Leseprobe Romeo macht was er will
Leseprobe Romeo macht was er will Autorin Saskia Hula
Leseprobe Romeo macht was er will Autorin Saskia Hula
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Saskia Hula
Romeo macht
was er will
Saskia Hula
Romeo macht
was er will
mit Illustrationen
von Helga Demmer
Obelisk-Verlag
1.
Juliane ist sehr zufrieden.
Sie hat jetzt alles, was sie sich schon
immer gewünscht hat: einen prächtigen
schwarzen Kater, nämlich Romeo.
Eine liebevolle und wunderschöne
Katzenmutter, nämlich Kugelbauch.
Die hat zwar keinen Kugelbauch
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mehr, seit sie ihre Jungen bekommen
hat, aber sie heißt trotzdem noch so.
So leicht gewöhnt man sich schließlich
nicht um.
Außerdem hat Juliane – und das ist
das Allerbeste: ein Katzenbaby!
Ein wahnsinnig süßes, geflecktes,
verspieltes Katzenbaby, so süß wie
eben nur Katzenbabys sind.
Das Katzenbaby heißt Othello und
ist gerade alt genug, um die ersten
tapsigen Schritte in die Welt zu machen.
Soweit Mama Kugelbauch das erlaubt.
Wenn es nämlich zu gefährlich wird,
dann packt Mama Kugelbauch den
kleinen Othello einfach am Nacken und
trägt ihn zurück in sein Körbchen.
Da kann er maunzen, so viel er will.
Julianes Eltern sind nicht ganz so
zufrieden. Sie wollten eigentlich immer
nur ihre beiden Goldfische haben.
Die machen keinen Lärm und keinen
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Schmutz. Sie zerkratzen keine Polstermöbel
und legen keine toten Mäuse vor
die Tür.
Goldfische sind die idealen Haustiere,
finden Julianes Eltern.
Trotzdem müssen sie zugeben, dass
Romeo, Kugelbauch und Othello das
Leben aufregender machen.
Jeden Abend steigt Juliane über eine
schmale Treppe in ihr Dachzimmer.
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Kugelbauch und der kleine Othello
klettern hinter ihr her.
Romeo nimmt nicht die Treppe,
sondern den Kirschbaum.
Von dem aus kann man nämlich
genau auf Julianes Fensterbrett springen.
Dann schlüpft Juliane unter ihre Decke.
Kugelbauch rollt sich bei ihren Füßen
ein.
Othello hüpft über ihren Polster und
lässt sich neben Julianes Kopf nieder.
Er schmiegt sich an ihre Schulter und
bohrt seine kleine Nase gegen ihren Hals.
Romeo sitzt am Fenster und bewacht
es, damit niemand es irrtümlich
schließt.
Irgendjemand muss ja schließlich die
Mäuse ins Haus bringen!
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2.
Als Juliane am Freitag von der Schule
nach Hause kommt, steht ein riesiger
Möbelwagen vor dem Gartentor.
Die Mama kommt gerade aus dem
Haus.
„Bekommen wir neue Möbel?“, fragt
Juliane, aber die Mama schüttelt den
Kopf.
„Leider nein“, sagt sie. „Aber wir
bekommen neue Nachbarn.“
Das ist natürlich auch eine gute
Nachricht.
Seit der alte Herr Wandruschka gestorben
ist, steht das Nachbarhaus leer.
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Und das ist sicher schon zwei Jahre her.
Vielleicht haben die neuen Nachbarn
ja Kinder!
Am besten wäre natürlich ein Mädchen
so alt wie Juliane.
„Jetzt gehen wir erst mal hinein“,
sagt die Mama.
Doch da kommt gerade ein Mann aus
dem Nachbarhaus.
Er hat schwarze Haare, schwarze
Augen und einen dicken schwarzen
Schnauzbart.
„Bin ich neuer Nachbar!“, ruft er mit
lauter Stimme und streckt die Hand
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aus. „Heiß ich Branko Miladinovic!“
Er nimmt Mamas Hand, schüttelt
sie begeistert und hält sie ganz fest,
während die Mama sich und Juliane
vorstellt.
„Hab ich auch Kind“, ruft der Mann
stolz. „Ist Sohn mit acht Jahre!
Gutes Sohn! Aber jetzt muss ma Mebel
auspacken. Neues Haus ist viel Arbeit!“
Dann lässt er Mamas Hand los, klopft
Juliane auf die Schulter, winkt und
verschwindet im Möbelwagen.
„Na, der ist doch sehr nett“, sagt die
Mama und schüttelt ihre Hand aus.
„Sehr herzlich! Und es ist immer gut,
wenn man nette Nachbarn hat!“
„Aber er hat keine Tochter“,
sagt Juliane unzufrieden.
