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<strong>BR</strong>-<strong>ONLINE</strong> | <strong>Das</strong> <strong>Online</strong>-<strong>Angebot</strong> <strong>des</strong> <strong>Bayerischen</strong> <strong>Rundfunks</strong><br />
Sendung vom 29.06.2001<br />
Helme Heine<br />
Buchautor, Maler und Zeichner<br />
im Gespräch mit Isabella Schmid<br />
Schmid: Herzlich willkommen zu Alpha-Forum. Unser Gast ist heute der Autor, Maler<br />
und Zeichner Helme Heine. Ich freue mich, dass Sie bei uns sind.<br />
Heine: Danke für die Einladung.<br />
Schmid: Kinder in aller Welt lieben Ihre Bücher, die mittlerweile eine Auflage von acht<br />
Millionen Exemplaren erreicht haben. Ich glaube, Ihr Bruder hat einmal<br />
gesagt, dass das nicht daran liegt, dass Sie Kinder so viel mehr lieben<br />
würden als andere Menschen, sondern daran, dass Sie selbst vielleicht<br />
noch mehr ein Kind geblieben sind als andere Erwachsene. Stimmt diese<br />
Einschätzung?<br />
Heine: Nun, ich weiß nicht, ob das unbedingt stimmt. Denn sonst müssten ja Leute,<br />
die Hühner züchten, selbst auch Eier legen können. Der Gedanke, der bei<br />
dieser Aussage dahintersteht - dass man also noch diesen unbedingten<br />
und ganz starken Bezug zur eigenen Kindheit haben muss, um für Kinder<br />
schreiben zu können –, würde dann ja bedeuten, dass Kindergärtnerinnen<br />
und Erzieherinnen die besten Kinderbücher schreiben könnten.<br />
Schmid: Haben Sie denn selbst wenigstens so etwas Spielerisches in sich?<br />
Heine: Ja, auf alle Fälle, denn ich liebe alle Spiele. Ich war auch mal ein recht guter<br />
Tennisspieler: In Johannesburg noch habe ich für einen Verein gespielt, der<br />
so ungefähr unserer Bun<strong>des</strong>liga hier entspricht. Ich habe vor einigen Jahren<br />
in Neuseeland mit Golf angefangen und bin jetzt bei Handicap sieben<br />
angelangt. Ich habe auch gerne Billard gespielt. Ich spiele wirklich gerne<br />
Spiele: bevorzugt mit Bällen. Ich war auch recht gut im Handball.<br />
Schmid: Wie ist denn so Ihre Beziehung zu Kindern? Sie haben ja zwei<br />
angeheiratete Kinder, die Sie lange Zeit begleitet haben. Wie ist es denn,<br />
wenn Sie dann den Kindern, die Ihre Bücher lesen, leibhaftig<br />
gegenüberstehen?<br />
Heine: Mit so ganz kleinen Kindern kann ich gar nicht so viel anfangen: Wenn sie<br />
noch so daliegen und noch nicht sprechen können, dann habe ich recht<br />
wenig Bezug zu ihnen. Ich liebe Kinder ab dem Moment, an dem sie sich<br />
auch sprachlich äußern können. Um für Kinder schreiben zu können, muss<br />
man meiner Meinung nach aber auch Abstand haben können zu ihnen.<br />
<strong>Das</strong> Schreckliche ist ja, dass es heute weltweit so viele Menschen gibt, die<br />
für Kinder schreiben, die im Grunde genommen gar nicht schreiben<br />
können. Da sagen sich manche wirklich: "An einen Roman traue ich mich<br />
noch nicht 'ran, also schreibe ich zuerst einmal für Kinder." <strong>Das</strong> ist etwas<br />
ganz Schreckliches.<br />
Schmid: <strong>Das</strong> ist eigentlich eine Mißachtung der Kinder.<br />
Heine: Ja, und die Sprache ist dabei dann eben nicht kindlich, sondern sehr oft<br />
kindisch. Es gibt aber auch welche, die Kinderbücher schreiben, weil sie<br />
sagen: "Meine beiden Kinder interessieren sich unglaublich für diese
Geschichten. Wenn ich denen das abends erzähle, dann ist das für sie<br />
wahnsinnig spannend. Dafür müssten sich doch weltweit noch zehn<br />
Millionen andere Kinder interessieren." Ich glaube, dass man statt<strong>des</strong>sen<br />
Abstand zu den Kindern haben sollte, denn sonst schreibt man für die<br />
eigenen Kinder oder das Kind in sich und das wäre falsch. Ich schreibe<br />
meine Kinderbücher im Grunde genommen für niemanden außer für mich<br />
selbst. <strong>Das</strong> einzige Kriterium besteht für mich darin, dass ich mich frage:<br />
"Würde ich mir selbst dieses Buch kaufen?" Ich weiß gar nicht, was<br />
japanische, koreanische oder auch amerikanische Kids, wie man heute<br />
sagt, mit ihren obligatorischen Baseballmützen auf dem Kopf lesen wollen.<br />
<strong>Das</strong> geht so auch gar nicht.<br />
Schmid: Jedenfalls ist es so, dass viele von denen Helme Heine lesen.<br />
Heine: Ja, das stimmt. <strong>Das</strong> hängt wahrscheinlich mit diesen elementaren<br />
Geschichten zusammen, die ich erzähle.<br />
Schmid: Die Hauptpersonen in Ihren Büchern sind ja meistens Tiere, die allerdings<br />
menschliche Züge tragen. Was kommt da bei den Kindern so gut an?<br />
Heine: Bei einem Bilderbuch hat man an reinem Text meistens nicht mehr als eine<br />
DinA-4-Seite. <strong>Das</strong> heißt, man hat gar nicht die Zeit und den Platz wie in<br />
einem Roman, einer Novelle oder in einem Theaterstück, einen Charakter<br />
zu entwickeln. Man muss daher von vornherein sagen: So, der steht für<br />
das! Dafür eignen sich natürlich Tiere ungemein gut. Man hätte den alten C.<br />
G. Jung mal fragen müssen, um zu erfahren, was da im Unterbewusstsein<br />
der Menschheit ruht, dass überall die Menschen sofort sagen: "Ach, der<br />
Bär, uih, da schlummert unter Umständen die Prinzessin drin." Wenn man<br />
jemanden hat, der sich verändert, der von heute auf morgen eine völlig<br />
andere Meinung entwickelt, dann nimmt man dafür den Frosch: Der Frosch<br />
entwickelt sich nämlich vom Kiemenatmer zum Lungenatmer. Diese<br />
Metamorphose ist ihm angeboren. Deshalb gibt es z. B. auch keine<br />
Märchen über das Eichhörnchen. Wenn man nämlich eine Geschichte<br />
machen würde, in der sich jemand stark verändert, und würde dafür ein<br />
Eichhörnchen hernehmen, dann würde diese Geschichte durchfallen.<br />
Schmid: Besonders angetan haben es Ihnen ja die Schweine. Da gibt es z. B. dieses<br />
wunderschöne Buch "Na warte, sagte Schwarte", in dem all diese schönen<br />
dicken Schweine Schweinehochzeit feiern, wofür sie sich z. B. selbst die<br />
Kleider anmalen. Was ist das Liebenswerte oder Interessante an den<br />
Schweinen für Sie?<br />
Heine: Ich habe mal zusammen mit meiner Frau Buschmann-Märchen<br />
gesammelt. Bei dieser Reise haben wir eines Tages auf dem Weg so ein<br />
kleines, noch ganz junges Schwein gefunden: Es sah so ähnlich aus wie<br />
ein Wildschwein. Wir fürchteten, dass es die nächste Nacht nicht überleben<br />
wird, weil da die Hyänen oder die wilden Hunde kommen und es<br />
zerfleischen würden. Aus dem Grund haben wir es ganz einfach<br />
mitgenommen. Wir haben es also über die Grenze zurück nach Südafrika<br />
geschmuggelt und nach Hause gebracht. Ich habe dieses Schwein dann<br />
Sauraya getauft und ihm ein Halsband umgehängt, auf dem "Sauraya bei<br />
Heine" und meine Telefonnummer stand, falls es mal weglaufen würde.<br />
Aber es ist nie weggelaufen. Ich habe dieses Schwein als einen unheimlich<br />
liebenswerten Freund kennen gelernt. Obwohl sie so dickhäutig sind, sind<br />
sie letztlich genauso empfindsam wie Menschen. Sie mögen es, wenn man<br />
sie gut behandelt. Und sie sind auch sehr sauber. Statt eines Hundekorbs<br />
hatte ich bei mir zu Hause dann eben einen Schweinekorb. Sie sind auch<br />
unglaublich schlau: Sie können z. B. jede Tür öffnen. Wenn man die Tür<br />
abschließt, dann heben sie mit ihrer Kraft ganz einfach die Tür insgesamt<br />
an der anderen Seite aus den Angeln. Auf diese Weise habe ich jedenfalls<br />
das Schwein kennen gelernt. Später habe ich das Schwein dann eben auch<br />
in meine Bücher mit einbezogen.
