Leseprobe: Ein Fall für Jaromir - Der verschwundene Engel
Leseprobe zu Heinz Janisch: Ein Fall für Jaromir - Der verschwundene Engel
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Erstes Kapitel<br />
in dem Diamanten verschwinden,<br />
Schwimmreifen auftauchen<br />
und Herr <strong>Jaromir</strong> seekrank wird<br />
„Dieser <strong>Fall</strong> bereitet mir Kopfzerbrechen“, sagte<br />
Lord Huber.<br />
Er saß in einem Zugabteil und blätterte in einer<br />
italienischen Zeitung.<br />
Sein Assistent, Herr <strong>Jaromir</strong>, lag gemütlich auf<br />
dem Boden und las aufmerksam einen Artikel<br />
in seiner Lieblingszeitung The Daily Telegraph.<br />
Die tägliche Lektüre sollte helfen, seine Englischkenntnisse<br />
zu verbessern. Herr <strong>Jaromir</strong> liebte die<br />
englische Sprache.<br />
„Very strange“, murmelte Herr <strong>Jaromir</strong>. „Hier steht<br />
auch etwas über den Diebstahl in Venedig. Aber die<br />
Diamanten werden mit keinem Wort erwähnt. Man<br />
spricht nur von einer wertvollen <strong>Engel</strong>statue, die aus<br />
dem Palazzo eines amerikanischen Geschäftsmannes<br />
in Venedig verschwunden sei.“<br />
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„Ich habe den Artikel gelesen“, sagte Lord Huber.<br />
„Vielleicht hat dieser Journalist aus London sogar<br />
recht. Ich glaube auch, dass es nicht um die Diamanten<br />
geht.“<br />
Herr <strong>Jaromir</strong> sah Lord Huber erstaunt an „That’s<br />
impossible! <strong>Ein</strong>e kleine goldene <strong>Engel</strong>statue verschwindet.<br />
Die Flügel sind mit mehreren Diamanten<br />
geschmückt. Wenn es nicht um Diamanten geht, was<br />
haben die Diebe dann gesucht?“ „Das müssen wir<br />
herausfinden“, sagte Lord Huber. „Aber vergessen<br />
Sie nicht die beiden anderen Fälle, denen wir nachgehen<br />
müssen.“ „Sie meinen diese zwei sonderbaren<br />
Diebstähle in Rom, die in der Zeitung nur am Rande<br />
erwähnt werden?“<br />
„Sie sagen es. Für mich gehören alle drei Fälle zusammen.<br />
Da steckt ein kluger Kopf dahinter.“ „In<br />
Venedig verschwindet eine kleine goldene Statue. In<br />
Rom bricht jemand in ein Museum ein und entwendet<br />
eine alte Vase. Und in einem privaten Garten in Rom<br />
wird einem <strong>Engel</strong> aus Stein ein Flügel abgebrochen.<br />
<strong>Der</strong> Flügel verschwindet – und mit ihm ein altes Manuskript,<br />
das darin versteckt war. Es gibt keine Spur<br />
von den Tätern. <strong>Ein</strong>e alte Vase, ein Manuskript und<br />
ein Flügel aus Stein? Warum sollte das jemand stehlen<br />
wollen? Sind Sie sicher, dass diese drei Fälle etwas mit<br />
einander zu tun haben?“<br />
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Herr <strong>Jaromir</strong> schüttelte zweifelnd den Kopf. „Die<br />
Diamanten scheinen das einzig Wertvolle zu sein, das<br />
gestohlen wurde.“<br />
„Ich <strong>für</strong>chte, da muss ich widersprechen“, sagte<br />
Lord Huber. „Sie ahnen sicher, weshalb ich einen<br />
Zusammenhang vermute bei diesen drei Fällen?“<br />
„Wegen der Schwimmreifen?“<br />
