Leseprobe: Der Karatehamster ... hisst die Segel!
Leseprobe zu Tina Zang: Der Karatehamster ... hisst die Segel! Leseprobe zu Tina Zang: Der Karatehamster ... hisst die Segel!
WENN ES SCHNEIT, SIND WIR BEREIT! „Schneit es schon?“, fragte Chan bestimmt schon zum hundertsten Mal in dieser Nacht. Ich war auf seine Bitte hin durch ein Loch in der Abdeckung aus unserem Glaskäfig geklettert und hatte mich aufs Fensterbrett gehangelt, um durch einen Spalt im Rollladen nach draußen zu spähen. Der Vorgarten der Familie Yusumi lag im Schein einer Straßenlaterne, so dass ich deutlich sehen konnte, dass absolut nichts los war. Der Vogelfutterspender, der an einem kargen Baum hing, schwankte leicht hin und her. Auf dem Gehweg kam ein Mann vorbei. Er trug eine dicke Jacke und eine Mütze mit einem Bommel darauf und führte einen Schäferhund an der Leine. Der Hund schnüffelte am Gartenzaun und hob ein Hinterbein, um sich zu erleichtern. Endlich gab es etwas zu berichten. „Es schneit zwar nicht, aber es pisst“, sagte ich. „Heißt das, dass es regnet?“, fragte Chan. „Nein, es heißt, dass ein Hund an unseren Gartenzaun pinkelt.“ „So eine Frechheit“, regte Lee sich auf. 7
- Seite 2 und 3: Während wir drei Hamster putzmunte
- Seite 4 und 5: „Das ist völlig unmöglich“, e
- Seite 6 und 7: etwa?“ Er kletterte die Rampe zur
- Seite 8 und 9: „Bestimmt ist ihm langweilig“,
- Seite 10 und 11: Aber ich erntete dafür kein Lob, i
- Seite 12 und 13: „Ich weigere mich, auf Kitsch zu
- Seite 14 und 15: ständig zu fragen, ob es schon sch
- Seite 16: „Hoffentlich überlebe ich das“
WENN ES SCHNEIT,<br />
SIND WIR BEREIT!<br />
„Schneit es schon?“, fragte Chan bestimmt schon<br />
zum hundertsten Mal in <strong>die</strong>ser Nacht. Ich war auf<br />
seine Bitte hin durch ein Loch in der Abdeckung<br />
aus unserem Glaskäfig geklettert und hatte mich<br />
aufs Fensterbrett gehangelt, um durch einen Spalt im<br />
Rollladen nach draußen zu spähen. <strong>Der</strong> Vorgarten der<br />
Familie Yusumi lag im Schein einer Straßenlaterne,<br />
so dass ich deutlich sehen konnte, dass absolut nichts<br />
los war. <strong>Der</strong> Vogelfutterspender, der an einem kargen<br />
Baum hing, schwankte leicht hin und her. Auf dem<br />
Gehweg kam ein Mann vorbei. Er trug eine dicke<br />
Jacke und eine Mütze mit einem Bommel darauf und<br />
führte einen Schäferhund an der Leine. <strong>Der</strong> Hund<br />
schnüffelte am Gartenzaun und hob ein Hinterbein,<br />
um sich zu erleichtern.<br />
Endlich gab es etwas zu berichten. „Es schneit zwar<br />
nicht, aber es pisst“, sagte ich.<br />
„Heißt das, dass es regnet?“, fragte Chan.<br />
„Nein, es heißt, dass ein Hund an unseren Gartenzaun<br />
pinkelt.“<br />
„So eine Frechheit“, regte Lee sich auf.<br />
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Während wir drei Hamster putzmunter waren,<br />
schlief unsere Besitzerin Kira tief und fest. Sie hatte<br />
es gut. Sie durfte am nächsten Tag in <strong>die</strong> Schule gehen,<br />
während Chan, Lee und ich seit Wochen Tag für<br />
Tag und Nacht für Nacht in der Einstreu hockten und<br />
