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Erstes Kapitel
in dem ein berühmter Detektiv drei Fragen stellt,
ein Gehstock Erstaunliches leistet und ein
unbekanntes Flugobjekt für Überraschung sorgt
Lord Huber zückte seinen Stock. Er richtete ihn gegen
Herrn Jaromir. Es war ein schwarzer Gehstock mit
einem silbernen Griff. Lord Huber drückte kurz auf
den Griff und sagte: „Das Mikrophon ist eingeschaltet.
Sind Sie bereit?“
Herr Jaromir war beeindruckt. „Ein Gehstock mit
einem eingebauten Mikrophon“, sagte er. „Raffiniert.“
„Ach, der Stock kann noch ganz andere Sachen“,
sagte Lord Huber. „Darf ich Ihnen jetzt meine Fragen
stellen? Draußen warten noch andere …“
„Natürlich“, sagte Herr Jaromir. „Wie unhöflich
von mir. Ich habe die Nummer siebenunddreißig.
Nummer achtunddreißig wird schon warten. Bitte,
fragen Sie!“
Lord Huber räusperte sich.
„Wovor haben Sie am meisten Angst?“
Herr Jaromir musste nicht lange nachdenken.
„Davor, dass ein UFO auf mir landet, während ich
schlafe“, sagte er mit ruhiger Stimme.
Lord Huber stutzte.
„Sie befürchten, dass ein UFO, also ein unbekanntes
Flugobjekt, auf Ihnen landen könnte? Mitten in der
Nacht?“
„Es könnte auch am Tag sein“, sagte Herr Jaromir.
„Wann immer und wo immer ich schlafe, könnte es
passieren. Ich habe es einmal geträumt. Es war ein
gewaltiges Raumschiff.“
Lord Huber war fasziniert.
„Ein Raumschiff? Es ist auf Ihnen gelandet? Was
genau ist geschehen?“
„Ich weiß es nicht. Ich sah im Traum, wie es auf
die Stelle zukam, an der ich gemütlich schlief, dann –
wachte ich auf.“
„Verstehe“, sagte Lord Huber. „Sie könnten sich
also noch gerettet haben – im Traum?“
Herr Jaromir dachte nach.
„Das wäre möglich.“
„Ich denke, Sie haben ein Gespür für die Gefahr.
Das ist gut so. Kommen wir zur zweiten Frage: Was
braucht ein guter Detektiv zum Frühstück?“
„Das ist einfach“, sagte Herr Jaromir. „Die Tageszeitung.
Ein Frühstück ohne Tageszeitung? Undenkbar!
Wobei ich die englischen Zeitungen bevorzuge,
ehrlich gesagt.“
Lord Huber schien erstaunt.
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„Sie sprechen Englisch?“
„A little bit“, sagte Herr Jaromir. „Ich lerne.“
„Ihre Antwort ist durchaus überzeugend“, sagte
Lord Huber zufrieden. „Ein guter Detektiv muss
jeden Tag einen Blick in die Zeitung werfen. Es geht
immer auch um die kleinen und großen Zusammenhänge.
Auch das, was nicht in der Zeitung steht,
könnte für einen Fall wichtig sein.“
„In der Tat“, sagte Herr Jaromir.
„Dritte und letzte Frage“, rief Lord Huber mit
lauter Stimme.
„Was halten Sie vom Meer?“
„Es ist groß und wunderbar“, sagte Herr Jaromir
feierlich. „Mehr ist dazu nicht zu sagen. Man muss es
gesehen haben.“
Lord Huber sagte lange nichts. Er schaute Herrn
Jaromir nachdenklich an.
„Ich danke Ihnen für Ihre Antworten“, sagte er
schließlich. „Würden Sie mir bitte noch dieses Blatt
ausfüllen!“
Er reichte Herrn Jaromir einen Stift und ein weißes
Blatt, auf dem nur zwei Wörter zu lesen waren:
„Meine Bedingungen“.
Herr Jaromir begann zu schreiben, ohne auch nur
eine Sekunde zu zögern. Dann legte er Stift und Blatt
auf den Tisch.
„Ich danke Ihnen“, sagte Lord Huber und benutzte
seinen Stock, um sich aus dem Lehnstuhl zu erheben.
