JAKOB DER LÜGNER - Badisches Staatstheater - Karlsruhe
JAKOB DER LÜGNER - Badisches Staatstheater - Karlsruhe
JAKOB DER LÜGNER - Badisches Staatstheater - Karlsruhe
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jakob<br />
er lügner
ein lügner mit<br />
gewissensbissen<br />
wird sein leben lang<br />
ein stümper bleiben
jakob der lügner<br />
nach dem Roman von Jurek Becker<br />
für die Bühne bearbeitet von Martin Nimz & Nina Steinhilber<br />
Erzähler andré wagner<br />
Jakob Heym georg krause<br />
Lina Cornelia grÖsCHel<br />
Kowalski, Frisör Frank wiegard<br />
Mischa, Boxer benjamin berger<br />
Herr Frankfurter klaus CoFalka-adami<br />
Frau Frankfurter ursula grossenbaCHer<br />
Rosa Frankfurter ute baggerÖHr<br />
Professor Kirschbaum timo tank<br />
Elisa Kirschbaum eva derleder<br />
Herschel der Fromme jonas riemer<br />
Fajngold Hannes FisCHer<br />
Najdorf, Rundfunkmechaniker robert besta<br />
Preuss gunnar sCHmidt<br />
Meyer robert besta<br />
Regie martin nimz<br />
Bühne sebastian Hannak<br />
Kostüme riCarda knÖdler<br />
Video manuel braun<br />
Licht CHristopH pÖsCHko<br />
Dramaturgie nina steinHilber<br />
premiere 20.04.12 kleines Haus<br />
Aufführungsdauer 3 Stunden, eine Pause<br />
Aufführungsrechte Suhrkamp Theater & Medien Berlin
Regieassistenz eriC nikodym Bühnenbildassistenz Viktoria strikiČ Kostümassistenz<br />
kim lotz Regiehospitanz manuel lindemann Bühnenbildhospitanz alexandra janus<br />
Soufflage dagmar weber Inspizienz nikolaus nauy<br />
Technische Direktion Harald Fasslrinner, ralF Haslinger Bühne Hendrik brüggemann,<br />
edgar lugmair Leiter der Beleuchtung steFan woinke Leiter der Tonabteilung<br />
steFan raebel Ton jan palmer, dieter sCHmidt Leiter der Requisite wolFgang<br />
Feger Werkstättenleiter tHeo F. Hauser Malsaalvorstand dieter moser Leiter der<br />
Theaterplastiker ladislaus zaban Schreinerei günter Furrer Schlosserei mario<br />
weimar Polster- und Dekoabteilung ute wienberg Kostümdirektorin doris Hersmann<br />
Gewandmeister/in Herren petra annette sCHreiber, robert Harter<br />
Gewandmeisterinnen Damen tatjana graF, karin wÖrner, annette gropp Waffenmeister<br />
miCHael paolone Schuhmacherei tHomas maHler, barbara kistner,<br />
gülay yilmaz Modisterei diana Ferrara, jeanette Hardy Chefmaskenbildner<br />
raimund ostertag Maske Friederike reiCHel, sonja ross, renate sCHÖner,<br />
natalie striCkner<br />
wir danken<br />
Eventfloristik für die Blumen zur Premiere<br />
die waHrsCHeinliCHkeit ist Für<br />
miCH niCHt aussCHlaggebend.<br />
es ist unwaHrsCHeinliCH, dass<br />
ausgereCHnet iCH noCH am leben<br />
bin. viel wiCHtiger ist, dass iCH<br />
Finde, so kÖnnte oder sollte es<br />
siCH zugetragen Haben, und das<br />
Hat überHaupt niCHts mit waHrsCHeinliCHkeit<br />
zu tun.<br />
2<br />
Ursula Grossenbacher, André Wagner
adio<br />
HoFFnung<br />
zum inHalt<br />
Ein namenloser Mann, Überlebender<br />
eines polnischen Ghettos, unternimmt gut<br />
zwanzig Jahre nach dem Ende der nationalsozialistischen<br />
Gewaltherrschaft eine<br />
unbequeme Reise in die Vergangenheit.<br />
Er versucht, eine Geschichte loszuwerden.<br />
Die Geschichte eines Ghettos und<br />
der dort lebenden Menschen, von denen<br />
er einer war. Die Schatten der Vergangenheit<br />
nehmen Gestalt an: Jakob Heym, der<br />
früher in seinem eigenen Laden Kartoffelpuffer<br />
verkauft hat und sein alter Freund<br />
Kowalski, der sein Frisörgeschäft gleich<br />
in der Nähe hatte. Mischa, ein junger, ungestümer<br />
Boxer, der verliebt ist in Rosa,<br />
die Tochter des bekannten Schauspielers<br />
Frankfurter und seiner Frau. Fajngold, ein<br />
alter Mann, der mit Mischa das Zimmer<br />
teilt, der Arzt Professor Kirschbaum und<br />
seine würdevolle Schwester Elisa, der<br />
Rundfunkmechaniker Josef Najdorf und<br />
der fromme Herschel. Und nicht zuletzt<br />
4<br />
Lina, das elternlose Kind, das der kinderlose<br />
Jakob bei sich aufgenommen hat.<br />
Zu Beginn der Geschichte wird Jakob<br />
Heym von einem Wachposten gezwungen,<br />
sich wegen eines angeblichen Verstoßes<br />
gegen die Ghetto-Verordnungen<br />
auf dem gefürchteten Revier zu melden.<br />
Dort spielt in einem der Räume ein Radio<br />
und Jakob hört zufällig, wie ein Sprecher<br />
vom Vorrücken der feindlichen Truppen<br />
berichtet. Jakob rechnet sich aus, was<br />
das bedeutet: Die Befreier des Ghettos<br />
sind auf dem Vormarsch. Doch damit nicht<br />
genug: Durch Zufall trifft Jakob auf einen<br />
gutmütigen Wachhabenden, der ihn wieder<br />
nach Hause schickt. Er verlässt das<br />
Revier lebend, weiß aber, dass ihm das<br />
im Ghetto kein Mensch glauben wird. Ein<br />
Grund, gut zu überlegen, ob er die gehörte<br />
Nachricht überhaupt weitergibt, denn<br />
man könnte ihn für einen Spitzel halten.
Doch dann wird Jakob Zeuge, wie Mischa<br />
sich bei dem Versuch, an einen Wagen<br />
Kartoffeln heranzukommen, in Lebensgefahr<br />
bringt. Um ihn aufzuhalten, erzählt<br />
Jakob dem Freund von der bald zu erwartenden<br />
Ankunft der Befreier. Als Mischa<br />
ihm nicht glaubt, fällt Jakob die Lüge ein,<br />
die Mischa gerade noch rechtzeitig in<br />
Sicherheit – und ihn selbst bald darauf<br />
in Bedrängnis bringt: Er behauptet, ein<br />
Radio versteckt zu halten. In seiner<br />
Begeisterung trägt Mischa die gute<br />
Nachricht weiter. Dass der Besitz eines<br />
Radios bei Todesstrafe verboten ist, kann<br />
das Lauffeuer nicht aufhalten. Schon am<br />
nächsten Tag rückt Kowalski Jakob auf<br />
die Pelle, ein bisschen beleidigt, dass<br />
dieser nicht ihm zuerst von seinem Radio<br />
berichtet hat, aber vor allem neugierig<br />
auf frische Nachrichten. Mischa erzählt<br />
es Rosa Frankfurter und ihrer Familie und<br />
auch seinem Mitbewohner Fajngold, der<br />
ihm im Austausch mit einem ungewöhnlichen<br />
Gefallen den Weg für eine Liebesnacht<br />
mit Rosa ebnet. In der Zwischenzeit<br />
holt Herr Frankfurter im Keller ein Radio<br />
hervor – und zerstört es, ohne es ein<br />
einziges Mal angeschaltet zu haben.<br />
Immer mehr Leute erfahren von Jakobs<br />
Radio, teilen die Hoffnung auf eine baldige<br />
Befreiung mit ihren Nächsten und<br />
schmieden Pläne für „danach“. Aber es<br />
gibt auch andere Stimmen, Gegner des<br />
Radios, die aus Angst, sie könnten als<br />
Mitwisser verurteilt werden, dieses Radio<br />
gerne so schnell wie möglich los wären.<br />
Jakob ist hin und her gerissen zwischen<br />
der Angst, erwischt zu werden, der Freude<br />
über die neue Zuversicht, die man ihm<br />
verdankt, einem schlechten Gewissen,<br />
weil er fortan gezwungen ist, die Lüge<br />
aufrecht zu erhalten und der Überforderung,<br />
nun immer wieder gute Neuigkeiten<br />
erfinden zu müssen. Kurzzeitig kommt ihm<br />
ein Stromausfall zur Hilfe: Kein Strom,<br />
kein Radio, keine Nachrichten – und für<br />
einen Moment hat Jakob Ruhe vor den<br />
vielen Fragen. Doch als der Stromausfall<br />
behoben ist, muss Jakob auch die Hoffnungsquelle<br />
Radio wieder anzapfen.<br />
Dann wird Herschel bei dem Versuch,<br />
in einem Waggon eingeschlossenen<br />
Deportierten auf dem Güterbahnhof mit<br />
