Die Lötkolbentherapie
Erfahrungen nicht zur Nachahmung empfohlen
Erfahrungen nicht zur Nachahmung empfohlen
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Ganz amüsant zu lesen ... ein Leser<br />
von<br />
Siegfried Kuebler<br />
Erfahrungen, nicht unbedingt zur<br />
Nachahmung empfohlen.<br />
Nicht für Feiglinge und Wehleidige.<br />
;;;;;;<br />
;;;;;;;
Historische Heilmethoden, wie z. B. das Brennen,<br />
sind, geblendet vom medizinischen Fortschritt, mehr<br />
und mehr in Vergessenheit geraten. Dabei ist das<br />
„Brennen“ weniger schmerzhaft als man vermutet, und<br />
viele Leiden können damit effektiver und schneller als<br />
mit jeder anderen Behandlung geheilt werden. Der<br />
Autor hat die Brennmethode mit dem Lötkolben<br />
„entdeckt“, an sich selbst erfolgreich ausprobiert und<br />
seine Erfahrungen mit Witz niedergeschrieben. <strong>Die</strong><br />
Karikaturen hat Fräulein Tina Zimmermann dazu<br />
gezeichnet.
von<br />
Siegfried Kuebler<br />
Erfahrungen, nicht zur Nachahmung empfohlen.<br />
Nicht für Feiglinge und Wehleidige.<br />
Überarbeitet 2020<br />
Ursprünglich 1990 veröffentlicht.
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<strong>Die</strong> <strong>Lötkolbentherapie</strong><br />
Der Franzose, der noch vor wenigen Minuten in der<br />
Schlange hinter mir gestanden hatte, hatte sich vorgedrängt.<br />
Er sagte bereits seinen Namen, und der Tennistrainer<br />
trug ihn in die Teilnehmerliste ein. Meine<br />
fünfzehnjährige Tochter Annette neben mir warf ihm<br />
vernichtende Blicke zu, denn der Andrang zu dem<br />
Turnier im Clubdorf Donoratico des Club Med war<br />
groß, und die Gefahr bestand, dass wir in dieser Runde<br />
nicht mehr zum Zug kämen. Das hinderte den gut<br />
aussehenden Franzosen mit seinem kleinem schwarzem<br />
Bärtchen über der Oberlippe hingegen nicht, meine<br />
Tochter charmant anzulächeln. Der böse Blick meiner<br />
Tochter verschwand, und ihr Gesichtsausdruck verwandelte<br />
sich zum Besseren mit einem breiten Lächeln.<br />
Sein Charme mochte auf Mädchen wirken, nicht aber<br />
auf mich. Ganz im Gegenteil. Ich hoffte, dass er mir<br />
bei dem Turnier vor die Kelle kam, damit ich ihm mit<br />
meinen Aufschlägen und Volleys zeigen konnte, wo’s<br />
langging, vorausgesetzt natürlich, dass wir überhaupt<br />
mitmachen konnten und er uns die Tour nicht vermasselt<br />
hatte. Und schon blies der Trainer mit einer Trompete<br />
das Signal zum Anfang, und wir waren dabei.<br />
Wie bei solchen Turnieren allgemein üblich, hatte man<br />
ein Zeitlimit gesetzt: dreißig Minuten. Nach Ablauf der<br />
Zeit war der jeweilige Spielstand maßgebend, auch<br />
wenn nur ein Punkt Unterschied vorhanden sein sollte.<br />
Bei gleichwertigen Partnern war so der Gewinn ein<br />
bisschen Glücksache.<br />
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Annette und ich kamen schnell einige Runden weiter.<br />
Schließlich verlor sie gegen eine Meisterin aus<br />
Wien, während ich bis ins Endspiel vordrang.<br />
Das Endspiel war auf zwanzig Uhr festgesetzt. Es<br />
sollte über zwei Gewinnsätze gehen. Welche Überraschung!<br />
Mein Gegner war der junge Franzose vom<br />
Morgen. Der Abend brach herein, und meine Fans standen<br />
am Zaun des mit Flutlicht beleuchteten Platzes und<br />
feuerten mich an. Bei jedem Punkt, den ich machte,<br />
schrien sie laut und klatschten. Aber auch der Franzose<br />
hatte seine Anhänger, die mit ihren Zurufen nicht<br />
weniger zurückhaltend waren, wenn er einen Punkt<br />
gemacht hatte. Es war ein Match, wie es sein sollte:<br />
schnell und variationsreich. Jeder von uns gab sein<br />
Bestes und kämpfte wie besessen. Meine morgendliche<br />
Wut war verflogen. Ich musste mich voll konzentrieren,<br />
wenn ich gewinnen wollte.<br />
Schließlich konnte ich den ersten Satz für mich entscheiden.<br />
Das war der halbe Weg nach Rom. Auch im<br />
Zweiten lag ich schon vorne und hatte das wunderbare<br />
Gefühl, ihn »im Sack zu haben«. Irgendwie resignierte<br />
der schöne Franzose schon, und auch seine Anhänger<br />
waren stiller geworden. Ich versäumte es nicht,<br />
ihm bei jedem Seitenwechsel irgendetwas zu sagen,<br />
über das er im Spiel nachzudenken hatte und das seine<br />
Konzentrationsfähigkeit herabsetzte. Ein alter Trick<br />
eines alten Tennishasen!<br />
Meine Fans waren begeistert, und meine Tochter rief<br />
mir zu: »Daddy, zeig’s ihm!« In diesem Moment passierte<br />
es. Ein kleines, vorher kaum sichtbares Äder-<br />
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chen auf meiner Stirn platzte. Blut schoss in mein<br />
schweißnasses Stirnband, floss in die Augen und verteilte<br />
sich auf meinem Gesicht. Ich wankte zum Zaun<br />
und griff nach dem mir entgegengestreckten Handtuch.<br />
Annette klebte mir ein dickes Hansaplast über die blutende<br />
Wunde und schickte mich mit einigen aufmunternden<br />
Worten auf den Platz zurück. Doch das Pflaster<br />
hielt nicht. Erneut begann ich zu bluten. Ich verfluchte<br />
die kleine Wunde, die meinen schon sicher geglaubten<br />
Sieg infrage stellte.<br />
Tennis ist zwar ein Kampfsport, aber auch ein eleganter<br />
Sport. Und ich bin einer von der alten Schule!<br />
Nein, ich durfte und konnte nicht weiterspielen. Langsam<br />
ging ich mit ausgestreckter Hand zum Netz. Der<br />
Franzose kam mir schnell entgegen und schüttelte kräftig<br />
meine Hand. Er murmelte »sorry« oder so etwas,<br />
aber er schien mir doch recht glücklich über diesen<br />
unerwarteten Ausgang des Spiels zu sein. Ich hatte<br />
durch »technischen K.o.« verloren.<br />
Hätte ich doch meine Hand von der Stirn gelassen<br />
und nicht gekratzt! Nach Stunden hörte die kleine<br />
Wunde schließlich zu bluten auf. Aber mir war klar,<br />
dass ich mit dem Fingernagel nur einmal an die Stelle<br />
kommen musste und sie würde von neuem aufplatzen.<br />
Beim nächsten Spiel würde ich besser aufpassen!<br />
<strong>Die</strong> Gelegenheit kam früher, als ich erwartet hatte.<br />
Wieder nach Überlingen zurückgekehrt, hatte ich mich<br />
mit Heinz zum Tennis verabredet. Heinz ist mein Lieblingspartner.<br />
Er spielt gerade, unverfälschte Bälle, und<br />
wenn es ihm läuft, sehe ich kein Land.<br />
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Aber es muss ihm halt laufen. Und das hängt von<br />