„Sie hören von mir, Herr Jaromir. Und schicken Sie
doch bitte Nummer achtunddreißig herein.“
Als Herr Jaromir gegangen war, warf Lord Huber
einen Blick auf das Blatt, das Herr Jaromir ausgefüllt
hatte. Langsam las er die drei Zeilen, die in gut lesbarer
Handschrift zu sehen waren.
„Meine Bedingungen: 1.) Täglich eine englische
Zeitung zum Frühstück. 2.) Keine Spaziergänge im
Nebel. 3.) Einmal im Jahr eine Reise ans Meer.“
„Der Herr gefällt mir“, sagte Lord Huber und
wandte sich seinem nächsten Gast zu.
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Zweites Kapitel
in dem eine wichtige Botschaft ankommt,
eine englische Zeitung vor der Tür liegt
und ein neues Zuhause gefunden wird
„Er hat ein eingebautes Mikrophon in seinem Gehstock“,
sagte Herr Jaromir zu sich selbst. „Und eine
Kamera. Ich hab das Blitzlicht gesehen. Er hat meine
Antworten aufgenommen – und er hat mich fotografiert!
Ein kluger Mann.“
Freunde aus der Nachbarschaft hatten ihm von
Lord Huber erzählt. „Ein alter Detektiv im Ruhestand
sucht einen treuen Begleiter“, hatten sie gesagt. „Man
muss allerdings zu einem Vorsprechen in sein Haus.“
Jetzt war er dort gewesen. Als Nummer siebenunddreißig.
Die Stelle war begehrt.
Kein Wunder. Lord Huber wohnte in einer alten
Villa mit einem schönen verwachsenen Garten, er
hatte viele berühmte Kriminalfälle gelöst, sein Foto
war schon mehrmals in der Zeitung gewesen, sogar in
den englischen. Herr Jaromir hatte ihn sofort erkannt.
Groß, dünn, mit einem schmalen Gesicht, die buschigen
Augenbrauen und das kurze Haar weiß wie
Schnee. Und dann noch der schwarze Gehstock, den
er immer mit sich trug.
„Der Herr könnte mir gefallen“, sagte Herr Jaromir,
während er langsam nach Hause ging.
Aber – wo war das überhaupt, sein Zuhause?
Seit der alte Kapitän, bei dem er lange gelebt hatte,
gestorben war, hatte er sich nirgendwo mehr zu Hause
gefühlt.
Beim alten Kapitän war es ihm gut gegangen. Gemeinsam
hatten sie alte Seekarten studiert und über
Gott und die Weltmeere geplaudert. Beim alten Kapitän
hatte er auch begonnen, ein wenig Englisch zu
lernen, hatte ihm der doch gern Lieder auf Englisch
vorgesungen … My Bonnie lies over the ocean …
Und er hatte jeden Tag englische Zeitungen gelesen.
Das waren schöne Zeiten gewesen, mit dem alten
Kapitän. Aber eines Morgens war der alte Herr nicht
mehr aufgewacht. Ein Wagen war gekommen und
hatte ihn abgeholt.
Herr Jaromir blieb noch ein paar Tage im Haus, aber
als dann ein Bagger begann, die Wände des Hauses
einzureißen, rannte er einfach davon.
Seither lebte er in einer leeren Hütte, die er in einem
Hinterhof entdeckt hatte. Ein Koch aus einem nahen
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Gasthaus gab ihm ab und zu etwas zu essen und zu
trinken, und so kam Herr Jaromir mehr schlecht als
recht über die Runden.
Aber er wollte sich nicht beklagen. Im Gasthaus
konnte er sich aufwärmen, es gab Zeitungen zu lesen,
und man konnte die Leute bei ihren Gesprächen
belauschen. Da gab es viele spannende Geschichten
zu hören …
Herr Jaromir dachte an Lord Huber. Ob es wohl
gefährlich war, so ein Leben als Detektiv?
Er schaute nach oben. Kein UFO in Sicht. Sollte er
im Freien schlafen?
Er überlegte kurz, dann verschwand er rasch in der
Hütte.
Als Herr Jaromir erwachte, lag The Daily Telegraph
vor der Hütte, seine bevorzugte Tageszeitung. Sie
steckte in einer Papierschleife, auf der etwas geschrieben
stand.