Jakobs guten Nachrichten Mut zuzusprechen,<br />
erschossen. Jakob ist verzweifelt,<br />
schöpft aber noch einmal neuen Mut, als<br />
er mit Lina zusammen „Radio hört“. Doch<br />
es wird eng. Eines Tages kehrt Fajngold<br />
nicht von der Arbeit zurück, Professor<br />
Kirschbaum wird abgeholt, kurz darauf<br />
auch seine Schwester und das Ehepaar<br />
Frankfurter. Mischa kann Rosa zunächst<br />
vor der Deportation bewahren, aber auch<br />
er beginnt, an einem guten Ende zu zweifeln.<br />
Die Befreier lassen auf sich warten,<br />
Jakobs Lügen verlieren zusehends ihre<br />
Wirkung, die Hoffnung schwindet. Jakob<br />
ist erschöpft – und vertraut sich schließlich<br />
seinem Freund Kowalski an. Jakobs<br />
Geständnis und Kowalskis Selbstmord<br />
bringen den Erzähler dazu, die Zeit noch<br />
einmal zurückzudrehen und statt des erwarteten,<br />
ein anderes Ende der Geschichte<br />
zu erzählen, eines, das „ein wenig auf<br />
Kosten Jakobs“ geht: Er gesteht seine<br />
Lüge nicht und entschließt sich einsam<br />
zu einem waghalsigen Fluchtversuch, der<br />
ihn das Leben kostet. Kurz darauf wird<br />
das Ghetto befreit und man wundert sich<br />
gemeinsam über den Radiobesitzer Heym,<br />
der das doch hätte wissen müssen. Nach<br />
dem erfundenen Wunschende, dem Traum<br />
von Befreiung und Zukunft, holt den Erzähler<br />
die Wahrheit ein – und zwingt ihn,<br />
statt des erfundenen nun das realistische<br />
Ende seiner Geschichte zu erzählen.<br />
5
das<br />
„Wissen Sie, ich war irgendwie Kaspar<br />
Hauser, ich war in diese Welt gefallen mit<br />
acht Jahren. Und keiner hat mir erzählt,<br />
bis auf ganz dürftige Informationen, was<br />
ich für einer bin und was mit mir los ist<br />
und wo ich herkomme“, erklärt Jurek Becker<br />
in seinem letzten Interview mit dem<br />
Magazin Der Spiegel 1997 und beschreibt<br />
jakob der lügner als den „Versuch des<br />
Hauchs einer Autobiographie. Ich wollte<br />
etwas genauer wissen. Vorher war das<br />
Ghetto für mich ein unheimliches, bedrohliches,<br />
schwarzes Ding in meinem<br />
Kopf. Und ich habe mich so lange damit<br />
beschäftigt, bis das etwas geworden ist,<br />
wo Leute drin gewohnt haben, von denen<br />
mit Bestimmtheit ich einer gewesen bin.<br />
Ich weiß wirklich nicht, welcher.“<br />
1969 erschien jakob der lügner, es war<br />
Jurek Beckers erster Roman. Ursprünglich<br />
hatte er für die Geschichte das Drehbuch<br />
zu einem Film im Sinn, 1963 entstand<br />
für die DEFA das erste Exposé dafür.<br />
8<br />
erzäHlen<br />
einer<br />
gesCHiCHte<br />
zum roman<br />
Doch Regisseur Frank Beyer, mit dem<br />
Becker das Projekt verwirklichen wollte,<br />
wurde wegen seines parteikritischen<br />
Films spur der steine zeitweise mit einem<br />
Drehverbot belegt. Erst einige Jahre nach<br />
dem Erscheinen des Romans konnte Beyer<br />
den Stoff doch noch verfilmen.<br />
„Die Geschichte von Jakob dem Lügner<br />
hat sich niemals so zugetragen. Ganz bestimmt<br />
nicht. Vielleicht hat sie sich aber<br />
doch so zugetragen“ ist in der letzten<br />
Drehbuchfassung zu lesen. Die Idee für<br />
die Geschichte entwickelte Jurek Becker<br />
aus einer Erzählung seines Vaters, der<br />
ihm von einem Mann erzählt hatte, der<br />
im Ghetto ein Radio versteckt hielt und<br />
unter Lebensgefahr die Ghettobewohner<br />
mit Neuigkeiten versorgte. Die Sache flog<br />
auf, der Mann, ein Held, wurde hingerichtet.<br />
Beckers Vater nahm an, dass sein<br />
Sohn diese Begebenheit der Wirklichkeit<br />
entsprechend aufschreiben würde, doch<br />
Jurek Becker entschied anders. „Die
Geschichte kam mir weder originell vor<br />
noch neuartig, sie kam mir vor wie eine<br />
Geschichte, die ich schon hundertmal<br />
gehört oder gelesen hatte. Sie mag sich<br />
tatsächlich so zugetragen haben, aber<br />
das reicht nicht aus für eine gute Geschichte“,<br />
erklärt Becker in einem kurzen<br />
Essay mit dem Titel wie es zu jakob dem<br />
lügner kam. Becker nutzte die Wahrheit<br />
als Inspiration und erfand die Geschichte<br />
eines Mannes, von dem die Leute glaubten,<br />
dass er ein Radio versteckt hielt.<br />
Jakob der Lügner war geboren, ein Mann,<br />
der kein Held sein will – und der sich<br />
dennoch entscheidet, die Lüge auf sich zu<br />
nehmen und die Bewohner des Ghettos<br />
mit guten Nachrichten aus einem Radio zu<br />
beliefern, das gar nicht existiert. Denn er<br />
weiß, wie nötig die Menschen Hoffnung<br />
brauchen. „Vielleicht ist der Unterschied<br />
zwischen beiden Geschichten das, was<br />
man einen künstlerischen Einfall nennt“,<br />
schreibt Jurek Becker, „hoffentlich.<br />
Jedenfalls schien mir jetzt ein sinnvolles<br />
Motiv gegeben, die Geschichte zu<br />
erzählen. Ich hatte eine neue Konstellation<br />
gewonnen und eine Möglichkeit<br />
dazu, eine besondere Art von Heldentum<br />
vorzuführen, und auch ein bisschen zu<br />
philosophieren. Meinem Vater hat bis<br />
zuletzt seine Version besser gefallen. Er<br />
hat gesagt: ‚Dass du so wenig Vertrauen<br />
zu dem hast, was wirklich passiert.‘“<br />
Dem ersten Film-Exposé, das viele Episoden<br />
und Figuren bereits enthält, fügt<br />
Becker beim Schreiben des Romans einen<br />
zentralen Aspekt hinzu: Gleich zu Beginn<br />
führt er seinen namenlosen Erzähler ein,<br />
einen Überlebenden des Ghettos, der aus<br />
einer größeren zeitlichen Distanz auf die<br />
Ereignisse zurückblickt – einen Zeugen,<br />
über den sich die Frage nach der Wahrheit<br />
und dem Erzählen auf einer zweiten<br />
Ebene stellt. Er füllt die Leerstellen in den<br />
Geschichten, ergänzt sie um Vermutungen<br />
und Möglichkeiten, reflektiert und kommentiert<br />
kritisch das Geschehen wie auch<br />
den eigenen Versuch, davon zu erzählen.<br />
„Die Geschichten, die er erzählt, sind in<br />
emotionaler Hinsicht so real wie Jakobs<br />
Radio“, schreibt Sander L. Gilman in seiner<br />
Jurek Becker-Biografie über den Erzähler<br />
in jakob der lügner.<br />
„Ich habe schon tausendmal versucht,<br />
diese verfluchte Geschichte loszuwerden,<br />
immer vergebens. Entweder es waren<br />
nicht die richtigen Leute, denen ich sie<br />
erzählen wollte, oder ich habe irgendwelche<br />
Fehler gemacht ... Jedesmal, wenn<br />
ich ein paar Schnäpse getrunken habe,<br />
ist sie da, ich kann mich nicht dagegen<br />
wehren.“ Beckers Erzähler ist kein unbeteiligter<br />
Beobachter; das Erlebte und<br />
Verdrängte bestimmt und definiert seine<br />
Persönlichkeit in der Gegenwart. Quälende<br />
Fragen nach der eigenen Angst und<br />
Handlungsunfähigkeit verfolgen ihn und<br />
sind entscheidend für die Perspektive,<br />
aus der heraus er die Geschichte betrachtet.<br />
Der Versuch, sich seiner Vergangenheit<br />
zu stellen, gerät zur unbarmherzigen<br />
Selbstbefragung: Warum das unbewegliche,<br />
stille und geduldige Abwarten in der<br />
Hoffnung auf Rettung, Erlösung, Befreiung?<br />
„Es hat dort, wo ich war, keinen<br />
Widerstand gegeben“, stellt der Erzähler<br />
nüchtern fest – und „wahrscheinlich<br />
werde ich nie damit fertig.“<br />
Im Versuch, zu einer tiefer liegenden,<br />