vielen Faktoren ab. So besitzt er z. B. ein Ausflugsboot,<br />
das vielleicht während des Spiels mit hundert<br />
Leuten an Bord auf dem See unterwegs ist. Es wird<br />
von seinem Freund gesteuert, wenn er Tennis spielt,<br />
und obwohl sein Freund sehr zuverlässig ist, ist er mit<br />
seinen Gedanken bei seinem Boot, das sein ganzer Stolz<br />
ist. Es könnte ja irgendetwas schieflaufen.<br />
Heinz ist noch Junggeselle, obwohl er schon fünfzig<br />
ist und weiß Gott manche Gelegenheit hatte zu heiraten.<br />
Er sieht immer noch sehr gut aus, ist braun gebrannt<br />
im Sommer wie im Winter, ist sportlich, hat<br />
eine athletische Figur und ist zu allem auch noch eine<br />
gute Partie. So ist es kein Wunder, dass er immer<br />
wieder eine andere Freundin mitbringt, die dann aufmerksam<br />
unser Match verfolgt. Er will es dann<br />
besonders gut machen und haut die Bälle reihenweise<br />
meterweit aus oder mit voller Wucht ins Netz. Wenn<br />
er verliert, hat er einige derbe Überlinger Sprüche<br />
drauf. Er nimmt dann keine Rücksicht darauf, ob seine<br />
Freundin oder auch andere zuhören oder nicht.<br />
Wenn er gewinnt, ist er freundlich und lobt mich, wie<br />
gut ich gespielt hätte. In beiden Fällen aber lacht er<br />
immer breit ...<br />
Ich stand, während ich an ihn dachte, vor dem Spiegel,<br />
kämmte meine dürftigen, aber störrisch nach obenstehenden<br />
Haare und spritzte mir in Ermangelung eines<br />
gut duftenden Eau de Cologne etwas Rasierwasser<br />
ins Gesicht. Wenn man älter wird und die körperliche<br />
Ausstrahlung nachlässt, sollte man wenigstens gut rie-<br />
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chen. Man muss ja nicht gleich wie ein Spanier das<br />
Zeug auf dem ganzen Körper verteilen. Weniger ist<br />
oft besser.<br />
Wie um zu prüfen, ob die verkrustete Wunde auf<br />
der Stirn hielt, fuhr ich mit dem Fingernagel leicht<br />
darüber. Sofort platzte das Äderchen wieder auf, und<br />
Blut quoll heraus. Ich fluchte und verwünschte das verdammte<br />
Ding. Jetzt würde ich wohl auf das Spiel, auf<br />
das ich mich so gefreut hatte, verzichten müssen. Da<br />
schoss mir ein rettender Gedanke durch den Kopf!<br />
<strong>Die</strong>smal würde ich nicht verzichten. <strong>Die</strong>smal nicht!<br />
Schließlich hatten wir doch blutstillende Watte im<br />
Haus. Damit tupfte ich vorsichtig das Blut ab. Doch<br />
durch die erneute Berührung blutete die Wunde nur<br />
noch mehr. Aber hatte ich denn nicht neulich erst gelesen,<br />
dass man im alten Ägypten mit Feuerbohrern Blut<br />
gestillt hatte? Ein weicher Holzstab wurde auf einem<br />
Hartholzklotz so schnell und so lange gedreht, bis er<br />
glühte. Mit der glühenden Holzspitze wurde die blutende<br />
Wunde betupft, und die offenen Äderchen wurden<br />
so förmlich zugeschweißt. Das Verfahren war äußerst<br />
wirkungsvoll. Auch der berühmteste Arzt des Altertums,<br />
Hippokrates, berichtet darüber. Bei Ausgrabungen<br />
in der Türkei und Griechenland hat man<br />
Brenninstrumente, meistens aus Bronze, gefunden. Solche<br />
aus Eisen, die es mit Sicherheit gab, hingegen nicht,<br />
da sie durch Rosten zerstört worden sind und so die<br />
Jahrtausende nicht überstanden haben. Brenneisen,<br />
auch Kauter genannt, aus der damaligen Zeit hatten<br />
alle möglichen Formen. Sie waren z. B. als Messer, Stäbe,<br />
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Nadeln, Schlingen, Kugeln, Zangen und Löffel ausgebildet.<br />
Hatte ich nicht einen Lötkolben im Keiler? Ich muss<br />
die kleine Wunde nur zulöten. Einfach zulöten! Ich<br />
überlegte nicht lange und lief in den Keller. Ich holte<br />
den Kolben und schliff seine Kupferspitze flach zu, bis<br />
sie einen Durchmesser von etwa vier Millimetern hatte.<br />
Ich steckte ihn ein und wartete, bis sich die Kupferspitze<br />
bläulich verfärbte. Jetzt dürfte er die richtige<br />
Temperatur haben. Ich rückte den Make-up Vergrößerungsspiegel<br />
meiner Frau zurecht und drückte die flache<br />
heiße Kupferspitze auf das offene Äderchen. Ich<br />
war noch immer so wütend, dass ich gar nichts spürte.<br />
Es zischte, die Haut stank, und die verbrannte Stelle<br />
wurde weiß. Aber das Bluten hörte augenblicklich auf.<br />
<strong>Die</strong> Stelle war zugelötet! Beim prüfenden Blick in den<br />
Spiegel bemerkte ich, dass sich Lötzinn mit in die Wunde<br />
eingebrannt hatte. Das musste nicht sein! Das nächste<br />
Mal würde ich die Lötspitze zuvor vom Lötzinn reinigen.<br />
Aber ich jubelte. Ich hatte gewonnen, das Spiel<br />
mit Heinz war gerettet. Ich flog förmlich zum Auto,<br />
um auch nicht eine Minute zu spät auf dem Platz zu<br />
stehen. Heinz wartete schon. Der Erfolg meiner Behandlung<br />
beflügelte mich so, dass ich klar gewann und<br />
Heinz geschlagen vom Platz ging.<br />
Nach einigen Tagen fiel die Kruste ab. Nur eine kleine<br />
helle Stelle blieb auf der Stirn zurück. Man musste aber<br />
schon genau hinsehen, um sie zu entdecken. Seitdem<br />
ist das Äderchen nie wieder aufgeplatzt und lässt mich<br />
in Ruhe. Und der Vorfall liegt schon eine ganze Weile<br />
12
zurück. Mich begann das »Brennen« als Methode zu<br />
interessieren. Dabei erinnerte ich mich an die Erzählungen<br />
meiner Mutter, die viele Jahre im ehemaligen<br />
Palästina verbracht hatte, wie das Brennen bei den Beduinen<br />
zum Heilen aller möglichen Krankheiten schon<br />
seit alters her eingesetzt wurde. Bei Schmerzen im<br />
Unterleib, bei Gelbsucht und sogar bei Blinddarmentzündungen<br />
wurden dem Patienten tassengroße, rotglühende<br />
Eisen kurz auf den Bauch gelegt; aber auch der<br />
Rücken im Gesäßbereich war eine bevorzugte Brennstelle.<br />
Oft trat die Heilung der Krankheit wider alle<br />
Vernunft spontan ein. Manchmal brauchte es länger.<br />
Ein Erfolg war fast immer zu verzeichnen. Welche anderen<br />
Methoden standen den primitiven Beduinen und<br />
Wüstenvölkern denn sonst zur Verfügung?<br />
Auf der Suche nach Literatur über dieses Gebiet, die<br />
nur sehr spärlich zu finden war, stieß ich auf eine Veröffentlichung<br />
des »King Fahd Central Hospitals« in<br />
Gizan, Saudi-Arabien. Sie handelte über Narben, die<br />
vom Brennen herrührten. Es wurden bei Patienten aus<br />
ländlichen Gegenden Beduinen also Brandmale entdeckt,<br />
die durch Brennen mit rotglühenden Eisen entstanden<br />
