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Ja, irgendwie glaub' ich schon an Gott Wann ist ein Christ ein Christ?

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<strong>Ja</strong>, <strong>irgendwie</strong> glaub’ <strong>ich</strong> <strong>schon</strong> <strong>an</strong> <strong>Gott</strong><br />

W<strong>an</strong>n <strong>ist</strong> <strong>ein</strong> Chr<strong>ist</strong> <strong>ein</strong> Chr<strong>ist</strong>?<br />

(Klaus Schr<strong>ein</strong>er)<br />

Liebe Gäste des heutigen Auszeitgottesdienstes,<br />

w<strong>an</strong>n <strong>ist</strong> <strong>ein</strong> Chr<strong>ist</strong> <strong>ein</strong> Chr<strong>ist</strong>? Mit diesem Thema wollen wir uns in unserer heutigen<br />

Auszeit beschäftigen. Wenn <strong>ich</strong> Sie jetzt fragen würde, ob Sie <strong>an</strong> <strong>Gott</strong> glauben, so<br />

würde bei m<strong>an</strong>chen die Antwort lauten: „Also, <strong>ich</strong> denke <strong>schon</strong>, so <strong>irgendwie</strong>.<br />

Immerhin bemühe <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong>. Natürl<strong>ich</strong> habe <strong>ich</strong> auch m<strong>ein</strong>e Fehler, <strong>ein</strong> Heiliger bin<br />

<strong>ich</strong> bestimmt n<strong>ich</strong>t. Und mit m<strong>an</strong>chem in der Kirche habe <strong>ich</strong> auch so m<strong>ein</strong>e<br />

Probleme. Aber, <strong>ich</strong> würde <strong>schon</strong> sagen, dass <strong>ich</strong> so <strong>irgendwie</strong> <strong>an</strong> <strong>Gott</strong> glaube.“<br />

Glaube <strong>ich</strong> <strong>an</strong> <strong>Gott</strong>? Bin <strong>ich</strong> <strong>ein</strong> Chr<strong>ist</strong>? So <strong>irgendwie</strong> <strong>schon</strong>. So <strong>irgendwie</strong> glaube <strong>ich</strong><br />

<strong>an</strong> <strong>Gott</strong>. Ich weiß zwar n<strong>ich</strong>t so genau, aber so <strong>irgendwie</strong> bin <strong>ich</strong> <strong>schon</strong> <strong>ein</strong> Chr<strong>ist</strong>. So<br />

<strong>irgendwie</strong>? Was m<strong>ein</strong>en Sie, was m<strong>ein</strong>e Frau sagen würde, wenn <strong>ich</strong> hier öffentl<strong>ich</strong><br />

bekenne: „So <strong>irgendwie</strong> sind wir <strong>schon</strong> verheiratet!“ P<strong>ein</strong>l<strong>ich</strong> wäre das. So <strong>irgendwie</strong><br />

glaube <strong>ich</strong> <strong>schon</strong> <strong>an</strong> <strong>Gott</strong>. P<strong>ein</strong>l<strong>ich</strong>? Oder wenn <strong>ich</strong> über unsere Töchter sage: „So<br />

<strong>irgendwie</strong> sind das <strong>schon</strong> unsere Kinder!“ <strong>Ja</strong>, was jetzt, sind das nun unsere Kinder<br />

oder n<strong>ich</strong>t? Das muss <strong>ich</strong> doch wissen. Glaube <strong>ich</strong> jetzt <strong>an</strong> <strong>Gott</strong> oder n<strong>ich</strong>t? Bin <strong>ich</strong><br />

jetzt <strong>ein</strong> Chr<strong>ist</strong> oder n<strong>ich</strong>t? Irgendwie <strong>schon</strong>?<br />

Sie merken, liebe Zuhörer: Das, was uns bei unserem Verhältnis zum Ehepartner<br />

oder zu den Kinder so p<strong>ein</strong>l<strong>ich</strong> berührt, dieses Wort „<strong>irgendwie</strong>“, das kommt uns bei<br />