„Nur einen Sohn!“
Die Mama lacht.
„Wer weiß“, sagt
sie, „vielleicht
freundest du dich ja mit dem Sohn an!
Als ich in deinem Alter war, …“
„Ich weiß, Mama!“, sagt Juliane, denn
die Geschichte von Mama und ihrem
Nachbarsbuben hat sie schon hundert
Mal gehört. „Aber du hast ja auch
Indianderbücher gelesen und Fußball
gespielt!“
Das stimmt. Mama wäre als Kind am
liebsten selbst ein Bub gewesen.
Aber Juliane?
Nein, danke! Mit Buben hat sie noch
nie viel anfangen können.
Wozu auch? Es gibt schließlich genug
Mädchen.
Nur leider nicht in einem Nachbarhaus!
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3.
Das ganze Wochenende über sieht
man nichts von den neuen Nachbarn.
„Wahrscheinlich sind sie noch immer
beim Möbel auspacken“, denkt Juliane.
Den Sohn hat sie überhaupt noch
nicht gesehen.
Aber am Montag in der ersten Stunde
klopft es an der Klassentür und die Frau
Direktor schiebt einen kleinen, dünnen
Buben mit schwarzen Haaren
und schwarzen Augen in die
Klasse.
„Das ist euer neuer Mitschüler“,
sagt sie. „Er heißt
Ivo Miladinovic und kommt
aus Kroatien. Er spricht
noch nicht so gut Deutsch.
Also seid nett zu ihm und
helft ihm, wenn er etwas
braucht!“
„Das muss unser Nachbarsbub sein“,
denkt Juliane.
Der Nachname stimmt jedenfalls.
Außerdem sieht er genau so aus
wie sein Vater.
Bis auf den Schnauzbart natürlich.
Aber er hat die gleichen schwarzen
Wuschelhaare und die gleichen schwarzen
Augen.
Wie acht Jahre schaut er allerdings
nicht aus. Eher wie sieben!
Überhaupt wirkt er ein bisschen
mickrig, wie er da steht und auf den
Boden schaut, als würde er am liebsten
darin versinken!
Die Lehrerin setzt Ivo neben David,
der sonst immer alleine sitzt, damit er
nicht so stört.
„Armer Ivo“, denkt Juliane.
Sie möchte ihn gerne anlächeln,
damit er sich nicht so alleine fühlt.
Aber Ivo starrt nur auf seinen Tisch
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und kaut an seinen Fingernägeln.
Nach der Schule steht Juliane
unschlüssig vor dem Schultor.
Eigentlich hat sie ja nun genau den
gleichen Schulweg wie der neue Ivo.
Eigentlich könnten sie ja miteinander
nach Hause gehen, wenigstens heute.
Vielleicht kennt Ivo den Weg noch
nicht so gut. Außerdem würden sie
sich dabei gleich ein bisschen besser
kennen lernen.
Immerhin sind sie ja Nachbarn!
Da kommt Ivo aus der Schule.
Er hat seine Jacke bis zur Nase
zugeknöpft und seine Hände in den
Jackentaschen.
Mit schnellen, kleinen Schritten geht
er an Juliane vorbei und schaut immer
nur auf den Boden.
„Er macht es einem auch nicht leicht“,
denkt Juliane. „Wie soll ich nett zu jemandem
sein, der mich nie anschaut?“
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Aber hinter Ivo herlaufen, das möchte
Juliane auch nicht.
Also trödelt sie noch ein bisschen vor
der Schule herum, bevor sie sich auf
den Heimweg macht.
Als sie nach Hause kommt, ist von
Ivo weit und breit nichts mehr zu sehen.
Dafür läuft ihr Romeo entgegen, als
sie das Gartentor aufmacht.
„Na, wo hast du denn deine Familie,
mein Großer?“, fragt Juliane.
Da biegt auch schon Kugelbauch um
die Ecke, und hinter ihr purzelt der
kleine Othello durch das Gras.
Juliane setzt sich in die Wiese, um
ihre drei Katzen zu begrüßen.
Romeo springt auf ihren Schoß und
schnurrt wie aufgezogen.
Kugelbauch legt sich auf den Rücken,
damit Juliane sie am Bauch kraulen
kann.
Othello will auch auf Julianes Schoß
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und bekommt dafür von Romeo eine
Ohrfeige.
Juliane nimmt den kleinen Kater auf
den Arm und drückt ihr Gesicht in sein
weiches Fell.
Wofür braucht man Nachbarn, wenn
man drei so liebe Katzen hat?
4.
Mit Ivo ist es wirklich nicht leicht.
In der Schule sagt er nichts.
Nach der Schule rennt er sofort nach
Hause.
