syndicom magazin Nr. 18
Das syndicom-Magazin bietet Informationen aus Gewerkschaft und Politik: Die Zeitschrift beleuchtet Hintergründe, ordnet ein und hat auch Platz für Kultur und Unterhaltendes. Das Magazin pflegt den Dialog über Social Media und informiert über die wichtigsten Dienstleistungen, Veranstaltungen und Bildungsangebote der Gewerkschaft und nahestehender Organisationen.
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syndicom
Nr. 18 August-September 2020
magazin
Ohne Lohnkontrollen
geht
es nicht
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Inhalt
4 Teamporträt
5 Kurz und bündig
6 Die andere Seite
7 Gastautorin
8 Dossier: Kontrollen
gegen Dumpinglohn
Schweizer Löhne in der Schweiz!
16 Arbeitswelt
18 Umfrage:
Löhne im Journalismus
22 Ja zum Urlaub für Väter
25 Recht so!
26 Tipps
27 1000 Worte
28 Bisch im Bild
30 Aus dem Leben von ...
31 Kreuzworträtsel
32 Inter-aktiv
Liebe Leserinnen und Leser,
Schweizer Löhne für jegliche Arbeit, die in der
Schweiz geleistet wird, ob von Ausländerinnen
oder Schweizern, in einer Schweizer oder ausländischen
Firma: Das ist das zentrale Ziel der
Flankierenden Massnahmen (FlaM).
Um sie durchzusetzen und Missbräuche zu
bekämpfen, sind wirksame Durchführungs-,
Kontroll- und Sanktionsmechanismen erforderlich.
Dies haben die Gewerkschaften gefordert
und erreicht. Darum hat die Schweiz heute das
am weitesten entwickelte Lohnschutzsystem
in Europa!
Dank der Gesamtarbeitsverträge, der Normalarbeitsverträge
und der guten Zusammenarbeit
zwischen den Sozialpartnern und mit den Behörden
funktioniert dieses System und passt
sich den Veränderungen in der Arbeitswelt an.
Jedes Jahr werden die Löhne und Arbeitsbedingungen
von fast 170 000 in der Schweiz tätigen
Personen kontrolliert. Geschuldete Löhne
werden nachbezahlt. Dank der FlaM haben wir
Gewerkschaften GAV und Mindestlöhne auch in
Branchen durchgesetzt, wo bisher Tieflöhne
und prekäre Arbeitsbedingungen herrschten.
Eine Annahme der sog. Begrenzungsinitiative,
also der Kündigungs-Initiative, würde zu einer
sehr deutlichen Schwächung der Flankierenden
führen und die bewährten Prozesse gefährden
– die Folgen würde man sofort auf den Lohnzetteln
sehen. Erst recht, wenn Arbeitsbedingungen
durch Corona unter Druck sind, ist
dieser Schutz wichtiger denn je.
4
8
22
Daniel Münger, Präsident syndicom
4
Teamporträt
Gemeinsam die Zukunft der Illustration
gestalten
Foto (von oben nach
unten, dann links nach
rechts):
Annina Burkhard
illunauten.ch
Barbara Seiler
illunauten.ch
Rina Jost
rinajost.ch
Deborah Lätsch
deborahlaetsch.ch
Regina Vetter
regina-vetter.ch
Simon Kiener
simonkiener.ch
Kati Rickenbach
katirickenbach.ch
Nadja Baltensweiler
nadjabaltensweiler.ch
Hier gibt es weitere
Infos:
syndicom.ch/illustration
howthef.ch
Text: Michael Moser
Bild: syndicom
Acht Illustrator*innen schreiben ein Manifest
und wollen neuen Schub in ihre Branche bringen
«Wir, die unterzeichnenden acht Illustrator*innen,
haben uns im Februar 2020 der
Gewerkschaft für Medien und Kommunikation
syndicom angeschlossen, um etwas gegen
die in unserer Branche verbreiteten prekären
Arbeitsbedingungen zu unternehmen und um
die Diskussion rund um Honorare und Nutzungsrechte
wieder anzustossen.» So fängt
das Manifest an, mit dem Annina Burkhard,
Barbara Seiler, Rina Jost, Deborah Lätsch,
Kati Rickenbach, Nadja Baltensweiler, Regina
Vetter und Simon Kiener gerade antreten,
um die Welt der Illustration in der
Schweiz zu verändern. Das Ziel der acht jungen
Kreativen ist es, dass sich die selb ständig
erwerbenden Illustrator*innen der
Schweiz zusammenschliessen und gemeinsam
ihre Branche im Sinne der Berufsleute
gestalten. Sei es etwa in einem gemeinsamen
Auftritt bezüglich der Nutzungsrechte,
einer offenen Diskussion über die Branchentarife
oder sogar in kollektiven Verhandlungen
mit Verlagen. Alles nicht nur
wichtige Bereiche aus der Welt der Illustration,
sondern auch urgewerkschaftliche Anliegen.
syndicom und die Illustrator*innen
ergänzen sich perfekt.
Gestartet hat es damit, dass Annina und
Barbara, die «How the F*ck do I survive»
(howthef.ch), eine Selbsthilfeplattform für
Illustrator*innen, gegründet haben, realisierten,
dass es einen weiteren Schritt
braucht, damit sie und ihre Berufskolleg*innen
in der Branche «über»-leben können.
Zusammen mit Simon und Rina diskutierten
sie, ob nun ein eigener Verband
gegründet werden müsste, oder wie sonst
eine kollektive Organisation der Illustrator*innen
möglich war. Via Simon kam der
Kontakt zu syndicom zustande und nach
einigen Gesprächen war klar, dass sich die
Illustrator*innen unter dem Dach von syndicom
organisieren wollen. Nicht nur, dass
die Chemie stimmte, auch, dass man sich
bei syndicom nicht nur alleine, sondern
auch mit verwandten Berufen zusammenschliessen
kann, um gemeinsam noch stärker
zu sein, überzeugte. In der Coronakrise
zeigte sich bereits ein erstes Mal, wie richtig
diese Überlegung war.
Nachdem sich die vier mit Nadja, Kati,
Deborah und Regina weiter verstärkt hatten,
hat sich die Kerngruppe nun ein halbes
Jahr lang vorbereitet, diverse Arbeitsmaterialien
für Illustrator*innen erstellt und erste
Überlegungen über die Zukunft der Illustration
angestellt. Ab sofort tragen sie ihre
Botschaft in die Branche hinaus und am
13. November findet eine erste Veranstaltung
statt, wo sich auch alle Illustrator*innen
zu Wort melden können, die sich bis
dann noch syndicom an schlies sen werden.
Kurz und
bündig
Soziale Rolle der Briefträger*innen \ PostAuto unterbricht Verhandlungen \
Susan Boos an der Spitze des Presserats \ Sunrise-Übernahme und Sozialplan
\ Covid-19 bremst die Ausbildung der Jugendlichen \ Risikoprämie für
Post-Angestellte
5
Soziale Funktion der Postboten
In einer Interpellation an den Bundesrat
stellt die grüne Nationalrätin Léonore
Porchet (VD) fest, dass der vermehrt auf
den Briefträgerinnen und Briefträgern
lastende Druck ihre Rolle als gesellschaftliches
Binde glied gefährdet. Sie
möchte wissen, wie der Bundesrat diese
Rolle in Zukunft zu schützen beabsichtigt.
Weiter fragt sie, wie der Bundesrat
den wirtschaftlichen Optimierungsdruck
lindern will, der auf das Postpersonal
und das Poststellennetz ausgeübt wird
und die Post daran hindert, ihre gesellschaftliche
Funktion wahrzunehmen.
Die Sanktionierungsmöglichkeit der Post
für Briefträger*innen, die für ihre Tour
zu viel Zeit brauchen, steht im Widerspruch
zu dieser Funktion. Porchet
möchte hören, wie der Bundesrat gedenkt,
die gesellschaftliche Rolle der
Briefträger und Poststellen in den strategischen
Zielen der Post zu verankern
und zu stärken.
Verhandlungen bei PostAuto
unterbrochen – wie weiter?
Ende Juli hat PostAuto die Verhandlungen
einseitig unterbrochen, obwohl
syndicom bis zum letzten Moment an
eine Lösung geglaubt hatte und mit dem
letzten Angebot einen entscheidenden
Schritt auf die Direktion zugegangen ist.
Die PostAuto-Delegierten haben am 22.
August – nach Redaktionsschluss dieser
Ausgabe – beschlossen, wie es weitergehen
soll. Infos dazu auf syndicom.ch.
Susan Boos wird den Presserat
präsidieren
Der Stiftungsrat des Schweizer Presserats
hat eine neue Präsidentin gewählt:
Die Journalistin, Buchautorin und Redaktorin
Susan Boos folgt per 1. Januar
2021 auf den zurücktretenden Dominique
von Burg. Sie war dreizehn Jahre
in der Redaktions- und Geschäftsleitung
der Wochenzeitung WOZ. Dominique
von Burg hat den Presserat seit 2008
präsidiert und tritt per Ende 2020 zurück,
nachdem er die maximale Amtsdauer
erreicht hat.
Sunrise will sich an den
Besitzer von UPC verkaufen
Der angelsächsische Telekom-Riese
Liberty Global, Besitzer von UPC, bietet
6,8 Milliarden Franken in bar für Sunrise.
syndicom rechnet mit einem Stellenabbau
im Zuge dieser Fusion. Die
Gewerkschaft wird die Fusion zusammen
mit den Personalvertretungen von
Sunrise und UPC eng begleiten. Bei den
Sozialplanverhandlungen wird ein besonderer
Fokus auf Frühpensionierungen
und eine grosszügige Unterstützung
von Weiterbildungen gelegt.
70 % der Jugendlichen in ihrer
Ausbildung durch Covid-19
beeinträchtigt
Nach einer Studie der Internationalen
Arbeitsorganisation (ILO) sind seit Beginn
der Pandemie weltweit über 70 %
der Jugendlichen, die studieren oder
Ausbildung mit Arbeit verbinden, von
der Schliessung von Schulen, Universitäten
und Ausbildungszentren betroffen.
Die Hälfte von ihnen glaubt, dass
sich ihr Studium verzögern wird, 9 Prozent
fürchten sogar, dass sie scheitern
könnten.
Risikoprämie für die Post-
Angestellten: syndicom bleibt
dran!
Ebenfalls Ende Juli hat die Post offiziell
auf die Petition von syndicom geantwortet,
die eine Corona-Risikoprämie
für alle Post-Angestellten forderte.
Petition abgelehnt, lautete die enttäuschende
Antwort. Wir bleiben aber
dran! 4500 Kolleginnen und Kollegen
des Post-Konzerns unterstützen die
Forderung – ein ernst zu nehmendes
Signal für die Verantwortlichen.
Die Petition «Zum Schutz der Postangestellten»
hat klar gemacht, dass die
von der Post beschlossene Corona-
Einmalprämie nicht genügt. Wir werden
unsere Forderung deshalb spätestens
bei den Lohnverhandlungen im kommenden
Frühling erneut stellen.
Agenda
September
Ab 9.
Informationsanlässe
GAV Post 2021
Für Mitarbeitende von Post CH und von
PostFinance gilt ab dem 1. Januar 2021
ein neuer Gesamtarbeitsvertrag. Wie
verändern sich deine Arbeitsbedingungen?
Genau das erfährst du an deinem
Informationsanlass. Die Anlässe sind
kostenlos, können auf Arbeitszeit
besucht werden und finden in deiner
Nähe statt. Am 9. 9. in Basel, 10. in
Thun, 15. in Zürich, 21. in Frauenfeld,
22. in Bern und 28. in Baden. Infos und
Anmeldung auf syndicom.ch unter
Branchen – Post und Finanz – Der neue
GAV – Kurse GAV Post 2021.
12.
Zweites nationales Treffen
der Kurier*innen
Ab 14 Uhr in Lausanne, Maison du
peuple, werden wir über die Zukunft
unserer gewerkschaftlichen Organisierung
und die Professionalisierung
unserer Branche diskutieren. Im Oktober
wird syndicom beim Bundesrat
den Antrag auf Allgemeinverbindlicherklärung
unseres GAV einreichen.
Anmeldung auf der Mitgliederplattform:
my.syndicom.ch.
Oktober
Ab 1.
Für Personalvertreter*innen
und Mitarbeitende von
PostAuto und den PU
Es gibt noch freie Plätze für den Kurs
«Rechte und Pflichten der PeKo bei
PostAuto und den PU» (am 1./2. Oktober
in Bad Ragaz) und für die Kurse
«AZG für Postauto-Fahrer*innen»
(asa-anerkannt) am 28. Oktober in
Zürich und am 10. November in Aarau.
Melde dich online an: syndicom.ch,
Mitgliederservice – Bildungsangebote.
syndicom.ch/agenda
6
Die andere
Seite
Ralf Helbig
ist Managing Director bei Detecon (Schweiz) AG. Detecon,
eine Tochter der T-Systems International, fungiert als Beratungssäule
für deren Digitalgeschäft. Ausserdem lehrt Helbig
Prozessbasiertes Management an der Universität Bonn.
1
Was bedeutet der neu abgeschlossene
GAV für Detecon und für Sie
persönlich, Herr Helbig?
Dass wir uns unserer Verantwortung
als Arbeitgeber bewusst sind. Diesen
Weg als erstes Consulting-Unternehmen
gegangen zu sein, macht uns
natürlich auch stolz. Für mich persönlich
bedeutet der GAV auch einen
Hebel, um unseren Mitarbeitenden
das bestmögliche Umfeld zu bieten,
um ihr Potenzial voll zu entfalten.
2
Wie kann der GAV die New-Work-Aktivitäten*
von Detecon unterstützen?
Z. B. haben wir das Homeoffice im
GAV zum ersten Mal dediziert geregelt.
So ermöglichen wir eine flexiblere
und eigenverantwortliche Einteilung
der Arbeitszeit, was auch die
Vereinbarkeit von Beruf, Familie und
Freizeit vereinfacht. Diese gewinnt
natürlich gerade in der Phase der Familiengründung
an Bedeutung. Die
Vertrauensarbeitszeit, die der GAV ermöglicht,
ist ein Beispiel, wie wir da
als Unternehmen ansetzen können.
3
Inwiefern bietet der GAV besseren
Schutz und gesicherte Arbeitsbedingungen
für rund 80 Arbeitnehmende?
Wichtige Themen wie Lohn, Arbeitszeit,
Ferien und Lohnfortzahlung bei
Krankheit oder Unfall sind nun einheitlich
dokumentiert. Unsere Mitarbeitenden
wissen, welche Leistungen
wir als Arbeitgeber bieten und worauf
sie sich berufen und verlassen können.
Das schafft Transparenz und
Fairness.
4
Was können Unternehmen und die
Branche gegen den IT-Fachkräftemangel
unternehmen?
Der IT-Fachkräftemangel ist auch für
uns eine Herausforderung. Wir müssen
verstehen, was diese Profile für
Bedürfnisse und Wünsche haben.