Fragen zu unserem Glauben g<strong>an</strong>z schnell über die Lippen. Aber da muss es doch<br />

etwas Eindeutiges geben. Es k<strong>an</strong>n doch n<strong>ich</strong>t s<strong>ein</strong>, dass wir bei <strong>ein</strong>er dermaßen für<br />

unser Leben w<strong>ich</strong>tigen Frage k<strong>ein</strong>e klare Antwort geben können. Was sind denn die<br />

Kriterien, nach denen <strong>ich</strong> m<strong>ein</strong>en Glauben <strong>an</strong> <strong>Gott</strong> und m<strong>ein</strong> Chr<strong>ist</strong>s<strong>ein</strong> bewerte?<br />

Wenn wir uns fragen, w<strong>an</strong>n <strong>ein</strong> Chr<strong>ist</strong> <strong>ein</strong> Chr<strong>ist</strong> <strong>ist</strong>, d<strong>an</strong>n könnten die Antworten zum<br />

Beispiel folgendermaßen lauten:<br />

• Ein Chr<strong>ist</strong> <strong>ist</strong> jem<strong>an</strong>d, der jeden Sonntag in die Kirche geht.<br />

• Er hält s<strong>ich</strong> <strong>an</strong> die zehn Gebote, er macht (zumindest wenn er Katholik <strong>ist</strong>) das,<br />

was der Papst sagt.<br />

Andere werden <strong>an</strong>tworten:<br />

• Ein Chr<strong>ist</strong> <strong>ist</strong> jem<strong>an</strong>d, der <strong>an</strong> <strong>Gott</strong> glaubt, tägl<strong>ich</strong> betet, in der Bibel liest, Stille-Zeit<br />

hält.<br />

oder aber:<br />

• Ein Chr<strong>ist</strong> <strong>ist</strong> <strong>ein</strong> Mensch, der s<strong>ich</strong> um Nächstenliebe bemüht, der Fehler<br />

<strong>ein</strong>gesteht, s<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t über <strong>an</strong>dere erhebt, immer nachgibt.<br />

Oder:<br />

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• Jem<strong>an</strong>d, der s<strong>ich</strong> k<strong>ein</strong>e Freude gönnt, der das Leid der Welt wie <strong>ein</strong> Kreuz trägt,<br />

der <strong>an</strong> ernsten, m<strong>an</strong>chmal traurigen Traditionen festhält, wenig lacht.<br />

Liebe Zuhörer, wir könnten diese L<strong>ist</strong>e beliebig fortsetzen in unserem Bemühen zu<br />

verstehen, w<strong>an</strong>n <strong>ein</strong> Chr<strong>ist</strong> <strong>ein</strong> wirkl<strong>ich</strong>er Chr<strong>ist</strong> <strong>ist</strong>.<br />

Versuchen wir <strong>ein</strong>mal von <strong>ein</strong>er <strong>an</strong>deren Seite <strong>ein</strong>e Antwort zu finden. W<strong>an</strong>n <strong>ist</strong> <strong>ein</strong><br />

Ravensburger <strong>ein</strong> Ravensburger? (Bitte erlauben Sie mir diese Frage, auch wenn <strong>ich</strong><br />

Pfälzer bin, in Baden lebe, gerne in Ravensburg bei Imm<strong>an</strong>uel und zum Einkaufen<br />

bin, <strong>an</strong>sonsten aber wenig Ahnung von dieser schönen Stadt habe.)<br />

W<strong>an</strong>n <strong>ist</strong> <strong>ein</strong> Ravensburger <strong>ein</strong> Ravensburger?<br />

