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Leseprobe Lola reicht´s

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„Du kannst mich mal!“<br />

„<strong>Lola</strong>!“ Mutter legt entrüstet ihr Messer hin.<br />

„Jetzt reicht’s aber! Solche Ausdrücke will ich<br />

nicht hören, das weißt du. Wir leben schließlich<br />

nicht in der Gosse. Und jetzt hol deinem Bruder<br />

den Ahornsirup – er bittet dich doch so nett<br />

drum.“<br />

Tief in <strong>Lola</strong> drin beginnt es zu grummeln. Wie<br />

ein Vulkan, der kurz vor dem Ausbruch steht. Und<br />

genauso heiß wie Magma kocht das Blut in <strong>Lola</strong>s<br />

Wangen hoch. Sie will diesem Blödian von einem<br />

Bruder den Ahornsirup nicht holen und sie wird<br />

ihn auch nicht holen! Mit zusammengekniffenen<br />

Augen funkelt sie ihn an. Und plötzlich verzieht<br />

er seinen Mund zu einem spöttischen Grinsen und<br />

zwinkert ihr zu.<br />

Vulkan <strong>Lola</strong> bricht aus.<br />

„Mir reicht’s auch!“, schreit sie. „Hol dir deinen<br />

verdammten Ahornsirup doch selbst, du dreimal<br />

verdammter Idiot!“<br />

Und dann schreit sie alle verbotenen Wörter, die<br />

sie kennt und von denen sie genau weiß, dass sie<br />

nicht an den Tisch gehören, nicht einmal in die<br />

Gosse gehören sie – allerhöchstens ins Klo.<br />

Klatsch! – macht es da neben ihr. <strong>Lola</strong> zuckt<br />

zusammen. Mama sitzt mit verkniffenem Gesicht<br />

da. Der Schlag auf den Tisch hat ihr sicher weh<br />

getan. Ihre Hand krallt sich um die Serviette.<br />

„Es reicht jetzt wirklich, <strong>Lola</strong>! Geh auf dein<br />

Zimmer. Ich will dich heute nicht mehr sehen.“<br />

<strong>Lola</strong> wirft einen Blick auf ihren Papa. Wird er<br />

ihr beistehen? Aber Papa verzieht nur bedauernd<br />

die Miene.<br />

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Jetzt musst du auslöffeln, was du dir eingebrockt<br />

