannahme: Manuela Glamm

(T. 01/53104–272), m.glamm@jmv-wien.at

Redaktionelle Beratung: Matthias Flödl

Artdirektion: Noa Croitoru-Weissmann

Web & Social Media: Agnieszka Madany

a.madany@jmv-wien.at

Lektorat: Angela Heide

Druck: Print Alliance HAV Produktions GmbH.

09 Museen neu erfinden

Die Wissenschaftlerinnen Ljiljana

Radoni und Heidemarie Uhl zur

Frage, wie Zeitgeschichte idealerweise

ausgestellt werden kann.

12 „Kritischer Historiker“

Der renommierte Wissenschaftler

Dariusz Stola im WINA-Interview über

Diskurskontrolle, die Schoah gestern

und Antisemitismus heute.

14 „Mitmensch sein“

Martha Keils Rede zum Internationalen

Tag des Gedenkens an die Opfer des

Holocaust am 27. Jänner 2020 im Festsaal

der Börse Wien.

22 Illustrierte Neue Welt

Die Journalistin Joanna Nittenberg –

ihre Geschichte und ihre Geschichte

mit ihrer Zeitung.

24 Homeoffice statt Events

Der selbstständige Eventmanager

Daniel Bessler unterstützt den grundlegenden

Umbau eines internationalen

Tabakkonzerns in Österreich.

„Was aus Auschwitz gelernt

werden muss, ist doch dies:

nicht

Gegenmensch,

sondern Mitmensch

zu sein.“

Martha Keil

S. 14

S. 30

Wie geschnitten.

An Pessach ist Matze der Star. Aber unser Herz schlägt heimlich

für die prächtigen Brotlaibe, die nach dem Fest wieder auf den

Tisch kommen. Vielleicht mit diesem Zubehör?

2 wına | März 2020


KULTUR

Wir wünschen

Ihnen ein frohes

Pessachfest.Chag sameach!

32 Parallelen zu den 30ern

Oscar-Preisträger Christopher

Hampton hat seine Bühnenfassung

einer Stefan-Zweig-Novelle für die

Josefstadt vorbereitet.

36 Die virtuelle Stadt

Yona Friedman hat mit seinen Theorien

Generationen von Stadtplanern

inspiriert. Ende Februar starb der

Architekt in Paris.

38 „Eine Art Eingebung“

Von Veronica Taussig zu Veronika

Jurkowitsch und wieder retour oder

der lange Weg zur Kunst.

40 Blick durch die Linse

Eine Würdigung des fotografischen

Werks von Michael Horowitz zu seinem

70. Geburtstag.

42 Von den vier Fragen

Joachim Schnerfs Roman Wir waren

eine gute Erfindung führt durch den Sederabend

und blickt zurück auf

ein ganzes Leben.

43 Familien und andere Banden

Maxim Billers Familiengeschichten:

traurig, komödiantisch, melancholisch

… und allesamt lesenswert.

44 Hunger, Willkür und Tod

Der Czernin Verlag veröffentlicht nun

Rachmil Bryks Erzählungen aus dem

Łód er Ghetto und dem KZ Auschwitz

auf Deutsch.

WINASTANDARDS

01 Editorial

16 Nachrichten aus Tel Aviv

Coronavirus und eine neue

Regierung. Von Gisela Dachs

18 Israel-Blog

Ein herausfordernder Monat voll

Solidarität und Menschlichkeit

26 Warum Wien

Nicolas Gold gründete mit Markus

Schaffer das Designstudio SHEYN

27 Generation unverhofft

David Losonci versucht, den

jüdischen Teil in sich zu finden

28 WINA_kocht

Wohin nur mit den ganzen Mazzen

nach Pessach …

30 WINA_Lebensart

Accessoires für die prächtigen

Brotlaibe nach Pessach

35 WINA_Werkstädte

Hamburg: die Haggada mit den

fünf Weisen von Bnei Brak

45 Urban Legends

Alexia Weiss über die Coronakrise

und die Frage nach dem

richtigen Weg

46 KulturKalender

WINA-Tipps für den April

48 Das letzte Mal

Autorin Anna Goldenberg über ein

besserwisserisches Kamel, motivierende

Angst und Einkaufshass

„Ich habe spät

begonnen und freue

mich, dass ich

an mir noch

ein Talent

entdeckt

habe.“

Veronica Taussig

S. 38

Die Cut-Outs von Henri Matisse

im New Yorker MoMA waren

die Initialzündung, der Anfang

der Metamorphose von Veronika

Jurkowitsch zur Künstlerin

Veronica Taussig.

Coverfoto: 123rf

WINAONLINE:

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facebook.com/winamagazin

wına-magazin.at

3


HIGHLIGHTS | 01

Kämpferin verlor

den Kampf gegen

Covid-19

Die in Paris geborene Frida Wattenberg

verstarb Anfang April an den Folgen einer

Covid-19-Infektion.

Die Tocher polnisch-jüdischer Einwanderer

in Paris trat früh der sozialistisch-zionistischen

Jugendbewegung HaSchomer

HaTzair bei und wurde im Sommer

1940 mit knapp 16 Jahren zum Résistance

rekrutiert. Nachdem sie 1942 die Freilassung

ihrer Mutter aus dem Internierungslager

Vel d’Hiv in Paris erwirkte, war sie

an der Rettung jüdischer Kinder beteiligt,

die in die Schweiz geschmuggelt wurden.

„Wir konnten die Erwachsenen nicht

immer retten. Aber wir haben versucht,

für die Kinder zu tun, was wir

konnten.“ Frida Wattenberg verstarb in

ihrem 95. Lebensjahr in Paris an den Folgen

einer Covid-19-Infektion.

1

Million Dollar

für den Kampf gegen den Coronavirus

hat Popstar P!nk gespendet,

nachdem sie und ihr Sohn positiv

auf Covid-19 getestet wurden und

in Folge auch schwer erkrankt sind.

P!nk, die sich auch gerne als jiddische

Mame bezeichnet, war vor allem

vom schweren Krankheitsverlauf

bei ihrem 3-jährigen Sohn Jameson

Moon: Diese Krankheit ist echt

und sie ist ernst. Die Menschen

müssen wissen, dass sie jung

und alt, arm und reich treffen

kann. Durch ihre Spende sollen

Tests für so viele Menschen wie möglich

erreichbar gemacht werden.

In Not &

Einsamkeit

In der IKG Wien bündelt man alle Möglichkeiten

um Menschen in Not zu helfen.

Infolge der Schließungen und Ausgangsbeschränkungen,

aber auch durch die Isolation,

erleben viele Menschen nicht nur unerwartete

finanzielle Probleme, sondern

stehen oft auch vor psychischen Belastungen,

die sie alleine nicht mehr überwinden

können: die Nöte von Alleinerziehe*innen,

die Einsamkeit Alleinstehender und häusliche

Gewalt sind dabei nur einige Stichworte.

Um bei all den Problemen Unterstützung

bieten zu können, haben die IKG Wien,

die Jüdischen Österreichischen Hochschüler,

ESRA und viele Freiwillige sich zusamengeschlossen

und eine Servicestelle

eingerichtet, die Helfer, Experten und Betroffene

miteinander verbindet. ikg-wien.at.

BU. Der GedIl mod

magnatet hitibus,

sitas sinulpa

conet enim fuga.

Faceste num

escim et laceaq

„Ich wünsche den Leserinnen und Lesern der jüdischen

Stadtzeitung wina und ihren Familien ein wundervolles

Pessachfest und alles Gute. Bleiben Sie alle gesund!“

Wünscht allen Lesern

und Gemeindemitgliedern

CHAG SAMEACH !!

4 wına BEZAHLTE | März ANZEIGE 2020

Dr. Michael Ludwig

Bürgermeister der Stadt Wien

© xxxxx


FOTO DES MONATS

Schutz vor dem Tod MitarbeitervonChevraKadischa*tragenbeim

Begräbnis in Jerusalem Schutzkleidung

als Präventivmaßnahme gegen

die Verbreitung des Coronavirus.

* Beerdigungsgesellschaft, die sich der vor allem auch der rituellen Bestattung Verstorbener widmen.

© Yonatan Sindel / Flash90

wına-magazin.at

5


Irene Brickner.

„Davor gab es tatsächlich

Zeiten, in denen man so

etwas schreiben konnte,

ohne dafür gemobbt zu

werden.“

WINA: Sie berichten seit vielen Jahren

über die Themen Flucht und Asyl. Wie hat

sich das ergeben?

Irene Brickner: Für den Standard berichte

ich seit 2005 über Asyl. Ich habe

dort als Niederösterreich-Berichterstatterin

angefangen, und Traiskirchen

befindet sich in diesem Bundesland.

Interessiert hat mich das Thema

aber schon viel länger. Die erste Reportage

über einen Asylwerber habe

ich in der neuen AZ geschrieben, das

war im Jahr 1991. Das wurde redaktionsintern

damals nicht unbedingt geschätzt,

denn es gab böse Leserbriefe

von deklarierten SPÖ-Mitgliedern.

INTERVIEW MIT IRENE BRICKNER

„Ich bin keine

Sozialarbeiterin,

sondern

Journalistin“

Der heurige Ari-Rath-Preis für kritischen Journalismus

ging an die Standard-Redakteurin und Chefin

vom Dienst Irene Brickner. Sie schreibt seit

vielen Jahren zum Thema Flucht und Asyl. Im

WINA-Interview erzählt sie, welche Herausforderungen

damit einhergehen.

Interview: Alexia Weiss, Foto: Daniel Shaked

Welche Herausforderungen ergeben sich,

wenn man über Flucht und Asyl schreibt?

I Es ist nicht leicht, in Österreich über diese Themen

zu schreiben, denn es gibt einen Boden von

Ausländerfeindlichkeit. Ich glaube nicht, dass dieser

ausgeprägter als in anderen Ländern ist, aber auf

seiner Grundlage wird schon seit der Haider-Zeit

Politik gemacht. Für mich hat sich von Anfang an

die Frage des Asylrechts gestellt. Ich habe stückweise

eine ziemliche Expertise entwickelt und kenne mich

mittlerweile im Asylrechts- und Fremdenrechtsbereich

aus, der ja relativ kompliziert ist – obwohl ich

nicht Jus studiert habe.

2005, als ich im Standard begann, Artikel zu

Asylthemen anzubieten, war die Reaktion zunächst

darauf: Das ist ein Orchideenthema, das interessiert

uns und die Leserschaft nur am Rande. Ich habe immer

gewusst, dass das nicht stimmt und dass dieses

Thema großes Konfliktpotenzial in sich birgt. Zunächst

ist es mir deswegen darum gegangen, Schicksale

von Flüchtlingen zu schildern, zu zeigen, wie es

ihnen geht. Das waren Beiträge über Einzelfälle. Ich

6 wına | April 2020


Konfliktpotenzial

wollte damit zu mehr Verständnis beitragen, doch

das hat sich dann im Zuge des Rechtsrucks fast verunmöglicht.

Davor gab es tatsächlich Zeiten, in denen

man so etwas schreiben konnte, ohne dafür

gemobbt zu werden. Ohne dass einem sofort entgegengeschleudert

wird, der Artikel stimme nicht,

dass das, was man geschrieben hat – wie es dann

heißt – gutmenschig sei.

Wer schleudert Ihnen das entgegen?

I Solche Reaktionen kommen von Lesern und Usern,

wobei das Ganze durch die Digitalisierung massiv

zugenommen hat. Nur wenige Prozent aller User von

derstandard.at posten, rund die Hälfte von ihnen bei

Asylthemen negativ. Diese recht kleine Gruppe ist

laut, widerlich und manchmal sogar bedrohlich.

Sie wird erst jetzt, wo das Thema Onlinemobbing

langsam durchsickert, wieder eingebremst. Dazu

kommt, dass ich eine Frau bin, was für diese Poster

ein Zusatzproblem ist. Ich habe kürzlich zur Situation

an der türkisch-griechischen Grenze einen

Kommentar geschrieben, Titel: Resettlement jetzt.

Sofort kamen Mails, sogar mit Klarnamen, wie ich

so etwas denn fordern könne, ich hätte ja keine Ahnung,

das sei typisch für eine emotionale Frau. Dabei

war Resettlement von Beginn an Teil des EU-Türkei-Flüchtlingsabkommens.

Wie gehen Sie damit um – einerseits mit Kommentaren

unter Artikeln, aber eben auch mit persönlichen Mails?

I Wenn es etwas Unsachliches ist, ignoriere ich es.

Wenn es etwas Persönliches ist, entferne ich es –

sofern ich es vor den Forenwartern des Standard

lese. Und wenn es etwas strafrechtlich Relevantes

ist, dann zeige ich es an. Wenn aber ein stichhaltiges

Argument vorgetragen wird, denke ich da rüber

nach. Ein Beispiel aus der analogen Welt: Die Art

und Weise, wie heute Asyl beantragt wird, ist antiquiert.

Ein Mensch muss es ad personam bis in ein

anderes Land schaffen und dort „Asyl“ sagen. Dieses

Prozedere ist eine Reaktion auf die Realitäten

in der Hitler-Zeit, als man Juden auf der Flucht aus

der Schweiz sowie aus Teilen Frankreichs zurückgeschickt

hat. Nach dem Zweiten Weltkrieg wollte

man Derartiges ein für alle Mal abstellen – dass es

jetzt an den Grenzen zur EU zum Teil wieder passiert,

ist schlimm genug. Aber entspricht das Asyl-

Prozedere noch den heutigen Umständen? Eric

Frey, ein Kollege im Standard, hat kürzlich gemeint,

man müsste heute Asyl eigentlich online beantragen

können. Das ist eine nachdenkenswerte Idee.

Im Grunde müsste man das Asylsystem verändern,

damit es auf der Höhe der Zeit ist.

In Griechenland sollen hunderte unbegleitete minderjährige

Flüchtlinge unter 14 Jahren in den Lagern sein.

Darüber wird immer wieder berichtet. Können diese Texte

aber irgendetwas bewirken?

I Ich glaube nicht, dass Berichte allein die Positionen

der österreichischen Bundesregierung verändern.

Das geht nur – vielleicht – durch politischen Druck,

der aber wiederum nur entstehen kann, wenn über

diese Zustände auch berichtet wird. Ich glaube daher

schon, dass man als Journalistin oder Journalist

immer wieder auf solche Zustände hinweisen

muss und man solche humanitären Krisensituationen

nicht vergessen darf. Die Flüchtlingsmisere

in Griechenland und in Syrien, aber etwa auch in

Libyen dauert inzwischen ja seit Jahren an. Um sie

zu beenden, müsste man vor allem den Krieg in Syrien

beenden. Erst dann würde sich die Lage entspannen.

Sie schreiben vorrangig über die Situation von Flüchtlingen

in Österreich, und da gibt es sehr viele Fälle. Rennen

Ihnen da Betroffene und NGOs die Türen ein, damit Sie

über Problemfälle berichten?

I Nein, einrennen nicht – aber ich bekomme häufig

solche Informationen. Es sind meistens die Unterstützer,

die sich melden, wenn eine Situation ziemlich

verfahren ist, wenn zum Beispiel eine für einen

Flüchtling gefährliche Abschiebung droht. Die Fälle

sind rechtlich oft de facto aussichtslos. Die Betroffenen

haben schon einen langen Weg vor den Gerichten

hinter sich und wissen, jetzt steht es Spitz auf

Knopf. In der Zeit der türkis-blauen Regierung habe

ich nichts mehr über Einzelfälle geschrieben, weil

es kontraproduktiv gewesen wäre. Der damalige Innenminister

Herbert Kickl hat jeden, über den geschrieben

wurde, mit besonderer Härte behandeln

oder besonders rasch abschieben lassen. Jetzt haben

wir mit der neuen türkis-grünen Regierung eine

andere Situation. Zwei Mal bereits wurde jemand

IRENE BRICKNER,

geboren in Wien, ist Journalistin

und Autorin. Seit 2000

schreibt sie für Der Standard,

wo sie heute Chefin vom

Dienst ist. Ihr Schwerpunkt

sind Menschenrechtsthemen.

2012 erschien im Residenz

Verlag ihr Schwarzbuch Menschenrechte.

Sie wurde bereits

u. a. mit dem Prälat-Leopold-

Ungar-JournalistInnenpreis

und dem Dr.-Karl-Renner-Publizistikpreis

ausgezeichnet.

„2005, als

ich im Standard

begann,

Artikel zu

Asylthemen

anzubieten,

war die Reaktion

zunächst

da rauf: Das ist

ein Orchideenthema.“

wına-magazin.at

7


Ungerechtes abwenden

besonders Gefährdeter von einem Abschiebeflug nach

Afghanistan heruntergenommen, nachdem es Medienberichte

über die Fälle gegeben hatte. In einem

dritten Fall ist es vor Kurzem allerdings gescheitert.

Ein Afghane, der zum Katholizismus konvertiert ist,

wurde nach Kabul abgeschoben. Als eine vom Islam

abgefallene Person ist er in Afghanistan in Lebensgefahr.

Zwei Wochen später bekam er die aufschiebende

Wirkung, die Abschiebung wurde also rückwirkend

als widerrechtlich beurteilt. Aber zurückgebracht

wurde er bisher nicht. Nur wenn das Höchstgericht

endgültig in seinem Sinn entscheidet, darf er aus Afghanistan

wieder nach Österreich kommen.

Wie geht es Ihnen selbst emotional, wenn Sie über solche

Fälle berichten?

I Ich habe mittlerweile die Haltung, dass ich mit

dem Schlimmsten rechne und nicht überrascht bin,

wenn sich etwas negativ weiterentwickelt. Wenn

sich etwas zum Besseren entwickelt, freue ich mich

hingegen umso mehr. Mir tun die betroffenen Menschen

oft leid, aber ich bin keine Sozialarbeiterin,

sondern Journalistin. Doch ich weiß auch, was es für

eine Erleichterung ist, wenn jemand bleiben darf

oder etwas anderes Ungerechtes abgewendet werden

konnte. Und ich kenne auch Leute, die illegal

leben, und ich weiß, was das bedeutet. Das ist ganz

schlimm.

Ich finde das Recht auf Asyl auch deshalb wichtig,

weil mein Vater – er war jüdisch, meine Mutter katholisch

– den Holocaust nur überlebt hat, weil er als

Flüchtling nach England kam. Dass er dort gerettet

wurde, war für mich immer ganz wichtig, auch schon

als Kind. Und: Er ist danach zurückgekehrt, um, wie er

sagte, Österreich wieder aufzubauen. In diesem Sinn

ist es für mich selbstverständlich, mich in Österreich

für das Recht auf Asyl einzusetzen, ohne auf die Tränendrüsen

zu drücken. Das gilt auch global: Das Asylrecht

ist nötig in einer Welt, die ist, wie sie ist. Deswegen

schreibe ich, was ich schreibe. Oft wird mir und

anderen, die dazu arbeiten, unterstellt, wir seien alle

Gutmenschen und würden alles glauben, was uns erzählt

wird. Natürlich gibt es Asylsuchende, die nicht

DER ARI-RATH-PREIS

Der Ari-Rath-Preis für kritischen

Journalismus wurde

von einer Privatinitiative eingerichtet,

um im Sinn des 2017

verstorbenen ehemaligen

Chefredakteurs der Jerusalem

Post Journalistinnen und Journalisten

auszuzeichnen, „die

sich in ihrer Arbeit um eine kritische

und der Wahrung der

Menschenrechte verpflichtende

Berichterstattung über

Flucht, Vertreibung und Asyl

in hervorragender Weise verdient

gemacht haben“.

Bisherige Preisträgerinnen waren

Alexandra Förderl-Schmid,

ehemalige Standard-Chefredakteurin

und nun Korrespondentin

der Süddeutschen

Zeitung in Israel, sowie Silvana

Meixner von der ORF-

Redaktion Heimat, fremde

Heimat. Mitglieder der Jury

sind Gertraud Borea d’Olmo,

die Generalsekretärin des

Bruno-Kreisky-Forums, der

Medienhistoriker Fritz Hausjell,

Rubina Möhring von Reporter

ohne Grenzen sowie der Historiker

Oliver Rathkolb.

„Ich habe

mittlerweile

die Haltung,

dass

ich mit dem

Schlimmsten

rechne und

nicht überrascht

bin,

wenn sich

etwas negativ

weiterentwickelt.“

die Wahrheit sagen, die versuchen, es so irgendwie

zu schaffen, hier bleiben zu können. Aber trotzdem

brauchen wir das Recht auf Asyl.

Sie haben die Geschichte Ihres Vaters angesprochen. Wie

sehr hat Sie diese Geschichte auch zu dem Thema geführt?

I Sehr. Auf alle Fälle.

Gab es auch einen Punkt, an dem Ihnen alles zu viel wurde

und Sie das Bedürfnis hatten, sich von dem Thema zu

distanzieren?

I Immer wieder.

Können Sie sich an eine konkrete Situation erinnern?

I Ich habe relativ früh, als der Standard auf das Digitale

gesetzt hat, einen Blog gemacht, Brickners Blog hat

der geheißen. Die Rechten haben rasch verstanden,

dass sie sich da in dem Forum wunderbar breitmachen

konnten, um es für ihre Propaganda zu missbrauchen.

Ich wurde massiv gemobbt, was zu diesem

Zeitpunkt leider nicht in seinem ganzen Umfang erkannt

wurde. Seit damals habe ich bei manchen Postern

das Image von einer Depperten. Ich schleppe

diesen erfundenen Makel mit mir mit. Daher heißt

es in den Postings immer wieder: Schon wieder die

Brickner, ist alles unlogisch und dumm, kein Wunder,

wenn die schreibt.

Aber ich schreibe ja zum Glück nicht nur über Asyl,

sondern als Chronik-Redakteurin auch über andere

Themen, im Moment zwangsläufig etwa über das Coronavirus.

Auch gab es, was Asyleinzelfälle angeht,

diese bereits erwähnte lange Zwangspause, weil solche

Berichte unter Kickl keinen Sinn gemacht haben.

Das muss man sich einmal klarmachen: Wurde in einem

Artikel auf die existenzbedrohende Situation eines

Flüchtlings hingewiesen, wurde die betroffene

Person dafür bestraft. Das ist jetzt in Österreich nicht

mehr so, aber in anderen Ländern nach wie vor. Nehmen

wir etwa Ungarn, wo es noch weit schlimmer als

in Österreich unter Türkis-Blau war. Da gibt es in den

gleichgeschalteten Medien das Thema Flüchtlinge nur

noch als Propagandainstrument der autoritären Regierung.

8 wına | April 2020


INTERVIEW MIT LJILJANA RADONIC UND HEIDEMARIE UHL

Museen müssen sich

immer wieder

neu erfinden

Die Wissenschafterinnen Ljiljana Radonić und Heidemarie

Uhl setzen sich mit der Frage auseinander, wie Zeitgeschichte

idealerweise ausgestellt wird. Das betrifft auch die Arbeit von jüdischen

Museen. WINA bat die beiden Forscherinnen zum Gespräch.

Interview: Alexia Weiss, Fotos: Daniel Shaked

WINA: Die Errichtung von Museen in großem Stil ging mit

der Entwicklung von Nationalstaaten einher. Auch in Wien

gibt es ältere und neuere Museen, Beispiel Kunsthistorisches

Museum. Was war die Intention bei der Eröffnung

dieses Hauses?

Heidemarie Uhl: Kunstmuseen machten die Kunstschätze,

die man zur Repräsentation des Monarchen

und Imperiums einsetzte, sukzessive öffentlich. Die

Museumsbauten Ende des 19. Jahrhunderts sind genau

diese Öffnung der kaiserlichen Sammlungen.

Wobei das Museum eine Idee der bürgerlichen Moderne

ist, es ging darum, neue öffentliche Räume zu

schaffen. Zur gleichen Zeit entstand auch das Warenhaus.

Inhaltlich versicherten sich die bürgerlichen

Eliten vor allem in Nationalmuseen, welche lange Geschichte

und welche großen Helden und Märtyrer die

Nation hervorgebracht hat.

Warum entstand in Österreich kein Nationalmuseum?

Heidemarie Uhl: Die Kategorie der Nationalmuseen

entsteht fast in jedem Land, das sich seiner nationalen

Identität sicher ist. In Österreich ist das Problem,

dass man sich eigentlich nur auf die ruhmreiche Heeresgeschichte

einigen konnte. Das Heeresgeschichtliche

Museum wurde sozusagen ein Ersatz für ein Nationalmuseum.

Eines der neuesten Museen ist das Haus der Geschichte

Österreich. Hier gab es im Vorfeld langjährige Debatten

und schließlich eine abgespeckte Umsetzung. In diesem

Museum geht es nicht darum, eine Sammlung zu präsentieren,

sondern zum gesellschaftlichen Diskurs beizutragen.

Gelingt das?

„Das ist der

große Bruch

zu früheren

traditionellen

Museen,

die eine

Geschichte

erzählen.“

Ljiljana Radonic

Heidemarie Uhl: Das Haus der Geschichte hat die

ambivalente Situation der späten Geburt. Das Museum

hat ohne ein einziges Objekt begonnen, denn

die Sammlung musste erst aufgebaut werden. Andererseits

konnte es sich dadurch auch frisch definieren.