Wenn wir gestern auf dem Marienplatz die Pass<strong>an</strong>ten befragt hätten, d<strong>an</strong>n wäre <strong>ein</strong>e<br />

häufige Antwort bestimmt gewesen: Ein Ravensburger <strong>ist</strong> <strong>ein</strong>er, der aufs „Rutenfeschd“<br />

geht. In dieser Antwort steckt sehr viel Wahrheit: Auf dem Rutenfest treffen<br />

s<strong>ich</strong> die Ravensburger, die die Gem<strong>ein</strong>schaft mit <strong>an</strong>deren Ravensburgern suchen,<br />

die s<strong>ich</strong> für die Stadt interessieren und denen es n<strong>ich</strong>t egal <strong>ist</strong>, wie es ihrer Stadt<br />

geht. Unter diesen „r<strong>ich</strong>tigen“ Ravensburgern finden wir solche, die hier geboren<br />

sind, aber auch zugezogene. Andererseits <strong>ist</strong> die Tatsache, dass jem<strong>an</strong>d hier in<br />

Ravensburg lebt und s<strong>ein</strong>e Steuern zahlt, noch l<strong>an</strong>ge k<strong>ein</strong>e Gewähr, dass er <strong>ein</strong><br />

r<strong>ich</strong>tiger Ravensburger <strong>ist</strong>.<br />

Wenn wir das auf das Chr<strong>ist</strong>s<strong>ein</strong> übertragen, so bedeutet das, dass jem<strong>an</strong>d noch<br />

n<strong>ich</strong>t deswegen <strong>ein</strong> Chr<strong>ist</strong> <strong>ist</strong>, dass er als Chr<strong>ist</strong> geboren wurde und s<strong>ein</strong>e Kirchensteuer<br />

zahlt. Ein Chr<strong>ist</strong> sucht die Gem<strong>ein</strong>schaft mit <strong>an</strong>deren Chr<strong>ist</strong>en, es <strong>ist</strong> ihm n<strong>ich</strong>t<br />

egal, wie es dem Nachbarn geht, wie es s<strong>ein</strong>er Gem<strong>ein</strong>de geht, was die Ver<strong>an</strong>twortl<strong>ich</strong>en<br />

tun.<br />

W<strong>an</strong>n <strong>ist</strong> <strong>ein</strong> Vater <strong>ein</strong> Vater?<br />

Ein Vater, das bin <strong>ich</strong> s<strong>ich</strong>erl<strong>ich</strong> d<strong>an</strong>n, wenn <strong>ich</strong> im Einwohnermeldeamt die Geburt<br />

<strong>ein</strong>es Kindes in das Familienstammbuch <strong>ein</strong>tragen lasse. Oder wenn d<strong>an</strong>n das erste<br />

Kindergeld gezahlt wird. Vaters<strong>ein</strong> hat aber vor allem etwas mit m<strong>ein</strong>er inneren Einstellung<br />

zu tun: Es <strong>ist</strong> mir n<strong>ich</strong>t egal, wie es m<strong>ein</strong>em Kind geht, <strong>ich</strong> kümmere m<strong>ich</strong> um<br />

den Sohn oder die Tochter, <strong>ich</strong> identifiziere m<strong>ich</strong> mit s<strong>ein</strong>er Freude, aber auch mit<br />

s<strong>ein</strong>en Ängsten und Nöten. Wenn <strong>ich</strong> <strong>ein</strong> Vater werde, d<strong>an</strong>n ändert s<strong>ich</strong> m<strong>ein</strong> g<strong>an</strong>zes<br />

Leben grundlegend, Prioritäten werden <strong>an</strong>ders gesetzt.<br />

W<strong>an</strong>n <strong>ist</strong> <strong>ein</strong> Chr<strong>ist</strong> <strong>ein</strong> Chr<strong>ist</strong>?<br />

Wenn wir die beiden Beispiele von den Ravensburgern und den Vätern auf unser<br />