Schmid: Dieses Schwein ist auch immer mit Ihnen mitgefahren in der Zeit, als Sie in<br />
Südafrika gelebt haben? Haben Sie es denn auch im Auto mitgenommen?<br />
Heine: Es liebte Autofahren. Sobald es hörte, dass der Autoschlüssel klimperte,<br />
war es sofort hellwach und stand auf der Matte. Da war dann nichts mehr<br />
zu machen: Es musste mit! Ich hatte die Autotür kaum aufgesperrt, schon<br />
sprang es hinein und saß sofort auf dem Beifahrersitz.<br />
Schmid: Sie haben mit diesem Schwein sogar mal einen Film gemacht:<br />
"Rotkäppchen und der Wolf". Welche Rolle hat denn dabei das Schwein<br />
gespielt?<br />
Heine: Den Wolf! Weil diese Art von Schwein ja relativ langhaarig ist, habe ich<br />
meinen Rasierapparat geholt und sie am Bauch und an der Seite rasiert.<br />
Danach habe ich dann mit so einer bestimmten weißen Farbe das Wort<br />
"Wolf" drauf geschrieben.<br />
Schmid: Wusste das Schwein, dass es der Wolf war?<br />
Heine: Nein, glaube ich nicht. <strong>Das</strong> Ganze war jedenfalls sehr komisch und dieser<br />
Film war in der Nachbarschaft auch sehr beliebt.<br />
Schmid: Wie haben denn ansonsten die Leute in Südafrika darauf reagiert, dass Sie<br />
immer mit einem Schwein unterwegs waren?<br />
Heine: Anfangs war man meistens ganz überrascht und hat gesagt, "mein Gott, so<br />
etwas Verrücktes!" Aber hinterher merkten die Leute doch, dass das ein<br />
Tier ist wie meinetwegen ein Hund, das genauso zart und empfindsam ist.<br />
Man muss auf so ein Schwein gar nicht einprügeln, wie man das manchmal<br />
leider so sieht. Nein, man muss nur reden mit ihm und lediglich mit der<br />
Hand etwas nachhelfen und schon geht es weg. Es mochte z. B. auch sehr<br />
gerne die Bierreste. Ich hatte mal eine Party gemacht und dabei ist es an<br />
diese Bierreste gekommen. Seit dem hat es Bier abgöttisch geliebt und war<br />
immer ganz spitz, wenn man sich eine Flasche Bier aufmachte. <strong>Das</strong> liegt<br />
wahrscheinlich daran, dass Bier eben so nahrhaft ist. Weil es das Bier so<br />
gerne mochte, wäre es sicherlich gerne mit mir in den Biergarten gegangen.<br />
Aber den gab es dort leider nicht.<br />
Schmid: Sie haben ja ursprünglich mal Betriebswirtschaft und Kunst studiert. Danach<br />
haben Sie die Welt bereist und sind in Südafrika hängengeblieben. Warum<br />
gerade da?<br />
Heine: <strong>Das</strong> war im Jahr 1965 und damals lief der Vietnamkrieg noch auf vollen<br />
Touren. Wenn man da z. B. nach Kanada oder in die USA ausgewandert<br />
wäre, dann wäre man ziemlich sicher zum Militärdienst in Vietnam<br />
eingezogen worden. Die Auswanderung nach Südafrika war darüber hinaus<br />
die leichteste Auswanderungsmöglichkeit, die es überhaupt gegeben hat.<br />
Damals hat es auch noch richtige Auswanderungsschiffe gegeben: die MS-<br />
Europa und die MS-Afrika. Sie fuhren in Triest los und dann ging es durch<br />
den Suezkanal durch und die afrikanische Ostküste hinunter. <strong>Das</strong> kostete<br />
nur 100 Mark: Es war wirklich unheimlich leicht, dorthin auszuwandern.<br />
Afrika war damals auch noch völlig anders als heute. Es war noch so, wie<br />
uns das Ernest Hemingway und Tania Blixen erzählt haben. Mocambique<br />
und Angola waren z. B. damals noch richtige portugiesische Kolonien. <strong>Das</strong><br />
höchste Haus in Johannesburg war vierstöckig - heute sieht das dort aus<br />
wie in New York City. Ich habe das jedenfalls alles als sehr spannend<br />
empfunden: Ich wollte nach meinem Studium für ein Jahr 'rausgehen, bevor<br />
ich mir sozusagen ein Auto kaufen und mich niederlassen würde. Ich<br />
dachte mir, dass ich mir vorher doch die Welt ansehen sollte. Und dann bin<br />
ich hängengeblieben in Südafrika.<br />
Schmid: Sie haben damals dort Theater und Kabarett gemacht: Ich kann mir<br />
vorstellen, dass das Kabarettspielen in Südafrika zu der Zeit gar nicht so<br />
einfach war. Wer waren Ihre Zuschauer und was waren Ihre Themen?