Das ist das erste Bundesmuseum, das genau

diesen Passus im Gesetz hat, eben ein Raum für Diskurse,

für Auseinandersetzungen zu sein.

Ljiljana Radoni : Im starken Kontrast zu Nationalmuseen

ist das Spannende hier, dass nicht nur die

Geschichte, sondern auch die Aufarbeitung der Geschichte

ausgestellt wird und dass auch Streitfragen

als Streitfragen thematisiert werden. Sagt man zum

Beispiel Austrofaschismus oder autoritärer Ständestaat.

Der Zugang, den das Haus der Geschichte Österreich

gewählt hat, ist, zu sagen, wer würde welchen

Begriff aus welchen Gründen verwenden. Das

ist der große Bruch zu früheren traditionellen Museen,

die eine Geschichte erzählen.

Das heißt, hier gibt es eine klare Abgrenzung zu Museen,

die so agieren, dass sie sagen, wir erklären, wie etwas ist.

Ist dieser Bruch nur im Haus der Geschichte gegeben, oder

zieht sich dieser inzwischen quer durch die Museumslandschaft?

Ljiljana Radoni : Das ist nicht durchgängig so. Das

Heeresgeschichtliche Museum etwa ist das Gegenteil

dessen, was das Haus der Geschichte Österreich

macht. Dort wird eine stolze heroische Schausammlung

präsentiert, die auch zum Teil mit Objekten

arbeitet, die gar nicht kontextualisiert werden.

Im Raum über den Nationalsozialismus kann sich

da jeder für die SS-Uniform frei von der Leber weg

wına-magazin.at

9


Raum für Diskurs

Gerade um jüdische Museen gab es zuletzt massive Diskussionen.

Einige Museumsleiter traten zurück, etwa Dariusz

Stola als Direktor des POLIN-Museums der Geschichte

der polnischen Juden in Warschau oder Peter Schäfer

als Direktor des Jüdischen Museums Berlin. Wie ist das zu

interpretieren?

Ljiljana Radoni : Sehr unterschiedlich. Die Berliner

Geschichte fällt genau in das hinein, was ich gerade

thematisiert habe. Die Kritik an der Führung

des Museums war, dass sie zu stark den Fokus auf Islamophobie

legte und dabei sogar Einladungen aussprach

an Leute, die selbst nicht frei vom Antisemitismusvorwurf

sind. In Polen, bei dem Museum für

die Geschichte der polnischen Juden, liegt die Geschichte

ganz anders. Dort ist das im Zuge des autoritären

Backlashs, den die Partei Recht und Gerechtigkeit

(PiS) in Polen gerade vollzieht, zu sehen. Hier

war gerade das Thematisieren des Antisemitismus das

Problem. Dariusz Stola hat einerseits das so genannte

Holocaust-Gesetz kritisiert, also die Novelle zum Gebegeistern.

Hier gibt es in Österreich also ein großes

Spannungsverhältnis.

Was sind die Möglichkeiten von Museen, wenn es um gesellschaftspolitische

Umbrüche geht, und wo liegen ihre

Grenzen?

Heidemarie Uhl: Gerade einige Nationalmuseen

mussten nach dem Systembruch 1989 ihre Geschichte

völlig neu erzählen. Museen sind zudem auch Bildungsinstitutionen

für die junge Generation. Da ist die

Qualität der Vermittlung wichtig. Heute macht man

Vermittlung nicht mehr so nebenbei. Üblich ist es zudem,

die Viele-Möglichkeiten-Geschichte zu erzählen.

Gerade in der aktuellen Kampf-gegen-Antisemitismus-

Debatte wird immer wieder gefordert, dass alle Schüler

und Schülerinnen eine KZ-Gedenkstätte oder ein jüdisches

Museum besuchen sollen. Wie sinnvoll ist das?

Ljiljana Radoni : Das sind zwei verschiedene Dinge.

Eine KZ-Gedenkstätte zu besuchen, halte ich auf jeden

Fall für sinnvoll, wobei gleichzeitig dazu gesagt

werden muss, dass das keine Heiltinktur ist. Aber der

Besuch eines Ortes der Verbrechen ist auf jeden Fall

zu begrüßen. Besuche in jüdischen Museen verpflichtend

für Schüler und Schülerinnen vorzusehen, halte

ich dagegen für absurd.

Heidemarie Uhl: Es sollten andere Institutionen als

jüdische Museen die Funktion haben, Antisemitinnen

und Antisemiten aufzuklären. Das Jüdische Museum

Wien weist es auch zurecht zurück, dieser Rollenzuschreibung

nachzukommen.

Stichwort jüdische Museen. Lange vermieden jüdische

Museen, Antisemitismus breiten Raum zu geben. Man

wolle jüdische Kultur vermitteln und nicht die Welt der

Judenhasser beleuchten. Barbara Staudinger, Direktorin

des Jüdischen Museums Augsburg-Schwaben, schreibt in

ihrem Beitrag zum Buch, dass sich jüdische Museen dem

Thema nicht mehr verschließen können. Sehen Sie hier

auch einen Paradigmenwechsel?

Ljiljana Radoni : Ja, es gab diesen Paradigmenwechsel,

aber wir sind schon einen Schritt weiter. Zuerst

wurde gesagt, wir müssen nur Positives vermitteln.

Dann wurde Antisemitismus in jüdische Museen integriert.

Jetzt sind wir so weit, dass manche Direktoren

und Direktorinnen überhaupt nicht mehr über

Antisemitismus sprechen wollen, sondern über aktuellen

Rassismus, Fremdenfeindlichkeit oder sehr

gerne auch über Islamophobie. Es gibt teils sogar ein

gewisses Unbehagen, über Antisemitismus zu sprechen,

aber nicht aus dem Grund, weil es etwas Negatives

ist oder den Tätern zu viel Raum gibt, sondern

weil gerade jüdische Museen neuerdings einen starken

Trend haben, universelle Botschaften und aktuelle

politische Fragen zu thematisieren. Das bringt

aber das Problem, dass sogar die Leiter und Leiterinnen

der jüdischen Museen absurderweise dann

so tun, als ob Antisemitismus kein aktuelles gesell-

schaftliches Problem wäre. Staudinger ist da ein Positiv-Beispiel,

weil sie immer gleichzeitig aktuellen

Antisemitismus und etwa antimuslimischen Rassismus

thematisiert.

LJILJANA RADONI ,

geb. 1981, leitet am Institut

für Kulturwissenschaften

und Theatergeschichte der

Österreichischen Akademie

der Wissenschaften (ÖAW) das

ERC-Forschungsprojekt Globalisierte

Gedenkmuseen. Ihre

Habilitation am Institut für Politikwissenschaft

der Universität

Wien, wo sie seit 2004 lehrt,

verfasste sie über den Zweiten

Weltkrieg in postsozialistischen

Gedenkmuseen.

10 wına | April 2020


Begegnungszone

Welche Aufgabe haben jüdische Museen heute aus Ihrer

Sicht? Sollten es vorrangig Museen für Nichtjuden sein,

in denen das Judentum dann aber auch „das andere“ verhandelt.

Oder sollten es auch Orte für Juden sein, in denen

innerjüdische Positionen verhandelt werden?

Ljiljana Radoni : Ich würde sagen, sie sollten beides

sein, wobei „Ort für Nichtjuden“ immer mit Vorsicht

zu genießen ist – was das heißt, ist die entscheidende

Frage. Da sehe ich die lange Geschichte des

Ausstellens von Judaika, die kontextlos oder ein bisschen

beliebig ausgestellt werden durchaus als Problem,

weil es auch Klischees davon befördert, was typisch

jüdisch ist. Natürlich geht das aber auch anders.

Im Jewish Heritage Museum in New York gibt es derzeit

eine temporäre Ausstellung, die heißt Auschwitz,

geht aber viel breiter darüber hinaus. Sie stellen auch

Judaika aus, aber nur sinnvoll kontextualisiert, also

zum Beispiel Judaika aus dem Ort O wi cim, um zu

zeigen, wie sich in diesem Ort die jüdische Geschichte

gewandelt hat. Die Objekte sind einer Phase, einer

Gruppe oder sogar einer Person zugeordnet, durch

diese Gegenstände wird also eine Geschichte erzählt.

Es sollte aber auch ein Ort der Auseinandersetzung

mit innerjüdischen Problemen sein. Das ist ja auch

interessant für nichtjüdische Besucher. Was sind die

Debatten, die verhandelt werden?

Heidemarie Uhl: Und es ist natürlich ein Ort, der

auch eine Begegnungszone ist. Es wäre sicher zu wenig

zu sagen, jüdische Museen sind nur dazu da, um

jüdische Identität zu stiften.

setz über das Institut für nationales Gedenken. Und

er hat eine temporäre Ausstellung verantwortet über

den Antisemitismus in Polen der 1968er. Entfremdet

hieß die. In Polen will ein immer autoritärer werdender

Staat die Meinungsfreiheit einschränken.

Soll man als Leiter eines jüdischen Museums besser unpolitisch

sein?

Ljiljana Radoni : Keinesfalls, aber man darf die Fälle

nicht über einen Kamm scheren. Im polnischen Fall

will die undemokratische PiS die Museen und die Leitung

zum Schweigen verdonnern. Im Falle von Berlin

wird das auch so diskutiert, aber da kommt es darauf

an, auf welcher Seite der Debatte man steht. Wenn

man findet, man muss über den heutigen Antisemitismus

sprechen, dann ist die Kritik an der Museumsführung

ja auch berechtigt.

HEIDEMARIE UHL,

geb. 1956, ist Historikerin am

Institut für Kulturwissenschaften

und Theatergeschichte

der ÖAW und Lehrbeauftragte

an den Unis Wien und Graz.

Ihre Forschungsschwerpunkte

sind Gedächtniskultur in

Bezug auf den Holocaust und

österreichische Zeitgeschichte

im europäischen Kontext.

Identität, Identitätspolitik sind Schlagworte unserer Zeit.

Inwiefern werden sie in zeitgeschichtlichen Museen verhandelt

– inwiefern trägt aber auch der Diskurs um Identität

wieder zu Nationalismus bei?

Heidemarie Uhl: Einerseits ist der nationale Rahmen

gerade bei Museen, die sich auf Zeitgeschichte

fokussieren, meist gegeben. Es gibt nur ein Museum

in Europa, das sich transnational definiert, und das

ist das Haus der europäischen Geschichte in Brüssel.

Die Frage der Identitätsstiftung ist gerade, wenn

wir an innovative zeitgeschichtliche Museen denken,

wie etwas das Haus der Geschichte Österreich, eine

ambivalente. Einerseits ist schon durch das Framing

klar, hier geht es um nationale Identität im weitesten

Sinne. Aber es ist ein Versuch, Identität eben neu zu

definieren und zu zeigen, dass das, was man sich unter

einer nationalen Identität vorstellt, immer eine

Konstruktion ist, die durchgesetzt wird und die sich

verändern kann. Identität ist vielfältiger als nur eine

nationale oder eine ethnische Zuschreibung.

Ljiljana Radoni , Heidemarie Uhl (Hg.):

Das umkämpfte Museum. Zeitgeschichte ausstellen

zwischen Dekonstruktion und Sinnstiftung,

transcript Verlag, 288 S., € 32,99

BUCHTIPP

Der Band Das umkämpfte Museum beschreibt das Spannungsfeld von Museen,

die sich mit Zeitgeschichte befassen. Sie bewegen sich je nach Standort und Rahmenbedingungen

im eigenen Land zwischen nationalistischen Darstellungen

und kritischer Reflexion des Nationalen. Wie wird die eigene Geschichte erzählt?

Woran macht ein Land seine Identität fest? Hier spielen auch Gedenkstätten und

jüdische Museen eine Rolle. Wirken sie hier wie ein Korrektiv?

wına-magazin.at

11


INTERVIEW MIT DARIUSZ STOLA

„Ein kritischer Historiker

ist hier fremd zu Hause“

Dariusz Stola, renommierter Wissenschaftler und ehemaliger

Direktor des POLIN-Museums in Warschau, spricht über Diskurskontrolle,

die Schoah gestern und Antisemitismus heute.

Interview: Marta S. Halpert

WINA: Als Gast des Wiener Wiesenthal Instituts (VWI)

haben Sie jüngst einen Vortrag über die verschiedenen

Phasen der Aufarbeitung des Holocausts in Polen gehalten.

Für die letzten 30 Jahre nannten Sie Polen als Vorbild

unter den osteuropäischen Staaten, wie diese vielschichtige

Materie angegangen wurde, nämlich mit einer breiten

öffentlichen und schonungslosen Debatte. Aber mit dem

Jahr 2010 datieren Sie nicht nur einen historischen Wendepunkt

dieser Diskussionskultur, sondern konstatieren

sogar einen dramatischen Rückschlag. Was ist da passiert?

Dariusz Stola: Fangen wir mit dem Positiven an: Mit

der beginnenden Erosion des kommunistischen Regimes

in den Achtzigerjahren, dem Erscheinen von

Untergrundpublikationen, an denen ich auch beteiligt

war, sowie der Ausstrahlung der TV-Serie von

Claude Lanzmann erhielt diese Debatte Aufwind. Die

Frage nach der eigenen kollektiven Identität drang

1987 durch die Solidarno -Bewegung stärker in das

öffentliche Bewusstsein und damit auch das Verhalten

der katholischen Polen zu ihren jüdischen Bürgern

während der Schoah.

Wurde da auch postkommunistische Selbstkritik hörbar?

I Ja, eindeutig. Denn der Mythos vom eigenen patriotischen

Bild des nur „Opfers, das sich kämpferisch

gegen die deutsche Aggression stellte“ begann

dem Bewusstsein zu weichen, dass man die Juden

den grausamen Mördern überlassen hatte. Ich behaupte,

dass die polnische Bevölkerung großteils als

passive Zuschauer alles gesehen, gehört und gerochen

hat. Während die meisten Mittel- und Nordeuropäer

„nur“ das plötzliche Verschwinden und

die Deportationen ihrer Nachbarn sahen, wurde die

Massenvernichtung der Juden vor den Augen der Polen

ausgeführt. Eine alte Frau, die nur sechs Kilometer

vom Vernichtungslager Belzec entfernt wohnt, er-

„Mein

Verhältnis

zur polnischen

Regierung

hat sich erst

getrübt, als ich

das sogenannte

Holocaust-

Gesetz scharf

kritisierte.“

Dariusz Stola

*Im Pogrom von Kielce

wurden am 4. Juli 1946

über vierzig Juden ermordet

und weitere 80

verletzt, nachdem ein

Gerücht über die Entführung

eines christlichen

Jungen verbreitet worden

war. Unter den Opfern

befanden sich auch

zwei nichtjüdische Polen,

die den Angegriffenen zu

Hilfe geeilt waren.

zählte mir, dass sie wegen des schrecklichen Gestanks

aus dem Lager die Fenster nicht öffnen konnte. Wenn

die Schoah ein beispielloses Verbrechen war, dann

war das Zu- oder Wegschauen ebenso ein beispielloses

Verbrechen.

Wie ist die nicht-jüdische Bevölkerung damit nach 1945

umgegangen?

I Sie haben eine Strategie entwickelt, um ein Minimum

an seelischem Gleichgewicht zu halten, indem

sie sich vom Schicksal der jüdischen Opfer distanzierten.

Doch diese Verdrängung hatte einen Preis,

den zahlten sie erst später. Unter der kommunistischen

Herrschaft wurde das Thema unterdrückt,

man durfte nicht darüber sprechen, und das führte

zu posttraumatischen Zuständen. Erst die Intellektuellen,

wie z. B. Czesław Miłosz, und Teile der Kirche

thematisierten in den späten 1980ern die emotionalen

und moralischen Aspekte und die als Christen

begangenen Sünden.

Obwohl man der kommunistischen Version der Geschichte

misstraute, gab es leider zu wenige jüdische

Überlebende, die von ihren persönlichen Erfahrungen

erzählen hätten können: Zu Beginn der

deutschen Besatzung lebten 3,3 Millionen Juden in

Polen, nur ein Zehntel davon überlebte die Schoah.

Nach dem Pogrom von Kielce 1946 * verließen wiederum

neunzig Prozent davon aus Angst das Land –

der Großteil davon rettete sich mit Hilfe der Bricha

nach Palästina.

Ab 1989/90 war die gesellschaftliche Aufbruchstimmung

in Polen deutlich zu merken: Es gab kräftige Signale der

Zivilgesellschaft, die mit der Vergangenheit in allen Bereichen

des Lebens aufräumen wollte, um ein Teil der

westeuropäischen Demokratien zu werden. Sie setzen den

12 wına | April 2020


Fremd zuhause

Rückschlag mit 2010 an, warum?

I Da kamen einige Ereignisse zusammen: Der Flugzeugabsturz

von Smolensk war so ein historischer

Moment, der zum nationalen Trauma wurde. Dieses

Unglück erweckte unterbewusst den Kult um den

tragischen Heldentod und bescherte den rechten Medien

im Land den Auftrieb, abstruse Weltverschwörungstheorien

zu verbreiten. Unter anderem, dass

der frühere EU-Präsident Donald Tusk gemeinsame

Sache mit den Russen gemacht habe. Kasczinsky persönlich

und seine Partei wissen um die emotionale

Bedeutung von Geschichte und wie man durch deren

Umdeutung profitieren kann. Sie hören aufmerksam

auf die rechten Stimmen im Land: Kasczinsky oder

Orbán sind vielleicht keine Antisemiten, aber sie tolerieren

den Antisemitismus ungebremst.

Dariusz Stola.

„In Polen gibt es immer

wieder Proteste,

vor allem von Menschen

der Generation

zwischen 50 und 60,

die sich noch gegen

den Kommunismus

aufgelehnt haben.“

Warum nehmen die proeuropäischen Jugendlichen z. B.

die fortschreitende Aushöhlung der Justiz hin?

I Die Regierung ist wegen ihrer großzügigen Sozialpolitik

sehr beliebt. Der polnischen Wirtschaft geht es

viel besser als der ungarischen – und die soziale Umverteilung

funktioniert gut. Die Jugend protestierte

sehr wohl gegen die „Justizreformen“, aber weil die

EU langsam oder gar nicht reagiert, macht sich Resignation

und Gleichgültigkeit breit. Diese zwei Faktoren,

wie Zivilgesellschaft und EU reagieren, werden

die Zukunft meines Landes bestimmen.

Diese Entwicklungen in Ihrer Heimat haben auch Ihr berufliches

Leben verändert: Als renommierter Zeithistoriker

forschen Sie bis heute zur Migration im 20. Jahrhundert,

zur Schoah und den polnisch-jüdischen Beziehungen. Von

2014 bis Februar 2020 leiteten sie sehr erfolgreich das PO­

LIN-Museum, in dem die Geschichte der polnischen Juden

erzählt wird. Seit 2018 scheinen Sie bei den Regierenden in

Ungnade gefallen zu sein?

I Mein Verhältnis zur polnischen Regierung hat sich

erst getrübt, als ich das so genannte Holocaust-Gesetz

scharf kritisierte. Dieses Gesetz stellte jeden unter

Strafe, der der polnischen Nation oder dem polnischen

Staat eine Mitverantwortung am Holocaust

gab. Unter dem Protest aus Israel und den USA entschärfte

das Parlament das Gesetz später.

© Stach Leszczyñski/picturedesk.com

Sie sehen noch einen einschneidenden Wendepunkt?

I Meine These lautet, dass der Rechtsruck einiges mit

der digitalen Revolution zu tun hat: Die Rechte war

in der breiteren Öffentlichkeit marginalisiert, weil

sie keine finanziellen Ressourcen für Massenmedien

hatte. Aber seit 2006 gibt es in Polen Twitter und You-

Tube, seit 2008 Facebook. So bekam diese Gruppe einen

leichten und billigen Zugang zu den sozialen Netzwerken

und kann dort ihre hetzerischen und revisionistischen

Inhalte gut verbreiten.

Wo ist der berühmte Widerstandsgeist der Polen, die viel

schneller und öfter protestieren als z. B. die Ungarn?

I Viktor Orbán hat die autoritären Maßnahmen viel

schneller durchgezogen. In Polen gibt es immer wieder

Proteste, vor allem von der Generation zwischen

50 und 60, die sich – wie auch ich – noch gegen den

Kommunismus aufgelehnt hat. Bei uns geht alles viel

langsamer. Die PiS-Partei hat vier Jahre für die Veränderungen

gebraucht.

DARIUSZ STOLA,

1963 in Warschau geboren, lehrt

als Zeithistoriker an der Akademie

der Wissenschaften und

an der Universität Warschau. Er

zählt zu den renommiertesten

Experten für die Geschichte

der Schoah und der polnischjüdischen

Beziehungen. Er publizierte

über die Aufarbeitung des

kommunistischen Regimes im

Nachkriegspolen.

Stola leitete das POLIN-Museum

von seiner Gründung 2014 bis

Anfang 2020.

Sie wagten es aber auch, mit einem Teil der Ausstellung

Fremd zu Hause die Kontinuität des Antisemitismus in

Polen aufzuzeigen?

I Der Anlass war unsere Ausstellung über Antisemitismus

unter der kommunistischen Führung, die 1968

mit ihrer antizionistischen Kampagne tausende Juden

aus dem Land vertrieben hatte. Wir haben mit

aktuellen Zitaten von PiS-Politikern und ihren Anhängern

klare Parallelen zur Gegenwart unter der

nationalkonservativen Regierung gezogen. Das hat

Kulturminister Piotr Gli ski überhaupt nicht gefallen,

und obwohl ich für eine neue Periode wiedergewählt

wurde, weigerte er sich, meine Ernennung

zu unterschreiben. Weil das POLIN unter dieser Situation

zu leiden begann, machte ich den Weg frei.

Wie sehen Ihre Pläne für die Zukunft aus?

I Ich bin an die Akademie der Wissenschaften und die

Universität, wo ich auch vorher unterrichtet habe, zurückgekehrt.

Ich erhalte laufend auch interessante

Angebote aus den Ausland, aber ich möchte Polen

ungern verlassen: Ich habe vier Söhne, einen Enkel,

und meine Frau hat auch einen Job. Ein Freund, der

aus Deutschland zurückkam, wird hier jetzt belästigt

und verfolgt. So lange es möglich ist, bevorzuge ich

zu bleiben. Aber in der Geschichtspolitik der PiS ist

ein Warschauer Historiker wie ich zunehmend fremd

zu Hause.

wına-magazin.at

13


Aus Auschwitz, nicht aber

„Auschwitz bleibt uns

anvertraut“

Gedanken zu „Befreiung“ und „Vermittlung“. Martha Keils Rede zum

Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust 2020.

„Auschwitz bleibt uns anvertraut“ – das

ist ein Zitat von Siegfried Lenz aus seiner

Rede zur Verleihung des Friedenspreises

des Deutschen Buchhandels 1988. Doch

wie machen wir uns 75 Jahre nach der Befreiung

mit Auschwitz vertraut? Man hat

mich gebeten, über die letzten Tage von

Auschwitz zu sprechen – doch die letzten

waren keine für Auschwitz typischen Tage.

Bei der ersten Planung im Jänner 1940 war

das Gelände der ehemaligen Artilleriekaserne

Oświęcim noch als Konzentrationslager

vorgesehen und wurde schließlich ein

dreiteiliger Lagerkomplex: Das Stammlager

Auschwitz I, das ab Herbst 1941 errichtete

Vernichtungslager Auschwitz II-Birkenau

und das Produktionslager der IG Farben,

die Buna-Werke, Auschwitz III-Monowitz.

Je nach Bedarf wurden für Produktionszwecke

insgesamt 48 Nebenlager eingerichtet.

Von Anfang an wurden ausgewählt sadistische

Kriminelle als Funktionshäftlinge eingesetzt

und ein System zwischen einerseits

perfekter Organisation und andererseits

sinnloser Willkür etabliert, das jede Überlebensstrategie

scheitern ließ. Am 3. September

1941 wurde erstmals an 850 sowjetischen

und polnischen Kriegsgefangenen

mit Vergasung durch Zyklon B experimentiert.

Nach dem sukzessiven Ausbau der Anlagen

wurden in den sieben Gaskammern

für je 200 bis 1.000 Menschen im Stammlager

und in Auschwitz-Birkenau täglich

bis zu 8.700 Menschen ermordet, insgesamt

etwa 900.000. Rund 200.000 weitere

wurden durch Erschießen, Phenolspritzen,

Misshandlung, pseudomedizinische

Experimente, Verhungern und systematische

Unterversorgung ermordet, also insgesamt

etwa 1,1 Millionen Opfer, mehrheitlich

Jüdinnen und Juden, aber auch Roma

und Sinti, politische Gegnerinnen und Gegner,

Kriegsgefangene, Homosexuelle, Zeugen

Jehovas und sogenannte Asoziale. Wenn

ich korrekterweise nur gerundete Zahlen

angebe, liegt dies daran, dass die sofort

nach Ankunft für die Gaskammern Selektierten

nicht registriert wurden – ihre Zahl

ist aus den Transport- und Zugangslisten

zu erschließen. Den Holocaust-Leugnern,

sollten Ihnen welche begegnen, sei gesagt,

dass sowohl die Angabe der sechs Millionen

jüdischen Opfer wie auch der Opferzahlen

von Auschwitz von Eichmann, Höß

und anderen führenden SS-Männern stammen.

