magazin
16.10. 2020
Auf dem
Absprung
Frischer Wind im Kulturherbst: Jungkünstlerin
Sara Lanner und andere neue Namen bei der
Diplomausstellung der Bildenden in Wien.
Gershwin
Rossini
PORGY AND BESS IL BARBIERE
Wayne Marshall |Matthew Wild
DI SIVIGLIA *
Wiener KammerOrchester
special extended
George Jackson |Christoph Zauner
Porgy and Bess-Ensemble
Wiener KammerOrchester
Eric Greene, Simon Shibambu,
Mit dem Jungen Ensemble
Jeanine De Bique, Pumeza Matshikiza
Theater an der Wien
Premiere: 14. Oktober 2020
Premiere: 5. März 2021
Änderungen vorbehalten
Mozart
LE NOZZE DI FIGARO
Stefan Gottfried |Alfred Dorfer
Concentus Musicus Wien
Arnold Schoenberg Chor
Florian Boesch, Cristina Pasaroiu,
Robert Gleadow, Giulia Semenzato
Premiere: 12. November 2020
Cavalli
GIASONE *
Benjamin Bayl |Georg Zlabinger
Bach Consort Wien
Mit dem Jungen Ensemble
Theater an der Wien
Premiere: 29. November 2020
Rameau
PLATÉE
William Christie |Robert Carsen
Les Arts Florissants |Arnold Schoenberg Chor
Marcel Beekman, Jeanine De Bique,
Edwin Crossley Mercer, Cyril Auvity
Premiere: 14. Dezember 2020
Massenet
THAÏS
Leo Hussain |Peter Konwitschny
RSO Wien |Arnold Schoenberg Chor
Nicole Chevalier, Josef Wagner,
Roberto Sacca, Carolina Lippo
Premiere: 19. Jänner 2021
Donizetti
BELISARIO
Oksana Lyniv |Nigel Lowery
RSO Wien |Arnold Schoenberg Chor
Roberto Frontali, Carmela Remigio,
Paolo Fanale, Stefan Cerny
Premiere: 16. Februar 2021
Prokofjew
DER FEURIGE
ENGEL
Constantin Trinks |Andrea Breth
Wiener Symphoniker
Arnold Schoenberg Chor
Ausrine Stundyte, Bo Skovhus,
Nikolai Schukoff, Natascha Petrinsky
Premiere: 17. März 2021
Händel
SAUL
Christopher Moulds |Claus Guth
Freiburger Barockorchester
Arnold Schoenberg Chor
Florian Boesch, Anna Prohaska,
Jake Arditti, Giulia Semenzato
Premiere: 16. April 2021
Beethoven
AN DIE FREUDE
John Neumeier |Hamburg Ballett
Wiener KammerOrchester
Arnold Schoenberg Chor
Valentina Petraeva, Sofia Vinnik,
Andrew Morstein, Ivan Zinoviev
Premiere: 5. Mai 2021
Wagner
TRISTAN
EXPERIMENT *
Hartmut Keil |Günther Groissböck
Wiener KammerOrchester
Norbert Ernst, Kristiane Kaiser,
Günther Groissböck, Juliette Mars
Premiere: 26. Mai 2021
*Theater an der Wien
IN DER KAMMEROPER
wwww.theater-wien.at
DAS OPERNHAUS
Intendanz:Roland Geyer
vor abendrot
SAISON
de facto
beyond |Hermine Karigl-Wagenhofer
Hauptsponsor
Theater an der Wien
Tageskasse: Mo-Sa 10-18 Uhr
Linke Wienzeile 6|1060 Wien
www.theater-wien.at
Inhalt
Cover: Christine Ebenthal. Fotos: Wolfgang Vollmer/Henry Rox Archive Cologne 2020; Clemens Fabry;
magazin
Kunstbeschau. Johanna Hofleitner führt durch
die besten Ausstellungen der kommenden Monate.Oben:
Wolfgang Vollmer im Fotohof.
Vorwort
38
Mit Euphorie –und Vorbehalt: So lässt sich ganz grob die
Arbeit an dieser Ausgabe des„Kulturmagazins“beschreiben,
das –aus bekannten Gründen –imOktober ungewohnterweisezum
ersten Malindiesem Jahr erscheint.
Alle mitwirkenden Autorinnen und Autorenwaren wohl nicht minder
froh als ihrejeweiligen Gesprächspartner,dass da geradewieder
ein Kulturbetrieb zu laufen beginnt,der,wenngleich unter neuen Voraussetzungen,
erahnen lässt,wie die liebe neue Normalität im jeweiligenZusammenhang
aussehen wird. Vieleskann freilich doch nicht,
wie vonden Veranstaltern geplant,aus dem Frühling in das zweite
Halbjahr herübergeholt werden; einiges wurde aufdas kommende
Jahr verschoben, manchesentfällt ganz.Und –jetzt eben zu unserem
Vorbehalt –esist auch nicht auszuschließen, dass aufden folgenden
Seiten Angekündigtesdoch entfallen muss. Die Tipps in der „Panorama
International“-Rubrik sind zudem mit Reisewarnungsvorsicht
zu genießen. Wirhoffen aber,Ihnen stehen einigeMonate Kultur-und
auch einiges an Lesegenuss bevor. Für laufend aktuelle
Veranstaltungshinweiseerlauben wir uns, auf
die Rubrik DiePresse.com/kulturkalender
zu verweisen.
AufWiederlesen im Frühling!
Daniela Tomasovsky, BarbaraPetsch, Daniel Kalt
Impressum
4 Panorama. Höhepunktedes kulturellen Treibens aus
allen Himmelsrichtungen.
14 Talentprobe. Die Diplomausstellung derBildenden
als Sprungbrett fürjunge Kunstschaffende.
24 Personalpolitik. Neue Köpfefür Albertina, Kunstraum
Niederösterreich unddie Bildende.
28 Hausbesuch. Die Burggasse 98 alsinterdisziplinäre
Kunst-Design-Anlaufstelle.
30 Zeitfenster. Auch im Coronakunstjahr findeteine
Vienna ArtWeek statt.
34 Reisefieber. Zu Besuch in Thessaloniki, wo sich
Orient und Okzident ganz nahekommen.
44 Wertsteigerung. Die Begeisterungsfähigkeit des
Kunstmarkts für afrikanische Kunstpositionen.
48 Kauflaune. EinÜberblick der wichtigsten Kunstmarkttermineinden
kommenden Monaten.