Dazu gehört natürlich der Lohn, aber
z. B. auch attraktive Projekteinsätze,
ein umfassendes Weiterbildungsangebot,
flexible Arbeitsbedingungen
und eine gute Unternehmenskultur.
5
Wie investieren Sie in die Arbeitsmarktfähigkeit
und Weiterbildung
der Arbeitnehmenden?
Unsere Mitarbeitenden und ihre Expertise
sind unser wichtigstes Potenzial.
Deswegen entwickeln wir unser
Weiterbildungsangebot kontinuierlich
weiter. Neben unternehmenseigenen
Formaten sowie externen
Schulungen und Zertifizierungen haben
wir neu z. B. die Online-Plattform
Udemy in unser Angebot einbezogen.
6
Mit dem neuen GAV wurde die Mitwirkung
des Personals im Unternehmen
verbessert. Was hat sich dadurch
bei Ihnen konkret verändert?
Offenes Feedback des Teams an die
Geschäftsleitung liegt mir am Herzen
und wir brauchen es, um uns und das
Unternehmen stetig weiterzuentwickeln.
Daher ist die Konstitution der
Personalvertretung eine sehr gute Ergänzung
und Institutionalisierung
des Dialogs.
Text: Miriam Berger
Bild: zVg
*New Work ist ein Sammelbegriff für neue Lösungen,
um Arbeiten und Leben zu verbinden.
Gastautorin
Die Verantwortung der Unternehmen
für die sozialen und ökologischen Auswirkungen
ihrer Aktivität ist eng an ihre Verantwortung
für Familien geknüpft, besonders beim
Thema Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben
der Arbeitenden.
Und dies nicht nur aus ethischen Gründen:
Studien zur Rentabilität von Unternehmen
zeigen, dass Wettbewerbsvorteile vielfach mit
einer Unternehmenskultur einhergehen, die
die Bedürf nisse der Familien und die Chancengleichheit
respektiert. Während Unternehmen
mit neuen Wettbewerbsfaktoren konfrontiert
werden, experimentieren auch Schweizer Familien
mit innovativen Modellen: Väter wollen mehr
Zeit für die Kinderbetreuung verwenden, und
Frauen wollen nach der Mutterschaft nicht mehr
die Arbeit aufgeben. Die Gründe dafür sind vielfältig
und verbinden sich zu globalen Tendenzen:
Ein Effekt der Schliessung der Bildungs lücken
bei den Mädchen? Oder sind zwei Einkommen
unentbehrlich geworden? Die zunehmende Verbreitung
von Einelternfamilien? Fortschreitende
Überwindung von starren Geschlechterrollen?
Tatsache ist, dass 81 % der Familien in den
Schweizer Grossstädten und 65 % der auf dem
Land lebenden Familien externe Unterstützung
bei der Kinderbetreuung benötigen, aber die
Familienpolitik nicht auf der Höhe der Zeit ist.
Aus diesem Grund ist ein zehntägiger Vaterschaftsurlaub
nur ein erster, unverzichtbarer
Schritt. Vor allem reagiert er auf den Hilferuf
junger Familien. Zweitens unterstützt er tüchtige
kleine und mittlere Unternehmen, die nicht
mit der Flexibilität und Vereinbarkeit konkurrieren
können, die grössere Unternehmen bereits
ausgiebig nutzen, um Talente, Kundschaft und
Investitionen anzuziehen. Schliesslich hilft er,
dass die klägliche Position der Schweiz im internationalen
Vergleich familienfreundlicher Massnahmen
endlich besser wird.
Wir brauchen Politik für
die Familien von heute
Marialuisa Parodi hat einen Abschluss in
Wirtschaftswissenschaften mit Spezialisierung
in Finanzen. Sie hat in London,
Mailand und Lugano gelebt und gearbeitet,
wo sie derzeit CIO einer Vermögensverwaltung
ist. Sie beschäftigt sich
seit Jahren mit den wirtschaftlichen
Auswirkungen von Ungleichheiten zwischen
den Geschlechtern und arbeitet
im Wirtschaftsmagazin Plusvalore von
RSI Rete Uno mit.
Sie ist Mitgründerin und Co-Direktorin
von Equi-Lab. Equi-Lab ist ein gemeinnütziger
Verein, der Beratungen zur
Vereinbarkeit von Familie und Arbeit und
zur Chancengleichheit anbietet und an
der kantonalen Plattform Vita-Lavoro
(Leben/Arbeit) beteiligt ist.
Seit 2017 ist sie die Vorsitzende des
Bundes der Tessiner Frauenverbände
(faftplus.ch), der den Vaterschaftsurlaub
unterstützt.
7
Dossier
Wie der Kontrolleur einer paritätischen Kommission arbeitet
syndicom bekämpft das Lohndumping in den Medien
Mehr allgemeinverbindliche GAV für die Logistikbranche
Was sich hinter der Kündigungsinitiative der SVP versteckt
Das System
der Löhne
9
zum Schutz
ist in Gefahr
10 Dossier
«Gegen Lohndumping sind Kontrollen
unverzichtbar»
José Abelenda, Kontrolleur der paritätischen
Kommission für die ICT-Branche, ist zuständig
für Bern, die Romandie und das Tessin.
Er erklärt, wie diese Vor-Ort-Kontrollen im
Rahmen der Flankierenden Massnahmen
Missbrauch aller Art verhindern.
Text: Sylvie Fischer
Fotos: Demir Sönmez
Die Kündigungsinitiative, über die wir am 27. September
abstimmen, will nichts Geringeres als die Personenfreizügigkeit
abschaffen. Mit der Aufhebung der bilateralen
Verträge mit der EU würden auch die flankierenden Massnahmen
zum Schutz der Löhne und Arbeitsbedingungen
wegfallen. Die Folge: weniger Transparenz und mehr
Druck auf die Löhne und die Arbeitsbedingungen.
Das gilt es um jeden Preis zu verhindern, sagt José Abelenda,
Kontrolleur der paritätischen Kommission im Sektor
ICT, der mit der Durchführung der Vor-Ort-Kontrollen
in Bern, in der Romandie und im Tessin beauftragt ist. Gemäss
dem im Juni publizierten 16. Bericht des Observatoriums
zum Freizügigkeitsabkommen werden heute in der
Schweiz jährlich 41 000 Unternehmen auf die Einhaltung
der Lohn- und Arbeitsbedingungen überprüft. Die Kontrollen
sind viel dichter als in Deutschland, was die Entstehung
von Tiefstlohnbranchen bei uns verhindert hat.
Wer in der Schweiz arbeitet, hat Anspruch auf die hierzulande
geltenden Lohn- und Arbeitsbedingungen. Dies
gilt auch für Arbeitnehmende, die von einem ausländischen
Unternehmen vorübergehend in die Schweiz entsendet
werden. Dazu können bei wiederholter missbräuchlicher
Lohnunterschreitung Bestimmungen eines
Normalarbeitsvertrags betreffend Mindestlöhne und Arbeitszeit
leichter allgemeinverbindlich erklärt werden.
Auch die Allgemeinverbindlicherklärung eines Gesamtarbeitsvertrags
(GAV) kann erleichtert werden. syndicom
hat den GAV für die Netzinfrastruktur-Branche sowie den
GAV für die Contact- und Callcenter-Branche verhandelt,
welche allgemeinverbindlich erklärt worden sind.
Korrektur der Löhne nach oben
«Wir hatten einen Fall in einem Callcenter in der Romandie,
wo statt 23 Franken nur 17 Franken Stundenlohn
bezahlt wurden. Der Chef dieses Schweizer Unternehmens
erklärte, es unterstehe nicht dem GAV. Wir mussten
ihm klar machen, dass der Geltungsbereich ausgeweitet
worden war. Er behauptete, davon nichts zu wissen. Aber
wir kennen ihn gut, denn wir hatten bereits in einem
Streitfall vor Gericht mit ihm zu tun», sagt José Abelenda.
Die Kontrollen machen nicht nur Lohnkorrekturen nach
oben möglich. Sie zeigen auch diverse weitere Probleme
auf, beispielsweise Mobbingfälle.
Medien unter der Lupe der
Tripartiten Kommission
Die Tripartite Kommission des Bundes TPK beobachtet den
Arbeitsmarkt und ist die Anlaufstelle bei Verdacht auf wiederholt
missbräuchliche Unterbietung der orts-, berufsoder
branchenüblichen Löhne. Bei Hinweisen definiert die
TPK Fokusbranchen, die sie beobachtet. Sie versucht, die
Situation in einem Verständigungsverfahren mit den betroffenen
Arbeitgebenden zu lösen.
Scheitert dieses Verfahren, können die Bestimmungen
über die minimale Entlöhnung und die entsprechenden Arbeitszeiten
in bestehenden Gesamtarbeitsverträgen erleichtert
allgemeinverbindlich erklärt werden. In Branchen ohne
GAV können zeitlich befristete Normalarbeitsverträge (NAV)
mit zwingenden Mindestlöhnen eingeführt werden. Ein nationaler
NAV existiert derzeit für die Angestellten in der Hauswirtschaft.
Zudem können die kantonalen tripartiten Kommissionen
für ihr Gebiet Normalarbeitsverträge einführen.
Im Sommer 2019 hat die TPK Bund die Sozialpartner der
Print- und Online-Medien zu einer Aussprache eingeladen,
um sich ein Bild über die Situation zu machen. syndicom hat
die Gelegenheit genutzt, die zunehmend besorgniserregende
Situation aufgrund des vertragslosen Zustands der Printund
Online-Redaktionen in der Deutschschweiz und im Tessin
darzulegen. Bei den regelmässigen Freischaffenden und
bei den jüngeren Angestellten gibt es Anzeichen, dass viele
Medienschaffende einem veritablen Lohndumping ausgesetzt
sind. Die ebenfalls vorgeladenen Vertreter des Verbands
Schweizer Medien wiesen auf das schwierige wirtschaftliche
Umfeld der Medien hin – und auf die laufenden
Verhandlungen zu einem GAV in Presse und elektronischen
Medien der Deutschschweiz und des Tessin. Ein Jahr danach
sind die Verhandlungen insbesondere bezüglich Löhnen für
Festangestellte und für Stagiaires und Honorare für regelmässige
Freie aber immer noch nicht vorwärts gekommen.
Die TPK wünschte, auf dem Laufenden gehalten zu werden.
syndicom hat nach der Corona-bedingten Pause den
Verlegerverband aufgefordert, die Verhandlungen Anfang
September 2020 zügig wieder aufzunehmen. Danach wird
der TPK Bericht zu erstatten sein. Sie hat dann die Möglichkeit,
die Medien als Fokusbranche genauer unter die Lupe zu
nehmen.
Eine breit angelegte Umfrage über die Löhne und Arbeitsbedingungen
der Medienschaffenden in Print, Online, privatem
und öffentlichem Rundfunk hat syndicom zusammen
mit dem SSM und dem Verband der Fachjournalist*innen mit
fachlicher Unterstützung des Gewerkschaftsbunds SGB im
Mai 2020 durchgeführt. Wie bereits bei der letzten grossen
Studie, die 2007 publiziert wurde, liegt die wissenschaftliche
Leitung der Studie beim Politologen Roman Graf. Er hat als
Spezialist für Lohnanalysen bereits mehrere Studien im
Organisations bereich von syndicom betreut.
Der Artikel auf Seite 18 dieses Magazins fasst die wichtigsten
Erkenntnisse der Studie zusammen. Die Medienumfrage
2020 wird auch der TPK Aufschluss über die Situation
geben.
Stephanie Vonarburg
syndicom.ch/Medienumfrage2020
José Abelenda führt die Kontrollen vor Ort durch und
arbeitet dabei mit Pascal Kaegi zusammen, dem Leiter
GAV-Vollzug bei syndicom, der fehlende Unterlagen beschafft:
«Wenn wir den Verdacht haben, dass auf einer
Baustelle Löhne von 8 bis 10 Euro bezahlt werden und ich
nicht alle Dokumente erhalte, kommt Pascal zum Einsatz
und kontaktiert das Unternehmen. Wir arbeiten auch mit
anderen paritätischen Kommissionen zusammen.»
Bei diesen offiziellen Kontrollen werden häufig noch
ganz andere Probleme aufgedeckt: «Im Tessin hatte ich
mit einem Schweizer Unternehmen zu tun, in dem die
Löhne zu niedrig waren, die Erhebung von Sozialversicherungsbeiträgen
nicht funktionierte und es Probleme mit
der Baustellensicherheit gab … Andere Male treffen wir
auf Asbestprobleme. Aus meiner Sicht sind diese Kontrollen
wirklich wichtig, da die Schweiz sonst ein Dschungel
in Sachen Lohndumping wäre.»
Schwierig wird es laut José im Bereich Netzinfrastruktur
– wegen der vielen Subunternehmen: «Häufig finden
wir einen beauftragten Betrieb und vier oder fünf Subunternehmer
vor. Wir versuchen, den Erstunternehmer per
Solidarhaftung haftbar zu machen. Denn wenn er den Auftrag
angenommen hat, müssen die Lohnbedingungen
von den Subunternehmern eingehalten werden. Manchmal
behaupten die Unternehmen, keine Kenntnis davon
zu haben. Dabei haben wir sie offiziell informiert …»
Die Kontrollen
decken
Missstände
aller Art auf
Unter den Opfern findet man «zumeist ausländische
Arbeitskräfte, die die Sprache nicht beherrschen und im
Ausland als entsandte Arbeitnehmende zu Minimallöhnen
eingestellt wurden ... Leider werden in der Schweiz im
Bereich Glasfaser und Netzinfrastruktur nicht genügend
Fachpersonen ausgebildet, Spezialist*innen müssen im
Ausland gesucht werden. Im Baugewerbe habe ich Löhne
von 900 Euro gesehen. Der Arbeitgeber hatte vor, die spanischen
Löhne zu bezahlen, und erst noch ohne Spesen.
Oft gibt es Mängel: Manchmal ist der Lohn korrekt, aber
es werden keine Spesen bezahlt. Oder statt zwei Arbeitern
leben vier in einem Zimmer. Ab einem Alter von 50 sind
auch Schweizer*innen bereit, tiefere Löhne und irgendeine
Arbeit zu akzeptieren», stellt der Gewerkschafter fest.
Wie man es besser machen kann
Diese Verfahren sind zwar vertraulich, aber nicht frei
von Druck: «Im Tessin wollte ein Unternehmen die Personen
entlassen, die uns geantwortet hatten. In solchen Fällen
kann das beauftragte Unternehmen gebüsst oder angezeigt
werden.» José stellt fest, dass in Grenzkantonen
wie dem Wallis, Tessin oder Jura, wo der Arbeitsmarkt
klein ist, eher Lohndumping herrscht. Was schliesst er daraus?