Die Lagerleitungen ließen zwar viele

Beweisdokumente vernichten, doch wurden

auch viele von mutigen Häftlingen hinausgeschmuggelt

oder versteckt. Bereits im

November 1942 besaßen die Alliierten gesicherte

Kenntnis von den Massenmorden an

den Juden, doch schien diese Information

weder glaubwürdig noch kriegswichtig. Am

22. März 1944 berichtete neben anderen US-

Tageszeitungen die Los Angeles Times von

der Ermordung – „von 500.000 Personen,

zum größten Teil Juden, im Konzentrationslager

Auschwitz südwestlich von Krakau“.

Von Mai bis August 1944 erreichte mit der

Ankunft von 437.402 jüdischen Männern,

Frauen und Kindern aus Ungarn das Morden

seinen Höhepunkt. Deren fast völlige

Vernichtung brachte die Lagerorganisation

zynischer Weise an ihre Grenzen.

Durch das Näherrücken der Front ab

Sommer und endgültig im November 1944

traf die SS Vorbereitungen, auch in Auschwitz

verbrannte Erde zu hinterlassen und

materielle Beweise und die letzten Zeugen

zu vernichten. Die Gaskammern und vier

der fünf Krematorien wurden abgebaut,

stattdessen folgten Massenerschießungen.

Noch in der letzten Woche, im Chaos der

Auflösung, erschossen SS-Patrouillen 648

Häftlinge. Von den beim letzten Appell am

17. Jänner 1945 gezählten 67.012 Insassen befanden

sich nach den Evakuierungen nur

noch etwa 8.800 todkranke Häftlinge und

etwa 600 Kinder im Lagerkomplex. In den

zehn Tagen bis zum Eintreffen von vier Divisionen

der Roten Armee starben weitere

1.100 Menschen. Die noch übrigen 7.600

wurden „befreit“, doch will ich dieses Wort

in Anführungszeichen setzen. Die Wienerin

Lucie Begov erzählte von diesem Tag

vor 75 Jahren: „Aber es sind viele gestorben

in dieser Nacht. Meine Bettnachbarin

war eine Ungarin, Elsie hat sie geheißen, ich

hab sie gerüttelt, hab ich gesagt: ,Elsie, ich

bitte dich, bleib, bleib. Die Russen sind da,

wir sind frei.‘ Leider, leider, sie hat’s nicht

mehr erlebt.“

Wie Elsie wurden auch die vielen nicht

befreit, die innerhalb weniger Tage an den

Folgen der Lagerhaft starben, auch weil sie

ohne fachkundige Betreuung zu viel und

ungeeignete Nahrung zu sich nahmen.

Nicht befreit wurden die geschätzten 15.000

Opfer der Evakuierungen, der Todesmärsche

von bis zu 300 Kilometern von Auschwitz

zu den Bahnstationen. Bei den Transporten

in offenen Güterwaggons in eisiger

Kälte nach Mauthausen starben noch einmal

mehrere Hundert. Nicht befreit wurden

die Tausenden in den Lagern und auf

den Todesmärschen, die noch bis Kriegsende

vor Hunger und Erschöpfung starben

oder von den Wachmannschaften erschossen

wurden. Und nicht befreit wurden die

Opfer der Racheaktionen der SS, der sogenannten

Endphaseverbrechen, wie die

228 ungarisch-jüdischen Männer, Frauen

und Kinder in Hofamt-Priel bei Ybbs-Persenbeug.

Nicht befreit wurden die in letzter

Minute Denunzierten oder Entdeckten,

wie die neun in einem Keller im 2. Bezirk

in der Förstergasse 7 Versteckten, die am

12. April 1945 von SS-Männern ermordet

wurden. Nicht befreit wurden diejenigen,

die während der Zwangsarbeit bei Fliegeralarm

nicht in Luftschutzbunker durften

und durch Bombentreffer starben.

Zwar aus Auschwitz, aber nie von Auschwitz

befreit waren die Überlebenden. Ich

möchte stellvertretend an einen mir lieben

Menschen erinnern, der vor Kurzem von

uns gegangen ist, an Walter Fantl-Brumlik,

geboren 1924 in Bischofstetten in Niederösterreich,

gestorben am 14. Oktober 2019

in Wien. Am Ende seines langen tapferen

und disziplinierten Lebens vergaß er fast

alles, doch die Demenz war nicht so gnädig,

ihm seine Erinnerungen an Auschwitz

und Gleiwitz 1 zu nehmen. Die Albträume

vom Transport im Güterwaggon quälten

ihn bis zuletzt. Nicht befreit sind auch die

meisten Nachkommen von Ermordeten

und Entronnenen – die israelische Psychoanalytikerin

Yolanda Gampel verglich das

Trauma der Schoah mit der Wirkung der

Atombombe: für die direkt Betroffenen sofort

tödlich oder mit lebenslangen körperlichen

und psychischen Folgen bis zum Suizid,

für die nächsten Generationen mit oft

schweren Belastungen.

14 wına | April 2020


... von Auschwitz befreit

Die meisten Nachkommen waren mit dem Schweigen

ihrer überlebenden Eltern konfrontiert, mit

dem Unsagbaren, „das sich jeder Einfühlung

entzieht“, wie dies Ruth Klüger ausdrückte.

Daher möchte ich auch die Vermittlung

des im Grunde Unvermittelbaren in

Anführungszeichen setzen. Auschwitz wird

buchstäblich bis zum heutigen Tag politisch

instrumentalisiert, bisweilen auch mit Biegen

und Fälschen der Fakten, deshalb haben

die historische Forschung und Vermittlung

eine stets aktuelle Verantwortung. Eine weitere

Herausforderung ist die manchmal von

Vermittlern fast selbstmitleidig beklagte Zeit

ohne Zeitzeugen. Ich gestehe, auch mein

erster Gedanke bei der Einladung zu dieser

Rede war, ob denn nicht Ruth Klüger,

Gertrude Pressburger oder andere Berufene

hier sprechen müssten. Ein Versuch,

die Verantwortung abzuwälzen? Die Überlebenden

können oder wollen nicht mehr

sprechen, und das ist ihr gutes Recht – wer

darf ihr Erbe antreten? Ihre Nachkommen,

weil sie emotional mitbetroffen sind? Oder

die Forschenden und Interviewenden, die

sich als „Zeugen der Zeugen“ verstehen? In

dieser Hilflosigkeit und Sorge, Auschwitz

könnte ohne lebendiges Bezeugen in Vergessenheit

oder gar Unglaubwürdigkeit geraten,

sprang die digitale Technik ein: Seit

2011 werden interaktive 3D-Hologramme

von KZ-Überlebenden entwickelt, die zwar

virtuell, aber mit ihrer eigenen Stimme Fragen

aus dem Publikum beantworten. Steven

Spielbergs Shoa Foundation hat im Projekt

Dimensions in Testimony bisher mit 22

Überlebenden derartige 3D-Rekonstruktionen

hergestellt. Die Illusion von Präsenz

und Authentizität kam in den Testläufen

sehr gut an. Die Digitalisierten wissen ihre

Botschaft über ihren physischen Tod hinaus

gesichert, und die Fragenden zeigten sich

angemessen emotional beeindruckt. Ob ihnen

klar war, dass die Antworten nicht von

ihren quasi Gesprächspartnern und -partnerinnen

kamen, sondern durch Algorithmen

ausgewählt wurden? Programmierte

Fragen, kurze, leicht fassliche Antworten,

kein Nachfragen, kein Dialog, kein Stocken

und kein Schweigen und auch kein Abbruch

wegen Erschöpfung – eine risikoarme Konfrontation

mit dem Abgrund Auschwitz. Zu

befürchten ist, dass sich künftig die museale

und schulische Vermittlung auf diese

so verführerische Technik reduziert und

somit auf die wenigen Überlebenden, die

noch imstande sind, sich den mehrtägigen

anstrengenden Aufnahmen zu unterziehen

– also Menschen, die damals Kinder

Was aus Auschwitz

gelernt werden

muss, ist doch

dies: nicht Gegenmensch,

sondern

Mitmensch zu sein.

oder Jugendliche waren. Welche Vielfalt und

Tiefe an Zeugnissen der damals Erwachsenen,

etwa in den literarischen Autobiografien,

mündlichen Interviews und mehr als

52.000 Videos, ginge verloren!

Doch was konnten und können diese

Zeugen bezeugen? Primo Levi, der bereits

1947 unter dem Titel Ist das ein Mensch?

seine Erinnerungen an Auschwitz verfasste,

gab zu bedenken: „Nicht wir, die

Überlebenden, sind die wirklichen Zeugen.

[…] Wir Überlebenden sind nicht nur

eine verschwindend kleine, sondern auch

eine anormale Minderheit. Wir sind die, die

den tiefsten Abgrund nicht berührt haben.

Die Untergegangenen sind die eigentlichen

Zeugen […]. Sie sind die Regel, wir die Ausnahme.“

Die Betonung der ungeheuren Dimension

der Schoah ist mehr denn je nötig,

weil Auschwitz längst in der Populärkultur

angekommen ist, von fragwürdigen Computerspielen

bis zu pseudohistorischen Filmen

und Romanen, die suggerieren, Auschwitz

sei ein Ort der Liebe und des Mitgefühls

gewesen. Doch bei allem Bemühen um Vermittlung

und Verstehen bleibt in jeder Generation

aufs Neue die verstörende Frage:

Wie konnte es dazu kommen? „Auschwitz

ist geschehen, daher kann es wieder geschehen“,

so Primo Levi. Unter den vielen wissenschaftlichen

Erklärungen, alle richtig

und doch alle unzulänglich, finde ich eine

Theorie aus der Umweltgeschichte hilfreich:

Die sogenannten Shifting Baselines,

das heißt, sich schleichend verändernde

Grundkoordinaten, an die sich der Mensch

nach und nach gewöhnt. Der Sozialpsychologe

Harald Welzer wandte diese Theorie

auf den Nationalsozialismus an: Gleich

nach Hitlers Machtergreifung Anfang 1933

wäre ein Massenmord an der jüdischen Bevölkerung

noch undenkbar gewesen. Hasspropaganda,

Erniedrigung und Beraubung

verschoben die moralischen Grenzen sukzessive,

sodass, belohnt durch Nutznießung

und bedroht durch Terror, ein Protest gegen

die ab Februar 1941 durchgeführten Massentransporte

nicht mehr zu wagen war.

Auch wir können, Wachsamkeit vorausgesetzt,

beinahe täglich Shifting Baselines feststellen.

Sexistische, antisemitische, rassistische

und fremdenfeindliche Beleidigungen

und Drohungen sind auch für einige unter

Ihnen unzumutbarer Alltag. Bezüglich unserer

muslimischen Bevölkerung war von

Parallelgesellschaft die Rede, nun schon von

Gegengesellschaft. Die Flüchtlingsbewegung

wurde zur Flüchtlingswelle, und 2015

zur Flüchtlingskatastrophe – für wen katastrophal?

Was wäre damals den jüdischen

Flüchtlingen widerfahren, hätten alle Staaten

ihre Grenzen dicht gemacht? Auch der

geistige Klimawandel hat längst begonnen.

Österreichs jüdische Gemeinden können

heute mit starker Stimme für sich eintreten

und auf den Schutz und die Wertschätzung

der Republik zählen, daher erlaube ich mir,

hier ein Wort für die Schwächsten unserer

Gesellschaft einzulegen: Wenn in Flüchtlingen

nur mögliche Messerstecher und Vergewaltiger

gesehen werden, wenn in Überlebenden

der syrischen Foltergefängnisse

nur potenzielle Attentäter gefürchtet werden,

welchen Sinn hat unser Bemühen um

Vermittlung der Schoah? Leon Zelman erzählte,

wie er 1946 unfreiwillig, weil durch

die Lagerqualen schwer krank und traumatisiert,

in Wien strandete. Er betonte, dass

er nicht etwa vom österreichischen Staat,

sondern vom amerikanischen Hilfskomitee

Joint versorgt wurde, ich zitiere: „Den

meisten Österreichern allerdings war diese

Überlegung ebenso gleichgültig wie unsere

Vorgeschichte. Sie neideten uns die Zuwendungen,

[…] ohne wissen zu wollen, was

wir durchgemacht hatten. Sie sahen in uns

hauptsächlich ein Ausländerproblem.“ Die

Berichte von Auschwitz-Überlebenden rühren

zu Tränen, doch Flüchtlinge werden in

ihre lebensgefährlichen Systeme zurückgeschickt?

Niemand verlässt Heimat und Familie

grundlos und leichtfertig. Was aus

Auschwitz gelernt werden muss, ist doch

dies: nicht Gegenmensch, sondern Mitmensch

zu sein. Wenn Menschen in Österreich

Aufnahme finden, sind sie, wie alle

„Einheimischen“, nicht nur der Verfassung

und den Gesetzen unserer Demokratie verpflichtet,

sie erhalten auch Anteil an unserer

Kultur und Bildung und dadurch an

unserem kollektiven Gedächtnis. Dann ist

Auschwitz auch ihnen anvertraut.

Martha Keil ist Leiterin des Instituts für jüdische Geschichte Österreichs

(injoest.ac.at) sowie Senior Scientist am Institut für österreichische Geschichtsforschung

der Universität Wien.

wına-magazin.at

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NACHRICHTEN AUS TEL AVIV

Tel Aviv im

Ausnahmezustand –

wie überall

Das Coronavirus hat Tausende von Israelis angesteckt,

erste Todesfälle verursacht und nach mehr als einem Jahr

eine neue Regierung produziert.

och wird jeder einzelne Todesfall, der

auf COVID-19 zurückgeht, gezählt und

explizit erwähnt. Bei Redaktionsschluss

gibt es in Israel, verglichen mit anderen

Ländern, bisher tatsächlich nicht viele

Corona-Opfer. Insgesamt fünfzehn,

hieß es heute früh im Radio. Und mittlerweile gehört

auch Benny Gantz’ Blau-Weiß-Bündnis dazu.

Es ist zerbrochen, nachdem Gantz sich nach einem

Wahlkampf gegen Benjamin Netanjahu entschieden

Ausnahmesituation und schwere

Krisen sind in Israel nichts Unbekanntes.

Bloß ist der Feind diesmal unsichtbar.

Und es gibt ihn überall.

hat, sich einer Einheitsregierung mit Netanjahu anzuschließen.

Die Einflusssphäre des Virus hat sich

somit auch auf die Politik erstreckt.

Auf Facebook schrieb Gantz: „Wir sind an einer

Weggabelung angekommen, an der einige meiner

Freunde fanden, dass Wahlen dem Versuch, Kompromisse

zu finden, vorzuziehen wären. Ich werde

nicht derjenige sein, der nicht versucht hat, die fortgesetzten

Angriffe auf die Rechtsstaatlichkeit für

wenigstens ein weiteres Jahr zu verhindern, ich

werde nicht derjenige sein, der nicht versucht

hat, eine vierte Wahl zu verhindern, und ich

werde nicht derjenige sein, der sich der Kran-

Von Gisela Dachs

kenbahre in nationalen Notzeiten verweigert.“ Alle

seine Versuche, das Blau-Weiß-Bündnis doch noch

zusammenzuhalten, hätten nichts gefruchtet. Die

Abtrünnigen in seiner Partei wiederum unterstellen

Gantz, dass er von vorneherein auf genau dieses

Szenario hingearbeitet habe. Ein ewiger Zweiter sozusagen,

bar jener für Spitzenpolitiker so charakteristischen

Antriebskraft, es bis nach ganz oben schaffen

zu wollen.

Jedenfalls wird es nun endlich wieder eine richtige Regierung

geben. Eine Neuwahl im September ist somit erst

einmal vom Tisch, wenn das praktisch überhaupt

möglich wäre. Keiner weiß, wie sich die Corona-Pandemie

weiterentwickeln wird. Auch die Gantz-Wähler

sind deshalb in zwei Lager gespalten. Das eine

bringt Verständnis dafür auf, dass man in Zeiten wie

diesen alles tun muss, um eine funktionsfähige Koalition

hinzubekommen, auch wenn dies jetzt eben

nur mit Netanjahu an der Spitze geht. Das andere

Lager ist entsetzt darüber, was mit ihren Stimmen

passiert ist. Sie haben schließlich Gantz gewählt, weil

er sich als Alternative zu Netanjahu präsentiert hat.

Aber da war der Corona-Virus noch in seinen Anfangszeiten.

Inzwischen ist das öffentliche Leben

völlig zum Stillstand gekommen. Auch ist das Gerichtsverfahren

gegen Netanjahu, das Ende März

hätte beginnen sollen, verschoben worden. In der

Fernsehsatire Eretz Nehederet (Ein wunderbares Land)

ironisiert die Figur des amtierenden Premiers:

„Ihr wolltet alle, dass ich im Gefängnis sitze,

16 wına | April 2020


jetzt seid Ihr alle eingesperrt, und ich bin der einzige,

der frei herumlaufen darf.“

Vereinbart ist eine Rotation an der Spitze der Regierung.

Die ersten achtzehn Monate wird Netanjahu

Regierungschef bleiben, dann soll Gantz übernehmen.

Bis dahin aber kann noch viel passieren. Gantz

soll nun erst einmal Verteidigungsminister werden.

Vor allem aber geht auch das Justizministerium in

die Hände seiner Restverbündeten. Damit will er die

Schwächung des Rechtssystems aufhalten, eines der

Hauptziele der Regierung in den vergangenen Jahren.

Auch soll das Kulturministerium nicht mehr in

den Händen von Miri Regev bleiben, deren Vorstellungen

sie auf Konfrontationskurs mit der kritischen

Kunstszene im Land gebracht hat.

© flash90

Doch sind dies nicht die wichtigsten Dinge, die die Menschen

gerade beschäftigen. Israel hat früher

und flexibler auf die Krise reagiert

als Europa. Die Grenzen waren bald geschlossen.

Man hat sofort mit Fernunterricht

in Schulen begonnen und die

Dozenten an den Universitäten auf das

Online-Teaching vorbereitet, so dass das Semester

fast wie geplant beginnen konnte. Aber es gibt hier

im Vergleich auch weniger Krankenbetten und Beatmungsmaschinen.

In Bnei Brak und in Mea Shearim

hielt man sich anfangs zudem nur sehr bedingt an

die Anordnungen der „säkularen Regierung“.

Die aktuellen Angaben (Stand: 31. März) beziffern

sich auf 4.831 Fälle von Ansteckungen. 80 sind in kritischem

Zustand. Auch bittet man im Radio gerade

eindringlich, diesmal den Sederabend nur im engsten

Familienkreis zu feiern, also n-i-e-m-a-n-d-e-n

einzuladen. Mit Großeltern wird schon länger nur

mehr aus der Ferne kommuniziert. Das Straßenbild

im sonst so lebendigen Stadtzentrum von Tel Aviv

macht depressiv. Beim Einkauf dürfen neuerdings

nur mehr eine bestimmte Anzahl an Kunden gleichzeitig

in den Laden. Man fragt sich auch, wie viele

der vielen kleinen Läden auf der Ben Jehuda nach

der Krise wohl noch über genug Ressourcen für eine

Wiedereröffnung verfügen werden.

Ausnahmesituationen und schwere Krisen sind in Israel

nichts Unbekanntes. Bloß ist der Feind diesmal

unsichtbar. Und es gibt ihn überall. Das verbindet.

Während man sich bei früheren Krisen oft schwer

tat, den Menschen anderswo die eigenen Lebensumstände

zu vermitteln, fällt das gerade sehr leicht.

Das Straßenbild im sonst so lebendigen

Stadtzentrum von Tel

Aviv macht depressiv.

Am Strand von Tel Aviv.

Das Leben geht weiter. Sich

an die Lebensumstände

anzupassen, daran ist man

in Israel gewöhnt.

WIR WÜNSCHEN

IHNEN EIN

FROHES UND

VOR ALLEM

GESUNDES

PESSACHFEST

IHR GRÜNER KLUB

IM PARLAMENT

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17


ISRAEL BLOG

Die Helden

der Nachbarschaft

Dieser Monat war eine Herausforderung für uns alle,

aber die Momente der Solidarität und Menschlichkeit

machten ihn zu einem ganz besonderen Monat.

Trotz vieler leerer Regale bemüht sich

das Personal, Ordnung zu halten.

s gehört viel Geduld dazu, Distanz in der

Schlange vor dem Supermarkt einzuhalten.

Seitdem es fast täglich Updates vom Gesundheitsministerium

gibt, wie man sich richtig

verhalten soll, wenn man das Haus verlässt,

steigt die Unsicherheit. Muss ich Handschuhe

tragen beim Einkauf, soll ich mir eine Schutzmaske besorgen,

gehöre ich vielleicht zu der Risikogruppe, die

den Supermarkt gar nicht betreten

soll? Solche und andere Fra-

Von Iris Lanchiano

gen gehen einem durch den Kopf,

bevor man die Reise um Lebensmittel und Haushaltswaren

antritt.

Vor meinem Supermarkt steht Sicherheitsmann Vitali,

der diese angespannte Situation etwas erträglicher

macht. Vitali ist Mitte sechzig, hat einen Schnurrbart

und einen Bierbauch. Er hat eine Zahnlücke, die nicht

zu übersehen ist, denn er lacht sehr oft. Er sitzt auf einem

Hochstuhl beim Eingang des Victory-Supermarkts

in der Lincoln-Straße in Tel Aviv. Vitali kommt jeden Tag

mit dem Fahrrad in die Arbeit, und nach seiner Schicht

packt er frisches Gemüse, Schwarzbrot und ab und zu

auch eine Flasche Vodka in seinen Fahrradkorb. Ihm gegenüber

sitzt Mischa, er ist zur Unterstützung gekommen,

da es in diesen Tagen viele gereizte Gemüter gibt

und die beiden dafür sorgen müssen, dass alles nach

den neuen Verordnungen glatt abläuft.

Nachdem ich 15 Minuten vor dem Supermarkt in der

Schlange stehe, darf ich endlich hinein. Vitali winkt

mich rüber, und ich mache automatisch meine Einkaufstasche

auf, damit Mischa sie kontrollieren kann.

Bevor ich den Supermarkt betreten darf, sagt Vitali

zu mir: „Zuerst die Kontrolle vom

Doktor.“ Wir lachen, und er hält

mir das Fieberthermometer an den

Kopf. „Du darfst eintreten“, sagt Vitali.

Bis zu diesem Zeitpunkt habe

ich das nur in den Nachrichten gesehen,

aber jetzt wird auch hier Fieber

gemessen. Ich bedanke mich

bei ihm, dass er unter diesen Umständen

noch arbeitet, und packe

meine Einkaufsliste aus meiner Jackentasche.

Er lächelt und sagt: „Wir haben keine Wahl,

wir müssen weiterarbeiten, das sind die Vorschriften.”

Seine gute Laune bleibt unverändert. Bevor er die

nächste Person zu sich bittet, langt er zu seinem Fahrradkorb

und schiebt sich eine Erdbeere unter seiner

Schutzmaske in den Mund.

Trotz vieler leerer Regale bemüht sich das Personal,

Ordnung zu halten. Die Kassiererinnen sind geduldig

und freundlich. Die Kunden nehmen aufeinander

Rücksicht und drängeln nicht an der Kasse. Viele Supermärkte

bieten Zustellservice und Onlinebestellungen

an, doch aufgrund der hohen Nachfrage kann die

Lieferung bis zu einer Woche dauern. In meiner Nachbarschaft

ist der Supermarkt gut besucht und für die

meisten der einzige Kontakt zur Außenwelt. Für mich

ist es auf jeden Fall mein Highlight, denn in der Küche

finde ich meinen Trost in dieser Zeit.

Im gegenüberliegenden Haus wohnt eine junge Familie

mit drei kleinen Kindern und einem wunderschönen

Balkon mit wuchernden Pflanzen. Am Freitagnachmittag

höre ich die Kinder kichern und laut

von ihrem Balkon im dritten Stock runter rufen: „Opa,

Oma!“ Auf dem Gehsteig stehen ihre Großeltern, die ihnen

mit ausgestreckten Armen zuwinken. Es wird geplaudert,

und die Kinder erzählen, was sie schon alles

zuhause gemacht haben. Die Mutter holt die Zeichnungen

der Kinder, und diese halten sie stolz in Richtung

ihrer Großeltern. Langsam,

langsam lassen die Kinder an einem

Seil ein kleines Paket herunter:

„Wir haben für euch Challa gebacken.

Schabbat Schalom!“ Die

Großeltern nehmen das Paket entgegen

und verabschieden sich. Zwischenmenschliche

Beziehungen in

Zeiten von Corona.

Supermarktangestellte arbeiten

auch in der Coronakrise auf Hochtouren.