waren. Meist waren die Stellen rund oder oval<br />
und bei mehreren Brandmalen im gleichen Bereich<br />
geometrisch angeordnet. <strong>Die</strong> Befragung der Patienten<br />
ergab, dass das Brennen hauptsächlich gegen Schmerzen<br />
angewandt worden war, gegen Schmerzen im Verdauungstrakt,<br />
im Rücken und in der Brust, Arthritis,<br />
Asthma, Gelbsucht und Migräne. <strong>Die</strong> Brennstellen befanden<br />
sich zumeist in unmittelbarer Nähe der<br />
13
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Schmerzgegend. So wurden z. B. Asthmakranke auf<br />
der Brust gebrannt, Gelbsuchtkranke an Kopf und Hals,<br />
an Armen und Beinen, aber nicht am Unterleib. Sogenannte<br />
Lay-Männer, mit ähnlichen Funktionen und<br />
Ansehen wie Medizinmänner bei anderen Völkern,<br />
übernahmen das fachgerechte Brennen. Sie waren in<br />
der Kunst des Brennens von ihren Vätern ausgebildet<br />
worden. <strong>Die</strong> Brennkunst wird in manchen Familien<br />
gelehrt und das Recht zu brennen an die Nachkommen<br />
weitervererbt. <strong>Die</strong> Lay-Männer verlangen für ihre<br />
Tätigkeit kein Geld oder sonstige Gegenleistungen. Sie<br />
spezialisieren sich im Allgemeinen auf bestimmte<br />
Krankheiten, die sie besonders wirksam zu behandeln<br />
wissen. Das »Brennen« wird heute allerdings, auch in<br />
ländlichen Gebieten, nur dann angewandt, wenn die<br />
konventionellen medizinischen Behandlungen versagt<br />
haben oder aus anderen Gründen nicht durchführbar<br />
sind. In dem Bericht wurde unterstrichen, dass die<br />
Brennmethode mit der besser werdenden medizinischen<br />
Versorgung, auch in abgelegenen Gegenden Saudi-Arabiens,<br />
trotzdem zum Verschwinden verurteilt<br />
sei, obwohl die Heilerfolge des Brennens überraschend<br />
hoch seien und sich nicht hinter denen der heute praktizierten<br />
modernen Behandlungstherapien verstecken<br />
müssen.<br />
Wenn nur nicht der Schmerz beim Auflegen des glühenden<br />
Eisens und die später sichtbaren Narben wären!<br />
Das »Brennen« ist heute noch in vielen arabischen,<br />
besser gesagt moslemischen Ländern verbreitet,<br />
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esonders dort, wo das Wort Mohammeds wörtlich<br />
genommen und gelebt wird und der Koran Mittelpunkt<br />
allen Tuns ist. Im Koran steht geschrieben, dass der<br />
menschliche Körper weder in lebendiger noch in gestalterischer<br />
oder grafischer Form reproduziert werden<br />
darf. So sucht man auch in Moscheen vergeblich<br />
nach Darstellungen von Menschen. Vielmehr schmücken<br />
Ornamente in vielfältigen Formen und Farben die<br />
Gotteshäuser.<br />
So ist es mit dem »Brennen« auch zu verstehen. Beim<br />
Operieren mit dem Skalpell besteht die Gefahr des<br />
Zurechtrückens, der Reparatur, der Reproduktion. Man<br />
denke z. B. an die plastische Chirurgie. Beim Brennen<br />
stellt sich hingegen nie die Frage der Reproduzierbarkeit.<br />
Nach dem Urlaub auf Fuerteventura betrachtete ich<br />
im Spiegel voller Zufriedenheit meinen braun gebrannten<br />
Körper. »Nicht schlecht für dein Alter!« schmeichelte<br />
ich mir, spannte die Muskeln, zog den Bauch<br />
ein und drückte die Brust heraus. Nur die drei hässlichen<br />
Blutbläschen auf der Brust störten mich. Und sie<br />
störten mich schon lange! In meinem Hinterkopf begann<br />
es zu arbeiten. <strong>Die</strong> bisherige Erfahrung mit dem<br />
Lötkolben ging mir nicht aus dem Sinn. Es würde nur<br />
drei Sekunden, nur lächerliche drei Sekunden dauern.<br />
Für jedes Bläschen nur eine Sekunde. Kein Schneiden,<br />
kein Warten im Wartezimmer, keine Diskussionen mit<br />
dem Arzt, keine neuen Termine. Der Lötkolben war<br />
auch schon zugeschliffen. Nicht einmal den musste ich<br />
vorbereiten. Nur die Spitze würde ich diesmal von<br />
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dem anhaftenden Zinn befreien. Das auf jeden Fall.<br />
Während ich die Einzelheiten im Kopf noch vollzog,<br />
trugen mich meine Füße schon in den Keller.<br />
<strong>Die</strong> etwa drei Millimeter großen Bläschen platzten<br />
hörbar bei der Berührung mit der Lötkolbenspitze auf.<br />
Nur nicht ans Brennen denken! Hier eins und da noch<br />
eins. Jetzt das Letzte. Ein bisschen weh tat’s doch. Trotzdem<br />
es war ein voller Erfolg. <strong>Die</strong> kleinen Wunden verheilten<br />
schnell, und ich konnte nach einigen Monaten<br />
schon nicht mehr ausmachen, wo sich die hässlichen<br />
kleinen Bläschen auf meiner Brust befunden hatten.<br />
Auch das kleine abstehende Muttermal war verschwunden,<br />
das ich in meiner Euphorie gleich mitbehandelt<br />
hatte. Ich hatte bei diesem Muttermal immer<br />
ein ungutes Gefühl gehabt. Oft kratzte ich es wund.<br />
Manchmal kam es mir feucht vor. Das konnte nichts<br />
Gutes bedeuten. Es hätte bösartig werden können.<br />
Vielleicht schlummerten unter der braunen Oberfläche<br />
schon ein paar Krebszellen, die nur auf ihren Einsatz<br />
warteten.<br />
Kleine Stellen mit Hautkrebs werden auch in der<br />
Schulmedizin durch Brennen behandelt. Im St. Vincent<br />
Hospital, Worchester, Massachusetts, wurden 300 solcher<br />
Fälle statistisch verfolgt und ausgewertet. <strong>Die</strong> befallenen<br />
Hautstellen mit einer Ausdehnung des Krebses<br />
von 2 bis 5 cm werden mit einem Elektrokauter,<br />
nichts anderem als einem elektrisch beheizten und temperaturgeregelten<br />
Brenneisen, also einem geregelten<br />
Lötkolben, ausgebrannt. <strong>Die</strong>s geschieht ambulant, also<br />
ohne Krankenhausaufenthalt für den Patienten. Nach<br />
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einer Beobachtungsperiode, die zwischen 2 und 9 Jahren<br />
lag, konnte ein Neuaufflammen des Krebses an den<br />
gebrannten Stellen nur bei 4 Prozent der behandelten<br />
Patienten diagnostiziert werden. <strong>Die</strong> Brennmethode<br />
wird von den Ärzten als einfach, sicher, praktisch, wirtschaftlich<br />
und als äußerst erfolgversprechend bezeichnet.<br />
Sie wird als die ideale Therapie für alle Hautkrebsarten<br />
genannt, wenn keine nachträgliche plastische<br />
Chirurgie wegen der entstellenden Brandnarben wie<br />
im Gesicht notwendig wird.<br />
Einige Monate waren vergangen, als mich zwei Fieberbläschen<br />
in der Mundhöhle plagten. Mit der Zungenspitze<br />
fühlten sie sich groß und dick an, beim Betrachten<br />
