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In die Ecke, Besen, Besen!
„Los! In den Papierkorb mit ihr!“, flüsterte Doris.
Ihre grünen Augen blitzten vor Schadenfreude und
die kurzen schwarzen Stachelhaare standen noch
stacheliger vom Kopf ab als sonst.
Brigitte – ein wenig kleiner als Doris, ein wenig
rundlicher und mit kinnlangen braunen Haaren
ohne Stacheln – nickte. Es war klar, wem das galt.
Solche Scherze trieb man nur mit dem Besen.
Der Besen war insgesamt lang und dünn, hatte
lange, dünne blonde Haare, eine lange, dünne blonde
Nase und hieß Sabine. Sabine Besendorfer. Ihr
Name erinnerte – wie auch ihre Figur – in fataler
Weise an ein längliches Kehrinstrument und hatte
Sabine den Spitznamen Besen eingebracht.
Bine stand allein neben ihrer Bank und kramte in
der Schultasche. Plötzlich wurde sie an Armen und
Beinen gepackt.
„In die Ecke, Besen, Besen!“, rief Doris und
grinste von einem Ohr zum anderen. „Bin neugierig,
was der Kugel sagt, wenn er seinen Liebling im
Papierkorb sitzen sieht!“
Der Kugel war der Mathematiklehrer. Er war von
ziemlich kugelartiger Gestalt, und da er ein männliches
Wesen war, hieß er der Kugel. Er war ein
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Meister der zynischen Bemerkung. Und er konnte
Bine nicht leiden.
Doris und Brigitte zerrten Bine in die rechte vordere
Ecke des Klassenzimmers, wo der große Metallpapierkorb
stand, und drückten sie hinein. Saß man
einmal in dem runden Metallkäfig fest, hatte man
keine Chance, sich aus eigener Kraft zu befreien.
Bine senkte den Kopf. Die dünnen, langen Haare
fielen wie ein Vorhang über ihr Gesicht.
Es läutete. Die Pause war zu Ende. In der Klasse
war es heiß wie in einem Treibhaus. Höchste Zeit,
dass die Ferien kamen.
Der Kugel betrat die Klasse. Klein, kugelig und
kurzatmig.
„Hier kann man ja Bananen züchten“, sagte er
und wischte sich den Schweiß von der Stirn.
Er ging zum Lehrertisch, setzte sich, trug ins
Klassenbuch ein. Die gespannte Stille kam ihm verdächtig
vor.
Er drehte seinen Kopf im Zeitlupentempo um,
sah Bine im Papierkorb sitzen.
Zwei lange Sekunden schaute er sie schweigend
an, dann murmelte er: „Helft ihr heraus!“
Er drehte sich zum Fenster.
„Ich will gar nicht wissen, wer es gewesen ist“,
sagte er, nun wieder in seiner gewohnten Lautstärke.
„Offensichtlich hat euch die Sonne das Hirn verbrannt.“
Brigitte und Doris schlichen auf Zehenspitzen
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zum Papierkorb. Doris hielt ihn fest, Brigitte griff
Sabine unter die Arme und zog sie hoch.
Erst als der Kugel hörte, dass der Befreiungsakt
vollendet war, drehte er sich wieder um. Er erwähnte
den Vorfall mit keinem weiteren Wort. Doch es
schien Sabine, als sei er noch nie zuvor so freundlich
zu ihr gewesen.
Das Schultor spuckte haufenweise Kinder aus. Da
und dort bildeten sich Gruppen, die auf dem Weg
nach Hause tratschten und lachten.
Bine ging allein.
„Das mit dem Papierkorb war nicht so schlimm“,
dachte sie.
Zumindest versuchte sie es sich einzureden. Aber
es gelang nicht. Es tat weh.
Schon am Schulanfang, als sie in die neue Klasse
gekommen war, hatte sie die Ablehnung gespürt,
die ihr die anderen entgegenbrachten. Sabine, der
Eindringling. Sabine, die die Klassengemeinschaft
störte. Die allein in einer Bank saß, wegen der ungeraden
Schülerzahl. Bine Besen, die den anderen
zu still war, zu ungeschickt und langweilig. Die sich
alles gefallen ließ.