das wahre Leben verpassten. Es war so öde, dass sogar<br />
ein pinkelnder Hund eine Abwechslung darstellte.<br />
Im Herbst, als es draußen von Tag zu Tag kälter<br />
wurde, hatte Kira uns zu Ausflügen mitgenommen,<br />
indem sie uns in Wollbeutel steckte. Doch jetzt war<br />
es noch kälter und <strong>die</strong> Wollbeutel schützten uns nicht<br />
mehr genug. <strong>Der</strong> Winter ist also eine Jahreszeit, <strong>die</strong><br />
Hamster nur von drinnen erleben dürfen. Hoffentlich<br />
dauerte <strong>die</strong>ser doofe Winter nicht zu lange, denn ich<br />
sehnte mich nach den warmen Sommermonaten! Ich<br />
wollte endlich wieder auf Jans Schulter sitzen und<br />
Abenteuer erleben.<br />
Jan ist Kiras Freund, mit dem sie gemeinsam<br />
Fälle löst. Jan ist auch mein Freund, deswegen darf<br />
ich immer mit dabei sein, wenn <strong>die</strong> beiden Spuren<br />
verfolgen. Den letzten Fall mussten Kira und ich<br />
allerdings ohne Jan lösen, weil er im Reiturlaub war.<br />
Als Jan zurückkam, hatte Kira ihn gebeten, eine<br />
beheizbare Transportbox für Chan, Lee und mich<br />
zu bauen, doch bis jetzt hatte ich davon noch nichts<br />
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gesehen. Und erwähnt hatten er und Kira <strong>die</strong> Box<br />
auch nicht mehr. Da Menschen <strong>die</strong> Hamstersprache<br />
nicht verstehen, konnte ich sie nicht danach fragen.<br />
Es war zum Verrücktwerden!<br />
„Schneit es schon?“, fragte Chan.<br />
„Nein“, antwortete ich. „Keine einzige Flocke.<br />
Warum bist du überhaupt so auf Schnee erpicht? Wir<br />
dürfen sowieso nicht raus.“<br />
„Das macht nichts. Mir würde schon der Anblick<br />
reichen“, sagte Chan. „Schnee ist wunderschön. So<br />
weiß und rein.“<br />
Wir kannten Schnee bisher nur aus dem Fernsehen.<br />
Ich muss gestehen: Ich war auch ziemlich neugierig,<br />
wie <strong>die</strong> Straße und der Vorgarten aussahen, wenn sie<br />
verschneit waren. Aber der Anblick allein würde mir<br />
nicht reichen. Ich wollte unbedingt wissen, wie sich<br />
Schnee anfühlt. Und am allerliebsten würde ich eine<br />
Schneeballschlacht machen. Aber vermutlich würden<br />
mir dabei <strong>die</strong> Pfoten abfrieren, und dann könnte ich<br />
nicht mehr Karate trainieren. Wintersport oder Karate<br />
– beides gleichzeitig geht nicht. Man muss im<br />
Leben eine Menge Opfer bringen.<br />
„Wieso gibt es im Sommer keinen Schnee?“,<br />
schimpfte ich. „Schönen, warmen Sommerschnee!<br />
Das wäre praktisch.“<br />
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„Das ist völlig unmöglich“, erklärte Lee, der auf<br />
seinem Polster hockte und sich fürs Wetter überhaupt<br />
nicht interessierte. Trotzdem wusste er mehr darüber<br />
als Chan und ich zusammen. „Wasser wird erst bei<br />
Minusgraden zu Schnee.“<br />
Ich sah vom Fensterbrett zu ihm hinunter. „Was<br />
sind Minusgrade?“, wollte ich wissen.<br />
Lee glotzte zu mir hoch. „Das sind Temperaturen<br />
unter dem Gefrierpunkt.“<br />
„Und was ist der Gefrierpunkt?“<br />
Lee seufzte, als wäre ihm meine Fragerei lästig,<br />