Damals gab es dort ja noch diese strenge Apartheidspolitik. Wie war das?<br />
Heine: Zuerst einmal ist es so, dass das Kabarett vor allem in Zeiten blüht, in<br />
denen es bestimmte politische Verbote gibt oder gab. Nach dem Krieg<br />
blühte bei uns z. B. das Kabarett regelrecht auf. Heute wird jedoch z. B.<br />
auch ein Herr Dieter Hildebrandt im Grunde genommen nur benutzt: Er ist<br />
mehr so eine Art von Hofnarr. Man hört ihm gerne zu und die Politiker sitzen<br />
dann in der ersten Reihe und sagen: "Bravo, sehr schön, was er da gesagt<br />
hat." Sie ärgern sich höchstens, wenn sie nicht erwähnt werden. Nehmen<br />
Sie als Beispiel meinetwegen die Zeitschriften "Simplicissimus" oder<br />
"Punch": Kabarett braucht also, um in dem Fall nicht zur reinen Witzzeitung<br />
zu verkommen, immer irgendwie den politischen Druck. Es gab zweitens in<br />
Johannesburg auch über 100000 Deutschsprachige: <strong>Das</strong> waren z. B. ganz<br />
viele Juden, die lange vor dem Krieg dorthin emigriert waren. Es gab<br />
gebildete Afrikaans-Leute, die Deutsch konnten, aber auch viele Schweizer<br />
und Deutsche usw. Damals dort Kabarett zu machen, war schon etwas<br />
Besonderes. Ich nicht so sehr, aber die anderen litten damals ja immer<br />
unter diesen existentiellen Frage: Werden wir überleben? Wie wird das<br />
ausgehen? Wird es zu einem Bürgerkrieg kommen? Es hat damals ja<br />
niemand gewusst, dass Nelson Mandela die Macht so friedfertig<br />
übernehmen wird. Zur damaligen Zeit war diese Vorstellung undenkbar.<br />
Dem haben wir Rechnung getragen: Wir haben Kabarett gemacht und<br />
dabei diese Dinge auch erwähnt und angesprochen. Wir hatten dabei in<br />
unserem Deutsch sicherlich mehr Freiheiten als die englischsprachige<br />
Bevölkerung. Aber es ist trotzdem immer wieder passiert, dass die deutsche<br />
Botschaft angerufen und mich ermahnt hat, mich zurückzuhalten.<br />
Schmid: Sie sind also sehr wohl beobachtet worden. Sie sind zwar nicht direkt<br />
verfolgt, aber in politischer Hinsicht doch beobachtet worden.<br />
Heine: <strong>Das</strong> war ganz sicher so. Da kam z. B. mal auf einem Fest jemand auf mich<br />
zu, hat mir ein Glas angeboten und mit mir angestoßen: Erst hinterher ist<br />
mir klar geworden, dass er dieses Glas mitgenommen hat, um meine<br />
Fingerabdrücke zu bekommen. Gut, daran hat man sich aber gewöhnt.<br />
Schmid: Was waren das eigentlich für Menschen, mit denen Sie in dieser<br />
Kunstszene zu tun hatten?<br />
Heine: Nun ja, es begann folgendermaßen. Ich hatte einen Freund, der eines<br />
Tages zu mir gemeint hat, ob wir nicht ein Theater aufmachen könnten. Wir<br />
haben dann einfach mal eine Annonce in die Zeitung gesetzt, weil ich<br />
gesagt habe: "Ich selbst habe weder das Geld noch die Leute, mit denen<br />
ich so etwas aufbauen könnte." Also setzten wir in den "Star" einen<br />
Annonce 'rein und bekamen dann plötzlich Zuschriften von der Art wie: "Ich<br />
bin die ehemalige Assistentin von Everding aus München!", "Ich war eine<br />
Schülerin von Marcel Marceau!" usw. Solche Briefe kamen stapelweise:<br />
<strong>Das</strong> waren alles Leute, die es nach Südafrika gespült hatte und die dort<br />
gerne wieder etwas gemacht hätten.<br />
Schmid: Sie machen ja auch Skulpturen: Ich finde, die wirken schon recht<br />
afrikanisch. Was haben Sie denn in Afrika gelernt? Wie hat Sie Afrika<br />
beeinflusst?<br />
Heine: In Afrika habe ich gelernt, dass ich kein Geld brauche, um glücklich sein zu<br />
können. Es ist ja etwas wirklich ganz Erstaunliches: Wenn man in dieses<br />
reiche Europa kommt, dann sind die Leute zwar nicht direkt mißmutig, aber<br />
sie beklagen sich doch über sehr viele Dinge. In Afrika wird jedoch trotz<br />
dieses ungeheuren Elends – das heute ja größer denn je ist, eingedenk<br />
dieser Aids-Katastrophe, die da auf uns zukommt – getanzt und gelacht.<br />
Man sieht dort auch nur selten ein Kind weinen. Ich glaube daher, dass<br />
Pessimismus ein Luxus ist: Ihn kann man sich nur leisten, wenn es einem<br />
gut geht. Man muss wohl optimistisch sein, um so etwas wie die Zustände<br />
in Afrika ertragen zu können. Es gibt ja auch diesen Spruch: "In guten
Zeiten Goethe, Dante / in schlechten Zeiten Charlys Tante!" Da ist schon<br />
etwas dran.<br />
Schmid: Wären Sie ohne Afrika auch Künstler geworden? Oder hätte Ihre<br />
Entwicklung dann anders ausgesehen?<br />
Heine: Ich glaube, ich wäre nicht Künstler geworden: Ich würde dann wohl nicht<br />
hier sitzen. Als ich damals mit diesen Dingen in Afrika begonnen habe,<br />
dachte ich mir trotz allem, dass man da wirklich nichts werden könnte: Ich<br />
war überzeugt, dass das brotlose Kunst sei, und ich war naiv genug zu<br />
glauben, dass ich in Südafrika statt<strong>des</strong>sen als Betriebswirt doch recht gute<br />
Chancen haben müsste. Wenn man dort aber in eine Firma ging und<br />
gesagt hat, was man ist, bekam man aber zur Antwort: "Was, Betriebswirt<br />
sind Sie? <strong>Das</strong> ist ja sehr schön! Gehen Sie doch gleich mal in den Hof und<br />
hacken Sie einen Baum um!" Da musste ich plötzlich feststellen, dass all<br />
das Erlernte im Grunde genommen nichts mehr zählt. Statt<strong>des</strong>sen zählt<br />
nur, was man direkt umsetzen kann, was und wie man Dinge aus der<br />
momentanen Situation heraus lösen kann. Afrika hat ja auch ein ganz<br />
anderes Zeitempfinden: Es gibt dort keine Langfristigkeit im Denken. Soweit<br />
ich weiß, gibt es südlich <strong>des</strong> Äquators in diesen Sprachen noch nicht einmal<br />
grammatikalisch das Futur. Man denkt aber im Übrigen auch bei uns immer<br />
mehr so: Es sagt z. B. kaum jemand noch, "ich werde kommen".<br />
Statt<strong>des</strong>sen sagen heute alle: "Ich komme morgen!" Man projiziert das also<br />
in eine andere sprachliche Form. Sie merken das in Afrika z. B. auch an<br />
Folgendem: Wenn Sie einkaufen gehen und z. B. Ihre Angestellten fragen,<br />
"soll ich etwas mitbringen?", dann bekommen Sie meinetwegen die<br />
Antwort, "nein, ich habe alles". Wenn Sie dann wiederkommen, wird Ihnen<br />
gesagt, man hätte jetzt keine Mehl und keinen Zucker mehr. Wenn man<br />
dann sagt, "ich habe dich doch vor drei Stunden danach gefragt", erhält<br />
man die Antwort, "da hatte ich das alles noch". In solchen Sachen muss<br />
man sich eben hineindenken können in dieses Afrika, in dieses völlig<br />
andere Zeitempfinden als das in Europa. <strong>Das</strong> hat mich wirklich verändert:<br />
Plötzlich merkte ich, dass solche Dinge wie "stolzer Europäer", Studium<br />
usw. nichts zählen. So musste ich ganz einfach neu beginnen.<br />
Schmid: In Afrika hat ja auch Ihr Bruder gelebt und Sie haben dort Ihre Frau kennen<br />
gelernt. Der Bruder Ihrer Frau bezeichnet Sie z. B. als seinen großen<br />
Bruder. Sind Sie eigentlich ein richtiger Familienmensch? Brauchen Sie<br />