58 Aufbruchstimmung. Anna B. Savage im Gespräch über
musikalische Einflüsse und literarische Inspiration.
60 Festlich. Jamie Cullumlegtsein erstesWeihnachtsalbumvor
und istimmer nochsehr „boyish“.
62 Tanzbein. Acht Musiker ausdem Weinviertel sind
Skolka, mitSka-und Polkaanklängen.
64 Bühnenpsychologie. Eine Vorstellungvon Hans
Werner HenzesOper „Das verratene Meer“.
66 Musikgeschichte. Maddalenadel Gobbo spielt
historisch wertvoll die VioladaGamba.
68 Preisverdacht. Clemens MariaSchreiner erhält im
November denÖsterreichischenKabarettpreis.
70 Famos. Alfred Dorfer inszeniert den „Figaro“,auchin
Burgtheaterund Staatsopergibtman Mozart.
74 Sprachverliebt. Dorfliteratur mitmagischen Tönen
vonKatharina Johanna Ferner.
76 Einstand. Der neueChef desStaatsopernballetts,
Martin Schläpfer,imgroßen Interview.
78 Neuland. Eine neue Kulturstiftung will markante
Kulturimpulse in Kärnten setzen.
80 Autoritäten. Die Anfänge desösterreichischen Autorenfilms
sind Thema derdiesjährigen Viennale.
84 Lichtspielfest. Filmfestivals in ganz Österreich sorgen
für vielfältigeUnterhaltung.
90 Kulturherbst. Nataša Ilić istTeil desDirektorinnen-
Triosder Kunsthalle Wien undgibtKulturtipps.
Medieninhaber undHerausgeber: „Die Presse“ Verlags-Ges.m.b.H. &CoKG, 1030 Wien, HainburgerStraße 33,Tel.: 01/514 14-Serie. Geschäftsführung: Mag. Herwig Langanger, RainerNowak.
Chefredaktion: Rainer Nowak. Leitung „Kulturmagazin“: Mag. Dr.Daniel Kalt,BarbaraPetsch, MMag. Daniela Tomasovsky. Mitarbeiter (Text): Mag. Andrey Arnold, Mag. Holger Fleischmann,JohannaHofleitner,
Dr.Harald Klauhs,Samir H. Köck, EvaKomarek,MAMag. MagdalenaMayer,Katrin NussmayrBA, Barbara Petsch, Mag. Dr.Veronika Schmidt,Mag.Dr. Wilhelm Sinkovicz,Mag.AlmuthSpiegler,MMag.
DanielaTomasovsky,Mag.Isabella Wallnöfer, Paula Watzl MA. Bildredaktion: Mag. Christine Pichler. ProjektleitungVermarktung: Adelheid Liehr, Tel.:+43/1/514 14-554 Artdirection: Matthias Eberhart.
Produktion/Layout: Bakk. Thomas Kiener, Christian Stutzig, Patricia Varga. Dispo:Alexander Schindler. Hersteller: Druck Styria GmbH &CoKG. Herstellungsort: Martin-Priekopa/SK. Beiträge überKooperationspartner
der„Presse“ erscheinen in redaktionellerUnabhängigkeit mitfinanzieller Unterstützung der jeweiligen Kooperationspartner.
Kulturmagazin 3
Panorama
SÜD
Zwiespältig. Das „Morgen“, von
dem Herbert Brandls Ausstellung
im Kunsthaus Graz erzählt,
ist ungewiss,vage, ausweichend.
Werweiß schon, was
morgen ist? Wirdesüberhaupt
ein Morgen geben? Ab 23.10.
Märchenhaft. Höchst lebendig ist
die russische Kunst des Spitzentanzes.Wenn
das St.Petersburger
Klassische Ballett auf Tournee
geht,dann reisen natürlich die
Schwäne samt ihrer Königin mit.
„Schwanensee“ am 25. 11. im
Konzerthaus Klagenfurt.
Twins. IhrePR-Frau vergleicht
sie mit Cigarettes After Sex.
Das ist ein bisserl weit hergeholt,aber
ein gewisses Kreisen
um sich selbst zeichnet auch
die sanfte Musik von Mynth
aus.Das hat vielleicht damit
zu tun, dass Mario und Giovanna
Fartacek Zwillinge sind.
Orpheum Graz, 25. 2. 2021
„Alcina“. Voneiner Zauberin handelt
Händels Oper „Alcina“ –und
von zaubrischer Schönheit ist
auch KiandraHowarth, die australische
Sopranistin singt die Partie
in Klagenfurt.Florentine Klepper
inszeniert,Attilio Cremonesi
dirigert.Esgeht um Utopien.
Vis-à-vis. Zarte geometrische Kompositionen
versus kräftige abstrakte Expression:
Mit Suse Krawagna und Franco
Kappl (Bild) zeigt das Museum Moderner
Kunst Kärnten zwei Maler,die konträrer
nicht sein könnten, in einer Doppelausstellung.
4. 2.–2. 5. 2021.
„Das Licht im Kasten“. Elfriede Jelinek
befasst sich mit einem ihrer
Lieblingsthemen: Mode.Sprachgewaltig
macht sie sich über schöne
Oberflächen und hässliche Kehrseiten
der Branche lustig. Im Grazer
Schauspielhaus inszeniert der
begabte Franz-Xaver Mayr.Mit Oliver
Chomik (Foto links), Johanna
Sophia Baader.Ab20. 11.
Fotos: Wolfgang Günzel, Offenbach, Brandl,beigestellt
4 Kulturmagazin
Feiern SieSilvester im
Wiener Konzerthaus!
28 &29/12/20 &01/01/21
Strauss Festival Orchester Wien
»Märchen ausdem Orient«
Willy Büchler Leitung
30 &31/12/20 &01/01/21
Wiener Symphoniker
»Beethoven: Symphonie Nr.9«
Wiener Singakademie, ManfredHoneck Dirigent
30/12/20
Habjan &Friends
»Luftkunst«
Nikolaus Habjan, Ines Schüttengruber u. a.
31/12/20
Silvester-Gala
»Best of Philharmonix«
©Helmut Prochart
Panorama
NORD
Klassiker in neuem Gewand. Nicht
umzubringen sind Romeo und Julia,
sie sterben immer wieder von
Neuem. Die Liebe und das Paar leben
heute, der Todist der alte.Das
kann auch Choreograf Reginaldo
Oliveiranicht ändern. Ab 14. 11. im
Salzburger Landestheater
„Schöne Bescherung“. Früh ist
das Salzburger Landestheater
heuer mit einem Vorgeschmack
auf Weihnachten dran: Ab 21. 11.
wirdAlan Ayckbourns beliebte
Farceüber ein explosives Familienfest
mit echten Gewehren und
Puppentheater gespielt.
