akzent Magazin Juli '20 GB
akzent – DAS GRÖSSTE LIFESTYLE- & VERANSTALTUNGSMAGAZIN VOM BODENSEE BIS OBERSCHWABEN www.akzent-magazin.com
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SEEZUNGE<br />
27<br />
wein ausgebaut, vermählt kandierte<br />
Früchte mit Noten von weißem Pfeffer<br />
und Koriander. Der Gewürztraminer<br />
Gedanken-Spiel (Orange Wein) aus<br />
dem Weingut Markgraf von Baden<br />
spielt mit Aromen von Rosen, Kräutern,<br />
Melone und auf der Zunge mit<br />
exotischen Früchten. Beim Orange<br />
Wein aus Gutedel vom Hohentengener<br />
Weingut Engelhof dominieren<br />
Gewürznoten wie Lorbeer und Nelke.<br />
Claudius Haug hat für seinen Orange<br />
Wein die pilzwiderstandsfähige Traube<br />
Souvignier Gris verwendet und seinen<br />
Orange Wein als Naturwein ausgebaut.<br />
Auch der Engelhof verzichtete<br />
auf Zuchthefe und Schwefel. Ganz aktuell<br />
ist auch das Staatsweingut Meersburg<br />
auf den Orange-Zug aufgestiegen,<br />
allerdings stehe eine Entscheidung<br />
noch aus, ob das erste Orange-Produkt<br />
aus Chardonnay und Weißburgunder<br />
in den Verkauf komme, sagt Kellermeister<br />
Johannes Brückner zu <strong>akzent</strong>;<br />
als nächstes sei jedoch bereits<br />
ein Sauvignon Blanc Orange<br />
Wein in Arbeit.<br />
Der Begriff Orange Wein<br />
wird fälschlicherweise oft<br />
mit Naturwein gleichgesetzt.<br />
Tatsächlich handelt es sich<br />
beim sogenannten Vin Naturel<br />
um ein völlig anderes<br />
Herstellungsverfahren: Während<br />
Orange Wein die Art<br />
der Gärung bezeichnet,<br />
weist der Begriff Naturwein<br />
darauf hin, dass<br />
die Weine so natürlich<br />
wie möglich, also ohne<br />
Zusätze und aufwendige<br />
Verfahren, vinifiziert<br />
werden. Konkret:<br />
keine Beigaben von<br />
Zuchthefen, kein oder<br />
kaum Schwefel (Sulfite),<br />
unfiltrierte Abfüllung<br />
in Flaschen. Den<br />
Wein machen lassen,<br />
ist die Devise. Damit<br />
das aber nicht schief<br />
geht und der Wein<br />
nicht die infolge des<br />
fehlenden Schwefels<br />
befürchteten Fehltöne<br />
annimmt, setzt dies<br />
bei Naturwein erstklassiges<br />
Traubengut, vorzugsweise aus<br />
biodynamischem Anbau, sowie viel Erfahrung<br />
und Fingerspitzengefühl beim<br />
Kellermeister voraus. Naturbelassen<br />
und ungeschwefelt überraschen die oft<br />
staubtrockenen und ausdrucksstarken<br />
Weine mit einer eigenwilligen Aromatik<br />
und ungewöhnlichem Geschmack<br />
abseits der gewohnten Fruchtigkeit<br />
einer Rebsorte. Naturweine sind daher<br />
durchaus gewöhnungsbedürftig<br />
und kommen nicht bei allen Weingenießern<br />
gut an. Andere finden gerade<br />
das Geschmackserlebnis jenseits des<br />
Mainstreams spannend. Einer, der in<br />
der Seeregion schon lange spontan<br />
vergorene Weine mit lediglich safteigener<br />
Hefe herstellt, ist Michael Broger<br />
am Ottoberg in Weinfelden. Im<br />
Meersburger Weingut Aufricht experimentiert<br />
Junior Johannes erfolgreich<br />
mit naturbelassenen Weinen in seiner<br />
eigenen Johannes Aufricht-Weinlinie.<br />
Ein uraltes, über Tausende von Jahren<br />
angewendetes Verfahren in der<br />
Weinherstellung nutzt Weinkalchrain<br />
im thurgauischen<br />
Hüttwilen: Amphorenwein.<br />
Dort werden jeweils ein Müller-<br />
Thurgau wie ein Orange Wein<br />
in einer toskanischen Terrakotta-Amphore<br />
auf der Maische<br />
vergoren und ausgebaut sowie<br />
in einer weiteren Amphore<br />
ein Blauburgunder, die dann<br />
mit minimalem Schwefelzusatz<br />
unfiltriert in Flaschen<br />
abgefüllt werden.<br />
Das Trinkerlebnis beim<br />
Müller-Thurgau Amphore<br />
umfasst wie bei Orange<br />
Wein vielschichtige<br />
Gerbstoffe und zarte<br />
Zitrusaromen.<br />
Interessant, aber<br />
nicht zur Kategorie Naturwein<br />
gehörend, ist<br />
„Der Erdwein“ (Pinot<br />
Noir), den Fredi Saxer<br />
vom gleichnamigen<br />
Weingut in Nussbaumen<br />
alle paar Jahre in<br />
drei Barriquefässern für<br />
ein Jahr zwei Meter tief<br />
unter einer Ökowiese<br />
vergräbt. Dort reift der<br />
Wein harmonisch und<br />
unbeeinflusst durch den Winzer bei<br />
einer immer gleichen Temperatur von<br />
12 Grad und brilliert am Ende mit<br />
vielfältigem Ausdruck und jugendlich<br />
frischen Tanninen. Noch einen Schritt<br />
weiter in Sachen unbeeinflusster Weinreife<br />
ist Winzer Josef Möth in Bregenz<br />
gegangen. Er versenkte im Frühsommer<br />
2019 zwei Weinfässer mit je 1000<br />
Litern Chardonnay und seiner Cuvée<br />
Brigantium 60 Meter tief im Bodensee,<br />
wo der Wein – komplett abgeschnitten<br />
von Sauerstoff – bei einer konstanten<br />
Temperatur von 4 Grad reift. Gemeinsam<br />
mit Wissenschaftlern will der<br />
innovative Winzer herausfinden, wie<br />
sich das auf den Geschmack und die<br />
Qualität des Weins auswirkt. Am 4.<br />
<strong>Juli</strong> ist Weltpremiere für das Möth-Projekt<br />
„Tiefenrausch“: Dann soll das Fass<br />
mit dem Weißwein im Hafen von Bregenz<br />
gehoben werden. Und man darf<br />
gespannt sein, was das Experiment mit<br />
dem Wein gemacht hat.<br />
Natur- und Orange Weine sind vor<br />
allem etwas für Weinfreunde, die Abwechslung<br />
lieben und Neues kennenlernen<br />
möchten und bereit sind, sich<br />
auf das anfangs vielleicht ungewohnte<br />
Geschmacksabenteuer einzulassen.<br />
Wer sich dafür Zeit lässt und auch Weine<br />
von verschiedenen Winzern verkostet,<br />
wird mit der Zeit wahrscheinlich<br />
Spaß an dem neuen Trinkerlebnis haben.<br />
In jedem Fall sind die Weine ein<br />
exzellenter Essensbegleiter.