emotionalen Wahrheit vorzudringen,<br />
überschreitet der Erzähler die Grenzen<br />
faktischer Wahrheit und räumt sich, was<br />
die von ihm überlieferten Geschichten<br />
um Jakob und die anderen Bewohner des<br />
Ghettos betrifft, eine gewisse Freiheit<br />
9
im Umgang mit Wahrscheinlichkeit ein:<br />
„Die Wahrscheinlichkeit ist für mich<br />
nicht ausschlaggebend, es ist unwahrscheinlich,<br />
dass ausgerechnet ich noch<br />
am Leben bin. Viel wichtiger ist, dass<br />
ich finde, so könnte oder sollte es sich<br />
zugetragen haben. Und das hat nichts<br />
mit Wahrscheinlichkeit zu tun.“ Diese<br />
erzählerische Freiheit ermöglicht es<br />
ihm, die Lücken in der Geschichte kraft<br />
seiner Fantasie zu schließen und in den<br />
verschütteten Zwischenräumen einer<br />
großen historischen Wahrheit zahlreiche<br />
kleine Geschichten aufzuspüren – und zu<br />
erfinden. Stellvertretend für viele, deren<br />
Biografien ausgelöscht wurden, gibt er<br />
einigen von ihnen eine Geschichte, einen<br />
Namen, ein Gesicht, erzählt von ihren<br />
Träumen und Hoffnungen, ihrer Angst ums<br />
Überleben – aber auch von ihren alltäglichen<br />
Begegnungen, Sorgen, Freuden<br />
und Streitigkeiten. Aus diesen kleinen, erfundenen<br />
Geschichten voller Humor und<br />
Verzweiflung entsteht das, was Beckers<br />
Schriftstellerkollege Louis Begley in seinem<br />
Nachwort zu jakob der lügner „ein<br />
in der Hölle spielendes Märchen“ nennt.<br />
Am Ende des Romans steht zunächst der<br />
für den Film geplante Schluss, in leicht<br />
abgewandelter Form, eine Erfindung des<br />
Erzählers, eine tragisch-schöne Fantasie,<br />
die mit der Ironie des Schicksals spielt:<br />
Jakob, der Mann, der die ganze Zeit mit<br />
seinen guten Nachrichten aus einem erfundenen<br />
Radio im Ghetto für Zuversicht<br />
gesorgt hat, ist selbst am Ende aller Hoffnung<br />
angelangt. Bei einem selbstmörderischen<br />
Fluchtversuch wird er von einem<br />
deutschen Posten erschossen – wenige<br />
Augenblicke bevor die Rote Armee das<br />
Ghetto erreicht. So könnte oder sollte die<br />
Geschichte also enden – würde es nach<br />
dem Erzähler gehen. Doch auch wenn ihm<br />
10<br />
dieses utopische Ende weit besser gefällt,<br />
sieht er sich gezwungen, einen zweiten<br />
Schluss hinzuzufügen, einen, der mit<br />
der Realität vereinbar ist: Das Ghetto wird<br />
von den deutschen Besatzern aufgelöst,<br />
alle Ghettobewohner werden deportiert.<br />
Denn die Rote Armee hat nie ein Ghetto<br />
befreien können. Die Menschen haben<br />
vergeblich auf ihre Befreiung gewartet.<br />
Dass Roman wie Verfilmung über weite<br />
Strecken nicht versuchen, die tatsächlichen<br />
Schrecken des Lebens im Ghetto<br />
abzubilden, war für Filmregisseur Frank<br />
Beyer eine bewusste Entscheidung: „Die<br />
Bilder des Grauens, die wir aus Dokumentarfilmen<br />
über Ghettos und Konzentrationslager<br />
kennen, kommen in unserem<br />
Film nicht vor. Wir haben die Erfahrung<br />
gemacht, dass der Zuschauer durch<br />
Schockwirkungen dieser Art sich eher<br />
verschließt, als für die Gedanken- und<br />
Gefühlswelt des Autors und Regisseurs<br />
sich öffnet.“ Die Deutschen bleiben in<br />
der Geschichte fast anonym, spielen als<br />
einzelne Figuren keine größere Rolle.<br />
Jurek Beckers Vater hatte sich seinem<br />
Sohn gegenüber kritisch über die realitätsfremde<br />
Zeichnung des Ghetto-Alltags<br />
geäußert: „Den blöden Deutschen kannst<br />
du erzählen, wie’s im Ghetto zugegangen<br />
ist, mir nicht, ich war dabei. Ich bin ein<br />
Zeuge. Mir kannst du solche lächerlichen<br />
Geschichten nicht erzählen. Ich weiß,<br />
dass es anders war.“ Aber der Sohn hatte<br />
sich entschieden, so und nicht anders<br />
über den Holocaust zu schreiben. Im Osten<br />
wie im Westen wurde der Roman ein<br />
großer Erfolg. Für seine ungewöhnliche<br />
Auseinandersetzung mit der Shoah erhielt<br />
Becker verschiedene Auszeichnungen<br />
und wurde in den Schriftstellerverband<br />
der DDR aufgenommen.<br />
Georg Krause, Cornelia Gröschel
die<br />
zum autor<br />
1937 als Kind jüdischer Eltern im polnischen<br />
Lodz geboren, verbringt Jurek<br />
Becker seine frühe Kindheit im 1939<br />
errichteten Ghetto von Lodz und in den<br />
Konzentrationslagern Ravensbrück und<br />
Sachsenhausen. „Als ich zwei Jahre alt<br />
war, kam ich in dieses Ghetto, mit fünf<br />
verließ ich es wieder in Richtung Lager.<br />
Ich kann mich an nichts erinnern.“<br />
Nach dem Krieg und dem Tod der Mutter<br />
kommt er zu seinem Vater, der im<br />
Zuge der Deportationen von Frau und<br />
Sohn getrennt worden war. Nach seiner<br />
Befreiung konnte er Jurek über die JOINT<br />
(American Jewish Joint Distribution<br />
Organization) ausfindig machen und<br />
gelangte mit anderen polnischen Juden<br />
nach Ostberlin. Hier erlernt Jurek Becker<br />
die deutsche Sprache. Nach dem Abitur<br />
1955 und einem zweijährigen Militärdienst<br />
bei der NVA beginnt er ein Studium<br />
der Philosophie an der Berliner Humboldt-<br />
Universität und wird Mitglied der SED.<br />
12<br />
Frage<br />
der<br />
identität<br />
In der alternativen Szene Ostberlins lernt<br />
er Manfred Krug kennen, der später sein<br />
bester Freund, Mitbewohner und einer<br />
seiner engsten künstlerischen Partner<br />
wird. 1960 verlässt Jurek Becker die Universität,<br />
ihm werden „Disziplinverstöße“<br />
vorgeworfen, eine Haltung, „die der eines<br />
Studenten einer sozialistischen Universität<br />
nicht entspricht“, „Überheblichkeit<br />
und Selbstgefälligkeit“ sowie „ideologische<br />
Unklarheiten in Grundfragen.“<br />
Becker belegt einen Kurs für Film- und<br />
Fernsehautoren an der Staatlichen Film-<br />
und Fernsehhochschule in Babelsberg.<br />
Als freier Schriftsteller in Ostberlin<br />
schreibt er Drehbücher für die DEFA und<br />
das Fernsehen der DDR sowie Kurzgeschichten<br />
und Texte für das Kabarett<br />
Die Distel. 1961 heiratet er Erika „Rieke“<br />
Hüttig, mit der er zwei Söhne bekommt,<br />
Nikolaus und Leonard. 1969 erscheint<br />
sein erster Roman jakob der lügner. 1970<br />
verfasst er das Drehbuch für den DEFA
Film meine stunde null; im Jahr darauf<br />
erhält er für jakob der lügner u. a. den<br />
Heinrich-Mann-Preis der Akademie der<br />
Künste der DDR. 1972 stirbt der Vater.<br />
Jurek Becker wird Mitglied des P.E.N.-<br />
Zentrums der DDR. In den Folgejahren<br />
veröffentlicht er den Roman irreführung<br />
der behörden, wird in den Vorstand des<br />
Schriftstellerverbands der DDR gewählt,<br />
schreibt die neue Fassung des Filmdrehbuchs<br />
jakob der lügner, das 1974 von<br />
Frank Beyer verfilmt wird, und erhält den<br />
Nationalpreis der DDR.<br />
In den 70er Jahren geht Jurek Becker<br />
allerdings immer stärker in Konfrontation<br />
mit den DDR-Behörden. 1973 wird sein<br />
Auftritt in einer Sendung der Aktuellen<br />
Kamera nicht ausgestrahlt, weil den Entscheidungsträgern<br />
Beckers Haare zu lang<br />
sind. In einem Brief an Erich Selbmann,<br />
der die Sendung des DDR-Fernsehens ursprünglich<br />