diese Nähe?<br />
Heine: Ja, ich brauche Freunde. Mein Bruder ist z. B. mein bester Freund.<br />
Schmid: Wie sind Sie denn aufgewachsen? Hatten Sie eigentlich eine fröhliche<br />
Kindheit mit vielen Freiräumen?<br />
Heine: Ich bin in Berlin geboren, im Osten von Berlin in Johannisthal. Unser<br />
Nachbar, aber das habe ich erst sehr viel später erfahren, war Bernhard<br />
Grzimek, der große Grzimek. Wir haben damals in der Kindheit immer vor<br />
diesen großen Kästen in seinem Garten gesessen und haben uns dort<br />
seine Affen usw. angesehen. So, wie ich meine Kindheit in Erinnerung<br />
habe, war das alles sehr fröhlich – obwohl das ja mitten im Krieg war. Ich<br />
bin 1941 geboren, aber in dieser frühen Kinderzeit bekommt man ja nicht<br />
alles so mit. Und man verdrängt natürlich auch vieles. Im meinem<br />
Gedächtnis gibt es aber z. B. noch dieses Bild, wie ich mit meiner<br />
Großmutter vor einem tiefen Bombentrichter stehe und sie ein großes<br />
Messer in der Hand hat. Es lag nämlich ein totes Pferd in diesem Trichter,<br />
von dem sie sich ein Stück abschneiden wollte, weil wir ja alle permanent<br />
Hunger hatten. Ich muss aber angefangen haben zu weinen, sodass sie<br />
das nicht gemacht hat. Ich habe ihr das mal viele Jahre später erzählt und<br />
sie sagte dann zu mir: "Ja, jetzt, wo du das sagst, kann ich mich auch<br />
wieder daran erinnern." Solche Bilder sind mir also noch im Gedächtnis<br />
geblieben. Hinter unserem Haus waren damals auch so große
Gleisanlagen, auf denen noch ganze Züge mit Fallschirmseide und Butter<br />
für die Ostfront standen. Die Bevölkerung hat nachts natürlich immer<br />
versucht, dorthin zu gelangen und etwas zu stibitzen. Wenn wir dann<br />
morgens zum Spielen nach draußen gingen, konnte es ohne weiteres sein,<br />
dass da Leichen herumlagen. <strong>Das</strong> waren Menschen, die dabei von den<br />
Wachmannschaften erschossen worden sind. Wenn man heute darüber<br />
spricht, könnte man denken, dass das doch eine ziemlich schreckliche und<br />
grausame Kindheit gewesen sein muss. Seltsamerweise ist das aber nicht<br />
so: Man behält zwar solche Bilder im Kopf, aber das sind für einen selbst<br />
keine grausamen oder bedrückenden Bilder.<br />
Schmid: Später haben Sie dann sogar in einem Wasserschloß gelebt, das Ihr Vater<br />
gekauft hatte.<br />
Heine: Mein Vater war wirklich ein verrückter Hund, so ein Falstaff-Typ: 240 Pfund<br />
Lebendgewicht und Hände groß wie Bratpfannen. Er hatte immer wieder<br />
neue Ideen: Er war zwar kein Künstler, denn er hat diese Ideen nie<br />
verwirklicht, er hat nie geschrieben, aber er hat Künstler angezogen: Von<br />
Bernhard Minetti angefangen war bei uns die gesamte deutsche<br />
Schauspielszene zu Gast. Diese alte Wasserburg lag in der Nähe von<br />
Düsseldorf: im Dorf Düssel, also dort, wo die Düssel entspringt. Er hatte<br />
diese uralte Wasserburg aufgekauft und sie dann in ein Hotelrestaurant<br />
umgebaut. Dort wohnten dann eben all diese Schauspieler. Weil das<br />
natürlich auch so ein entwurzeltes Völkchen ist, feierten sie z. B. immer mit<br />
uns zusammen Weihnachten. Wir saßen da alle gemeinsam unter dem<br />
Weihnachtsbaum und sie sangen mit und erzählten uns tolle Geschichten.<br />
Vielleicht kommt auch daher meine Liebe zum Theater.<br />
Schmid: Eines Ihrer bekanntesten Bücher heißt "Freunde": Man kann darin in einem<br />
wunderschönen Bild sehen, wie die Maus, das Schwein und das Huhn<br />
einträchtig beieinander sitzen. Was bedeutet Freundschaft für Sie? Sie<br />
sagten ja, Sie brauchen Freunde.<br />
Heine: Nach der Liebe ist die Freundschaft eines der stärksten Gefühle, das wir<br />
kennen. Eine Liebe kann einem zufliegen: Plötzlich trifft einen Amors Pfeil,<br />
wie man ja so schön sagt. Freundschaft hingegen fliegt einem nicht zu. Für<br />
Freundschaft muss man etwas tun: Freundschaft muss man z. B. pflegen.<br />
Gewiss, es müssen dafür schon auch Leute zusammentreffen, die sich<br />
zumin<strong>des</strong>t grundsätzlich verstehen, aber man muss eben trotzdem auch<br />
etwas dafür tun. Man bekommt aber auch sehr viel zurück dabei. Ich muss<br />
sagen, je älter ich werde, umso mehr schätze ich das Wort "Freundschaft"<br />
und die Freunde.<br />
Schmid: Zum Thema "Freunde" gibt es nun auch ein Musiktheater, mit dem Sie auf<br />
Tournee gehen. Was erwartet einen denn da? Macht es Spaß, auch mal<br />
etwas anderes zu machen, als Bücher zu schreiben?<br />
Heine: Wenn man malt oder schreibt, dann ist das eine sehr einsame Tätigkeit:<br />
Man ist alleine mit diesem weißen Stück Papier. Und vor diesem Stück<br />
Papier sitzt man dann: einen Monat, zwei Monate, drei Monate, wenn man<br />
einen Roman schreibt vielleicht sogar mehr als ein Jahr. Wenn man aber so<br />
ein Theaterstück geschrieben hat – ich habe das in relativ kurzer Zeit<br />
geschrieben, nämlich in nur zwei, drei Monaten – und es inszenieren will,<br />
dann tritt man plötzlich einem Team gegenüber und es entsteht etwas<br />
dabei. Da kommen dann ganz schnell auch die Reaktionen darauf. Da gibt<br />
es kein Lektorat, in dem ganz abstrakt besprochen wird, was man sich<br />
dabei erhofft, was der Markt vielleicht gut oder auch nicht so gut aufnimmt.<br />
Statt<strong>des</strong>sen gibt es dort ein Team von Leuten: Maskenbildner,<br />
Choreograph, Komponist usw. Mit diesem Team muss man sich<br />
auseinandersetzen. Da ich die Regie gemacht habe, war ich natürlich auch<br />
der Verantwortliche. Man erwartete von mir, dass ich sage, wie es gemacht<br />
werden soll. Ich wurde gefragt, wie ich mir das vorstelle. Die Choreographin
fragte mich, wie ich mir die Traumszene getanzt vorstelle. Da musste ich<br />
auf die Bühne gehen und ihr das vortanzen. Gut, dass das nicht gefilmt<br />
worden ist! Ich musste halt irgendwie meine Idee vermitteln können. <strong>Das</strong>s<br />
ich meine Ideen bei einem Theaterstück in einer Körpersprache ausleben<br />
kann, empfinde ich auch als etwas sehr Schönes. In einem Buch braucht<br />
man für bestimmte Sachen nämlich immer eine Art von Übersetzung. Die<br />
Körpersprache ist jedoch auch eine Sprache: Deswegen heißt das Wort ja<br />
"Körpersprache". Beim Schreiben kann man das selbstverständlich nicht<br />
darstellen, da kann man höchstens Gedanken dazu niederschreiben.<br />
Nehmen Sie folgen<strong>des</strong> Beispiel. Sie rufen Ihr Kind und sagen, "komm doch<br />
bitte mal". Wenn dann Ihr Kind "ja" sagt und gleichzeitig mit der Hand so<br />
eine abwehrende Geste macht, wenn es also gleichzeitig "ja" sagt, während<br />
die Körpersprache "nein" sagt, dann muss man das beim Schreiben<br />
ausdrücklich formulieren, ohne es doch genau treffen zu können. Im<br />
Theater kann man solche Sachen aber wunderschön umsetzen. Was einen<br />
in diesem Theater erwartet? Ich habe dieses Stück ein "musikalisches<br />