«Mit mehr Mitteln und Kontrolleur*innen könnten wir
effizienter sein, da das Gebiet gross und noch nicht genug
abgedeckt ist. Bei der Meldung von zu kontrollierenden
Situationen könnte es rascher gehen. Denn wenn Arbeitnehmende
nur für drei oder vier Tage entsandt werden,
sind sie schon nicht mehr da, wenn wir zur Kontrolle kommen.
Man könnte dies innerhalb von maximal 48 Stunden
tun.» José bedauert auch, dass Zuwiderhandelnde im Ausland
nicht strafrechtlich verfolgt werden können.
Das Meldeverfahren auf der Website des Justiz- und
Polizeidepartements ist im Übrigen noch unbefriedigend.
Bestimmte Kontrollen sind erschwert, weil im
Menü die entsprechende Rubrik fehlt. Die Online-Meldung
wurde 2004 eingeführt, das letzte grössere Update
fand 2015 statt. So werden die Tätigkeiten «Call- und Contactcenter»
und «Netzinfrastruktur» erst im Herbst 2020
12
Dossier
aufgenommen, sagt das Staatssekretariat für Migration
(SEM), das gemeinsam mit dem Seco, den Kantonen und
den paritätischen Kommissionen für die Aktualisierung
dieser Verfahren zuständig ist. Ab Herbst werden Wirtschaftssektoren
und Tätigkeiten schrittweise ergänzt, indem
neue Berufe und Bezeichnungen eingeführt oder alte
ersetzt werden. Das SEM erklärt die lange Einführungszeit
damit, dass alles mehrsprachig erfolgen muss und mehrere
Akteure (Bund, Kantone, paritätische Kommissionen)
betroffen sind, was eine umfassende Vorbereitung
benötigt. Das SEM relativiert das Problem der fehlenden
Rubriken: Die Tätigkeiten könnten jeweils in eigenen
Worten im Kommentar oder in Form eines Freitexts beim
Meldeverfahren beschrieben werden. Es seien jederzeit
Kontrollen durch die Vollzugsorgane der flankierenden
Massnahmen – die Kantone und paritätischen Kommissionen
– möglich.
Fokus auf nationale Lösungen
Als stossend erachten kann man aber, dass seit der Allgemeinverbindlicherklärung
des GAV für die Netzinfrastruktur-Branche
am 1. Oktober 2018 nur aus dem Kanton
Tessin regelmässig Meldungen eingegangen sind. Dabei
gab es sicher in den allermeisten Kantonen entsandte Arbeitnehmende
in diesem Sektor. «Natürlich ist das stossend»,
meint syndicom-Präsident Daniel Münger. «Damit
die Kontrollen im ganzen Land effizient und mit Erfolg
durchgeführt werden können, müssen die Voraussetzungen
gegeben sein. Dazu gehören funktionierende Schnittstellen
zum Seco und zu den kantonalen Behörden und
der Wille zur Zusammenarbeit zwischen Behörden und
Sozialpartnern. Ohne diese Zusammenarbeit sind die
Kontrollen nur teilweise erfolgreich.»
syndicom strebt mehr
allgemeinverbindliche
GAV an, besonders
in der Logistik.
Zur Frage, ob bestimmte Berufsgruppen von syndicom
nicht vermehrt kontrolliert werden müssten, meint Daniel
Münger, dass Kontrollen in den Grenzregionen natürlich
häufiger durchgeführt werden, weil dort mehr entsandte
Personen tätig sind. Wenn die Voraussetzungen
erfüllt sind (Meldung etc.), dürfte die Gefahr fehlender
Kontrollen abgewendet sein. «Es ist auch Sache der paritätischen
Kommissionen, für Kontrollen auf nationaler
Ebene in ihrem Vollzugsbereich zu kämpfen. Ein Ziel von
syndicom ist es insbesondere, mehr allgemeinverbindliche
GAV abzuschliessen, vor allem in der Logistik.»
Die Allgemeinverbindlicherklärung ist ein sozialpartnerschaftlicher
Akt und setzt bestimmte Kriterien voraus.
syndicom gibt damit Lösungen auf nationaler Ebene die
Priorität. «Wir streben nicht rein kantonale Lösungen an»,
sagt der syndicom-Präsident. «Mit der Festlegung von Referenzlöhnen
in prekären Branchen durch kantonale oder
nationale Lohnverträge werden nur Mindestbedingungen
geregelt. Der beste Weg ist die Allgemeinverbindlicherklärung
der GAV, da nur sie Kontrollen garantiert und den
besten Schutz bietet», schliesst Daniel Münger und erklärt,
dass syndicom zum Ziel hat, die Branchen, in denen
die Gewerkschaft GAV-Partner ist, selbst zu kontrollieren.
Dossier
Was wirklich hinter der
Kündigungsinitiative der SVP steckt
13
Um Migration, EU und Souveränität geht es
nicht: Die SVP greift mit der Kündigungsinitiative
vielmehr Jobs, Löhne und Arbeitsbedingungen
in der Schweiz frontal an.
Text: Oliver Fahrni
Bilder: Demir Sönmez und syndicom
Als die Schweiz im vergangenen März die Grenzen dichtmachte,
um die Gesundheit der Bevölkerung vor dem
Corona-Virus zu schützen, drohte die Gesundheitsversorgung
des Landes zusammenzubrechen. Das ist paradox,
hat aber eine simple Erklärung. 60 Prozent der Ärztinnen,
Techniker und Pflegenden im Universitätsspital Genf
sind Ausländer, darunter sehr viele Grenzgänger*innen.
In der Uni-Klinik Basel, im Kantonsspital Aarau, sogar in
Zürich, Lausanne und in St. Gallen verhält es sich ähnlich.
Und 3000 Italienerinnen und Italiener fahren jeden Morgen
ins Tessin, um dort die Bevölkerung medizinisch zu
versorgen.
Zwar durften Grenzgänger weiter einreisen, aber geschlossene
Übergänge, Staus und Grenzkontrollen verlängerten
die Arbeitswege hin und her bis auf 6 Stunden.
Viele konnten sich nicht mehr bis zur Arbeitsstelle durchschlagen.
«Unzumutbare Zustände», konstatierte Omar
Gisler, der Sprecher des Kantonsspitals Baden, «so lässt
sich kein normaler Betrieb aufrechterhalten.» Allein in
seinem vergleichsweise kleinen Krankenhaus arbeiten
140 Grenzgänger*innen.
Hinter Mauern und Grenzen wütet die Seuche
In offenen Gesellschaften und Wirtschaftsräumen sind
Grenzen untaugliche Instrumente. Davon zeugen allein
schon die 330 000 ausländischen Arbeitenden, die täglich
in die Schweiz pendeln und die notwendig sind, um den
Service public, den Tourismus, die Nahrungsmittelversorgung,
die Industrie und das Gewerbe am Laufen zu halten
– bis weit hinein in die Innerschweiz. Grenzen lösen keine
Probleme, sie schaffen welche. Das Corona-Virus haben
sie nicht aufgehalten, es hat sich weltweit verbreitet. Eklatantes
Beispiel für das Versagen von Mauern und Abschottung
sind die USA von Donald Trump, wo die Seuche fast
ungebremst wütet. Einige europäische und asiatische
Länder hingegen zeigen: Weit wirksamer sind eine hohe
Ärztedichte, gut ausgebaute öffentliche Dienste, geringe
Einkommens- und Vermögensunterschiede, solidarische
Verhaltensformen und transparent handelnde Regierungen.
Und der ökologische Zustand eines Territoriums.
Wollt ihr
den sozialen
Crash?
Vorgeschmack auf den 27. September
So wirft die Corona-Krise ein Schlaglicht darauf, was der
Schweiz droht, sollten die abstimmenden Bürger*innen
am 27. September der SVP und ihrer Satellitenorganisation
AUNS auf den Leim gehen. Ihre Kündigungsinitiative
will die Personenfreizügigkeit mit Europa kappen. Damit
würden alle bilateralen Abkommen mit der EU fallen.
Die Fakten liegen auf dem Tisch: Sämtliche Ökonomen
von Verstand, die Wirtschaftsverbände und sogar
SVP-Unternehmer wie Peter Spuhler wissen, dass diese
Initiative ein ökonomisches und soziales Desaster programmiert.
Schotten wir uns von der EU ab, bricht der
Wohlstand der Schweiz weg. Die Löhne würden rabiat
sinken, viele Jobs würden wegbrechen, die AHV und die
anderen Sozialversicherungen kämen ins Taumeln, unser
Land wäre von Forschung, kulturellem Austausch und
den gros sen EU-Programmen für Umwelt und Innovation
abgeschnitten. Zehntausende junge Schweizer*innen
wären von europäischen Bildungsprogrammen ausgeschlossen
und wir müssten auf der Italienreise am Zoll
von Chiasso stundenlang warten und Devisenerklärungen
ausfüllen.
Man braucht kein Nobelpreisträger zu sein, um diese
Zusammenhänge zu verstehen. Die Schweiz liegt mitten
in Europa, 70 % der Ausländer stammen aus Europa und
wir verdienen zwei von drei Exportfranken mit der EU. Allein
mit dem deutschen Bundesland Baden-Württemberg
tauschen wir ebenso viele Waren und Dienstleistungen
wie mit den USA. Und das ist nur der wirtschaftliche Aspekt.
Wer die Schweiz von 1940 mit der Schweiz von 2020
vergleicht, der sieht, wie viel Zivilisiertheit, Weltoffenheit
und Lebenskunst wir mit der Migration gewonnen haben.
14 Dossier
Schotten wir uns von der EU ab, bricht der Wohlstand
der Schweiz weg. Das Desaster wäre programmiert.
Dumpfbräsig behauptet der Blocherclan in seiner
schrägen Weltsicht, Europa brauche die Schweiz und werde
deshalb schnell neue Abkommen ohne Personenfreizügigkeit
schliessen. Das für die EU ungleich wichtigere
Grossbritannien macht gerade die gegenteilige Erfahrung.
Die ersten Folgen des Brexit sind so brutal, dass
nicht einmal die Corona-Krise sie kaschieren kann.
Alpen-Singapur
Die Fakten sind so unbestritten, dass eigentlich nur eine
Frage bleibt: Warum will die SVP, die sich selbst als die
bessere Partei der Wirtschaft neben dem Freisinn definiert,
die Schweiz an die Wand fahren? Warum will sie die
bewährten, gut geregelten und meist freundlichen Beziehungen
zu unseren Nachbarn beenden?
Um Migration und «Masseneinwanderung», die sie als
Grund für ihre Initiative angibt, geht es der SVP offensichtlich
nicht, denn sie verspricht, die Wirtschaft bekomme
weiterhin jede ausländische Arbeitskraft, die sie
brauche. Das ist genau der Punkt. Nicht die Personenfreizügigkeit
produziert die Immigration – die Zuwanderung
wird so gut wie ausschliesslich von den Bedürfnissen der
Unternehmen bestimmt. Zu Beginn der 1960er-Jahre lag
der Ausländeranteil weit höher als heute und auch 1990,
also lange vor der Personenfreizügigkeit, lebten in der
Schweiz prozentual mehr Ausländer*innen. Jetzt rufen
die Wirtschaftsverbände nach zusätzlicher Immigration,
denn es fehlen Zehntausende Fachkräfte und jetzt kommen
die geburtenschwachen Jahrgänge in Lehre und Job.
Ist es in Wahrheit nicht die Einwanderung, was treibt
die SVP dann wirklich an? Die bilateralen Verträge mit der
EU stören die SVP-Millionäre und -Milliardäre, weil sie die
Flankierenden Massnahmen, Lohnschutz und bessere Arbeitsbedingungen
gebracht haben, also mehr Sicherheit
und Wohlstand für die Arbeitenden. Die Nationalrätin,
Konzernchefin und designierte Clanführerin Martullo-
Blocher äussert regelmässig ihren Hass auf Gesamtarbeitsverträge,
flankierende Massnahmen, Lohnkontrollen
und Gewerkschaften.
In der SVP ist das wie ein Mantra. Sie will zurück in die
Schweiz der Kontingente und der Sonderstatute wie dem
Saisonnier-Statut, also zurück in die Barackenschweiz
rechtloser Arbeitender. Auch dabei zielen sie mehr auf die
In- als die Ausländer: Unter dem Saisonnierstatut konnten
die Löhne gedrückt werden, alle Löhne, auch und vor
allem die Löhne der Inländer, Lohnkontrollen waren inexistent,
die Gesamtarbeitsverträge blieben zahnlos. Damit
haben die Bilateralen und die Flankierenden aufgeräumt.
Martullo-Blocher und SVP-Banker wie Thomas Matter
aber wünschen sich heute ein «Alpen-Singapur», wo ungeschützte,
beliebig biegbare Arbeitende eine international
Warum will die SVP
die Schweiz
an die Wand fahren?
Was treibt sie an?
operierende Oberschicht bedienen. Die SVP hat dem Freisinn
längst den ersten Rang als Sozialdumper-Partei abgelaufen.
In Wahrheit ist diese Initiative ein Grossangriff
auf Schweizer Löhne und Jobs.
Simple Sache
Die Gewerkschaften fallen auf die nationalistische Propaganda
der Rechtsextremen nicht mehr herein. Sie haben
schon vor Jahrzehnten erkannt, dass nicht die ausländischen
Kolleg*innen ihre Löhne drücken und ihre Jobs
gefährden, sondern die Konzerne, und dass man das nur
verhindern kann, wenn alle Arbeitenden in der Schweiz,
egal mit welchem Pass, dieselben Rechte haben. Darum
treten sie für die FlaM und die Bilateralen ein. So einfach
ist die Sache.
Alles zur Kündigungsinitiative:
jobs-und-loehne.ch
Fotoreportage
Für diese Fotoreportage hat Demir Sönmez, Schweizer Fotograf
mit armenischen/kurdischen Wurzeln, den paritätischen
Kontrolleur José Abelenda bei Routinekontrollen auf einer
Baustelle im Kanton Freiburg begleitet (alle Bilder stammen
von Demir, ausser dem Foto auf Seite 13, das syndicom im
Wallis aufgenommen hat). Demir, der häufig an Streiks oder
Kundgebungen fotografiert, schätzte die gute Zusammenarbeit
zwischen Kontrolleur und kontrollierten Personen.
«Es hat mich gefreut, diese für mich neue Erfahrung am
Arbeits platz zu machen. José unterhielt sich locker mit den
Leuten über ihre Bedürfnisse, wollte wissen, ob sie unter
sicheren Bedingungen arbeiten können, und hinterliess
ihnen seine Kontaktangaben. Dabei herrschte eine fast
freundschaft liche Atmosphäre», kommentiert der Fotograf.
Für Demir Sönmez ist Fotografie ein wichtiger Teil des kollektiven
Gedächtnisses. Seine Bilder sind mehrfach ausgezeichnet
worden. Er besitzt einen Schweizer und einen internationalen
Presseausweis, ist Mitglied von Reporter ohne
Grenzen und der Internationalen Journalisten-Föderation.
Die ganze Vielfalt seiner Arbeit: photographygeneva.com.