„Sie sagen es. Wegen der Schwimmreifen. Das ist<br />
ja auch der Grund da<strong>für</strong>, dass die Journalisten die<br />
Diebstähle überhaupt erwähnen.“<br />
Herr <strong>Jaromir</strong> seufzte. „Schwimmreifen an einem<br />
Tatort! Komische Sache! In allen drei Fällen wurde<br />
etwas gestohlen – und jedes Mal wurde ein Schwimmreifen<br />
zurückgelassen. An der Wand im Palazzo, im<br />
Museum in Rom – und im Swimmingpool des Gartens,<br />
in dem ein <strong>Engel</strong> einen Flügel verlor. Welcher<br />
Dieb macht sich die Mühe, mit einem Schwimmreifen<br />
zum Tatort zu kommen? Und das sogar drei Mal?<br />
Kann das nicht auch nur ein kleiner Spaß sein, a little<br />
joke?“ „Vielleicht. Aber ich nehme ihn sehr ernst,<br />
diesen Scherz. Jemand spielt mit den Ermittlern, und<br />
ich – <strong>für</strong> meinen Teil –, ich spiele gerne! Diese drei<br />
Schwimmreifen haben eine Bedeutung, da bin ich mir<br />
sicher! Damit hat uns jemand ein Zeichen geschickt.“<br />
„<strong>Ein</strong> durch und durch ungewöhnliches auf alle<br />
Fälle“, sagte Herr <strong>Jaromir</strong>.<br />
Lord Huber sah aus dem Fenster. „Es wird Zeit!<br />
Wir sollten uns bereit zum Aussteigen machen.<br />
Wir sind gleich in Venedig.“<br />
Als sie ein paar Minuten später aus der Ankunftshalle<br />
des Bahnhofs Santa Lucia in Venedig traten,<br />
blieben sie überwältigt stehen.<br />
„Venedig“, sagte Lord Huber ergriffen.<br />
„Stadt der Kanäle und Brücken“, sagte Herr <strong>Jaromir</strong><br />
leise. „Und der tausend Treppen, wie ich sehe.“<br />
„Treppen und Touristen – davon gibt es in Venedig<br />
mehr als genug“, sagte Lord Huber. Er hob Herrn<br />
<strong>Jaromir</strong> vorsichtig in die Höhe.<br />
„Trotzdem ist Venedig eine der schönsten Städte<br />
der Welt. <strong>Ein</strong> verzauberter Platz. Und wir werden es<br />
besser haben als andere. Wir werden mit dem Motorboot<br />
abgeholt und zum Lido gebracht. Sie müssen<br />
also nicht durch enge Gassen laufen und über tausend<br />
Treppen steigen. Wir werden auf dem Lido wohnen,<br />
dieser herrlichen kleinen Insel, die so nahe bei<br />
der Stadt liegt. Da gibt es einen wunderbaren Strand,<br />
freien Blick aufs Meer – und viel Platz zum Durchatmen.“<br />
Lord Huber hob seinen schwarzen Gehstock und<br />
drückte auf einen winzigen Knopf seitlich am silbernen<br />
Griff. Dann sprach er ein paar Worte und hielt<br />
den Stock kurz ans Ohr.<br />
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Herr <strong>Jaromir</strong> hörte ein Knistern und eine ferne,<br />
leise Stimme.<br />
„Wunderbar“, sagte Lord Huber und marschierte<br />
los, mit Herrn <strong>Jaromir</strong> in der einen und seinem Stock<br />
in der anderen Hand.<br />
Herr <strong>Jaromir</strong> wusste längst, dass im Stock von<br />
Lord Huber ein Telefon, ein Funkgerät, eine Überwachungskamera,<br />
eine Lupe und andere<br />
Überraschungen verborgen waren. Freunde von<br />
Scotland Yard hatten Lord Huber den Stock vor vielen<br />
Jahren geschenkt, nachdem er einige komplizierte<br />
Fälle in geheimer Mission lösen konnte. Seitdem war<br />