im Spiegel waren sie aber doch recht klein,<br />
weißlich und hatten eine offene Vertiefung in der Mitte.<br />
Ich hatte keine Ahnung, warum sie entstanden waren.<br />
Fieber hatte ich nicht gehabt. Warum sollte ich<br />
mich länger mit diesen Bläschen quälen? Ich wusste,<br />
dass sie Wochen brauchten, um zu heilen und wieder<br />
zu verschwinden. Beim Einführen des Lötkolbens<br />
musste ich nur aufpassen, dass ich mit dem ungeschützten<br />
Heizrohr nicht die Lippe berührte. Bewegungen<br />
der Hand nach dem Abbild im Spiegel auszuführen<br />
sind schwierig und nur nach viel Übung erlernbar. Ich<br />
stellte mich unbeholfen an. Schließlich hatte ich zwar<br />
die Fieberbläschen weggebrannt, aber mir auch die<br />
Lippe verbrannt, die höllisch zu schmerzen begann,<br />
so dass die Fieberbläschen schon vergessen waren. Sie<br />
heilten in einem Tag, ohne irgendwelche Spuren zu<br />
hinterlassen.<br />
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Wie alle Familienmitglieder hatte auch meine älteste<br />
Tochter Tina, eine Künstlerin mit angeborener Fröhlichkeit,<br />
von meiner <strong>Lötkolbentherapie</strong> gehört und nur<br />
den Kopf geschüttelt. Ich neige nämlich dazu dies sei<br />
für diejenigen erwähnt, die mich nicht so gut oder<br />
überhaupt nicht kennen, viel und ausführlich über Dinge<br />
zu sprechen, die mich berühren, wobei es zugegeben<br />
— schon vorkommen kann, dass sich gewisse<br />
Übertreibungen einschleichen. Dem Leser sei aber versichert,<br />
dass ich mich bei dieser Geschichte redlich bemüht<br />
habe, ganz bei der Wahrheit zu bleiben.<br />
Tina fragte mich, ob der Lötkolben auch bei Warzen<br />
wirke. <strong>Die</strong> Frage deutete darauf hin, dass sie irgendwo<br />
eine unschöne Warze hatte. »Natürlich«, entfuhr es mir,<br />
»für Warzen ist das die einzig sicherwirkende Methode.«<br />
Dass ich daran nicht schon früher gedacht hatte!<br />
Ich hatte ja selbst eine kleine Warze schon über viele<br />
Jahre auf dem Knöchel meines linken Mittelfingers. Mir<br />
war natürlich auch bekannt, mit welchen Mitteln Warzen<br />
im Allgemeinen behandelt werden. Man kann aufs<br />
Frühjahr warten, Schöllkraut suchen und mit dem aus<br />
dem abgerissenen Stängel herausquellenden gelben<br />
Saft die Warze betupfen. Jeden Morgen, dreißig Tage<br />
lang. Mit großer Wahrscheinlichkeit verschwindet sie<br />
dann. Manche verlieren ihre Warzen bei okkulten Sitzungen.<br />
Bei Mitternacht, mit Krötenschleim und Hexensprüchen.<br />
Manchmal hat’s geholfen. <strong>Die</strong> meisten<br />
aber kaufen sich eine ätzende Tinktur in der Apotheke,<br />
mit der man die Warze bestreicht. <strong>Die</strong> Tinktur<br />
wirkt wie Säure. Manchmal entstehen tiefe Wunden,<br />
19
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die höllisch schmerzen und sich oft entzünden. <strong>Die</strong><br />
Heilung ist langwierig. Wenn man Glück hat, wird<br />
die Warzenwurzel abgetötet, sonst kommt die Warze<br />
wieder.<br />
Aus diesem kurzen Situationsbericht erkennt man,<br />
wie viel das Verschwinden, vielleicht aber auch das<br />
Entstehen mit psychologischen Faktoren, vielleicht<br />
sogar mit Suggestion zu tun hat.<br />
Ich erwähne das nur, weil die Brennmethode zur<br />
Beseitigung von Warzen umso stärker wirkt, je mehr<br />
der Patient vom Erfolg überzeugt ist. Es ist so wie bei<br />
vielen anderen Dingen in der Medizin. Hochwirksame<br />
Medikamente werden in Versuchsreihen<br />
wechselweise mit Placebos, das sind völlig unwirksame<br />
Stoffe wie z. B. Salzwasser, behandlungsbedürftigen<br />
Patienten verabreicht, die selbstverständlich nichts<br />
davon wissen dürfen. Es ist immer wieder erstaunlich,<br />
wie viele Patienten, die nur »Salzwasser« bekamen,<br />
genau so gesund wurden wie diejenigen, die das Originalmedikament<br />
erhalten hatten.<br />
Wer lässt sich schon mit einem altertümlichen, rauchenden<br />
Lötkolben brennen, wenn er nicht an den Erfolg<br />
des Brennens glaubt? Er muss den Schmerz aushalten.<br />
Bei einer Warze, die bis zur Wurzel abgetötet<br />
werden muss, mehrere Sekunden. Dazu gehören Mut<br />
und Überwindung.<br />
Tina folgte mir in den Keller. Ihre Knie waren weich,<br />
und ihre Zähne klapperten. Ihre Warze auf dem Handrücken<br />
war mit der besagten Tinktur behandelt worden.<br />
Sie sah schrecklich aus: eine einzige tiefe Wunde.<br />
21
»<strong>Die</strong>se Wunde brenne ich nicht«, sagte ich, sie deutete<br />
aber auf eine andere Stelle, wo sich eine noch unbehandelte<br />
Warze erhob. Leichter Rauch dampfte von der<br />
Spitze des Lötkolbens. »Gib die Hand her«, zischte ich.<br />
»Jetzt die Zähne zusammenbeißen. Sieh weg und denk<br />
an deinen ersten Freund. Denk an ein wogendes Weizenfeld.<br />
Halt still und zuck nicht schon vorher zusammen!«<br />
Ich drückte die heiße Spitze des Kolbens satt<br />
auf die Warze. Drei Sekunden lang. Sie wurde weiß<br />
und Tina auch. <strong>Die</strong> Prozedur war überstanden.<br />
Nach zwei Monaten rief sie mich an. »Daddy, sie ist<br />
weg, völlig weg, wie weggeblasen! <strong>Die</strong> mit der Tinktur<br />
behandelte Warze ist aber noch eine tiefe Wunde.<br />
Was soll ich nur machen?« Da hatte ich keinen Rat.<br />
Über den neuen Erfolg freute ich mich natürlich sehr.<br />
Es bedarf keiner weiteren Erläuterung, dass ich mir<br />
danach meine eigene Warze auf dem Mittelfinger auch<br />
wegbrannte.<br />
Rolf, ein Freund von mir, hörte von dem Vorfall. Ich<br />
erzählte die Geschichte am gemeinsamen Mittagstisch.<br />
Etwas verschämt holte er seine Hand hervor und nahm<br />
das Pflaster ab. Darunter hatte er eine wunderschöne<br />
Warze verborgen gehalten. Langsam bekam ich einen<br />
besonderen Blick für hässliche und für schöne Warzen,<br />
solche, die sich einfach durch Brennen vernichten<br />
lassen. »Brenn sie mir weg«, bat er mich und schaute<br />
mich mutig mit großen, blauen Augen an. »Kein Problem«,<br />
sagte ich, »komm morgen in den Betrieb. Ich<br />
richte alles her.« Am nächsten Tag war er pünktlich<br />
da. Er starrte auf den heißen Lötkolben wie der Frosch<br />
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auf die lauernde Schlange. Er wurde aschfahl. »Nur<br />
keine Angst«, sagte ich, »aber du wirst verstehen, dass<br />
ich das bei dir nicht selbst machen kann. Ich bin kein<br />