© flash 90

18 wına | April 2020


HIGHLIGHTS | 02

Energie

mit Monokel

Zum 124. Geburtstag des Dadaisten

und Poeten Tristan Tzara am 16. April.

Ombula take biti solunkola tabla

tokta tokta takabla taka tak.“ Das

schallte 1916 von der Bühne des Zürcher

Cabaret Voltaire. Das gab der totenbleiche

Hugo Ball von sich. Dada kam zur

Welt. Die kleine Gruppe der Dadaisten

fragte sich und andere: „Was ist dada?

Eine Kunst? Eine Philosophie? Eine Politik?

Eine Feuerversicherung? Oder: Staatsreligion?

Ist dada wirklich Energie? Oder ist

es gar nichts, d. h. alles?“ Einer der Oberdadaisten

und schier berstend vor vitaler

Energie: der knapp mittelgroße rundbebrillte

Tristan Tzara aus Paris, ein gebürtiger

Rumäne, der eigentlich Samuel Rosenstock

hieß und Französisch mit noch

immer starkem Akzent sprach. 1896 im

rumänischen Moinesti geboren, gehörte

er 1916 in Zürich mit seinem Freund und

Landsmann Marcel Iancu/Janko, mit dem

er schon 1912 eine Zeitschrift gründete,

dem gebürtigen Elsässer Hans/Jean

Arp, dem in die Schweiz emigrierten

pazifistischen Autor Hugo Ball,

Emmy Hennings und Richard Huelsenbeck

zu den Gründern von Dada,

das mit allen sprachlichen Konventionen

brechen wollte und dabei ausdrücklich

den Eklat und den Schock

miteinbezog. 1919 zog er nach Paris. Dort

heiratete der Monokelträger reich, ließ

sich von Adolf Loos in Montmartre ein

extravagantes Haus bauen, schloss sich

in den frühen 1930er-Jahren den Pariser

Surrealisten an und trat der KPF bei, die

dem damals staatenlosen Juden als einziger

Widerstand gegen den Faschismus

erschien, kämpfte im Spanischen Bürgerkrieg,

engagierte sich nach 1940 aktiv

in der Résistance. Bis zu seinem Tod

1963 schrieb er Gedichte, die, unverdient,

kaum bekannt sind. A.K.

www.tipp

Zoom – Videokonferenzen

in Zeiten der sozialen

Distanzierung

So beliebt waren Videochats noch nie.

In Zeiten, in denen der soziale Kontakt

fast gänzlich eingeschränkt ist und viele

von zuhause arbeiten, bieten Apps wie

Zoom eine interessante Alternative, um

mit seinen Liebsten und Arbeitskollegen

in Kontakt zu bleiben. Die kostenlose

Version bietet bis zu 40 Minuten Teamvideokonferenzen

mit bis zu 100

Teilnehmern.

zoom.us

Tristan Tzara

(1896–1963),

eigentlich Samuel

Rosenstock,

gehörte zu den

Gründern von

Dada.

WINA PLOTKES

Die lang ersehnte

Hitserie Fauda ist

zurück

Mitte April erscheint die dritte Staffel

der Erfolgsserie Fauda auf Netflix. Die

Serie rund um Doron Kavillio (Lior Raz) und

seine Spezialeinheit feierte 2015 ihr Debüt

und ist seither ein weltweiter Hit. Letztes

Jahr schaffte sie es unter die Top Ten der

New York Times-Liste der besten internationalen

TV-Shows des Jahrzehnts.

Fauda (arabisch für „Chaos“) wurde von

Lior Raz, der auch die Hauptrolle spielt, und

dem Journalisten Avi Issacharoff kreiert und

erzählt die Geschichte einer Undercover-

Spezialeinheit der israelischen Streitkräfte.

In der dritten Staffel arbeitet Doron Kavillio

getarnt als Boxlehrer in einem Sportverein,

der einem hochrangigen Hamas-Mitglied

gehört. Nach zahlreichen tödlichen Zusammenstößen

mit der Hamas und einem tragischen

Vorfall, der die Moral des Teams

stark erschüttert, befinden sich Kavillio und

sein Team auf unbekanntem Gebiet: Gaza.

Unterstützung bekommt das Team diesmal

von der Sängerin und Schauspielerin

Marina Maximilian, die eine Ermittlerin des

Shin Bet spielt.

Raz und Issacharoff wurden zu Stars nach

den ersten Staffeln und reisten mit der Serie

um die Welt. Die beiden stehen für Netflix

auch hinter der neuen Action-Serie Hit

& Run. Raz wird dabei ebenfalls nicht nur

als Produzent fungieren, sondern auch als

Hauptdarsteller vor der Kamera stehen. Erst

kürzlich war er im Netflix-Film 6 Underground

in der Regie von Michael

Bay mit US-Star Ryan Reynolds

zu sehen. I.L.

Hauptdarsteller und

Co-Creator Lior Raz wurde

durch Fauda international

bekannt und arbeitet schon an

der nächsten Serie für Netflix.

© Henri Martinie/Roger Viollet/picturedesk.com; zoom.us; Oded Balilty/picturedesk.com

wına-magazin.at

19


20 wına | April 2020

„,Vienna waits for you‘,

singt Billy Joel – er weiß, warum.“


MEN T SCHEN: PAUL GULDA

„Das Virus sollte Anlass geben,

über Gerechtigkeit zu denken.“

Pianist, Komponist, Dirigent, Dozent: Als Sohn des Pianisten

Friedrich Gulda und der Schauspielerin Paola Loew, die auch mit dem Schriftsteller

Friedrich Torberg eine Beziehung führte, war Paul Gulda bereits in jungen

Jahren von den schönen Künsten umgeben.

Redaktion und Fotografie: Ronnie Niedermeyer

WINA: Ihre Mutter hatte ein turbulentes Leben. Geboren in Italien,

verbrachte sie die Kriegsjahre in Argentinien und lernte dort Ihren

Vater kennen. In Wien spielte sie in Filmen, am Volks- wie auch am

Burgtheater. Naheliegend ist, dass Sie als Musiker von Ihrem Vater

stark geprägt wurden. Inwieweit wurde Ihr Schaffen auch von Ihrer

Mutter beeinflusst?

Paul Gulda: Stark. Ich war bei der Scheidung der Eltern vier

Jahre alt, und wer zuhause Klavier spielte, das war sie, die in

ihrer Jugend von einer Bartók-Schülerin erstklassigen Unterricht

bekommen hatte. Sie war es, mit der ich dann erste Erfahrungen

im Ensemblespiel sammelte; wir haben uns vierhändig

durch Symphonien gebüffelt; ich spielte Klarinette, sie

den schweren Klavierpart einer Brahms-Sonate, ich barocke

Flötensonaten, sie Continuo. Unsere besten Stunden zusammen.

Meine Affinität zu Theatermusik – ich habe das ab 1995

mit Freude einige Male verantwortet – stammt von dort, und

ihre große Bibliothek begleitete mich damals und tut es noch

heute. Wenn ich heute komponiere, dann meist Gedichtvertonungen

– die Liebe zu den vielen Sprachen (eine polyglotte

Gesellschaft waren wir) ist mir geblieben. Auf einer tieferen

Ebene noch: Da war ein ewiges Streben bei meiner Mutter in

Sachen Musik – das habe ich auch. Vater dagegen: Es war zwar

nicht so, aber es schien ihm alles in den Schoß gefallen zu sein.

Welche Rolle spielte daheim das Judentum? Welche Rolle spielt das

Judentum in Ihrem heutigen Leben und Ihrer Arbeit?

I Hier ist gleich Friedrich Torberg zu nennen, der Lebenspartner

meiner Mutter nach der Scheidung. Mit ihm wurde Judentum

bewusst wahrgenommen – mein Großvater Loew war dagegen

sehr säkular. Religiös ist Mami nicht geworden, aber,

wie Torberg, gesellschaftlich dezidiert jüdisch. Heute speist

sich meine Spiritualität aus diversen Quellen; darunter auch

dem Judentum. Als Musiker lege ich seit 30 Jahren ein Augenmerk

auf jüdische Komponisten, oft auch verknüpft mit Literatur.

2018 habe ich ein Gedicht von Jehuda Amichai in Iwrit

vertont. Das war kurz nach einer Schönberg-Phase, beides zusammen

hat die Erfindung in ganz neue Richtungen gelenkt;

ein Nigun wird auch zitiert. Und mit Shmuel Barzilai bin ich

oft aufgetreten – Opas Großvater war übrigens Chasan in Oradea/Nagyvárad.

Sehr gern spiele ich für Centropa oder im

Maimonides. Dieses Publikum saugt die Musik förmlich auf!

Und eine CD mit der israelischen Sängerin Shira Karmon ist

in Vorbereitung. Da ist das Jüdische zentral, aber Beethoven

und Mozart desgleichen.

Ab dem 15. Lebensjahr wurde Ihr Vater zu Ihrem Klavierlehrer. Wie

haben Sie das damals als Teenager empfunden?

I Es war sehr ehrenvoll, dass er das ernst nahm, aber auch

(über)fordernd. Denn bis dahin war die Methodik meines Unterrichts

schwach. Als Musiker konnte man von Friedrich Gulda

so viel lernen – als Pianist sehr wenig. Er hatte Basisprobleme

längst hinter sich gelassen, konnte sie auch nicht lösen. Er hat

auch ganz vehement die Beschäftigung mit Jazz gefordert – was

in seiner Jugend, nach der NS-Diktatur, enorm wichtig war. Für

mich war das ein wenig Zwangsbeglückung. Aber ich bin natürlich

froh, dass ich improvisieren kann. Das müsste tatsächlich

viel mehr in die Studiengänge einfließen. Nicht wegen Jazz per

se, sondern wegen der musikalischen Eigenkreativität.

„Musikstadt Wien“: Wie wahr ist dieses Klischee heute?

I Aus meiner Sicht: kein Klischee. Die Dichte an Konzerten,

Ausbildung, kreativen Köpfen sucht immer noch Ihresgleichen,

finde ich. Nennen wir auch ruhig den Faktor Wertschöpfung

– es ist ein Markenzeichen der Stadt, ein Magnet.

Ich wohne in Döbling, unweit der Beethoven-Häuser. Das Fluidum

ist immer noch da; die Sprache, die Gassen, die Lokale.

„Vienna waits for you“, singt Billy Joel. Er weiß, warum.

Aufgrund der Sicherheitsvorkehrungen rund um das Coronavirus

wurden zahlreiche Konzerte abgesagt. Wie gehen Sie und andere Musiker

damit um?

I Bei den Musikern ist es so wie überall: Die in abgesicherter

Stellung haben plötzlich viel freie Zeit bei vollem Bezug. Die

freien Künstler wie ich dürfen Formulare ausfüllen. Und wer

denkt an die sozial ganz Schwachen, an Asylwerber, Flüchtlinge?

Das sollte der Anlass sein, über gerechtere soziale Lösungen

nachzudenken. Modelle gibt es, z. B. in Belgien. Und/oder

gleich ein bescheidenes Grundeinkommen für alle.

Angenommen, Budget und Publikumsinteresse wären kein Thema:

Welches Projekt würden Sie verwirklichen?

I Mich interessiert das ganze weite Feld. Ich habe schon viele

ungewöhnliche Projekte realisiert und war immer zuversichtlich,

dass es Publikum findet. Und wenn nicht – mach ich's

für mich. Wenn Sie mir etwas schenken wollen, dann wünschen

Sie mir bis 120, damit mir genug Zeit bleibt, neugierig

und schöpferisch zu sein. Wenn ich einmal sagen kann,

ich habe die Menschen etwas gelehrt, aber noch viel mehr

bewegt – dann bin ich glücklich.

wına-magazin.at

21


Illustrierte Neue Welt

hre kleine Erscheinung täuscht. Joanna

Nittenberg ist nicht zu übersehen. In der

„jüdischen Gasse“ scheinbar allgegenwärtig,

ist die Journalistin bei kulturellen

und gesellschaftlichen Events ebenso

präsent wie bei politischen Diskussionen

oder wenn es um Angelegenheiten der Gemeinde

geht. Und wenn sie für einige Zeit

im Jahr in Tel Aviv wohnt, dann verlegt

sie ihre diesbezüglichen Aktivitäten eben

dorthin und breitet ihr Netzwerk von Exil-

Österreichern und entsprechenden Gesinnungsgenossen

sogar am Strand um sich

herum aus. Ihr professionelles Interesse

an Neuigkeiten und Menschen kommt ihrer

grundsätzlichen Neugierde entgegen,

und das Ergebnis von beidem fließt gedruckt

viermal jährlich in die Illustrierte

Neue Welt ein, die sie seit 1974 „ihr Baby“ ist.

„Du darfst mich nicht unterbrechen“,

lautet ihre Anweisung zu Beginn unseres

Gesprächs, das daher nicht als klassisches

Frage-Antwort-Interview geführt werden

kann und in dem auch einiges Off the record

zur Sprache kommen wird, wie es

eben ist, wenn man sich schon lange, sehr

lange kennt.

Lemberg. Hanias Eltern stammten beide

aus Lemberg, sie haben sich dort im Jüdischen

Gymnasium kennengelernt und

noch vor dem Krieg 1938 geheiratet.

„Mein Großvater war ein großer Anhänger

des Deutschen. Und obwohl mein Vater

aus einem religiösen jüdischen Haus

Die Journalistin Joanna

Nittenberg. Ihre Geschichte

und ihre Zeitung.

Aufgezeichnet von Anita Pollak

kam, ging er in eine evangelische deutsche

Volksschule, das Deutsche hat ihm

dann später sehr geholfen.“

Zum ungünstigsten Zeitpunkt, am ungünstigsten

Ort, mitten im Krieg und mitten

im Ghetto von Lemberg wurde dann

Hania, ihr einziges Kind, geboren.

„Als es im Ghetto eine Razzia gab, haben

sie mich einem Ukrainer übergeben,

den mein Vater vom Studium kannte, und

der hat mich als sein Kind ausgegeben.

Da war ich sechs Monate alt. Mein Onkel

hat mich manchmal besucht und gemeint,

ich wurde nicht besonders gut behandelt,

aber ich kann mich absolut nicht

erinnern.“

Bis Kriegsende blieb Hania bei der ukrainischen

Familie versteckt. Ihre Eltern

waren aus dem Ghetto geflüchtet und

dann über eine Organisation der katholischen

Kirche mit arischen Papieren nach

Szeged in Ungarn gekommen und haben

dort „irgendwie“ überlebt.

„Meine Mutter ist mich gleich nach

1945 suchen gegangen. Sie ist die eigentliche

Heldin. Sie war immer so bescheiden,

aber wenn sie zu etwas nein gesagt

hat, dann konnte sich mein Vater auf den

Kopf stellen. Sie hat sich alleine nach Polen

aufgemacht und wurde anfangs als

Spionin verdächtigt und kam sogar kurz

ins Gefängnis. Der Bruder meines Vaters,

der eine hohe Position beim russischen

Militär hatte, kam dann nach Warschau

zurück und hat meiner Mutter geholfen.

Die ukrainische Familie, bei der ich war,

wollte mich nicht hergeben, denn ich war

sozusagen ein Pfand, dass sie ein jüdisches

Kind gerettet hatten, weil sie mit den

Deutschen zusammengearbeitet hatten.

Man hat mich bei Nacht und Nebel gestohlen

und nach Ungarn gebracht. Ich war ein

schwer geschädigtes, krankes Kind, hatte

Rachitis und alles Mögliche.“

Nachkriegszeit. Wien, wohin die kleine

Familie als Flüchtlinge 1946/47 gelangte,

sollte nur eine Zwischenstation auf dem

Weg nach Israel bzw. Palästina sein. Die

erste Anlaufstelle war, wie für sehr viele,

das Displaced-Person-Lager im Rothschild-Spital.

„Dort haben wir zu sechst

in einem Zimmer gewohnt, gemeinsam

mit anderen Flüchtlingen und alle immer

auf Koffern. Daran hab‘ ich noch Erinnerungen.

Zu den anderen Flüchtlingen gab

es engen Kontakt, sie waren eine Art Familienersatz,

und mein Vater war dort bald

in einer leitenden Position.“

Seine Kontakte zu Flüchtlingen sollten

die zukünftige Berufslaufbahn Anton

Winters bestimmen, der noch in Lemberg

Jus studiert hatte und dann in Wien eine

Kanzlei eröffnete. Der Anwalt Dr. Winter

war im Nachkriegswien und bis zu seinem

© Petra Paul

22 wına | April 2020


Weltweit vertrieben

Jetzt kommt

die Vergangenheit

immer stärker zurück“

Tod 2002 eine bekannte jüdische Persönlichkeit,

dem viele Menschen viel zu verdanken

hatten. „Er hat Leuten, die keine

Staatsbürgerschaft hatten, zur Einbürgerung

verholfen, später auch Russen, die in

den 90er-Jahren gekommen sind. Eigentlich

war er Strafverteidiger und spezialisiert

auf Schmuggelgeschichten, und ich

erinnere mich, dass man ihn öfter während

der Feiertage aus der Synagoge rausgeholt

hat. Denn in Wien wurden die Leute

am liebsten zu den Feiertagen verhaftet,

weil dann die Kaution höher war. Einmal,

als er schon Vizepräsident der Kultusgemeinde

war, haben Neonazis am Karmeliterplatz

einige amerikanische religiöse

Juden angepöbelt, die haben die Angreifer

spitalsreif geschlagen und wurden daher

verhaftet. Da hat die Polizei meinen

Vater angerufen, denn diese amerikanischen

Juden wollten im Gefängnis koscheres

Essen etc. Daraufhin hat die Kultusgemeinde

eine Kaution gezahlt, und die

Amerikaner gingen frei.“

Anton Winter, religiös erzogen und seit

früher Jugend sehr zionistisch, war 40

Jahre lang Präsident von Keren Hajessod.

„Er stammte aus einer sehr reichen Familie.

Ich hab‘ in Lemberg das Haus meiner

Großeltern gefunden und am Giebel steht

noch immer SW – Salomon Winter.“

Nach dem Krieg war es aber die eher

modern aufgewachsene Mutter, die religiöser

wurde und einen koscheren Haushalt

führte. Die Tochter erzogen sie liberal

und selbstbewusst jüdisch. Eine Episode

aus ihrer frühen Schulzeit findet sie diesbezüglich

bemerkenswert:

„Wir haben in einem arisierten Haus

gewohnt, in einem Zimmer, das andere

war total zerbombt. Nebenan wohnten

noch eine Grete und ein Hans, und wir

Kinder waren befreundet. Einmal hat

mich die Grete nach der Schule in einen

deutschen Turnerverein mitgenommen.

Meine Eltern haben mich überall gesucht,

bis sie erfahren haben, wo ich war. Dann

haben sie sich getraut, dort hineinzugehen

und mich rauszuholen und gesagt:

Dort hast du nichts verloren. Das zeigt

schon das Selbstbewusstsein, dass entstanden

ist.“

Aus ihrer eigenen Schüchternheit

habe sie aber erst die links-zionistische

Jugendbewegung Haschomer Hazair befreit.

„Da waren rückblickend betrachtet

alle geschädigt. Es war auch der einzige

Ort, wo österreichische und Juden

von auswärts beisammen waren, denn in

die Synagoge sind wir damals nicht hineingekommen.

Wir beteten früher in so

kleinen Schils (Betstuben), im Pax zum

Beispiel. Im Schomer gab es tolle Diskussionen

und viele Freundschaften, aber irgendwann

bin ich rausgeschmissen worden,

weil ich Stöckelschuhe getragen und

am Bal Paré getanzt habe. Dort habe ich

auch meinen Mann kennengelernt.“

Ihr Mann, Jizchak Nittenberg, kam

nach der Befreiung in Mauthausen mit

einem Kindertransport nach Israel in einen

Kibbuz, den er später verließ, um zu

studieren. In Wien wurde er schließlich

Augenarzt.

„Jizchak war als Kind im KZ, darüber

hat er nie gesprochen. Er hat mit seinem

Bruder überlebt, seinen Vater hat man vor

seinen Augen am Todesmarsch erschossen.

Erst drei Jahre später hat die Mutter

ihre beiden Söhne gefunden.“

Hania begann zu studieren, heiratete

jung und stellte nach der Geburt ihres

zweiten Kindes fest, „dass ich mich nicht

zur Hausfrau eigne. Ich hab dann mein

„Mein Vater hat

Leuten, die keine

Staatsbürgerschaft

hatten, zur Einbürgerung

verholfen.“

Joanna Nittenberg

unterbrochenes Studium der Zeitungswissenschaften

mit einer Dissertation

über Kurt Tucholsky beendet. Damals waren

an diesem Institut unter den Professoren

und den Studenten noch viele mit

nazistischer Gesinnung.“ Denen die Studentin

aber mit ihrem neu gewonnenen

Selbstbewusstsein begegnete.

„Neue Welt“. Nach einer kurzen Zeit im ORF

ergab sich 1974 die Gelegenheit, die traditionsreiche

jüdische Zeitung Neue Welt gemeinsam

mit Marta Halpert zu übernehmen.

Seit Ende der 1980er-Jahre ist Franz

C. Bauer mit ihr journalistisch für das Blatt

verantwortlich.

„Die Zeitung war immer unabhängig,

und mehr als der finanzielle Erfolg war und

ist mir wichtig, dass die Leute das Blatt bekommen.

Wenn die Abos gezahlt würden,

ginge es natürlich besser. Die Zeitung wird

weltweit vertrieben und geschätzt. Vor allem

auch die Nachkommen österreichischer

Juden in Israel, in England und den

USA schätzen uns sehr. Wir haben auch

viele nicht jüdische Leser. Unser thematischer

Fokus ist das europäische Judentum

und die Aufklärung über Israel. Über

die heutige Wiener Gemeinde schreiben

wir nur wenig, dafür gibt es ja genug andere

Medien. Ich denke, dass Österreich

eine Verpflichtung hat, diese Zeitung aufrecht

zu erhalten, denn sie geht auf eine

Gründung der Zeitung Neue Welt zurück, die

Theodor Herzl 1897 anlässlich des ersten

Jüdischen Weltkongresses gegründet hat.“

Deren Geschichte ist in dem Band

Wandlungen und Brüche nachzulesen, den

Joanna Nittenberg in der Edition INW herausgegeben

hat. Außerdem sind in der

INW Edition noch mehrere andere Bücher

erschienen.

Ans Aufhören denkt Hania überhaupt

nicht, vielleicht auch, weil sie ihre diversen

Aktivitäten von manchen Gedanken

ablenken.

„Jetzt im Alter kommt die Vergangenheit

immer stärker zurück, vor allem

auch die Geschichte meiner Eltern und

die Folgen der Schoah. Ich glaube, dass

ich ein sehr ängstliches Mädchen war. Ich

hatte lange wenig Selbstvertrauen, das zu

überwinden, hat mir erst viel später mein

Mann geholfen. Dass Jizchak 1975 so jung

gestorben ist, war sicher auch eine Spätfolge.

Die Zeit nach seinem Tod war für

mich und meine beiden Kinder Daniela

und Ronnie die schwerste. Jetzt sind sie

natürlich längst erwachsen und führen

ihr eigenes Leben.“

wına-magazin.at

23


Einmann-Agentur

Homeoffice

statt Events

Daniel Bessler arbeitete viele Jahre als

selbstständiger Eventmanager und als DJ. Jetzt

unterstützt er den grundlegenden Umbau eines

internationalen Tabakkonzerns in Österreich.

Text und Foto: Reinhard Engel

Ein Interview in ungewöhnlichen

Zeiten. Die Skype-Verbindung

der Videokonferenz will nicht so

recht klappen zwischen den Welten von

Microsoft und Apple. „Probieren wir es

mit Face Time.“ Daniel Bessler hat in den

letzten Tagen eine Vielzahl von Videokonferenzen

absolviert, ihn bringt ein kleines

technisches Problem nicht gleich aus

den Schienen.

Dabei ist auch in seiner täglichen Berufswelt

nichts wie früher. Seit mehr als

einem Jahr arbeitet er für den internationalen

Tabakkonzern Philip Morris, mit

mehr als 77.000 Mitarbeitern weltweit.

„Lead Hospitality & New Business. Events,

Horeca & B2B Partnerships“ steht auf seiner

Visitenkarte. Gemeint ist damit, dass

er sich um die Beziehungen zu Eventveranstaltern,

Hotellerie, Gastronomie und

Caterern bemüht.

„Philip Morris befindet sich in der

größten Transformation seiner Unternehmensgeschichte“,

erklärt er. „Das

kann man von der Größenordnung her

nur mehr vergleichen mit einer völligen

Umstellung eines Automobilerzeugers

auf Elektrofahrzeuge.“ Bei Philip Morris

sind in den letzten zehn Jahren dank

der Investition von mehr als sieben Mrd.

USD alternative Produkte entwickelt worden.

Das erfordert eine Vielzahl an Veränderungen

für das Unternehmen und

seine Mitarbeiterinnen und Mitarbei-

ter. Die gesamte Organisation wurde auf

neue Beine gestellt und agiert nun „project-based“

und losgelöst von tradierten

Hierarchien.