konzipiert hatte, kommentiert<br />
der „ostdeutsche Hippie“ den Grund der<br />
„Nicht-Sendung“ ironisch mit der Bitte,<br />
den zuständigen Redakteur zu fragen, „ob<br />
er bereit wäre, mich zuzulassen, wenn ich<br />
mir die Haare abschneiden ließe. Allerdings<br />
muss ich sie darauf aufmerksam<br />
machen, dass ich jüdischer Abstammung<br />
bin. Ich nenne Ihnen lieber gleich diesen<br />
potentiellen Hinderungsgrund, damit sich<br />
nicht wieder im Nachhinein Komplikationen<br />
einstellen.“<br />
1976 protestiert Jurek Becker gegen die<br />
Ausbürgerung Wolf Biermanns, wird aus<br />
der SED ausgeschlossen und arbeitet<br />
weiter als freier Schriftsteller in der DDR.<br />
Sein Roman der boxer erscheint. Für<br />
Frank Beyers DEFA-Film das versteck<br />
schreibt er 1977 das Drehbuch. jakob der<br />
lügner erhält eine Oscar-Nominierung als<br />
bester ausländischer Film. Im selben Jahr<br />
Folgeseiten Jonas Riemer, Benjamin Berger und Ensemble<br />
tritt Becker aus dem Schriftstellerverband<br />
der DDR aus und erhält zunächst für<br />
zwei, schließlich für zehn Jahre ein Visum<br />
zum Auslandsaufenthalt. Nach einer<br />
Zeit als Writer-in-Residence am Oberlin-<br />
College in Ohio/USA lebt er in Westberlin,<br />
tritt eine Gastdozentur an der Universität<br />
Essen an und publiziert den Roman<br />
schlaflose tage und den Erzählungsband<br />
nach der ersten zukunft.<br />
Neben anderen Film- und Fernsehprojekten<br />
kommen der boxer beim ZDF und<br />
schlaflose tage bei der ARD als Fernsehfilme<br />
ins Programm. 1983 wird Becker<br />
Mitglied der Deutschen Akademie für<br />
Sprache und Dichtung in Darmstadt.<br />
1986 erscheint der Roman bronsteins<br />
kinder. Becker heiratet seine zweite Frau<br />
Christine und schreibt Drehbücher für<br />
die ARD-Fernsehserie liebling kreuzberg<br />
mit Manfred Krug in der Hauptrolle.<br />
Für die beliebte Serie erhält er 1987<br />
den Adolf-Grimme-Preis in Gold. Nach<br />
einer Gastprofessur an der University of<br />
Texas in Austin/USA wird Jurek Becker<br />
1989 Gastdozent für Poetik an der<br />
Johann Wolfgang-Goethe-Universität<br />
in Frankfurt am Main und 1990 Mitglied<br />
der Akademie der Künste in Berlin. Sein<br />
dritter Sohn Jonathan wird geboren.<br />
Bei Suhrkamp erscheint 1992 der Roman<br />
amanda Herzlos und Becker erhält das<br />
Verdienstkreuz I. Klasse der Bundesrepublik<br />
Deutschland. Er schreibt Drehbücher<br />
zur Fernsehserie wir sind auch nur ein<br />
volk und wiederum für liebling kreuzberg;<br />
1996 erscheint unter dem Titel ende<br />
des größenwahns eine Sammlung von<br />
Aufsätzen und Vorträgen.<br />
Am 14. März 1997 stirbt Jurek Becker<br />
in Sieseby/Schleswig-Holstein an einer<br />
Krebserkrankung.<br />
13
seelen-<br />
16<br />
landsCHaFt<br />
der erinnerung<br />
zur inszenierung<br />
Auf der Bühne eine surreale Landschaft,<br />
vereinzelt liegen Möbel und andere Gegenstände<br />
herum oder werden im Verlauf<br />
der Geschichte hervorgeholt. Ausgehend<br />
von Bildern eines verwaisten Ackers<br />
oder Feldes, wie denen des zerstörten<br />
Warschauer Ghettos 1945, die kaum noch<br />
erahnen lassen, was hier einmal war,<br />
haben Regisseur Martin Nimz und Bühnenbildner<br />
Sebastian Hannak sich bei der<br />
Entwicklung des Raums von zwei zentralen<br />
Gedanken leiten lassen: Dem des Verborgenen,<br />
das unter der Oberfläche einer<br />
Landschaft vergraben liegt, Verschüttetes,<br />
Verdrängtes, Vergessenes und Totgeschwiegenes<br />
– und dem der Hoffnung auf<br />
Zukunft, der Sehnsucht nach Überfluss<br />
und Freiheit, assoziativ gefasst in Bildern<br />
überquellender Orangenhaufen aus dem<br />
Gelobten Land. Der reale Ort, an den der<br />
Erzähler zurückkehrt, um Wahrheit zu<br />
suchen, sich mit der Vergangenheit zu<br />
konfrontieren, zu recherchieren und zu<br />
rekonstruieren, wurde auf der Bühne in<br />
eine innere Landschaft übersetzt, eine<br />
Seelenlandschaft, eine Art Steinbruch<br />
der Erinnerungen. Es ist eine innere Reise,<br />
die hier dokumentiert wird.<br />
Martin Nimz hat jakob der lügner vor<br />
einem Jahr schon einmal in Heidelberg<br />
inszeniert. Das Motiv des Wartens stand<br />
damals konzeptionell im Zentrum der<br />
Arbeit. Im Sinne des von Jurek Becker<br />
in seinem Essay über den Widerstand<br />
formulierten Gedankens der Ghettos als<br />
„Wartezimmer zu den Konzentrationslagern“<br />
lag der Schwerpunkt der ersten<br />
Auseinandersetzung mit dem Roman auf<br />
dem Modellhaften der Geschichte, auf<br />
dem Aspekt des bewegungslosen Ausharrens,<br />
des hoffnungsvollen Wartens auf<br />
Befreiung, Rettung und Erlösung. Durch<br />
das Einführen der Erzählerebene in der<br />
Spielfassung der <strong>Karlsruhe</strong>r Neuinszenierung,<br />
wird dieses Motiv des Wartens erweitert<br />
um die Perspektive eines namenlosen<br />
Überlebenden. Seine „Geschichte
mit der Geschichte“ wird zentrales<br />
Element der Inszenierung – die Fragen,<br />
die Jakobs Radio-Lüge und ihre Folgen<br />
aufwerfen, finden ihre Entsprechung auf<br />
einer zweiten Ebene: In einer vehementen<br />
Selbstbefragung des Menschen, der<br />
diese Geschichte erzählen muss, der die<br />
einzelnen Teile zusammenfügt, das Erlebte,<br />
Gehörte und Erdachte aufschreibt,<br />
kommentiert und verändert. Mit Hilfe einer<br />
Live-Kamera projiziert Videokünstler<br />
Manuel Braun die den Erzähler treibende<br />
innere Stimme in den Bühnenraum.<br />
„Wir müssen uns nichts beweisen“, stellt<br />
der Erzähler wiederholt seinen Versuch<br />
infrage, Licht in das Dunkel zu bringen;<br />
„kein Mensch kann mich zwingen, zu<br />
trinken und mich an Bäume zu erinnern.<br />
Und an Jakob und an alles, was damit zu<br />
tun hat.“ Und dennoch macht er weiter.<br />
Er will etwas genauer wissen. Was den<br />
Namenlosen antreibt, ist das Gefühl der<br />
Schuld, durch eine zufällige Laune des<br />
Schicksals überlebt zu haben. Die quälende<br />
Frage, warum er widerstandslos dem<br />
Verbrechen zugesehen hat. Die Schwierigkeit,<br />
mit der Erinnerung und den Leerstellen<br />
darin umzugehen. Die Angst, bemitleidet<br />
zu werden, die Sehnsucht, sich<br />
von seinem Trauma zu befreien, vielleicht<br />
auch die Hoffnung, über eine erfundene<br />
Geschichte Hoffnung stiftender Erfindungen<br />
Antworten zu finden, Erlösung,<br />
Erleichterung, Wahrheit. Er beschreibt,<br />
wie er erfolglos versucht hat, die Erinnerungen<br />
im Alkohol zu ertränken: „Immer,<br />
wenn ich ein paar Schnäpse getrunken<br />
habe, ist sie da, die Geschichte, und ich<br />
kann nichts dagegen machen.“ Die Frage<br />
nach der Identität des Erzählers, nach<br />
seiner Rolle in der Geschichte, steht von<br />
Anfang an im Raum – und bis zum Schluss<br />
bleibt sein Name unerwähnt, nur wenige<br />
Einzelheiten einer möglichen Biografie<br />
fließen in das Erzählte ein: Seine Affinität<br />
zu Bäumen, der Name seiner Frau. Er<br />
berichtet, welche Teile der Geschichte er<br />
aus erster Hand erzählen kann, worüber<br />
er mit Jakob und Mischa gesprochen hat,<br />
was er weiß und was er nicht weiß, wofür<br />