Herr Jaromir begann laut zu lesen: „Sie können
sofort anfangen. You are welcome. Das mit dem
Nebel könnte schwierig werden. Sonst werden alle
Bedingungen erfüllt. Die Reise ans Meer erfolgt in
wenigen Wochen. Bringen Sie Ihren Verstand mit, für
alles andere wird gesorgt. Beeilen Sie sich. Wir müssen
einen Fall lösen. L. H.“
Herr Jaromir setzte sich ruhig hin und schlug die
Zeitung auf.
So viel Zeit musste sein. Es gab einen Fall zu lösen?
Aufmerksam studierte er jede Seite.
Dann machte er sich auf den Weg. Lord Huber
würde sicher schon auf ihn warten.
Wie hatte er ihn gefunden? Nun ja, er war eben ein
guter Detektiv …
Herr Jaromir spürte, wie sein Herz vor Aufregung
klopfte.
Er war auf dem Weg zu seinem neuen Zuhause.
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Drittes Kapitel
in dem sich Türen von selbst verschließen,
ein weißer Pudel auftaucht
und ein Fall gelöst werden muss
Lord Huber wartete vor seiner alten Villa.
In der einen Hand hielt er seinen schwarzen Gehstock,
in der anderen einen Reisekoffer.
„Ich freue mich, Sie zu sehen“, sagte er ruhig.
„Die Freude ist ganz auf meiner Seite“, sagte Herr
Jaromir.
„Ihre drei Antworten haben mich überzeugt. Sie
bekommen ein eigenes Zimmer mit guter Verpflegung,
dazu freien Zugang zur Bibliothek und zum
Garten.“ Lord Huber deutete mit dem Stock auf das
linke obere Fenster. „Leider bleibt uns wenig Zeit
zur Eingewöhnung. Ein dringender Fall gibt meinen
Freunden von Scotland Yard Rätsel auf … Dort oben
steht ein kleines Frühstück für Sie bereit. Die hintere
Balkontür ist offen, ich warte am Bahnhof auf Sie.“
Lord Huber ging los. Herr Jaromir sah ihm kurz
nach, dann drückte er das Gartentor auf.
Die Balkontür war tatsächlich offen. Herr Jaromir
beschloss, das Haus zu einem späteren Zeitpunkt zu
erkunden. Er lief die Stiegen hinauf. In einem großen
hellen Zimmer wartete ein üppiges Frühstück auf
ihn. Herr Jaromir sah sich kurz um. Ein meerblaues
Sofa, ein dicker Teppich, viele Bücher. Das Zimmer
gefiel ihm.
Er ließ sich das Frühstück schmecken, dann glitt er
die Stiegen hinunter und schlüpfte durch die Balkontür
ins Freie. Sollte er sie tatsächlich unverschlossen
lassen? Er hatte kaum darüber nachgedacht, da klickte
es laut, und die Tür wurde von innen verschlossen.
Herr Jaromir drückte gegen die Tür. Sie war versperrt.
Aber er hatte niemanden gesehen im Haus!
„Ich werde Lord Huber einige Fragen stellen müs-
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sen“, sagte Herr Jaromir laut zur Balkontür, dann
beeilte er sich, zum Bahnhof zu kommen.
Lord Huber stand beim Zeitungskiosk und studierte
einige Tageszeitungen.
„Danke für das Frühstück“, sagte Herr Jaromir.
„Keine Ursache“, antwortete Lord Huber. Er betrachtete
aufmerksam ein Bild in einer Zeitung.
„Der Juwelendiebstahl?“, fragte Herr Jaromir.
„Ganz recht“, sagte Lord Huber. Er klang keineswegs
erstaunt.
„Jemand hat die Balkontür hinter mir geschlossen“,
sagte Herr Jaromir freundlich.
„Ich weiß“, sagte Lord Huber. Er deutete auf seinen
schwarzen Gehstock.
„Fernbedienung“, sagte er. „Und eingebaute Videokameras.
Überall im Haus. Und rundherum.“
Herr Jaromir sah ihn verblüfft an.