Chr<strong>ist</strong>s<strong>ein</strong> übertragen, d<strong>an</strong>n können wir sagen: Ein Chr<strong>ist</strong> gehört zur Gem<strong>ein</strong>schaft<br />

der Chr<strong>ist</strong>en, er identifiziert s<strong>ich</strong> mit ihren Zielen, er entwickelt <strong>ein</strong> Wir-Gefühl. Wenn<br />

jem<strong>an</strong>d <strong>ein</strong> Chr<strong>ist</strong> wird, d<strong>an</strong>n ändert s<strong>ich</strong> s<strong>ein</strong> Leben, er setzt s<strong>ein</strong>e Prioritäten <strong>an</strong>ders<br />

als vorher.<br />

Chr<strong>ist</strong> s<strong>ein</strong>, das hat etwas mit Chr<strong>ist</strong>us, mit Jesus Chr<strong>ist</strong>us zu tun. Schauen wir doch<br />

<strong>ein</strong>mal in s<strong>ein</strong>em Vermächtnis, in der heiligen Schrift nach, was uns Jesus über das<br />

Chr<strong>ist</strong>s<strong>ein</strong> beigebracht hat. Eine Stelle <strong>ist</strong> mir in diesem Zusammenh<strong>an</strong>g besonders<br />

w<strong>ich</strong>tig:<br />

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Lukas-Ev<strong>an</strong>gelium 18, 15-17<br />

M<strong>an</strong> brachte auch kl<strong>ein</strong>e Kinder zu ihm, damit der ihnen die Hände auflegte. Als<br />

die Jünger das sahen, wiesen sie die Leute schroff ab. Jesus aber rief die<br />

Kinder zu s<strong>ich</strong> und sagte: „Lasst die Kinder zu mir kommen; hindert sie n<strong>ich</strong>t<br />

dar<strong>an</strong>! Denn Menschen wie ihnen gehört das Re<strong>ich</strong> <strong>Gott</strong>es. Amen, das sage <strong>ich</strong><br />

euch: Wer das Re<strong>ich</strong> <strong>Gott</strong>es n<strong>ich</strong>t so <strong>an</strong>nimmt wie <strong>ein</strong> Kind, der wird n<strong>ich</strong>t<br />

hin<strong>ein</strong>kommen.“<br />

Oder nach der Übersetzung der Guten Nachr<strong>ich</strong>t:<br />

„Lasst die Kinder zu mir kommen und hindert sie n<strong>ich</strong>t, denn gerade für<br />

Menschen wie sie steht <strong>Gott</strong>es neue Welt offen. Täuscht euch n<strong>ich</strong>t: Wer s<strong>ich</strong><br />

der Liebe <strong>Gott</strong>es n<strong>ich</strong>t wie <strong>ein</strong> Kind öffnet, wird sie niemals erfahren.“<br />

Jesus <strong>ist</strong> g<strong>an</strong>z klar in s<strong>ein</strong>er Aussage: Wenn <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> der Liebe <strong>Gott</strong>es n<strong>ich</strong>t so öffne<br />

wie <strong>ein</strong> Kind, d<strong>an</strong>n werde <strong>ich</strong> sie niemals erfahren. Hier sind wir <strong>an</strong> <strong>ein</strong>em g<strong>an</strong>z<br />

zentralen Punkt des Chr<strong>ist</strong>s<strong>ein</strong>s <strong>an</strong>gel<strong>an</strong>gt: Ein Chr<strong>ist</strong> <strong>ist</strong> <strong>ein</strong> Mensch, der s<strong>ich</strong> von<br />

<strong>Gott</strong> geliebt und <strong>an</strong>genommen weiß wie <strong>ein</strong> Kind. Jesus brachte das s<strong>ein</strong>en Schülern<br />

bei, indem er von <strong>Gott</strong> als <strong>ein</strong>em Papa, Abba sprach, der s<strong>ein</strong>e Kinder liebt. Wie sieht<br />

<strong>ein</strong> Kind so <strong>ein</strong>e Beziehung? Für <strong>ein</strong> Kind sind der Papa oder die Mama die Größten.<br />

Das Kind fühlt s<strong>ich</strong> <strong>an</strong>genommen und hat unendl<strong>ich</strong> großes Vertrauen zu s<strong>ein</strong>em<br />