Kontrolltätigkeit in der Schweiz
Um gegen Lohndumping vorzugehen, braucht es Kontrollen. Die Erfahrungen mit
den Kontrollen im Rahmen der Flankierenden Massnahmen zeigen, dass Kontrollen
wirken. 2019 wurden von den paritätischen und tripartiten Kommissionen 160 000
Personen kontrolliert. Nur ein NEIN zur Begrenzungsinitiative bewahrt dieses
Kontrollsystem, um das uns unsere Kolleg*innen in der EU beneiden.
Wie viel wird kontrolliert?
Jährliche Kontrollen der kantonalen paritätischen und tripartiten
Kommissionen.
ohne allgemeinverbindliche GAV allgemeinverbindliche GAV
kantonal allgemeinverbindliche GAV Total gesetzliches Ziel
50 000
40 000
Wie stark wird kontrolliert?
Nicht allein eine hohe absolute Anzahl Kontrollen wirkt
abschreckend, es muss auch ein hoher Prozentsatz von
allen Betrieben/Personen kontrolliert werden. Der Anteil der
kontrollierten Betriebe bzw. ausländischen Selbständigerwerbenden,
die «Kontrollintensität», ist entscheidend für
die Wirkung der Kontrollen.
30 000
20 000
10 000
Quelle: Seco
0
2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019
Zielerreichung auf nationaler Ebene im Jahr 2019
Branchen mit allgemeinverbindlichen GAV
Branchen ohne allgemeinverbindliche GAV
Anteil der kontrollierten Schweizer Arbeitsstätten
7%
8%
8%
Anteil der kontrollierten Entsandten
26%
Total
29%
34%
Wie viele Verfehlungen werden durch die Kontrollen
aufgedeckt?
Die Notwendigkeit der Kontrollen zeigt sich auch am
Anteil der festgestellten Lohnunterschreitungen an den
gesamten Kontrollen. Ein wichtiger Indikator.
Dumpinganteil Schweizer Arbeitgeber (Branchen ohne allgemeinverb. GAV)
2018
2019
Dumpinganteil ausländische Arbeitgeber (Branchen ohne allgemeinverb. GAV)
2018
2019
Quelle: Seco
12%
11%
14%
15%
Anteil der kontrollierten meldepflichtigen Selbständigerwerbenden
27%
Quelle: Seco, Modell Egger, SEM
32%
40%
Wo wird kontrolliert?
Nicht überall wird gleich viel kontrolliert. Die Aufteilung unter
den Kantonen wird von der Grösse des Arbeitsmarktes, der
Anzahl grenzüberschreitender Dienstleistungserbringer und
dem allgemeinen Einfluss der Personenfreizügigkeit auf die
kantonalen Arbeitsmärkte bestimmt.
Anzahl der Betriebskontrollen durch kantonale TPK und PK 2019 nach
Region (bei Schweizer Unternehmen, bei Entsendebetrieben und bei
Selbständigerwerbenden).
Wie viel wird sanktioniert?
Werden Verfehlungen festgestellt, können Bussen und
Dienstleistungssperren erlassen werden. Für die Sanktionierung
sind die kantonalen Behörden verantwortlich.
5000
4500
4000
3500
3000
2500
2000
1500
1000
500
0
Anzahl Bussen
Total rechtskräftige Sanktionen
Quelle: ReSa-Liste des Seco
Anzahl Dienstleistungssperren
2014 2015 2016 2017 2018 2019
Betriebskontrollen tripartit
TI
ZH
GE
VD
BE
AG
VS
LU
BS
FR
GR
BL
NE
SG
SO
TG
SZ
JU
SH
UR/OW/NW
ZG
AR/AI
GL
Quelle: Seco
2 836
2608
1962
1727
1551
1 504
1 402
1 306
1 306
1 203
1 121
1 115
921
606
562
534
433
329
174
149
Betriebskontrollen paritätisch
4 600
4106
7 592
16
Eine bessere
Arbeitswelt
Meine Ideen gehören dir
nicht!
Du gibst deine Arbeitszeit und erhältst dafür
einen Lohn. Doch die Verwischung der Grenzen
zwischen Arbeit und Freizeit führt dazu, dass der
Arbeitgeber sogar einen Anspruch an das stellt,
was in der Freizeit gemacht wird oder noch vor
dem Arbeitsverhältnis getan wurde. Konkret
sieht man dies bei den Rechten am geistigen
Eigentum. Unternehmen in der IT-Branche versuchen
via weitschweifende Vertragsklauseln,
sich ein Recht auf das zu sichern, was irgendwann
einmal Profit abwerfen könnte.
Bei der Entwicklung von Software und Algorithmen
geht der Widerspruch zwischen Arbeit
und Kapital, zwischen Allgemeinwohl und
Privat interesse aber noch viel weiter: Was ist,
wenn die Maschinen mit hoher Rechenleistung
im Eigentum weniger multinationaler Konzerne
sind? Erfindungen und Ideen, die eigentlich der
Allgemeinheit dienen sollen, gehen automatisch
in den Besitz der privaten Monopolisten
über. Diese Monopole können nur beschränkt
gesellschaftlich, demokratisch kontrolliert werden.
Darum müssen wir dafür sorgen, dass die
Arbeitnehmenden in IT-Berufen freier über ihre
Rechte am geistigen Eigentum verfügen dürfen,
so wie die Resolution des Sektors ICT zu den
«IP Rights» es vorsieht.
Miriam Berger
Die Arbeitnehmenden in IT-Berufen sollen freier über ihre Rechte verfügen dürfen.
(© Fotomelia)
Hier die Resolution von syndicom ICT:
Bit.ly/3hHrYg5
Gewinne privat,
Verluste dem Staat ...
Marco Geissbühler,
Regionalsekretär Medien
Im Frühling dieses Jahres leisteten die
Angestellten der Schweizer Illustrierten
noch Kurzarbeit in der Hoffnung,
dadurch Entlassungen zu verhindern.
Doch vergeblich: Nun stehen sie trotzdem
auf der Strasse. 35 Medienschaffende
entlässt der Medienkonzern
Ringier Axel Springer. Neben der SI
sind auch die Angestellten der Modemagazine
Style und Bolero betroffen.
Beide Titel werden ganz eingestellt.
Bei Kurzarbeit zahlt die Arbeitslosen
kasse – sprich: die öffentliche
Hand – einen Teil der Löhne. Ziel ist,
durch diese Unterstützung Entlassungen
zu verhindern. Die Steuergelder
nahm Ringier Axel Springer zwar gerne
entgegen. Die Leute stellen sie nun
gleichwohl auf die Strasse.
Ringier Axel Springer ist ein gemeinsames
Projekt von zwei lukrativen
Konzernen: Ringier wies 2019 einen
Gewinn von über 100 Millionen aus,
Axel Springer sogar über 600 Millionen
Franken. Auch mit Kurzarbeit
streichen erfolgreiche Unternehmen
umgehend Stellen ab, wenn es sich
lohnt. Manager funktionieren oft
nach der Logik «Die Gewinne privat,
die Verluste dem Staat».
Das muss die Politik berücksichtigen,
wenn sie Steuergeld an Grosskonzerne
verteilt. Bund und Kantone müssen
öffentliche Finanzierung immer
mit Auflagen verknüpfen, damit diese
Mittel auch ihren Zweck erfüllen. Nur
so landet das Geld schlussendlich am
richtigen Ort.
«Die Vereinbarung von Lugano zeigt einmal mehr die Erfolge eines
geschlossenen und koordinierten Vorgehens.» Giovanni Valerio
17
Nicht eine einzige
Stunde kostenlos
Es ist nie angenehm (oder auch nur
legitim), wenn man gesagt bekommt,
dass man umsonst gearbeitet hat.
Man kann sich daher den Ärger und
die Enttäuschung der PostAuto-Chauffeur*innen
des Teams 3 der Regie in
Lugano vorstellen, als sie erfuhren,
dass sie einen Teil ihrer Überstunden
kostenfrei aufgeben sollten. Aber der
Reihe nach.
Das Virus ist keine Entschuldigung
Im November 2019 übernahm Post
Auto die Strecken von IA Capriasca
Servizi, deren Fahrer Überstunden angesammelt
hatten. Die Chauffeur*innen
beauftragten syndicom mit Verhandlungen,
um zu verhindern, dass
diese Stunden durch eine Zuteilung
von Kurzschichten «verloren» gingen.
Kurz darauf kam Covid-19. Um die
Stunden auf das Ferienkonto zu übertragen,
stellte PostAuto die Bedingung,
dass ein Drittel der Überstunden
kostenlos übertragen werden
sollte, um den virusbedingten Arbeitsausfall
auszugleichen. syndicom verlangte
stets, dass das Team 3 wie die
anderen Niederlassungen von Post
Auto behandelt werden sollte: Es ist
Sache der Chauffeur*innen, zu entscheiden,
ob diese Stunden zur Verfügung
gestellt werden oder nicht.
Ein Drittel der Überstunden wird sofort bezahlt,
der Rest kann kompensiert werden.
Eine befriedigende Vereinbarung
Nach wochenlangen Verhandlungen
wurde eine Einigung erzielt: Ein Drittel
der Überstunden wird sofort mit
dem Gehalt bezahlt, zwei Drittel werden
als Kompensationstage betrachtet,
die bis Ende 2020 im Einvernehmen
zugeteilt werden müssen. Sollte
ein positiver Saldo bleiben, verbleibt
er bei den Chauffeur*innen. Nicht
eine Stunde wurde kostenlos abgegeben.
Eine Vereinbarung, die die
Arbeitnehmer zufriedenstellt und einmal
mehr die Ergebnisse eines
geschlossenen und koordinierten
Vorgehens der Gewerkschaft zeigt.
Giovanni Valerio
«Personal aufstocken bei PL»:
Wie gemeinsames Handeln wirkt
PL zirka 400 neue Mitarbeitende unbefristet
eingestellt. Etliche temporär
arbeitende Kolleg*innen wurden fest
angestellt. Weitere 150 Stellen sollten
noch dazu kommen.
Stammbelegschaft schuftete
ohne Ende
In der Covid-19-Krise bestellten Frau
und Herr Schweizer ihre Ware übermässig
per Mausklick. Das Paketvolumen
in den Distributionsbasen der
Post schoss in die Höhe. Spitzen, wie
sie nicht mal im Weihnachtsgeschäft
erreicht werden, wurden zum Alltag
für die Kolleginnen und Kollegen bei
PostLogistics (PL). Und weil das unmittelbar
und ungeplant eintraf,
schuftete die Stammbelegschaft. Sie
leisteten Überstunden, es zerrte an ihren
Kräften. Das betraf sowohl die Sortierung
wie auch die Zustellung. Doch
hatte man den Eindruck, die Vorgesetzten
unternähmen nichts, um das
Personal zu entlasten – ihre Anliegen
und Klagen wurden nicht erhört. Also
startete syndicom im Mai die Petition
«Personal aufstocken bei PL». Innerhalb
weniger Wochen unterzeichneten
sie über 500 Kolleginnen und Kollegen.
Mehr Personen fest angestellt
Die Forderungen der Petitionär*innen
trug der Sektorleiter Matteo Antonini
den Post-Verantwortlichen vor.
Und es hat sich gelohnt, etwas Druck
aufzusetzen: Vordrängendstes Anliegen
war – wie der Name der Petition
schon sagt – die Erhöhung des festange
stellten Personalbestands.
Anstatt Spitzen mit Leihpersonal
aufzufangen,
sollte die Anzahl Festangestellte
erhöht werden.
So kann die Arbeitsbelastung
langfristig gesenkt
werden. Diese Forderung
ist durchgedrungen: Binnen
weniger Wochen hat
Die Petition der Angestellten
hat eine Veränderung erreicht.
(© Post)
Freizeitausgleich der Überstunden
Auch andere, weiterführende Forderungen
des Personals, welche auf dieser
temporären Überbelastung während
des Corona-Lockdowns fussten,
setzte die Leitung von PL in der Folge
um. So stellte sie raschestmöglich wieder
auf eine 5-Tage-Woche um. Entlastung
bei den Volumen von PL schaffte
die engere Zusammenarbeit mit der
Briefverarbeitung von PostMail. Das
strapazierte Personal von PL verlangte
eine Umwandlung der geleisteten
Überstunden in Ferientage, die so
bald wie möglich bezogen werden
können. Die Angestellten müssen sich
von der Arbeitslast erholen. Auch da
hat die PL-Leitung zugesichert, dass
Mehrzeiten grundsätzlich mit Freizeit
kompensiert würden.
Bis zum Redaktionsschluss unbeantwortet
blieb die Forderung nach einer
Aufwertung verschiedener beruflicher
Funktionen. Unabhängig davon zeigt
sich: Einmal mehr haben die Angestellten
im Kollektiv ihre Anliegen vortragen
müssen, um eine Veränderung
zu bewirken – und es hat gewirkt.
Matthias Loosli
Der Wortlaut der Petition auf syndicom.ch:
Bit.ly/2PHhZLQ
18
Arbeitswelt
«Das Gefälle ist enorm. Über die Hälfte der Freischaffenden
sind auf Zusatzverdienste angewiesen.» Dore Heim, SGB
Im Journalismus werden die
Lohnunterschiede grösser
Der tiefgreifende Strukturwandel in der Medienbranche hat
auch Folgen für die Arbeitsbedingungen und Löhne. Eine neue
Studie liefert jetzt Zahlen.
Nicht nur die Medien selbst, auch die
Löhne haben sich über die letzten Jahre
gewandelt. Die letzte Erhebung der
Medienverbände zur Einkommenssituation
geht jedoch auf 2006 zurück.
Deshalb haben syndicom, SSM, der
Verband der Fachjournalisten SFJ-AJS
und der Gewerkschafts bund SGB eine
neue Studie lanciert. Nun liegen die
repräsentativen Resultate vor: 1190
Medien schaffende haben an der Online-Umfrage
teilgenommen. Mit Februar
2020 als Referenzmonat sind Einkommenseinbrüche
aufgrund der
Corona-Pandemie ausgeklammert.
Doch die Studie zeigt: Bereits vorher
war die Situation prekär.
Freie und Frauen verdienen weniger
Am meisten verschärft hat sich die Situation
von Freischaffenden: Lag das
Bruttomonatseinkommen 2006 bei
6978 Franken, sind es heute nur noch
5600 Franken. Zudem ist die Bandbreite
gross: Das unterste Viertel verdient
im Schnitt gerade einmal 4000
Franken. «Das Gefälle ist enorm. Über
die Hälfte der Freischaffenden gab an,
auf Zusatzverdienste angewiesen zu
sein», sagt Dore Heim, Studienleiterin
und Zentralsekretärin SGB. «Heute
sind die meisten Freischaffenden vom
empfohlenen Mindestansatz von 518
Franken pro Tag weit entfernt», sagt
auch Marco Geissbühler, Regionalsekretär
Medien bei syndicom. Den
Grund sieht er auch in der zunehmenden
Konzentration der Arbeitgeber:
«Freischaffende können ihren Lohn
kaum verhandeln, da es wenig Alternativen
gibt.» Am meisten überrascht
hat Geissbühler die hohe Geschlechterungleichheit:
«Auf den ersten Blick
scheint sich die Lohndifferenz verringert
zu haben, doch in gewissen Branchen
ist sie eklatant: Im Printbereich
verdienen Frauen immer noch bis zu
800 Franken weniger als Männer, im
privaten Radio und TV gar bis zu 1670
Franken!» Ein Mindestlohn sei dringend
nötig, damit der Spielraum für
Diskriminierung kleiner werde.