es Zeugen gibt und wo sie fehlen.<br />
Ein wichtiges Mittel im Versuch, sich mit<br />
dem eigenen Trauma und den mit der Vergangenheit<br />
verbundenen Schrecken auseinanderzusetzen,<br />
ist in Beckers Roman<br />
wie auch in der Inszenierung der subtile,<br />
dann wieder extrem offensive Humor, mit<br />
dem Becker seinen Erzähler zunächst von<br />
den Menschen, die für seine Geschichte<br />
von Bedeutung sind, berichten lässt.<br />
Einer nach dem anderen tauchen sie in<br />
seiner Erinnerungswelt auf und nehmen<br />
ihre Plätze ein. Er holt sie aus der Anonymität<br />
heraus und in die Geschichte hinein,<br />
lässt sie das Schweigen brechen, das<br />
über diesem Ort liegt, und setzt der Stille<br />
und Einsamkeit seiner Gegenwart absurdkomische<br />
und tragische Episoden einer<br />
gemeinsamen Vergangenheit entgegen.<br />
Ricarda Knödler hat sich für die Kostüme<br />
der Figuren, die in der Fantasie des Erzählers<br />
lebendig werden, an historischen<br />
Schnitten, Mustern, Farben und Stoffen<br />
orientiert, sich dabei allerdings weitgehend<br />
gegen eine mit Ghetto oder Lager<br />
assoziierte Bekleidung entschieden, sondern<br />
vielmehr die Figuren mit einer ihrer<br />
Persönlichkeit in einem früheren Leben<br />
entsprechenden Kleidung ausgestattet.<br />
Sie sind, wie der Erzähler sie sieht oder<br />
sehen möchte, so wie die Geschichte von<br />
Jakob dem Lügner die ist, die er erzählen<br />
will – bis er den Gesetzen einer guten<br />
Geschichte zum Trotz der Wahrheit nicht<br />
mehr ausweichen kann.<br />
17
waHrHeit<br />
Stellt euch diesen Fall vor: Trotz einer Gedächtnislücke<br />
höre ich nicht zu erzählen<br />
auf, weil ich euch nicht den Spaß verderben<br />
will. Ein paar Tage später komme ich<br />
beim Erzählen an dieselbe Stelle, doch<br />
plötzlich weiß ich wieder, wie es wirklich<br />
war. Fragt nicht, woher ich das weiß,<br />
die Erinnerung ist ein rätselhaftes Ding.<br />
Blitzschnell muss ich dann entscheiden<br />
zwischen etwas, das ihr für die Wahrheit<br />
haltet, und der Wahrheit. So kann es also<br />
sein, dass ich als Flunkerer dastehe, nur<br />
weil mir die Wahrheit endlich eingefallen<br />
ist ... Manchmal, das gebe ich ehrlich zu,<br />
rede ich euch auch nach dem Munde ...<br />
Und nicht nur euretwegen tue ich das, ich<br />
tu es auch mir zuliebe: Ich möchte, dass<br />
ihr zufriedene Zuhörer seid, so sieht der<br />
Grund für meinen Egoismus aus. Sonst<br />
würde mir das ganze Erzählen keine<br />
Freude machen ... Gewiss, die Wahrheit<br />
ist die Wahrheit. Und was passiert ist,<br />
ist passiert, das ist genauso klar. Doch<br />
hat auch das Erzählen seine Gesetze.<br />
18<br />
des erzäHlens<br />
von jurek beCker<br />
Ein schöner Erzähler ist mir, wer seine<br />
Zuhörer ohne Sinn und Verstand mit<br />
der Wahrheit überschüttet. Wer es sich<br />
hübsch leicht macht und sagt: So und so<br />
ist es gewesen, fresst! Es ist doch wohl<br />
ein Unterschied, ob man eine Geschichte<br />
erzählt, oder ob man sie den Zuhörern<br />
vor die Füße wirft ... Dass ihr mich aber<br />
nicht falsch versteht: Ich will nicht gesagt<br />
haben, die Wahrheit sei bloß dazu da, sie<br />
zu missachten. So dicht an sie heran wie<br />
möglich, das ist meine Devise. Am allerwohlsten<br />
fühlt sich der Erzähler nämlich,<br />
wenn links und rechts von seinem Weg<br />
noch etwas Wahrheit übrig bleibt, zum<br />
Ausweichen sozusagen. Ganz wörtlich<br />
könnt ihr das nehmen: ein Feind kommt<br />
euch entgegen, er oder ihr heißt die Frage,<br />
der Weg ist schmal. Und wie ihr wisst:<br />
In der Not gibt der Klügere nach. Da wird<br />
kaltblütig ausgewichen, der Feind stößt<br />
ins Leere, man selbst hat aber noch Grund<br />
unter den Füßen, steht nicht im Sumpf,<br />
wie er es gerne hätte – man ist gerettet.
jurek beCker<br />
und das<br />
grauen<br />
von louis begley<br />
Im Lauf der Vernichtungsorgie, die mit<br />
Adolf Hitlers Machtübernahme begann,<br />
ihren Höhepunkt hatte, als die deutsche<br />
Ostfront in der letzten Phase des Zweiten<br />
Weltkriegs zusammenbrach, und kein<br />
Ende nahm, bis Berlin im Mai 1945 fiel, ermordeten<br />
Deutsche ungefähr 17 Millionen<br />
unbewaffnete Männer, Frauen und Kinder.<br />
Darunter waren mehr als 200.000 körperlich<br />
oder geistig behinderte oder<br />
unheilbar kranke Deutsche, etwa 10.000<br />
deutsche Homosexuelle, drei Millionen<br />
sowjetische Kriegsgefangene, annähernd<br />
eine halbe Million Sinti und Roma sowie<br />
fast sechs Millionen Juden, von denen<br />
die meisten in Polen lebten und in Polen<br />
umgebracht wurden, auf Straßen und<br />
Marktplätzen, auf Äckern, in Wäldern und<br />
in den Lagern: Auschwitz, Treblinka, Belzec,<br />
Majdanek, Chelmno und Sobibor ...<br />
Jurek Beckers herzbeklemmender, ganz<br />
uneitler und sehr schöner Roman erzählt<br />
sotto voce und mit sanftem Humor von<br />
20<br />
über<br />
einer Handvoll Juden im Ghetto einer<br />
polnischen Stadt. Einer von ihnen – Jakob<br />
Heym oder Jakob der Lügner – hört zufällig<br />
auf einem deutschen Polizeirevier,<br />
aus dem kaum ein Jude lebend herauskommt,<br />
einen Frontbericht im Radio. Die<br />
Nachricht ist elektrisierend: In einer<br />
erbitterten Abwehrschlacht sei es den<br />
heldenhaft kämpfenden deutschen Truppen<br />
gelungen, einen bolschewistischen<br />
Angriff zwanzig Kilometer vor Bezanika<br />
zum Stehen zu bringen. Bezanika! Jakob<br />
versteht, was das heißt, und alle Juden<br />
im Ghetto, denen man die frohe Botschaft<br />
ins Ohr flüstert, verstehen es auch. Wenn<br />
die Russen so dicht vor Bezanika stehen,<br />
sind sie nur ungefähr 400 Kilometer vom<br />
Ghetto entfernt. Sie sind praktisch schon<br />
vor den Toren. Hört auf, euch das Leben<br />
zu nehmen! Ein Jude, der ausharrt, der<br />
es schafft, noch eine Weile zu überleben<br />
– ein paar Tage oder Wochen –, wird aus<br />
dem Albtraum aufwachen. Er wird wieder<br />
ein Mensch sein. Und so lässt Jakob
die guten Nachrichten nicht versiegen,<br />
erfindet sie, denkt sich das versteckte<br />
Radio aus, das er angeblich hört, unter<br />
Lebensgefahr, alles nur, um den anderen<br />
im Ghetto Mut zu machen, Hoffnung<br />
zu geben. Sie warten auf die Russen.<br />
Schließlich sind sie Juden: gewohnt, auf<br />
den Messias zu warten ...<br />
In Polen gibt es keine Stadt Bezanika,<br />
aber im August 1944, als die Gestapo<br />
ihre letzten Deportationsbefehle an die<br />
Mauern des Ghettos von Lodz schlug,<br />
stand die Rote Armee schon 120 Kilometer<br />
– selbst damals nur ungefähr eine<br />
Schnellzug-Stunde – vor Lodz ... Man<br />
kann sich vorstellen, wieviel Hoffnung<br />
und Freude bei jeder Nachricht von einem<br />
weiteren Vorrücken der Russen aufkeimten,<br />
und wie bitter die Enttäuschung und<br />
Verzweiflung waren, als der Vormarsch<br />
stockte. In den letzten Julitagen verlangsamte<br />
sich die russische Offensive und<br />
kam dann zum Stillstand – so dass die SS<br />
und die Gestapo genug Zeit hatten, mit ihrer<br />
Vernichtungsarbeit weiterzumachen.<br />
In Lodz waren die Deportationen aus dem<br />