Subtil. Für musikalische
Connaisseureist der
Stubnblues das ansprechendste
Programm des
vielseitigen Veteranen
Willi Resetarits.Blues,
Country und Folk fließen
hier sanft ineinander,und
der Willi singt so subtil
wie sonst nirgends.
30. 10., Minoriten, Wels
Wellenbad. Die ArsElectronica hatte
sie schon am Radar.Nun taucht
das britische Kollektiv Squidsoup
auch das Linzer Schlossmuseum in
ein immersives Bad aus Sound und
Lichtbällen. Lautsprecher,Sensorenund
Mikrocomputer machen es
möglich. Ab 12. 11.
Aufmüpfig. IhreKunst
warunerschrocken, innovativ
und frech, ihr zurückgelassenes
Œuvre
immens.Das Lentos
würdigt das unterschätzte
Werk von Linda Bilda
(1963–2019) nun posthum
mit einer Retrospektive.Ab11.
11.
Naturgewaltig. Werner Reiterer lädt
in Linz zu einem weiteren seiner
„Walksonthe mind-side“. Als gedankliches
Experiment zur Umkehrung
der Werte sperrt er im Mediendeck
des OK-Centrum ein ohrenbetäubendes
Gewitter ein. Ab 17. 12.
Fotos: Ralf-Bodo Kliem, Bildrecht, Wien 2020; Rieser, Giles Rocholl; Werner Reiterer; Maria Löffelberger;
6 Kulturmagazin
DER NEUE ORT
FURFOTOGRAFIE
UND MEDIEN
KUNST IN LINZ
LUOYANG
21.10.20— 21.02.21
Luo Yang, Princess butterfly
(aus der Serie YOUTH), 2019
©Luo Yang
THEPLACE OF THE MIND
ROGER BALLEN –RETROSPEKTIVE
14.10.20— 14.02.21
Roger Ballen
Cat Catcher,1998
©Roger Ballen
FAMILYSKIN
ANETAGRZESZYKOWSKA
28.10.20—28.02.21
Aneta Grzeszykowska, aus der Serie Mama, Nr.32, 2018
Pigment Tusche auf Baumwollpapier,36x50cm
©Künstlerin und Raster Gallery
Panorama
WEST
Best of. Weltberühmt sind
die Choreografen Nacho
Duato,Jiří Kylián und Mauro
Bigonzetti. In der Großen
Nacht des Tanzes zeigt das
Ensemble des Tiroler Landestheatersjeeines
der berühmten
Ballette.15.11.
Queer. Zum Jahreswechsel
machen sich Jakob Lena Knebl
&Ashley Hans Scheirl über das
Kunsthaus Bregenz her.Mit
Malerei, Installationen, Textilien
und bühnenartigen Eingriffen
transformieren sie es in ein
humorvoll-anarchisches Universum.
Ab 12. 12.
Spiel der Nacht. Doppelt gemoppelt
ist das Tanztheater
von Kristina &Sadé, wenn die
Zwillinge als „Alleyne Dance“
auftreten. Diesmal im jährlichen
Herbstfestival mit der
neuen Produktion „A Night’s
Game“ von „Tanz.ist“.
7.–15. 11., Spielboden
Dornbirn. tanzist.at
„Katja Kabanowa“. Eine leidenschaftliche
Frau flüchtet aus
ihrer Ehe (und vor der Schwiegermutter)
in eine leidenschaftliche
Affäre. Hermann Schneider,Intendant
in Linz, inszeniert
am Tiroler Landestheater
LeoŠ JanáČeksOper mit Anna-
Maria Kalesidis,inRussland geborene
Sängerin mit griechischen
Wurzeln. Es dirigiert LukasBeikircher.Ab14.
11.
„Tschick“. So zart wie rohist
diese Geschichte über zwei
Burschen, die sich mit einem
halbkaputten Lada nach Transsilvanien
aufmachen. Im Vorarlberger
Landestheater inszeniert
Martin Brachvogel das
Roadmovie von Wolfgang
Herrndorf.Ab20. 10.
8 Kulturmagazin
Fragil. Ausgangspunkt der Installationen, Filme,
Sound- und Textarbeiten von Iman Issa sind Kunstgegenstände,
architektonische oder historische
Elemente.Das Innsbrucker Taxispalais widmet ihr
nun ihreerste Personale in Österreich. Ab 8. 11.
Fotos: Lidia Crisafulli, Anja Koehler, Miro Kuzmanovic/Kunstahus Bregenz; Sebastian Stadler; beigestellt
Marina Faust
Otto-Breicha-Preis
für Fotokunst 2019
26. September 2020 –14. Februar 2021
Rupertinum
Fiona Tan
Mit der anderen Hand
With the other hand
31. Oktober 2020 –21. Februar 2021
Mönchsberg
In Kooperation mit Kunsthalle Krems
(21.11.2020–14.2.2021)
Marina Faust, aus der Serie Untitled ITA, 1975–1989, Archiv Marina Faust ©Marina Faust |Fiona Tan, Gray Glass, 2020, Zweikanal-Videoinstallation (schwarz-weiß, Ton), Filmstill,
in Auftrag gegeben vom Museum der Moderne Salzburg, mit Unterstützung von Mondriaan Fund, NL, Museum der Moderne Salzburg, Courtesy die Künstlerin, Frith Street Gallery,
London, Peter Freeman Inc., New York, Wako Works of Art, Tokyo
museumdermoderne.at
Panorama
OST
Umbruch. Modernistische Experimente,
feministische Rollenspiele,
politische Ideologien und das Verhältnis
zwischen Individuum und
Typveränderten die Porträtfotografie
in den 1920ern. Die Schau „Faces“
in der Albertina zeichnet diesen Umbruch
nach. Ab 12. 2. 2021.
Poppig. Jazz und HipHop tanzen
sie ebenso perfekt wie zeitgenössisches
Ballett,die jungen und sehr
jungen Tänzerinnen und Tänzer der
Groupe Grenade aus AixenProvence.InSt.
Pölten zeigen sie Ausschnitte
aus bekannten Choreografien.