dabei wusste ich, wie gern er mit seinem Wissen<br />
prahlte. „<strong>Der</strong> Gefrierpunkt liegt bei 0° Celsius“, sagte<br />
er. „Das ist <strong>die</strong> Temperatur, bei der Wasser fest wird,<br />
also zu Eis.“<br />
„Ui!“ Chan klatschte begeistert in <strong>die</strong> Vorderpfoten.<br />
„Vanille-Eis oder Schoko-Eis?“<br />
„Völlig langweiliges, geschmackloses, eiskaltes<br />
Wasser-Eis“, antwortete Lee. „Das kann man nicht<br />
mal abschlecken, weil <strong>die</strong> Zunge daran festfrieren<br />
würde.“<br />
Chan riss <strong>die</strong> Augen auf. „Das wäre das Schlimmste,<br />
was mir passieren könnte. Wenn meine Zunge<br />
festgefroren wäre, könnte ich nichts mehr essen und<br />
müsste jämmerlich verhungern. Wer hätte gedacht,<br />
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dass Minusgrade so gefährlich sind. Oi oi oi.“ Chan<br />
kann sich nie lange aufregen. Sekunden später hatte<br />
er sich beruhigt und fragte sehnsüchtig: „Neo, schneit<br />
es schon?“<br />
„Nein. Und mir reicht <strong>die</strong> Warterei jetzt.“ Ich<br />
sprang durch eines der Löcher in der Abdeckung in<br />
den Käfig zurück.<br />
Lee schlug vor: „Wie wäre es, wenn wir Schnee<br />
spielen?“ Er hat immer <strong>die</strong> seltsamsten Einfälle.<br />
„Wie spielt man denn Schnee?“, fragte Chan. „So<br />
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etwa?“ Er kletterte <strong>die</strong> Rampe zur oberen Ebene<br />
hoch, rief: „Ich bin eine Flocke!“ und hüpfte hinunter.<br />
Es rumste gewaltig, der Glaskäfig bebte und mein<br />
Laufrad kippte beinahe um. Ein Wunder, dass Kira<br />
von dem Radau nicht aufwachte.<br />
„Das war keine Flocke“, stellte Lee fest, „sondern<br />
eine ganze Lawine.“ Er erhob sich, dehnte sich<br />
langsam und ging nach oben. Dort nahm er etwas<br />
Einstreu zwischen <strong>die</strong> Vorderpfoten, stellte sich auf<br />
<strong>die</strong> Hinterpfoten und ließ <strong>die</strong> Streu mit reibenden<br />
Bewegungen nach und nach fallen. „Leise rieselt der<br />
Schnee“, sang er dabei. Seit ein paar Wochen kamen<br />
im Fernsehen immer öfter Weihnachtslieder und Lee<br />
konnte sie inzwischen alle auswendig.<br />
Da ich keine Lust hatte, Schnee zu spielen, sprang<br />
ich in mein Laufrad und spurtete los. Doch ich kam<br />
anfangs nur ruckelnd voran, denn Lee begann wieder<br />
zu singen und von seinen schiefen Tönen rollten sich<br />
mir <strong>die</strong> Krallen auf.<br />
„Ihr Kinderlein, kommet, oh kommet doch all. Zur<br />
Krippe her kommet in Bethlehems Stall“, grölte Lee<br />
und warf dabei unentwegt Streu von der oberen auf<br />
<strong>die</strong> untere Ebene.<br />
Chan stand unten und ließ sich berieseln. Bald<br />
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waren von ihm nur noch <strong>die</strong> Ohren zu sehen. Er hob<br />
den Kopf aus dem Streuhaufen, der ein Schneeberg<br />
sein sollte, und fragte: „Wieso muss man zur Grippe<br />
kommen? Ich dachte immer, es wäre umgekehrt, und<br />
<strong>die</strong> Krankheiten kämen von selbst zu einem.“<br />
„Es heißt nicht Grippe, sondern Krippe“, sagte Lee<br />