hast, sagt dieser Blick.<br />

Na dann lass es doch, denkt <strong>Lola</strong> und fühlt<br />

heißes Blut in ihre Wangen hochsteigen. Betont<br />

langsam steht sie auf.<br />

„Ihr könnt mich alle mal!“, sagt sie. „Alle! Du!<br />

Und du! Und du!“<br />

Der Reihe nach zeigt sie auf Max, ihre Mama<br />

und ihren Papa. Und dann dreht sie sich um und<br />

sagt alle die verbotenen Wörter noch einmal mit<br />

lauter Stimme, während sie den Raum verlässt<br />

und die Treppe zu ihrem Zimmer hinaufsteigt.<br />

Dann knallt sie ihre Zimmertür zu und wirft sich<br />

aufs Bett. Von ganz weit unten aus ihrem Bauch<br />

kommt ein Schluchzer. So ein riesengroßer<br />

Schluchzer, dass er es beinahe nicht durch ihren<br />

Hals nach draußen schafft. Dann rutscht er doch<br />

durch. Es ist, als würde ein Damm brechen, und<br />

<strong>Lola</strong> weint, wie sie noch nie in ihrem Leben<br />

geweint hat.<br />

Zuerst weint <strong>Lola</strong> ganz leise. Sie weint in ihr<br />

Kopfkissen hinein. Sie stellt sich vor, dass der ganze<br />

Kummer, den sie mit sich herumträgt, aus ihr<br />

herausrinnt. Aus ihren Augen und aus ihrer Nase<br />

in ihr Kopfkissen hinein. Wenn der Kummer aus<br />

ihrem Herzen herausgeronnen ist, kann sie das<br />

Kopfkissen nehmen und es in die Waschmaschine<br />

werfen. Dann wird der Kummer herausgewaschen<br />

und mit dem Schmutzwasser aus dem Haus<br />

gespült. <strong>Lola</strong> stellt sich vor, wie der Kummer durch<br />

die Abwasserrohre in die Kläranlage rinnt, die sie<br />

mit der Klasse besichtigt haben, und von dort in die<br />

Flüsse. Die Fische schwimmen in ihrem Kummer<br />

und er schleift die Steine im Bach rund. Irgendwann<br />

kommt der Kummer ins Meer und dort bleibt er<br />

dann und sammelt sich mit all dem Kummer, den<br />

andere Menschen ins Meer gespült haben.<br />

Erschrocken hält <strong>Lola</strong> inne. Die Lehrerin hat<br />

gesagt, dass das Wasser aus dem Meer irgendwann<br />

verdunstet und als Regen wieder zur Erde<br />

fällt. Der Kummer würde dann mit dem Wasser<br />

in den Himmel steigen und in Millionen kleiner<br />

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Tröpfchen wieder zur Erde fallen. Tipp-tapp-tipptapp<br />

… Manche Menschen würden sich mit einem<br />

Regenschirm vor dem Kummer schützen, anderen<br />

würde der Kummer auf die Haare platschen, aufs<br />

Gesicht …<br />

<strong>Lola</strong> hört auf zu weinen.<br />

Auf dem Flur hört sie leise Schritte. Max. Vor<br />

ihrer Zimmertür bleibt er stehen.<br />

„Pummelchen?“<br />

Sofort kneift <strong>Lola</strong> wieder das Gesicht zusammen.<br />

Sie hasst ihren Bruder!<br />

Die Türklinke senkt sich und die Tür öffnet sich.<br />

<strong>Lola</strong> setzt das bitterböseste Gesicht auf, das sie<br />

machen kann. Ihre Augen kneift sie so zu, dass sie<br />

alles verschwommen sieht. Mit aller Kraft beißt<br />

sie ihre Zähne zusammen, auch wenn der Wackelzahn<br />

dann zu schmerzen beginnt. Auch die Lippen<br />

drückt <strong>Lola</strong> ganz fest aufeinander. Es tut richtig<br />

weh, so bitterböse ist das Gesicht. Vor lauter dass<br />

es weh tut, wird sie erst recht bitterböse.<br />

Max beachtet das bitterböse Gesicht gar nicht.<br />

Er kommt auf <strong>Lola</strong> zu und setzt sich auf die Bettkante.<br />

Aus seiner Tasche zieht er zwei Pancakes.<br />

„Hab ich dir gebracht“, sagt er.<br />

„Kannst du selber essen!“, knurrt <strong>Lola</strong>.<br />

„Komm schon, du musst doch Hunger haben!“<br />

Max lächelt sie wieder so lieb an.<br />

<strong>Lola</strong> kneift alles noch mehr zusammen. „Von dir<br />

nehme ich nichts“, sagt sie.<br />

Max legt den Kopf schief.<br />

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„Ich hab’s doch nicht so gemeint, Pu… <strong>Lola</strong>“,<br />