5. 12. Festspielhaus
Querdenkerin. Bunt,schrill, emotional,
grotesk, figurativ wie abstrakt
sind die Skulpturen und Bilder,an
denen die Wienerin Lieselott Beschorner
seit den 1950ern fern jeglicher
Kategorisierung arbeitet.Der
spät Entdeckten widmet die Landesgalerie
NÖ nun eine große Retrospektive.Ab7.11.
Christian Fennesz. Als raffinierte
Klanginstallation zum Eintauchen
und Mitmachen ist „Area“ am
19. 11. im Wiener Konzerthaus avisiert.Fennesz
ist ein international
renommierter Elektronikmusiker
aus Österreich. „Area: Fennesz
playsNous sonic“ ist eine Uraufführung
beim Festival Wien Modern.
Verletzlich. Das prekäreVerhältnis
von Mensch und Umwelt beleuchtet
die aktuelle Ausstellung des
Dommuseums.„Fragile Schöpfung“
versammelt rund 40 künstlerische
Positionen vom Mittelalter bis zur
Gegenwart.Bis 28. 8. 2021.
Hochkultur. Die geheimnisumwobene
Kultur der Azteken steht im Zentrum
einer Ausstellung über ein Volk,
das 1430–1521 eine der wichtigsten
Hochkulturen der Neuzeit entwickelte.Ein
starker Fokus gilt den
Tributen und Opferungen.
Bis 13. 4. 2021.
Fotos: Cécile Martini; Nachlass Helmar Lerski/Museum Folkwang, Essen; Lieselott Beschorner/Wien Museum; Paul Schirnweg/Studio Lois Weinberger und Galerie Krinzinger/Friedl Rusch; Christian Fennesz; beigestellt
10 Kulturmagazin
Johannesgasse 6, 1010 Wien, www.onb.ac.at
Entgeltliche Einschaltung
Panorama
INTERNATIONAL
Raubein. Als er noch
ohne Hut und Sonnenbrille
sang, warersanft
und zuweilen spirituell.
Heute klingt VanMorrison
raubeiniger und bluesiger.Neuerdings
singt er
gegen die Coronastrategie
der britischen Regierung.
17.–21.11.,
Palladium, London.
Wartestellung. Der Warschauer
Künstler Andrzej Wróblewski
(1927–1957) schuf in nur wenigen
Jahren ein Werk von erstaunlicher
Aktualität.Zumal seine Bilder von
Warteräumen wurden als Sinnbilder
für die Erfahrung des sozialistischen
Mittel- und Osteuropa gesehen.
Bis 10. 1. 2021 in der Modernen
Galerie Ljubljana.
Spacig. Sonja Leimer befasst sich
mit kollektiven Wünschen, Ängsten
und den Bedrohungen unserer
Lebenswelt.Für „Space Junk“ im
Bozener Museion arbeitet sie mit
Weltraumschrott als historisch und
kulturell aufgeladenem Material.
Bis 17. 1. 2021.
„Everywoman“. Eine erfolgreiche
Schauspielerin
begegnet einer tödlich
Erkrankten, die in einem
Theaterstück mitspielen
möchte.Das ist ihr letzter
Wunsch. Die Aufführung
von den Salzburger
Festspielen übersiedelte
an die Schaubühne
Berlin. Ab 27. 10.
VomReisen. Für seine magischen
Bilder taucht Cyrill Lachauer auf
langen Reisen tief in lokale Kulturen
ein. „I am not sea, Iamnot land“
heißt seine Schau mit Filmen,
Videos,Fotos und Texten im
Münchner Haus der Kunst.
Von23. 10. bis 11. 4. 2021
„Die Vögel“. Frank Castorf
inszeniert im Bühnenbild von
Aleksandar Denic (o.l.) die
lyrisch-fantastische Oper von
Walter Braunfels nach Aristophanes:
Gefiederte ergreifen
mit Hilfezweier Exilanten aus
Athen die Macht.Ingo Metzmacher
dirigiert in der Bayerischen
Staatsoper in München.
Ab 31. 10.
Fotos: Reuters, Andrzej Wróblewski Foundation; Courtesy Galerie Barbara Gross,; Armin Samilovic; W.Hoesl;Cyrill Lachauer;
12 Kulturmagazin
„
Wien feiert in einergroßartigen Ausstellung
die französischen Meister! “
Neue Zürcher Zeitung
ENDLICH
ZU SEHEN!
NUR BIS
15.11.2020
JETZT ONLINE-
TICKET KAUFEN!
Vincent van Gogh, Der Sämann (Detail), 1888, Kunstmuseum Bern, Dauerleihgabe Hahnloser/Jaeggli Stiftung ©Foto: Reto Pedrini, Zürich
Hinaus aus den
heiligen Hallen
Die Akademie macht aus ihrer Raumnot eine
Tugend und zeigt die Diplom-Ausstellung 2020
im Stephanushaus, einem ehemaligen Priesterund
Gästehaus und zukünftigen Hotel.
Text: Johanna Hofleitner
Fotos: Christine Ebenthal
Die unmittelbare Lebensrealität beschreibt Abiona Esther
Ojo als ihr Bezugsfeld, darauf verweist auch ihre Maske
aus afrikanischem Stoff. „Ich beschäftige mich stets mit
Themen, die mich selbst betreffen“, sagt sie. Die Arbeit
mit Stoffen, Taschen, Haaren spiegelt die Erfahrung, mit zwei Kulturen
groß geworden zu sein. Aufgewachsen im Mühlviertel, war
die Kultur Afrikas für das Kind nigerianischer Eltern ein Teil des
Alltags. Auch Rassismuserfahrung schwingt mit. „Man muss leider
auch 2021 noch davonausgehen, dass jede Person, die keine weiße
Haut hat, mit Rassismus konfrontiert ist“, sagt sie. „Ich will in meiner
Arbeit jedoch Empowerment zeigen und nicht auseiner Opferrolle
heraus agieren.“ Haare stehen auch im Mittelpunkt von Ojos
Abschlussarbeit. „Haare sind in der afrikanischen Kultur ein wichtiges
Thema, weil sie viel Pflege und Aufmerksamkeit brauchen.“
Ihre Diplomarbeit legt sie als Kombination von Bildhauerei und
Fotografie an. Dafür hat sie Menschen aus der afrikanischen Diasporazuhause
fotografiert, die Fotosprojiziertsie dann aufObjekte,
die mit Haaren assoziiert sind: Bänder, Haarteile, Tücher, Caps.