Arzt, nicht einmal Heilpraktiker. Ich habe trotzdem<br />
alles für dich hergerichtet. Du musst den Lötkolben<br />
nur selbst auf die Warze drücken und dabei bis fünf<br />
zählen.« Rolf starrte mich zuerst ungläubig und dann<br />
entsetzt an, drehte sich auf dem Absatz um und schloss<br />
die Tür hinter sich. Als ich ihn beim Mittagstisch sah,<br />
konnte ich ein leichtes Lächeln nicht unterdrücken. Er<br />
sprach nie mehr von der Warze, die danach auf unerklärliche<br />
Weise von selbst verschwand.<br />
Aber ich will noch von einer anderen Begebenheit<br />
berichten, bei der mir der Lötkolben half. Meine Frau<br />
und ich hatten silberne Hochzeit und buchten deshalb<br />
einen Urlaub im Baobab Robinson Club in Kenia. Mein<br />
Koffer hatte sich beim Flug verirrt und war in Athen<br />
anstatt in Mombasa gelandet. Der Leser kann sich vorstellen,<br />
wie lange es dauerte, bis der störrische Koffer<br />
schließlich im Club ankam. In der Zwischenzeit wollte<br />
ich nicht auf das morgendliche Joggen am Strand<br />
verzichten. <strong>Die</strong> Clubanimateure rieten mir, nicht barfuß<br />
am Strand zu laufen. Also kaufte ich mir ein Paar<br />
Tennisschuhe. Im Club gab es wenig Auswahl. In den<br />
billigen Schuhen hatte ich schnell Blasen. Also lief ich<br />
doch barfuß. Beim Laufen über vom Meer angeschwemmte<br />
und in der Sonne getrocknete Algen trat<br />
ich auf einen scharfen Gegenstand. Ich schnitt mir den<br />
Fußballen auf. <strong>Die</strong> tiefe Wunde heilte erstaunlich<br />
schnell, obwohl ich nichts dazu beitrug und auch kei-<br />
23
24
nen Arzt aufgesucht hatte. Beim Tennisspielen im Club<br />
hatte ich gelegentlich Schmerzen, wenn ich hart auftrat,<br />
und ich fühlte beim Abtasten auch etwas Hartes<br />
im Fußballen.<br />
Als ich nach Deutschland zurückkehrte, war die Verhärtung<br />
so groß wie ein Fünfmarkstück geworden. <strong>Die</strong><br />
Wunde hatte sich geöffnet. Sicher rührte die Verhärtung<br />
von einem mit Eiter gefüllten Sack her, der sich<br />
nicht entleeren konnte. Ich überlegte, ob ich zum Arzt<br />
gehen sollte; aber ich hatte Angst. Er würde die Wunde<br />
aufschneiden und den Eiter herauskratzen. Welche<br />
Aussichten! Konnte das noch ambulant geschehen?<br />
Musste ich vielleicht sogar ins Krankenhaus? Wer garantierte<br />
mir, dass aller Eiter herauskam? War die<br />
Möglichkeit nicht vorhanden, dass sich der Sack von<br />
neuem bildete und ich die Prozedur noch ein zweites<br />
Mal über mich ergehen lassen musste? Vielleicht war<br />
die Infektion gefährlicher, als ich dachte. »<strong>Die</strong> Sache<br />
ist viel einfacher, als du denkst«, sagte ich laut. »Du<br />
musst deine Zähne nur lächerliche zehn Sekunden lang<br />
zusammenbeißen. Dann ist alles vorbei! Was sind schon<br />
zehn Sekunden in einem langen Leben?«<br />
Langsam ging ich die Stufen zum Keller hinab.<br />
<strong>Die</strong>smal feilte ich die Spitze des Lötkolbens flach zu,<br />
so dass sie die Form eines schmalen Messers bekam.<br />
Ich zog den Strumpf aus und legte den Fuß auf das<br />
Knie des anderen Beins. Ich hielt den Lötkolben in der<br />
rechten Hand. »Jetzt!« sagte ich laut und schob das heiße<br />
Kupfermesser in die Öffnung tief hinein. Ich hatte<br />
mir fest vorgenommen, an eine Schacheröffnung zu<br />
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denken, die ich meistens gegen meinen Freund Fred<br />
anwende, das angenommene Damengambit: e2-e3, e7-<br />
e6, d2-d4, d7-d5, c2-c4 .... <strong>Die</strong> zehn Sekunden waren<br />
um! Ich zitterte am ganzen Körper, Der Eiter hatte gekocht.<br />
Mit schmerzverzerrtem Gesicht kam ich ins<br />
Wohnzimmer. Barbara schimpfte mit mir. »Bist du<br />
denn ganz verrückt geworden!«, was mehr Ausruf als<br />
Frage war. Und sie richtete mir ein warmes Fußbad,<br />
in dessen Wasser Kernseife aufgelöst war. Mein Fuß<br />
brannte. Es war fast nicht auszuhalten. Er zuckte und<br />
pulsierte im warmen Wasser. Plötzlich fühlte ich, wie<br />
sich alles löste. Eine kleine abgebrochene schwarze<br />
Koralle wurde sichtbar und kam heraus. Ich betrachtete<br />
sie mit Genugtuung und Freude in meiner Hand.<br />
Nach drei Tagen war die Wunde schön verheilt und<br />
fühlte sich weich an. Sie hat sich nie mehr entzündet,<br />
und der Fußballen hat mir seitdem keine Probleme<br />
mehr aufgegeben. Das Brennen und Verkochen des<br />
Eiters war offenbar die ideale Desinfektion. Auf eine<br />
schnellere und einfachere Art hätte ich diesen Eiterherd<br />
wohl nie wegbekommen. Und Infektionen, die<br />
man sich auf schmutzigen Gehwegen in Afrika zuzieht,<br />
sind gefährlich und unberechenbar. Sie können Verheerendes<br />
im Körper anrichten, nicht nur an der Infektionsstelle.<br />
Fred, dem ich die Geschichte beim nächsten Schachspiel<br />
erzählte, schaute mich ungläubig an. Nach längerem<br />
Überlegen sagte er: »Ich glaube, dir macht das<br />
Brennen Spaß. Du bist ein richtiger Masochist.« Ich<br />
konnte ihm die Bemerkung nicht verdenken. Wahr-<br />
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scheinlich dachten das auch andere, ohne es auszusprechen;<br />
er ist aber offen und direkt und sagt eben die<br />
Dinge, die andere nur denken. Ich versichere aber meinen<br />
Lesern, dass seine Vermutung keinesfalls zutrifft.<br />
Durch Brennen kann ich mir bestimmt keine Lust verschaffen,<br />
es schmerzt viel zu sehr! Es ist ganz einfach<br />
so, dass ich vor einem Arzt, der schnell zum Messer<br />
greift, eine höllische Angst habe und, wenn es geht,<br />
das Brennen vorziehe.<br />
Mein äthiopischer Freund Ebi, der schon seit vielen<br />
Jahren in Überlingen lebt, erzählte mir, dass er sich<br />
noch gut daran erinnern könne, wie in seinem Heimatdorf<br />
Abszesse ausgebrannt wurden. Sogar Tumore<br />
seien durch Brennen verödet worden. Folgende Geschichte<br />
hätte sich zugetragen:<br />
Eine Frau wurde zu einem Lay-Mann gebracht, weil<br />
sie nicht aufhören konnte, an Armen und Beinen zu<br />
zittern. Ihre ganze Familie kam mit. Nach einer langen<br />
Zeremonie wurde schließlich das Brenneisen hervorgeholt<br />
und auf glühende, nicht mehr rauchende<br />
Holzkohle gelegt. Nach einigen Minuten glühte es<br />
kirschrot. <strong>Die</strong> Frau wurde am rechten Arm, beginnend<br />
am Unterarm alle zwei Zentimeter bis zum Oberarm<br />