Vater oder s<strong>ein</strong>er Mutter. Es tut, was s<strong>ein</strong>e Eltern ihm empfehlen oder von ihm<br />

erwarten, es <strong>ist</strong> traurig, wenn es s<strong>ein</strong>e Eltern enttäuscht hat.<br />

Geht das auch auf der Glaubensebene? K<strong>an</strong>n <strong>ich</strong> zu <strong>Gott</strong> <strong>ein</strong>e Beziehung haben wie<br />

<strong>ein</strong> Kind zu s<strong>ein</strong>em Vater oder zu s<strong>ein</strong>er Mutter? Gebe <strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t m<strong>ein</strong>e Selbstständigkeit<br />

auf, wenn <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> <strong>Gott</strong> <strong>an</strong>vertraue? Es k<strong>an</strong>n doch n<strong>ich</strong>t s<strong>ein</strong>, dass <strong>ich</strong> als Erwachsener<br />

wieder kindl<strong>ich</strong> werde?<br />

All diese Fragen und Ängste plagten auch m<strong>ich</strong>, als <strong>ich</strong> vor zwölf <strong>Ja</strong>hren vor diese<br />

Frage gestellt wurde. Ich war es gewohnt, alles selbst in die H<strong>an</strong>d zu nehmen, zu<br />

pl<strong>an</strong>en und zu machen, und <strong>ich</strong> war stolz darauf, dass <strong>ich</strong> zieml<strong>ich</strong> erfolgre<strong>ich</strong> war.<br />

Ich hatte unwahrsch<strong>ein</strong>l<strong>ich</strong>e Angst, dass <strong>Gott</strong> mir das alles nehmen würde, wenn <strong>ich</strong><br />

m<strong>ich</strong> ihm <strong>an</strong>vertraue. Trotzdem war da <strong>ein</strong> innerer Dr<strong>an</strong>g, diesen Schritt zu tun. Ich<br />

begegnete Menschen, die durchaus berufl<strong>ich</strong> erfolgre<strong>ich</strong> waren und die trotzdem <strong>ein</strong><br />

vertrauensvolles, <strong>ein</strong> kindl<strong>ich</strong>es Verhältnis zu <strong>Gott</strong> hatten, ohne dabei kindisch oder<br />

<strong>ein</strong>fältig zu wirken.<br />

Mit der Hilfe lieber Freunde wagte <strong>ich</strong> diesen Schritt. Ich sagte: „<strong>Gott</strong>, <strong>ich</strong> weiß n<strong>ich</strong>t<br />

so recht, wer und wie du b<strong>ist</strong>. Aber <strong>ich</strong> vertraue m<strong>ich</strong> dir <strong>an</strong>. Ich möchte tun, was du<br />

von mir erwartest, und <strong>ich</strong> möchte von dir geliebt werden.“ Dieser Schritt änderte<br />

m<strong>ein</strong> Leben grundlegend. Ich erlebte <strong>ein</strong>e Phase des M<strong>ich</strong>-geliebt-Fühlens, wie <strong>ich</strong><br />

es zuvor n<strong>ich</strong>t k<strong>an</strong>nte. Ich wurde gelassener, offener und lernte es, m<strong>ich</strong> <strong>an</strong>deren<br />

mitzuteilen. M<strong>ein</strong>e Frau und <strong>an</strong>dere Menschen in m<strong>ein</strong>er Umgebung bemerkten<br />

diese Veränderung, sogar m<strong>ein</strong>e Schwiegermutter.<br />

Freil<strong>ich</strong> hielt diese Phase n<strong>ich</strong>t bis heute <strong>an</strong>. Der Alltag kehrte zurück, <strong>ich</strong> wurde<br />

wieder „normaler“, aber <strong>ich</strong> fiel n<strong>ich</strong>t mehr g<strong>an</strong>z in alte Verhaltensmuster zurück. Das<br />

<strong>ist</strong> so wie bei der Liebe zu m<strong>ein</strong>er Frau: Es gibt verschiedene Phasen der Liebe.<br />

