Leseprobe: Fiona Fee hat keine Zeit
Leseprobe zu Jutta Treiber: Fiona Fee hat keine Zeit
Leseprobe zu Jutta Treiber: Fiona Fee hat keine Zeit
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Der große Zauberer <strong>hat</strong> schlecht geschlafen<br />
Der Große Zauberer wacht auf. Er <strong>hat</strong> schlecht<br />
geschlafen. Und schlecht geträumt. Seine Frau,<br />
die <strong>Fee</strong>npräsidentin, schnarcht friedlich neben<br />
ihm. Das ärgert den Großen Zauberer. Er hält<br />
seiner Frau die Nase zu.<br />
Die <strong>Fee</strong>npräsidentin wacht auf. „Was ist los?<br />
Warum weckst du mich?“<br />
„Weil ich nicht schlafen kann“, sagt der Große<br />
Zauberer.<br />
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„Ach, nimm dich selbst doch nicht so wichtig!“,<br />
murrt die <strong>Fee</strong>npräsidentin.<br />
Im Nu ist ein handfester Ehestreit im Gange.<br />
Denn der Satz: „Nimm dich nicht so wichtig!“<br />
oder „Mach dich nicht so wichtig!“ ärgert den<br />
Großen Zauberer am allermeisten. Schließlich<br />
ist er ja wichtig, und deshalb darf er sich auch<br />
wichtig nehmen. Und wichtig machen.<br />
Der Große Zauberer weiß aus Erfahrung, dass<br />
die <strong>Fee</strong>npräsidentin in einem Streit immer das<br />
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letzte Wort <strong>hat</strong>, und so springt er aus dem Bett und<br />
beschließt, seinen Ärger irgendwie abzureagieren.<br />
Plötzlich lacht er schallend laut. Eine – wie er<br />
meint – unheimlich gute Idee ist ihm in den Kopf<br />
geschossen …<br />
Früher haben im <strong>Fee</strong>nreich nur <strong>Fee</strong>n gelebt. Aber<br />
im Lauf der <strong>Zeit</strong> sind fremde Geister ins Land<br />
gekommen: Zauberer aus Zaubrien, (auch einige<br />
VoodooZauberer, die mit Vorliebe alte Flaschen<br />
sammeln, sie zerbrechen und sich voll Freude in<br />
den Scherben wälzen, ohne sich die Zauberhaut<br />
blutig zu schneiden), Hexen aus Hexanien, Trolle<br />
aus dem Nordland, Elfen aus dem Träumeland<br />
und noch viele andere Geister, die nun alle im<br />
<strong>Fee</strong>nreich leben.<br />
Das geht nicht immer problemlos ab, denn die<br />
fremden Wesen haben auch seltsame Gebräuche<br />
und Angewohnheiten. Dadurch kommt es manchmal<br />
zu handfesten Streitigkeiten. Doch seit jeder<br />
die Sprache der anderen gelernt <strong>hat</strong>, können sie<br />
einander besser verstehen.<br />
Der Große Zauberer, der sich so wichtig nimmt,<br />
<strong>hat</strong> die <strong>Fee</strong>npräsidentin geheiratet, die bisher das<br />
Land allein regiert <strong>hat</strong>. Und nun herrschen sie<br />
gemeinsam über das Vereinigte <strong>Fee</strong>n- und Zauberreich.<br />
Einmal im Monat laden die <strong>Fee</strong>npräsidentin und<br />
der Große Zauberer alle Bewohner des Landes zu<br />
einem Ball. In ein paar Tagen ist es wieder so weit.<br />
Aber vorher, denkt der Große Zauberer, werde<br />
ich meinen grandiosen Streich spielen. Voller Vorfreude<br />
reibt er sich die großen Hände und schwingt<br />
(zunächst einmal probeweise) den Zauberstab.<br />
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2.<br />
<strong>Fiona</strong> <strong>Fee</strong> und ihre vier unmöglichen Brüder<br />