Ghetto Ende August abgeschlossen ...<br />
Sehr dramatische und sehr erschreckende<br />
Momente können sich dem Gedächtnis<br />
von Kindern mit eisiger Genauigkeit<br />
einprägen – wenn sie nicht verdrängt<br />
werden –, und Jurek muss viele verdrängt<br />
haben. Von der düsteren alltäglichen Realität<br />
des Ghettolebens wird ihm jedoch<br />
eine allgemeine diffuse Erinnerung an<br />
Angst und Verlust geblieben sein, aus der<br />
sich natürlich sehr dramatische Momente<br />
und andere für ihn besonders wichtige<br />
Ereignisse punktuell heraushoben. Dass<br />
Jurek Becker 1962/63, als er die erste<br />
Version von Jakob Heyms Geschichte<br />
schrieb – das Exposé für einen Film,<br />
den Frank Beyer machen sollte –, und<br />
kurz danach, als er das Drehbuch in den<br />
Roman jakob der lügner umarbeitete,<br />
den Eindruck hatte, seine Erinnerungen<br />
würden nicht genügend Stoff für Memoiren<br />
hergeben, kann man sich deshalb gut<br />
vorstellen. Aber als er die Handlung und<br />
die Personen mit ihrem Zauber erfunden<br />
hatte, konnte er eine erdichtete<br />
Geschichte schreiben, seine eigenen<br />
Erinnerungen so nutzen und umwandeln,<br />
wie es für die Erzählung notwendig war,<br />
und durch Informationen ergänzen, die<br />
er von seinem Vater und anderen älteren<br />
Überlebenden gehört oder sich lesend<br />
angeeignet hatte. Auch dieses Material<br />
wurde durch seine Phantasie verändert.<br />
Vielleicht entdeckte er erst in diesem Umwandlungsprozess<br />
den Ton der Erzählung,<br />
der den richtigen Klang für ihn hatte: die<br />
Stimme seines schwermütigen, manchmal<br />
stockenden Erzählers, der ein in der<br />
Hölle spielendes Märchen erzählt.<br />
Vielleicht hatte er den Erzähler aber auch<br />
von Anfang an im Kopf. In jedem Fall aber<br />
müssen ihn beim Schreiben quälende<br />
Fragen verfolgt haben: War er den Erinnerungen<br />
an das Ghetto gerecht geworden,<br />
die er sich bewahrt hatte und denen er<br />
trauen konnte? Hatte er den Toten die<br />
Achtung erwiesen, die ihnen gebührte?<br />
War seine Arbeit authentisch und in<br />
emotionaler Wahrheit verankert?<br />
Diese belastenden Fragen sind mir vertraut,<br />
weil ich selbst mit ihnen konfrontiert<br />
war, als ich lückenhafte Erinnerungen<br />
an meine Kindheit im von Deutschen<br />
besetzten Polen für einen Roman – lügen<br />
in zeiten des krieges – nutzte. Ich habe<br />
nicht den geringsten Zweifel, dass Becker<br />
die richtige Entscheidung traf, als er sie<br />
zugunsten seines Romans beantwortete.<br />
21
widerstand<br />
jurek beCker, 1983<br />
Zum Widerstand: Ich brauche hier sicherlich<br />
nichts über das Ausmaß der Judenverfolgung<br />
während des letzten Krieges<br />
zu erzählen. Die Fakten sind bekannt,<br />
seit sechsunddreißig Jahren muss die<br />
Menschheit mit diesen Fakten leben, sie<br />
tut es ganz gut. Solange ich denken kann,<br />
beschäftigt mich das Phänomen, dass der<br />
Widerstand gegen die Judenvernichtung,<br />
ich meine den jüdischen Widerstand, den<br />
Widerstand der Betroffenen, so unglaublich<br />
gering gewesen ist. Es ist hier wahr-<br />
scheinlich nicht die Gelegenheit, die<br />
Gründe dafür zu untersuchen, ich möchte<br />
nur ein paar Worte zum Umfang dieses<br />
Widerstands sagen.<br />
Ganz Osteuropa ist von Ghettos übersät<br />
gewesen. Die Ghettos waren gewissermaßen<br />
die Wartezimmer zu den Konzentrationslagern,<br />
Millionen Menschen<br />
haben dort, bewusst oder unbewusst, auf<br />
ihre Vernichtung gewartet. Ich selbst bin<br />
als kleines Kind in einem dieser Ghettos<br />
22<br />
gewesen, im größten, das es gab, wenn<br />
ich mich nicht irre, in Lodz.Und jetzt hören<br />
Sie gut: Es ist ein einziger Fall bekannt,<br />
dass Juden sich zusammengetan und sich<br />
gegen ihre Peiniger zur Wehr gesetzt hätten,<br />
der Warschauer Ghettoaufstand. Da<br />
und dort hat es noch ein kleines Aufbegehren<br />
gegeben, das den Namen „organisierter<br />
Widerstand“ nicht verdient, in den<br />
Konzentrationslagern übrigens nie. Das<br />
ist alles. In den Hunderten von Ghettos<br />
haben sie still auf ihr Ende gewartet,<br />
vielleicht auf das Wunder der Befreiung<br />
hoffend, vielleicht zu schwach, um sich zu<br />
wehren, vielleicht zu ängstlich, vielleicht<br />
zu eingeschüchtert. Nirgends, bis auf<br />
jenen einen Fall, ist die Faust aus der<br />
Tasche geholt worden.<br />
Ist es da angemessen, den Warschauer<br />
Ghetto-Aufstand als „ein Beispiel“ anzuführen,<br />
wie der Beginn einer Aufzählung?<br />
Ich glaube nicht. Dieser Vorfall war unerhört<br />
und einmalig, die große Ausnahme
und eben nicht ein Beispiel. Die Darstellung<br />
von Widerstand, der sich nicht im<br />
Warschauer Ghetto zugetragen hat, muss<br />
beim kundigen Leser die Frage auslösen:<br />
Wo soll denn das gewesen sein? Natürlich<br />
kann sich ein Autor darüber hinwegsetzen,<br />
und es ist möglich, dass ich es<br />
getan hätte, wenn da nicht noch andere<br />
Bedenken gewesen wären.<br />
Ich bitte Sie nach diesen kurzen, wahrscheinlich<br />
überflüssigen historischen<br />
Belehrungen sich selbst die Frage zu<br />
stellen, was in der Literatur über jene<br />
Zeit aus dem Widerstand geworden ist.<br />
Ohne Übertreibung kann man doch sagen,<br />
dass er in den Büchern eine erstaunliche<br />
Karriere gemacht hat. Ohne große<br />
Übertreibung kann man doch sagen, dass<br />
die Literatur über jene Zeit im Grunde<br />
eine Literatur über den Widerstand ist.<br />
Aus der Ausnahme ist da plötzlich die<br />
Regel geworden, aus dem Unerhörten<br />
und Einmaligen eine Alltäglichkeit. Die<br />
Gründe dafür sind sonnenklar: Es ist<br />
angenehmer zu glauben, dass die Opfer<br />
sich gewehrt haben; es ist angenehmer<br />
zu glauben, dass das Unrecht es schwer<br />
hat, sich durchzusetzen; und es ist angenehmer<br />
zu glauben, dass die Zahl derer,<br />
die Faschisten gewesen sind, mit den<br />
Jahren abnimmt. Kommen Sie heute nach<br />
Deutschland und hören Sie sich um – Sie<br />
werden bald denken müssen, dass Hitler<br />
allein auf weiter Flur gestanden hat.<br />
Worauf ich aber hinaus will – die Inflation<br />
des Widerstands in der Literatur mindert<br />
nachträglich die Leistung derer herab,<br />
die tatsächlich Widerstand geleistet<br />
haben. Sie waren die großen Helden, die<br />
großen Ausnahmen; der massenhafte<br />
Widerstand in den Büchern aber macht<br />
sie zu Dutzendtypen. Und die anderen,<br />
die Nicht-Helden, die Ängstlichen, die<br />
Zögerer, die Unscheinbaren, die Feiglinge,<br />
also fast alle – die gehen irgendwie unter<br />
in den Büchern, die kommen kaum vor.<br />
Ich komme auf einen anderen Punkt zu<br />
sprechen: Niemals war es meine Absicht,<br />
ein historisches Bild zu malen, weder<br />
in diesem Buch noch in einem anderen;<br />
ich hatte nie im Sinn, dem Leser eine Art<br />
historische Lektion zu erteilen. Ich wollte<br />
natürlich auch kein historisches Bild<br />
verfälschen, doch mein Vorhaben war es,<br />
eine ordentliche Geschichte zu erzählen.<br />
Ich suchte mir das Material dafür zusammen,<br />