und fegte mit den Hinterpfoten <strong>die</strong> restliche Streu<br />
nach unten. „In der Krippe liegt das Jesuskind. Die<br />
Heiligen Drei Könige bringen ihm Gold, Weihrauch<br />
und Myrrhe. Und darum feiern <strong>die</strong> Menschen Weihnachten<br />
und geben sich Geschenke.“<br />
Chan schüttelte sich, bis sein Fell streufrei war.<br />
„Aber nur, wenn der Schnee leise rieselt, oder?“<br />
Ich lief inzwischen auf Hochtouren, doch da wurde<br />
das Laufrad jäh abgebremst. Ich hatte noch so viel<br />
Schwung, dass ich mich zweimal überschlug. Als<br />
ich mich aufrichtete, sah ich, dass Chan sich von<br />
außen gegen das Laufrad gedrückt hatte. „He, Neo,<br />
schneit es schon?“<br />
Ich stolperte aus dem Laufrad und legte mich<br />
platt hin. So konnte es nicht weitergehen. Noch eine<br />
Nacht, in der Lee sang und Chan mich ständig nach<br />
Schnee fragte, und ich würde durchdrehen wie ein<br />
ausgeleiertes Laufrad.<br />
„Was hast du?“, erkundigte sich Chan.<br />
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„Bestimmt ist ihm langweilig“, meinte Lee. „He,<br />
Neo, wie wäre es, wenn wir zu dritt ein Weihnachtslied<br />
singen? Schneeflöckchen, Weißröckchen, bald<br />
kommst du geschneit. Du wohnst in den Wolken, dein<br />
Weg ist so weit.“<br />
Chan sang nach ein paar Takten lauthals mit.<br />
Ich rappelte mich auf, lief <strong>die</strong> Rampe hoch, hangelte<br />
mich am Netz bis zum oberen Rand und kletterte<br />
durch ein Loch. Dann ging ich hinüber zu der Seite,<br />
wo neben dem Käfig mein ferngesteuertes Flugzeug<br />
stand. Ich kletterte auf den Pilotensitz und fühlte<br />
mich sofort besser. „Gleich hebe ich ab“, rief ich.<br />
„Dann fliege ich immer höher, bis in <strong>die</strong> Wolken,<br />
und richte den Schneeflocken schöne Grüße von<br />
euch aus.“<br />
Lee und Chan hörten auf zu singen.<br />
„Au ja“, rief Chan. „Richte ihnen aus, dass ich sie<br />
sehnsüchtig erwarte.“<br />
„Geht nicht“, sagte Lee. „Neo kann nicht starten,<br />
<strong>die</strong> Landebahn ist vereist.“<br />
Ich ließ meine Schnauze auf den Steuerknüppel<br />
sinken und wünschte mir, ich wäre ein Schneeflöckchen.<br />
Dann würde ich in den Wolken wohnen, weit<br />
weg von <strong>die</strong>sem blöden Spielverderber.<br />
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WICHTELN MIT SCHROTT<br />
MACHT HAMSTER FLOTT<br />
Bevor wir uns am nächsten Morgen in unsere Schlafhäuser<br />
verkrümelten, trug Chan mir auf, ihn unbedingt<br />
zu wecken, sobald ich auch nur <strong>die</strong> kleinste<br />
Schneeflocke sah.<br />
Und Lee sagte: „Außerdem könntest du anfangen,<br />
Weihnachtslieder zu üben. Sonst blamierst du dich<br />
an Heiligabend bis auf <strong>die</strong> Knochen.“<br />
Ich hatte zwar überhaupt keine Lust auf Singen,<br />
aber blamieren wollte ich mich auf gar keinen Fall.<br />
Als ich am Nachmittag aufwachte – wie fast immer<br />
als Erster von uns dreien – machte ich mich nach<br />
einer kleinen Stärkung und einigen Dehnübungen<br />
sofort ans Werk, beide Aufträge zu erfüllen. Ich kletterte<br />