Ein bisschen eitel ist sie schon, die kleine <strong>Fee</strong><br />
<strong>Fiona</strong>. Und so schminkt sie sich immer sehr<br />
sorgfältig, bevor sie zur Erde fliegt.<br />
Zuerst tränkt sie ihr hübsches Gesicht in Blütentau<br />
und tupft den Überschuss mit Wolkenwatte ab.<br />
Dann trägt sie zartbraunes Sonnen-Makeup auf,<br />
färbt die Augenpartie mit Gewitterschwarz und<br />
zieht die Lippen mit einem kräftigen Morgenrot-<br />
Lippenstift nach. Der Sternenstaub, den sie zum<br />
Schluss aufsprüht, lässt ihr Gesicht glitzern und<br />
die <strong>Fee</strong> strahlen.<br />
<strong>Fiona</strong> ist an diesem Morgen bester Laune. Sie<br />
ist früh aufgestanden, <strong>hat</strong> ihre Morgengymnastik<br />
gemacht, sich danach unter die Regendusche<br />
gestellt, ein hübsches Kleid angezogen, die frische<br />
Morgenluft eingeatmet und sich geschminkt.<br />
Ein bisschen getrübt wird ihre Stimmung allerdings,<br />
als sie einen Blick in das Zimmer ihres<br />
Bruders Olli wirft. Es ist – <strong>Fiona</strong> kann das nur<br />
höchst irdisch ausdrücken – ein Sauhaufen.<br />
Alles liegt kunterbunt durcheinander, der Boden<br />
ist vollständig mit Krimskrams bedeckt, sodass<br />
Olli sich nur mehr fliegend durchs Zimmer bewegen<br />
kann. Olli geht nämlich mit Vorliebe auf<br />
den <strong>Fee</strong>n-Sperrmüllplatz und schleppt alle Dinge<br />
heran, die er nur tragen kann.<br />
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„Irgendwann werde ich ein wunderbares Kunstwerk<br />
daraus machen“, sagt Olli immer. (Bisher<br />
<strong>hat</strong> er aber die Dinge nur gesammelt.)<br />
<strong>Fiona</strong> seufzt. Sie nennt ihren Bruder Olli Krallawatsch.<br />
(„Krallawatsch“ heißt in der <strong>Fee</strong>nsprache<br />
„Unordnung, Schlamperei, Durcheinander“.)<br />
Ich verstehe nicht, wie Mama und Papa das<br />
aushalten!, denkt die kleine <strong>Fee</strong>. Und warum sie<br />
es noch immer nicht geschafft haben, Olli Krallawatsch<br />
besser zu erziehen!<br />
Aber in Erziehungsfragen sind Mama und Papa<br />
<strong>Fee</strong> wohl insgesamt nicht sehr erfolgreich gewesen.<br />
(Außer natürlich bei der kleinen <strong>Fee</strong> selbst!)<br />
Vier Brüder zu haben, das ist eine echte Plage!<br />
Bruder Hoho will unbedingt Weihnachtsmann<br />
werden. Papa <strong>Fee</strong> ist aus allen <strong>Fee</strong>nwolken gefallen,<br />
als Hoho diesen Wunsch geäußert <strong>hat</strong>.<br />
„<strong>Fee</strong>n werden <strong>keine</strong> Weihnachtsmänner!“, <strong>hat</strong><br />
Papa <strong>Fee</strong> gesagt. Aber Hoho <strong>hat</strong> gar nicht auf ihn<br />
gehört.<br />
Zur Weihnachtszeit darf er dem echten Weihnachtsmann<br />
helfen, das ist ja o.k. Aber dass Hoho<br />
sich das ganze Jahr lang mit Weihnachten beschäftigt,<br />
das nervt in höchstem Maß!<br />
Bereits im <strong>Fee</strong>n-Frühling fängt er an zu fragen:<br />
„Was wünscht ihr euch zu Weihnachten? Und wie<br />
soll ich den Christbaum schmücken? Soll ich echte<br />
Feuerblitzkerzen aufstecken? Und werden wir …“<br />
„Halt den Mund, Hoho!“, sagt <strong>Fiona</strong> dann zornig.<br />
„Wenn ich das Wort Weihnachten noch einmal<br />