Ojo: „Mit den Haaren sind viele Geschichten verbunden, aber auch
verloren gegangen. Sie aufzuarbeiten wäre ein Lebensprojekt.“
14 Kulturmagazin
Kunst aus der Realität. Abiona
Esther Ojo,Absolventin der Klasse
Bildhauerei/Raumstrategien.
Kulturmagazin 15
In ihrem Element. SaraLanner,
Absolventin der Performativen
Kunst,Klasse Carola Dertnig.
Sie hat ein abgeschlossenes Tanzstudium und ist als Choreografin,
freischaffende Tänzerin und Performance-
Künstlerin tätig. Trotzdem entschied sich Sara Lanner,
nochmals zu studieren, und machte2015ander Akademie
die Aufnahmeprüfung für Performative Kunst. „Ich wollte nicht
nur interpretativ arbeiten, sondern auch in neuen Formaten und
Kollaborationen. Es interessiert mich, Dinge zuübersetzen und in
einen anderen Kontext zubringen“, sagt sie. „Die Performance ist
mein ganz persönliches Interesse. Schon als Kind hatte ich mir
kleine Szenen, Performances, Choreografien ausgedacht.“ In ihrer
Kunst arbeitet SaraLanner daran, die unterschiedlichen performativen
Traditionen zusammenzuführen. „Für viele bin ich ein Alien,
weil der Graubereich zwischen Tanz und Kunst noch nicht sehr
ergründet ist.“ Oft ergänzt und erweitert sie den Raum der Performance
um skulpturale Elemente, Objekte oder Wandzeichnungen.
Oder sie entwickelt Performances für Galerieräume, die später auf
Bühnen aufgeführt werden. „Ein Galerie- oder Ausstellungsraum
ermöglicht, anders als ein Bühnenraum, die Performance nicht
nurzukonsumieren, sondern direkt zu erleben. Das istein Prozess
desgemeinsamen Denkens zwischen mir und dem Publikum.“
16 Kulturmagazin
Grenzgänger. Christian Rothwangl,
Fachbereich Grafik und
druckgrafische Techniken.
Die Bilder von Christian Rothwangl kommen bald farbigbunt
daher, bald sind sie reduziert auf die Nichtfarben
Schwarz, Grau und Weiß. Bisweilen präsentieren sie sich
linear, jasogar recht filigran, mit einem Schuss Ornamentalität,
dann aber auch wieder recht flächig und orientieren
sich an Alltagsobjekten als einfachen Formvorlagen. Als Materialien
verwendet Rothwangl Tusche ebenso wie Acrylfarbe, als Malwerkzeug
eher Pinsel als spitze Stifte.
Ist es nun Malerei oder Zeichnung? Esist der schmale Grat zwischen
diesen beiden Medien, dem sich der gebürtige Steirer, Jahrgang
1993, der nach dem Studium in Wien, London und Hamburg
sein Diplom nun imFachbereich Grafik und druckgrafische Techniken
bei Christian Schwarzwald ablegen wird, mit seinen Arbeiten
verschrieben hat. „Ich bin irgendwann an einen Punkt gekommen,
wo ich die Farbe gebraucht habe“, sagt er. Mit seiner
Abschlussarbeit geht Christian Rothwangl noch einen Schritt weiterund
stellt einer Gruppe vonkleinformatigen Werken eine übergroße,
in die Waagrechte gekippte Bodenarbeit imAusmaß von
mehr als zwei mal vier Metern entgegen. Die Erfahrung desRaums
wirdauf diese Weisevon der Malerei buchstäblich ins Bild geholt.
Kulturmagazin 17
Pille-Riin Jaik hat inden letzten Jahren
Filme und Videos vorgelegt, deren Bildsprache
und Atmosphäre von dunkler
Melancholie geprägt sind. Aufmerksamkeit
erregte die estnische Künstlerin auch mit
handgemachten Papierblumen aus zerschnittenen
Archivmaterialien der Akademie, mit denen
sie versuchte, dem viele Jahrzehnte erschwerten
Zugang von Frauen zum Studium materielle
Form zu geben. Als medienspezfisch würde
Jaik – sie hatte in Tallinn Fotografie studiert,
bevor sie 2015 nach Wien an die Klasse Kunst
und digitale Medien vonConstanze Ruhm kam –
ihre Arbeitsweise jedoch nicht beschreiben.
„Abhängig vom Konzept und den äußeren Rahmenbedingungen
variiert mein Medium zwischen
Videokunst und Performance bis hin zu
performativenSkulpturen“, sagtsie.
Immer wieder kommen auch recycelte Materialien
ins Spiel, von Abfall, alten Textilien, Archivalien
bis hin zu eigenen wiederverwerteten
Arbeiten. Die Videoaufnahmen für ihr neuestes
Filmprojekt „Xeroines“ –eine Multichannel-Installation,
die zugleich auch ihre Abschlussarbeit
ist –hat sie im Sommer in Estland gedreht. Über
Bilder von Schauplätzen wie aufgegebenen, von
der Natur überwucherten Kasernen legt sich
wie eine Geisterstimme aus der Vergangenheit
eine Tonspur mit feministischen Texten von
Philosophinnen und Schriftstellerinnen.
Multimedial. Pille-Riin Jaik ist
Absolventin des Fachbereichs
Kunst und digitale Medien.
18 Kulturmagazin
TONKÜNSTLER
ORCHESTER
NEUJAHRS–
KONZERT 2021
IM MUSIKVEREIN
WIEN
SO 3 JÄN 21,15.30 UHR
DI 5 JÄN 21, 15.30 UHR
DO 7JÄN 21,19.30 UHR
Tickets von 30bis 75 Euro
Sopran BEATE RITTER
Dirigent ALFRED ESCHWÉ
T: +43 1586 83 83
tickets@tonkuenstler.at
tonkuenstler.at
O R C H E S T E R
20 Kulturmagazin
Danielle Pamps Kunst ist queer und voller
Widersprüche. Ihre Bilder und
Zeichnungen umkreisen geradezu
obsessiv die eigene Gefühlswelt. Wie
ein roter Faden durchzieht die Auseinandersetzung
mit der eigenen Geschichte und Identität
ihr Werk. Dem steht eine geradezu kristallin
anmutende analytische Darstellungs- und Sichtweise
gegenüber –als würden die Verhältnisse
durch ein Vergrößerungsglas betrachtet. Klare
Farben, harte Kontraste und Linien dominieren.