der Stock überaus hilfreich gewesen.<br />
Herr <strong>Jaromir</strong> erinnerte sich gut an ihren ersten<br />
gemeinsamen <strong>Fall</strong>. Da hatte Lord Huber mit Hilfe<br />
des eingebauten Mikrofons in seinem Stock einen<br />
raffinierten Juwelen-Diebstahl in einem hoch in<br />
den Alpen gelegenen Kurhotel aufklären können.<br />
(* Herr <strong>Jaromir</strong> und die gestohlenen Juwelen). Auf<br />
dem Rücken trug Lord Huber einen kleinen grünen<br />
Rucksack. Darin war ihr ganzes Gepäck <strong>für</strong> die Reise.<br />
„Zwei Tage in Venedig, drei Tage in Rom – dann<br />
sollte der <strong>Fall</strong> gelöst sein“, hatte Lord Huber bei<br />
der Abfahrt in Wien gesagt. Dort konnten sie ihren<br />
zweiten gemeinsamen <strong>Fall</strong> lösen. (* Herr <strong>Jaromir</strong> und<br />
der Meisterdieb).<br />
Nun hatte sie ihr drittes gemeinsames Abenteuer<br />
nach Italien geführt.<br />
„Dort steht unser Taxi“, sagte Lord Huber und<br />
deutete mit dem Stock auf ein elegantes Motorboot,<br />
das ein wenig abseits stand.<br />
<strong>Ein</strong> Mann – ganz in Weiß gekleidet und mit einer<br />
blauen Kapitänsmütze auf dem Kopf – sprang aus dem<br />
Boot und begrüßte sie freundlich.<br />
„Buongiorno, signori!“, rief er vergnügt. „Good<br />
morning!“<br />
Herr <strong>Jaromir</strong> kam der Klang der Stimme bekannt<br />
vor. Er schaute neugierig auf das Gesicht des Mannes,<br />
das halb unter der Mütze verborgen war. „Ferdinand!“,<br />
rief er überrascht. „Wie kommen Sie nach<br />
Venedig! Sie waren doch … eben … noch in Wien!“<br />
„So wie Sie, lieber Herr <strong>Jaromir</strong>“, sagte Ferdinand.<br />
„Sie haben den Nachtzug genommen. Ich bin schon<br />
gestern mit dem Flugzeug gekommen, um alles vorzubereiten.<br />
Mister Gordon war so freundlich, mir dieses<br />
Boot zur Verfügung zu stellen.“<br />
„Vielen Dank <strong>für</strong>s Abholen, alter Freund“, sagte<br />
Lord Huber. „Das erinnert mich an schöne, gemeinsame<br />
Tage bei Scotland Yard. Kannst du dich noch<br />
an den Kunstdieb von Venedig erinnern, der mit<br />
seinen Schätzen seelenruhig in der Gondel spazieren<br />
fuhr?“<br />
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„Wie könnte ich ihn vergessen!“, sagte Ferdinand<br />
und half den beiden an Bord.<br />
„Ich werde Sie ein wenig festhalten“, sagte Lord<br />
Huber zu Herrn <strong>Jaromir</strong>. „Ferdinand ist ein rasanter<br />
Fahrer.“<br />
Kaum hatte er den Satz gesagt, hob es das Motorboot<br />
auch schon kurz in die Höhe. Dann raste es mit<br />
großer Geschwindigkeit übers Wasser, immer wieder<br />
schlug es hart auf den Wellen auf. „Hilfe! Ich werde<br />
seekrank“, rief Herr <strong>Jaromir</strong>, in dessen Kopf sich<br />
plötzlich alles drehte. Lord Huber klopfte Ferdinand<br />
mit seinem Stock auf die Schulter und zeigte auf Herrn<br />
<strong>Jaromir</strong>. Sofort verlangsamte Ferdinand das Tempo.<br />
Das Boot lag jetzt ruhig auf dem Wasser und glitt<br />
langsam dahin.<br />
„Danke“, sagte Herr <strong>Jaromir</strong>. „Ich fühle mich schon<br />
