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#9 Verantwortung

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Artikel

Vertrauen ist

gut,

Kontrolle ist

besser?

Merle riedemann

Medizin

In Deutschland sind Gentests ohne begründeten Verdacht

verboten – außer in der Schwangerschaft. Warum ist das so

und welche Verantwortung ergibt sich daraus? Ab wann ist

ein Kind krank und wo ist die Grenze zur Gesundheit? Ist

es in Ordnung, Eltern ein Leben mit einem beeinträchtigen

Kind zuzumuten, weil sie sich einen Test nicht leisten

konnten? Ist es legitim, ein Baby einem Test zu unterziehen,

von dem es keinen eigenen Vorteil haben wird?

Im Folgenden soll deshalb die Verantwortung der einzelnen

Akteure, also der Eltern, des Arztes, des Staats sowie

der Unternehmen, welche nicht-invasive Pränataltests vertreiben,

näher beleuchtet werden.

Neben den standardmäßigen Vorsorgeuntersuchungen in der

Schwangerschaft werden weiterführende Untersuchungen,

bei Risikoschwangeren und bei Hinweisen auf eine Komplikation,

von der Krankenkasse übernommen. Untersuchungen

auf den Wunsch der Eltern hin, müssen als sogenannte

IGEL (Individuelle Gesundheitsleistung) selbst bezahlt werden.

Zu den beliebtesten IGEL in der Schwangerschaft zählt

das Ersttrimester-Screening zur Führerkennung von Trisomie

21 (Down-Syndrom). Dabei werden mit zwei Laborwerten

(ß-HCG und PAPP-A) im mütterlichen Blut, dem

Alter der Mutter und der Nackenfaltentransparenz (die Dicke

des Nackens über der Halswirbelsäule) 90% der Babys

mit Down-Syndrom identifiziert, bei einer falsch-positiv

Rate von 5% (vgl. Nicolaides et al. 2005). Bei einem positiven

Befund wird eine Fruchtwasserpunktion (Amniozentese)

oder Biopsie des Mutterkuchens (welcher entgegen seines

Namens aus Gewebe des Fötus besteht) zur Sicherung der

Diagnose durchgeführt. Die Fruchtwasserpunktion wird bei

allen Schwangeren über 35 Jahren auch von der Krankenkasse

bezahlt, ohne dass vorher ein Ersttrimester-Screening

passiert ist. Ein großer Nachteil der Punktion ist, dass sie in

etwa 0,3% (vgl. Beta et al. 2018) zu einer Fehlgeburt führt,

weshalb nicht-invasive Pränataltests (NIPT) aufgrund ihrer

einfachen Durchführung und der Zuverlässigkeit des

Ergebnisses immer mehr an Bedeutung gewinnen.

Für einen NIPT wird einer schwangeren Frau üblicherweise

ab der neunten Schwangerschaftswoche Blut abgenommen,

in welchem immer auch DNA des Fötus vorkommt,

und diese auf Chromosomenstörungen hin untersucht.

Nicht-invasive Pränataltests sind erst seit wenigen Jahren

auf dem Markt und werden von unterschiedlichen Herstellern

angeboten. Bei dem PraenaTest etwa, dem derzeit umfangreichsten

NIPT auf dem Markt, wird der Fötus nicht

nur auf Trisomie 21 (Down-Syndrom), sondern auch auf

Trisomien und Monosomien aller anderen Chromosomen

getestet, sowie auf Fehlverteilungen der Geschlechtschromosomen/Intersexualität,

bei einem negativen Vorhersagewert

von 99,68% (vgl. Lifecodexx 2019). NIPTs stellen

damit eine quasi risikolose, schmerzarme und praktisch genauso

zuverlässige Methode wie eine Fruchtwasserpunktion

dar, ein Baby pränatal auf bestimmte Erbkrankheiten

zu testen. Ein Nachteil ist jedoch der hohe Preis, welcher

bei mehreren hundert Euro liegt und bisher von den Eltern

übernommen werden muss. Auch deshalb gibt es in der

letzten Zeit Bestrebungen, die Krankenkassen zur Übernahme

der NIPTs zu verpflichten, um auch weniger zahlungskräftige

Familien am medizinischen Fortschritt teilhaben

zu lassen und nicht durch potentiell gefährliche Untersuchungen

zu benachteiligen (vgl. Ärzteblatt 2019a, 2019b).

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