aufs Fensterbrett, hielt nach Schnee Ausschau<br />
und sang dabei: „Schneeflöckchen, Weißröckchen,<br />
komm gefälligst geschneit.“ Ja, das passte. Und wie<br />
ging noch mal das andere Lied? „Ihr Hamsterlein<br />
kommet, oh kommet doch all. Zur Krippe her kommet.<br />
Lee hat einen Knall.“ Ha, das war toll! Wer<br />
hätte gedacht, dass Weihnachtslieder so viel Spaß<br />
machen können?<br />
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Aber ich erntete dafür kein Lob, im Gegenteil. Lee<br />
kam aus dem Schlafhaus gesaust und schimpfte:<br />
„Was sind das für Schmähgesänge?“<br />
Chan drückte sich hinter ihm durch <strong>die</strong> Öffnung.<br />
„Schneegesänge?“<br />
„Nein, Schmähgesänge. Neo hat mich beleidigt.“<br />
„Das sollte nicht gemein sein“, widersprach ich<br />
ihm, „sondern weihnachtlich.“<br />
„Komm sofort zurück, damit ich dich verdreschen<br />
kann“, befahl Lee.<br />
Das wollte ich sehen, denn Lee hatte noch nie<br />
jemanden verdroschen. Ich sprang in <strong>die</strong> Einstreu,<br />
rollte mich ab und baute mich vor Lee auf. „Mach<br />
doch.“<br />
„Du darfst aber nicht zurückschlagen“, sagte Lee<br />
wehleidig.<br />
„Großes Hamsterehrenwort“, versprach ich.<br />
Lee holte aus und stupste mir mit einer Pfote in<br />
den Bauch.<br />
„Uh, das kitzelt.“ Ich kicherte.<br />
Und ich war nicht der Einzige. Kira kam in dem<br />
Moment in ihr Zimmer und kicherte ebenfalls. „Das<br />
war zum Schießen!“<br />
Wieso fand sie es denn witzig, wenn Lee mich in<br />
den Bauch stupste? Ich drehte mich um und sah, dass<br />
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sie gar nicht uns meinte. Sie redete mit Jan, der breit<br />
grinsend hinter ihr ins Zimmer kam.<br />
„Ich habe ein Foto gemacht, als du es ausgepackt<br />
hast.“ Er holte sein Handy raus und zeigte Kira das<br />
Display, woraufhin sie noch lauter lachte.<br />
Jan steckte sein Handy wieder weg. „Man sollte<br />
nicht nur am Nikolaustag, sondern mindestens einmal<br />
im Monat in der Schule ein Schrottwichteln machen.“<br />
Kira stellte ihre Schultasche ab und holte etwas<br />
heraus.<br />
Lee, Chan und ich drückten uns <strong>die</strong> Näschen am<br />
Glas platt, um zu sehen, was es war: Ein kleines<br />
rosa Plastikpferd mit einer Mähne in allen Farben<br />
des Regenbogens. Auf der Stirn hatte das Pferd ein<br />
einzelnes Horn.<br />
„Ein Pferd mit Geweih?“, wunderte sich Chan.<br />
„Das ist ein Einhorn“, sagte Lee. „Totaler Kitsch.“<br />
Kira sah sich in ihrem Zimmer um. „Wo soll ich<br />
das hinstellen?“<br />
Jan meinte: „Wirf es doch einfach auf den Boden,<br />
wie du es mit allen anderen Sachen auch machst.“<br />
„Ha ha, sehr witzig“, sagte Kira, kicherte dabei<br />
aber überhaupt nicht. Sie hob <strong>die</strong> Abdeckung von<br />
unserem Käfig und stellte das Einhorn auf <strong>die</strong> obere<br />
Ebene. „Neo, magst du darauf reiten?“<br />
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„Ich weigere mich, auf Kitsch zu reiten“, sagte<br />
ich. „Ich reite nur auf Henriette!“ Henriette ist ein<br />
