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jean claude bourgueil typisch deutsch thomas ruhl neues aus der ...

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DER WEG<br />

ZUR MODERNEN<br />

DEUTSCHEN KÜCHE<br />

Für mich verläuft <strong>der</strong> Weg zur <strong>deutsch</strong>en<br />

Küche von Format und Stil über eine<br />

kleine, aber feine Zahl <strong>aus</strong>gezeichneter<br />

Küchenmeister, denen es gelungen ist,<br />

das Wesen dieser Küche zu erkennen,<br />

das Beste her<strong>aus</strong>zustreichen, den Beigeschmack<br />

des Bekannten und Gewohnten<br />

durch ihre große Kochkunst zu vertreiben<br />

und jedes Gericht neu zu interpretieren<br />

und zu einem aufregenden<br />

Ereignis werden zu lassen.<br />

Alfred Walterspiel<br />

Alfred Walterspiel (1881–1961) gehört<br />

zweifellos zu den Grandseigneurs <strong>der</strong><br />

Haute Cuisine und hat mit seinem Werk<br />

„Meine Kunst in Küche und Restaurant“<br />

ein <strong>aus</strong>gezeichnetes Standardwerk <strong>der</strong><br />

mo<strong>der</strong>nen <strong>deutsch</strong>en Küche hinterlassen.<br />

Das Werk umfasst unter an<strong>der</strong>em<br />

über 100 eigene Rezepte, darunter auch<br />

den legendären Herrentoast, und man<br />

erfährt bei <strong>der</strong> Lektüre, dass Walterspiel<br />

schon damals das Olivenöl mit Großzügigkeit<br />

einsetzte. Es sind aber insbeson<strong>der</strong>e<br />

seine Betrachtungen über<br />

Küche und Restaurant, die ich bemerkenswert<br />

finde. Er vermittelt vor allem,<br />

dass <strong>der</strong> Beruf des Kochs ohne Leidenschaft,<br />

Herz und Seele nicht <strong>aus</strong>zuüben<br />

ist.<br />

Bereits mit 29 Jahren wurde Walterspiel<br />

Küchenchef im Hotel „Atlantic“ in<br />

Hamburg, ein Beleg für seine außergewöhnlichen<br />

Leistungen. Im Jahre 1912<br />

kaufte Walterspiel das international<br />

berühmte Restaurant „Hiller“ in Berlin<br />

von Louis Adlon für 7.000 Goldmünzen.<br />

Dort führte er eine Speisekarte ohne<br />

Preisangaben ein, ein einzigartiger<br />

Einfall, nicht nur <strong>aus</strong> Diskretionsgründen,<br />

son<strong>der</strong>n auch, um zwischen einem<br />

russischen Großfürsten und einem<br />

Berliner Künstler ein wenig Lasten<strong>aus</strong>gleich<br />

zu schaffen. Solche Eigenmächtigkeiten<br />

waren damals erlaubt, und alles<br />

funktionierte zur vollsten Zufriedenheit.<br />

Das Restaurant „Hiller“ wurde im Jahr<br />

1917 während des Ersten Weltkrieges<br />

wegen „unzeitgemäßen Luxusbetriebes“<br />

vom Wucheramt geschlossen.<br />

Im Jahr 1926 zog Alfred Walterspiel<br />

nach München, er kaufte das Hotel<br />

„Vier Jahreszeiten“ und zog von <strong>der</strong><br />

Fürstenstraße in die Maximilianstraße.<br />

Das Restaurant in diesem H<strong>aus</strong>e trug bis<br />

1995 seinen Namen. Sein gleichaltriger<br />

badischer Freund Eugen Lacroix gründete<br />

etwa zeitgleich in den 30er Jahren<br />

eine Metzgerei in Sachsenh<strong>aus</strong>en, die<br />

erste Gänseleberfabrik Deutschlands.<br />

Diese Gänseleber wurde im Bastkörbchen<br />

direkt an die Hotels geliefert. Der<br />

Erfolg war so groß, dass <strong>der</strong> Betrieb vergrößert<br />

und verlagert werden musste.<br />

Die Produktpalette umfasste zum<br />

Schluss über 100 Feinkostspezialitäten<br />

im Glas o<strong>der</strong> als Konserve <strong>der</strong> feinsten<br />

Art. Weltberühmt wurde die Schildkrötensuppe<br />

bis zu ihrem Verbot in den<br />

80er Jahren. Sie wurde von den bekanntesten<br />

Feinkosthändlern und Sterneköchen<br />

gekauft, weil man sie selbst<br />