Wenn er Juliane sieht, schaut er weg.
„Vielleicht kann er ja kein Deutsch!“,
sagt die Mama. „Es ist nicht so leicht,
wenn man in einem fremden Land ist,
weißt du!“
Aber Ivos Vater kann doch auch
Deutsch! Nicht besonders gut, aber
immerhin.
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Der Mama tut Ivo jedenfalls leid.
„Lade ihn doch einmal ein“, sagt sie
fast jeden Tag. „Er kennt hier doch
niemanden!“
Die Mama kann leicht reden.
Wie soll Juliane denn jemanden
einladen, der nie herschaut?
Und außerdem: Was soll Juliane denn
einen ganzen Nachmittag lang mit ihm
machen?
Sie weiß ja nicht einmal, ob Ivo sie
versteht!
Meistens plaudert Juliane deshalb
nach der Schule noch so lange mit
Lena und Sofie, bis Ivo nach Hause
gegangen ist.
Oder sie beeilt sich und ist weg,
bevor Ivo überhaupt zusammengepackt
hat.
So muss sie nicht neben ihm nach
Hause gehen. Und auch nicht vor ihm
oder hinter ihm.
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Heute Mittag ist Juliane besonders
spät dran.
Sie hat noch auf Lena gewartet,
die auf ihre Schwester gewartet hat,
die ihren zweiten Schuh nicht
gefunden hat, weil ihn irgendjemand im
Mistkübel versteckt hat.
Die Mama wird sich schon wundern,
wo Juliane so lange bleibt.
Romeo, Kugelbauch und Othello
werden sich auch schon wundern.
Sicher sitzen sie jetzt beim Gartentor
und warten auf Juliane.
Als Juliane aber das Gartentor öffnet,
ist weit und breit keine Katze zu sehen.
„Muzmuzmuz!“, ruft Juliane, „ich bin
wieder da!“
Gleich wird Romeo vom Apfelbaum
herunterspringen.
Gleich wird Kugelbauch um die Ecke
sausen.
Gleich wird Othello hinter ihr herpurzeln.
„Muzmuzmuz!“, ruft Juliane noch
einmal.
Aber keine Katze lässt sich blicken.
Wo die drei nur stecken?
Juliane geht ins Haus.
Vielleicht hat die Mama sie eingesperrt?
„Hallo, Mama!“, ruft sie. „Sind die
Katzen bei dir?“
Aber auch die Mama antwortet nicht.
Das gibt es doch nicht!
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Wo sind denn heute alle hingekommen?
„Mama!“, schreit Juliane.
Da kommt endlich eine Antwort.
„Ich bin im Musikzimmer!“, ruft die
Mama.
Juliane runzelt die Stirn.
Seit wann haben sie ein Musikzimmer?
Und wo soll das Musikzimmer sein?
Sie macht sich auf die Suche nach
Mama und findet sie in ihrem alten
Kinderzimmer.
Seit Juliane ein neues Zimmer unter
dem Dach bekommen hat, hängt Mama
in ihrem alten Kinderzimmer die Wäsche
auf.
Normalerweise stehen hier der
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Wäscheständer, das Bügelbrett, der
Staubsauger und der Korb mit der
Bügelwäsche.
Heute nicht. Heute ist das Zimmer
leer, bis auf die große Leiter.
Auf der Leiter steht die Mama in
einem riesigen blau und weiß gefleckten
Pullover.
In der einen Hand hat sie einen Topf
mit blauer Farbe, in der anderen einen
blauen Pinsel.
Damit streicht sie die Wand himmelblau.
„Na, was sagst du zu unserem neuen
Musikzimmer?“, ruft sie vergnügt.
„Wo ist denn der Wäscheständer?“,
fragt Juliane.
„Ach, für den finden wir schon ein
Plätzchen“, sagt die Mama. „Dieses
Zimmer ist doch viel zu schade für den
Wäscheständer!“
Die Mama taucht den Pinsel in die
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laue Farbe und schwingt ihn dann
entschlossen an die Wand.
Winzige blaue Farbtröpfchen spritzen
durch die Luft.
„Geh ein Stück zurück!“, ruft sie.
„Sonst siehst du aus wie ich!“
„Und wieso ist das jetzt gerade ein
Musikzimmer?“, fragt Juliane. „Es
könnte doch auch ein Theaterzimmer
sein. Ein Zirkuszimmer. Oder ein
Puppenzimmer!“
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„Ach, ich habe mir schon immer ein
Musikzimmer gewünscht“, sagt die
Mama zufrieden. „Vielleicht besorgen
wir uns ja ein Klavier! Hast du nicht
schon immer Klavier spielen wollen?“
„Eigentlich nicht“, sagt Juliane.