Spektakel" genannt. Es ist kein Musical, denn ich glaube, die Zeit für<br />
Musicals ist ein wenig vorbei: Da ist die Luft raus. Bei einem Musical wäre<br />
mir das ganze Stück auch von den Geldgebern aus den Händen<br />
genommen worden, denn so ein Musical kostet ja Millionen. Ich wollte aber<br />
gerne, dass dieses Stück nach dieser Tournee auch noch von anderen<br />
Bühnen gespielt werden kann. Deshalb wollte ich es kleiner halten. Dieses<br />
Stück bewegt sich also zwischen Theater und Musical.<br />
Schmid: Wenn Sie Geschichten schreiben, wie gehen Sie dann heran an so etwas?<br />
Entwickelt sich das zuerst ganz langsam in Ihrem Kopf? Denken Sie zuerst<br />
an den Text oder denken Sie zuerst an die Bilder?<br />
Heine: Es muss immer erst der Text da sein. Denn man kann ja auch kein Haus<br />
bauen ohne einen vernünftigen Plan. Man kann auch keinen Film drehen<br />
ohne ein Drehbuch. Die Illustration danach ist für mich dann immer eine<br />
Inszenierung <strong>des</strong>sen, was ich geschrieben habe. <strong>Das</strong>, was ich in meinen<br />
Worten bereits gesagt habe, muss ich nämlich nicht malerisch oder<br />
illustrativ wiederholen. Ich nehme wieder ein Beispiel. Es gibt einen<br />
To<strong>des</strong>fall und es sitzt da eine junge Frau in blau-türkisfarbener Jacke in<br />
einem Zimmer und weint über ihren toten Geliebten. Der Autor beschreibt<br />
dann vielleicht noch dieses Zimmer und die Traurigkeit und die Kerze, die in<br />
diesem Zimmer brennt. Ich als Illustrator darf das schon Geschriebene aber<br />
keinesfalls wiederholen, denn der Leser erfährt das ja sowieso. Er könnte<br />
dann bei so einem Bild nur noch seine Phantasie mit meiner vergleichen –<br />
und ist dann möglicherweise enttäuscht. Der Autor ist dabei meistens<br />
sowieso enttäuscht, weil er sich diese Frau ohnehin ganz anders vorgestellt<br />
hatte. Wenn ich so etwas zu illustrieren hätte, dann würde ich vielleicht ein<br />
Haus zeichnen: ein Haus wie z. B. in der Toskana. Wenn ich die Einsamkeit<br />
dieser Frau darstellen will, dann setze ich dieses Haus auf einen Hügel.<br />
Vielleicht lasse ich es auch noch ein wenig regnen. Alles ist ansonsten<br />
dunkel, bis auf ein kleines Licht im Haus, das man von außen sieht. Bei<br />
diesem Bild sieht der Leser: "Aha, darin sitzt diese Frau und weint." Da erst<br />
beginnt die Illustration: <strong>Das</strong> ist die Inszenierung. Man darf als Illustrator eben<br />
nicht versuchen, dem Autor hinterherzulaufen: <strong>Das</strong> wäre schrecklich. Wie<br />
mache ich meine Bücher? Ich gehe da ganz logisch vor. Bleiben wir bei<br />
diesem Thema "Freunde". Ich wollte also ein Buch über die Freundschaft<br />
machen. Ich überlegte mir: Wenn ich einen Freund nur nehme, dann bin ich<br />
ein Narziß, denn dann stehe ich damit nur vor meinem Spiegel. Wenn ich<br />
zwei habe, dann ist das vielleicht das Übliche. Aber ich will ja auch die<br />
Schattenseiten der Freundschaft zeigen, also brauche ich drei Freunde. Mit<br />
welchen Figuren kann ich sie darstellen? Ich habe mir dann im Hinblick auf<br />
die Perspektive Folgen<strong>des</strong> überlegt. Die Maus lebt unter der Erde, der<br />
"dicke Waldemar" lebt auf der Erde und „Franz von Hahn“ ist der Künstler,<br />
der immer abheben will, aber selbstverständlich je<strong>des</strong> Mal wieder von der
Schwerkraft eingeholt wird. Ich suche mir bei diesen Figuren natürlich auch<br />
möglichst Kontraste wie in der Malerei: Neben dem Runden habe ich damit<br />
vielleicht auch eine Gerade. <strong>Das</strong> kommt aber erst dann, wenn die<br />
Geschichte steht.<br />
Schmid: Diese Geschichten entstehen nicht hier, sondern in Neuseeland, wo Sie die<br />
meiste Zeit <strong>des</strong> Jahres verbringen. Sie sind nur die restlichen zwei, drei<br />
Monate hier in Oberbayern. Wie leben Sie denn da in Neuseeland? Sehr<br />
abgeschieden?<br />
Heine: <strong>Das</strong> könnte man natürlich, denn man kann in Neuseeland schon ganz,<br />
ganz einsam leben. In dem Fall müsste man aber auch immer eine halbe<br />
Stunde mit dem Auto fahren, um ein paar Brötchen zu holen. Ich habe<br />
jedoch das Glück gehabt, ein wunderschönes Grundstück in Russell zu<br />
finden. Russell ist die alte Hauptstadt von Neuseeland: Dort gibt es zwei<br />
Kneipen, einen Kolonialwarenladen, einen kleinen Hafen usw. Dort ist es<br />
sehr schön und ich kann zu Fuß alles erreichen. Dort habe ich ein großes<br />
Grundstück gefunden. Seit ich in Afrika gelebt habe, beginnen bei mir die<br />
Grundstück erst ab 10 000 qm.<br />
Schmid: Sie haben ja auch mal eine Zeit lang in Dublin gelebt: Da war es Ihnen aber<br />
zu kalt?<br />
Heine: Ja, das stimmt. Wenn man mal in Afrika gelebt hat, ist das auf die Dauer<br />
wirklich nicht zu ertragen. Wenn es nur leicht nieselt und regnet, dann<br />
sagen die Iren nie, '"es regnet". Nein, sie verschönern das immer und<br />
sagen, "it's a soft day", d. h. es sei ein weicher, schöner Tag. Na ja, für die<br />
Haut mag das gut sein, aber für das Gemüt nicht. Oh nein.<br />
Schmid: Ihre Frau geht immer überall hin mit, wohin Sie gehen?<br />
Heine: Ja, sie ist ja auch selbst schon überall in der Welt gewesen. Sie hat<br />
Sprachen studiert: in Madrid, in Paris, in London. Sie kommt aus Hamburg,<br />
aber durch dieses Studium ist sie gewohnt, um die Welt zu reisen. Ich habe<br />
sie ja auch in Südafrika kennen gelernt.<br />
Schmid: Sie haben auch mal zusammen ein Buch geschrieben: über Afrika.<br />
Heine: Ja, wir haben mal zusammen einen Roman geschrieben. <strong>Das</strong> hängt damit<br />
zusammen, dass wir auch gemeinsam Drehbücher geschrieben haben. Bei<br />
Drehbüchern werden öfter mal zwei, drei Namen erwähnt. In der Literatur ist<br />
das jedoch nur sehr, sehr selten der Fall. Man muss dafür nämlich zuerst<br />
einmal eine ähnliche Sprache sprechen und man muss auch Kritik<br />
aushalten können vom anderen. Wenn das geht, dann funktioniert das.<br />
Schmid: Haben Sie denn beim Schreiben der Bücher und bei diesem Theaterstück<br />
auch so eine bestimmte Art zu sehen? Haben Sie dabei immer konkrete<br />
Bilder im Kopf? Sie sagen ja einerseits, dass sich bestimmte Bilder<br />
einprägen bei Ihnen, während Sie andere Bilder leichter wieder vergessen.<br />
Heine: Die Bilder dürfen sich jedenfalls nicht verselbständigen. Man kann zwar aus<br />
den Bildern jeweils zitieren, aber insgesamt müssen die Bilder in den<br />
Gesamtzusammenhang, in die Dramaturgie passen. Denn sonst<br />
funktioniert das nicht. Man kann jedenfalls nicht so vorgehen: "Ach, das ist<br />
ein herrliches Bild, da reihe ich jetzt einfach nur mal Bild an Bild." Um noch<br />
mal auf das Bilderbuch zurückzukommen - aber so arbeite ich auch bei<br />
meinen Romanen und bei meinen Theaterstücken: Ich arbeite immer<br />
filmisch. <strong>Das</strong> heißt, wenn ein Buch fertig ist, dann hänge ich es an die<br />