M<strong>an</strong>chmal bin <strong>ich</strong> total in sie verliebt und m<strong>an</strong>chmal äußert s<strong>ich</strong> die Liebe eher<br />

nüchtern. Immer aber basiert die Liebe auf <strong>ein</strong>er Grundhaltung, <strong>ein</strong>er Grundent-<br />

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scheidung für m<strong>ein</strong>e Frau und wird geprägt durch den gem<strong>ein</strong>samen Weg und die<br />

gem<strong>ein</strong>samen Erfahrungen. Auch mit <strong>Gott</strong> <strong>ist</strong> das so: Ich habe <strong>ein</strong>e Grundentscheidung<br />

getroffen und bin auf <strong>ein</strong>em Weg mit ihm. M<strong>an</strong>chmal fühle <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> ihm<br />

unwahrsch<strong>ein</strong>l<strong>ich</strong> nahe und geborgen, m<strong>an</strong>chmal äußert s<strong>ich</strong> diese Liebe in <strong>ein</strong>em<br />

eher selbstverständl<strong>ich</strong>en Mit<strong>ein</strong><strong>an</strong>der. Der Weg besteht aber, wie bei m<strong>ein</strong>er Frau,<br />

aus <strong>ein</strong>em ständigen Werben um die Liebe. Eine Liebe, die n<strong>ich</strong>t gepflegt wird, stirbt<br />

l<strong>an</strong>gsam ab, sowohl in m<strong>ein</strong>em Verhältnis zu m<strong>ein</strong>er Frau als auch zu <strong>Gott</strong>.<br />

Wenn <strong>ich</strong> verliebt bin, d<strong>an</strong>n merken das die Menschen, mit denen <strong>ich</strong> tägl<strong>ich</strong> zu tun<br />

habe: Die Liebe verändert m<strong>ein</strong> Verhalten. Das wirkt auf die Welt aber n<strong>ich</strong>t nur<br />

positiv: Jem<strong>an</strong>d, der s<strong>ich</strong> von <strong>Gott</strong> lieben lässt, muss die dicke Haut, die er s<strong>ich</strong><br />

vielle<strong>ich</strong>t <strong>ein</strong>mal zugelegt hat, ablegen, sonst kommt <strong>Gott</strong> n<strong>ich</strong>t durch. Ich werde<br />

dadurch aber auch verletzbarer durch <strong>an</strong>dere Menschen, die mir n<strong>ich</strong>ts Gutes wollen.<br />

Auch Jesus, der sensible Jesus, der für <strong>Gott</strong>es Ge<strong>ist</strong> total durchlässig war und der<br />

offen war für die Nöte der Menschen, bekam das zu spüren. In der damaligen<br />

Gesellschaft und auch in der heutigen sind solche Menschen n<strong>ich</strong>t immer gefragt,<br />

We<strong>ich</strong>eier sagt m<strong>an</strong> d<strong>an</strong>n verächtl<strong>ich</strong>. Vor <strong>ein</strong>ige <strong>Ja</strong>hren sagte <strong>ein</strong>mal m<strong>ein</strong> Chef zu<br />

mir: „Herr Schr<strong>ein</strong>er, Sie sind <strong>ein</strong> guter Mensch und setzen s<strong>ich</strong> für Benachteiligte<br />

und Schwache <strong>ein</strong>. Das mag aber Herr Sowieso (unser gem<strong>ein</strong>samer Oberboss)<br />

n<strong>ich</strong>t. Er sieht das als Schwäche <strong>an</strong>.“ Das saß damals. Die Klarheit dieser Aussage<br />

hatte m<strong>ich</strong> g<strong>an</strong>z schön getroffen. Aber jeder muss s<strong>ich</strong> irgendw<strong>an</strong>n die entscheidende<br />

Frage stellen: Wo muss <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> selbst ändern oder von <strong>Gott</strong> ändern lassen, weil<br />