«Ein GAV wirkt stabilisierend»
In der Tat sind die Lohnunterschiede
dort, wo ein Gesamtarbeitsvertrag
(GAV) besteht, weniger ausgeprägt,
bestätigt Studienleiterin Heim: «Ein
GAV wirkt stabilisierend, insbesondere
bei den tiefen Löhnen.» Dies zeige
Differenz Medianlohn
Mann – Frau
Online-
Publikationen 320
Zeitungen/
Zeitschriften 812
Öffentliches
TV/Radio* 160
Privates
TV/Radio 1673
Fachzeitschriften
443
*mit GAV für die gesamte Schweiz
die Romandie, die einzige Region der
Schweiz mit einem GAV mit den Verlegern.
Dort gilt ein Einstiegslohn von
5843 Franken – rund 500 Franken höher
als die tiefsten Löhne im Rest der
Schweiz, wo es seit 2004 keinen GAV
mehr gibt. Genau darin sieht Geissbühler
das Problem: «Der Ball liegt bei
den Arbeitgebern, die seit nunmehr 15
Jahren die Erneuerung eines GAV für
die Deutschschweiz und das Tessin
verweigern.»
Auffallend ist auch die pessimistische
Zukunftseinschätzung der Befragten,
und zwar unabhängig von GAV, Lohn
oder Medientypus: Über 90 Prozent
schätzen die Chancen, wieder eine
gleichwertige Stelle zu finden, als
schlecht ein. Positiv überrascht hat
Heim und Geissbühler die hohe Leidenschaft
für den Beruf: 90 Prozent
gaben an, dass sie ihre Arbeit als spannend
und sinnstiftend empfinden.
Geissbühler: «Dieser Enthusiasmus
sollte von Verlegerseite mehr geschätzt
und vor allem anständig honoriert
werden.»
Eva Hirschi
syndicom.ch/Medienumfrage2020
Lohnvergleich
mit – ohne GAV
Monatslohn in Franken
höchste Einkommen mit GAV 9518
ohne GAV 9500
hohe Einkommen mit GAV 8700
ohne GAV 8300
mittlere Einkommen mit GAV 7756
ohne GAV 6947
tiefe Einkommen mit GAV 6874
ohne GAV 5524
tiefste Einkommen mit GAV 6000
ohne GAV 3907
Links: Das Lohngefälle ist besonders stossend in der Printpresse und bei den Privatsendern.
Es handelt sich um monatliche Zahlen. Rechts: Gesamtarbeitsverträge lohnen sich. (Zahlen aus der Studie)
Ein kollektiver Erfolg:
Die Zoogler wirken mit
Seit Juni dieses Jahres haben die Mitarbeitenden
von Google in Zürich – die
«Zoogler» – eine gewählte Personalvertretung.
Mit viel Elan und Ausdauer
haben Google-Mitarbeitende gemeinsam
für eine Personalvertretung gekämpft
und waren nun erfolgreich.
Die neu geschaffenen Strukturen
ermöglichen eine effektivere Mitbestimmung
im Unternehmen. Dass es
Anliegen unter den Beschäftigten bei
Google gibt, die sich nicht einfach von
allein lösen, zeigen auch die «Walkouts»
(Protestkundgebungen) der letzten
Jahre.
Und dass Zürich nun eine Personalvertretung
hat, ist besonders auch
für die anderen Google-Standorte und
für die Branche wichtig: Die Signalwirkung
ist gross, und es wird anderen
Beschäftigten Mut machen, sich ebenfalls
zu organisieren.
Klar ist jedoch, dass nur ein Gesamtarbeitsvertrag
und eine tatsächlich
gelebte Sozialpartnerschaft die
Mitsprache der Mitarbeitenden noch
besser garantieren können.
Wir unterstützten die Mitarbeitenden
bei Google Zürich in diesem Prozess
und stehen den Mitarbeitenden
auch weiterhin beratend zur Seite.
Denn nun geht es darum, dass die
geschaffe nen Rahmenbedingungen
auch tatsächlich Wirkung entfalten
können.
Miriam Berger
Ausführlicher Bericht auf unserer Website:
Bit.ly/2PlS8ca
Politiker wie Ruedi Noser spekulieren darauf, per Digitalisierung
‹20 bis 30 %› der Stellen im Service public zu streichen. Oliver Fahrni
19
Was macht Swisscom in Riga?
Swisscom baut in Riga ein Zentrum für Softwareentwicklung
auf. Was treibt den Konzern in den hohen Nordosten Europas?
Die Auslandsverlagerungen der Swisscom
gehen weiter. Nach Rotterdam eröffnet
sie nun auch in der lettischen
Hauptstatdt Riga ein sogenanntes
Dev Ops-Center. DevOps ist eine Methode
für schnelle, hochspezialisierte
Software-Entwicklungen und Anwendungen,
etwa die Vernetzung von
Clouds. Offizielle Begründung der
Swisscom: «Uns gelingt es nicht, genügend
DevOps-Fachkräfte in der
Schweiz zu rekrutieren.»
Lettland meldet ebenfalls
Fachkräftemangel
Doch seltsam: Lettland (2 Millionen
Einwohner) meldet selbst einen akuten
Notstand an IT-Fachkräften. Das
Land ist mit einer rasenden Aufholjagd
gerade dabei, den Nachbarn
Estland zu überflügeln. Das kleine
Estland (1,3 Millionen Einwohner,
Hauptstadt Tallinn) gilt als Riese der
Digitalisierung. Sämtliche Bewohner*innen
sind mit einer elektronischen
ID erfasst und mit einer entsprechenden
Chip-Karte versehen.
Zugang zu Service-public-Dienstleistungen
haben sie nur mit dieser Karte.
Sie speichert alles: Identität, Ausbildung,
Strafregister, Patientendaten,
Steuerdaten etc. Verwaltung, Politik
und Medizin sind weitgehend digitalisiert,
die Esten wählen ihr Parlament
im E-Voting. Künftig soll ein Algorithmus
sogar Gerichtsurteile sprechen.
Riesenprobleme beim Datenschutz
Klar, schafft die digitale Vollerfassung
der Menschen enorme Probleme beim
Datenschutz. Als sich die EU-Regierungschefs
im Herbst 2017 zum «Digitalgipfel»
in Tallinn trafen, mussten
wegen einer Sicherheitslücke die
ID-Karten von 800 000 Esten gesperrt
werden – ein GAU. In der EU beobachtet
man mit wachsender Sorge die
digitale Aushebelung demokratischer
Grundrechte – und pfiff die Balten
schon mehrmals zurück.
Nach Rotterdam entsteht nun in Riga ein zweites DevOps-Center. (© Swisscom)
Ist das Baltikum ein geeignetes
Vorbild für die Schweiz?
Dennoch gelten Estland und Lettland
Schweizer Digitalisierungsturbos als
Vorbilder. Kein Monat vergeht, ohne
dass eine Regierungs- oder Wirtschaftsdelegation
ins Baltikum reist.
Experten wie der frühere estnische
Chefdigitalisierer Taavi Kotka geben
in Bern den Ton an. Jetzt spekulieren
bürgerliche Politiker wie der Zürcher
Freisinnige Ruedi Noser darauf, per
Digitalisierung «20 bis 30 Prozent» der
Stellen im Service public zu streichen.
Da möchte Swisscom doch an vorderster
Front mit dabei sein.
Oliver Fahrni
Mehr zum Thema auf syndicom.ch:
Bit.ly/3j8ig7b
Die Selbständigen
verschaffen sich
politisches Gehör
Michael Moser,
Zentralsekretär Sektor Medien
Hätte mir anfangs Jahr jemand gesagt,
dass im Sommer über eine Sondersession
zu den Problemen der Selbständigen
diskutiert wird und dass der
Bundesrat zwei Milliarden an Unterstützungsgeldern
gesprochen haben
wird, hätte ich das kaum geglaubt. Seit
Jahren engagiert sich syndicom für
die Anliegen der Selbständig erwerben
den, und über tausend unserer
Mitglieder verdienen ihren Lebensunterhalt
unterdessen als Freie oder
Selbständige – Tendenz steigend.
Es ist nicht so, dass die Corona-
Pandemie eine heile Welt zum Einsturz
gebracht hätte. Vielmehr sind
viele Probleme, etwa was man tun
kann, wenn einem plötzlich Aufträge
wegbrechen oder einfach keine neuen
mehr reinkommen, allen Selbständigen
bekannt. Mit Corona wurde aus
diesem individuellen Problem jedoch
plötzlich ein kollektives. Und nun
scheint es, als hätten endlich auch Gesellschaft
und Politik realisiert, dass
Handlungsbedarf besteht. Die Illusion,
dass alle Selbständigen so viel verdienen,
dass es keine soziale Absicherung
braucht, ist definitiv vom Tisch.
Jetzt müssen Lösungen gesucht
werden. syndicom wird sich aktiv einbringen,
wie diese ausgestaltet werden
sollen. Mit der Unterstützung von
SP-Nationalrätin Mattea Meyer, die im
Parlament unglaublich stark für die
Anliegen unserer Mitglieder und die
weiteren Selbständigen gekämpft hat,
ist der Grundstein für eine starke Vertretung
der Selbständigen auch in der
Politik gelegt.
20 Arbeitswelt
«Die Flankierenden Massnahmen schützen gerade auch
junge Menschen vor zunehmender Prekarisierung.» Dominik Fitze
Junge Allianz gegen die
Kündigungsinitiative
Die altbekannte Abschottungs politik, die zum
27. September wieder ausgelüftet wird,
bekommt Gegenwind von den Jungen:
Das Jugendkomitee für eine offene Schweiz tritt ein
für Offenheit, Solidarität und gegenseitigen Respekt!
Die Kündigungsinitiative bedroht den
Wohlstand von uns allen. Gerade
junge Arbeitnehmende sind oft von
prekärer Arbeit betroffen: Unbezahlte
oder schlecht bezahlte Praktika, Temporärverträge
oder Teilzeitarbeit sind
die Realität vieler junger Menschen in
diesem Land. Die flankierenden Massnahmen
mit Mindestlöhnen, GAV und
Lohnkontrollen schützen auch und
gerade junge Menschen vor zunehmender
Prekarisierung ihrer Arbeit.
Dominik Fitze ist Zentralsekretär Jugend.
Er ist Co-Präsident der SGB-Gewerkschaftsjugend
und arbeitet im Jugendkomitee für eine offene
Schweiz mit.
Austauschstudium gefährdet
Gleichzeitig bedroht die Initiative
auch die Hochschulbildung. Studieren
im Ausland würde stark eingeschränkt,
die Teilnahme am Studierendenaustauschprogramm
Erasmus
– von dem übrigens auch Berufslernende
profitieren können – wäre
kaum mehr denkbar.
Das Jugendkomitee für eine offene,
solidarische, interkulturelle Schweiz
Um im Abstimmungskampf Position
zu beziehen, hat sich eine breite
Allianz von Jugendverbänden im Jugendkomitee
für eine offene Schweiz
(JKOS) zusammengefunden. «Die
Kündigungsinitiative bedroht uns
alle. Deshalb sind wir sehr froh über
diese Zusammenarbeit», sagt Kathrin
Ziltener, Co-Präsidentin der SGB-
Jugendkommission. «Die Vorteile der
Personenfreizügigkeit und der Flankie
renden Massnahmen für junge Berufsleute
müssen wir deshalb gemeinsam
aufzeigen.»
Im Komitee arbeitet die Gewerkschaftsjugend
beispielsweise mit dem
Dachverband der Jugendverbände,
dem Studierendenverband und der
youngCaritas zusammen.
Geplant ist eine Social-Media-
Kam pagne im Abstimmungskampf.
«Junge können dort am besten erreicht
werden», ist Jean-Claude Barandun,
Sekretär der JKOS, überzeugt.
«Die Kampagne vereint Interessen der
Studierenden und Arbeitnehmenden.
Das muss im Abstimmungskampf zu
Wort kommen. Deshalb haben wir
uns zu dieser Allianz zusammengefunden.»
Damit die SVP nicht die einzige
hörbare Stimme bleibt
Das Jugendkomitee setzt sich für eine
offene, interkulturelle und solidarische
Schweiz ein. Der bilaterale Weg,
die europäische Mobilität und die
guten Arbeitsbedingungen sind eine
Investition in die Zukunft der Schweiz.
Darauf will das Komitee im Abstimmungskampf
hinweisen – eine Botschaft,
die hinter der lauten SVP-Propaganda
sonst untergehen könnte.
Dominik Fitze
Mehr:
jugendkomitee.ch/
Aufbruchstimmung bei
Presto: nun kollektive
Lohnverhandlungen
Die bei syndicom organisierten Frühzusteller*innen
haben sich an ihrer
Delegiertenversammlung (DV) neu
aufgestellt, um sich auf die ersten kollektiven
Lohnverhandlungen bei Presto
vorzubereiten. Dieses Recht haben
sich die Presto-Mitarbeitenden mit
dem neuen Gesamtarbeitsvertrag gesichert.
Die Lohnforderung setzt sich zusammen
aus einer generellen Lohnerhöhung,
einer Corona-Prämie für Verträger*innen,
welche während Corona
zusätzliche Touren auf sich genommen
haben, und einer Mindestlohnerhöhung.
Wichtig für die Schlagkraft der Personalkommissionen
(PeKo) ist ihre
Vernetzung über alle Standorte hinweg.
Der nationale Firmenvorstand
und die Delegiertenversammlung
wurden daher neu zusammengesetzt.
Vernetzung schafft stärkere PeKos
und eine stärkere Gewerkschaft
Die Präsidien der PeKos bilden den
nationalen Firmenvorstand Presto.
Die PeKo-Mitglieder aller Standorte
bilden ihrerseits die Delegiertenversammlung
Presto. Frisch dabei sind
nun auch die PeKo-Mitglieder des
Standortes Bern, womit syndicom nun
über alle Presto-Standorte mit der
PeKo vernetzt ist.
Alle Delegierten bei Presto sind nun
in der Gewerkschaft engagiert
Verhandlungsführerin und Zentralsekretärin
Sheila Winkler zeigt sich für
die Lohnverhandlungen optimistisch:
«In kürzester Zeit konnten wir sämtliche
PeKo-Mitglieder aller Standorte
für uns gewinnen und die Zusammensetzung
unserer Gremien danach ausrichten.