Daniel Bessler ist seit etwas mehr als

einem Jahr Teil der ca. 70 Mitarbeiter zählenden

Österreich-Gesellschaft von Philip

Morris. „Ich war immerhin 15 Jahre

selbstständig, da überlegt man sich so einen

Wechsel schon genau.“ Auf ein entsprechendes

Angebot ging er nach eingehendem

Räsonieren ein: „Ich habe mir

gedacht, wenn sich so ein großes Unternehmen

traut, sich derart gravierend zu

ändern, dann traue ich mich auch.“ Im

Rückblick sollte es die richtige Entscheidung

gewesen sein: „Es ist eine extrem

spannende Arbeit.“

Bessler konnte selbst einiges bieten. Als

Ein-Mann-Eventagentur mit einem weit

gespannten Netzwerk hatte er etwa für

Großereignisse verantwortlich gezeichnet

wie die Mobile Marketing Innovation

Days, eine der größten Konferenzen zum

Thema „Mobile“ in Österreich. Sieben

Jahre hatte er diese organisiert, gemeinsam

mit einem Kollegen. Die Partner aus

der Wirtschaft trugen renommierte Namen:

T-Mobile, McDonald´s, Facebook,

Google und Microsoft. Aber er betreute

auch zahlreiche individuelle Firmenkunden,

darunter etwa die John-Harris-Fitnessstudios

in Wien.

Das war aber nur die eine Seite seiner

beruflichen Welt: „Montag bis Freitag

habe ich voll in meiner Agentur gearbeitet,

am Wochenende dann aufgelegt.“

Bessler war einer der bekanntesten und

beliebtesten österreichischen DJs, gebucht

nicht nur in Wiener Clubs, sondern

im ganzen Land. „Ich habe es gerne

gemacht“, resümiert er, „aber es war schon

extrem anstrengend: lange Nächte, man

musste immer gute Stimmung machen,

auch wenn man selbst müde war oder

nicht ganz so gut drauf.“ Die Arbeit erforderte

darüber hinaus große Disziplin. Drogen

waren ohnehin tabu, aber auch mit Alkohol

musste man vorsichtig sein, nicht

jede Einladung annehmen, ausreichend

Schlaf und Ausgleichssport waren ebenfalls

wichtig. Dennoch blieb es eine über

mehr als zehn Jahre anhaltende berufliche

Dauerbelastung, nichts, das man ewig

durchhalten kann.

Wie kam Daniel Bessler zu diesen Jobs? Er

besuchte als gebürtiger Wiener das Lycée

Français und übersiedelte nach der

Matura, dem Baccalauréat, ins englische

Nottingham, um dort Volkswirtschaft zu

studieren. Mit einem Master im Gepäck

kehrte er nach Österreich zurück und arbeitete

erst als angestellter Consultant, um

sich bald selbstständig zu machen.

24 wına | April 2020


Großes Netzwerk

© Nick Rainer

Daniel Bessler.

„Ich habe es gerne gemacht,

aber es war schon

extrem anstrengend.“

„Das kann man

von der Größenordnung

her

vergleichen mit

einer völligen

Umstellung eines

Automobilerzeugers

auf Elektrofahrzeuge.“

Daniel Bessler

Zu den Turntables kam er indirekt

durch seine Eltern. Sein Vater besaß eine

umfangreiche Plattensammlung zwischen

Pop, Blues und Jazz. „Und ich habe

mir die nicht nur angehört, sondern immer

wieder Kassetten aufgenommen und

meinen Schulfreunden gegeben. Irgendwann

wollten sie dann, dass ich bei Partys

auflege.“

Das waren einerseits Partys im privaten

Kreis, von Schülern des Lycée, anderseits

solche der linkszionistischen Jugendorganisation

Hashomer Hatzair. „Ich war ursprünglich,

von meiner Mutter her, bei der

Agudah gewesen, aber das war mir zu religiös.

Ich bin ein säkularer Jude. Beim Schomer

habe ich mich gleich wohl gefühlt, das

Zionistische hat mir gefallen.“ Selbst Alija

zu machen, stand für ihn nie zur Diskussion,

„dafür bin ich zu sehr Europäer.“ Aber

seine Schwester lebt seit zwei Jahren in Israel:

„Sie ist sehr glücklich dort, und ich

besuche sie gern.“

Von den Schüler- und Blauhemdenpartys

war es ein kurzer Weg auf die DJ-

Bühne. „Meinen ersten Auftritt habe ich

mit 18 gehabt, im Tanzcafé Grinzing“, erinnert

er sich. Dieser muss erfolgreich gewesen

sein, denn dann ging es ganz schnell

in andere Wiener Clubs, anschließend in

die Bundesländer.

„Das steht jetzt alles still“, bedauert er.

„Für die gesamte Event- und Gastronomieszene

ist die Lage momentan sehr schwer.“

Und auch er selbst ist froh darüber, trotz

Krise sein Gehalt zu bekommen. Aber

schon vorher hatte sich seine Lebensqualität

mit dem Übergang von der Ein-Mann-

Firma zum Angestellten eines Konzerns

deutlich verbessert. „Ich hatte auf einmal

einen wesentlich ausgeglicheneren Alltag,

eine bessere Work-Life-Balance. Und ich

habe das erste Mal seit zehn Jahren einen

Urlaub ohne Laptop machen können.“

Der Laptop ist jetzt im Homeoffice wieder

wichtiger geworden. Doch die „Corona-Zeit“

wird irgendwann zu Ende sein,

dann geht es wieder los. Und Bessler kann

sich auch vorstellen, für seine Arbeit in das

Ausland zu ziehen. „Vielleicht nicht gleich

jetzt, aber in ein paar Jahren. Warum nicht

in einem anderen europäischen Land für

Philip Morris Erfahrungen sammeln und

diese dann in Österreich umsetzen?“

wına-magazin.at

25


26

wına | April 2020

Nicolas Gold:

Dabegannichmich

in Wien zu

verlieben

NICOLAS GOLD

wurde 1985 in Rosario, Argentinien, geboren.

Im Rahmen von NAALE, einem Programm

für jüdische Jugendliche, zog er als Sechzehnjähriger

nach Israel. Nach Abschluss des

Architektur-Bachelors an der Universität von

Tel Aviv erlangte er 2018 seinen Master an der

Angewandten in Wien. Nach einigen Jahren

Arbeit als Grafikdesigner im Bereich des

3D-Modeling gründete er 2016 mit Markus

Schaffer das Designstudio SHEYN.

Foto & Redaktion: Ronnie Niedermeyer

Aufgewachsen bin ich in der jüdischen

Gemeinde von Rosario, Argentinien. Ich

besuchte die jüdische Schule, übte israelischen

Volkstanz, aß zu Pessach kein Chamez

und träumte von der Alija. 2002 war es dann soweit:

In Argentinien herrschte eine Wirtschaftskrise,

und viele jüdische Familien nahmen dies

als Anlass, in das Heilige Land zu ziehen. Da ich

mich schon seit meiner Kindheit für Architektur

und Design interessierte, begann ich 2005

an der Universität von Tel Aviv mein Architekturstudium.

Nebenbei arbeitete ich abends als

Grafikdesigner. Eines Tages erfuhr ich von Zaha

Hadids Masterclass für Architektur an der Universität

für angewandte Kunst in Wien. Ich war

noch nie in Wien gewesen und wusste auch

nicht viel über diese Stadt. Da ich aber schon

andere europäische Städte kannte, dachte ich

mir: Was wird in Wien denn schon anders sein?

Die Überraschung war vorprogrammiert. In Tel

Aviv hatte ich ein sehr spontanes Leben geführt:

Kurzfristig die Wohnung zu wechseln oder um

zwei Uhr früh etwas aus dem Supermarkt zu holen,

gehörte bei mir zur Norm. In Wien musste

ich vier Monate im Voraus den Mietvertrag unterschreiben

und um 18.50 Uhr noch rasch zum

Billa rennen, um mein Abendessen sicherzustellen.

Es dauerte seine Zeit, bis ich diesen Kulturschock

überwinden konnte. Und obwohl ich

mir sagte, dass ich nach Abschluss meines Masters

wieder zurück nach Tel Aviv ziehen würde,

begann ich während dieses dreijährigen Studiums

langsam, mich in Wien zu verlieben. Die

Gemütlichkeit, das Gefühl von Sicherheit und

Stabilität – das waren Dinge, die ich unterbewusst

immer gesucht hatte. In dieser Zeit lernte

ich auch Markus kennen, der heute sowohl mein

Geschäftspartner wie auch mein Lebenspartner

ist. Gemeinsam gründeten wir das Designstudio

SHEYN. Bekannterweise handelt es sich dabei

um das jiddische Wort für „schön“ – bei uns steht

es für Ästhetik und die Suche nach ansprechenden

Formen. Zudem betont die Wahl eines jiddischen

Namens den Schnittpunkt zwischen unseren

beiden Sprachen, Hebräisch und Deutsch.

TIPP: „Gottfried & Söhne“ heißt der von Elisabeth

Gottfried geführte Store im Jüdischen Museum

Wien. Hier findet man Arbeiten von israelischen

und jüdischen Designern – auch meine Schmuckkollektion

ist vertreten.


GENERATION UNVERHOFFT

„Das Judentum ist nicht nur Tod“

David Losonci war einzig durch seine Familiengeschichte mit

dem Judentum verbunden. Das will er nun ändern.

Die erste Israelreise bringt junge jüdische

Menschen oft näher zu ihren Wurzeln.

Text & Foto:

Auch bei David Losonci war das so, als

Anna Goldenberg

er 2014 gemeinsam mit seiner älteren

Schwester hinflog. Damals war er 25 und

hatte sein Jus-Studium in Wien beendet.

Die beiden besuchten Familie und sahen sich das Land an.

Und dann? „Ich habe beschlossen, Österreicher zu werden“,

sagt David. „Ich bin doch hier zuhause.“

Davids Mutter kommt aus der Slowakei, sein Vater aus

Ungarn. Geboren wurde David in Bratislava; als er zwei

„Es gibt nicht den Prototyp Juden,

das sollen die Leute sehen.“

Jahre alt war, kam die Familie nach Österreich. Bis vor

einigen Jahren war David, der neben Deutsch fließend

Ungarisch und Slowakisch spricht, ungarischer Staatsbürger.

David ging in Niederösterreich auf öffentliche

Schulen und war in nicht-jüdischen Kreisen unterwegs.

Der einzige Bezug zum Judentum blieb die Familiengeschichte:

Drei seiner vier Großeltern sind Holocaust-

Überlebende. Mit ihren Schicksalen hat sich David in den

letzten Jahren vermehrt beschäftigt und beispielsweise

recherchiert, wie sein Großvater als 17-Jähriger aus einem

ungarischen Ghetto in die Zwangsarbeit verschleppt

wurde und dann einen Todesmarsch über die österreichische

Grenze bis nach Oberösterreich überlebte, wo er von

amerikanischen Truppen befreit wurde.

„Es ist gut, dass wir uns damit beschäftigten“, sagt David.

„Aber das Judentum ist nicht nur Tod, sondern auch

Leben.“ Nach diesem Leben sucht David, nicht zuletzt, weil

kaum jemand weiß, dass es in ihm steckt. Seine Eltern, in

kommunistischen Ländern aufgewachsen, praktizierten

jüdische Religion und Kultur nicht. Seine Schulfreunde,

seine Arbeitskollegen in dem Technologiekonzern, bei

dem David als Unternehmensjurist arbeitet, sie alle wissen

nichts von seinem Judentum. „Man soll’s nie sagen,

wenn’s nicht notwendig ist. Also sag ich’s nie“, beschreibt

David die Einstellung, mit der er aufwuchs. Das, erzählt

er, kann durchaus auch belastend sein – schließlich gehört

das Judentum trotzdem zu ihm.

Wie der jüdische Teil von ihm aussieht, das versucht

David gerade herauszufinden. Weshalb er sich nach einigem

Zögern zu diesem Interview bereit erklärte. Denn:

„Es gibt nicht den Prototyp Juden, das sollen die Leute sehen.“

Sein nächster Schritt ist, mehr über die Religion

zu erfahren. Synagogen kennt er nur als Tourist, die Inhalte

sind ihm größtenteils fremd. Was für ein Umfeld

wünscht er sich, um mehr zu lernen? „Das muss ich noch

rausfinden“, erklärt er. Liberal soll es sein, denn Frauen

nicht die Hand geben zu dürfen, kann sich David schwer

vorstellen. Nachdenklich fügt er hinzu: „Ich müsste mal

mit einem Rabbiner reden.“ Das hat er nämlich noch nie

getan.

wına-magazin.at

27


WINAKOCHT

Wohin nur mit den ganzen Mazzen, …

... und was hat es mit Miriams Becher auf sich? Die Wiener Küche steckt voller köstlicher

Rätsel, die jüdische sowieso. Wir lösen sie an dieser Stelle. Ob Kochirrtum, Kaschrut

oder Kulinargeschichte: Leser fragen, WINA antwortet.

Liebe WINA-Kochexperten!

Ob Mazza oder Mazze, Matzen oder Mazzen – mir

stellt sich nach Pessach immer dieselbe Frage: Was

nur tun mit den Unmengen von Fladenbrot? Wochenlang

Mazzebrei essen?

Lara Z. aus 1180 Wien

Ja, Pessach ist eben das „Fest der ungesäuerten

Brote“. Da bleibt schon mal was übrig.

Glücklicherweise lassen sich Matzen durch

ihre wenigen Grundzutaten nicht nur zu Mazzebrei

verarbeiten, sondern auch sehr gut in

verschiedenste Rezepte einbauen. Dafür stecken

Sie die Fladenbrotreste einfach in einen

Mixer und zermahlen sie darin gründlich.

Schon ist die Matzemehlbasis für Kuchen,

Kneidlach und Co. fertig oder kann beim Panieren

zum Einsatz kommen.

Ansonsten hilft etwas Fantasie über das

Brei-Level hinaus. Belegen Sie das Fladenbrot

doch einfach mit Tomaten und Käse

und überbacken es im Ofen. Fertig ist die

schnelle Pizza. Oder setzen Sie die Matzen für

die nächste Lasagne anstatt der Pastaplatten

ein. Ein Tipp: Matzen vorher 20 Sekunden in

Wasser einweichen. Wenn Sie mexikanische

Snacks den italienischen vorziehen, dann

brechen Sie die Matzen stattdessen in Stücke

und dippen Sie sie wie Nachos oder Tortilla-

Chips in Guacamole, Käsesauce oder Tomaten-Salsa.

Und wenn Sie es lieber süß mögen,

können Sie die Matzen mit einer Schicht aus

flüssigem Karamell und Schokolade überziehen

und noch mit gehackten Nüsse und einer

Prise grobem Salz bestreuen. Köstlich!

Unser „Recycling“-Favorit ist aber Mazze-

Granola (siehe Rezept). Gibt man davon ein

paar Löffel über den Mazzebrei, dann isst

man den sogar freiwillig wochenlang!

Sehr geehrte Redaktion,

neulich bekam ich eine so genannte „Miriam’s Cup“

geschenkt. Was mach ich denn nun genau damit?

T

Michaela G. aus 4020 Linz

atsächlich ist der so genannte Kos Miryam

eine relativ neue Pessach-Tradition

rund um die Prophetin Miriam, die gemeinsam

mit ihren Brüdern Moses und Aron die

MAZZE-

GRANOLA

4 Matzen

50 g grob gehackte Mandeln

50 g grob gehackte Pecannüsse

oder Cashewkerne

50 g ungesüßte Kokosnuss-

Chips

3 TL Honig

2 TL brauner Zucker

1/2 TL Zimt

2 EL Pflanzenöl

halber geriebener Apfel

4 getrocknete Feigen

4 Datteln

1 Prise Salz

ZUBEREITUNG:

Honig, Zucker, Zimt, Öl und

geriebenen Apfel in einer

Pfanne langsam erhitzen,

bis sich der Zucker aufgelöst

hat. Matzen in kleine Stückchen

brechen, gemeinsam

mit Mandeln, Nüssen/Kernen

und Kokosnuss in die Pfanne

mit dem Zucker geben. Gut

durchmischen und mit einer

Prise Salz würzen. Den Ofen

auf 150° C vorheizen. Blech

mit Backpapier auslegen und

die Matzestücke darauf verteilen.

Für 30 bis 40 Minuten

backen, nach der Hälfte der

Zeit wenden. Aus dem Ofen

nehmen und Granola gut

auskühlen lassen. Feigen und

Datteln kleinhacken und untermischen.

Schmeckt gut in

Joghurt, Milch oder aber auf

Mazzebrei.

Juden aus der Knechtschaft in Ägypten führte.

Ursprünglich ein feministischer Brauch, der

in den 1980er-Jahren in einer Bostoner Rosch-

Chodesch-Gruppe entstand, um die Aufmerksamkeit

auf die Bedeutung von Miriam

und den anderen Frauen in der Exodus-Geschichte

zu lenken, ist Miriam’s Cup inzwischen

in Israel und den USA aber weit verbreitet.

Wenn Sie Ihre Miriam’s Cup als neues Ritualobjekt

in die Seder-Zeremonie am Pessach-

Vorabend integrieren möchten, um sie inklusiver

zu gestalten, dann findet der Becher

seinen Platz neben dem fünften Glas beziehungsweise

Gedeck für den Propheten Elija.

Miriams Becher wird jedoch nicht mit Wein,

sondern mit Wasser gefüllt. Schließlich war

Miriam während der Wüstenwanderung dafür

verantwortlich, dass die Kinder Israel immer

genug Wasser hatten. Wie das Glas für Elijahu

ist auch Miriams Pokal von symbolischer

Natur: Es steht für alles, was uns auf unseren

eigenen Reisen (unter-)stützt – ganz so wie Miriams

legendärer Brunnen, der ihr auf ihrer

Wanderschaft folgte und dessen Wasser heilende

Kräfte besaß.

Da Miriam's Cup noch immer recht neu ist,

ist seine Verwendung nicht genau festgelegt.

Einige füllen den Becher gleich zu Anfang des

Seder – schließlich erscheint Miriam ja auch

am Beginn der Exodus-Geschichte. Andere

wiederum heben den Becher nach der Rezitation

der Zehn Plagen und vor dem Lied

Dayyenu – Momente, in denen Miriam eine

wichtige Rolle spielte. Und ein weiterer Ansatz

ist, den Seder zu schließen, indem man

Miriams Pokal herumreicht …

Sie können und dürfen Ihren eigenen Weg

finden. Wie wäre es zum Beispiel, alle am

Tisch einzuladen, etwas Wasser aus ihren

Trinkgläsern in Miriam's Cup zu gießen, statt

ihn aus einem Krug zu befüllen. So wird betont,

dass jeder einen Beitrag zur Wiederbelebung

der Geschichten von Frauen leistet.

Wenn auch Sie kulinarisch-kulturelle

Fragen haben, schicken Sie sie bitte an

office@jmv-wien.at, Betreff „Frag WINA“.

© 123RF

28 wına | April 2020


KOCHEN & ESSEN

Wenn wir nicht ins Restaurant können,

dann kommt das Essen eben zu uns.

Alterantiv: Koscher speisen in der Quarantäne und alles für die Pessach-Vorbereitungen

Catering-Service

Für die Herstellung sowie die

Abholung und Zustellung von

Speisen gelten besondere

Hygienebestimmungen.

Bitte beachten Sie die Hinweise

der Lieferanten!

KOSHER DELI

Lieferungen 12–19 Uhr,

+43/(0)1/235 05 82 oder

+43/(0)660/835 71 09

kosherdeli.at@gmail.com

PESSACH: geschlossen.

Die Lieferung von tiefgekühlten

Koscher-le-Pessach-Speisen ist

vor Pessach möglich.

SHABBESKITCHEN

+43/(0)699/171 08 884

yael@shabbeskitchen.at (Speisekarte)

PESSACH: Lieferung von Koscherle-Pessach-Speisen

(tiefgekühlt)

auch während der Pessach-Woche.

shabbeskitchen.at

Nun sind wir seit einigen

Wochen bereits in Quarantäne.

Eines der großen Themen in der

Isolation – neben den neuesten

Serien-Tipps und Haarschneidetricks

– ist natürlich auch das Essen.

Die einen wissen nicht mehr,

was sie kochen sollen, die anderen

versuchen sich als Gourmetchefs

und wieder andere sehnen

sich einfach nach der Abwechslung.Deshalb

haben wir für Sie

recherchiert: Koschere Lokale

und Lebensmittelhändler, die

Sie teilweise auch mit Pessach-

Speisen versorgen können.

Einen guten Appetit und

Chag sameach.

Lebensmittel

FISCHGESCHÄFT DAVID REFAELO

Hannovermarkt, Stand 70,

Mo.–Fr., 8.30–16 Uhr

+43/(0)676/844 29 32 03

Maximal 3 Personen

PESSACH: geöffnet. Lieferung möglich.

FLEISCHEREI BERNAT AINHORN

Kleine Stadtgutgasse 7,

8–17 Uhr

+43/(0)1/214 56 21

WhatsApp/SMS:

+43/(0)665/655 68 458

koscherfleisch2020@gmail.com

Maximal 3 Personen

PESSACH: 13. & 14. April, 9–12 Uhr

(keine Wurstwaren, im Idealfall Fleisch

vorbestellen)

FETMAN’S PESSACH SHOP

Große Pfarrgasse 8, 9–18 Uhr

Maximal 4 Personen

+43/(0)699/196 88 665

HERBEUS GREENS

Bestellungen über:

herbeusgreens.com

Obst und Gemüse aus einer

Indoor-Farm bei Wien

Mo.–Fr., 8–17 Uhr

+43/(0)699/127 702 47

greens.com/de/shop/

LEBENSMITTEL MALKOV

Tempelg./Ecke Ferdinandstr.

+43/(0)650/88 22 441

Maximal 3 Personen

PESSACH: Ware vorhanden.

Lieferung möglich.

LAMEHADRIN PESSACH SHOP

Kleine Sperlgasse 6

+43/(0)665/65 27 18 39

Nur mehr Bestellungen!

Telefonische Bestellung 13–16 Uhr

und auf der Website

PESSACH: keine Bestellungen mehr

lamehadrin.com

SHEFA MARKT

Supermarkt:

+43/(0)1/264 61 59

+43/(0)676/848 54 42 00

+43/(0)676/848 54 42 15

Fleischerei:

+43/(0)660/268 88 77

+43/(0)676/534 99 50

Bestellungen auf shefa-markt.com

shefa-markt.com

VINOTHEK FERSZT

Taborstraße 20 a

+43/(0)664/240 38 39 (auch WhatsApp),

vino@ferszt.at

Maximal 1 Person

PESSACH: Bestellungen werden geliefert.

ferszt.at

© Robert B. Fishman/picturedesk.com

wına-magazin.at

29


LEBENS ART

Wie geschnitten

An Pessach ist Matze der Star. Aber unser Herz

schlägt heimlich für die prächtigen Brotlaibe, die

nach dem Fest wieder auf den Tisch kommen.

Vielleicht mit diesem Zubehör?

Kunst am Korb

Mohn, Sesam, Kürbiskerne, kleine

Brösel, große Brösel ... mit allen versteht

sich „Matta“ von Villa Collection ganz

hervorragend. Nur mit zu viel

Wasser darf man dem schönen

Brotkorb aus festem Papiergeflecht

naturgemäß nicht kommen. Z. B. über

westwingnow.de

Steht Schmiere

Wer meint, „Fanfaron“ möchte

nur mit seinem hübschen Gefieder

aufschneiden, der irrt. Der bunte

Paradiesvogel ist ein praktisches

Buttermesser. Und damit er die

Tischdecke nicht dreckig macht,

hat man ihm zwei Vogelfüßchen

zum Stehen verpasst.

pylones.com

Echter Naturbursche

Das Körbchen „Patinn“ von Simla

hält dank festem Gemisch aus

Baumwolle und Leinen alle Krümel

im Zaum. Und wenn ihm die

Arbeit doch einmal zu schmutzig

wird, wandert es bei 40 Grad in die

Waschmaschine. Z. B. über

westwingnow.de

Kross-Trainer

Der „ID Toaster HT 5015 WH“ hört sich

nicht nur futuristisch an, er ist auch ein

echter Backroboter: Er toastet in 13

variabel einstellbaren Bräunungsgraden,

hat eine Bagelfunktion (sorgt für

einseitiges Bräunen) und eine Zange

zur Sandwich-Zubereitung.

braunhousehold.at

Die feine Klinge

Für einen sauberen Schnitt sorgt

dieses Brotmesser von Opinel mit

seinem besonders scharfen Wellenschliff.

Die Klinge besteht aus

rostfreiem Sandvik-Stahl, der Griff

aus naturfarbenem, lackiertem

Buchenholz.

opinel.com

K(l)eine Überraschung

Diese Dose trägt den hübschen

Namen „Blütenfülle“, und unter ihrer

Haube findet sich natürlich am

besten handgeschlagene, duftige

Heumilchbutter von wahnsinnig

glücklichen Kühen.

anthropologie.com

© Hersteller

30 wına | April 2020


HIGHLIGHTS | 03

Bilderatlas

der Welt

„Aby Warburg: Bilderatlas“: ein opulentes

Künstler-Bilderbuch der Welt

Es war eines der legendärsten Projekte

der Kunsthistorie im 20. Jahrhundert.