besser. Also, wie war das mit den Kunstschätzen in<br />
der Gondel?“<br />
Er schaute auf die schwarzen Gondeln, die nahe an<br />
den kleinen und großen Touristen- und Frachtbooten<br />
vorbeiglitten.<br />
„Die fahren doch viel zu langsam“, überlegte Herr<br />
<strong>Jaromir</strong>. „Und sie sind viel zu auffällig.“ „Nicht, wenn<br />
man Gondoliere ist“, sagte Lord Huber. „<strong>Der</strong> Mann<br />
schaukelte den ganzen Tag mit seiner geschmückten<br />
Gondel in Venedig herum. Jeder kannte ihn. Niemand<br />
wusste, dass sich in einer Wand seiner Gondel ein<br />
raffiniertes Versteck befand. Jemand warf ihm die gestohlenen<br />
Sachen aus einem Fenster zu. Er versteckte<br />
sie in der<br />
Gondel und fuhr damit auf dem Canale Grande auf<br />
und ab, bis er die Beute in Ruhe weitergeben oder<br />
verkaufen konnte.“<br />
„Und wie wurde er geschnappt?“<br />
„Ferdinand war – mit Genehmigung der Polizei –<br />
eine Woche lang als Gondoliere verkleidet unterwegs,<br />
bis er ihn auf frischer Tat ertappte, beim Fangen einer<br />
wertvollen Halskette. Ich fand dann das Versteck in<br />
der Gondel.“<br />
Herr <strong>Jaromir</strong> sah dem Treiben auf den Kanälen zu.<br />
„Könnte das bei unserem <strong>Engel</strong> mit den Diamanten<br />
auch so gewesen sein? <strong>Ein</strong> Wurf aus dem Fenster, zu<br />
einem Komplizen in einem Boot?“ „Leider nicht“,<br />
sagte Lord Huber. „Ich habe mich sofort danach erkundigt.<br />
An dem Tag, an dem der Diebstahl bemerkt<br />
wurde, war die Kanalzufahrt zu jenem Palazzo, in<br />
dem der Diebstahl erfolgte, gesperrt – und zwar von<br />
beiden Seiten. Zwei kleine Brücken drohten einzustürzen<br />
und mussten saniert werden. Da gab es kein<br />
Durchkommen <strong>für</strong> Boote.“<br />
„Und Taucher? Jemand wirft etwas ins Wasser, und<br />
ein Taucher holt es heraus?“<br />
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„<strong>Der</strong> Kanal ist stark verschmutzt und dunkel.<br />
Das wäre sehr riskant. Es muss eine andere Lösung<br />
geben.“<br />
„Gibt es schon einen Verdacht? Wie ist der Diebstahl<br />
genau passiert?“<br />
„Das werden wir bald erfahren“, sagte Lord Huber.<br />
„Sehen Sie das Haus dort, direkt am Wasser? Und<br />
den Mann, der uns winkt? Das ist Mister Gordon.<br />
Er erwartet uns.“<br />
Zweites Kapitel<br />
in dem <strong>Engel</strong> vorbeifliegen, ein Alarm<br />
nicht ausgelöst wird und Herr <strong>Jaromir</strong> allein<br />
zurückgelassen wird …<br />
Ferdinand steuerte das Motorboot auf ein schmales<br />
Haus zu, von dem ein Steg direkt ins Wasser führte.<br />
<strong>Ein</strong> älterer, braungebrannter Mann mit weißen Haaren<br />
stand barfuß auf dem Holzsteg und winkte ihnen<br />
zu. Er trug Jeans und ein rotes T-Shirt, auf dem Herr<br />
<strong>Jaromir</strong> einige kleine, blaue Farbspritzer sah.<br />
Das Boot legte an. Ferdinand warf dem weißhaarigen<br />
Mann ein dickes Seil zu. Er fing es geschickt auf<br />
und begann das Boot an einem rostigen Eisenring<br />
festzubinden.<br />
Lord Huber – mit Herrn <strong>Jaromir</strong> unterm Arm –<br />