Die neue Presto-DV besteht
nun aus engagierten und vernetzten
Gewerkschafter*innen. Ich bin überzeugt,
dass wir ein gutes Lohnergebnis
erreichen werden.»
Christian Capacoel
«Das Beispiel von Oerlikon zeigt auf, dass man gemeinsam
erfolgreich sein kann.» Dominik Dietrich
21
Stoppt sämtliche Auslagerungen
von Postdiensten an Dritte!
Die Mitarbeitenden der Distributionsbasis Oerlikon organisierten
die Übergabe einer Petition – 99 % hatten unterschrieben.
Im letzten Magazin haben wir euch
Mujo Mujagic, Davide Ramundo,
Andreas Käser und Marwan Ismaili
von der Paketbasis Oerlikon vorgestellt.
Aufgrund der anhaltenden Unzufriedenheit
der Mitarbeitenden
fassten die vier Kollegen den Entscheid,
sich gemeinsam mit syndicom
gegen die Auslagerungsstrategie, die
dort seit mehreren Jahren betrieben
wird, zu wehren. Mit der Auslagerung
von Postdiensten umgeht die Paketbasis
Oerlikon die Mindeststandards,
die im GAV Post CH festgehalten und
sozialpartnerschaftlich vereinbart
wurden: denn Subunternehmen sind
nicht verpflichtet, sich an die Bestimmungen
des GAV zu halten.
99 % haben unterzeichnet
Innerhalb weniger Tage unterschrieben
99 % der Mitarbeitenden die Petition
«Das ist die falsche Medizin:
Stoppt sämtliche Auslagerungen von
Postdienstleistungen an Dritte!»
Durch den wachsenden Druck der Belegschaft
erfolgte bereits am 25. Mai
ein Gespräch zwischen der Standortleitung,
der designierten Peko und
syndicom. Obwohl es zu ersten Zugeständnissen
seitens der Leitung kam,
wünschten sich die Mitarbeitenden
der Paketbasis Oerlikon trotzdem eine
Übergabe der Petition. So organisierten
wir für den Montag, 15. Juni, eine
Protestaktion. Sämtliche Mitarbeitenden,
die früh am Morgen vor Ort waren,
nahmen an unserer Aktion und
der Übergabe teil. Davide Ramundo
und Dominik Dietrich unterstrichen
in einer Ansprache die gestellten Forderungen
und bedankten sich für das
grosse Engagement. Herr Gräzer, Leiter
der Paketbasis, nahm die Petition
entgegen und versicherte, dass man
die Forderungen nicht nur ernst nehmen,
sondern auch umsetzen wird.
Anzahl Subunternehmen reduziert
Mittlerweile läuft der offizielle Wahlprozess
für die Implementierung einer
Peko. Zudem erhielten wir eine
Zusiche rung, dass man die Anzahl
Subunternehmen erheblich reduzieren
und künftige Touren mit Postpersonal
besetzen will. Das Beispiel Oerlikon
zeigt auf, dass man gemeinsam
erfolgreich sein kann. Dank einzelner
engagierter Mitglieder ist es uns gelungen,
den Organisationsgrad massiv
zu erhöhen. Zudem können die
Kollegen künftig ihr Mitwirkungsrecht
als offiziell gewählte Peko wahrnehmen
und so für die Interessen der
Mitarbeitenden einstehen.
Im Oktober findet das nächste Gespräch
zwischen der Standortleitung,
der bis dann gewählten Peko und syndicom
statt. Dort wird es sich zeigen,
ob die von den Mitarbeitenden gestellten
Forderungen erfüllt und umgesetzt
wurden. Bis dahin werden wir
regel mässig vor Ort sein und unsere
Kolleginnen und Kollegen bei der
Durchsetzung ihrer Rechte unterstützen.
Dominik Dietrich
Teamporträt Oerlikon auf syndicom.ch:
Bit.ly/3aKobwv
Alle Mitarbeitenden, die vor Ort waren, nahmen an der Übergabe der Petition teil. (© Dominik Dietrich)
Sauerstoff für die
Demokratie
Im Herbst kommt das Massnahmenpaket
für eine neue Medienförderung
in den Nationalrat. Bei der Anhörung
in der zuständigen Kommission fordert
syndicom zwei Kurskorrekturen:
Subventionen darf es nur für Medien
mit anständigen Arbeitsbedingungen
geben und: der Betrag für die Onlinemedien
muss hoch genug sein.
Das Paket, das der Ständerat bereits
beraten hat, enthält: 1. den Ausbau
der indirekten Förderung durch
ermässigte Zustellpreise, 2. eine neue
Förderung für einheimische Onlinemedien
mit Bezahlmodellen und
3. Unterstützung für gemeinwirtschaftliche
Institutionen, konkret: für
den Basisdienst von Keystone-SDA, die
Aus- und Weiterbildung, den Presse rat
und offene IT-Infrastrukturprojekte.
Medien brauchen GAV-Pflicht
Wie bei der Frühzustellung ist auch
bei den geförderten Medien eine
GAV-Verhandlungspflicht aufzunehmen.
Der Staat darf nicht in Dumpinglöhne
und zusehends schlechtere
Arbeits bedingungen investieren. Förderwürdig
sind daher nur Unternehmen,
die Hand bieten für GAV-
Verhandlungen mit Regeln für die
Mindestlöhne – abgestuft, je nach Finanzkraft
des Verlags. Für die neue
Onlinemedienförderung braucht es
genug Mittel. Sie ist auf die jüngere
Bevölkerung, die Medien primär online
nutzt, ausgerichtet – und damit
auf die Zukunft. Die Fördersumme
muss wie im ursprünglichen Projekt
der Medienministerin mit 50 Millionen
Franken ausgestattet sein, damit
das Paket zwischen Print und Online
ausgewogen ist.
Damit werden die demokratierelevanten
Medien mit den nötigen Finanzen
unterstützt. Ein funktionierendes
Mediensystem ist wie Sauerstoff für
die Gesellschaft. Mit dieser Medienhilfe
stehen die Verlage aber auch in
der Pflicht: kein Abbau von journalistischen
Leistungen, kein Stellenabbau
im Windschatten von Corona!
Stephanie Vonarburg
22 Politik
Ja zum Vaterschaftsurlaub!
Mit der Änderung des
Erwerbsersatzgesetzes, über
die wir am 27. September
unter anderem abstimmen,
wird erstmals in der Schweiz
ein Vaterschaftsurlaub für
alle diskutiert.
Dies ist bitter nötig und eine
Forderung, die wir Gewerkschaften
schon lange stellen.
Text: Dominik Fitze
Bild: Flavia Leuenberger-Ceppi
Der Vorschlag ist, dass Väter nach
Geburt des Kindes zwei Wochen bezahlten
Urlaub erhalten sollen. Finanziert
wird dies über die Erwerbsausfallentschädigungen
(EO), über
die auch schon der Mutterschaftsurlaub
bezahlt wird.
Diese Änderung ist schon lange
nötig. Bisher erhalten werdende
Väter nur einen oder zwei Tage frei.
Durch Gesamtarbeitsverträge
ist der Vaterschaftsurlaub schon in
vielen unserer Branchen eingeführt.
Im GAV der grafischen Industrie
dauert er derzeit zwei Wochen, bei
der Swisscom drei, und im neuen
Post-GAV, der ab nächstem Jahr gilt,
gibt es sogar vier Wochen.
Guter Kompromissvorschlag
Vier Wochen Vaterschaftsurlaub –
das war auch das ursprüngliche Ziel
einer Volksinitaitive, die die Gewerkschaften
unterstützt haben.
Die Abstimmung vom September ist
ein indirekter Gegenvorschlag des
Parlamentes, der auf breite Zustimmung
stösst. Eine Allianz aus Gewerkschaften,
Parteien von links bis
rechts sowie zivilgesellschaftlichen
Organisationen wie Alliance F
(Dachverband der Frauenverbände)
oder Pro Familia (Familienverbände)
unterstützen ihn.
Er ist klar finanzierbar und verbessert
die Vereinbarkeit von Beruf
und Familie. Er ermöglicht es jungen
Familien, die Betreuung des
Kindes von Anfang an gemeinsam
zu regeln, und erlaubt es Vätern,
Verantwortung in der Familie zu
übernehmen.
Das ist erst der Anfang
Für uns Gewerkschaften ist aber
auch klar, dass zwei Wochen erst
der Anfang sind. Wir stimmen bei
der Abstimmung klar Ja, aus Solidarität
mit unseren Kolleginnen und
Kollegen, die keinem GAV unterstehen
– wo Väter gemäss Gesetz nur
einen oder zwei Tage Urlaub erhalten.
Wir stimmen aber auch Ja, weil
wir wissen, dass zwei Wochen bezahlter
Vaterschaftsurlaub unsere
Verhandlungsposition für künftige
GAV verbessert. Darauf können wir
aufbauen – und vom Parlament fordern,
den Vaterschaftsurlaub auszubauen.
Vaterschaftsurlaub.ch
Nein zum Kinderabzugs-
Bschiss!
Auch am 27. September kommt eine
weitere Vorlage zur Abstimmung. Die
Neuerung ist versteckt hinter dem
nichtssagenden Titel «Änderung des
Bundesgesetzes über die direkte
Bundessteuer». Doch dahinter steckt
ein ganz grosser Bschiss. Angeblich
geht es um die Entlastung von
Familien: Die maximalen Steuerabzüge
für Kinderbetreuung sollen von 10 100
auf 25 000 Franken pro Kind erhöht
werden, der allgemeine Abzug pro Kind
von 6500 auf 10 000 Franken. Das
klingt zwar gut, davon profitieren
werden aber nur Topverdiener – nur
6 Prozent der Haushalte. Kosten wird
es uns alle 370 Millionen Franken im
Jahr.
Es handelt sich also um eine
Umverteilung zugunsten der Reichsten.
Fast die Hälfte der Familien mit
Kindern zahlen nämlich gar keine
Bundessteuer. Für sie gibt es also
keinen Rappen Erleichterung! Familien
mit einem Einkommen von einer
halben Million könnten aber fast
1000 Franken Steuern sparen. Das ist
ungerecht und frech gegenüber dem
Mittelstand!
Das bürgerliche Parlament hätte
sich anders entscheiden können. Es
hätte etwa Kitas direkt fördern können.
Oder Prämienverbilligungen ausbauen.
Das hätte denen geholfen, die gerade
knapp über die Runden kommen.
Stattdessen hat es sich für Klientelpolitik
entschieden.
Diese 370 Millionen Franken werden
in der Bundeskasse fehlen. Wer die
Schweizer Politik beobachtet, weiss,
dass dieses Geld kaum bei den
Reichsten wieder hereingeholt wird.
Stattdessen müssen wir erwarten,
dass beim Service public – beim
öffentlichen Verkehr, bei Kitas oder im
Gesundheitswesen – gespart wird.
Fallt nicht auf diesen Steuer-
Bschiss rein. Die Vorlage ist eine
Mogelpackung, die wir Gewerkschaften
auf keinen Fall unterstützen
können. Stimmt deshalb alle klar NEIN
zur Änderung des Gesetzes über die
Bundessteuer!
D. F.
Politik
Léonore Porchet: «Wir brauchen
jetzt die 13. AHV-Rente»
23
Für Léonore Porchet, grüne Nationalrätin,
Kommunikationsbeauftragte und syndicom-
Mitglied, ist eine Stärkung der ersten Säule
zwingend nötig. Vor allem um die Rentensituation
der Frauen zu verbessern.
Text: Sylvie Fischer
Bild: Alexander Egger
Weshalb müssen sich die syndicom-Mitglieder jetzt
mobilisieren, um Unterschriften für die Initiative
AHVx13 zu sammeln?
Léonore Porchet: Die AHV bietet eine sichere und solide
Finanzierung, während die Renten der zweiten Säule seit
2005 um 8 % gesunken sind. Deshalb muss die Situation
der AHV jetzt dringend gestärkt werden. Für Berufe wie
meinen – ich bin selbständige Kommunikationsberaterin
– genauso wie für Personen mit kleinen Einkommen,
zum Beispiel bei der Post, ist es schwierig, eine zweite
Säule aufzubauen. An eine dritte Säule ist gar nicht zu
denken. Durch den Ausbau der AHV erhält man mehr
Rente fürs Geld, als wenn man diese Leistung über die
zweite oder dritte Säule sicherstellen müsste.
Die 13. AHV-Rente würde rund 2,7 Milliarden Franken
kosten. Zur Finanzierung sieht der SGB insbesondere eine
Erhöhung der Lohnbeiträge der Arbeitnehmenden um
0,35 Prozentpunkte vor. Ist jetzt, wo sich die Kaufkraft
drastisch reduziert hat, der richtige Zeitpunkt dafür?
Ich würde andere, prioritär vorgesehene Lösungen vorziehen,
obwohl dieser Beitrag paritätisch wäre, also auch
durch die Arbeitgeber finanziert würde. Die Sicherstellung
der Renten ist eine Aufgabe des Staates. Das Geld
ist dort zu suchen, wo es ist: in den astronomisch hohen
Reserven der Nationalbank (Anm. d. Red.: rund 800 Mrd.
Franken), in den Gewinnen, die Kantone und Bund regelmässig
erzielen. Eine Erhöhung der AHV-Renten, die für
die Hälfte der Bezügerinnen und Bezüger unter 2000
Franken monatlich liegen, ist sinnvoller als die milliardenschwere
Finanzierung von Kampfflugzeugen.
Deine Unterschrift für die Frauen
«Die Stärkung der AHV bedeutet auch eine Stärkung der
Gleichstellung der Geschlechter», sagt Léonore Porchet.
Denn die Frauen (die häufig in Teilzeit arbeiten, um noch für
ihre Familien sorgen zu können) werden am stärksten durch
das Rentensystem benachteiligt. Deshalb wurde am 5. März,
kurz vor dem Internationalen Frauentag, die Initiative für
eine 13. AHV-Rente gestartet. Wegen der Pandemie unterbrochen,
geht die Unterschriftensammlung jetzt persönlich
wie auch online weiter:
AHVx13.ch
Diese Initiative ist für die Frauen besonders wichtig.
Erkläre uns, weshalb ...
Es ist ein Skandal, dass ein Drittel der Frauen wegen ungleicher
und zu tiefer Löhne keine zweite Säule hat.
Strukturelle Ungleichheiten einer noch patriarchalischen
Gesellschaft führen dazu, dass sich die Frauen für die
Kinderbetreuung aufopfern oder die Rolle der pflegenden
Angehörigen übernehmen. Tausende Frauen, die das
Rentenalter erreichen, sind folglich zu einem Leben in
Prekarität verurteilt. Der vorrangige Ausbau der AHV ist
wichtig, weil nur mit der AHV Solidarität für die Gratisarbeit
der Frauen eingeführt wird: mit Gutschriften für
Erziehungsarbeit und die Betreuung von Angehörigen.