So war sich die Klasse einig, Bine entweder nicht
zu beachten oder als Zielscheibe ihrer Späße zu benutzen.
Vieles war anders geworden, seit die Familie nach
Mitterbach gezogen war.
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Herr Besendorfer war früher Vertreter einer
großen Möbelfabrik gewesen und daher geschäftlich
viel auf Reisen. Immer schon hatte er davon gesprochen,
sich eines Tages selbstständig zu machen
und „sesshaft“ zu werden.
Als in Mitterbach die Besitzerin eines Möbelgeschäfts
in Pension ging und das Geschäft zum Kauf
anbot, hatte Herr Besendorfer darin die Chance
seines Lebens gesehen.
So war die Familie im vergangenen Sommer übersiedelt.
Gegen den Willen von Frau Besendorfer,
die das Leben in der Stadt nicht aufgeben mochte.
Herr Besendorfer hatte sich kopfüber in die
Arbeit gestürzt und war nicht mehr daraus aufgetaucht.
Nie hatte er Zeit, immer ging das Geschäft
vor, und außerdem war er die ganze Zeit hochprozentig
nervös, worauf Frau Besendorfer mit doppelt
gebrannter Ärgerlichkeit reagierte. Immer häufiger
kam es zu Streitereien.
Bine hatte noch nie mit jemandem darüber gesprochen.
Mit den Eltern konnte sie nicht und eine
Freundin hatte sie nicht.
Manchmal sprach sie mit den Pferden.
Wenn die draußen in der Koppel standen, an der
Bine täglich auf dem Schulweg vorbeikam. Auch
heute blieb sie am Zaun stehen und beobachtete
die Tiere.
Zwischen ihnen herrschte eine strenge Rangordnung.
Nummer eins war unbestritten die schwarze Stute
mit kurz geschnittener, frech aufgestellter Mähne.
Nummer zwei das langmähnige braune Pony. Den
letzten Platz in der Ordnung hatte die Schimmelstute.
Als sie Bine sah, kam sie näher an den Zaun.
Die schwarze Stute schnaubte und markierte
einen schnellen Angriff. Da wich die Schimmelstute
sofort zurück.
„Dir geht es so ähnlich wie mir“, sagte Bine.
Herr Besendorfer saß im Büro. Er blickte kurz auf,
als er Bine kommen hörte, nickte ihr zu. Dann
beugte er sich wieder über seine Rechnungen.
Bine ging durchs Geschäft und die Treppe hinauf
in den ersten Stock. Unmittelbar hinter dem
Stiegenhaus befand sich eine Halle, in der Polstermöbel
standen. Linker Hand war eine Glastür, die
die Wohnung von den Geschäftsräumen abtrennte.
Anfangs hatte Bine sich immer gefürchtet, wenn
sie abends allein nach Hause kam. Sie stellte sich
vor, dass in der dunklen Möbelhalle, zwischen den
Betten und Sofas, jemand ihr auflauerte. Ein Einbrecher.
Oder ein Mörder.
Sie schimpfte sich selbst eine dumme Kuh, wusste,
dass ihre Angst unbegründet war. Trotzdem war sie
dieses unheimliche Gefühl nie ganz los geworden.
Donnerstag Nachmittag war das Geschäft geschlossen.
Da traf sich Frau Besendorfer mit ihren
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Bekannten im Kaffeehaus. Das Essen hatte sie warm
gestellt.
Bine nahm den Topf aus dem Backrohr, legte
Fleisch, Gemüse und Erdäpfel auf einen Teller. Sie
aß langsam, las nebenbei die Zeitung.
Jeden Tag dasselbe, dachte sie: Kriege, Katastrophen,
Umweltverschmutzung, Wirtschaftskrise. In
so einer Welt muss man deprimiert sein.