„Weißt du übrigens, wo die Katzen
sind?“
Die Mama schüttelt entschieden den
Kopf. Sprechen kann sie gerade nicht,
weil sie den blauen Pinsel zwischen
den Zähnen hält, damit sie sich mit
beiden Händen die Haare zusammenbinden
kann.
„Ich gehe sie suchen“, sagt Juliane.
Die Mama nimmt den Pinsel aus dem
Mund und ruft ihr nach:
„Nimm dir doch irgendetwas
zum Essen! Ich koche heute
erst am Abend!“
5.
Juliane sucht zuerst in ihrem neuen
Dachzimmer.
Hier schlafen die Katzen am allerliebsten.
Dann sucht sie sie im Wohnzimmer,
wo die Katzen ihren Katzenkorb haben.
Sie sucht sie im Schlafzimmer, wo
die Katzen eigentlich nichts zu suchen
haben.
Hier stehen der Wäscheständer,
der Staubsauger und der Korb mit
der Bügelwäsche.
Auf der Bügelwäsche liegt Kugelbauch
und schläft.
Neben Kugelbauch versucht Othello,
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Mamas rosa Bluse aus dem Wäscheberg
zu ziehen.
Einen Ärmel hat er schon befreit.
„Ist Romeo auch da?“, fragt Juliane.
Aber Kugelbauch gähnt nur, und
Othello gibt auch keine Antwort.
Juliane geht in den Garten.
Sie sucht Romeo im Apfelbaum.
Sie sucht ihn bei der Schaukel,
im Gartenhäuschen
und im Gemüsegarten.
Romeo ist nirgends zu sehen.
Zum Schluss schaut Juliane noch
hinter das Haus.
Hier ist Romeo ganz sicher nicht,
denn hier ist es ihm viel zu schattig
und zu feucht.
Trotzdem schaut Juliane nach.
Vorsichtig zwängt sie sich durch die
Büsche, die hier wachsen.
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Da sieht sie Romeo.
Er sitzt im Nachbargarten!
Er sitzt auf einer kleinen Steinmauer
im Nachbargarten und sonnt sich.
Neben ihm sitzt Ivo.
Er krault Romeo hinter den Ohren
und spricht mit ihm.
Kroatisch wahrscheinlich, denn
Juliane versteht kein Wort.
Dann hält er ein Stück Wurst hoch.
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Romeo streckt sich und schnappt
sich die Wurst.
„Romeo!“, ruft Juliane empört.
Ivo dreht sich erschrocken um.
Romeo beginnt sich zu putzen.
„Hab ich auch Katze in Kroatien“,
sagt Ivo. „Heißt Maca.“
Juliane nickt.
„Das ist meine Katze“, sagt sie.
„Sie heißt Romeo.“
Ivo hält noch ein Stück Wurst vor
Romeos Nase.
Schwupp, ist die Wurst auch schon
weg.
„Wurst ist wirklich nicht gut für
Katzen“, sagt Juliane.
Ivo runzelt die Stirn.
„Wurst gut“, sagt er und hält Juliane
ein Stück hin.
„Für Katzen ist Wurst nicht gut“, sagt
Juliane bestimmt. „Wurst ist gesalzen,
und Salz ist nicht gut für Katzen.
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Weißt du das denn nicht?“
Ivo schüttelt den Kopf und zuckt mit
den Schultern.
„Wurst gut“, sagt er und steckt das
letzte Stück Wurst selbst in den Mund.
Romeo schaut ihm enttäuscht zu.
Dann springt er von der Steinmauer
und läuft zum Zaun.
„Wie ist Romeo denn überhaupt zu
dir gekommen?“, fragt Juliane misstrauisch.
„Hast du ihn etwa von der
Straße hereingeholt?“
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Romeo geht nämlich manchmal auf
der Straße spazieren. Aber in fremde
Gärten geht er natürlich nicht!
Ivo zuckt wieder mit den Schultern.
„Kommt Katze zu mir“, sagt er.
„Mag Katze Wurst.“
„Wahrscheinlich kann er einfach nicht
mehr zurück“, sagt Juliane. „Gib ihn mir
bitte herüber!“
Sie streckt die Hand aus.
Ivo steht auf, um Romeo aufzuheben.
Da springt Romeo auf die Mauer, von
der Mauer auf einen Ast und von dem
Ast über den Zaun.
Einfach so.
Es hat nicht einmal besonders
schwierig ausgesehen.
Schnurrend streicht Romeo um
Julianes Beine.
„Kann Katze gut springen“, sagt Ivo
und dreht sich um.
Er geht einfach ins Haus, ohne sich
zu verabschieden.
„Aber Wurst gibst du ihm keine
mehr!“, ruft Juliane. „Verstanden?“
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