gebrannt. Wenn das Eisen die Haut berührte, gab es<br />
einen leichten Knall. <strong>Die</strong> eingeschlossene Hautfeuchtigkeit<br />
explodierte unter dem Eisen. Er erinnerte sich<br />
daran, dass der Lay-Mann darauf aus war, diesen Knall<br />
deutlich zu hören, offenbar ein unverzichtbares Attribut<br />
seiner Brennbehandlung. Falls der Knall nicht eintrat,<br />
musste das Brenneisen gewechselt werden. Mein<br />
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Freund berichtete, dass die Frau nach der Behandlung<br />
sofort geheilt war und das Zittern nie mehr aufgetreten<br />
sei.<br />
Das Brennen wirkt also auch auf das Nervensystem.<br />
Nichts fürchtet der Mensch so sehr, als durch Feuer<br />
verbrannt zu werden. Großflächige Hautverbrennungen<br />
gehören zum Schlimmsten, was einem Menschen<br />
widerfahren kann. Auf jede Art Verbrennung reagiert<br />
der Mensch mit Panik. Jede Faser seines Seins sträubt<br />
sich dagegen. Irgendwo verbrannt, gerät der Körper<br />
in höchste Alarmbereitschaft und mobilisiert bei hoher<br />
Ausschüttung von Adrenalin alle ihm zur Verfügung<br />
stehenden Gegenmaßnahmen. <strong>Die</strong> zusätzliche Bildung<br />
weißer Blutkörperchen wird augenblicklich eingeleitet.<br />
Enzyme und Hormone werden erzeugt. <strong>Die</strong><br />
psychische Widerstandskraft wird gehoben. Ist es da<br />
verwunderlich, dass beim bewussten, gezielten Brennen<br />
solch spektakuläre Heilerfolge zustande kommen?<br />
Eine andere Geschichte soll dieses Heilphänomen<br />
weiter beleuchten:<br />
Ich hatte einen Tennisarm. Zum zweiten Mal. Nur<br />
ein passionierter Tennisspieler, der dies mitgemacht<br />
hat, kann ermessen, was der Satz bedeutet. Aus den<br />
bisherigen Schilderungen hat der Leser sicher schon<br />
entnommen, mit welcher Leidenschaft ich Tennis spiele.<br />
Tennis ist ein zweiter Lebensinhalt für mich, obwohl<br />
ich nicht besonders gut spiele. Mit einem Tennisarm<br />
aber ist es fast unmöglich, eine Rückhand zu schlagen.<br />
Wer annimmt, dass man es immer mit fairen Partnern<br />
zu tun hat, wird, wenn er einen Tennisarm hat,<br />
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ald eines Besseren belehrt. Selbst der beste Freund<br />
schlägt einem die Bälle nur noch auf die Rückhand.<br />
Wie mit Nadeln gestochen, fährt einem der Schmerz<br />
in das Ellenbogengelenk. Man könnte den Freund deshalb<br />
erwürgen.<br />
Heilmethoden und Mittelchen gegen den Tennisarm<br />
werden zuhauf angeboten. Mit Mobilat einreiben.<br />
Nachts mit einem Katzenfell umwickeln. Eis auflegen.<br />
Massagen bis zum »geht nicht mehr«. Einen Ball in<br />
der Tasche jede Minute drücken. So tun, als ob man<br />
keinen hätte, und mit schmerzverkrampftem Gesicht<br />
weiterspielen. Früher hatte man Cortisonspritzen bekommen,<br />
heute Vitaminspritzen, entzündungshemmende<br />
Spritzen, alle direkt ins Gelenk, oft ins Gelenk<br />
reingebogen und geschoben. Manche hörten auf zu<br />
spielen. Schläger wurden gewechselt, Bespannungen<br />
geändert. Manche ließen sich in ihrer Verzweiflung<br />
sogar operieren. Mit zweifelhaftem Erfolg »Sie schlagen<br />
falsch«, sagt der Arzt und natürlich auch der Trainer,<br />
der einen neuen Kunden wittert. Ich glaube, nichts<br />
blieb unversucht, um den verhassten Tennisarm wegzukriegen,<br />
obwohl die Erfahrung lehrt, dass er in den<br />
meisten Fällen nach einem Dreivierteljahr von selbst<br />
verschwindet. Dann aber ist die Tennissaison zu Ende,<br />
und ein anderer hat den begehrten Platz in der Mannschaft<br />
eingenommen.<br />
Der menschliche Körper verfügt über ein wunderbares<br />
biologisch-chemisches Labor. Er kann »Antikörper«<br />
erzeugen, Killerzellen einsetzen und chemische<br />
Substanzen kreieren, die den Krankheitsherd eindäm-<br />
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men und bekämpfen. <strong>Die</strong> chemischen Labors der Großchemie<br />
sind im Vergleich dazu aus dem Steinzeitalter.<br />
<strong>Die</strong> meisten Medikamente, man denke nur an die vielen<br />
Impfstoffe, beruhen deshalb in ihrer Wirkung auch<br />
darauf, die körpereigene Produktion von Abwehrstoffen<br />
im Menschen einzuleiten oder anzuregen. Heilen<br />
muss sich der Körper selbst. Bei Verletzungen und<br />
Wunden verläuft der Heilungsprozess oft am schnellsten,<br />
wenn man gar nichts tut. Keine Salben, keine Verbände.<br />
Beim Tennisarm rühren die Schmerzen, darin sind<br />
sich die Ärzte im Allgemeinen einig, von minuziösen<br />
Verletzungen des Gewebes am oberen Muskelansatz<br />
des Ellenbogens her, die mit entsprechenden Entzündungen<br />
einhergehen. Warum, so fragte ich mich, wird<br />
im Körper kein Prozess eingeleitet, der die im Vergleich<br />
zu anderen Erkrankungen harmlosen Wunden schnell<br />
heilt? Offenbar wird durch den Schmerz im Ellenbogen<br />
der körpereigene Abwehrmechanismus nicht intensiv<br />
genug in Gang gesetzt. Der Körper ignoriert die<br />
Schmerzstelle! Zu diesem Ergebnis muss man zwangsläufig<br />
kommen. <strong>Die</strong> Stelle muss deshalb »geimpft«<br />
werden, damit alle Heilungskräfte mobilisiert werden.<br />
Könnte das nicht durch »Brennen« geschehen? Warum<br />
eigentlich nicht auch mit dem Lötkolben?<br />
Ich tastete die Schmerzstelle am Arm ab. Sie war so<br />
groß wie ein Zehnpfennigstück. Ich markierte sie mit<br />
einem Filzstift, machte einen runden Kreis. <strong>Die</strong> Lötkolbenspitze<br />
war natürlich nicht so groß, um den Bereich<br />
mit einem Mal zu erfassen. Sieben Punkte waren<br />
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notwendig. Es ging schnell. Ich war von der Überzeugung<br />
wie besessen, diesmal das Übel an der Wurzel<br />
gefasst zu haben. Keiner würde mir mehr ungestraft<br />
die Bälle auf die Rückhand schießen.<br />
Mein Körper wusste jetzt, wo’s wehtat. <strong>Die</strong> weißen<br />
Blutkörperchen würden jetzt zu der Stelle flitzen, um<br />
die Brandwunde zu heilen, und dabei alles, was in<br />
unmittelbarer Nähe nicht intakt war, mitreparieren.<br />
So war es dann auch.<br />
<strong>Die</strong> Wunde brauchte drei bis vier Wochen, nachdem<br />
sie sich noch entzündet hatte, was mir wegen der vermehrten<br />
Bildung von weißen Blutkörperchen nur recht<br />
sein konnte, um zu heilen. Mit fortschreitender Heilung<br />
gingen die Schmerzen im Arm zurück. Nach vier<br />