Wand. Bei einem Bilderbuch sind das ja nur zwölf Bilder. Als ich jetzt an<br />
diesem Theaterstück gearbeitet habe, habe ich mir ebenfalls zwölf Bilder<br />
dafür ausgedacht: Die werden dann illustriert und nebeneinander gehängt.<br />
Auf diese Weise schaue ich mir das dann an: "Aha, das ist also der Ablauf.<br />
Oh, da habe ich z. B. viel zu viel Totaleinstellungen. Da muss ich mal einen<br />
Perspektivenwechsel machen. An dieser Stelle hört meinetwegen der Text
auf, aber die Figuren wollen immer noch weitergehen. Vielleicht sollte ich sie<br />
kontern und möglicherweise gegen den Text stellen..." Auf diese Weise<br />
beginne ich darüber nachzudenken. <strong>Das</strong> muss das Kind, der Leser oder der<br />
Zuschauer hinterher gar nicht merken, aber für mich ist das sehr wichtig.<br />
Durch das Fernsehen hat sich ja z. B. auch unser Sehen verändert. Wir<br />
denken viel mehr in schnelleren Schnitten, wir nehmen auch viel öfter die so<br />
genannte Schlüssellochperspektive ein, denn auch der Voyeurismus hat ja<br />
zugenommen. All dem muss ich schon irgendwo Rechnung tragen, wenn<br />
ich irgendetwas schreibe oder inszeniere. Ich kann da zwar von den Bildern,<br />
die ich in mir trage, zitieren, aber diese Bilder dürfen sich nicht<br />
verselbständigen.<br />
Schmid: Auf den ersten Blick wirken diese Bilder ja immer so nett und freundlich,<br />
wenn man aber genauer hinsieht, kann man an ihnen immer so eine<br />
bestimmte Art von schwarzem Humor entdecken. Da sitzt meinetwegen ein<br />
Schwein auf dem Schoß <strong>des</strong> Kochs und liest ihm etwas vor. Der Koch hat<br />
aber schon – sichtbar – das Messer in der Tasche. Verstehen die Kinder<br />
diesen schwarzen Humor oder müssen sie das gar nicht verstehen?<br />
Heine: Doch, sie spüren das. Kinder sind da sehr instinktsicher. Wir Erwachsene<br />
schauen über so etwas viel leichter drüber hinweg. <strong>Das</strong> Bild, das Sie da<br />
zitieren, war für eine Buchausstellung in Wien gedacht: Ich wollte da ein<br />
wenig aus Tausendundeine Nacht zitieren, also eine Anspielung auf<br />
Scheherazade machen. So lange nämlich dieses Schwein gut erzählt, so<br />
lange darf es leben. Wehe, wenn es ermüdet! Ich habe solche Zitate immer<br />
wieder in meinen Büchern drin. Beim "Schönsten Ei der Welt" geht es um<br />
drei Schönheitsköniginnen, die zum König gehen und sagen: "Majestät, wer<br />
ist die Schönste von uns?" Man sieht dann den König in seiner ganzen<br />
Machtfülle thronen. Nebenbei ißt er Hühnchen. Der König sagt: "Es kommt<br />
auf die inneren Werte an!" Da denkt man dann: "Herrlich, wenigstens er<br />
denkt an die seelischen Kräfte." Aber im nächsten Satz sagt er dann:<br />
"Schönste ist also, wer das schönste Ei legt." Im Grunde genommen ist er<br />
also platter Materialist. So etwas spüren Kinder wirklich ganz genau und<br />
das sollte man ihnen auch nicht vorenthalten.<br />
Schmid: In Ihren Büchern geht es ja auch oft um ganz zentrale Fragen <strong>des</strong> <strong>Das</strong>eins:<br />
um Liebe, Freundschaft und auch um Tod. Der Tod ist in unserer<br />
Gesellschaft eigentlich ein Tabuthema und gerade in einem Kinderbuch<br />
wirkt das doch überraschend.<br />
Heine: Nun ja, es hat ja mal diese schreckliche Vorgabe der 68er gegeben, die<br />
gesagt haben: "Oh, bloß weg mit den Grimmschen Märchen. Wir brauchen<br />
mehr Demokratie und keinen König mehr. Auch die Grausamkeiten, die da<br />
stattfinden, brauchen wir nicht mehr." Sehr viel später entdeckte man zum<br />
Glück, dass unsere Kinder auch von diesen Dingen etwas erfahren wollen –<br />
selbstverständlich in der Geborgenheit meinetwegen <strong>des</strong> Vorlesens oder<br />
einer Familie. Aber wir können diese Dinge den Kindern nicht vorenthalten,<br />
denn sie sind Teil unserer Welt. Leben heißt nämlich auch, Gefahren zu<br />
erkennen und von Gefahren zu hören. Genau <strong>des</strong>wegen sehen doch selbst<br />
wir Erwachsene so gerne Krimis oder hören gerne von irgendwelchen<br />
unheimlichen Geschichten. Bei Kindern müssen diese Themen auch alle<br />
vorhanden sein. Es wäre also sträflich, davon nicht zu erzählen.<br />
Schmid: In Ihrem neuesten Buch geht es ja auch um den Tod: Es heißt "Der Club",<br />
ich fand es sehr anrührend. Es geht darin um drei Freunde, die der Mensch<br />
seit der Geburt hat: Professor Kopf, Rosi Herz und Dick Bauch. Man kann<br />
da auf einem Bild erkennen, wie der Dick Bauch aus seinem Sarg noch<br />
einmal ein wenig herauslugt.<br />
Heine: Ich hatte mir gedacht, dass ich mir selbst zu meinem 60. Geburtstag ein<br />
Buch schenke, und zwar mit dem Grundthema Körper, Seele, Geist. Ich<br />
habe mir gedacht, dass uns diese drei Dinge ja unser ganzes Leben lang
egleiten. <strong>Das</strong> wäre aber viel zu abstrakt für die Kinder. Also habe ich<br />
diesen Dick Bauch kreiert, der den Körper verkörpert. Die Seele ist bei mir<br />
die Rosi Herz: Sie symbolisiert jedoch eher die Liebe, um das Ganze nicht<br />
zu philosophisch zu machen. Professor Kopf ist der Geist. Ich habe dann<br />
gesagt, dass uns dieser Club unser ganzes Leben lang begleitet, von der<br />
Geburt an. An dem Tag, an dem wir sterben, geht dieser Club auseinander.<br />
Was passiert dann aber weiter? Wir hören an der Stelle ansonsten ja immer<br />
auf zu reden: "Onkel Otto ist tot, wie schrecklich, der Herr habe ihn selig."<br />
<strong>Das</strong> war's. Wenn ein Kind dann weiter fragt, dann heißt es nur, "frag nicht<br />
so dumm". Die einen sagen vielleicht noch, er käme in den Himmel, was die<br />
anderen aber wiederum als Quatsch bezeichnen. Ich dagegen versuche in<br />
dem Buch, eine andere Antwort zu geben. Ich sage nämlich Folgen<strong>des</strong>:<br />
Dick Bauch, unser Körper, kommt in die Erde. Deshalb bleibt der auch in<br />
diesem Sarg. Der Geist? Wir erinnern uns daran, solange er etwas<br />
hinterlassen hat: vielleicht hat er Kinder zurückgelassen oder Photos oder<br />
einen Roman usw. Die Liebe? Die ist ewig! Denn an die können wir uns<br />
noch lange erinnern. Sie setzt sich in anderer Gestalt auch fort. <strong>Das</strong> heißt,<br />
ich erzähle darin über den Tod hinaus. Ich kann in diesem Buch mit dieser<br />
Konstellation auch noch viele andere Probleme lösen. Bei bestimmten<br />
Krankheiten sagen wir doch immer, das sei psychosomatisch bedingt. Was<br />
ist das aber genau? <strong>Das</strong> ist so wie mit dem Strom: Kein Mensch kann Ihnen<br />
genau erklären, was Strom ist, selbst die Physiker wissen das nicht so<br />
genau. Wenn ich aber sage, dass sich diese drei auf dem Bett <strong>des</strong> kranken<br />
Kin<strong>des</strong> streiten und kloppen, dann weiß je<strong>des</strong> Kind: Wenn sich Körper,<br />
Seele und Geist in der Wolle liegen, wenn die sich schlagen, dann werde<br />
