D22ZoomDerStrippenzieherIm Gespräch mit Harry Winderl
Zoom23Im Juli startete in einem der Augsburger Wahrzeichen die Perlach Tankstelle, ein hell erleuchteter Kioskdirekt in dem 70 Meter hohen Turm im Herzen unserer Stadt. Das neue Konzept des Ladens soll dem Betreiberdabei helfen, bessere Umsätze zu generieren und ist nur eine von vielen Ideen, die aus dem Mind desProjektmanagers Harry Winderl stammen. Mit nicht wenigen davon hat der 52-jährige Kreativkopf unsereStadt in den letzten 30 Jahren lebendiger und lebenswerter machen und ihr damit auch ein Stück weit seinenStempel aufdrücken können. Von Markus KrapfDie Perlachtankstelle erinnert ein bisschenan die Spätis, Büdchen oder Trinkhallen indeutschen Großstädten ...... die dort ja auch prima funktionieren. InAugsburg funktioniert übrigens auch alles, waswoanders auf dieser Welt funktioniert, wenn esgut und mit Herzblut gemacht ist. Die Nachfrageder Augsburger ist größer als man glaubt, aberdas Angebot ist in gewissen Bereichen einfachzu schwach, gerade im Einzelhandel und in derGastronomie.In den vergangenen Jahren haben tatsächlichviele Firmen und Geschäfte zugemacht, einigegastronomische Betriebe sind von der Bildflächeverschwunden. Woran liegt‘s?Es gibt einen konsequenten Niedergang vonAugsburg als Stadt. Große Firmen, Industriebetriebe,einflussreiche Leute und Persönlichkeitenaus Kultur und Gesellschaft sind weniger geworden.Führende Köpfe mit Ideen und Weitblick inPolitik und Wirtschaft sind meiner Meinung nachnicht gut genug vertreten.Was muss sich ändern?Die Stadt muss den Menschen einfach mehrdas Gefühl vermitteln, dass sie in Augsburgwillkommen sind, dass sie hier Geschäfte machenund einkaufen können. Man muss positiv undoffen sein, denn die Leute sind bereit, dies auchanzunehmen. Das hat man bei vielen Eröffnungenin den letzten Jahren gesehen. Die Augsburgergehen hin, wenn es interessante und gut umgesetzteKonzepte gibt.Hast du ein Beispiel?Das Côcô in der Kapuzinergasse. Zuvor warin diesem Laden wenig los, weil der Katzelmacher,der dem Milano folgte, einfach am Markt vorbeiging. Das Côcô verfolgt ein Konzept mit asiatischemEssen, das sich in anderen großen Städtenwie Berlin oder Nürnberg bereits bewährt hat. DerLaden ist voll, obwohl es dort keine Parkplätzegibt und wir durch Corona schwierige Zeitenerleben. Es muss einfach Interessantes angebotenwerden, die Menschen müssen sehen, dass sichjemand Mühe macht, eine vernünftige Gestaltungpräsentiert und etwas anbietet, das seinen Preiswert ist. Es gibt viele Startups, die funktionieren,weil sie einfach gut gemacht sind, wie auch derBeißer Burger in der Dominikanergasse oder dieAlte Liebe im Bismarckviertel.Die Stadt hat sich in den letzten Jahren sehrwohl auf ihre Fahnen geschrieben, Augsburgso gestalten zu wollen, dass sich die Menschenwillkommen und wohl fühlen. Wurde dieserPlan nicht ausreichend umgesetzt?Lass es mich so sagen: Augsburg Marketingzum Beispiel ist eine gute Sache. Hier wird vielGeld ausgegeben, es wurden viele neue Stellenbesetzt. Die Mitarbeiter wollen sicher nur dasBeste für die Stadt, aber es fehlt eine Stadtplanung,die über allem steht, die insgesamt Dingeändert. Wir sind viel zu sehr Betonstadt mit vielzu wenig Grün und Gefühl. Mir fehlen Herz undSelbstbewusstsein. Nur damit kann man auchMenschen von außerhalb nach Augsburg bringen,die hier einkaufen, weggehen, konsumieren. Dannkönnen auch die Pachten bezahlt werden, es wirdGewerbesteuer generiert und die wunderschönenAugsburger Häuser können erhalten werden.Glaubst du, dass es die Anwohner im Innenstadtbereichüberhaupt mögen würden, wenndort mehr geboten wäre?Sie wären jedenfalls gut beraten, das geschäftigeTreiben in der Stadt zu unterstützen, daranteilzunehmen und anzuerkennen, dass man imSinne der Gemeinschaft auch einmal Lärm- oderauch andere Emissionen ertragen muss.Könnte es durch die neue Konstellation imStadtrat eine Verbesserung der Situation inAugsburg geben? Stichwort mehr Grün, mehrHerz, mehr Selbstbewusstsein.Es ist gut so, dass die Grünen erstmals inder Verantwortung stehen, weil sie einen nichtunerheblichen Teil der Augsburger Bevölkerungrepräsentieren und sicher neue Elemente mitbringenwerden. Weniger Verkehr, Klimaschutz, mehrNatur, das sind Themen, die uns alle betreffen.Und wenn sie mit Kompetenz herangehen werden,dann kommen wir als Stadt auch weiter. Wasdie CSU angeht, habe ich tatsächlich Bedenken,weil die massive Schuldenpolitik weiter vertuschtwird oder es immer noch keine wirklichenParkraumkonzepte gibt. Da bin ich eher skeptischund die ersten Monate der neuen Regierung fandich ehrlich gesagt erschreckend, insbesondere dieAbsage des Kulturausschusses.„Es gibt einenkonsequenten Niedergangvon Augsburg als Stadt!”Lass uns über dich reden. Zum ersten Malhabe ich dich in den Achtzigern bewusstwahrgenommen. Aber nicht in einer Kneipe,sondern auf dem Pausenhof des Gymnasiumsbei St. Stephan. Diese Schule klingt eigentlicherst einmal nicht nach dem BerufszielGastronomie.Das stimmt, eigentlich wollte ich damalsimmer Biochemiker werden. Ich fand die MendelscheVererbungslehre spannend und habe vieleBücher darüber verschlungen. Aber ich bin alsJugendlicher in der Schule gescheitert, hatte keineinfaches Elternhaus und eine schwierige Pubertät.Dadurch bin ich dann eben in andere Bereichegeflüchtet.Kam so dein Einstieg in die Gastronomie?Ich habe 1984, also mit 16, meinen erstenFerienjob in der Forelle in der Altstadt hinterder Theke gemacht. Meine nächsten Jobs warenim Altstadtcafé und in der Disco Christians amZeugplatz. Auch im Jerome in der Philippine-Welser-Straße habe ich damals gearbeitet. Diese