Ab dem Jahr 1925 arbeitete der Hamburger

Kunst- und Kulturwissenschaftler

Aby Warburg, Abkömmling der bekannten

hanseatisch-jüdischen Bankiersfamilie,

bis zu seinem Tod vier Jahre später

obsessiv an einem schier kosmisch

entgrenzten Bilderprojekt, das er „Bilderatlas“

nannte. 400.000 Einzelbilder

von Kunstwerken aus aller Welt wollte er

referenziell universal miteinander visuell

verknüpfen. Zum Abschluss konnte er es

nicht mehr bringen. Nun haben der Kunsthistoriker

Roberto Ohrt und der Künstler

Axel Hell mit Aby Warburg: Bilderatlas, herausgegeben

im Auftrag des Berliner Hauses

der Kulturen der Welt und The Warburg

Institute, London, einen opulenten

Folioband arrangiert (Hatje Verlag, 200

Euro). Sichtbar wird, mit welcher Verve

Warburg unorthodox sämtliche Konventionen

schleifen und alle Kulturen als

Uomo-universale-Nachklang der Renaissance,

der auch als Ethnologe unterwegs

war, zusammenführen wollte. A.K.

hatjecantz.de

Aby Warburg:

Bilderatlas

MNEMOSYNE.

Hg. v. Haus der

Kulturen der Welt.

Hatje Cantz 2020,

600 S., € 52

DAS MÄDCHEN

MIT DER LEICA

Ein verschollener Koffer mit

unzählige Negativen, eine unbekannte

Fotografin, der Spanische

Bürgerkrieg und Robert Capa.

Erinnerungssplitter, aus denen ein berührendes

literarisches Denkmal für die

vergessene Rebellin Gerda Taro entsteht.

Helena Janeczek, Das Mädchen

mit der Leica. Piper Verlag

2020, 352 Seiten, € 22,00.

Milton Glaser:

Graphic Design.

Abrams Books 2020,

240 S., € 43,17

Das Logo

der Welt

Milton Glasers Buch Graphic

Design ist neu aufgelegt worden

Eigentlich ist Milton Glaser der bekannteste

US-Amerikaner überhaupt. Und

das schon seit einem halben Jahrhundert.

1929 wurde Glaser in der Bronx geboren.

Vergangenen Juni wurde der noch immer

rege und auskunftsfreudige Designer 90.

Wer kennt nicht sein „I NY“, global verbreitet?

Eine rhetorische Frage. Dabei entstand

dieses Logo nebenbei, Glaser kritzelte

es im Taxi auf einen Briefumschlag.

(Heute gehört das Kuvert dem Museum of

Modern Art.)

Einer der ikonischen Bände von ihm und

über seine ersten Arbeitsjahrzehnte ist nun

neu aufgelegt worden: Milton Glaser – Graphic

Design. Diese üppig illustrierte Bildmonografie

schwelgt im psychedelischen

Stil der Sechzigerjahre, dann in den kreativ

überschwänglichen der 70er – von

Plattencovern bis Restaurantmenükarten,

Magazinen bis Spielzeug. Dass Glaser kein

zynischer PR-Mensch ist, zeigt sein humanistisches

Credo: Gute visuelle Kommunikation

heißt, sein Gehirn einzuschalten.

Ein Band, der in jede gut sortierte Bibliothek

von Bild-Aficionados gehört. A.K.

abramsbooks.com

MUSIKTIPPS

OFFENBACH

ImQuizzumJacques-Offenbach-Jubiläum

2020 wäre eine

Frage nach der dreiaktigen Opéra-comique

BelleLurette (DieschöneLurette)einetückische.Sounbekanntistsie.Alsnachgetragenes

Geburtstagsgeschenk ist nun die Einspielung

der deutschen Fassung dieser sehr späten

Operette, entstanden 1880, durch das RundfunkorchesterLeipzigvon1958umsoschöner.DerMitschnittwurdeimArchiverst2019

(!) gefunden.

DESSAU

Paul Dessau (1894–1979), 1979), der

Kantorenabkömmling,

war

mehr als nur ein sozialistisch linientreuer

Vertoner von Bertolt-Brecht-Songs. Rund 450

Werke stammen von ihm, heute alle fast ig-

noriert. Das Leipziger Ensemble Avantgarde

hat nun einen eminenten Querschnitt seiner

Kammermusik (MDG) eingespielt, vom Con-

certino von 1924 und den Jüdischen Tänzen

von 1946 bis zu Grasmückenstichen für Mü-

cke Gras (1974).

ARGERICH

Leidenschaftlich. Geradezu vulkanisch.

Und beneidenswert

frühgenial. Auf Martha Argerich – The Suc-

cessful Beginning (Profil – Hänssler) finden

sich auf vier CDs Einspielungen der blutjungen

Pianistin. Damals gerade einmal 14 bis

knapp 20 Jahre alt, spielte sie Ravel, Bartók,

Liszt, Chopin, Prokofjew, Beethoven und Sarasate

ein. Eine beeindruckende, spottbillige

Ergänzung der Argerich’schen Gesamtdiskografie.

A.K.

© xxx

wına-magazin.at

31


sonst gut besuchte Kantine des Theaters in der Josefstadt ist

Die zu dieser Mittagsstunde menschenleer. Der Kantineur spart,

hat nicht alle Lampen aufgedreht. Hier ist es gespenstisch still, genauso

wie im Zuschauerraum. Zu dritt sitzen wir an einem Ecktisch und versuchen

dem Interview den Anschein der Normalität zu geben. Die ausgestreckte

Hand des britischen Oscar-Preisträgers haben wir zögerlich

und linkisch ergriffen. Eigentlich sind wir zum Trösten da, denn die für

den nächsten Tag anberaumte Premiere von Geheimnisse einer Unbekannten

wurde erst vor wenigen Stunden abgesagt. „Mit der Generalprobe waren

wir alle sehr glücklich, aber jetzt muss ich zurück nach London – und

bin auf Abruf“, flüstert Christopher Hampton, der Dramatiker und Regisseur

dieser Produktion.

WINA: Sie haben die Stefan-Zweig-Novelle Briefe einer Unbekannten

für das Theater in der Josefstadt dramatisiert

und die Bühnenfassung wesentlich verändert: Zweigs namenlose

Figuren heißen bei Ihnen Marianne und Stefan.

Weiters haben Sie die Handlung in die 1930er-Jahre verlegt.

Was sind Ihre Motive dafür?

Christopher Hampton: Beeinflusst hat mich vor allem

der amerikanische Spielfilm von Max Ophüls

aus dem Jahr 1948 mit Joan Fontaine und Louis Jourdan.

Dieser basiert auch auf Zweigs Novelle, die dem

österreichischen Schriftsteller 1922 den eigentlichen

künstlerischen Durchbruch brachte. In der Vorlage

ist der männliche Darsteller eher passiv, daher habe

ich ihm mehr Kontur verliehen: Er heißt Stefan und

ist der jüdische Schriftsteller, der genauso wie Zweig

bereits antisemitische Repressalien erlebt.

Sehen Sie denn Parallelen zu heute?

I Ja, eindeutig. Wir sehen eine Rezession auf uns zukommen.

Der Nationalismus, Populismus und Antisemitismus

sind erstarkt. Man sieht das auch in

Großbritannien, wo der Antisemitismus aus schier

dummen, unerklärlichen Gründen angestiegen ist.

Das Verhalten der Labour Party unter James Cobyn ist

zum Schämen, auch was den Brexit betrifft. Ebenso

unwahrscheinlich ist es, dass Johnson bis Jahresende

ein Abkommen mit der EU schafft, und dann stehen

wir vor einer echten Katastrophe. Der gesamte Brexit

ist aus Versehen passiert, ebenso wie der Erste

Weltkrieg.

Sie wurden auf den portugiesischen Azoren geboren, weil

ihr Vater als Ingenieur dort arbeitete. Während Ihrer Volksschulzeit

lebten sie in Ägypten. Wegen der Suezkrise 1956

mussten Sie Alexandria verlassen und beendeten die Schule

in England. Ab 1964 studierten Sie Deutsch und Französisch

am New College in Oxford. Woher kam diese Affinität zur

deutschen Sprache und Literatur?

I Dafür gibt es mindestens zwei Gründe: Fünf Jahre

verbrachte ich in der British Boys’ School in Alexandria,

da gab es zwar kaum „british boys“, dafür

aber Kinder, die mit acht Jahren schon mindestens

fünf diverse Sprachen konnten. Das imponierte mir,

und ich bemerkte, dass ich auch schnell Sprachen

erlernte. Mit 14 Jahren konnte ich in London dann

Sprachfächer wählen, und so kam Deutsch zu Französisch

dazu. Ich hatte großes Glück mit den Lehrern,

denn sie fütterten uns gleich zu Beginn mit Werken

von Zweig und Kafka. So bestimmte die deutschsprachige

Literatur auch meine Studienzeit, und ich war

ihr für der Rest meines Lebens verfallen.

Ödön von Horváth zählt zu Ihren besonders favorisierten

Autoren. Sie haben seine Werke übersetzt und fünf seiner

Dramen realisiert, z. B. 2009 Jugend ohne Gott am Theater

in der Josefstadt. Bereits 1979 schrieben Sie gemeinsam mit

Maximilian Schell das Drehbuch für die Verfilmung von Geschichten

aus dem Wienerwald mit den Schauspielgrößen

Helmut Qualtinger, Adrienne Gessner, Birgit Doll und Hanno

Pöschl. Die Zwischenkriegszeit hat Sie literarisch ebenso interessiert

wie die Auswirkungen des NS-Regimes auf die

menschliche Natur?

INTERVIEW MIT CHRISTOPHER HAMPTON

„Starke Parallelen zu

den 1930-er Jahren werden sichtbar“

Oscar-Preisträger Christopher Hampton erzählt über seine Bühnenfassung

einer Stefan-Zweig-Novelle für das Theater in der Josefstadt und warum er

schon früh der deutschsprachigen Literatur verfallen ist.

Interview: Marta S. Halpert, Fotos: Reinhard Engel

32 wına | April 2020


Deutschsprachige Literatur

I Ja, genau, weil ich so viele Parallelen zu heute sehe:

Viel zu viele Menschen denken einfach nicht nach,

wollen nur eine gute Zeit haben. Daher hat mich der

österreichische Dokumentarfilm von Christian Krönes

Ein deutsches Leben fasziniert: Darin bezeichnet

sich Brunhilde Pomsel, die von 1942 bis April 1945 als

persönliche Sekretärin bei Reichspropagandaleiter

Joseph Goebbels arbeitete, als ahnungslos und „unpolitisch“,

obwohl sie im Herzen dieser Nazi-Propaganda-Maschine

tätig war. Sogar nach Goebbels‘ Suizid

in den letzten Kriegstagen tippte sie im Bunker

noch Schriftsätze. 2016 sagte sie noch Sätze wie: „Ich

kann mich nicht erinnern, ob ich für Hitler gestimmt

habe, vielleicht doch? Mir haben die farbigen Fahnen

so gut gefallen.“

Sie haben einen Bühnenmonolog verfasst, der auf dem Interview

mit Pomsel basiert, das sie gab, bevor sie 2017 im

Alter von 106 starb. 2019 hatte Ihre One-Woman-Show Premiere

im Londoner Westend. Wer spielte die Hauptrolle?

I Es ist mir tatsächlich gelungen, den Downton Abbey-

Star, die zweifache Oscar-Gewinnerin Maggie Smith

nach zwölf Jahren auf die Theaterbühne zurückzuholen.

Es gab leider nur 30 Vorstellungen, denn Smith

spielte solo eine Stunde und 40 Minuten – und sie ist

85 Jahre alt. Ich hoffe, dass wir die Aufführung noch

mit ihr filmen können.

„[...] weil ich

so viele Parallelen

zu heute

sehe: Viel zu

viele Menschen

denken

einfach nicht

nach, wollen

nur eine gute

Zeit haben.“

Christopher

Hampton

Christopher

Hampton.

Stunden nach der

Absage der Premiere

von Geheimnisse einer

Unbekannten im leeren

Zuschauerraum der

Josefstadt.

Sie sind mit Josefstadt-Direktor Herbert Föttinger seit über

zwanzig Jahren bekannt und befreundet. Hat er kein Interesse

an Ihrem brisanten und aufwühlendem Stück Ein deutsches

Leben?

I Aber ja, er ist auf der Suche nach einer geeigneten

Schauspielerin, sozusagen nach einer deutschsprachigen

Maggie Smith. Das Stück wird bereits in

Frankreich, Italien, Spanien und auch in der Nachbarschaft,

in Budapest gespielt.

Sie kennen Direktor Föttinger auch als Schauspieler, denn

2007 hat er gemeinsam mit Andrea Jonasson die Hauptrolle

in Gefährliche Liebschaften gespielt, ein Drama, für dessen

Verfilmung Sie 1989 den Oscar erhielten. Als Vorlage für den

Film über verhängnisvolle Affären und Intrigen des französischen

Adels während des 18. Jahrhunderts diente Ihr Bühnenstück

Les Liaisons dangereuses, das wiederum auf dem

gleichnamigen Briefroman von Choderlos de Laclos beruht.

Woher kannten Sie diesen Roman?

I Natürlich von meinem Studium in Oxford, ich entdeckte

ihn mit neunzehn Jahren und war begeistert.

Viele Jahre später wollte ich eine Bühnenfassung daraus

machen, aber es hat sich niemand dafür interessiert.

Acht Jahre hat es gedauert, bis die Royal

Shakespeare Company 1985 meine Bearbeitung mit

großem Erfolg und vielen Auszeichnungen für sie

und mich produziert hat.

wına-magazin.at

33


Wortgetreu

Ihr literarisches Interesse geht aber weit über das 17.

oder 20. Jahrhundert hinaus: Sie haben sich außer vier

Horváth-, fünf Ibsen-, zwei Molière- und drei Tschechow-

Werken auch der Übersetzung und Bearbeitung zeitgenössischer

Autoren wie Yasmina Reza und Florian Zeller

gewidmet. Wie kam es dazu?

I Ich habe mich sehr geärgert, dass das Theaterleben

in London ab den 1990er-Jahren so konservativ

wurde und keine fremdsprachigen Stücke mehr

gezeigt wurden. Daher habe ich mit dem ersten Erfolgsstück

von Reza, Art (Kunst), begonnen. Die Rechte

dafür musste ich dem James Bond-Star Sean Connery

abkaufen: Er hatte diese für seine französische Frau

erworben. Das Stück lief insgesamt acht Jahre, dann

habe ich noch vier weitere Arbeiten von Reza übersetzt

und sechs des französischen Erfolgsautors Florian

Zeller. Sein Bühnenwerk Der Sohn wird aktuell

mit großem Erfolg in den Kammerspielen in Wien

gespielt. Ich hoffe sehr auf eine Verfilmung dieses

Stückes.

Zurück zu Stefan Zweig und der verschobenen Premiere

von Geheimnisse einer Unbekannten. Es ist Ihre zweite

Regiearbeit am Theater in der Josefstadt nach der Uraufführung

Ihrer Bühnenrealisierung von Eine dunkle

Begierde (The Talking Cure). Die Regie des Filmklassikers

Abbau. Mit der

Generalprobe war

Christopher Hampton

noch recht zufrieden –

hier mit WINA-Autorin

Marta S. Halpert (re.).

All About Eve, den Sie für die

Kammerspiele der Josefstadt

adaptiert haben, mussten Sie

kurzfristig an Föttinger übergeben,

weil sie krank wurden.

Daniel Kehlmann hat sowohl

All About Eve wie auch Ihre

Zweig-Dramatisierung übersetzt.

Seit wann arbeiten Sie

zusammen?

I Bereits vor zehn Jahre hat

Daniel mich eingeladen, bei

den Salzburger Festspielen

die Regie bei der Lesung seines

ersten Theaterstücks zu

übernehmen. Danach habe

ich noch zwei seiner Arbeiten

ins Englische übertragen.

Noch enger wurde die Zusammenarbeit, als er

2014 für mich The Talking Cure, also Eine dunkle Begierde,

übersetzte. Wir dachten künstlerisch sehr ähnlich:

Wenn dir ein Stück, ein Text gefällt, dann spiele den

auch wortgetreu. Diesmal habe ich ihn gefragt, ob er

meine Zweig-Bearbeitung ins Deutsche übersetzen

würde. Zum Glück hat er zugesagt.

Sie haben

Fragen an das

Bundeskanzleramt?

service@bka.gv.at

0800 222 666

Mo bis Fr: 8 –16 Uhr

(gebührenfrei aus ganz Österreich)

+43 1 531 15 -204274

Bundeskanzleramt

Ballhausplatz 1

1010 Wien

ENTGELTLICHE EINSCHALTUNG

34 wına | April 2020

Das Bürgerinnen- und Bürgerservice des Bundeskanzleramts freut sich

auf Ihre Fragen und Anliegen!

bundeskanzleramt.gv.at


WINA WERK-STÄDTE

Hamburg

Kein Buch der jüdischen Tradition erfährt seit

dem Mittelalter mehr künstlerische Aufmerksamkeit

als die Pessach-Haggada. Die Ausführung

unterliegt allerdings verschiedenen Moden.

Von Esther Graf

Auch heute noch sind

die fünf Weisen von Bnei

Brak in Pessach-Haggadot

abgebildet.

ie künstlerische Ausgestaltung von

Pessach-Haggadot ist ein wichtiger

Bereich innerhalb der jüdischen

Kunst. Auch wenn das Bildprogramm

seit Jahrhunderten gleich

ist, variieren Schriftbild, Raumdarstellung

und Kostüme nach dem jeweiligen

Zeitgeschmack. Die frühesten überlieferten illuminierten,

also mit Bildmotiven ausgestatteten

Haggadot stammen aus dem 13. Jahrhundert.

Im frühen 16. Jahrhundert nach Einführung des

Buchdrucks werden diese von gedruckten Versionen

abgelöst, die sich weit verbreiten, jedoch

ein viel schlichteres Bildprogramm aufweisen.

Die Herausbildung einer wohlhabenden jüdischen

Führungsschicht im 17. und 18. Jahrhundert

(Hofjuden) mag dazu geführt haben, dass

die Buchmalerei im 18. Jahrhundert in Österreich,

Mähren, Deutschland und Holland eine

Renaissance erlebte. Die namentlich bekannten

Künstler schufen rein statistisch Haggadot mit

den meisten Illustrationen.

Jacob ben Judah Leib aus Berlin schuf 1740 u. a.

die vorliegende Illumination Die fünf Weisen von

Bnei Brak für eine Haggada. Zu sehen ist links im

Bild eine aus Männern bestehende Tischgesellschaft,

die mit Kelchen in der Hand in das Gespräch

vertieft scheint. Während es sich bei den

in Rot gekleideten um die im Text benannten

Rabbiner handelt, gehört die am Tisch stehende

bärtige Figur in Lila zum Personal. Die geöffnete

Türe im Hintergrund entstammt dem Motivkanon

der niederländischen Malerei und steht für

Weltoffenheit.

HAMBURG

DiezweitgrößteStadtDeutschlandshatca.1,8Mio.Einwohner.DerweltweitbedeutendeHafenzognachderVertreibungvonderIberischenHalbinselabdem16.Jahrhundert

sephardischeJudenan.Aschkenasendurftensicherstim17.Jahrhundertansiedeln.1925

lebten ca. 20.000 Juden im Raum Hamburg, 2 Prozent der Stadtbevölkerung. Das NS-

Regime forderte davon knapp 9.000 Menschenleben. Für die 2.700 Mitglieder gibt es

heuteeineliberaleundeineorthodoxeSynagoge,einSpital,einenMakkabi-Sportverein,

einen Kindergarten und eine Grundschule.

© Jheald, 2014, Commons Wikimedia

60 wına | April 2020


Umfassende Kreativität

Modulare Stadt auf

Säulen. Mit seinem Konzept

der „Ville Spatiale“,

der „Raumstadt“, wurde

er in den späten 1950er-

Jahren bekannt.

Der Architekt der

virtuellen Stadt

Die Kombination aus spielerischem,

kreativem Zugang und elegantem Hinwegwischen

realer Unmöglichkeiten sollte

das Leben und die Karriere Friedmans

über viele Jahrzehnte bestimmen. Er selbst

baute zwar kaum etwas, genoss aber unter

Architekten und Stadtplanern hohen

Respekt, lehrte – ohne ordentliche Professur

– an renommierten Universitäten

wie dem Massachusetts Institute of Technology

MIT, an der Columbia University

in New York, an der Harvard University

sowie an der Princeton University. 2018

wurde ihm der österreichische Friedrich-

Kiesler-Preis verliehen.

Im Kern von Friedmans Theorien standen

flexible, mobile Wohneinheiten, die

sich die Menschen selbst gestalten können

sollten. Mit seinem Konzept der

„Ville Spatiale“, der „Raumstadt“, wurde

er in den späten 1950er-Jahren bekannt.

Dabei handelte es sich um eine modulare

Stadt auf Säulen, die man sowohl über Gewerbegrund,

Bahngeleisen oder bereits bestehenden

älteren Stadtteilen errichten

könnte. Die Wohneinheiten aus Betonkuben

sollten möglichst frei gestaltbar

sein, mit viel Zwischenraum für Licht

und Luft.

Stark beeinflusst war Friedman dabei

vom deutschen Architekt Konrad

Wachsmann. Dieser hatte erst in Berlin

und später in Sachsen schon in den

20er-Jahren des vorigen Jahrhunderts

sehr konkret mit modularen Holzbauten

experimentiert, auch – wenig erfolgreich

– mit kommerziellen Anwendungen.

Er errichtete dennoch eine Reihe

von Gebäuden, unter anderem ein Sommerhaus

für Albert Einstein in der Nähe

von Potsdam.

Wachsmann wurde zwar noch in der

Weimarer Republik geehrt, floh aber –

als Jude – unmittelbar nach der Machtergreifung

Hitlers zuerst nach Italien und

dann in die USA. Er sollte übrigens in

den späten 1950er-Jahre eine Zeit lang

die Architekturklasse der Internatio-

Yona Friedman starb Ende Februar 96-jährig in Paris.

Er hatte zwar selbst kaum etwas gebaut, aber mit seinen

Theorien ganze Generationen von Stadtplanern inspiriert.

Von Reinhard Engel

Besucher seiner Wohnung und seines

Ateliers staunten stets darüber,

wie sich der alte Herr in seinem

Wirrwarr von Kunstgegenständen, Design-Trouvaillen

und gesammeltem Alltagskram

zurechtfinden könne. Als ihn

etwa vor zwei Jahren der Architekturjournalist

des Wiener Standard, Wojciech

Czaja, fragte, wie er sich in dem Chaos

seines Wohnzimmers überhaupt zurechtfinde,

antwortete Yona Friedman augenzwinkernd:

„Mein Atelier auf der anderen

Seite des Flurs sollten Sie sehen! Dort ist

Chaos. Aber das hier, das ist kein Chaos.

Hier hat alles seine Ordnung und ist ganz

genau durchstrukturiert. Hier die Zeichnungen,

da die Fotomontagen und dort

die Modelle. In einem Kistchen liegen die

Korken, dort die Lämpchen, und schauen

Sie hier ... Erst unlängst hat mir jemand

diese Plastikverschlüsse geschenkt. Sind

das nicht wunderschöne Objekte? Ich

denke, das könnte ein Hochhaus werden.“

Im Kern von

Friedmans

Theorien standen

flexible,

mobile Wohneinheiten,

die

sich die Menschen

selbst

gestalten können

sollten.

36 wına | April 2020


Mobiles Bauen

nalen Sommerakademie für bildende

Kunst Salzburg leiten. Friedman hatte

ihn 1953 als Gastdozent am Technion in

Haifa getroffen, und Wachsmanns Ideen

fielen bei ihm auf fruchtbaren Boden.

Arbeit als Bauarbeiter. Friedman,

1923 geboren als János Antal Friedman,

stammte aus einer jüdischen Familie

in Budapest. Er studierte an der Technischen

Universität Budapest, die damals

noch Palatin-Josef-Universität für

Technik und Wirtschaft hieß. Zugelassen

zum Architekturstudium wurde er

trotz sehr früher antijüdischer Beschränkungen

übrigens nur deshalb, weil einer

der Professoren sein Talent erkannte

und ihm eine Ausnahmegenehmigung

beschaffte. Friedman schloss sich während

der deutschen Besetzung Ungarns

dem Widerstand an und entging nur

knapp der Verhaftung nach einem Verrat.

Unmittelbar nach dem Krieg emigrierte

er via Rumänien nach Israel. Dort

Yona

Friedman.

Der in Ungarn

geborene franzö-

sische Architekt in

einer Installation in

seinem Sommer-

haus in London.

schloss er an der Technischen Universität

in Haifa sein Studium ab.