„Sie konnten mich sehen? Mithilfe Ihres Stocks?“
„So ist es. Ein winziger Bildschirm, aber mitunter
ganz praktisch. Was halten Sie eigentlich von weißen
Pudeln?“
Herr Jaromir dachte nach.
„Sie haben ihr Publikum. Wo immer sie auftauchen,
werden sie gesehen. Sie sind … eine Besonderheit!“
Lord Huber zeigte ihm ein Bild in der Zeitung. Man
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sah eine ältere Dame, die einen überaus gepflegten
weißen Pudel an der Leine führte.
„Miss Snowflake. Die Schönheitskönigin aus London“
war unter dem Bild zu lesen.
Herr Jaromir schaute das Bild lange an.
„Die Schönheitskönigin, das ist …“
„… der Pudel“, ergänzte Lord Huber. „So ist es.
Das Bild wurde in jenem Hotel aufgenommen, in
dem die dänischen Juwelen gestohlen wurden. Aus
einem Hotelsafe.“
Herr Jaromir dachte nach.
„Ich weiß, was Sie denken“, sagte Lord Huber.
„Wo ist des Pudels Kern? Was hat ein weißer Pudel
mit Juwelen zu tun?“
„Das dachte ich, in der Tat“, sagte Herr Jaromir.
„Dieser weiße Pudel ist selbst ein Juwel, nicht wahr?
Er zieht die Blicke auf sich.“ Lord Huber klopfte mit
dem Stock auf das Bild in der Zeitung.
„Ein Juwel überstrahlt die anderen Juwelen“, dachte
Herr Jaromir laut nach.
„Ganz meine Meinung“, sagte Lord Huber. „Wie
kann man am besten von den kostbaren Juwelen
ablenken? Mit einem anderen Juwel, und sei es eines
auf vier Beinen.“
„Wie wurde der Diebstahl durchgeführt?“, fragte
Herr Jaromir.
„Während des Abendessens. Zwischen Hauptspeise
und Dessert, nehme ich an. Als die Besitzerin nach
dem Essen auf ihr Zimmer ging, stand die Safetür
offen und die Juwelen waren verschwunden. Jemand
musste die Kombination gekannt haben, mit der sich
die Tür des Safes öffnen ließ.“
„Und die Zimmertür?“, fragte Herr Jaromir. „War
sie verschlossen?“
Lord Huber nickte.
„Die Zimmertür war verschlossen, die Safetür war
offen … Jemand hatte einen Schlüssel für das Zimmer,
er kannte die Kombination, um den Safe zu öffnen – und
er wollte bestimmt das Dessert nicht versäumen …“
„Die Besitzerin der Juwelen ist eine alte Lady aus
Dänemark, die jedes Jahr ins Hotel kommt, nicht
wahr?“, fragte Herr Jaromir.
„Sie lebt seit vielen Jahren allein. Ihr Mann, ein
Millionär, ist schon lange tot. Sie kommt jedes Jahr
in das Hotel, in dem sie ihre Flitterwochen verbracht
haben.“
„Selbes Zimmer? Jedes Jahr?“, fragte Herr Jaromir.
„So ist es“, sagte Lord Huber.
„Das sollten wir uns ansehen“, sagte Herr Jaromir.
„Ganz meine Meinung“, bestätigte Lord Huber und
zog zwei Karten aus seiner Tasche.
„Bahnsteig sieben. Der Zug fährt in fünf Minuten.“
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Viertes Kapitel
in dem ein altes Hotel am See besucht wird,
seltsame Fragen gestellt werden
und eine Wiese von großer Bedeutung ist
Als sie im berühmten Kurort Bad Grünberg ankamen,
war es draußen bereits dunkel.
„Genießen Sie die frische Luft“, sagte Lord Huber,
als sie den Bahnhof verließen. „Wir sind hier in einem
Luftkurort, der Ihren Lungen guttun wird.“
Herr Jaromir holte tief Luft. „Sehr würzig“, sagte
er. „Mit einer Prise Lärchenwald.“
Lord Huber fragte einen älteren Mann nach dem
Hotel „Zum Seeblick“.
„Immer geradeaus“, sagte der Mann. „Bis Sie am
See stehen, dann müssen Sie nach links. Ist nicht
zu verfehlen.“
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