Zahlreiche Frauen sind auf Ergänzungsleistungen
angewiesen (das ist bei 15 % der Rentnerinnen der Fall
und ihr Anteil steigt mit zunehmendem Alter) und auf
die Solidarität der Familie. Meine Grossmutter könnte
ohne Angehörigenhilfe nicht gepflegt werden. Die 13.
AHV- Rente würde somit für alle Generationen einen
Nutzen bringen. Denn sie ermöglicht es, Solidarität gegenüber
den älteren Mitgliedern der Gesellschaft zum
Ausdruck zu bringen. Gleichzeitig profitieren unsere
eigenen Renten davon.
Der SGB und syndicom unterstützen diese Initiative
gemeinsam, was du begrüsst ...
Aufgabe einer Gewerkschaft ist es auch, sicherzustellen,
dass ihre Mitglieder nach dem Erwerbsleben ein würdiges
Leben führen können. Dieses Ziel wird ernsthaft gefährdet,
wenn unsere Löhne nicht Anspruch auf angemessene
Renten verleihen – was inakzeptabel ist. Ich habe mich
politisch an der Seite der «41 du Matin» eingesetzt, und
ich sehe, dass eine AHV-Rentenerhöhung – neben der
Überbrückungsleistung für ältere Arbeitnehmende – auch
Personen, die am Ende ihres Erwerbslebens entlassen
werden, zu einem Plus verhelfen wird.
24 Politik
Die neue Überbrückungsleistung für Ausgesteuerte ab 60, die sonst zur Sozialhilfe gehen
müssten: sie hilft Personen mit niedrigen Einkommen. Eine Überbrückungsrente für alle ab 58,
die Einkommenseinbussen auffängt, bietet Sozialpartnerin Swisscom bereits an.
Sozialversicherung:
Innovative Modelle bei Swisscom
Wer mit 55 Jahren (oder älter)
entlassen wird, hat es oft
sehr schwer, den beruflichen
Wiedereinstieg zu finden.
Höchste Zeit also, dass das
Parlament eine neue Sozialversicherung
einführen will.
Die greift in Härtefällen –
gut so. Und was ist mit den
anderen? Die Swisscom geht
einen Schritt weiter.
Text: Franz Schori
Bild: Max Spring
Erwin wird unerwartet ins Büro vom
Chef zitiert: «Infolge Reorganisation
müssen wir uns leider von dir
trennen, bitte unterzeichne hier die
Aufhebungs vereinbarung.» Erwin
unterschreibt. Wie im Dämmerzustand.
Und das nach 35 Jahren
im gleichen Betrieb. Schockiert
räumt er seinen Arbeitsplatz, verabschiedet
sich knapp von seinen Kolleg*innen
und fährt ins Leere. In die
Leere, die sich nicht mehr füllt. Zuerst
sechs Monate Lohnfortzahlung.
Danach ein Jahr Sozialplanleistungen,
noch 80 % vom vorherigen
Lohn, Bewerbung um Bewerbung,
nur Absagen. Dann das RAV, wieder
Dutzende von erfolglosen Arbeitsbemühungen,
noch 70 % Lohn.
Dann die Aussteuerung. Sozialhilfe,
Demütigung, Depression, bis mit 65
endlich die AHV-Rente kommt.
Neue Überbrückungsleistung
für Ausgesteuerte ab 60
Aufgrund von Geschichten wie jener
von Erwin hat das Parlament eine
neue Sozialversicherung geschaffen.
So soll älteren ausgesteuerten Arbeitslosen
zwischen 60 und 65 eine
Überbrückungsrente gewährt werden,
um den Gang zur Sozialhilfe zu
vermeiden. Voraussetzung ist, dass
das Reinvermögen weniger als
50 000 Franken beträgt. Zum Reinvermögen
zählen auch Guthaben
aus der 2. Säule, soweit sie einen
vom Bundesrat noch zu definierenden
Betrag übersteigen. Die Überbrückungsleistung
wird gegen oben
begrenzt.
Durch diese Ausgestaltung
greift die neue Sozialversicherung
bei Arbeitnehmenden mit tiefem
Einkommen. War Erwin als Lagerist
tätig, erspart ihm dies den Gang zur
Sozialhilfe. War Erwin hingegen
Projektleiter im IT-Umfeld, geht er
leer aus, bis sein Erspartes inklusive
eines grossen Teils der 2. Säule aufgebraucht
ist. Trotzdem: In einer
solida rischen Gesellschaft sind
Sozial versicherungen wie die neu
beschlossene Überbrückungsrente
wichtig für den Zusammenhalt.
Erleichterte Frühpensionierung
Der rein finanzgetriebene Personalabbau
bei der Swisscom mündet
auch in tragischen Schicksalen wie
demjenigen von Erwin. Doch dank
der langjährigen Sozialpartnerschaft
mit syndicom bestehen bei
der Swisscom Instrumente, die den
Mitarbeitenden den vorzeitigen
Alters rücktritt erleichtern. Diese
Möglichkeiten werden angeboten:
Überbrückungsrente: Wenn die
Pensionierung vor dem Erreichen
des ordentlichen AHV-Rücktrittsalters
erfolgt (ab 58 Jahren), besteht
Anrecht auf eine Überbrückungsrente,
um die vorübergehende Einkommenseinbusse
aufzufangen.
Die Höhe der Überbrückungsrente
ist abhängig vom Pensionierungszeitpunkt,
vom Dienstalter und dem
Beschäftigungsgrad – sie ist unabhängig
vom Vermögen.
Altersteilzeit/Teilpensionierung:
In diesem Jahr hat Swisscom älteren
Beschäftigten ab dem 58. Altersjahr
angeboten, ihr Pensum bis zur Pensionierung
nach zwei Jahren um bis
zu 30 % zu reduzieren. Beim Modell
der Altersteilzeit nehmen die Beschäftigten
eine Lohnreduktion in
Kauf, verlieren aber nichts von der
zu erwartenden Rente. Beim Modell
der Teilpensionierung verhält es
sich umgekehrt: Keine Lohnreduktion,
dafür leicht tiefere Rente.
Modelle wie bei der Swisscom sind
für ältere Angestellte eine wichtige
Brücke bis zum ordentlichen
Renten alter.
Mit Würde in die Rente
Betrachten wir die Geschichte der
Sozialversicherungen in der
Schweiz, ist die Überbrückungsrente
für ältere ausgesteuerte Arbeitslose
ein wichtiger Meilenstein. Sie
soll es dereinst allen Beschäftigten
ermöglichen, finanziell abgesichert
auch vorzeitig in Würde in Rente zu
gehen. Diese neue Sozialversicherung
entbindet jedoch die Arbeitgeber
nicht von ihrer sozialen
Verantwortung, weiterhin auf die
Erfahrung von älteren Arbeitnehmenden
zu zählen.
Zum Abkommen Swisscom – syndicom:
Bit.ly/31KsJio
Recht so!
25
Lohnschutz und Flankierende Massnahmen
Ich arbeite in einem Betrieb, der je nach
Auftragslage und Saison kurzfristig mehr
Arbeits kräfte benötigt. Wir sind nur noch
wenige Festangestellte. Viele wurden entlassen
und durch flexible, temporäre Arbeiter
ersetzt, die für 2 bis 3 Monate eingestellt
werden und danach wieder abreisen.
Sie kosten weniger und sagen nichts.
Gibt es abgesehen von den Gewerkschaften
noch andere Möglichkeiten, sich dagegen zu
wehren?
Antwort des syndicom-Rechtsdienstes
Ja, Lohndumping kann bei der zuständigen Arbeitsmarktbehörde
des Kantons gemeldet werden, in dem
der Betrieb tätig ist. Sie schickt dann Inspektor*innen
vorbei, die prüfen, ob die orts- und branchen üblichen
Löhne eingehalten werden. Dies betrifft insbesondere
Branchen, in denen es keinen allgemeinverbindlichen
GAV gibt. Wo ein solcher besteht, wird die Einhaltung
des GAV oft durch eine Paritätische Kommission (PK)
kontrolliert. Deren Aufgaben müssen im GAV festgelegt
sein. Gibt es keine PK, kontrollieren ebenfalls die
kantonalen Inspektor*innen.
Was passiert, wenn effektiv Lohndumping
festgestellt wird, und wie wird der Mindestlohn
überhaupt bestimmt, wenn es keinen
GAV gibt?
Werden regelmässig Kontrollen durchgeführt
oder finden diese nur auf Anzeige hin statt?
Werden die fehlbaren Arbeitgeber auch
gebüsst und, falls ja, wie hoch sind diese
Bussen?
Die Inspektor*innen melden dies bei der so genannten
Tripartiten Kommission (TPK). In jedem Kanton ist
eine solche vorhanden. Sie setzt sich zusammen aus
Arbeit geber-, Arbeitnehmenden- und staatlichen
Vertreter*innen. Werden Unregelmässigkeiten festgestellt,
versucht die TPK mit dem betroffenen Arbeitgeber
eine Lohnnachzahlung und eine Anpassung der
Arbeitsverträge zu erwirken. Gelingt dies nicht, kann
sie bei der kantonalen Behörde beantragen, dass entweder
die Arbeit unterbrochen, für diese Branche
zwingend ein Mindestlohn festgelegt wird oder einzelne
Bestimmungen eines GAV vereinfacht allgemeinverbindlich
erklärt werden können. Muss mangels GAV
ein Mindestlohn bestimmt werden, so geschieht dies
unter Berücksichtigung der branchenüblichen Löhne
und der regionalen Lohnunterschiede.
Im Rahmen der Personenfreizügigkeit mit der EU sind
am 1. Juni 2004 die Flankierenden Massnahmen (FlaM)
eingeführt worden. Diese regeln die Durchführung von
Kontrollen. Im Entsendegesetz sind je nach Verstoss
Bussen von Fr. 5000.– bis hin zu 1 Million oder ein
5-jähriges Tätigkeitsverbot vorgesehen. Auch können
dem fehlbaren Arbeitgeber die Kontrollkosten in Rechnung
gestellt werden. Mit einem GAV können für den
Fall der Nichteinhaltung der vertraglichen Bestimmungen
Konventionalstrafen vereinbart werden. Auch mit
GAV können dem Arbeitgeber die Kontrollkosten auferlegt
werden.
syndicom.ch/rechtso
26 Freizeit
Tipps
© Rotpunkt
Älter werden, mutiger werden
und gesund bleiben im Beruf
Im zweitägigen Movendo-Seminar
«Älter werden im Beruf» (6.–7. Oktober)
in Kirchberg SG, Hotel Toggenburgerhof,
können Interes sierte, die
das 50. Altersjahr bald überschreiten
oder bereits überschritten haben,
in Ruhe und gemeinsam darüber
nachdenken, wie es mit der
Arbeit ab jetzt weitergehen soll. Die
Ziele sind, dass die Teilnehmenden
eine Standortbestimmung machen
und Veränderungen in Angriff nehmen.
Es geht darum, eigene Stärken
und Schwächen herausarbeiten zu
lernen, eine bessere Balance von Berufs-
und Privatleben hinzubekommen,
Veränderungen zu planen und
den Umgang mit der eigenen Energie
zu verbessern. Für Mitglieder ist
der Kurs kostenlos, die anderen zahlen
820 Franken (zzgl. Kost und Logis).
Referen tin ist die Erwachsenenbildnerin
Astrid Mehr.
Für Vertrauensleute, Personalvertreter*innen,
alle Mitglieder und
Interessierten wird der Movendo-
Kurs «Mutig handeln im Betrieb –
aber sicher!» angeboten; vom 16. bis
17. Oktober in Sigriswil, Solbadhotel.
Der Kurs bietet die Möglichkeit,
im Rollenspiel den Umgang mit herausfordernden
Situationen im Betrieb
einzuüben. Sich exponieren ist
nicht leicht. Eine langjährige Vertrauensperson
wird ihre Erfahrungen
in diesem Minenfeld mit den
Teilnehmer*innen teilen.
Am 5. November gibt es (bei Redaktionsschluss)
noch freie Plätze
für den Kurs «Als Chauffeuse/Chauffeur
gesund bleiben: Einflüsse aufs
Fahrverhalten». Das Zielpublikum,
Bus- und Carfahrer*innen (Kategorie
D/D1) im Personentransport und
Lastwagenfahrer*innen (Kategorie
C/C1) im Gütertransport, lernt, gesundheitliche
Schädigungen und
Unfälle zu vermeiden. Der Kurs ist
asa-anerkannt. S. Fr.
Movendo.ch, syndicom.ch/mitgliederservice/bildungsangebote
© Verzasca Foto Festival, Federico Estol
Fotofestival in Tessiner Natur
Das Verzasca Foto Festival ist für
Fotografie begeisterte zum Begriff
geworden. Das liegt vor allem an seiner
besonderen Kulisse: Am Ende
eines der schönsten und wildesten
Tessiner Täler, auf 900 Metern über
Meer, werden die Werke unter freiem
Himmel ausgestellt. An den Fassaden
der Steinhäuser und früheren
Ställe in Sonogno, aber auch zwischen
den Bäumen mitten im Wald.
Über die Jahre hat das junge Festivalteam
(unter der Leitung von Alfio
Tommasini und Rico Baumann)
Fotogra fien aus der ganzen Welt zu
immer neuen Themen (Finestre sul
mondo, Margini, In cammino) ausgewählt
und an einem einzigartigen
Ort Künstlerresidenzen angeboten.
In der diesjährigen Ausgabe (bis
zum 5. November, Eintritt kostenlos)
konnte das Ausstellungsthema
fast nur «Di uomini e di boschi»
(Von Menschen und Wäldern) sein:
Formen der Interaktion zwischen
Mensch und Natur. Zu diesem grossen
und aktuellen Thema wurden
zwanzig internationale Künstler*innen
(von Peru bis Polen, von Chile
bis Griechenland und viele aus der
Schweiz) eingeladen, sich mit dem
Raum und den ihn Bewohnenden
auseinanderzusetzen, einer Gemeinschaft,
die umgeben von Wald
lebt und ihn in einer harmonischen
Koexistenz nutzt und pflegt.
Die Bilder mit ihrer humanistischen
oder auch konzeptuellen Prägung
werden wie gewohnt im Wald
des Val Redorta, am Fuss des Wasserfalls
Froda und in den Strassen
des Dorfes Sonogno gezeigt. Das Begleitprogramm
umfasst (sofern es
die Pandemiemassnahmen erlauben)
Diskussionen, Round Tables,
Live-Musik und audiovisuelle Vorführungen.
Giovanni Valerio
Das Programm des Verzasca Foto Festivals:
verzascafoto.com/esposizioni
Spuren der Arbeit
Stefan Keller verfolgt «Spuren der
Arbeit. Von der Manufaktur zur
Server farm». Der Historiker konzentriert
seine Reportagen stellvertretend
auf die Ostschweiz.
Im ersten Kapitel reist Schriftsteller
Friedrich Hölderlin am Anfang
des 19. Jahrhunderts nach
Hauptwil. Eine einzige Familie
verfügt hier im Thurgau über die
Arbeit, das Wohnen und das Recht.