sagt er.<br />

<strong>Lola</strong> weiß genau, dass er wieder Pummelchen<br />

sagen wollte.<br />

Sie schnaubt wie ein kleiner Drache.<br />

„Entschuldige, Schwesterlein“, sagt Max und<br />

hält ihr seine Hand hin. Darauf liegen zwei duftende<br />

Pancakes. <strong>Lola</strong> liebt Pancakes. Sogar wenn<br />

sie in Max’ Tasche gewesen sind.<br />

Zögernd streckt sie die Hand aus. Lässt sie aber<br />

dann doch in der Luft hängen.<br />

„Nein“, sagt sie. „Von dir nehm ich nichts.“<br />

Max zuckt die Schultern. „Soll ich sie hier lassen?“<br />

Statt einer Antwort schnaubt <strong>Lola</strong> wieder. Sie<br />

macht das richtig gut, findet sie. Gleichzeitig<br />

nimmt sie sich vor, dass sie die Pancakes annimmt,<br />

wenn er noch einen Versuch macht.<br />

„Na, dann nicht“, sagt er da, wirft einen Pancake<br />

in die Luft und fängt ihn mit dem Mund auf.<br />

Genüsslich stopft er den zweiten gleich nach, bis<br />

er wie ein Hamster aussieht. Seine Augen blitzen<br />

sie schelmisch an.<br />

„Sind lecker“, sagt er wahrscheinlich. <strong>Lola</strong><br />

versteht ihn nicht so genau. Er hat ja die Backen<br />

voller duftender Pancakes.<br />

„Schade, dass du keinen wolltest.“ Max steht<br />

auf und wischt sich die Finger an der Hose ab.<br />

Dann wendet er sich Richtung Tür.<br />

„Hab’s versucht, Mama“, brüllt er. Dann beugt<br />

er sich vor und verwuschelt <strong>Lola</strong> die Haare.<br />

„Trotz ruhig weiter, Pummelchen! Dann bleibt<br />

mehr für mich!“<br />

Ohne sich nochmal nach <strong>Lola</strong> umzusehen,<br />

verlässt er das Zimmer. Die Tür lässt er offen.<br />

Mit einem Wutschrei springt <strong>Lola</strong> aus dem Bett,<br />

rennt zur Tür und knallt sie ein paarmal zu.<br />

Bis sie endlich zu bleibt. Ihr Gesicht ist jetzt nicht<br />

nur verkniffen, sondern auch hochrot. Ihr Herz<br />

flattert. Sie denkt an das Kissen, das schon voller<br />

Kummertränen ist, und beschließt, dass es reicht.<br />

Mit wenigen Schritten ist sie bei ihrem Schreibtisch,<br />

zieht die Schublade heraus und einen Zettel<br />

aus der Lade. Dann greift sie den nächstbesten<br />

Stift und schreibt in großen Buchstaben MAX<br />

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in die Mitte. Und dann legt sie los. Ein Schimpfwort<br />

nach dem anderen schreibt sie auf den<br />

Zettel. <strong>Lola</strong> weiß ganz genau, dass man keines<br />

dieser Wörter sagen darf und schreiben schon<br />

gar nicht, aber mit jedem bösen Wort, das sie<br />

auf den Zettel schreibt, wird ihr Kummer ein<br />

kleines bisschen geringer. Als sie endlich ein<br />

Gesicht mit einer langen roten Zunge malt, ist<br />

nur noch ein leiser Nachhall von diesem Kummer<br />

vorhanden.<br />

<strong>Lola</strong> betrachtet den Zettel. Sieht beinahe schön<br />

aus. Bei jedem Schimpfwort hat sie die Farbe<br />

gewechselt. Dazwischen gibt es Blitze und das<br />

Gesicht, das die Zunge rausstreckt. Ein schönes<br />

Wutbild.<br />

Zufrieden lässt sie es auf dem Schreibtisch liegen.<br />

Dann zieht sie sich aus und legt sich ins Bett.<br />

Mit Schlafen ist es nichts in dieser Nacht. Zuerst<br />

ist das Kissen nass und <strong>Lola</strong> hat ständig das Gefühl,<br />

dass der Kummer von dem Kissen wieder in<br />

sie hinein rinnt.<br />

Irgendwann wirft sie es in die Ecke.<br />

Ohne Kissen kann sie aber nicht einschlafen.<br />

Ihr Kuschelaffe Schnurps muss als Kissen herhalten.<br />

Aber er ist ein sehr kleines Kissen und<br />

seine Haare kitzeln <strong>Lola</strong> in der Nase. Und wenn<br />

man gekitzelt wird, kann man nicht schlafen.<br />

Dann kommt wieder die Wut hoch. Und wenn<br />

sich die Wut verabschiedet, ist es der Kummer,<br />

der sie aus dem Hinterhalt überfällt.<br />

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Nachts hört man die Geräusche im Haus lauter.<br />