Die neue Nummer der Jugendzeitschrift, die
Bine abonniert hatte, war auch gekommen. Mit
einem großformatigen Poster: ein weißes Pferd in
einer verschwommenen grünen Landschaft.
Es erinnerte Bine an ihren „Kindheits-Prinzessinnen-Traum“,
wo sie in einem Märchenschloss
wohnte und auf einem weißen Pferd durch eine
duftende grüne Landschaft ritt.
Sie heftete das Poster mit Reißnägeln an die Wand
in ihrem Zimmer. Zu den anderen Pferdepostern.
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Pferdeflöhe im Ohr
Helene Besendorfer löffelte ihren Eiskaffe aus. Angenehm
war es hier im Cafégarten unter der rot gestreiften
Markise. In großen Pflanzkübeln standen
blühende Oleander, weiß und rosa. Es war fast wie
in Italien.
Sie strich eine blonde Haarsträhne aus der Stirn
und zupfte ihr nilgrünes Leinenkleid zurecht. Das
spannte ein wenig. Aber es war kein Wunder, dass
sie zugenommen hatte. In diesem langweiligen
Dorf, das sich Stadt nannte.
„Ja, so ist das bei uns“, seufzte Frau Besendorfer
und sandte aus halb geschlossenen Augen einen
Mein-Gott-wie-bin-ich-arm-Blick zu Frau Schütz,
die ihr gegenüber saß.
„Mit meinem Mann kann ich kein vernünftiges
Wort mehr reden. Ich hab ein paar Mal versucht,
das Thema Urlaub anzuschneiden, aber er hört mir
gar nicht zu. Als ob das Geschäft zusammenstürzen
würde, wenn er ein paar Tage nicht da ist. Wenn ich
gewusst hätte, was auf uns zukommt – ich hätte nie
eingewilligt, dass er das Geschäft kauft.“
Sie lehnte sich zurück und seufzte.
„In der Stadt konnte ich wenigstens etwas unternehmen.
Ausstellungen besuchen. Ins Theater gehen.
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Ins Kino. Oder in ein nettes Lokal. Aber hier ist ja
nichts los. Und – ich bin das ständige Zusammenpicken
mit meinem Mann nicht gewohnt. Bine geht mir
auch auf die Nerven. Dauernd hockt sie in ihrem Zimmer
oder schleicht im Geschäft herum, will mir angeblich
helfen und macht mich ganz nervös. Sie hängt
an meinem Schürzenbandel wie ein kleines Kind.“
„Ich hab schon oft zu Brigitte gesagt, sie soll sich
ein bisschen um Sabine kümmern. Aber irgendwie
hat es nicht geklappt“, sagte Frau Schütz.
„Am liebsten würde ich sie in den Ferien irgendwohin
schicken, wo sie mit anderen Kindern zusammen
ist. Ich hab nur keine Ahnung, wohin“,
sagte Frau Besendorfer.
„Was tut Bine denn gern?“
Frau Besendorfer zuckte die Achseln. „Wenn
ich das wüsste! Ich glaube, gar nichts. Was macht
Brigitte in den Ferien?“
„Die fährt zu einem Reitkurs. Zusammen mit
Doris. Die zwei waren schon voriges Jahr dort. Na,
was soll ich Ihnen sagen? Ich glaub’, alle dreizehnjährigen
Mädchen sind Pferdenarren. Brigitte hat
die Wände in ihrem Zimmer mit Pferdepostern regelrecht
tapeziert. Nicht einmal eine Fliege findet
mehr ein weißes Fleckchen.“
„Pferdeposter sammelt Bine auch. Aber das hab
ich nicht so wichtig genommen.“
„Übrigens – die Eltern von Doris fahren nach
Hongkong und Bangkok“, sagte Frau Schütz und
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wollte eben zu einer längeren mündlichen Klatschspalte
ansetzen.
In dem Moment kam Bine in den Cafégarten.
Frau Besendorfer seufzte. Wie das Kind wieder
aussah! Diese dünnen fettigen Haare! Und dieses
mausgraue T- Shirt!