höre, platze ich vor Wut!“<br />
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Bruder Jaman ist ein Forscher. Mit tausend<br />
Zetteln und einem Maßband bewaffnet geht er<br />
durch die <strong>Fee</strong>nwelt und misst und schreibt und<br />
zeichnet alles auf, was ihm interessant vorkommt.<br />
Dabei stolpert er manchmal über ein Wolkenknäuel<br />
oder er stößt mit dem Kopf gegen einen<br />
Blitz. (Das macht ihm aber nichts aus, weil <strong>Fee</strong>n<br />
sich nicht wehtun können.)<br />
Bruder Jaman ist ein recht angenehmer <strong>Zeit</strong>genosse.<br />
Nur dass er immer so supergescheit tut,<br />
stört die kleine <strong>Fee</strong> ein bisschen. Denn supergescheit<br />
ist ja in Wirklichkeit nur sie selbst!<br />
Und dann ist da noch Bruder Gecko. Der <strong>hat</strong><br />
die dumme Angewohnheit, alle Schuhe zu verstecken.<br />
Meist vergisst er dann, wo er sie versteckt<br />
<strong>hat</strong>, und die kleine <strong>Fee</strong> muss stundenlang suchen.<br />
(Gecko ist also nicht nur ein Gecko Verstecko,<br />
sondern auch ein Gecko Vergesso.)<br />
Apropos Schuhe … Die guten silberglänzenden<br />
Stücke stehen immer griffbereit im Vorraum.<br />
Aber da sind sie nicht!<br />
„Gecko!“, ruft die kleine <strong>Fee</strong> zornig, „wo hast<br />
du meine Schuhe versteckt?“<br />
„Ich? Deine Schuhe? Versteckt? Wieso?“, fragt<br />
Gecko.<br />
Das ist auch so eine Unart von ihm, die <strong>Fiona</strong><br />
auf die Palme bringt. Dass Gecko nie in ganzen<br />
Sätzen spricht, sondern immer nur Wortfetzen von<br />
sich gibt. Und dabei kaum den Mund aufmacht,<br />
sodass sie die genuschelten Wortfetzen nicht verstehen<br />
kann.<br />
„Gecko! Stell dich nicht so blöd an! Mach den<br />
Mund auf, sprich deutlich und sag mir sofort,<br />
wo meine Schuhe sind!“, sagt die kleine <strong>Fee</strong> im<br />
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Befehlston eines hochrangigen <strong>Fee</strong>ngenerals.<br />
„Ich? Deutlich? Wieso? Schuhe? Weiß nicht“,<br />
sagt Gecko.<br />
<strong>Fiona</strong> <strong>Fee</strong> tut einen abgrundtiefen Seufzer. Sie<br />
holt ein bisschen Eisluft aus dem Nordpolkasten,<br />
um sich abzukühlen. Da stehen ihre silbernen<br />
Schuhe, eisgekühlt.<br />
„Ach, Gecko!“, seufzt die kleine <strong>Fee</strong> noch einmal.<br />
Mit den hohen Stöckelschuhen erreicht sie fast<br />
normale <strong>Fee</strong>ngröße. Denn sie will schon etwas<br />
„gleichschauen“, wenn sie zu den Menschenkindern<br />
fliegt, um ihnen zu helfen.<br />
3.<br />
<strong>Fiona</strong> <strong>Fee</strong> fliegt zur Erde<br />
Die kleine <strong>Fee</strong> fliegt gemütlich zur Erde hinunter.<br />
Sie schwebt durch die Luft und freut sich schon<br />
darauf, dass sie an diesem wunderschönen Tag<br />
wieder ein paar Kinder glücklich machen kann.<br />
Denn das ist ihre Lebensaufgabe: Menschenkindern<br />
zu helfen und sie glücklich zu machen.<br />
Auf der Erde angekommen, faltet <strong>Fiona</strong> ihre<br />
Flügel zusammen und geht langsam weiter. Denn<br />
nur beim langsamen Gehen kann sie die Kinder<br />
entdecken, die ihre Hilfe brauchen. Und die kleine<br />