nicht besser machen konnte. Groß in<br />

Mode und in fast allen gehobenen<br />

Restaurants dieser Zeit auf <strong>der</strong> Karte<br />

war die Suppe „Lady Curzon“, eine<br />

Schildkrötensuppe, die mit Currysahne<br />

überbacken wurde. Ende <strong>der</strong> 70er Jahre<br />

wurde die Firma Lacroix an einen amerikanischen<br />

Konzern verkauft und hat<br />

seitdem ihre Bedeutung verloren.<br />

Gustav Horcher<br />

Meine erste Begegnung mit <strong>der</strong> <strong>deutsch</strong>en<br />

Küche fand im Jahre 1968 in <strong>der</strong><br />

Calle Alfonso XII in Madrid im<br />

Restaurant „Horcher“ statt. Das Restaurant<br />

„Horcher“ wurde ursprünglich 1904<br />

von Gustav Horcher in Berlin gegründet,<br />

und die Familie Horcher gehörte wie die<br />

Familie Adlon zu den Hoflieferanten <strong>der</strong><br />

Hauptstadt. Während <strong>der</strong> Naziherrschaft<br />

war die politische Elite dort<br />

Stammgast.<br />

Gustav Horcher, unterstützt von seinem<br />

Sohn Otto, übernahm in Wien das<br />

Restaurant „Die drei Husaren“ in <strong>der</strong><br />

Weihburgstraße, das heute noch existiert<br />

und damals kurz vor <strong>der</strong> Pleite stand.<br />

Als Deutschland im Jahr 1941 Frankreich<br />

überfiel, wurde das weltberühmte<br />

Restaurant „Maxims“, damals in englischem<br />

Besitz, von den Deutschen beschlagnahmt<br />

und – zumindest zu Beginn<br />

– von Otto Horcher geführt.<br />

Die Geschäfte <strong>der</strong> Familie Horcher liefen<br />

prächtig und wurden vorbildlich geführt.<br />

Der Sohn Otto ahnte, dass die<br />

Beziehungen zum Naziregime irgendwann<br />

zur Belastung werden könnten<br />

und entschied sich 1943, mit Familie und<br />

Hab und Gut nach Madrid <strong>aus</strong>zuwan<strong>der</strong>n.<br />

Das Restaurant „Horcher“ in<br />

Madrid wird heute von Otto Horchers<br />

Sohn Gustavo geführt. Der Maître selbst<br />

ist jetzt 82 Jahre alt. Er kommt noch<br />

jeden Morgen zur Arbeit, aber seit kurzem<br />

nur noch vormittags.<br />

Bei „Horcher“ in Madrid bekam jede<br />

Dame einen gepolsterten Hocker für<br />

ihre Tasche und ein Kissen, um die Füße<br />

zu entspannen. Mit 21 Jahren habe ich<br />

dort meine ersten Spätzle geschabt und<br />

meine ersten Plinsen und Kartoffelpuffer<br />

gebacken. Der Baumkuchen kam <strong>aus</strong><br />

einem Gasofen, wurde per Hand gegossen<br />

und mit Zuckerguß glaciert.<br />

Meine Vorurteile über den Restaurant-<br />

Service habe ich in diesem H<strong>aus</strong> revidieren<br />

müssen. Die besten Kellner kamen<br />

nicht <strong>aus</strong> Italien o<strong>der</strong> Frankreich, son<strong>der</strong>n<br />

<strong>aus</strong> Deutschland! Wenn es sie doch<br />

noch gäbe! Kerzengerade, blond, von<br />

aristokratischer Haltung, mit zuvorkommen<strong>der</strong><br />

Geste bei höflicher Distanziertheit<br />

und überlegtem Ausdruck. Solch<br />

einen Kellner habe ich danach nur noch<br />

einmal bei Alain Chapel in Mionnay<br />

angetroffen und in dem Film „Die<br />

Bekenntnisse des Hochstaplers Felix<br />

Krull“ nach dem gleichnamigen Roman<br />

von Thomas Mann.<br />

Zeugnisse vom Glanz vergangener<br />

Epochen. Gehobene Tischkultur war<br />

einst sehr wichtig. Edles Porzellan und<br />

silbernes Besteck waren die Statussymbole,<br />

die heute durch Autos, TV-<br />

Geräte und Mobiltelefone ersetzt wurden.<br />

Einst zierten Bestecke wie dieses<br />

von Wellner die Tafeln <strong>der</strong> besten<br />

Restaurants und die Speisesäle von<br />

Luxuslinern.<br />

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