ich krank, dann kann ich seelisch krank werden und damit auch körperlich<br />
krank. <strong>Das</strong> ist also ein sehr komplexes Thema, das freilich ganz einfach<br />
daherkommt. Man muss wohl erst 60 Jahre alt werden, um das in so<br />
einfachen Worten zeigen und malen zu können.<br />
Schmid: <strong>Das</strong> hat auch etwas unheimlich Tröstliches: Denn das Wichtigste für den<br />
Menschen ist wohl, dass er nicht vergessen wird. In Ihrem Buch kann man<br />
eben sehen, dass das alles noch ein bisschen weitergeht.<br />
Heine: <strong>Das</strong> Schlimme ist ja, dass wir uns ansonsten nicht mehr trauen, über den<br />
Tod zu reden. Dabei ist die Angst vor dem Tod ja ganz gewaltig groß in<br />
unserer Gesellschaft. Früher hieß der Tod ja mal "Freund Hein". Ich habe<br />
gerade in Neuseeland etwas Interessantes in dem Zusammenhang erlebt.<br />
Die Mutter meiner Nachbarn war gestorben und so sind sie in dieses<br />
Altersheim gefahren, haben die alte Dame, eingewickelt in eine Decke, in<br />
ihren VW-Bus gelegt und sie mit zu sich nach Russell gebracht. Dort<br />
konnten wir dann alle Abschied nehmen von ihr. Es wurde dann von<br />
meinen Nachbarn selbst ein Loch gegraben und sie wurde dann auf<br />
eigenem Grund und Boden beerdigt. Für uns hier wäre das undenkbar.<br />
Selbst bei Friedensreich Hundertwasser, der ein Stück entfernt von mir<br />
wohnte, war es so. Als er starb, ist er zu Hause begraben worden. Er hatte<br />
das so verfügt: Er wurde in die von ihm selbst entworfene Fahne –<br />
Hundertwasser hatte eine eigene Fahne entworfen – eingewickelt und dann<br />
ohne Sarg von Freunden dort auf seinem Grundstück beerdigt. Die<br />
Geschichte eines anderen Freun<strong>des</strong> finde ich sogar noch kurioser. Bei<br />
einem Unfall verlor er letztes Jahr unterhalb seines Knies sein Bein. Als sie<br />
ihn dann aus dem Krankenhaus entlassen haben, haben sie ihn gefragt,<br />
was sie denn mit diesem Bein machen sollten. Er sagte, er wolle das<br />
mitnehmen, denn das sei schließlich sein Bein. Er hat es also<br />
mitgenommen und es dann hinter seiner Garage verbuddelt. Anschließend<br />
hat er darauf einen Gemüsegarten angelegt und darauf herrlichste Sachen<br />
gezogen. Seitdem sagt er immer: "Seht Ihr, das ist mein Bein!" Dort geht<br />
man also noch sehr viel unverbildeter mit dem Tod um - und in Afrika sogar<br />
noch viel unverbildeter.<br />
Schmid: <strong>Das</strong> ist ja überhaupt ein Thema, das Sie sehr beschäftigt, wie wir hier auf
einem Bild mit diesem Kalvarienberg sehen können, den Sie geschaffen<br />
haben. <strong>Das</strong> ist ein Berg, auf dem noch einige weitere Kreuze stehen.<br />
Können Sie etwas zu diesen Kreuzen sagen? Denn das ist doch eine recht<br />
ungewöhnliche Sache, wenn ich mir vor allem dieses Kreuz hier in der Mitte<br />
mit diesen Lackpumps ansehe.<br />
Heine: Es ist so: Im Grunde genommen ist ja innerhalb der katholischen Kirche die<br />
Frau immer diejenige gewesen, die ans Kreuz geschlagen worden ist.<br />
Denken Sie nur an die Hexenverbrennungen usw. Ich will das gar nicht<br />
weiter ausführen, denn das wissen wir ja alle. Ich fand das eben als Symbol<br />
recht schön. An sich kann man auf einem Kalvarienberg ja diese<br />
verschiedenen Schritte bis zur Kreuzigung Christi sehen. Ich hatte mir daher<br />
gedacht, dass das früher in dieser Zeit schon richtig gewesen ist: Damals<br />
konnten die Leute noch nicht lesen und so war das so ähnlich wie ein<br />
Bilderbuch für Erwachsene. Diesem "Bilderbuch" konnten sie dann quasi<br />
folgen. Ich habe daher einen Kalvarienberg gemacht, der heute Bezug<br />
nimmt auf andere Themen: auf den Krieg, auf die Armut und eben auch auf<br />
die Frau. Dort habe ich also einen Kalvarienberg der Leidensmomente der<br />
Menschheit aus meiner eigenen Sicht installiert. Es macht sehr großen<br />
Spaß, in der Dreidimensionalität zu arbeiten. Ansonsten arbeite ich ja immer<br />
zweidimensional und täusche beim Malen eine Perspektive immer nur vor.<br />
Deswegen beschäftige ich mich auch sehr gerne mit der Skulptur.<br />
Schmid: Sind Sie ein religiöser Mensch – ganz unabhängig nun vom konkreten<br />
Bezug zur Kirche?<br />
Heine: Ich glaube, dass diese Dinge sehr viel komplizierter sind und sehr viel<br />
wunderbarer, als sie uns jede Religion und auch jede Naturwissenschaft<br />
erzählt hat. Ja, das glaube ich. Letztlich ist es ja so: Wenn wir uns das mal<br />
in physikalischer Hinsicht ansehen, dann stellen wir fest, dass wir zwar zu<br />
Staub verfallen, aber unsere Atome doch bestehen bleiben. <strong>Das</strong> heißt, dass<br />
wir alle letztlich aus Sternenstaub entstanden sind. Diese Atome vergehen<br />
tatsächlich nie: Da leben wir ewig weiter. <strong>Das</strong> würde ich nun gar nicht mit<br />
dem Gedanken der Wiedergeburt oder einem Weiterleben nach dem Tod<br />
in Verbindung bringen: <strong>Das</strong> ist einfach ein ständiges Weiterbestehen in<br />
veränderter Form. An solche Dinge, dass ich bestraft werde und in die Hölle<br />
komme usw. glaube ich jedenfalls nicht: <strong>Das</strong> ist meiner Meinung nach ein<br />
Instrumentarium, das man sich ausgedacht hat, um möglicherweise auch<br />
Druck auf den Menschen ausüben zu können.<br />
Schmid: Machen Sie solche Arbeiten mehr für sich selbst oder sagen Sie, dass das<br />
eigentlich genauso berühmt werden soll wie Ihre Bücher?<br />
Heine: Ach, ich mache diese Sachen immer aus eigenem Antrieb. Ich verkaufe ja<br />
auch nie die Idee eines Buches vor der Ausführung, sodass ich nur einen<br />
ersten Entwurf schreiben würde, den ich dann verkaufe. Ich habe nämlich<br />
mehrfach erfahren, was dann bei solchen Geschichten herauskommt. Man<br />
erzählt meinetwegen jemandem von einer Idee und diese andere Person<br />
sagt, dass das ja ganz toll sei und dass sie das unbedingt finanzieren<br />
möchte: Daraufhin bekommt man dann sofort eine Anzahlung ausbezahlt.<br />
Anschließend erzählt diese Person meinetwegen im Verlag von dieser Idee<br />
und alle finden das ganz wunderbar. Wenn man dann aber mit dem fertigen<br />
Projekt ankommt, gibt es häufig die Reaktion: "Oh Gott, ach, das habe ich<br />
mir aber ganz anders vorgestellt." Denn so ein Projekt verändert sich im<br />
Laufe der Ausführung, also von der Idee bis zur Fertigstellung, ja ständig.<br />
Wie geht es dann weiter? Da kommt dann der Satz: "Wissen Sie was, das<br />
muss ich erst einmal mit meinen Vertretern besprechen. Ob man das so<br />
machen kann, weiß ich jetzt nämlich nicht." Diese Person möchte ja auch<br />
nicht ihr Geld verlieren und so läuft es dann darauf hinaus, dass zum<br />
Künstler gesagt wird: "Wissen Sie, es wäre doch schön, wenn wir hier ein<br />
klein wenig etwas veränderten und dort auch." Damit beginnt dann das<br />
Taktieren - wie in der Politik! <strong>Das</strong> tut den Projekten aber überhaupt nicht gut.