<strong>ich</strong> eben <strong>ein</strong> fehlerhafter Mensch bin und ständig auf <strong>ein</strong>em Weg der Veränderung<br />

bin. Und wo lasse <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> von der Gesellschaft n<strong>ich</strong>t ändern, weil <strong>ich</strong> m<strong>ein</strong>e<br />

Persönl<strong>ich</strong>keit n<strong>ich</strong>t aufgeben möchte, weil <strong>ich</strong> mir treu bleiben möchte; auch wenn<br />

es mir eventuell Nachteile bringt.<br />

Wenn wir zurück kommen zu unserer <strong>an</strong>fängl<strong>ich</strong>en Frage: „W<strong>an</strong>n <strong>ist</strong> <strong>ein</strong> Chr<strong>ist</strong> <strong>ein</strong><br />

Chr<strong>ist</strong>?“, d<strong>an</strong>n können wir also mit Jesus <strong>an</strong>tworten:<br />

Ein wesentl<strong>ich</strong>es Merkmal <strong>ein</strong>es Chr<strong>ist</strong>en <strong>ist</strong>, dass er die Liebe <strong>Gott</strong>es <strong>an</strong>nimmt<br />

wie <strong>ein</strong> Kind.<br />

Alles <strong>an</strong>dere, was wir heute <strong>schon</strong> besprochen haben, leitet s<strong>ich</strong> aus dieser<br />

Grundhaltung ab: Wenn <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> als <strong>Gott</strong>es Kind fühle, d<strong>an</strong>n suche <strong>ich</strong> die Nähe zu<br />

m<strong>ein</strong>en Geschw<strong>ist</strong>ern. D<strong>an</strong>n identifiziere <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> mit s<strong>ein</strong>en Zielen und versuche,<br />

den Willen m<strong>ein</strong>es Vaters zu tun. D<strong>an</strong>n suche <strong>ich</strong> s<strong>ein</strong>e Nähe, schöpfe daraus neue<br />

Kraft und gebe diese Kraft <strong>an</strong> m<strong>ein</strong>e Mitmenschen durch Taten der Nächstenliebe<br />

weiter. Ich bleibe n<strong>ich</strong>t bei mir stehen, sondern arbeite tatkräftig beim Entstehen von<br />

<strong>Gott</strong>es Re<strong>ich</strong> in unserer Welt mit. <strong>Gott</strong>es Liebe gibt mir <strong>ein</strong>e besondere Würde, sie<br />

macht m<strong>ich</strong> zum Original.<br />

Das heißt aber n<strong>ich</strong>t, dass <strong>ich</strong> zum Heiligen geworden bin. Ich bin genauso schwach<br />

wie <strong>an</strong>dere Menschen, werde genauso versucht und mache natürl<strong>ich</strong> auch Fehler.<br />

Aber dadurch verliere <strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t m<strong>ein</strong> Chr<strong>ist</strong>s<strong>ein</strong>. Im Gegenteil: M<strong>ein</strong>e Fehler gehören<br />

zum Chr<strong>ist</strong>s<strong>ein</strong> dazu. Je mehr Fehler <strong>ich</strong> mache, je schwächer <strong>ich</strong> bin, umso mehr<br />

brauche <strong>ich</strong> <strong>Gott</strong>es vergebende und heilende, helfende Liebe. Wenn wir in der Bibel<br />

den Apostel Petrus <strong>an</strong>schauen, d<strong>an</strong>n war er bestimmt <strong>ein</strong> r<strong>ich</strong>tiger Chr<strong>ist</strong>. Obwohl er<br />

Jesus nach dessen Gef<strong>an</strong>gennahme verleugnet hat. Oder schauen wir uns Thomas<br />

<strong>an</strong>, den ungläubigen Thomas: Auch er, der Zweifler, war <strong>ein</strong> r<strong>ich</strong>tiger Chr<strong>ist</strong>. Auch <strong>ich</strong><br />

darf zweifeln, auch <strong>ich</strong> mache Fehler. Was <strong>ein</strong>en Chr<strong>ist</strong>en von <strong>ein</strong>em N<strong>ich</strong>tchr<strong>ist</strong>en<br />

unterscheidet, <strong>ist</strong> n<strong>ich</strong>t, dass der Chr<strong>ist</strong> k<strong>ein</strong>e Fehler mehr machen würde. Was ihn<br />