ich musste mir auch die Frage beantworten,<br />
welches die Voraussetzungen<br />
meiner Geschichte sind. Zwei möchte ich<br />
nennen: eine der Voraussetzungen war<br />
gerade die, dass die meisten Leser von<br />
dem zu wenigen Widerstand schon zuviel<br />
gehört hatten. Eine andere bestand darin,<br />
dass ich in dieser Geschichte keinen<br />
Widerstand brauchen konnte. So, wie sie<br />
mir vor Augen stand, hatte Widerstand<br />
nichts in ihr zu suchen. Er hätte mich nur<br />
in meiner Konzentration gestört, in einer<br />
Ruhe, die, wie ich damals fand, diese<br />
Geschichte unbedingt brauchte.<br />
Ich will sie, die Geschichte, nicht erklären,<br />
dafür sind Sie eher prädestiniert als<br />
ich. Ich will nur sagen, dass ihre Motive<br />
nicht in der Vergangenheit liegen. Ich vermute,<br />
dass jedes vernünftige Buch einen<br />
gegenwärtigen Grund braucht und dass<br />
dieser Grund nicht nur darin bestehen<br />
darf, eine Geschichte erzählen zu wollen.<br />
Ich hatte zum Beispiel Lust, über die Frage<br />
zu meditieren, welche Rolle Hoffnung<br />
im Leben von Menschen spielt. Ob sie<br />
ausreicht, um zu überleben, oder ob sie<br />
nur dann hilfreich ist, wenn sie Menschen<br />
aktiviert. Zum Beispiel zum Widerstand.<br />
23
Auch hat mich die Frage beschäftigt, ob<br />
Lüge eine rein erkenntnistheoretische<br />
Kategorie ist, das heißt, ob sie allein<br />
durch die Nichtübereinstimmung einer<br />
Aussage mit der Wirklichkeit definiert ist.<br />
Oder ob dieser Begriff auch eine moralische<br />
Dimension hat. Ob es eine Ebene<br />
gibt, auf der die Regeln der Logik sich<br />
verlieren und die Regeln der Sittlichkeit<br />
ihre Stelle einnehmen.<br />
Ich wollte auch, damit sage ich Ihnen<br />
sicher nichts Neues, eine Geschichte<br />
darüber schreiben, was das Geschichtenerzählen<br />
wert ist, vor allem in Zeiten der<br />
Not; ob es beim Überleben helfen kann<br />
24<br />
oder nur ablenkt von Sorgen, um die man<br />
sich besser kümmern sollte. Und da frage<br />
ich Sie – was hat der Widerstand damit zu<br />
tun? Dazu noch einer, der, wenn man sich<br />
seine Winzigkeit ansieht, schon viel zuviel<br />
Publizität gehabt hat. Zum Schluss habe<br />
ich noch einen Satz zu sagen, mit dem ich<br />
mir wahrscheinlich alles verderbe; mit<br />
dem ich den kleinen Eindruck, den meine<br />
Argumente beim einen oder anderen von<br />
Ihnen womöglich gemacht haben könnten,<br />
zerstöre. Aber ich muss ihn trotzdem<br />
sagen, denn er gehört dazu:<br />
Das einzige Thema dieses Buches ist, so<br />
scheint mir, der Widerstand.<br />
wo ist der mann,<br />
der „mir naCH“ ruFt?<br />
Frank Wiegard
martin nimz Regie<br />
Nach seinem Studium an der Staatlichen<br />
Schauspielschule in Rostock war Martin<br />
Nimz zunächst als Schauspieler u. a. in<br />
Gera, Rostock und Chemnitz engagiert,<br />
wo er auch erstmals Regie führte. 2002<br />
bis 2004 war er Schauspieldirektor am<br />
<strong>Staatstheater</strong> Kassel. Als freischaffender<br />
Regisseur inszenierte er u. a. die gerechten,<br />
wer hat angst vor virginia woolf,<br />
sommergäste, Hexenjagd und ein mond<br />
für die beladenen am Schauspiel Frankfurt,<br />
kabale und liebe am <strong>Staatstheater</strong><br />
Cottbus, effi Briest, ein volksfeind und<br />
die räuber am Landestheater Tübingen,<br />
wallenstein, die nibelungen, michael<br />
koolhaas, woyzeck sowie die Deutschsprachige<br />
Erstaufführung von Jonathan<br />
Safran Foers Roman alles ist erleuchtet<br />
am Heidelberger Theater, der bus am<br />
Staatsschauspiel Dresden, die dreigroschenoper<br />
am Schauspiel Dortmund,<br />
beide Teile von Goethes Faust am Theater<br />
Magdeburg und Grabbes Herzog theodor<br />
von gothland in <strong>Karlsruhe</strong>.<br />
26<br />
sebastian Hannak Bühne<br />
Sebastian Hannak studierte Bühnen- und<br />
Kostümbild an der Kunstakademie Stuttgart<br />
bei Jürgen Rose und Martin Zehetgruber.<br />
Während des Studiums war er<br />
Assistent und Mitarbeiter in Darmstadt,<br />
Hamburg und Zürich u. a. bei Klaus- Michael<br />
Grüber, John Neumeier und Johann<br />
Kresnik. Seine Arbeit für Schauspiel,<br />
Musik- und Tanztheater führte Sebastian<br />
Hannak u. a. an das Forum Neues Musiktheater<br />
der Staatsoper Stuttgart unter<br />
Klaus Zehelein und zu der Tanzkooperation<br />
Freiburg/Heidelberg pvc unter Joachim<br />
Schloemer. Weitere Arbeiten von<br />
Hannak waren zu sehen in Berlin, Dortmund,<br />
Frankfurt, Freiburg, Heidelberg,<br />
Halle, Mannheim, München, Stuttgart,<br />
Salzburg und Zürich. Er arbeitete u. a. mit<br />
den Regisseuren Christof Nel, Michael v.<br />
z. Mühlen, Simon Solberg, Thomas Krupa<br />
und Florian Lutz, Bühnenbilder von ihm<br />
wurden zum Raum des Jahres nominiert<br />
Im GROSSEN HAUS entwirft er 2011/12<br />
das Bühnenbild für das Ballett momo.
iCarda knÖdler Kostüme<br />
Geboren 1969 in Magdeburg, studierte<br />
Ricarda Knödler zunächst Maskenbild an<br />
der Hochschule für Bildende Künste Dresden,<br />
anschließend an der Hochschule für<br />
Kunst und Design Halle Burg Giebichstein.<br />
1997 machte sie ihr Diplom als Mode- und<br />
Kostümdesignerin. Als freie Bühnen- und<br />
Kostümbildnerin arbeitet sie u. a. mit den<br />
Regisseuren Martin Nimz, Herbert Olschok,<br />
Carsten Knödler, Irina Pauls, Petra Dannenhöfer<br />
und Matthias Nagatis. Kostüme<br />
von ihr waren am <strong>Staatstheater</strong> Kassel,<br />
Staatsschauspiel Schwerin, Schauspiel<br />
Chemnitz, Theater Greifswald, am Heidelberger<br />
Theater, an der Oper Halle, am<br />
Gerhard-Hauptmann-Theater Zittau,<br />
am Theater Magdeburg und am Theater<br />
Dortmund zu sehen, außerdem in verschiedenen<br />
Film- und Fotoproduktionen.<br />
Am STAATSTHEATER entwarf Ricarda<br />
Knödler zuletzt die Kostüme für Herzog<br />
theodor von gothland.<br />
Folgeseiten Ute Baggeröhr, Benjamin Berger<br />
manuel braun Video<br />
Bereits während seiner Schulzeit realisierte<br />
der 1987 in Rosenheim geborene<br />
Manuel Braun diverse Kurzfilme. Er<br />
arbeitete als Visual Jockey und schuf<br />
experimentelle Videoinstallationen für<br />
die Münchner Nachtszene. Es folgten<br />
Praktika bei Bavaria Film und dem Bayerischen<br />
Rundfunk. 2004 machte er seinen<br />
Abschluss als Videoeditor und Kameraassistent<br />
an der Media Design Akademie<br />
München. In den Spielzeiten 2007 bis<br />
2010 war er fester Regieassistent am<br />
Münchner Volkstheater und bei Philipp<br />
Jeschecks Inszenierungen macbeth und<br />
lilly link für das Video-Design verantwortlich.<br />
2010 folgte ein Animationsfilm<br />
und die Inszenierung von Karl Schönherrs<br />
Stück weibsteufel in einem verlassenem<br />
Bauernhof in Oberbayern. In <strong>Karlsruhe</strong><br />
übernahm er neben dem Videodesign bei<br />
der Hermannsschlacht und bei supermen<br />
ka die Regie für zwei Inszenierungen<br />
beim 1. karlsruher dramatikerfestival.<br />
27
30<br />
ute baggerÖHr Rosa Frankfurter<br />
Ute Baggeröhr spielte u. a. am Schauspiel Frankfurt, am Staatsschauspiel<br />
Dresden, Thalia Theater Hamburg und Maxim Gorki Theater Berlin.<br />