ging vorsichtig von Bord, dann folgte Ferdinand. Sie<br />
stiegen direkt vom Boot auf den Steg.<br />
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<strong>Der</strong> weißhaarige Mann begrüßte die beiden Männer<br />
mit einem festen Händedruck und nickte Herrn<br />
<strong>Jaromir</strong> kurz zu.<br />
„Ihr berühmter Assistent, nehme ich an“, sagte er<br />
zu Lord Huber. „Ich habe von Ihnen beiden in der<br />
Zeitung gelesen!“<br />
„Sie haben recht. Das ist Herr <strong>Jaromir</strong>“, sagte Lord<br />
Huber.<br />
Er kniete nieder und setzte Herrn <strong>Jaromir</strong> auf den<br />
Boden.<br />
„Bitte schauen Sie sich später gut im Haus um! Jedes<br />
Detail ist wichtig!“, flüsterte er ihm ins Ohr, dann<br />
richtete er sich wieder auf.<br />
„Woher kommen Ihre perfekten Deutschkenntnisse,<br />
Mister Gordon?“, fragte er den Mann vor ihm auf<br />
dem Steg freundlich.<br />
„Oh, ich habe Geschäftspartner und Firmen in<br />
aller Welt“, sagte der Mann. „Englisch, Deutsch,<br />
Italienisch, Spanisch, Chinesisch, Russisch – ich habe<br />
mich bemüht, die Sprachen meiner Mitarbeiterinnen<br />
und Mitarbeiter zu lernen. <strong>Ein</strong>e schöne, aber auch<br />
schwierige Übung.“<br />
„Und man braucht viel Zeit da<strong>für</strong>“, sagte Lord<br />
Huber. „Darf ich fragen, was Sie beruflich machen,<br />
Mister Gordon?“<br />
„Aber natürlich. Ich bin Amerikaner, wie Sie<br />
bestimmt wissen. Ich habe von meinem Vater eine<br />
Autofirma geerbt. Wir haben uns auf alte Modelle <strong>für</strong><br />
Sammler spezialisiert. Inzwischen haben wir Filialen<br />
in vielen Ländern. Die Leute lieben das Außergewöhnliche.“<br />
„So wie Sie“, sagte Ferdinand. Er deutete auf das<br />
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Motorboot und das Haus mit dem Steg und der lang<br />
gestreckten Terrasse direkt am Wasser.<br />
„Kommen Sie doch herein und genießen Sie den<br />
Ausblick. Wir sehen von der Terrasse aus direkt auf die<br />
Schönste aller Schönen, auf die herrliche Märchenstadt<br />
Venedig.“ Mister Gordon führte seine Gäste ins Haus.<br />
„Alles, was ich hier sehe, ist beeindruckend“, sagte<br />
Lord Huber. „Die Bilder an der Wand, die Skulpturen,<br />
das Haus mit seinen hellen, luftigen Räumen – und<br />
dann erst der Ausblick! Sie müssen ein glücklicher<br />
Mann sein, Mister Gordon.“ „Oh, danke! Ja, das bin<br />
ich! Kein Zweifel, das bin ich! Was darf ich Ihnen<br />
anbieten? Was wollen Sie trinken?“<br />
„Kühles Wasser genügt“, sagte Lord Huber. Ferdinand<br />
nickte. „Auch <strong>für</strong> Herrn <strong>Jaromir</strong>, wenn das möglich<br />
ist. Wir haben eine lange Zugfahrt hinter uns.“<br />
„Selbstverständlich“, sagte Mister Gordon. „Das<br />
Wasser kommt sofort. Nehmen Sie doch inzwischen<br />
Platz!“<br />
Ferdinand und Lord Huber setzten sich in die<br />
Liegestühle, die auf der Terrasse bereitstanden. Herr<br />
<strong>Jaromir</strong> suchte sich einen Platz nahe der offe nen<br />
Glastür. Noch einen Schluck Wasser, und dann war er<br />