Finanziert hatte er sein Leben übrigens

als Bauarbeiter – einer der theoretischsten

Architekten arbeitete wirklich

physisch mit Ziegeln, Mörtel und Holz.

Auch seine ersten Jahre nach dem Studienabschluss

blieb er der praktischen Welt

verpflichtet, er lebte von 1945 bis 1957

im Kibbuz Kfar Glikson im Hinterland

von Caesarea, später in Haifa. 1957 übersiedelte

er nach Paris. Schon 1956 hatte

er auf dem X. Congrès Internationaux

d’Architecture Moderne (CIAM) in

Dubrovnik erstmals sein Manifeste de

l’architecture mobile veröffentlicht, das

„Manifest der mobilen Architektur“ über

neue Konzepte von Haus- und Städtebau.

Daraus sollte dann die Raumstadt,

„La Ville Spatiale“, werden. Und er gründete

auch rund um dieses Konzepte die

Groupe d’étude d’architecture mobile

(GEAM), die „Gruppe für Studien mobiler

Architektur“.

© Daniel Leal-Olivas/picturedesk.com

Diese Gruppe, die einige Jahre lang

lose zusammenarbeitete, kritisierte die

damalige Städteplanung scharf. Sie sei

veraltet und überteuert, führe zu Verkehrsstaus

und schlechter Wohnqualität,

fordere sogar die Flucht aus den Städten

heraus – und bedinge damit wiederum

neuen Verkehr. Die Antwort stelle

eben die flexible urbane Architektur dar,

in der sich die Bewohner selbst mit verwirklichen

könnten, die sie auch zum

Bleiben bewegte. Doch auch trotz aller

internationaler Bekanntheit: Direkt umgesetzt

wurde von den Konzepten Friedmans

nichts. Schon bei einem ganz frühen

Plan zur Bebauung von Teilen des

Pariser Bois de Boulogne musste er erkennen,

wie weit seine Ideen von öffentlicher

Akzeptanz entfernt waren.

Als er das verstand, widmete er sich

nun intensiv der Lehre und dem Propagieren

seiner Theorien, um damit zumindest

jüngere Architekten zu beeinflussen.

Dabei war er überaus fleißig

und kreativ, schrieb eine Reihe von Büchern

und mehr als 500 einschlägige Artikel

in Fachzeitschriften. Und sein Interesse

beschränkte sich nicht bloß auf

das virtuelle Errichten von städtischen

Strukturen und Gebäuden, sondern wucherte

weiter in Richtung Soziologie. Er

blieb auch geografisch nicht auf Frankreich

und die reichen westlichen Länder

beschränkt, im Gegenteil: Ein Gutteil

seiner Studien beschäftigte sich mit

„armer Architektur“, dabei versuchte er

seine Konzepte des mobilen Bauens auf

Länder der Dritten Welt mit ihren völlig

anderen Materialien wie etwa Bambus

zu übertragen. Er arbeitete wiederholt

für die UNO und die UNESCO und

gab Handbücher für Bau-Laien heraus.

Seine umfassende Kreativität spiegelte

sich in seiner eigenen Pariser Wohnung

wider, heißt es in einer Biografie

Friedmans: „Die Wände sind bedeckt

mit allen Arten von Zeichnungen und

Gemälden, in denen sich magische Figuren,

etwa Einhörner, mit philosophischen

Texten abwechseln. Diese Wände

werden ergänzt mit Skulpturen aus gefunden

Objekten und Verpackungsmaterial.“

Bei einer großen Personale in

den Niederlanden im Jahr 1999 wurde

sein Wohnzimmer eins zu eins präsentiert.

Die Ausstellung hieß Yona Friedman.

Structures serving the unpredictable:

„Die Strukturen dienen dem Unvorhersehbaren.“

Friedmann starb Ende Februar

in Paris.

wına-magazin.at

37


Späte Berufung

Veronica Taussig. „Ich

arbeite unter meinem

Mädchennamen, denn ich

wollte nicht, dass sich mein

Mann für mich blamieren

muss.“

Ein besonders tiefes Rot, ein

sehr sonniges Gelb, mit diesen

intensiven Farben umgibt sich

Veronika Jurkowitsch am liebsten.

Vorhänge, Wandbespannungen,

Polstermöbel im wunderschönen Hietzinger

Haus, die Blumen im großen Garten,

wenn es Sommer ist, und ihre Kunstwerke

im Atelier leuchten gleichsam um

die Wette. Von innen strahlen ihre roten

Light-Boxen, von außen werden ihre

hohen Skulpturen angestrahlt, und sie

selbst strahlt auch, wenn von ihrer Arbeit

die Rede ist. Detailliert und wortreich

beschreibt sie etwa ein Werkstück,

an dem sie gerade arbeitet, eine Technik

oder ein Material.

„Ich mache zum Beispiel Collagen mit

gedrehtem, buntem Papier, da entstehen

dann diese dreidimensionalen Bilder mit

speziellen Effekten. Ich habe solche Arbeiten

noch nirgends sonst gesehen, obwohl

ich viele Ausstellungen besuche.

Auf diese Technik bin ich selbst gekommen.

Es war eine Art von Eingebung.“

Veronika vertraut Eingebungen, lässt

sich von ihrer Phantasie leiten, von Bildern,

Formen und Farben, die ihr nachts

durch den Kopf gehen, wie sie erzählt. Als

sie vor einigen Jahren mit ihrem Mann im

New Yorker MoMA vor den Cut-Outs von

Henri Matisse stand, muss sie wohl auch

so eine Art von Eingebung gehabt haben.

„Du Franz, das kann ich auch!“, hat sie

da plötzlich ihrem erstaunten Mann erklärt.

Und als der sie bald darauf in Wien

daran erinnerte und sehen wollte, ob sie

das „auch kann“, da hat sie jede Menge

Material eingekauft und begonnen, eigene

Cut-Outs zu machen. Das war die

Initialzündung, der Anfang ihrer Metamorphose

von Veronika Jurkowitsch zu

Veronica Taussig, wie sie sich als Künstlerin

nennt. „Ich arbeite unter meinem

Mädchennamen, denn ich wollte nicht,

dass sich mein Mann, der ursprünglich

etwas skeptisch war, für mich blamieren

muss. Jetzt wäre das, so glaube ich, schon

etwas anders.“

Von Temesvár nach Wien. Doch erst einmal

zurück zu den Anfängen und damit zur

Familiengeschichte der Taussigs, die aus

Rumänien stammen.

„Mein Vater kommt aus einer Fabrikantenfamilie

in Temesvár, die eine Spiritusfabrik

hatte, und meine Mutter aus

Arad in Rumänien. Ihre Eltern hatten einen

Gewürzhandel. Beides waren jüdische

Familien, aber wir sind überhaupt

nicht religiös erzogen worden. Nur zu

den großen Feiertagen war ich manchmal

mit meiner Großmutter im Tempel.“

Den Krieg haben die Taussigs in Temesvár

überlebt. „Man hat ihnen aber

natürlich alles weggenommen. Meine

Eltern wollten schon 1948 weg und haben

sich danach lange um Auswanderung

in verschiedene Länder, unter

anderen auch Israel, bemüht, aber als Juden,

Kapitalisten und Bourgeois hatten

wir schlechte Karten. Erst 1961 gelang es

uns, nach Wien zu kommen. Meine Muttersprache

war Ungarisch, aber ich habe

in Temesvár die deutsche Nikolaus-Lenau-Schule

besucht und konnte daher

Deutsch. Ich habe dann alle Gymnasien

Wiens besucht, denn ich war wahnsinnig

neugierig auf Schulen“, kommentiert sie

lachend ihre wenig erfolgreiche Schulkarriere.

Schon sehr jung hat Veronika ihren

Mann Franz kennengelernt, hat geheiratet

und Zwillinge bekommen und war

damit zunächst vollauf beschäftigt. Doch

lange hat sie das nicht ausgelastet, und

© Mikolaj Tym

38 wına | April 2020


Plötzlich herausgebrochen

„Es war eine Art

von Eingebung“

Von Veronica Taussig zu Veronika Jurkowitsch

und wieder retour oder der lange Weg zur Kunst.

Ein Porträt von Anita Pollak

kaum waren die Kinder herangewachsen,

suchte sie eine andere Herausforderung.

„Die Firma Warimpex, bei der mein

Mann Miteigentümer ist, hat Hotels gebaut

und entwickelt, und nachdem mich

die Innendekoration immer gereizt hat

und ich mir das auch zugetraut habe, hat

mir mein Mann die Chance

gegeben, Hotels einzurichten.

Ich habe dann viele Häuser

im Vier- und Fünfsterne-

Bereich ausgestattet.“

Diese Phase fand mit der

geänderten Firmenstrategie

ein natürliches Ende,

und da traf es sich glücklich,

dass Veronika, offenbar

auf der Suche nach Neuem,

in New York schließlich Matisse

und damit ihre künstlerische

Berufung entdeckte.

Auf die von ihm inspirierten

Cut-Outs, die sie bald langweilten,

folgte bald Größeres, Raumgreifendes,

sprich Skulpturen, die sie nun in

vielen Variationen, Dimensionen und Materialien

entwirft.

Vom Entwurf zur Skulptur. „Ich mache den

Entwurf und bemale ihn ich auch, und

Spezialwerkstätten setzen diesen dann in

die entsprechenden Materialien um. Ich

habe zuerst mit Holz, dann mit Aluminium,

Nirosta, Messing und Plexiglas gearbeitet.

Ich entwerfe auch Light-Boxen,

also von innen beleuchtete Skulpturen.

Seit Jahren arbeite ich regelmäßig viele

Stunden am Tag und habe seit Kurzem

daheim ein eigenes Atelier. Wenn meine

Entwürfe aus der Werkstätte zurückkommen,

habe ich eine Riesenfreude. Zuerst

die Freude, dass ich einen Einfall realisieren

konnte, und dann die Freude, dass es

wirklich schön gemacht ist. Denn ich arbeite

mit Styropor oder Kapa-Platten, das

sind natürlich keine tollen Materialien,

und wenn das dann aus edleren Materialien

verwirklicht wird,

„Ich habe spät

begonnen und

freue mich,

dass ich an mir

noch ein Talent

entdeckt

habe.“

Veronika

Jurkowitsch

ist es eben eine große

Freude.“

Ihre ungebrochenen

Lieblingsfarben Rot,

Schwarz und Gelb und

ihre klaren, oft geometrischen

Formen sind mittlerweile

so etwas wie ihre

Trademark, etwas, woran

man eine Veronica Taussig

sofort erkennen kann,

auch wenn sich manchmal

vielleicht ein starkes

Grün, ein Violett, ein

Blau oder frei schwingende

Linien darunter mischen.

Eine ganz andere Stimmung verbreiten

die Wohnräume, wo sich an den Wänden

Bild an Bild in enger Hängung drängt.

„Diese Bilder hier sind zum Großteil

von meinen Großeltern, auch die haben

schon gesammelt, und ich habe gerettet,

was ich konnte. Wir selbst sammeln ganz

Verschiedenes. So zum Beispiel Werke des

ungarischen Impressionismus, der mir

immer gefallen hat. Vom Österreicher Georg

Eisler haben wir eine große Sammlung

an Grafiken und einiges von zeitgenössischen

polnischen Malern, die wir zum Teil

selbst gekannt haben.“

Ihre künstlerischen Vorbilder kommen

allerdings nicht aus diesen Bereichen. In

der Plastik sind Alberto Giacometti und

Constantin Brâncuși ihre Götter, und zur

Malerei „mit dem Pinsel“ fühlt sie sich ohnehin

nicht berufen.

„Wenn ich Leinwand verwende, dann

schütte ich aus Tiegeln und sehe, wie die

Farben zusammenlaufen und Schüttbilder

entstehen. Dazu hatte ich einige Zeit

Lust, habe dann aber damit aufgehört.“

Neues auszuprobieren, reizt sie immer

wieder, und dass ihr dabei einmal

die Ideen ausgehen könnten, diese Befürchtung

hat sie nicht. „Wenn ich einige

Tage keine Ideen habe, bin ich verzweifelt,

aber dann gehe ich in mein Atelier, und da

kommen plötzlich Ideen.“

Eine Inspiration kann manchmal auch

ein ganz banales Material auslösen.

„Ich habe zum Beispiel nach dem Tod

meiner Mutter bei ihr fantastisch besticktes,

wunderschönes Bettzeug gefunden,

das ich nicht brauchen kann. Da habe ich

die bestickten Teile ausgeschnitten, auf

ein Platte montiert, drüber gemalt und

das Ganze dann in einen alten Fensterflügel

eingespannt.“

Ausstellungen. Bei all der offensichtlichen

Kreativität muss man sich fragen, wo

diese so viele Jahrzehnte verborgen war.

„Die Lust, etwas zu machen, hatte ich

immer und habe oft bedauert, dass ich

nicht irgendein Handwerk erlernt habe.

Durch einen Zufall ist das dann aus mir

herausgebrochen, es war wirklich wie eine

Explosion. Wenige Künstler haben wie ich

diese Möglichkeit, so viel zu produzieren,

ohne etwas verkaufen zu müssen, obwohl

ich schon einige Stücke verkauft habe,

aber darauf kommt es mir nicht an. Ich

möchte mich einfach verwirklichen.“

Trotzdem sucht Veronica Taussig mit

ihrer Kunst schon auch eine etwas größere

Öffentlichkeit, und so hatte sie bereits

Ausstellungen in Berlin, in Prag, in

Łódź, in St. Petersburg und jüngst in Warschau.

„Die Galerie dort ist schneeweiß,

und alle meine Exponate sollten schwarz

und weiß sein, obwohl ich meist farbig

arbeite. In Liechtenstein, wo die nächste

Ausstellung kommenden November sein

wird, darf es dann wieder bunt sein.“

veronica-taussig.com

wına-magazin.at

39


Street Photography

Michael

Horowitz:

Simon

Wiesenthal

(1976).

Michael Horowitz.

Bilder aus seiner

mehr als 25-jährigen

Karriere als Fotograf –

zu sehen in der Wiener

Albertina.

Ein humaner Blick

durch die Linse

Am Sonntag, dem 16. April 1972

gab es ein starkes Erdbeben in

Wien. Der 22-jährige Michael

Horowitz saß mit seinem jüdischen Vater,

einem berühmten Theaterfotografen,

im Wiener Musikverein und erlebte Leonard

Bernstein zum ersten Mal am Dirigentenpult.

Fotografiert hat er Lenny erst

viele Jahre später, auch bei den Salzburger

Festspiele. 2018 verfasste der bereits zum

erfolgreichen Autor avancierte Horowitz

eine faszinierende, faktenreiche und liebevolle

Biografie dieses großen Musikers

und Humanisten.

Der mehr als 25-jährigen Karriere von

Horowitz als Fotograf widmet die Albertina

jetzt eine Ausstellung, die wegen der

Corona-Krise in den Frühsommer hinein

verlängert wird. „Ich habe 1989 mit

der Gründung des Freizeit-Magazins im

Die Albertina würdigt das

fotografische Werk von

Michael Horowitz

zu seinem 70. Geburtstag.

Von Marta S. Halpert

AUSSTELLUNG

MICHAEL HOROWITZ

ALBERTINA, Wien

Die ALBERTINA ist aktuell geschlossen,

derMuseumsbetriebbisaufWeiteres

eingestellt.DerzeitführenvirtuelleRundgänge

durch die Ausstellungsräume und

Sammlungen des Betriebs. Zu sehen unter

albertina.at.

Kurier aufgehört zu fotografieren. Daher

sind nur zwei Fotos aus dem vergangenen

Jahr in der Ausstellung zu sehen:

Willi Resetarits und Friederike Mayröcker“,

erzählt Horowitz, Wiener des Jahrgangs

1950.

Wie eindringlich und aussagekräftig

die Wirkung von Schwarz-weiß-

Fotografie ist, weiß jeder Liebhaber der

Street Photography von Budapest über

Paris bis New York: Namen wie Robert

Frank, Lee Friedlander, Helen Levitt,

Saul Leiter, André Kertész und der unerschrockene

Kriegsreporter Robert Capa

stehen für das Universelle dieser Kunstrichtung.

Gleichfalls unvergessen in und

für Österreich sind Franz Hubmann und

Erich Lessing. Daher war die Freude von

Michael Horowitz zurecht groß, als Albertina-Direktor

Klaus Albrecht Schröder

ihn zum „österreichischen Henri Car-

© Starpix/picturedesk.com; Besitz des Künstlers © Michael Horowitz (4)

40 wına | April 2020


Pressefotograf

Michael

Horowitz: Kiki

Kogelnik (1969).

Michael Horowitz:

Künstler von Gugging

(1981).

Michael Horowitz:

Friederike

Mayröcker

(2019).

tier-Bresson“ adelte und so

mit dem größten europäischen

Fotokünstler verglich.

Literarische Porträts. Horowitz

zeigt in seinen Arbeiten

sowohl einen wunderbaren

Einblick in das

blühende Wiener Kulturleben

wie auch – als hochpolitischer

Mensch mit humanistischer Haltung

– Fotoreportagen von brisanten und

einschneidenden Ereignissen in Österreich

von 1960 bis Ende der 1980er-Jahre:

Bereits als 15-Jähriger dokumentierte er

die Proteste gegen den antisemitischen

Professor Taras Borodajkewycz und das

erste österreichische Nachkriegstodesopfer

Ernst Kirchweger. Simon Wiesenthal

positionierte er ganz unten vor seiner riesigen

Landkarte, in die alle europäischen

„Meine Kamera

war

für mich

nicht nur

eine Komplizin,

sondern

eine Freundin.“

Michael

Horowitz

KZs eingezeichnet waren

und die hinter seinem Arbeitsplatz

im Büro hing. Ein

wahrlich gespenstisches Bild.

Seine engen Künstlerfreunde

Ernst Qualtinger,

Helmut Leherb, Arik

Brauer, Arnold Schwarzenegger,

Senta Berger, Oskar

Werner porträtierte er in alltäglichen

und auch oft schrägen Situationen.

Eine Reportage der „Mühl-Kommune“

bestellte der Spiegel, aber die schnell

berühmt werdenden Maler von Gugging

entdeckte Horowitz selbst. Er war erst 18,

als er in New York Kiki Kogelnik besuchte

und in all ihrer Besonderheit einfing. Horowitz

war aber auch dabei, als 1969 John

Lennon und Yoko Ono in Wien aus dem

Flugzeug stiegen und als 1980 Andy Warhol

hier Johanna Dichand porträtierte.

Als Journalist und Pressefotograf traf

Horowitz viele Vertreter aus Politik, Wissenschaft,

Kunst und Kultur – das wäre

noch nichts Besonderes. Das Außergewöhnliche

dieser Fotos manifestiert sich

in der Vertrautheit zwischen dem Mann

mit der Kamera und den so genannten

„Promis“ vor der Linse. Nur vor einem

engen Freund entblößt man sich derart

im seelischen wie körperlichen Sinn.

Doch Horowitz, der derzeit im Spectrum

der Tageszeitung Die Presse literarische

Porträts von vielschichtigen Persönlichkeiten

schreibt, wollte in dieser Ausstellung

nicht nur Prominente vertreten wissen:

Ein sehr berührendes Foto zeigt zwei

alte Frauen, die im Bellaria Kino auf eine

Filmvorführung warten. „Meine Kamera

war für mich nicht nur eine Komplizin,

sondern eine Freundin“, resümiert der

Vielseitige.

wına-magazin.at

41


Penible Schilderung

Von den vier Fragen

Was unterscheidet diese Nacht

von allen anderen Nächten?

Für den alten Salomon ist die

Antwort klar. Erstmals wird er den Sederabend

ohne seine geliebte Ehefrau feiern

müssen. Die „heilige Sarah“, wie er sie für

sich nennt, ist vor Kurzem gestorben, und

der Witwer sieht eine fast unlösbare Aufgabe

vor sich. Wie heute den Sederabend

über die Runden bringen, zu dem sich wie

alljährlich die Familie im Elternhaus versammeln

wird? Seine „großartige“ jüdische

Familie mit allen ihren möglichen

und unmöglichen Macken, die besonders

an den Feiertagen immer schon explosionsgefährdet

war. Michelle, die Mutter

zweier Pubertierender, terrorisiert alle

mit ihren gefürchteten Schreiattacken,

Denise, die ältere, kinderlose Schwester,

ertränkt ihren Frust im Alkohol, ein

Schwiegersohn flüchtet vor den Konflikten

chronisch aufs Klo, der andere, der

„Araber“, ein sephardischer Jude aus Marokko,

mit der Schwiegermutter in die

Küche. Doch diese, das Zentrum und

der ruhige Pol im Chaos, ist nun nicht

mehr da, um all das auszugleichen und

ihren Salomon während der langen Rituale,

Gebete und Gesänge zu unterstützen.

Der wiederum schockiert gerne mit

KZ-Witzen über Schornsteine, gestreifte

Anzüge, Duschen und provokanten Assoziationen

zum Lagerleben, die bei seinen

wöchentlichen Treffen mit Altersgenossen

im „Shoah-Café“ gut ankommen.

Tragikomisch. Bei allem Sinn für schwarzen

Humor und tragikomisches Familiendrama

mag es doch ein wenig frivol

wirken, wenn ein junger Autor der Enkelgeneration

sich in die alte Haut eines

Mannes begibt, der als einziger seiner

Familie die Nazizeit überlebte. Dass

Salomon etwa bei der Geburt der ersten

Tochter im Kreißsaal den Rauch der Krematorien

assoziiert, ist nicht nur ein „gefundenes

Fressen für den Psychoanalytiker“,

wie er selbst feststellt, sondern

eben ein überaus gesuchtes und unpas-

„Wir waren eine gute Erfindung.“ Der

kleine Roman des Elsässers Joachim

Schnerf führt durch den Sederabend

und blickt zurück auf ein ganzes Leben.

Von Anita Pollak

bis zum Lämmchen

sendes Bild, wie es wohl nur der Fantasie

eines Nachgeborenen, Jahrgang 1987,

entspringen kann. Fast rührend ist andererseits

dessen Sensibilität für die Trauer

eines untröstlichen Witwers und Familienvaters,

der sich um die Zukunft seiner

zerstrittenen neurotischen Töchter

sorgt und dem, man ahnt es, wohl kein

„nächstes Jahr in Jerusalem“ vergönnt

sein wird.

Sicherlich aus eigener Anschauung

kann der Straßburger hingegen schöpfen,

wenn es um das penibel geschilderte

Prozedere des Sederabends geht – von den

vier Fragen bis zum Lämmchen –, das als

Genießen mag so mancher Parallelen und

Abweichungen zu eigenen Seder-Erfahrungen.

Joachim Schnerf:

Wir waren eine

gute Erfindung.

Aus dem Französischen

von Nicola Denis.

Antje Kunstmann 2019,

144 S., € 18

leitmotivische Regieanweisung durch das

Buch führt. Von wörtlichen Zitaten aus der

Haggada bis zu den jeder Familie eigenen

Ritualen beim Verstecken und Finden des

Afikoman sind dem einschlägig gebildeten

Leser jede Menge Déjà-vus sicher. Das

macht nicht zuletzt den Charme dieses

kleinen Romans aus, der an einem einzigen

Tag spielt und doch auf ein ganzes

Leben zurückblickt.

Genießen mag so mancher vielleicht

auch Parallelen und Abweichungen zu

eigenen Seder-Erfahrungen. Wenn man

sich sagen kann, na ganz so arg ist´s oder

war es bei uns doch nicht, so hat es die

ebenso kurzweilige wie kurze Lektüre

bereits gelohnt. Einem Gedicht von Jehuda

Amichai ist übrigens der poetische

Titel des Romans geschuldet, der im Original

knapper und passender Cette nuit

heißt.

42 wına | April 2020


Suchgeschichten

Familien

und andere Banden

Maxim Billers ausgesuchte Familiengeschichten:

komödiantisch, melancholisch,

traurig, von Traumata gezeichnet, aber

allesamt so lesbar wie lesenswert.

Von Alexander Kluy

© picturedesk.com

Maxim Biller:

Sieben Versuche

zu lieben.

Familiengeschichten.

Mit einem Nachwort

von Helge Malchow.

Kiepenheuer & Witsch

2020, 368 S., € 22,70

Notizen zur Geschichte des Fühlens

nannte der Wiener Philosoph

Günter Anders vor fast 35

Jahren ein Buch. Dessen Haupttitel: Lieben

gestern. Der neueste Band Maxim

Billers ließe sich ebenso titulieren. Er

vereint darin 13 seiner besten Kurzerzählungen

zu einer Geschichte des Fühlens,

die hart am Puls der Zeit ist. Einst fühlte

er der Zeit als streitbarer Kolumnist das

Tempo, heute ist er ein angesehener Erzähler

und Dramatiker (und einige Zeit

lang auch Mitglied der sacht umstrittenen

TV-Sendung Das literarische Quartett).

Sein Beziehungsschlüsselroman Esra zog

vor Jahren ein literaturnotorisch gewordenes

Gerichtsverfahren nach sich.