Wochen konnte ich erstmals wieder seit vielen Monaten<br />
meine Halbe Bier heben und mit meinen Freunden<br />
anstoßen. Eine Woche später spielte ich zum ersten Mal<br />
wieder schmerzfrei Tennis. Ob der Schmerz auch ohne<br />
die Brennanwendung verschwunden wäre?<br />
Eine positive Einstellung zu einer Krankheit hilft die<br />
Krankheit besiegen und beschleunigt den Heilungsprozess.<br />
<strong>Die</strong> hatte ich. Hätte ich mich sonst selbst brennen<br />
können?<br />
Kürzlich las ich in der International Herald Tribüne<br />
eine Abhandlung von Norman Cousins, Professor an<br />
der »California Los Angeles School of Medicine«, der<br />
unter anderem durch sein Buch »The Healing Heart«<br />
bekanntgeworden ist. Darin schreibt er, dass sich ein<br />
neues medizinisches Fachgebiet auftut, das sich »Psychoneuroimmunologie«<br />
nennt. Es basiert auf dem Kon-<br />
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zept, dass es keine einzelne Ursache für eine ernste<br />
Krankheit gibt, genauso wenig wie einen einzigen<br />
Schlüssel für eine Heilung. Das Gehirn, das »Endokrine<br />
System« und das »Immunsystem« können so zusammenwirken<br />
und sich so verbünden, um eine Krankheit<br />
fortbestehen zu lassen oder die Heilung einzuleiten.<br />
Hatte das Brennen mit dem Lötkolben die Initialzündung<br />
veranlasst?<br />
Den Tennisarm hatte ich längst vergessen, als ich<br />
eines Tages vom Ischias geplagt wurde. Wochenlang<br />
hatte ich starke Rückenschmerzen, bis sich eines Morgens<br />
die Schmerzen ins Bein fortsetzten. <strong>Die</strong> Zehen standen<br />
schon nach oben. Der Ischiasnerv war stark geschwollen,<br />
und der Arzt konnte, trotz einer Tomographie<br />
Röntgenbilder scheibenweise — nicht mit Sicherheit<br />
sagen, ob es sich um einen Vorfall handelte, der<br />
einen chirurgischen Eingriff erforderlich gemacht hätte,<br />
oder nicht. Also wartete man zu, was sich weiter<br />
entwickeln würde. Der Patient würde sich schon<br />
wieder melden.<br />
<strong>Die</strong> Schmerzen waren höllisch, zumal sie auch nachts<br />
nicht nachließen. Ich konnte nicht schlafen. <strong>Die</strong> stärksten<br />
Schlafmittel, auch in Überdosen genommen, halfen<br />
nicht. Ich ließ mir Spritzen geben, Fangopackungen<br />
verschreiben, ließ ein Zäpfchen nach dem anderen<br />
ein, Muskeltranscopal, von denen man nur eines<br />
am Tag nehmen sollte, ließ mich vom Neurologen mit<br />
Spritzen behandeln, nahm alle drei Stunden in der<br />
Nacht ein heißes Bad, bis meine Haut aufgeweicht war,<br />
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machte Kniebeugen und Streckübungen in meiner Verzweiflung,<br />
und, ich gebe es zu, ich heulte vor Schmerzen<br />
und Selbstmitleid. Zehn Nächte schlief ich nicht.<br />
Es war die Hölle.<br />
Schließlich suchte ich einen Chiropraktiker auf, der<br />
mich mehrmals einrenkte. Ein Heilpraktiker mit China-Erfahrung<br />
schröpfte mich. Ein Masseur, der 1988<br />
die deutsche Olympiamannschaft der Ringer betreut<br />
hatte, nahm mich in die Mangel, ja, ich quälte mich<br />
sogar im Fitness Studio, bis ich vor Schmerzen fast zusammenbrach;<br />
aber der Ischiasnerv blieb geschwollen.<br />
Bei dem angestauten Schlafmanko war ich einem Nervenzusammenbruch<br />
nahe. Wo blieb mein positives<br />
Denken? Wo meine sonst so ausgeprägte Zuversicht?<br />
Ich hatte keine Kraft mehr dazu.<br />
Meine Frau kannte einen Akupunkteur in einem benachbarten<br />
Dorf. »Lass dir die Nadeln von ihm setzen.<br />
Du wirst sehen, dass er dir helfen kann«, sagte<br />
sie, während sie den mit ranzigem Schweineschmalz<br />
getränkten Zwiebelumschlag von meinem Rücken entfernte.<br />
Der hatte auch nicht geholfen, ebenso wenig wie<br />
die Umschläge, die mit geriebener Papaya bestrichen<br />
waren. Spritzte man nicht Papayasaft zwischen die<br />
Bandscheiben? Hatte man nicht damit schon große Erfolge<br />
gehabt? Meine Tochter Annette hatte in Freiburg<br />
den ganzen Vormittag nach diesen Früchten gesucht,<br />
bis sie welche in einem exotischen Früchteladen gefunden<br />
hatte, die reif und für den Zweck geeignet waren.<br />
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Nach den guten Erfahrungen mit dem Lötkolben hatte<br />
ich natürlich schon längst an das Brennen gedacht.<br />
Aber wo sollte ich denn, verdammt noch mal, den Lötkolben<br />
ansetzen? Am Steißbein, am Oberschenkel, in<br />
der Kniekehle oder an den Zehen? <strong>Die</strong> Schmerzen zogen<br />
sich das ganze Bein entlang. Wahrscheinlich am<br />
Steißbein, nur da hatte doch zunächst der Schmerz gesessen.<br />
Selbst konnte ich mich an dieser Stelle nicht<br />
brennen. Meine Frau würde mir sicher nicht assistieren.<br />
Sie begann ohnehin schon an meinem Verstand<br />
zu zweifeln. Meine Gedanken wanderten nochmals zu<br />
den Arabern, die dem Patienten in solchen Fällen ein<br />
faustgroßes glühendes Eisen auf den Bauch legen. <strong>Die</strong>s<br />
wirkt dann als »Counterirretant«, als Gegenreizung,<br />
und würde alle möglichen Abwehrkräfte freisetzen.<br />
Aber zu dieser brutalen Methode konnte ich mich natürlich<br />
nicht durchringen. Im Zwanzigsten Jahrhundert<br />
müsste es doch wirklich andere Möglichkeiten geben,<br />
den Ischias loszuwerden!<br />
Mit etwas Übung musste ich mich doch auch an der<br />
schlecht zugänglichen Stelle brennen können. Ich übte<br />
vor dem Spiegel mit dem kalten Kolben. Im Leben lernt<br />
man fast alles. Es musste klappen. Ich steckte den Lötkolben<br />
ein, wartete, bis er die richtige Temperatur hatte,<br />
und begann mich zu brennen. Am Steißbein fünfmal,<br />
am hinteren Beinansatz fünfmal und entlang des Ischiasnervs<br />
bis zur Kniekehle fünfmal.<br />
Am nächsten Tag waren die Ischiasschmerzen immer<br />
hoch da. Ich hatte wohl nicht die richtigen Stellen getroffen.<br />
Aber es musste doch Stellen geben, die stärker<br />
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auf die Heilung des Nervs einwirken würden. So ähnlich<br />
wie Akupunkturpunkte. Und mir fiel ein, dass die<br />
Akupunktur in ihrer früheren, unverfälschten Form<br />
häufig mit glühenden Nadeln durchgeführt worden<br />
war. Darüber musste ich mehr wissen.<br />
Mit letzter Energie raffte ich mich auf und ließ mich<br />
zur Universitätsbibliothek nach Freiburg fahren. Selbst<br />