„Ich habe eine sehr existenzielle Perspektive,
meine Themen sind immer autobiografisch“, sagt
Danielle Pamp,„es geht um Erinnerungen, Erfahrungen,
Transgenderness und das alltägliche
Leben vonPersonen, die wie ich sind.“
In ihrer Diplomarbeit im Fachbereich Grafik und
druckgrafische Techniken setzt sich Pamp auf
der Grundlage von Alben und Archiven mit den
Geheimnissen, Geschichten und Traumata ihrer
Familie auseinander. Aufgewachsen in einer
Künstlerfamilie –die Großmutter war Malerin,
der Großvater Bildhauer, die Mutter Textilkünstlerin
–, war die Beschäftigung mit künstlerischen
Dingen für das Kind etwas Organisches. Mehr
und mehr wurde allerdings die religiöse Obsession
von Teilen der Familie zum Auslöser von
Konflikten und Zweifeln –bis hin zum Bruch.
Erinnerungsarbeit. Danielle
Pamp kam2015 aus Stockholm
zum Studium nach Wien.
„Der Wunsch, die Kunst weiterhin real zu zeigen, hatimmer bestanden.“
Sie ist der krönende Abschluss des Studienjahrs
und ein Fixpunkt im Kalender von Künstlern
und Studierenden, Sammlern, Galeristen, Ausstellungskuratoren,
Kunstkritikern und anderen
Kunstprofis: die Präsentation der Abschluss- und Diplomarbeiten
an den Kunstuniversitäten. Dabei treffen
verschiedene Interessen aufeinander: Die einen wollen
sich und ihre Kunst zeigen, die anderen künstlerischen
Nachwuchs scouten, sei es für die eigene Sammlung,fürs
Galerieprogramm oder für kommende Ausstellungsprojekte.
Und viele wollen sich einfach nur
informieren.
Während die Diplomausstellung der
Akademie der bildenden Künste Wien
üblicherweise inder letzten Juni-Woche
stattfindet, ist in diesem Jahr alles
anders. Nicht nurhat sich die Sanierung
des Hauptgebäudes am Schillerplatz
etwas verzögert. Auch der Juni-Termin
ist der Pandemie zum Opfer gefallen.
Eine Präsentation im Herbst ist zwar
nicht irregulär, allerdings stehen aufgrund
des laufenden Betriebes imAusweichquartier
Augasse 2–6 in der ehemaligen
Wirtschaftsuni eigentlich keine
Räume zur Verfügung. „Es ist immer
noch Sommersemester, aber wir sind in
der Nachfrist“, sagt Ingeborg Erhart,
Vizerektorin für Kunst und Lehre. Diese
Nachfrist bringt noch einen weiteren
Umstand mit sich: Eine überdurchschnittlich
große Anzahl ausstellungswilliger
Absolventen und Absolventinnen.
„Weil sich viele Termine nach
hinten verschoben haben, gibt es in diesem
Jahr viel mehr Diplomierende“, erklärt Ingeborg
Erhart.
Ausstellen im Nachsommer. Die Möglichkeit, sich im
zentral gelegenen Stephanushaus mit einer Pop-up-Ausstellung
zu präsentieren, bevor das ehemalige Priesterund
Gästehaus mit dem Sechziger-Jahre-Flair in ein Caritashotel
umgebaut wird, kam daher wie gerufen. Ein
zweiter Schauplatz ist die „Spezialschule für Bildhauerei“
als Außenstelle in der Kurzbauergasse. Das Format
Ausstellung stand dabei zu keinem Zeitpunkt in Frage.
„Es bestand an der Akademie immer der große Wunsch,
mit den Abschlussarbeiten nicht in den digitalen Raum
auszuweichen, sondern die Kunst weiterhin real zu zeigen.
Sowohl das Rektorat als auch der Ausstellungsbereich
waren der Meinung, dass ein schnelles Switchen
des Präsentationsmodus nicht ideal ist“, sagt Stephanie
Expertise. Vizerektorin
Ingeborg
Erhart und Ausstellungskuratorin
Stephanie
Damianitsch.
Tipp
„Parcours.Abschlussarbeiten.2020“.
14. 11.–22. 11.2020,
magdas HOTEL im Stephanushaus,Ungargasse
38,
1030 Wien &Bildhauerateliers,
Kurzbauergasse 9,
1020 Wien, www.akbild.ac.at
Damianitsch. Sie ist nicht nur Kuratorin der Abschlussausstellung,
sondern an der Akademie generell für den
Ausstellungsbereich verantwortlich, sowohl auf der
praktischen als auch theoretischen Ebene.
Mehr und mehr verfestigte sich der Gedanke, „lieber
zuzuwarten und etwas richtig Großes zumachen“, so
Damianitsch. „Die Möglichkeit, spannende Arbeiten in
einer solchen Dichtezupräsentieren und alle Fachbereiche
und Medien zu einem Überblick zu bündeln, haben
wir sonst nicht.“ Mit Ausnahme einiger theoretischer
Arbeiten, die aus diversen Gründen
digital oder hybrid eingereicht wurden,
werden nun rund 50 Abschlussarbeiten
aus den verschiedenen Instituten „in
echt, Farbe und live“ präsentiert. Das
Gros stellt dabei das Institut für bildende
Kunst (IBK) mit seinen siebzehn
Fachbereichen von Abstrakter Malerei
bis Zeichnen. Jede Arbeit kann hier als
Einzelpräsentation in einem eigenen
Raum präsentiert werden. Dazu kommen
die Diplome der Institute für Konservierung/Restaurierung,
Architektur
künstlerischesLehramt,Kunst- undKulturwissenschaften
sowie Naturwissenschaften
und Technologien. Die Absolventen
des Master in Critical Studies
werden auf einer eigenen Etage eine
kompletteAusstellung entwickeln. „Dieser
Ort hier ist sehr reizvoll“, sagt
Damianitsch. „Man darf aber nicht übersehen,
dass die Ausstellung zugleich
auch die Diplomprüfung ist.“
Generell rückt das Ausstellen auch in
der Lehre wieder verstärkt in den
Fokus Das soll sowohl im Haus mehr etabliert werden
als auch in die Öffentlichkeit hinausgetragen werden.