2005 kam sie fest ans Heidelberger Theater. In <strong>Karlsruhe</strong> war sie<br />
die Cäcilia in Herzog theodor von gothland und ist weiterhin als Charis<br />
in amphitryon und als Carol in orpheus steigt herab zu sehen.<br />
eva derleder Elisa Kirschbaum<br />
Eva Derleder war u. a. in Mannheim, Stuttgart und Baden-Baden engagiert.<br />
Mit onkel wanja von Harald Clemen und Quai west in der Regie<br />
von Jürgen Bosse am Mannheimer Nationaltheater wurde sie zum Berliner<br />
Theatertreffen eingeladen. Die Spielzeit 2011/12 begann für sie mit<br />
der große marsch, es folgten orpheus steigt herab und auf kolonos.<br />
Cornelia grÖsCHel Lina<br />
Cornelia Gröschel, geboren 1987 in Dresden, stand seit ihrem neunten<br />
Lebensjahr in TV-Serien und Fernsehfilmen vor der Kamera. Während<br />
ihres Schauspielstudiums in Leipzig spielte sie am Neuen Theater Halle.<br />
In ihrem ersten Engagement in <strong>Karlsruhe</strong> war sie Thusnelda in die<br />
Hermannsschlacht, es folgten Fiesco und immer noch sturm.<br />
ursula grossenbaCHer Frau Frankfurter<br />
Ursula Grossenbacher spielte u. a. am Deutschen Schauspielhaus in<br />
Hamburg, bevor sie ihr erstes Festengagement in Braunschweig antrat.<br />
1995 ging sie fest ans Landestheater Tübingen, 2002 nach <strong>Karlsruhe</strong>,<br />
wo sie zuletzt u. a. den König in Herzog theodor von gothland spielte<br />
und weiter in orpheus steigt herab und in big money zu sehen ist.<br />
benjamin berger Mischa<br />
Benjamin Berger studierte Schauspiel in Leipzig. 2009 bis 2011 war<br />
er fest am Deutschen Theater in Göttingen engagiert, wo er u. a. den<br />
Werther und Edgar in king lear spielte. In <strong>Karlsruhe</strong> startete er als<br />
Gustav in Herzog theodor von gothland und steht aktuell als Val Xavier<br />
in orpheus steigt herab und demnächst als Bob Dylan auf der Bühne.<br />
robert besta Meyer / Najdorf<br />
Robert Besta ist seit der Spielzeit 2005/06 in <strong>Karlsruhe</strong> engagiert. 2007<br />
erhielt er den „Goldenen Fächer“, der jährlich an ein Nachwuchstalent<br />
des STAATSTHEATERS verliehen wird. Seit 2006 ist er Leiter eines<br />
Jugendclubs und führt regelmäßig Regie. 2011/12 spielt er u. a. in die<br />
Hermannsschlacht, big money, Fiesco und immer noch sturm.<br />
klaus CoFalka-adami Herr Frankfurter<br />
Klaus Cofalka-Adami war 2005 bis 2011 fest im Heidelberger Ensemble,<br />
wo er u. a. als Kreon in Ödipus, Ödipus auf Kolonos und Antigone, als<br />
Lucky in warten auf godot und als Clov in endspiel zu erleben war. In<br />
<strong>Karlsruhe</strong> ist er derzeit u. a. in du musst dein leben ändern, philotas+<br />
und in gilgamesch am JUNGEN STAATSTHEATER zu sehen.
Hannes FisCHer Fajngold<br />
Die Theater in Würzburg und Nürnberg, das Düsseldorfer Schauspielhaus,<br />
Volkstheater Wien, Theater Baden-Baden, Schauspiel Essen und<br />
<strong>Staatstheater</strong> Kassel gehören zu den Stationen von Hannes Fischer.<br />
Seit 2007 ist er fest in <strong>Karlsruhe</strong> engagiert. Hier spielt er 2011/12 u. a. in<br />
die Hermannsschlacht, auf kolonos, orpheus steigt herab und Fiesco.<br />
georg krause Jakob Heym<br />
Georg Krause studierte Bildhauerei und Schauspiel in Stuttgart. Nach<br />
Engagements in Tübingen, Heilbronn und Münster kam er 2002/03 fest<br />
nach <strong>Karlsruhe</strong>, wo er u. a. den Mephisto in Faust und den Brandner Kaspar<br />
spielte. 2011/12 war er Arboga in Herzog theodor von gothland und<br />
steht aktuell in orpheus steigt herab und big money auf der Bühne.<br />
jonas riemer Herschel<br />
Jonas Riemer studierte Theaterpädagogik, später Schauspiel in<br />
Leipzig. Ab 2006 war er Mitglied des Schauspielstudios am Schauspiel<br />
Leipzig. Seit 2008 ist er fest in <strong>Karlsruhe</strong> engagiert und spielt aktuell<br />
den Tellheim in minna von barnhelm, Valentin in immer noch sturm, in<br />
gilgamesch, der mann der die welt aß und der große marsch.<br />
gunnar sCHmidt Preuss<br />
Gunnar Schmidt absolvierte seine Schauspielausbildung in Hamburg.<br />
Nach Engagements an der Landesbühne Niedersachsen Nord in Wilhelmshaven,<br />
an den Städtischen Bühnen in Münster und am Landestheater<br />
Tübingen kam er 2002 fest nach <strong>Karlsruhe</strong>. 2011/12 spielte er in<br />
Herzog theodor von gothland, es folgten big money und philotas+.<br />
timo tank Professor Kirschbaum<br />
Timo Tank war nach dem Studium an den Bühnen der Landeshauptstadt<br />
Kiel, an den Städtischen Bühnen Münster und am Landestheater<br />
Tübingen engagiert. Seit 2002 gehört er zum <strong>Karlsruhe</strong>r Ensemble.<br />
Zuletzt spielte er Berdoa in Herzog theodor von gothland und in auf<br />
kolonos und ist weiter in immer noch sturm und big money zu sehen.<br />
andré wagner Erzähler<br />
André Wagner studierte Schauspiel in Berlin. Nach Engagements am<br />
Thüringer Landestheater Rudolstadt, am Landestheater Tübingen und<br />
an den Bühnen Graz und Münster kam er 2002 fest nach <strong>Karlsruhe</strong>. Hier<br />
spielte er u. a. Don Karlos, Lorenzaccio und Herzog Theodor von Gothland<br />
und aktuell u. a. in orpheus steigt herab und auf kolonos.<br />
Frank wiegard Kowalski<br />
Frank Wiegard spielte nach seinem Studium an der Hochschule „Ernst<br />
Busch“ in Berlin u. a. am <strong>Staatstheater</strong> Kassel, Schauspiel Frankfurt<br />
und Maxim Gorki Theater Berlin. Von 2007 bis 2011 war er fest in Heidelberg<br />
engagiert. In <strong>Karlsruhe</strong> ist er in minna von barnhelm, der große<br />
marsch, philotas+ und in dem Solo der zigeuner-boxer zu erleben.<br />
31
ildnaCHweise<br />
umsCHlag Jochen Klenk<br />
szenenFotos Felix Grünschloß<br />
textnaCHweise<br />
Jurek Becker, wie es zu jakob dem<br />
lügner kam & widerstand in jakob der<br />
lügner, in: mein vater, die deutschen<br />
und ich, Aufsätze, Vorträge, Interviews,<br />
herausgegeben von Christine Becker,<br />
Frankfurt 2007.<br />
Textauszug S. 18, aus: Jurek Becker,<br />
grossvater, in: nach der ersten zukunft,<br />
Erzählungen, Frankfurt 1980.<br />
Jurek Becker, jakob der lügner, Berlin<br />
und Weimar 1969.<br />
Louis Begley, über jurek becker und das<br />
grauen, aus dem Englischen von Christa<br />
Krüger, in: jakob der lügner, Berlin 2007.<br />
das ist wie ein gewitter, Jurek Becker<br />
im Interview mit Herlinde Koelbl, in: Der<br />
Spiegel 13/1997.<br />
Nicht gekennzeichnete Texte sind<br />
Originalbeiträge für dieses Heft von<br />
Nina Steinhilber<br />
32<br />
impressum<br />
Herausgeber<br />
BADISCHES STAATSTHEATER<br />
KARLSRUHE<br />
generalintendant<br />
Peter Spuhler<br />
verwaltungsdirektor<br />
Michael Obermeier<br />
sCHauspieldirektor<br />
Jan Linders<br />
redaktion<br />
Nina Steinhilber<br />
konzept<br />
DOUBLE STANDARDS BERLIN<br />
www.doublestandards.net<br />
gestaltung<br />
Danica Schlosser<br />
druCk<br />
medialogik GmbH, <strong>Karlsruhe</strong><br />
BADISCHES STAATSTHEATER<br />
KARLSRUHE 11/12<br />
Programmheft Nr. 51<br />
www.staatstheater.karlsruhe.de<br />
glauben, niCHt glauben,<br />
was Heisst das sCHon?<br />
André Wagner