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unterscheidet, <strong>ist</strong>, dass er s<strong>ich</strong> trotzdem von s<strong>ein</strong>em <strong>Gott</strong> unendl<strong>ich</strong> geliebt weiß,<br />

dass er s<strong>ich</strong> diese Liebe n<strong>ich</strong>t verdienen muss durch guten Taten, sondern dass er<br />

sie in <strong>ein</strong>em kindl<strong>ich</strong>en Vertrauen entgegennehmen darf.<br />

W<strong>an</strong>n <strong>ist</strong> also <strong>ein</strong> Chr<strong>ist</strong> <strong>ein</strong> Chr<strong>ist</strong>?<br />

Ein Chr<strong>ist</strong> <strong>ist</strong> <strong>ein</strong> Mensch, der zu <strong>Gott</strong> <strong>ein</strong>e vertrauensvolle Beziehung hat wie<br />

<strong>ein</strong> Kind, der daraus Kraft schöpft und d<strong>an</strong>n wie <strong>ein</strong> Erwachsener Ver<strong>an</strong>twortung<br />

übernimmt und entsprechend h<strong>an</strong>delt.<br />

Wie geht es Ihnen bei diesen Worten? M<strong>an</strong>che von Ihnen werden diesen Schritt auf<br />

<strong>Gott</strong> zu noch n<strong>ich</strong>t vollzogen haben. M<strong>an</strong>che haben Angst davor. Wieder <strong>an</strong>dere<br />

haben diesen Schritt nie bewusst vollzogen und leben trotzdem in <strong>ein</strong>em tiefen<br />

Vertrauensverhältnis zu <strong>Gott</strong>. Wieder <strong>an</strong>dere haben diesen Schritt vollzogen und<br />

leben in <strong>ein</strong>er Phase des Hochgefühls. Oder sie haben den Schritt vollzogen, aber<br />

nie dieses Gefühl des Getragens<strong>ein</strong>s gespürt. Und wieder <strong>an</strong>dere haben diesen<br />

Schritt vor längerer Zeit vollzogen, haben aber den <strong>an</strong>fängl<strong>ich</strong>en Schwung verloren.<br />

Wir wollen still werden und überlegen, wo wir heute stehen und was s<strong>ich</strong> daraus für<br />

Konsequenzen für unser Leben ergeben. (Wenn Ihnen in der Stille Fragen kommen,<br />

die Sie mir nachher im Kreuzverhör stellen möchten, so schreiben Sie diese bitte auf.<br />

Wir werden die Fragen nach der Stille <strong>ein</strong>sammeln und darüber sprechen.)<br />

Ich möchte die kurze Stille mit <strong>ein</strong>em Gebet <strong>ein</strong>leiten:<br />

Guter <strong>Gott</strong>, <strong>ich</strong> d<strong>an</strong>ke dir für d<strong>ein</strong>e Gegenwart in unserem Leben.<br />

Du liebst jeden Einzelnen und jede Einzelne von uns, egal wie wir uns fühlen oder<br />

was wir tun.<br />

Bitte lass uns diese Liebe jeden Tag neu erfahren. Lass uns merken, welchen Weg<br />

du für uns vorgesehen hast.<br />

Bitte schenke uns Freude <strong>an</strong> der Vielfalt, mit der du uns Menschen geschaffen hast<br />

und mit der du jeden von uns individuell führst.<br />

Lass uns von <strong>an</strong>deren lernen, aber bewahre uns davor, <strong>an</strong>dere kopieren zu wollen.<br />

Bitte zeige jedem und jeder von uns jetzt, was du heute Vormittag mit ihm oder ihr<br />

vorhast.<br />

D<strong>an</strong>ke für d<strong>ein</strong>e Liebe. Amen.<br />

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