erstklassiges Reithuhn und im Gegensatz zu <strong>die</strong>sem<br />
rosa Hornpferd flauschig weich und lebendig.<br />
„Dieser Plastikmüll kommt mir nicht in den Käfig“,<br />
schimpfte Lee.<br />
„Das nimmt nur Platz weg. <strong>Der</strong> reinste Staubfänger“,<br />
beschwerte sich Chan.<br />
„Hm, scheint keine Begeisterung auszulösen“,<br />
meinte Jan und nahm das Einhorn wieder heraus.<br />
„Vielleicht gefällt ihnen ja das besser, was ich im<br />
Schrottwichteln gewonnen habe.“ Die beiden kamen<br />
wohl gerade aus der Schule, denn er hatte ebenfalls<br />
seine Schultasche dabei.<br />
Wieder drückten wir uns <strong>die</strong> Schnäuzchen platt. Er<br />
holte eine Art Mini-Aquarium heraus, das wie eine<br />
Halbkugel geformt war, <strong>die</strong> mit der platten Seite auf<br />
einem dicken Boden stand.<br />
In dem Mini-Aquarium war zwar Wasser, aber<br />
es gab keine Blubberfische, sondern einen auf dem<br />
Rücken liegenden weißen Bären. Er war kleiner als<br />
ein Hamster.<br />
„Ein Eisbärenaquarium?“, wunderte ich mich.<br />
„Schaut mal“, sagte Jan und schüttelte <strong>die</strong> Kugel.<br />
„Das ist eine Schneekugel.“<br />
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„Schnee!“, rief Chan<br />
sofort und trippelte <strong>die</strong><br />
Rampe hoch. „Her<br />
mit dem Schnee!“<br />
Tatsächlich flogen<br />
nach dem Schütteln<br />
in der Kugel weiße<br />
Flocken herum<br />
und landeten auf<br />
dem Eisbären.<br />
„Das ist wirklich<br />
totaler Schrott“, sagte<br />
Lee. „Ganz im Gegensatz zu <strong>die</strong>sem wundervollen<br />
Dekorationsgegenstand.“ Er stupste den Wackelbuddha<br />
an, den ich ihm einmal geschenkt hatte.<br />
Chan war da völlig anderer Meinung. „Neo, hilf<br />
mir mal“, rief er. „Ich muss unbedingt auf <strong>die</strong>se<br />
Kugel rauf.“<br />
Ich lief zu ihm, packte ihn unter seinem breiten<br />
Hintern und stemmte ihn hoch, bis er auf der Kugel<br />
lag. Er rutschte wieder ab und ich schob so lange, bis<br />
er eine stabile Lage gefunden hatte. Selig breitete er<br />
<strong>die</strong> Pfoten aus, als wollte er <strong>die</strong> Kugel umarmen. „Ein<br />
Schnee-Aquarium. Das gebe ich nie wieder her.“<br />
Prima. Nun würde er hoffentlich aufhören, mich<br />
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ständig zu fragen, ob es schon schneite. Aber ich hatte<br />
mich zu früh gefreut. Chan rutschte von der Kugel<br />
und sah hinein. „Oh, wieso schneit es nicht mehr?“<br />
„Jan hat <strong>die</strong> Kugel vorhin geschüttelt“, sagte ich.<br />
„Mal sehen, ob ich das auch hinbekomme.“ Ich lehnte<br />
mich dagegen und drückte und drückte, aber sie<br />
bewegte sich nicht. Dann hatte ich eine Idee. Wenn<br />
<strong>die</strong> Kugel auf der Wippe stünde, könnten Lee und ich<br />
sie hin und her schaukeln. Ich lief zur Wippe, dann<br />
zurück zur Kugel und schaute zu Jan hoch.<br />
„Ich glaube, Neo will, dass ich <strong>die</strong> Kugel auf <strong>die</strong><br />
Wippe stelle“, sagte Jan. Er ist wirklich ein kluger<br />
Junge. Ob seine Lehrer das wissen und ihm immer<br />