„Mama, du sollst gleich nach Hause kommen“,
sagte Bine hastig, „der Papa…“
„Sag zuerst einmal guten Tag“, unterbrach Frau
Besendorfer. Dieses Kind würde nie die primitivsten
Regeln der Höflichkeit lernen.
„Guten Tag, Frau Schütz!“
„Guten Tag, Sabine. Wie geht’s dir?“
„Danke gut.“
„Nuschel nicht so!“ Frau Besendorfer war ärgerlich.
Und fuhr dann – ziemlich schnippisch – fort:
„Der Papa will, dass ich nach Hause komme, weil
eine Möbellieferung gekommen ist. Stimmt’s?“ Sie
wartete Bines Antwort gar nicht ab. „Dabei hab’ ich
ihm schon hundertmal gesagt, dass diese blöden
Lieferanten zu den normalen Geschäftszeiten kommen
sollen und nicht am Donnerstag Nachmittag,
wenn die Möbelpacker frei haben. Der Papa soll die
Lieferung allein entgegennehmen.“
„Aber…“
„Kein Aber“, sagte Frau Besendorfer.
Bine drehte sich um.
„Man sagt Auf Wiedersehen, wenn man geht!“,
rief ihr Frau Besendorfer nach.
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Herr Besendorfer war wütend. „Das ist immer
dasselbe mit Helene. Wenn ich sie brauche, ist sie
nicht da.“
„Aber…“
„Ich weiß“, sagte Herr Besendorfer, „du hältst
immer zu ihr. Ganz egal, was sie tut.“
In der Hofeinfahrt standen Küchenmöbel.
Herr Besendorfer riss die Verpackung eines
Schranks auf, prüfte, ob er unbeschädigt war.
„Pack an!“, sagte er zu Bine.
Sie hoben den Schrank in die Höhe. Er roch nach
Lack und Imprägnierungsmitteln. Bine mochte den
Geruch nicht. Ihr wurde jedes Mal leicht schwindlig,
wenn sie in die Möbelhalle ging.
Der Schrank war schwer. Bines Arme wurden
immer länger. Keuchend ging sie ein paar Schritte.
Doch plötzlich rutschte ihr der Schrank aus den
Händen und plumpste dumpf auf den Betonboden.
„Bist du wahnsinnig?“, rief Herr Besendorfer.
Er ging mit gespreizten Augen um den Schrank
herum. Die Unterkante war abgeschlagen.
„Verdammt noch einmal!“, sagte er wütend. „Dir
kann man wirklich nichts anschaffen.“
Bine stand mit hängenden Armen da.
Herr Besendorfer schaute sich um wie ein lauernder
Raubvogel. Ob der Spediteur die Sache mitgekriegt
hatte? Aber der war im Laderaum des Lastwagens
und hatte nichts gesehen.
„Hören Sie“, sagte Herr Besendorfer, „den
Schrank da müssen Sie zurücknehmen. Ich verstehe
nicht, wieso Sie beschädigte Ware überhaupt ausliefern.“
Bine starrte ihren Vater mit weit aufgerissenen
Augen an.
Für kurze Zeit stand sie da, als hätte sie Wurzeln
geschlagen, dann riss sie sich los und rannte in ihr
Zimmer. Sie warf sich aufs Bett und heulte. Mein
Vater ist ein Betrüger, dachte sie.
Als Frau Besendorfer ins Zimmer kam, setzte sich
Bine mit einem Ruck auf. Die Mutter sollte nicht
merken, dass sie geweint hatte.
Frau Besendorfer betrachtete die Pferdeposter an
den Wänden und sagte betont jovial: „Du magst
Pferde, nicht wahr?“
Bine nickte. Hatte die Mutter das noch nie bemerkt?
„Würdest du gern reiten lernen?“
Bine schaute sie erstaunt an. „Reiten? Ich?“
„Ja, du!“ Helene Besendorfer seufzte. Dieses Kind
war so langsam und schwerfällig.