konnte ich nicht fahren, da ich mit dem schmerzenden<br />
Bein den Fuß nicht auf dem Pedal halten konnte. Unter<br />
dem Stichwort »Brennen« fand ich zunächst nichts<br />
und hielt fast zufällig ein Buch über die Akupunktur<br />
in der Hand.<br />
Ich las: »<strong>Die</strong> ursprüngliche Akupunktur (acu – Nadel<br />
und punctere – stechen) ist eine alte, zuerst in China<br />
und Japan angewandte Methode zur Erkennung und<br />
Heilung von Krankheiten, vor allen Dingen aber<br />
Krankheiten der Atemwege, des Kreislaufs, der Verdauungsorgane,<br />
des Nervensystems und des Bluts. <strong>Die</strong><br />
moderne Akupunktur dient mehr der Beruhigung und<br />
Kräftigung des Patienten, aber auch der Schmerzbekämpfung.<br />
Sie ist gewissermaßen, als Reiztherapie<br />
aufzufassen. Glühende Nadeln werden indessen kaum<br />
noch benützt.« Ich war sicher, dass die Chinesen auch<br />
Brennmethoden anderer Art angewandt haben mussten<br />
oder sogar noch anwenden. So stieß ich schließlich<br />
auf eine Spur, die mich geradewegs zur »Moxibustion«<br />
führte. Das war es also, was ich suchte! <strong>Die</strong> Akupunkturpunkte,<br />
die »Head« Zonen des Körpers werden<br />
je nach Anwendung weniger oder stärker erhitzt.<br />
Dabei kann es zu Rötungen der Hautstellen, zur Bla-<br />
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senbildung, bei starker Anwendung, aber auch zu Verbrennungen<br />
kommen, die Narben hinterlassen. <strong>Die</strong> Behandlung<br />
hängt davon ab, um welche Krankheit es<br />
sich handelt, und von der jeweiligen Bereitschaft des<br />
Patienten. Ich war erstaunt, wie viel Literatur ich über<br />
dieses Gebiet fand. Das Brenneisen, also mein Lötkolben,<br />
wird bei der Moxibustion durch sogenannte<br />
brennbare Moxahütchen oder Stäbchen ersetzt. Sie<br />
werden aus in der Sonne getrockneten Blättern der<br />
Artemisia Pflanze geformt, die sich besonders für diesen<br />
Zweck eignen. <strong>Die</strong> Hütchen werden auf die ausgesuchten<br />
Körperpunkte gesetzt und angezündet. Sie<br />
brennen bzw. verglühen und hinterlassen auf der Haut<br />
meistens Wasserblasen, die, ohne Narben zu hinterlassen,<br />
wieder heilen. <strong>Die</strong> Moxastäbchen sind gewöhnlich<br />
in Papier eingerollt und gleichen einer Zigarre.<br />
Sie glühen auch wie eine Zigarre. Das glühende Moxastäbchen<br />
wird mit einem halben Zentimeter Abstand<br />
über den Akupunkturpunkt so lange gehalten, bis sich<br />
eine starke Rötung der Haut zeigt oder sich eine Wasserblase<br />
gebildet hat. Das Verfahren beruht auf dem<br />
Wissen, das Tsang Fu, ein alter chinesischer Heillehrer,<br />
zusammengestellt und überliefert hat.<br />
Hatte ich endlich die Methode gefunden, die meinen<br />
Ischias heilen würde?<br />
Zuhause versuchte ich vergeblich, Artemisia Stäbchen<br />
aufzutreiben. Ich hatte aber gelesen, dass die Behandlung<br />
in China zuweilen auch mit glühenden Bambusstäbchen<br />
durchgeführt worden war. Wenn das so<br />
ging, ging es dann nicht auch mit meinem so bewähr-<br />
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ten Lötkolben? Wer aber würde die Behandlung durchführen?<br />
<strong>Die</strong> Akupunkturpunkte auf dem Rücken konnte<br />
ich nicht erreichen. Ich wusste auch ihre Lage nicht genau.<br />
Meine Hand würde auf keinen Fall so sicher sein,<br />
dass ich die flache Lötspitze unter Umständen über eine<br />
Minute lang ziemlich genau fünf Millimeter über die<br />
Haut halten konnte. Schließlich fand sich eine Bekannte<br />
bereit, die einen Heilpraktiker Kurs hinter sich hatte<br />
und die genaue Lage der Punkte kannte, das Brennen<br />
auszuführen.<br />
Es tat teuflisch weh, bis sich die erste Wasserblase<br />
gebildet hatte. <strong>Die</strong> nächsten Blasen schmerzten nicht<br />
mehr so. Vielleicht hing das damit zusammen, dass<br />
sich mit jeder weiteren Blase meine Überzeugung steigerte,<br />
den Ischias auf diese Weise besiegen zu können.<br />
Es dauerte fast zwei Stunden, bis alle zwanzig Punkte<br />
geschafft waren. Mein Körper war glühend heiß geworden.<br />
Mir war, als ob ich hohes Fieber hätte.<br />
In der folgenden Nacht schlief ich wieder nicht. <strong>Die</strong><br />
Blasen und der Ischiasnerv schmerzten, und ich fiel<br />
abwechselnd von einer warmen Körperphase in eine<br />
kalte. Dann klapperten meine Zähne, und ich musste<br />
die gerade erst weggeschobene Decke wieder bis zum<br />
Hals hochziehen.<br />
In der zweiten Nacht nach der Behandlung fiel ich<br />
völlig unerwartet in einen tiefen Schlaf. Als ich aufwachte,<br />
wollte ich mich wie gewohnt vorsichtig aus<br />
dem Bett drehen und aufstehen. Aber die Ischiasschmerzen<br />
waren wie weggeblasen! Kein Ziehen im<br />
Bein mehr, keine Schmerzen im Kreuz. Ich versuchte,<br />
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mich zu bücken. Es ging wunderbar! Ich jubelte, rief<br />
nach meiner Frau, duschte, pfiff ein Lied dazu und fühlte<br />
mich wie neugeboren. <strong>Die</strong> Sonne schien draußen. Es<br />
war ein herrlicher Frühjahrsmorgen. Schon stieg mir<br />
der Duft von knusprig gebratenem Speck in die Nase,<br />
und ich hörte, wie die Spiegeleier in der Pfanne brutzelten.<br />
Das Vollkornbrot war geschnitten, und frische<br />
irische Butter stand auf dem Tisch. In meiner großen<br />
französischen Tasse dampfte köstlich frischer Kaffee.<br />
<strong>Die</strong> Welt war, Gott sei Dank, wieder in Ordnung.<br />
Der Ischias plagte mich seither nie wieder. Zugegeben,<br />
manchmal habe ich noch etwas Kreuzschmerzen,<br />
wer aber hat die heutzutage nicht?<br />
<strong>Die</strong> Moxibustion hatte mir geholfen, die verfeinerte<br />
Art des Brennens. Dosiert und gezielt konnte sie angewandt<br />
werden, von Narben bildenden Verbrennungen<br />
über Wasserblasen bis hin zur schieren, einfachen<br />
Erwärmung der gewählten Akupunkturpunkte.<br />
Ich nahm mir vor, in den kommenden Sommermonaten<br />
Blätter der Artemisia Vulgaris, im Volksmund<br />
als Johanniskraut bekannt, zu sammeln und zu trocknen,<br />
um mir eigene Moxastäbchen zu drehen. Bei zukünftigen<br />
Beschwerden müsste ich dann nicht unbedingt<br />
auf meinen Lötkolben zurückgreifen, der in der<br />
Zwischenzeit einen Ehrenplatz in meinem Büro gefunden<br />
hat.<br />
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