Ingeborg Erhart: „Ausstellen und Praxis sollen als Themen
mehr mit der künstlerischen Produktion verbunden
werden. Ich muss bereits als Student lernen, mit
einer räumlichen Situation umzugehen.“ Stephanie
Damianitsch, die als Kuratorin auch in Form von Team-
Teachings immer wieder indie verschiedenen
Fachbereiche miteinbezogen wird, beobachtet
zudem, dass Diplome zunehmend als Ausstellungsgut
interessant werden. „Umso wichtiger
ist es, sich schon während des Studiums Reflexionsgabe
anzueignen. Ein Kurator erzeugt
immer eine Narration. Was passiert dabei mit
meiner Arbeit? Es ist wichtig, das zu verstehen,umsich
und seine Kunst nichtinstrumentalisieren
zu lassen.“ e
22 Kulturmagazin
ABSTRAKT
geometrie+konzept
24.09. 2020–10. 01. 2021
Burggasse 8|9021Klagenfurt am Wörthersee
Di–So 10.00–18.00, Do 10.00–20.00 Uhr | www.mmkk.at
Esther Stocker, o.T., 2007, Acryl auf Baumwolle, 140 x160 cm (Detail)
Foto: Ferdinand Neumüller |Bezahlte Anzeige
Vernetzt. Angela Stief ist seit Sommer
Chefkuratorin der Albertina Modern.
Denkräume für
neue Köpfe
Elfenbeinturm war gestern. Kunst hat heute mit
Öffnung, Offenheit und Öffentlichkeit zu tun. Über
drei neue Protagonisten der Wiener Kunstszene.
Text: Johanna Hofleitner
Fotos: Christine Pichler
Sie liebt große Brillen, schrille Outfits,
die Kunst von Outsidern und
die Freiheit, die sie aus ihrer
Arbeit mit der Kunst zieht. Diese
Freiheit hat Angela Stief die letzten sieben
Jahre ausgekostet und genossen, bevor sie
Albertina-Direktor Klaus-Albrecht Schröder
im Juli als neue Chefkuratorin der
Albertina Modern vorstellte. Eine Fülle
freier Projekte und ihr Beitrag zur Eröffnungsschau
der Albertina Modern über
das Kunstgeschehen in Österreich von1945
bis 1980, „The Beginning“, waren eine hinreichend
starke Empfehlung.
Vice versa nahm die frühere Kuratorin der
Kunsthalle Wien bereitwillig die Herausforderung
an, fortan mit dem insgesamt rund
60.000 zeitgenössische Werke umfassenden
Bestand beziehungsweise eigentlich
sämtlichen 400.000 Inventarnummern der
Albertina zu arbeiten. „Dieser Reichtum des
Hauses gefällt mir und erfreut mich“, sagt
sie. „Denn ich bin nicht nur Kuratorin für
zeitgenössische Kunst,sondernauch Kunsthistorikerin.
Darum interessiert mich die
Befragung von Geschichte extrem.“ ImFall
von „The Beginning“ war das etwa die Auseinandersetzung
mit den Wurzeln der zeitgenössischen
österreichischen Kunst. Stief:
„Als Kuratorin muss ich auch Ordnungskriterien
schaffen und den Zeitgeist zeigen,
derdamalsherrschte.“
Für ihr nächstes großes Projekt in der
Albertina Modern richtet Stief ihr Augenmerk
auf die 1980er-Jahre. Hier will sie
auch weniger bekannte Positionen zeigen,
die aber etwas Eigenständiges und Neues
begonnen haben –abseitsvon Strömungen.
„Ich hatte immer schon ein Faible für Solitäre“,
sagt sie. In diesem Sinn interessiert
sie etwa eine Künstlerin wie Birgit Jürgenssen
in all ihrem Facettenreichtum. Ein
anderer Aspekt des Projekts ist die Gegenüberstellung
der Malerei der Neuen Wilden
mit der Kunst der amerikanischen Pictures-Generation
und der Transavanguardia.
Expression trifft hier auf Appropriation,
Figuration aufAbstraktion. Ein Anliegenist
es ihr schließlich, den Frauenanteil in den
Ausstellungen zu erhöhen.
„Ich will mit dem, was ich tue, nicht nur
eine Elite bedienen, sondern habe auch
einen Bildungsauftrag“, beschreibt sie ihr
Credo. Deswegen hat sie sich auch ausbedungen,
neben der Museumsarbeit weiterhin
freie Projekte realisieren zu können –
als Kuratorin der Vienna Art Week bei-
24 Kulturmagazin
spielsweise oder der Ausstellungen der
Österreichischen Gesellschaft vom Goldenen
Kreuze, für die sie seit 2018 Outsider-
Ausstellungen programmiert.
Nah ander Gegenwart. Sie hat Kunstgeschichte
und Politikwissenschaft an der
Universität Wien und Critical Studies an
der Akademie der bildenden Künste Wien
studiert sowie Erfahrungen bei der Architekturbiennale
und als wissenschaftliche
Mitarbeiterin im Kulturbereich gesammelt.
Frauenfragen und Geschlechtergerechtigkeit
sind Katharina Brandl genauso ein
Anliegen wie die Offenheit für die Fragen
der Zeit. Hier laufen die verschiedenen
Fäden zusammen, die die junge Kuratorin
und Wissenschaftlerin vor eineinhalb Jahren
bewogen haben, sich um die Position
der künstlerischen Leitung des Kunstraums
Niederösterreich zu bewerben. Das
programmatische Bekenntnis des Ausstellungsraums
zur Zeitgenossenschaft und
Brandls eigene interdisziplinäre Neugier
»
Interdisziplinär.
Katharina Brandl leitet
seit Herbst 2018
den Kunstraum
Niederösterreich.
„Wir wollen mit dem Kunstraumeine Atmosphäre
schaffen, die wohlwollend und gutheißend sein soll.“
KARLSRUHE
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art-karlsruhe.de/
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Klassische Moderne und Gegenwartskunst
25.–28. Februar 2021 |Messe Karlsruhe
www.art-karlsruhe.de
Expositur. Johan Frederik
Hartle, Rektor der
Akademie der bildenden
Künste Wien.
bevor 2019 dann der Ruf andie Akademie
der bildenden Künste Wien folgte –eine
Stadt, die für Hartle kein Neuland ist, hatte
er hier doch 2001 ein Verlagsvolontariat
gemacht. Seine Aufgaben als Rektor hatte
er sich aber wohl anders vorgestellt. Während
die Bereiche Forschung und Internationalisierung
sowie die Profilierung des
Verhältnisses von Kunst und Öffentlichkeit
als Schwerpunkte auf der Agenda stehen,
drängte sich mit dem Lockdown die Frage
des Pandemie-Krisenmanagements in
Zusammenhang mit der Einschränkung
des Lehrbetriebs in den Vordergrund.