Bine konnte es nicht glauben. Sie sollte reiten
lernen? Ihr Traum – so unwirklich wie das Kindheits-
Prinzessinnen-Märchenschloss – sollte Wirklichkeit
werden? Sie war doch so ungeschickt. In Turnen
hatte sie einen Dreier. Und das war die schlechteste
Note, die die Turnlehrerin überhaupt gab.
„Ich…“, sagte Bine, „ich glaub nicht, dass ich das
kann.“
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„Du liebe Güte!“, dachte Frau Besendorfer. „Dieses
Kind macht mich wahnsinnig mit seinen Selbstzweifeln
und Minderwertigkeitsgefühlen.“
„Ja, warum sollst du das nicht können!“, sagte sie.
„Sei nicht so dumm, Bine. Du traust dir viel zu wenig
zu. Manchmal hab ich das Gefühl, du denkst,
das Leben sei nur etwas für andere, aber nichts für
dich.“
Bine schwieg.
„Hör zu: Du könntest in den Ferien zu einem
Reitkurs fahren. Schon nächste Woche…“
„Reitkurs?“, sagte Herr Besendorfer entsetzt.
Er war soeben ins Zimmer gestapft und an seinem
Gesicht war unschwer abzulesen, dass er sich
immer noch maßlos ärgerte.
„Ich glaub, ich hör nicht recht. Reiten! Ausgerechnet
Bine! Wenn sie sich dabei so ungeschickt anstellt
wie beim Möbel Abladen, dann gute Nacht.“
„Hast du sie schon wieder gezwungen, diese
schweren Möbel zu schleppen!“, fauchte Frau Besendorfer
ihn an „Du nützt das Kind aus!“
„Ach ja“, sagte er spöttisch. „Wenn du hier gewesen
wärst, hätte ich das nicht tun müssen. Sie war
sowieso keine Hilfe. Nach zwei Sekunden war der
Schrank beschädigt und dann ist sie davongerannt.
Und das nennst du ausnützen.“
Er war jetzt ganz schön in Fahrt.
„Und überhaupt, es wäre gescheiter, du würdest
mir helfen, wenn ich dich brauche, und nicht im
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Kaffeehaus herumflanieren und dir Pferdeflöhe ins
Ohr setzen lassen. Reiten – so was Blödes! Kommt
nicht in Frage!“
Helene Besendorfers Stimmung glich einer brodelnden
Suppe.
„Du möchtest am liebsten alles verhindern,
Robert. Das ist die Hauptrolle, die du in der Familie
spielst. Du gönnst dir selber nichts und den
anderen schon gar nichts. Gibt es noch etwas anderes,
was in deinen Kopf hineingeht außer Kasten,
Betten, Wohnlandschaften und Teppichen? Und
natürlich Zahlen! Soll, Haben und Saldo! Einnahmen,
Ausgaben, vor allem aber Gewinn. Du siehst
nichts anderes als Geschäft, du denkst nichts anderes
als Geschäft, du riechst und spürst wahrscheinlich
nichts anderes mehr. Sabine fährt zu diesem
Reitkurs und Schluss!“
Robert Besendorfer war sprachlos. Im wahrsten
Sinn des Wortes.
„Ich werde hier wohl überhaupt nicht mehr gefragt“,
sagte er nach einer ziemlichen Weile.
„Wenn man dich etwas fragt, kriegt man sowieso
nur eine blöde Antwort.“
Da Herr Besendorfer schon beleidigt war, brauchte
er auf diese neue Beleidigung nicht zu reagieren.
„Was kostet der Spaß?“, fragte er.
Frau Besendorfer verdrehte die Augen. „Du wirst
deswegen nicht verhungern, sei unbesorgt.“
„Helene, wir haben Schulden!“
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„Das weiß ich. Aber du musst sie nicht übermorgen
abgezahlt haben. Und auf alles wird man
hoffentlich trotz Schulden nicht verzichten müssen!
Andere fahren nach Hongkong und Bangkok und
was weiß ich wohin.“
„Wie ich dich kenne, wirst du Bine gleich eine
teure Reitausrüstung kaufen“, sagte Herr Besendorfer.