<strong>Fee</strong> <strong>hat</strong> alle <strong>Zeit</strong> der Welt. Denn <strong>Fee</strong>n haben<br />
immer <strong>Zeit</strong>.<br />
Als sie so die Straße entlang schlendert, kommt<br />
sie an einem Spielplatz vorbei. Dort sitzt ein<br />
Mädchen in der Sandkiste und weint.<br />
„Warum weinst du?“, fragt die kleine <strong>Fee</strong>.<br />
„Weil, weil …“, schluchzt das Mädchen.<br />
„Weil, weil, warum …?“ Die kleine <strong>Fee</strong> ermahnt<br />
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sich selbst, nicht gleich ungeduldig zu werden.<br />
Irgendwie erinnert sie die Redeweise des Mädchens<br />
an ihren Bruder Gecko.<br />
„Weil ich meinen Plastiklöwen nicht finde!“,<br />
schluchzt das Mädchen.<br />
Die kleine <strong>Fee</strong> schüttelt den Kopf. Weinen –<br />
wegen eines Plastiklöwen? Donner, Blitz und<br />
Sternenstaub, was diese Kinder für Sorgen haben!<br />
Gemeinsam beginnen sie im Sand zu buddeln<br />
und im Nu <strong>hat</strong> die kleine <strong>Fee</strong> den Plastiklöwen<br />
hervorgezaubert.<br />
„Na, siehst du“, sagt <strong>Fiona</strong>, ein bisschen vorwurfsvoll,<br />
„wer suchet, der findet!“<br />
Das Mädchen strahlt übers ganze Gesicht, läuft<br />
zu seiner Mutter und sagt: „Mama, eine <strong>Fee</strong> <strong>hat</strong><br />
mir suchen geholfen. Sie <strong>hat</strong> meinen Löwen gefunden.“<br />
„Jaja“, seufzt die Mutter. „Eine <strong>Fee</strong>, natürlich,<br />
klar!“ Was dieses Kind für eine Phantasie <strong>hat</strong>!<br />
Andauernd behauptet es, irgendwelche Märchenwesen<br />
gesehen zu haben.<br />
Die kleine <strong>Fee</strong> zerzaust lustvoll die sorgfältig<br />
frisierten Haare der Mutter. Nur weil die Erwachsenen<br />
<strong>Fee</strong>n und andere Zauberwesen nicht sehen<br />
können, leugnen sie deren Existenz. Wie dumm<br />
und engstirnig!<br />
Die Mutter greift sich an den Kopf. Was ist ihr<br />
da eben in die Haare gefahren? Es ist doch ganz<br />
windstill! Sie zieht einen Spiegel aus der Handtasche<br />
und betrachtet entsetzt ihre zerstörte Frisur.<br />
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Die kleine <strong>Fee</strong> kichert, winkt noch dem Mädchen<br />
mit dem Plastiklöwen zu und geht weiter.<br />
Aus einem geöffneten Fenster dringen Stimmen.<br />
„Ich will nicht zum Fußballtraining“, ruft laut<br />
ein Bub. „Ich mag überhaupt nicht Fußball spielen!“<br />
„Jeder Bub mag Fußball spielen!“, entgegnet der<br />
Vater noch lauter.<br />
„Ich nicht!“, ruft der Bub.<br />
„Aber alle deine Freunde gehen doch zum Fußballtraining!“,<br />
sagt der Vater.<br />
„Na und?“, sagt der Bub. „Ich will trotzdem<br />
nicht!“<br />
Dieser Fall ist ein Klacks!, denkt die kleine<br />
<strong>Fee</strong>. Sie rüttelt ein wenig am Kopf des Vaters und<br />
schüttelt eine Erinnerung hervor:<br />
Wie er als kleiner Bub auch nicht Fußball spielen<br />
wollte und wie ihn sein Vater dazu gezwungen<br />
<strong>hat</strong>. Aber das Fußballspielen <strong>hat</strong> ihm <strong>keine</strong> Freude<br />
gemacht, viel lieber wäre er zum Schwimmtraining<br />
gegangen.<br />
Der Vater greift sich an den Kopf, dann schluckt<br />
er und fragt: „Was würdest du denn lieber tun?“<br />
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