gute Noten geben? Von mir bekommt er jedenfalls<br />
<strong>die</strong> Bestnote.<br />
Jan stellte <strong>die</strong> Kugel auf <strong>die</strong> Wippe, ich setzte mich<br />
an ein Ende und rief Lee zu: „Komm her, wir lassen<br />
es schneien.“<br />
„Ich wippe nicht“, sagte Lee. „Davon wird mir<br />
schwindlig. Chan will Schnee, also soll er wippen.“<br />
„Liebend gerne“, sagte Chan. Er schaffte es aber<br />
nicht, sich hochzuhangeln.<br />
„Ich überlasse dir meinen Platz“, sagte ich und<br />
trippelte ein Stück nach vorne, damit er sich hinter<br />
mir auf das Ende der Wippe setzen konnte. Dann<br />
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kletterte ich über <strong>die</strong> Kugel zum anderen Ende. Die<br />
Wippe rührte sich nicht.<br />
„Tja, er wiegt nun mal so viel wie zwei Hamster“,<br />
feixte Lee. „Das wird nie etwas.“<br />
„Mach dich leichter“, sagte ich zu Chan. „Sonst<br />
funktioniert es nicht.“<br />
„Mach du dich doch schwerer“, rief er zurück.<br />
Ich sah zu Lee hinunter. „Wenn Chan so viel wiegt<br />
wie zwei Hamster, dann gibt es nur eine Möglichkeit.<br />
Du musst bei mir aufsteigen, damit wir auch so viel<br />
wiegen wie zwei Hamster.“<br />
„Nie im Leben.“<br />
„Na komm schon, das macht Spaß.“<br />
„Ich glaube dir kein Wort.“<br />
„Und es ist gut für <strong>die</strong> Gehirndurchblutung“, behauptete<br />
ich.<br />
„Echt?“ Lee sah mich zweifelnd an. „Nun, auf<br />
einen Versuch könnte ich es ankommen lassen.“<br />
Ich streckte ihm eine Pfote hin und half ihm, vor<br />
mir auf <strong>die</strong> Wippe zu steigen. Sofort ploppte unser<br />
Ende nach unten. Ich stieß mich mit den Hinterpfoten<br />
ab und Chans Ende ging runter. <strong>Der</strong> Schnee in der<br />
Kugel schwappte ein wenig.<br />
„Wir müssen schneller wippen“, sagte ich. „Sonst<br />
bringen wir kein Schneegestöber zustande.“<br />
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„Hoffentlich überlebe ich das“, jammerte Lee.<br />
Wir wippten immer schneller und schneller, der<br />
Schnee in der Kugel stieg auf und fiel auf den Eisbären.<br />
Chan juchzte: „Wipp wipp hurra!“<br />
Lee bekam einen erstklassigen Kreischanfall.<br />
Diese Schneekugel war wirklich ein Riesenspaß!<br />
Nach einer Weile kullerten Chan und Lee erschöpft<br />
von der Wippe. Chan juchzte leise weiter, Lee<br />
kreischte noch ein bisschen.<br />
Jan hob <strong>die</strong> Schneekugel von der Wippe und stellte<br />
sie daneben. „Nicht, dass sie runterrutscht, wenn<br />
niemand aufpasst, und einen der Hamster verletzt“,<br />
sagte er zu Kira. „Und jetzt muss ich heim.“ An der<br />
Tür drehte er sich um und sagte: „Ich komme morgen<br />
wieder und bringe eine Überraschung mit.“<br />
„Für mich?“, fragte Kira.<br />
„Für dich und <strong>die</strong> Hamster.“<br />
Nachdem er fort war, sagte ich zu Lee und Chan:<br />
„Wisst ihr was, das war das erste Mal, dass wir gemeinsam<br />
trainiert haben.“<br />
„Und das letzte Mal“, sagte Lee und robbte mit<br />
letzter Kraft zu seinem Polster. „Wir hätten uns lieber<br />
das kitschige Einhorn andrehen lassen sollen.“<br />
22