„Du hast ihr ja schon allen möglichen Blödsinn
gekauft. Die Schlittschuhe zum Beispiel. Dann
ist sie drei Mal Eis laufen gegangen, und nachher
hat sie sie nie wieder angerührt. Von der Schiausrüstung
will ich gar nicht reden. Sündteuer. Und
was war dann? Das Fräulein ist vor dem Schikurs
krank geworden und die Schiausrüstung war für die
Katz.“
Bine senkte den Kopf. „Sie sollen aufhören“,
dachte sie, „sie sollen endlich aufhören.“
„Ich werde ihr keine teure Reitausrüstung kaufen“,
sagte Frau Besendorfer. „Jeans und Turnschuhe
tun’s für den Anfang auch. Und eine Reitkappe
kann man sich dort ausborgen.“
„Und wenn Bine vom Pferd fällt? Und sich verletzt?
Übernimmst du dann die Verantwortung?“
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Viel zu schade für den Toni
Frau Altmann ritt im Schritt neben ihrer Tochter
Inge. Eben waren sie durch eine Schneise im
Föhrenwald galoppiert.
Die beiden Pferde hatten ein ziemlich schnelles
Tempo angeschlagen und Frau Altmann war ganz
schön ins Schwitzen geraten.
„Man ist halt nicht mehr die Jüngste“, sagte sie –
halb lächelnd und halb wehmütig.
„Aber geh“, sagte Inge beschwichtigend. „Du
machst immer noch eine ganz gute Figur auf dem
Pferd.“
Die beiden Pferde gingen friedlich nebeneinander.
Auch ihnen tat die Verschnaufpause gut.
„Das ist unser letzter Ausritt vor dem Feriensturm“,
sagte Inge.
Frau Altmann nickte.
„Willst du wirklich dem Toni die Anfänger überlassen?“
fragte sie nach einer Weile.
Inge seufzte. „Fängst du schon wieder damit an?
Das haben wir doch oft genug besprochen. Ich hab
voriges Jahr mit den Anfängern gearbeitet und heuer
möchte ich mit ihnen weitermachen, sie für den
Reiterpaß vorbereiten.“ Und nach einer Weile: „Du
magst den Toni nicht, stimmt’s?“
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Frau Altmann schwieg. Sie mochte den Toni
wirklich nicht. Sie verstand nicht, was für einen
Narren Inge an dem Mann gefressen hatte.
„Toni ist ein ausgezeichneter Reiter“, sagte Inge
nach einer Weile. „Und er hat eine ganze Menge
Prüfungen!“
„Jaja, ich weiß“, sagte Frau Altmann. „Ich denke
nur, dass die Anfänger bei dir besser aufgehoben
wären. Toni hat keine Erfahrung beim Unterrichten.“
„Jeder, der Anfänger unterrichtet, muss einmal
anfangen, Anfänger zu unterrichten.“
„Am liebsten würde ich selbst die Anfänger nehmen“,
seufzte Frau Altmann.
„Was denn nicht noch alles?“, sagte Inge. „Du
hast wirklich genug zu tun. Die Organisation, die
Einteilung der Reitstunden, Büroarbeit, Tierarzt,
Hufschmied, Futter bestellen – für die Kinder und
die Pferde. Ganz zu schweigen von den Behinderten.
Da leistest du wirklich Großartiges.“
Vor zwei Jahren hatte Frau Altmann mit der
Hippotherapie begonnen, dem Reiten als Hilfe für
behinderte Kinder. Dafür war eine Zusatzausbildung
erforderlich gewesen.
Man musste genau Bescheid wissen, wie sich das
Reiten auf die Krankheit der Kinder auswirkte. Das
Pferd diente den Kindern als Turngerät.
Wenn sie erst einmal die Angst vor dem großen
Tier überwunden hatten, fassten sie Zutrauen
zu ihrem Pferd und gewannen es lieb. Das Pferd
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