Man kann ja auch sehr oft sehen, dass die Erstlinge - seien das Filme oder<br />
Bücher – immer völlig unverbildet sind. Sie sind aus diesen Künstlern selbst<br />
heraus entstanden. Beim zweiten Werk heißt es dann oft: "Mach das noch<br />
einmal! <strong>Das</strong> kommt gut an!" So verlöscht dann diese ganze Unverbildetheit.<br />
Denken Sie nur mal an Woody Allen, Ingmar Bergmann oder Federico<br />
Fellini: <strong>Das</strong> sind alles Leute, die von Anfang an alles selbst gemacht haben.<br />
Deshalb haben deren Werke auch immer diesen ganz unverwechselbaren<br />
Charakter: Sie waren niemals an Marketingprozesse gebunden.<br />
Schmid: Es gibt noch eine Seite an Ihnen, die erstaunt: Sie machen auch Möbel und<br />
vor allem ganz fröhliche Kindermöbel wie z. B. dieses Sofa auf dem Bild.<br />
Wie sind Sie denn zum Möbelmachen gekommen? Gab es da auch in<br />
Afrika schon einen Anstoß dazu?<br />
Heine: Es gabt damals ja nichts zu kaufen, es gibt nicht mal Ikea-Möbel oder so<br />
etwas ähnliches. Ich hatte mir damals am Rande von Johannesburg so ein<br />
altes Farmhaus gekauft: Ich war Student und daher natürlich bettelarm. Die<br />
zehn Prozent <strong>des</strong> Hauspreises konnte ich gerade noch anzahlen, aber in<br />
dem Haus waren keine Möbel drin. <strong>Das</strong> Einzige, was ich hatte, waren<br />
Steine und Mörtel. Und so habe ich alles gemauert. Ich habe meine Küche<br />
gemauert, meine Betten gemauert usw. Auf diese Betten habe ich Latten<br />
drüber gelegt und dann eine Matratze drauf geworfen. <strong>Das</strong> sah sehr schön<br />
aus, als ich das dann auch noch alles verputzt habe. Da lernt man dann auf<br />
einmal auch, sich selbst zu entdecken. Dazu muss ich nun noch etwas aus<br />
dieser Zeit erzählen, wenn ich schon von diesem Sich-selbst-Entdecken<br />
durch das Möbelmachen spreche. Jeden Donnerstag hatte ich dort dann<br />
später ein offenes Haus, da konnte jeder kommen: Es gab nur so ein<br />
bisschen Wein aus der Gallone und Käse, denn wir hatten ja alle kein Geld.<br />
Aber jeder musste ein Geschenk mitbringen: <strong>Das</strong> Geschenk bestand darin,<br />
dass jeder eine Geschichte mitbringen musste. Diese Geschichte durfte<br />
nicht vorgelesen werden, sondern musste frei erzählt werden und durfte<br />
eine Viertelstunde nicht überschreiten. <strong>Das</strong> war ganz toll. Viele aus dieser<br />
Gruppe, einschließlich meines Bruders und meiner Frau, haben sich<br />
hinterher der Schriftstellerei zugewandt. Ich bekomme heute noch Briefe<br />
von Freunden aus der Zeit, die mir schreiben: "Mensch, das war schön, das<br />
würde ich gerne noch einmal machen." <strong>Das</strong> war nun keine "Gruppe 47",<br />
ganz bestimmt nicht, aber man hat dabei doch auf einmal entdeckt – es gab<br />
ja auch noch kein Fernsehen –, wie phantastisch es ist, eigene Geschichten<br />
zu entdecken und sie mit seinen eigenen unbeholfenen Worten<br />
wiederzugeben. Man hat dann ja auch gemerkt, wie man darin so<br />
allmählich immer gewandter geworden ist. Diese Zeit hat uns alle zutiefst<br />
beeinflusst.<br />
Schmid: In Ihren verschiedenen Lebensstationen gibt es immer wieder bestimmte<br />
Anknüpfungspunkte wie z. B. das Gärtnern, das Ihnen großen Spaß macht.<br />
Heine: Man kann beim Gärtnern eben Feldherr sein und Koch gleichzeitig. Ich<br />
habe mir da in Neuseeland einen wunderschönen Garten angelegt. Mein<br />
Garten hat an die 500 Meter Meeresküste, weil das wirklich ein großes<br />
Grundstück ist. Ein Freund hatte ein großes Flussbett und in diesem<br />
Flussbett waren viele große Steine. Als er sie alle weggeräumt hat, weil er<br />
diesen Fluss irgendwie verändern wollte, habe ich mir die schönsten Steine<br />
ausgesucht und sie in meinen Garten integriert. Damit habe ich quasi<br />
meinen Garten gestaltet. Dazwischen habe ich dann auch Sachen<br />
angepflanzt: Hier gibt es meinetwegen Petersilie und dort einen<br />
Orangenbaum und weiter hinten meinetwegen ein Paar Bananenstauden<br />
usw. Von diesen Steinen wiegen manche ja ein paar Tonnen, so groß sind<br />
die. Auf diese Steine setze ich nun meine eigenen Skulpturen: <strong>Das</strong> wird<br />
daher so ein richtiger Klingsor-Garten, der freilich den Künstler, den<br />
Feldherr und den Koch bedient. <strong>Das</strong> finde ich wunderschön. Hinzu kommt,<br />
dass ich in meinem Garten ganze Wachtelfamilien, Fasane usw. habe. <strong>Das</strong>
ist wirklich ein sehr zauberhafter Garten, der mir sehr viel gibt.<br />
Schmid: Wird da in dieser Atmosphäre vielleicht auch einmal Ihr Wunschtraum<br />
Gestalt annehmen können, eine Oper zu machen? Denn ich habe gelesen,<br />
dass Sie einmal in Ihrem Leben eine Oper inszenieren möchten.<br />
Heine: So etwas kann man natürlich nur in Europa machen. Ja, davon träume ich,<br />
aber ich renne solchen Dingen nie hinterher. Als ich damals z. B. aus<br />
Südafrika zurückgekommen bin, wollte ich hier in Deutschland eine<br />
Ausstellung machen. Aber wo auch immer ich angerufen habe, wurde mir<br />
nur gesagt: "Um Gottes willen, lass mich in Ruhe damit!" Meistens ist es<br />
eben so: Wenn man den Dingen hinterherläuft, dann passieren sie nicht.<br />
Wenn man sie sich aber nur so wünscht, dann wird das eines Tages<br />
vielleicht doch mal wahr. Ja, ich würde wirklich sehr gerne mal eine Oper<br />
inszenieren.<br />
Schmid: Welche Oper?<br />
Heine: Ach, das würde ich gar nicht so einengen wollen. Mir hat allein schon dieses<br />
Musikspektakel sehr großen Spaß gemacht, über das wir am Anfang<br />
gesprochen haben. <strong>Das</strong> ist zwar ganz etwas anderes, aber das geht eben<br />
trotzdem in die gleiche Richtung. Musik ins Bild zu setzen, Musik in<br />
Bewegung umzusetzen, der Musik auch in der Inszenierung zu begegnen,<br />
stelle ich mir sehr, sehr interessant vor und das würde ich sehr gerne<br />
versuchen. Da gibt es auch noch viele Bereiche, um die man das erweitern<br />
könnte: Man könnte z. B. den Tanz mit integrieren usw. Aber das hängt<br />
sicherlich jeweils von der einzelnen Oper ab.<br />
Schmid: Dann wünsche ich Ihnen, dass Sie sich diesen Traum erfüllen können. Viel<br />
Erfolg brauche ich Ihnen, wie ich glaube, nicht zu wünschen, denn den<br />
haben Sie bereits. Aber ich wünsche Ihnen, dass Sie überall glücklich leben<br />
sollen, egal ob in Oberbayern oder in Neuseeland. Danke, dass Sie bei uns<br />
waren.<br />
Heine: Ich danke Ihnen.<br />
Schmid: Zu Gast bei Alpha-Forum war der Autor, Maler und Zeichner Helme Heine.<br />
Ich danke Ihnen fürs Zuschauen, auf Wiedersehen.<br />
© Bayerischer Rundfunk