bereit <strong>für</strong> einen Erkundungsgang durch das Haus …<br />
„Bitte schön“, sagte Mister Gordon und balancierte<br />
auf einem Tablett Gläser und einen großen Krug.<br />
Dann brachte er eine silberne Schüssel, die randvoll<br />
mit Wasser gefüllt war. Herr <strong>Jaromir</strong> genoss die kühle<br />
Erfrischung.<br />
„Verzeihen Sie meine Neugier“, sagte Lord Huber,<br />
„aber leben Sie allein hier in diesem wunderbaren<br />
Haus?“<br />
„Nun ja, meine Frau ist derzeit in Frankreich. Wir<br />
haben eine alte Mühle in Südfrankreich gekauft, und<br />
sie möchte am liebsten gar nicht mehr weg von dort.<br />
Meine frühere Haushälterin ist vor einigen Wochen in<br />
Pension gegangen, und ich hatte noch keine Zeit, mich<br />
um neues Personal zu kümmern. Aber ich muss gestehen<br />
– man könnte sich an das Alleinsein gewöhnen.“<br />
„Ich könnte es mir sofort vorstellen“, sagte Ferdinand<br />
und hob sein Glas. „Danke <strong>für</strong> das Motorboot!<br />
Sie haben gesagt, wir dürfen es noch <strong>für</strong> ein, zwei<br />
Tage behalten?“<br />
„So lange Sie wollen“, sagte Mister Gordon und<br />
nippte an seinem Glas. „Ich bin Ihnen sehr dankbar<br />
da<strong>für</strong>, dass Sie diesen Diebstahl aufklären wollen.“<br />
„Würden Sie mir und meinen Freunden noch einmal<br />
erzählen, was genau geschehen ist?“, fragte Lord<br />
Huber. „<strong>Der</strong> Diebstahl muss Sie sehr treffen.<br />
Immerhin sind kostbare Diamanten verschwunden.“<br />
Herr <strong>Jaromir</strong> sah Lord Huber irritiert hat. Hatte<br />
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er nicht im Zug gesagt, es würde nicht um die Diamanten<br />
gehen?<br />
„Ach, die Diamanten“, sagte Mister Gordon. „Natürlich.<br />
Diamanten will jeder zurückhaben. Aber<br />
noch wichtiger ist mir die Statue selbst.“ „Ist sie so<br />
wertvoll?“ Lord Huber spielte mit seinem Stock.<br />
Herr <strong>Jaromir</strong> wusste, was das zu bedeuten hatte.<br />
Lord Huber war dabei, das Gespräch mit dem eingebauten<br />
Tonband im Stock aufzunehmen. „Diese<br />
Statue ist ein <strong>Ein</strong>zelstück. <strong>Ein</strong> alter italienischer Meister<br />
hat sie gemacht. Sie ist ein Erbstück von meinem<br />
Vater. Die <strong>Engel</strong>statue hat jahrelang neben meinem<br />
Bett gestanden, als ich noch klein war. Das ist es, was<br />
diesen <strong>Engel</strong> so wertvoll macht.“<br />
„Und wie wurde dieser wertvolle Schutzengel nun<br />
gestohlen? Würden Sie mir den genauen Tathergang<br />
schildern? Und wären Sie bereit, uns danach den<br />
Tatort zu zeigen?“<br />
„Selbstverständlich!“ Mister Gordon ging nervös<br />
auf und ab. „Ich habe vor Jahren einen alten Palazzo<br />
mitten in Venedig gekauft. Ich habe viel Geld in seine<br />
Renovierung gesteckt und achte auch jetzt darauf,<br />
dass er wie ein Schmuckstück aussieht. Er ist ganz<br />
in der Nähe der Rialtobrücke, mitten im Gewirr der<br />
kleinen Gassen, ein kleiner Kanal führt direkt vorbei.<br />
Ich lebe hier, aber ich habe dort, in diesem Palazzo, ein<br />
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