Das Rauschen, wenn jemand die Toilettenspülung<br />

betätigt. Die Schritte vom Nachbarn Mahler,<br />

der im Zimmer ober ihr wohnt und auch nicht<br />

schlafen kann. Das Dröhnen, das von einem<br />

Fernseher durch viele Mauern zu ihr dringt.<br />

Die Nacht ist nicht still. Die Nacht ist unruhig<br />

und voller Lärm und mitten drin liegt <strong>Lola</strong> und<br />

hält sich die Ohren zu, weil sie nicht schlafen<br />

kann.<br />

Sie ist froh, als die Nacht vor dem Fenster<br />

irgendwann nicht mehr so dunkel erscheint. Als<br />

die Autogeräusche zunehmen und die Geräusche<br />

im Haus. Als die Schlafzimmertür der Eltern<br />

aufgeht, ein Toilettendeckel hochgeklappt wird<br />

und ein Plätschern verrät, dass sie nicht mehr die<br />

Einzige ist, die wach ist.<br />

Zum Frühstück kommt <strong>Lola</strong>, als alle anderen<br />

bereits dort sitzen.<br />

„Na, gut geschlafen?“, fragt die Mutter.<br />

<strong>Lola</strong> antwortet nicht. Sie sieht, wie die Mutter<br />

eine Augenbraue hochzieht und einen Blick mit<br />

Papa wechselt.<br />

Der lässt seine Zeitung sinken. Er schaut <strong>Lola</strong><br />

lange an. Dann zwinkert er ihr ganz leicht zu.<br />

Gleich geht es <strong>Lola</strong> besser.<br />

„Schling nicht so, Max“, sagt die Mutter streng.<br />

„Wieso? Ich will nur ausschauen wie <strong>Lola</strong>.“<br />

Grinsend duckt sich Max unter einer Kopfnuss<br />

der Mutter weg und schluckt sein Brot hinunter.<br />

<strong>Lola</strong> schießen die Tränen in die Augen.<br />

„Oh, heult das Baby?“<br />

Nicht einmal die Mutter nimmt Max das mitleidige<br />

Getue ab. Doch bevor sie ihn schimpfen<br />

kann, tritt <strong>Lola</strong> zu. Mit aller Kraft schwingt sie<br />

ihren Fuß Richtung Max und tritt ihm gegen das<br />

Schienbein.<br />

„Au!“, ruft der Vater erschrocken. „Was soll<br />

denn das bitte bedeuten?“<br />

Vorwurfsvoll schaut er <strong>Lola</strong> an. Kein Zwinkern<br />

ist mehr in seinen Augen.<br />

<strong>Lola</strong> schießt die Wärme in die Wangen.<br />

Tschuldigung“, sagt sie.<br />

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„Das will ich aber auch meinen“, sagt der Vater.<br />

Es klingt immer noch ein bisschen grantig.<br />

Max feixt.<br />

<strong>Lola</strong> streckt ihm die Zunge heraus.<br />

„Das hab ich jetzt gesehen, <strong>Lola</strong>“, sagt die<br />

Mutter. „Es reicht. Wenn du dich nicht benehmen<br />

kannst, dann nimmst du dein Brot und isst draußen<br />

vor der Tür.“<br />

Ungläubig starrt <strong>Lola</strong> sie an. Wieso immer nur<br />

sie?<br />

Wieder spürt sie, wie der Kummer in ihr aufsteigt.<br />

Aus dem Augenwinkel sieht sie Max, der<br />

ihr die Zunge rausstreckt. Doch bevor sie ihn<br />

verpetzen kann, setzt er wieder sein Engelslächeln<br />

auf und strahlt die Mutter an.<br />

„Kann ich noch eine Scheibe Brot haben,<br />

Mama?“, fragt er.<br />

<strong>Lola</strong> reicht es. Sie nimmt ihr Brot und trinkt in<br />

wenigen Schlucken ihre Kakaotasse leer. Dann<br />

verlässt sie das Esszimmer.<br />

Sansibar wartet an der Straßenecke.<br />

Sansibar ist <strong>Lola</strong>s Freund und heißt nicht wirklich<br />

so. Sondern Habibuna. Seine Eltern haben<br />

ihn aus Sansibar adoptiert und deswegen sagen<br />

alle Sansibar zu ihm.<br />

„Hey, Schokobohne“, sagt <strong>Lola</strong> zur Begrüßung.<br />

„Hey, Pummelchen.“<br />

<strong>Lola</strong> grinst.<br />

Sansibar ist der einzige Mensch, der sie<br />

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„Pummelchen“ nennen darf. Und sie ist die<br />

Einzige, die zu ihm „Schokobohne“ sagen darf.<br />

„Mein Bruder nervt“, sagt <strong>Lola</strong>.<br />

„Das stimmt.“<br />

Sansibar braucht sie nichts zu erklären.<br />

„Ist das dein Frühstück?“<br />

<strong>Lola</strong> nickt.<br />

„Darf ich?“<br />

Ohne ihre Antwort abzuwarten, reißt er ein<br />

Stückchen von ihrer Buttersemmel ab.<br />

„Ich liebe Buttersemmeln.“<br />

Sansibar kramt in seiner Schultasche und streckt<br />

<strong>Lola</strong> eine Brotdose hin.<br />

„Dafür darfst du auch ein Stück von<br />

meinem haben.“

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