Die an der klassischen amerikanischen

short story orientierten Prosastücke seiner

Sieben Versuche zu lieben spielen an Orten,

die Biller – er wird heuer im August

seinen 60. Geburtstag begehen – sehr gut

kennt, in Berlin, München und Hamburg,

in Prag und in Israel. In einer ungemein

direkten, schnellen, manchmal

rabiaten Sprache entwirft Biller Konstellationen

der Liebe zwischen Anziehung,

Sehnsucht, Vergehen, Ausweichen, Verlustangst,

triebhafter Lust und diffuser

Sprach- und Gefühllosigkeit. Dies vor

dem zeithistorischen Prospekt eines totalitären

wie eines „ganz normalen“ Antisemitismus

in Ost und West. Zumeist sind

seine Protagonisten in den Dreißigern

In einer ungemein

direkten, schnellen,

manchmal rabiaten

Sprache entwirft Biller

Konstellationen der

Liebe zwischen Anziehung,

Sehnsucht,

Vergehen, Ausweichen,

Verlustangst,

triebhafter Lust und

diffuser Sprach- und

Gefühllosigkeit.

und Vierzigern, manche sind Künstler,

andere tauchen berufslos in scharf umrissenen

Situationen auf. Alle sind Großstädter.

Und allen eigen ist, so einst der

Titel einer schlimmen deutschen Filmkomödie,

Das merkwürdige Verhalten

geschlechtsreifer Großstädter zur Paarungszeit.

Aus 30 Jahren stammen die „Familiengeschichten“,

die Helge Malchow zusammengestellt

hat, von einem von Billers

frühesten Bänden Wenn ich einmal

reich und tot bin (1990) – da gehörte er

noch zur „Tempo“- und Zeitgeistequipe

– bis zu den Short Storys aus Liebe heute

von 2007.

Es sind allesamt Suchgeschichten. Immer

wieder wird aufgebrochen, etwas

Verschollenes ausfindig zu machen, von

dem in der Vergangenheit nie (mehr) so

richtig die Sprache war. Und immer wieder

werden im Schatten von

Traumata Varianten der Wahrheit

präsentiert, besser: aufgetischt

– Essen und Trinken sind

wichtig bei Biller, als sozialer Akt

wie als Wiederspiegelung innerfamiliärer

Verhaltensmuster –,

die zeigen: Alles schwankt. Alles

wird schwankend gemacht.

Halt, richtigen, festen, eindeutigen

Halt unter den Füßen gibt

es nicht. Dafür sorgt die Literatur.

Jene, die in Maxim Billers Erzählungen

gelesen wird, Poeme

Marina Zwetajewas oder Ossip

Mandelstams, und jene, in denen

Autoren auftauchen, von Ilja

Ehrenburg bis Joseph Heller oder

David Vogel, die Maxim Biller in

einem halben Leben selber geschrieben

hat.

wına-magazin.at

43


Abarbeiten

Hunger, Hunger,

Willkür und Tod

Humoristische Pointen sucht man

in dem Erzählband Eine Katze im

Ghetto vergeblich. Der polnischjüdische

Schriftsteller Rachmil Bryks hat

das Łód er Ghetto und das Konzentrationslager

Auschwitz erlebt. In seinen Geschichten

hat er sich an dem an diesen

Schreckensorten Erlebten bis zu seinem

Tod 1974 in den USA abgearbeitet. In ihnen

schildert er, was es bedeutete, als Jude

unter den Nazis zu überleben. Es bedeutete

Hunger, Hunger und nochmals Hunger.

Es bedeutete, der Willkür der Peiniger

völlig ausgeliefert zu sein, und es bedeutete

zu wissen, dass jeder Tag der letzte sein

könnte.

Immer wieder schildert Bryks diese

Horrorjahre aus der Perspektive von Kindern.

Manche Passage ist dabei kaum

auszuhalten. Da versteckt sich ein kleines

Mädchen in Auschwitz, um dem Gang in

die Gaskammer zu entgehen, bekommt

aber mit, dass, wenn es nicht gefunden

wird, statt ihr 100 andere Menschen getötet

werden. Was soll sie tun?

Aber auch Erwachsene kommen in den

Geschichten Bryks immer wieder in Situationen,

in denen sie überlegen, welche Entscheidung

nun die richtige und auch moralisch

vertretbare wäre. Man spürt, dass

es dem Überlebenden dabei auch darum

ging zu zeigen, dass viele Juden und Jüdinnen

trotz der widrigen Umstände nicht zu

dem wurden, was die Nazis aus ihnen zu

machen versuchten: Sie benahmen sich

nicht wie Bestien. Sie fielen nicht übereinander

her. Sie versuchten, einander

nach Kräften zu helfen und auch das we-

Der Czernin Verlag veröffentlicht

nun Rachmil

Bryks Erzählungen aus

dem Łódźer Ghetto und

dem KZ Auschwitz auf

Deutsch. Seine Tochter

Bella Bryks-Klein meint,

dass die Übersetzung ins

Deutsche gerade in einer

Zeit wichtig sei, „in der

wir erleben, dass der

Antisemitismus wieder

erwacht“.

Von Alexia Weiss

Rachmil Bryks:

Eine Katze im Ghetto und

andere Erzählungen.

Erstmals erschienen auf

Jiddisch in New York 1952, nun

von Andrea Fiedermutz ins

Deutsche übertragen und im

Czernin Verlag im März 2020

veröffentlicht.

208 S., € 22

nige Brot, das sie erhielten, zu teilen. Hart

ins Gericht ging er allerdings mit den jüdischen

Aufsehern, den Kapos.

Immer wieder schildert Bryks diese Horrorjahre

aus der Perspektive von Kindern. Manche Passage

ist dabei kaum auszuhalten.

Beschreiben, was war. Was bei der Lektüre

der schmerzhaften Geschichten auch klar

ist: Die Bestien verortete Bryks auf der Seite

der Deutschen, auf der Seite der Nazis. Immer

wieder schildert er den Sadismus der

Aufseher und vor allem der Aufseherinnen

in Auschwitz.

Oft wird heute die Frage gestellt, wie es

so weit kommen konnte. Diese Frage stellt

Bryks nicht. Er beschrieb, was war. Nüchtern,

nahezu emotionslos. Die Emotion

stellt sich beim Lesen dadurch ein, indem

man sich vorstellt, wie man selbst es ertragen

könnte, wenn einem Ähnliches passieren

würde.

Seine Tochter Bella Bryks-Klein, die in

Israel lebt, hat für die deutsche Ausgabe

ein Nachwort beigesteuert. „Mögen die Beschreibungen

seiner authentischen Erfahrungen

im Łód er Ghetto und in Auschwitz

den deutschsprachigen Lesern einen

Einblick in die Erfahrungen eines unschuldigen

friedlichen jüdischen Bürgers

im Europa des Zweiten Weltkriegs geben“,

schreibt sie darin. „Die Themen in diesem

Buch sind heutzutage, im 21. Jahrhundert,

nicht weniger dringend und relevant als

damals, als ich als junges Mädchen zusah,

wie sie mein Papa schrieb.“

44 wına | April 2020


URBAN LEGENDS

Hysterie

und Vernunft

Das Coronavirus hat die Welt fest im Griff. Welches Land wird die

Krise am Ende am besten bewältigt haben?

oran wird man sich im Rückblick zuerst

erinnern, wenn man an das Jahr 2020

denkt? An tausende Geflüchtete, die

versuchten, von der Türkei nach Griechenland

und damit die EU zu gelangen,

nachdem der türkische Präsident Recep Tayyip

Erdoğan die Grenze geöffnet hatte? Oder an das Virus

Covid-19, das sich rasch von China aus in alle Welt

verbreitete – Globalisierung funktioniert

auch analog.

Von Alexia Weiss

Noch sind wir in beiden Themen massiv verstrickt,

wobei sich Ersteres vor allem in Form von Bildern, Videos

und Berichten den Weg in unseren (Medien-)Alltag

bahnt, während das Virus sehr nah gerückt ist. Theoretisch

kann man sich jederzeit auf der Straße, am Arbeitsplatz,

in der U-Bahn oder im Supermarkt mit dem Coronavirus

anstecken. Praktisch auch.

Mitten in einer Krise sieht man oft den Wald vor lauter

Bäumen nicht, heißt es gerne. Was ist der richtige Weg?

Das Land und seine Menschen sofort abschotten? Oder

einmal abwarten und sehen, was passiert? Schließlich

schwächeln auch schon die Börsen – ist es das Virus, ist

es der Ölpreis? China ist jedenfalls in weiter Ferne, die

TV-Berichte über Menschen, die in Wuhan ihre Häuser

nicht verlassen durften und ein Spital, das binnen Tagen

hochgezogen wurde, waren eindringlich, aber eben doch

gefühlt sehr weit weg.

Die Reportagen aus Italien haben da schon ganz andere

Sprengkraft. Italien ist das Stück Sonne, das in wenigen

Zug- oder Autostunden zu erreichen ist. Durch

Mailand schlendern, in Südtirol wandern, in Venedig

die Seele baumeln lassen, das ist vielen nahe. Nicht nur

geografisch, sondern auch emotional. Die Berichte aus

dem Nachbarland sind dramatisch, die Zahl der Toten

erschüttert. Und es stellt sich die Frage: Warum breitet

sich in Italien das Virus so viel schneller aus als in anderen

Ländern? Hat man zu spät reagiert? Kam das Schließen

von Schulen, Kinos, Museen zu zögerlich?

Indessen machte sich Israel Anfang März daran, das

Land sukzessive abzuriegeln. Zunächst wurde den Bürgern

verschiedener Länder, darunter auch Österreich, die

Einreise verboten und Israelis, die aus diesen Staaten zurückkehrten,

eine zweiwöchige Heimquarantäne verordnet.

Der nächste Schritt war, alle Rückkehrenden in Quarantäne

zu schicken.

Was für eine Hysterie, sagten derweilen immer noch

viele Österreicher. Panikmache! Es gebe viel mehr Grippeinfizierte

und auch Grippetote, Jahr für Jahr, als nun

durch das Coronavirus zu beklagen seien. Und Israel?

Naja, da herrsche ja grundsätzlich Paranoia. Und man

neige dort zu überzogenen Reaktionen. Österreicher

nicht mehr einreisen lassen! Aber wehe, das würde umgekehrt

passieren, da würde man sofort wieder die Antisemitismus-Keule

zu spüren bekommen! Das hörte ich

in Variationen beim Friseur, beim Warten vor der Supermarktkasse,

in der U-Bahn. No joke.

Und ich dachte mir indessen: Aber Krisenmanagement

kann Israel. Bei Österreich war ich mir da zuerst

nicht so sicher, inzwischen wählte die Regierung aber

einen strikten Weg mit Shutdown, ohne die Versorgung

Mitten in einer Krise sieht man oft den

Wald vor lauter Bäumen nicht, heißt

es gerne. Was ist der richtige Weg?

mit Notwendigem zu gefährden. Und während rundherum

immer noch besonders Coole meinen, ah, betrifft

ja eh nur Ältere und Menschen mit Vorerkrankungen,

denke ich mir erstens, schlimm genug – wir haben alle

Eltern, Großeltern, liebe Freunde, die keine 20 oder 30,

sondern schon 60 oder 70 Jahre alt sind. Und zweitens

macht sich das Bedürfnis breit, sich einzuigeln und selbst

das Einkaufen im Supermarkt zu vermeiden, um seine

Familie und sich zu schützen. Ist das Hysterie? Ist das

Vernunft? Das werden wir alle wohl erst im Rückblick

sehen. Nun aber verändert sich täglich die Lage. Vielleicht

sieht morgen alles schon viel besser aus. Oder viel

schlimmer.

Zeichnung: Karin Fasching

wına-magazin.at

45


KULTUR-TIPPS FÜR

ZUHAUSE

SERIEN-TIPP

DYSTOPISCHER

SERIENHIT AUF HBO

Was wäre, wenn die USA im Zweiten

Weltkrieg von einem Hitler-freundlichen

Präsidenten regiert worden wäre? Wenn

dieser Präsident, abgesehen von seinen

antisemitischen Parolen, sich geweigert

hätte, US-Truppen in den Krieg gegen

Hitler zu schicken. Was wäre aus „Philip“

geworden, dem jüdischen Kind in

der kleinen Vorstadt Newark im US-Bundesstaat

New Jersey Anfang der Vierzigerjahre

...?

Mit der sechsteiligen, aufwändigen Philipp-Roth-Verfilmung

The Plot Against

America (dt. Verschwörung gegen Amerika)

widmet sich HBO einem dystopischen

Plot, dessen Aktualität in so manchem

Aspekt nicht von der Hand zu

weisen ist. Beklemmend werden hier

etwa historische Filmaufnahmen mit der

fiktiven, semibiografischen Erzählung

Roths aus dem Jahr 2004 enggeführt.

Das erfolgreiche Produzentenduo David

Simon und Ed Burns, bekannt geworden

mit der Kultserie The Wire, setzen

zudem mit John Turturro als Rabbi Lionel

Bergelsdorf oder Winona Ryder auf

ein hochkarätiges Schauspielensemble.

Und auch wenn es hier nur eine dystopische

Fiktion ist: Der Schrecken lässt

sich nicht ganz so einfach abschütteln:

Was wäre, wenn ...

hbo.com

BUCH-TIPP

WIEN

VOM ENDE

JÜDISCHEN LEBENS

IN EINEM BEZIRK

Bis 1938 herrschte auch

in Wien-Margareten ein

lebendiges und vielfältiges

jüdisches Leben, das

sich von den Gemeindebauten

des Bezirks

Gabriele Anderl:

Jüdisches Leben

in Wien-

Margareten.

Mandelbaum

Verlag 2019,

480 S., 24 €

über kleine Gewerbetreibende

und wohlhabende

Kaufleute bis

zu Kinobesitzern und

Künstlern erstreckte. Gabriele

Anderl, Historikerin,

Autorin und Radiojournalistin,

die zuletzt mit Büchern wie Schleppen,

Schleusen, Helfen und Und ich reise noch

immer (mit Margarete Affenzeller) im

Mandelbaum Verlag auf ihre gewichtige

Forschungsarbeit aufmerksam machen

konnte, befasst sich in ihrem neuen

Buch Jüdisches Leben in Wien-Margareten

mit dem religiösen jüdischen Leben

in Margareten ebenso wie mit speziellen

Berufsgruppen, darunter Rechtsanwälte,

Apotheker oder Möbelhändler,

und einer Reihe exemplarischer Familienbiografien,

etwa jener der Brüder Rosenbaum

oder der Familie Ehlers, die

sechs Jahre in einer Kellerwohnung versteckt

NS-Verfolgung und Krieg überlebten.

Anderl erzählt schnörkellos und faktenreich

und endet den dichten, fast

500-seitigen Band mit Namenslisten jüdischer

Studierender des Bezirks und

biografischen „Splittern“ sowie einem

Kapitel, das die Frage nach einem neuen

jüdischen Leben in Margareten stellt und

heute hier lebende Jüdinnen und Juden

vorstellt. Jüdisches Leben in Wien-Margareten

ist ein fakten- und datenstarker, gewichtiger

Band, der auch die – großteils

österreichischen – Täter mit in das Blickfeld

rückt.

BUCH-TIPP

KULTURGESCHICHTE

KOSMOPOLIT*IN

SEIN IST EIN

MENSCHENRECHT

Auf die Frage, warum sie

ihren neuen Band dem

Ideal der Kosmopolitin,

des Kosmopoliten gewidmet

hat, antwortete die

Martha

Nussbaum:

Kosmopolitismus.

Revision

eines Ideals.

wbg Theiss

2020

352 S., 30 €

1947 geborene renommierte

US-Philosophin

Martha Nussbaum in

einem Interview, dass sie

dafür von einem republikanischen

Senator scharf

angegriffen worden sei,

Kosmopolitin zu sein − eine, nicht nur in

den USA, derzeit vielfach hart kritisierte

Welthaltung, nach der alle Menschen

auf dieser Welt gleich − und gleichberechtigt

sind. Doch wer Grenzen schließt,

vor „Ausländer*innen“ warnt oder „XY

first“ ruft, lehnt internationale Menschenrechte

ab. Deshalb braucht es Kosmopolitismus.

Revision eines Ideals. In ihrem

philosophisch-historischen Essay

zieht Nussbaum, die 2008 mit 61 Jahren

zum Judentum konvertierte, faktenreich

den Bogen von der antiken Philosophie

bis in die Gegenwart, fragt nach

dem ethischen Dilemma von Pluralismus

und Globalisierung und macht deutlich,

dass viele Wesen auch viele Arten von

Würde bedeuten. Wer dieses Buch liest,

kann nicht mehr so rasch verleugnen,

dass Kosmopolitismus eine für jede Ethik

grundlegende Idee sein müsste.

46 wına | April 2020

© HBO, Verlage, Peter Meisel, Aktionstheater, Web


Von Angela Heide

Theater, gestreamt: Bei

uns noch nicht richtig angekommen,

aber aktuell eine

gute Alternative.

MUSIK-TIPP

BEETHOVEN AUS DEM

WOHNZIMMER

Nicht erst 2014 machte der deutschrussische

Pianist Igor Levit auf sich

aufmerksam, als er seinen Echo

Klassik Award mit der Erklärung,

„antisemitischen Parolen eine solche

Plattform und Auszeichnungen

zu geben, ist unerträglich“,

zurückwies. Auch sonst ist der

Ausnahmekünstler mutig genug,

sich immer wieder zu Wort zu melden,

wenn es um Antisemitismus

und Ausgrenzung geht. Nun hat

Levit auch das Leben mit Corona

auf seinem Twitter-Account kommentiert:

„No fear“, heißt hier, nicht

nur auf das Virus bezogen, sein Lebensmotto.

Mit der Aufnahme von

Hauskonzerten erfreut er seine

Fangemeinde kontinuierlich seit

mehreren Wochen – unter anderem

mit dem Jahresjubilar Beethoven,

dessen Klaviersonaten 1–32 er

zuletzt 2019 bei Sony eingespielt

hat. Und das ist weit mehr als ein

täglicher musikalischer Lichtblick!

twitter.com/igorpianist

THEATER-TIPP

WENN SIE NICHT MEHR

OFFEN HABEN

Wer hätte gedacht, dass wir in der „Theaterstadt“

Wien einmal für mehrere Monate in kein

Theater mehr gehen könnten? Eigentlich ein

unglaublicher, schier dystopischer Gedanke,

der, hätte man* ihn noch kurz vor dem letzten

Jahreswechsel geäußert, mit einiger ironischer

Häme beantwortet worden wäre. Nun ist

es aber so, und das, wenn wir dieses Heft herausbringen,

seit mehreren Wochen – und noch

einige Zeit länger … Die Tatsache wirft auch

ein Licht auf die Frage, warum Streaming im

deutschsprachigen Theater, ob an den „großen

Tankern“ oder den kleinen „freien“ Bühnen,

die oft schon um den täglichen Publikumszuspruch

ringen, in den letzten Jahren

noch kaum angekommen ist, während etwa

englischsprachige Bühnen das Medium schon

lange für ihre Werbe- und Community-Zwecke

nutzen. Nun aber wurde aus der Not eine Tugend

− und wer es derzeit nicht ohne Bühne

aushält, kann sich durch diverse Angebote

das Theater ins Wohnzimmer holen. Auch

wenn der renommierte Regisseur Ulrich Rasche

Recht hat, wenn er deutlich macht, dass

die beiden Medien gänzlich unterschiedlich zu

bewerten sind und das „Live-Erlebnis“ Theater,

sobald es wieder möglich ist, erneut seinen

Weg in den Alltag finden wird, so ist es doch ein

wenig Abwechslung zu all den Serien-Massenangeboten,

mit denen man* sich ja auch sonst

den Alltag auf Sofa oder Bett medial versüßt.

Angebote findet man* u. a. auf den Websites

von nachtkritik.de (D) oder spectyou.com

(CH), aber auch österreichische Gruppen wie

das Aktionstheater-Ensemble bieten tägliche

Streamingangebote, durch die es lohnt, sich

einmal „durchzuzappen“: aktionstheater.at.

LITERATUR-TIPP

WENN SIE FÜR UNS

ZUHAUSE LESEN

Auch die österreichische Literaturlandschaft

ist durch die globale Ankunft

von Corona mit existenziellen

Sorgen und bisher ungeahnten Herausforderungen

konfrontiert, denen

sich eine Anzahl von Künstler*innen,

aber auch Literaturhäusern und Interessenvertretungen

mit spannenden

neuen Angeboten stellen. Renommierte

Autor*innen lesen etwa zuhause

für ihr Publikum und stellen die

Videos gratis ins Netz, so Doron Rabinovici

seine Videos Hausgelesenes. Das

Literaturhaus Graz (literaturhaus-graz.

at) bietet jeden Freitag eine neue Ausgabe

seiner „Corona-Tagebücher“, mit

Beiträgen von Bettina Balàka, Monika

Helfer, Robert Pfaller, Julya Rabinowich,

Kathrin Röggla, Thomas Stangl

und vielen anderen mehr. Und auch

die Österreichische Gesellschaft für Literatur

(ogl.at) bietet seit März eine

neue Reihe: „Lesungen für zuhause“.

Abseits von Panikmache, Sorgen oder

sogar Dankbarkeit für etwas Entschleunigung

und Erholungsmöglichkeiten

für die gefährdete Natur bieten diese

neuen Reihen auch wirklich Innovatives

und laden ein, zeitgenössische Literatur

aus Österreich in den eigenen

vier Wänden aus ganz neuen Perspektiven

kennen zu lernen.

Haben auch Sie einen Veranstaltungstipp?

Schreiben Sie uns einfach unter: wina.kulturkalender@gmail.com

Foto: Pixabay

wına-magazin.at

47


DAS LETZTE MAL

Das letzte Mal, ...

dass mich die berühmte Angst vor dem

weißen Blatt ergriffen hat, war …

… gerade eben. Unbeantwortete E-Mails haben

den gleichen Effekt auf mich. Die Angst motiviert

mich oft, etwas fertigzumachen.

Manchmal allerdings lähmt sie mich, und dann

höre ich mitten im Satz –

Das letzte Mal einen handschriftlichen

Brief geschrieben habe ich …

… Anfang März, als ich in unserem Stiegenhaus

einen Zettel für meine Nachbarn aufhängte. Wer

Hilfe beim Einkaufen brauche, könne sich an

mich wenden. Bis jetzt hat sich noch niemand

gemeldet, zum Glück. Ich hasse einkaufen.

Das letzte Mal eine schöne Postkarte

bekommen habe ich …

… im Februar von meiner Cousine, die in Israel

war. Sie zeigt ein gezeichnetes Kamel, das besserwisserisch

durch eine Brille schaut und dabei

breit grinst. Vielleicht hat es sie an mich erinnert?

Ich will es nicht wissen.

Das letzte Mal, dass mich ein Thema,

über das ich geschrieben habe, nicht

mehr losgelassen hat, war …

… eines meiner letzten Interviews für „Generation

unverhofft”. Ich habe für die Kolumne

mehrere Menschen porträtiert, die erst als

junge Erwachsene den Glauben für sich entdeckten

und nun deutlich traditioneller als

ihre Eltern leben. Mich haben ihre Entscheidungsprozesse

besonders interessiert.

Das letzte Mal stolz auf einen Text von

mir war ich …

… heute Nachmittag, als ich Freunden eine

WhatsApp-Nachricht schrieb. Da bin ich viel

lustiger als in meinen Artikeln und Interview-

Antworten.

Versteckte Jahre.

Der Mann, der meinen

Großvater rettete.

Zsolnay Verlag,

189 S., 20,60 €

HORROR

VACUI

Für alles gibt es ein erstes Mal – aber auch ein letztes.

Autorin Anna Goldenberg berichtet in diesem Monat von

einem besserwisserischen Kamel, motivierender Angst

und ihrem Einkaufshass.

Anna Goldenberg, geboren 1989 in Wien, studierte Psychologie

an der Universität von Cambridge sowie Journalismus an der Columbia

University und war anschließend Redakteurin der Wochenzeitung

Jewish Daily Forward in New York. Zurück in Wien begann

sie für den Falter über Politik und Medien zu schreiben und den

Podcast der Wochenzeitung zu betreuen. 2018 erschien ihr vielgelobtes

Buchbebüt Versteckte Jahre. Der Mann, der meinen Großvater

rettete (Zsolnay Verlag). Für WINA berichtete sie regelmäßig

über die Generation unverhofft – in dieser Ausgabe leider zum

letzten Mal.

© corn.at/Deuticke

48 wına | April 2020


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Bleib daheim.

Es könnte Leben retten.

Polina hat sich schon immer gegen Ausgrenzung und für Zusammenhalt eingesetzt. Deshalb unterstützt sie

besonders jetzt auch ihre älteren Nachbarinnen und Nachbarn dabei, ihren Alltag zu meistern und erledigt

Besorgungen für sie. Bekannten, die zur Risikogruppe gehören, hat sie die Hotline der Stadt Wien

01/4000-4001 empfohlen, die ältere Personen bei der Organisation ihres Alltags unterstützt. #BleibDaheim

wien.gv.at/coronavirus

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