Hölderlin erfährt als Hauslehrer,
wie sich das frühindustrielle Musterdorf
verändert. Die «ärmere Klasse»
emanzipiert sich im Kontext der
Französischen Revolution ein wenig
von der Obrigkeit. Und die (Textil-)
Manufaktur mindert die Abhängigkeit
von der Landwirtschaft. Sie
bringt aber neue Formen der Ausbeutung
mit sich. Sogar Hunger
kommt auf – über den Kanton hinaus.
Auch, weil importierte Billigwaren
die Industrialisierung konkurrieren.
Weitere Kapitel handeln
von Kinderarbeit, Turbulenzen in
der Stickerei, Dienstboten, Mädchenheimen,
Klosterfrauen, streikenden
Italienerinnen und gewerkschaftlichem
Zwiespalt. Das letzte
Kapitel fokussiert die gegenwärtige
elektronische Revolution am Beispiel
des Swift-Datenzentrums in
Diessenhofen.
Publizist Keller erzählt anhand
regionaler Dokumente eine kleine
Weltgeschichte. Er erhellt und entmystifiziert,
was sich in einer Gegend
ereignete, in der nicht nur
Obstbäume blühen. Spannend von
A bis Z und sehr lesenswert.
Ueli Mäder
Rotpunktverlag, Zürich 2020, 231 S., Fr. 38.–
Rotpunktverlag.ch
1000 Worte
Ruedi Widmer
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28 Bisch im Bild In diesem seltsamen Sommer ohne Grossveranstaltungen engagierte sich
syndicom mit Unterschriftensammlungen und der Unterstützung für die
nächsten Wahlen. Am 14. Juni fanden zur Erinnerung an den historischen
Frauenstreik landesweit Aktionen statt. Mit Masken und mit Abstand.
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1. Matteo Antonini, Leiter Sektor Logistik (re.), übergibt Martin Camenisch, Leiter HR der Post, die Petition für die «Corona-Prämie». (© syndicom)
2. Nach dem pandemiebedingten Unterbruch: Neustart der Unterschriftensammlung für die Volksinitiative für eine 13. AHV-Rente,
hier in Lugano. (© syndicom)
3. Über 20 000 Arbeitnehmende haben den Appell der Unia und des SGB für 100 % Lohnersatz und den Verzicht auf Corona-Entlassungen unter zeichnet.
Am 20. August wurden die Unterschriften dem Bundesrat übergeben. (© Unia)
4. In der Schweiz stehen fast eine Million Menschen in Kurzarbeit. Die Lohneinbusse ist für viele schwer zu verkraften,
wie diese Schilder auf dem Bundesplatz zeigen. (© Unia)
5. Am 27. September wird über den Vaterschaftsurlaub abgestimmt. Die Fahnen sind kostenlos erhältlich unter Vaterschaftsurlaub.ch. (© Vaterschaftsurlaub.ch)
6. Das Komitee der Konzernverantwortungs-Initiative mobilisiert sich. Hier eine der vielen Fahnen, die im Tessin zu sehen sind. (© syndicom)
7. Die Personalvertreterinnen und -vertreter von Orell Füssli im Ergonomiekurs von Movendo. (© syndicom)
8.–13. Ein Jahr nach dem historischen Frauenstreik fanden am 14. Juni landesweit Kundgebungen statt – unter Einhaltung des Social Distancing.
(© syndicom und Nate il 14 giugno)
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Aus dem
Leben von ...
Sergio Ferrari,
Aktivist der Solidarität
Es ist schwierig, das Leben von Sergio
Ferrari in ein paar Zeilen zusammenzufassen.
Er definiert sich selbst als
rebellisch, aber konsensorientiert, als
jemand, der für eine andere Art von
Globalisierung eintritt. Er sagt, er habe
fünf Leben gelebt: politischer Kampf
während der Diktatur in Argentinien,
Gefängnis (das Buch «Ni fous, ni
morts» haben wir im Magazin Nr. 16
besprochen), politisches Asyl, Sandinismus
in Nicaragua als Freiwilliger bei
Frères sans Frontières (heute E-Changer),
gewerkschaftliches und gesellschaftliches
Engagement in der
Schweiz. Sergio ist Journalist,
Redaktor von Le Courrier seit 1994,
Kor res pondent lateinamerikanischer
Zeitungen. Sergio Ferrari ist Mitglied
des Zentralvorstandes von syndicom
im Sektor Presse und elektronische
Medien.
Text: Giovanni Valerio
Bild: Pia Neuenschwander
Ohne Kollektiv kann
man nicht gewinnen
«Ich sehe mich als Überlebenden der
argentinischen Diktatur. Angesichts
von 30 000 Desaparecidos (Verschwundenen),
Tausenden von politischen
Gefangenen und Menschen,
die ins Exil gezwungen wurden, hätte
mein Schicksal anders laufen können.
Für den politischen Kampf gegen
die Diktatur während meines
Studiums an der Universität Rosario
war ich drei Jahre im Gefängnis, die
meiste Zeit im Hochsicherheitszentrum
Coronda. Das war meine
Lebens universität: Momente, wo
man die Tiefe der Existenz und die
Zerbrechlichkeit des Lebens wahrnimmt.
Und die Kraft, kollektiv
Widerstand zu leisten.
Man nahm mir die Handschellen ab
in dem Flugzeug, das mich am
27. Dezember 1978 in die Schweiz
brachte. Ich muss zugeben, im Vergleich
zu den heutigen Flüchtlingen
war das ein privilegierter Zustand.
Man gewährte mir Asyl und eine
beschleunigte Integration mittels
Sozialarbeiter und Sprachkursen.
Dennoch fühlte ich mich nie frei,
denn ich liess die inhaftierten Genossen
hinter mir. Und da spürte ich
das Bedürfnis zu erzählen, was in
Argentinien und Lateinamerika geschehen
war und noch geschah.
Die Leidenschaft, mich mitzuteilen,
kam in meinen zehn Jahren in
Nicaragua zum Ausbruch. Während
der sandinistischen Revolution war
ich in der nationalen Presseagentur
tätig: eine wichtige Etappe auch für
meine Arbeit als Korrespondent für
argentinische und mexikanische Zeitungen,
für die Agentur ALASEI der
Unesco. Als junger Mann hatte ich
für die militante Presse geschrieben,
aber in Nicaragua entdeckte ich die
öffentliche Kommunikation mit einem
breiteren Sinn für Journalismus.
Für mich ist es mehr als ein
Beruf: nicht nur schreiben, sondern
auch denen eine Stimme geben, die
keine haben, vor allem mit Interviews.
Und schliesslich auch die Obsession,
eine kleine Stimme in die
Schweiz zu bringen, ein Fenster zu
Lateinamerika zu öffnen und eine
Brücke von Nord nach Süd zu schlagen.
Das hat mein Leben als Journalist
geprägt, das Hin und Zurück zwischen
zwei Welten, zwei Realitäten.
1992, zurück in der Schweiz, lernte
ich bei der SJU (später comedia)
bemerkenswert verständnisvolle Sekretäre
kennen. Und ich beschloss,
mich zu engagieren. Als Student hatte
ich die Gewerkschaft der Petrochemie-Arbeiter
von Rosario unterstützt.
Das war eine Kampfbewegung, hier
erlebte ich den Alltag. Aber die Resonanz
zeigt sich in Krisenzeiten. Wir
haben es bei der SDA gesehen, mit
dem Streik. Und mit Covid-19, beim
Einsatz von syndicom für die Freischaffenden.
Die Schnelligkeit des
Hilfspakets ist auch das Ergebnis der
Stärke des SGB. Ich bin überzeugt,
dass wir uns auf eine grössere gewerkschaftliche
Einheit zubewegen.
Nur das Kollektiv kann den Erfolg
bringen. Und das gilt bei der Arbeit
und für jede Vereinigung, Bewegung
und Gewerkschaft. Sogar im Fussball.
Ohne ein Kollektiv, das es versteht,
die Vielfalt für ein gemeinsames
Ziel zu vereinen, ist der Sieg
nicht zu erreichen.»
Das Buch über das Gefängnis Coronda (fr.):
www.nifousnimorts.com
Impressum
Redaktion: Sylvie Fischer, Giovanni Valerio
Tel. 058 817 18 18, redaktion@syndicom.ch
Freie Mitarbeit: Rieke Krüger
Porträts, Zeichnungen: Katja Leudolph
Fotos ohne ©Copyright-Vermerk: zVg
Layout und Druck: Stämpfli AG, Wölflistrasse 1,
3001 Bern
Adressänderungen: syndicom, Adressverwaltung,
Monbijoustrasse 33, Postfach, 3001 Bern
Tel. 058 817 18 18, Fax 058 817 18 17
Inserate: priska.zuercher@syndicom.ch
Abobestellung: info@syndicom.ch
Abopreis ist im Mitgliederbeitrag inbegriffen. Für
Nichtmitglieder: Fr. 50.– (Inland), Fr. 70.– (Ausland)
Verlegerin: syndicom – Gewerkschaft
Medien und Kommunikation, Monbijoustr. 33,
Postfach, 3001 Bern
Das syndicom-Magazin erscheint sechsmal im Jahr.
Ausgabe Nr. 19 erscheint am 30. Oktober 2020
Redaktionsschluss: 28. September 2020.
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Das syndicom-Kreuzworträtsel
Für das Leben nach dem Corona-
Lockdown: Zu gewinnen gibt es eine
Hotel card, gespendet von unserer
Dienst leistungspartnerin Hotelcard.
Das Lösungswort wird in der nächsten
Ausgabe zusammen mit dem Namen
der Gewinnerin oder des Gewinners
veröffentlicht.
Lösungswort und Absender auf einer
A6-Postkarte senden an: syndicom-
Magazin, Monbijoustrasse 33, Postfach,
3001 Bern. Einsendeschluss: 28.9.20.
Der Gewinner
Die Lösung des syndicom-Kreuzworträtsels
aus dem Magazin Nr. 17 lautet:
FERNUNTERRICHT.
Gewonnen hat Albert Egger aus
Frenkendorf. Die Einkaufsgutschein
unserer Partnerin Coop ist unterwegs.
Wir gratulieren herzlich!
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Montliche Rechnungsgebühr CHF 2.50 offeriert
Verlangen Sie Ihren Kartenantrag beim Zentralsekretariat
Rp pro Liter
+41 (0)58 817 18 18 - info@syndicom.ch
32 Inter-aktiv
syndicom social
Auf den Spuren Robert Grimms4.7.2020
Robert Grimm, Gemeinde-, Regierungsund
Nationalrat und Führer des Landesstreiks
1918, wanderte als 21-jähriger
Buchdrucker von Graz nach Ljubljana,
Triest, Görz und danach über das Südtirol
wieder zurück nach Wald ZH. Das
Tagebuch dieser Wanderung wurde nun interaktiv aufbereitet
und erlaubt einen Einblick in das bisher kaum
bekannte Gesellen leben des legendären Arbeiterführers.
Website: robertgrimm.ch
Tickt die Uhr für TikTok?
Die Video-App aus China wird in den USA vielleicht verboten.
Es sei denn, eine US-Firma (Microsoft ist im Gespräch)
kaufe die Videoplattform. TikTok gebe, so der
Vorwurf, Nutzerdaten weiter an die chinesische Regierung.
Die App ist auch in der Schweiz bei Teenagern beliebt
und definitiv im Mainstream angelangt; Schweiz
Tourismus hat eben vier TikToker engagiert und das BAG
wirbt dort für die Covid-App. Quelle: kleinreport.ch
Besser lesen und schreiben1.7.2020
In der Schweiz leben 800 000 Erwachsene,
die nicht genügend lesen und
schreiben können. Zwei Drittel von
ihnen sind erwerbstätig. Die Initiative
«Einfach besser!» (von der Interkantonalen
Konferenz für Weiterbildung
und dem Dachverband Lesen und
Schreiben) setzt sich für die Förderung
von Grundkompetenzen ein.
Webseite: besser-jetzt.ch
FernUni Schweiz lanciert Master
in Recht auf Französisch1.7.2020
Die FernUni Schweiz bietet zum ersten
Mal einen Master-Lehrgang auf
Französisch an, und zwar im Bereich Innovationsrecht.
Das Studium beginnt im Februar 2021.
Infos: unidistance.ch/droit/master
Instagram als Newsquelle15.4.2020
Generation Z kritisch gegenüber
sozialen Medien27.7.2020
Ein Fünftel der Mitglieder der Generation Z
hat in den letzten 12 Monaten den sozialen
Medien den Rücken gekehrt. Ihnen ist wichtig, dass ihre
Daten nicht unerlaubt verwertet werden und dass ihr
psychisches Wohlbefinden nicht beeinträchtigt wird. Das
zeigt eine Umfrage der Medienagentur Dentsu Aegis Network.
Die Mehrheit sagt aber trotzdem, dass die Digitalisierung
die grössten Probleme der Menschheit lösen kann.
Um sich das Vertrauen zurückzuerobern, müssen Unternehmen
und Organisationen beweisen, dass sie ihre
Technologie zum Wohle der Gesellschaft verwenden.
Eine Studie der Universität Oxford und des Reuters-
Instituts hat den Nachrichtenkonsum von Millennials
und Generation Z zu Beginn der Coronakrise unter die
Lupe genommen. Dabei fällt auf, wie viele sich Instagram
zuwenden, um sich über Tagesaktuelles zu
informieren. Politische Inhalte sind inzwischen ein
fester Bestandteil der Plattform, viele Bewegungen
wie #BlackLivesMatter sind hier virtuell zu Hause.
Digitaler Werbemarktanteil über 50 %27.7.2020
Facebook-Werbe-Boykott1.8.2020
Unter dem Motto #StopHateForProfit haben
über 1000 Werbetreibende, darunter
Coca-Cola, Adidas und Starbucks, im ganzen
Juli keine Werbung auf Facebook geschaltet.
Dies um Facebook dazu zu bringen, mehr
gegen Falschinformation und Hate-Speech
(Hassrede) zu unternehmen. Als Reaktion
hat Facebook einen Bürgerrechtsexperten an
Bord geholt.
Artikel in der NY Times: nyti.ms/2E0kBlv
Zum ersten Mal nimmt die Digitalwerbung global mehr
als die Hälfte des Gesamtvolumens ein. Die Coronakrise
beschleunigt somit die digitale Transformation
auch in der Werbebranche. Weltweit werden die
Werbeausgaben 2020 gemäss einem von Zenith
ver öffentlichten Advertising-Forecast um 9 Prozent
zurückgehen.
Neues bei Twitter
Twitter, mit 14 Jahren der Methusalem
unter den sozialen Netzwerken, hat einige
neue Funktionen in der Pipeline: Markieren
von Falschmeldungen bei Personen von
öffentlichem Interesse, «Fleets» (Fleeting Thoughts, die
nach 24 Std. verschwinden), Voice Tweets, und eine Reihe
von UX-Verbesserungen für mehr Übersicht in langen
Threads. Blog.twitter.com