Hartle: „Corona ist ein anderer sozialer
Aggregatzustand.“
Ein großes Projekt ist die Rückübersiedlung
der Akademie im Winter ins sanierte
Hauptgebäude am Schillerplatz. Dann
kann auch wieder mit dem Haus gearbeitet
werden. „Die Potenziale der Akademie sollen
dann wesentlich stärker genutzt und
sichtbar gemacht werden“, sagt er. „Es gilt,
aus der Wechselwirkung von Gegenwart
und Vergangenheit neue Erlebnisräume zu
schaffen. Wir wollen aber die Schillerplatz-
Fixierung auch hinter uns lassen und hi-
Es geht um Sichtbarkeit.Die Kunst hateine strukturelle
Verpflichtung,auch in öffentliche Räume einzugreifen.
»
ergaben ein perfektes Matchmaking. „In
welcher Zeit leben wir eigentlich? Was
bedeutet es, wenn wir davon sprechen, in
einer algorithmisierten Gegenwart zu
leben?“, beschreibt sie ihren Ansatz, dessen
Prämisse es ist, stetsnah an der Gegenwart
zu sein. Das spiegelt sich auch in den
Themen der von Katharina Brandl programmierten
Gruppenausstellungen: Da
geht es um die gesellschaftlich geringe
Relevanz von Fürsorge heute, Fragen der
Unsterblichkeit, die Zukunft der Natur in
einer technologisierten Gegenwart. „Die
Gegenwartskunst hatoft einen elitistischen
Hauch“, sagt sie. „Dem wollen wir entgegensteuern
durch eine Atmosphäre, die
gut, wohlwollend und gutheißend sein soll
–auch im Umgang mit den Künstlern und
Künstlerinnen, von denen viele hier zum
ersten Mal Erfahrungen in der Zusammenarbeit
mit einer Institution machen.“ Und
schließlich ist ihr auch die Vermittlung ein
großesAnliegen. „Der Sinn öffentlicher Institutionen
ist es, zum Diskurs beizutragen“,
sagt Brandl. „Als Denk- und Wahrnehmungsraum
können wir Geschichten
erzählen und Räume schaffen, die vielleicht
neue Zugängezur Welt schaffen.“
Sichtbarkeit erzeugen. Johan Frederik
Hartles Spezialgebiet ist die Philosophie.
Seit 2008/09 lehrte er dazu an zahlreichen
Universitäten von Vancouver bis Hangzhou.
Eine Professurander Hochschule für
Kunst und Gestaltung in Karlsruhe mündete2018
in ein kommissarischesRektorat,
nausgehen.“ Vorstellbar sind Pop-up-Situationen
oder Zwischennutzungen. Hartle:
„Ausstellungen sind eine Praxisform, die
eine Öffentlichkeit adressiert. Die Kunst
hat aber auch die strukturelle Verpflichtung,
inöffentliche Räume einzugreifen.“
Da schwingt nicht nur die Absicht mit,
mehr Sichtbarkeit zu erzeugen, sondern
auch der Wunsch nach mehr Quadratmetern.
Und auch die Lehre soll internationalisiert
werden – inhaltlich wie personell.
„Es geht um die Dekolonialisierung der
Kunst –darum, den nordatlantischen Blick
zu überwinden und auch Partnerschaften
mit Schwellenländern einzugehen“, sagt
Hartle. „Denn die Anzahl internationaler
Lehrender steht in keinem Verhältnis zur
Internationalität derStudierenden.“ e
26 Kulturmagazin
Kulturherbst in Krems
ENTGELTLICHE EINSCHALTUNG
Die Kunstmeile Krems als einzigartiges Kulturareal in der bezaubernden Doppelstadt
Krems-Stein verspricht auch im Herbst hochkarätige Ausstellungen am Torzur Wachau.
Ausstellungsansicht im Karikaturmuseum Krems.
Die Landesgalerie Niederösterreich überzeugt
auch durch ihre Architektur.
Die Fotoserien von Robin Rhode sind noch
bis 1. November zu sehen.
Die Landesgalerie Niederösterreich
hat sich als wichtiger
Kulturträger etabliert.
Fotos: Faruk Pinjo, Raffael F. Lehner, Christian Redtenacbher, The Artist Robin Rhode
Die Landesgalerie Niederösterreich ist das
jüngste Ausstellungshaus auf der Kunstmeile
Krems. Der spektakuläre Museumsneubau
am neuen Museumsplatz antwortet mit
Themen- und Personalausstellungen auf Fragen der
Gegenwart. Die aktuelle Ausstellung „Spuren und Masken
der Flucht“ ist eine der wenigen musealen Kunstausstellungen
der letzten Jahre, die sich mit einem der
gesellschaftspolitisch relevantesten Themen unserer
Zeit auseinandersetzen: mit Flucht und Migration. Die
Schau möchte jenseits von kolportierten (Flüchtlings-)
Zahlen und Fakten, jenseits medialer Aufregungen und
politischer Debatten mittels einzelner künstlerischer
Positionen und Werke individuelle Geschichten erzählen.
Mit Malereien, Fotografien, Videoarbeiten, Installationen
und Skulpturen geht sie den Fragen nach, welche
Schicksale sich hinter medial erzählten Fluchtberichten
verbergen, was es für den einzelnen Menschen
heißt, seine Gemeinschaft zu verlassen, sich in völlige
Unsicherheit und Lebensgefahr zu begeben und –
wenn die Flucht gelingt –ineinem fremden Land
heimisch zu werden.
Internationales Kunstschaffen und Comic-Helden der
1960er-Jahre. Ebenso am Museumsplatz liegt die
Kunsthalle Krems, das internationale Ausstellungs-
Tipp
Kunstmeile Krems,
Museumsplatz 5,3500 Krems
Mehr zumAusstellungsprogramm
&Öffnungszeiten:
www.lgnoe.at
www.kunsthalle.at
www.karikaturmuseum.at
www.forum-frohner.at
haus des Landes Niederösterreich für zeitgenössische
Kunst. Bis 1. November sind noch die farbgewaltigen
Fotoserien in Street-Art-Ästhetik des südafrikanischen
Künstlers Robin Rhode zu sehen. Ab 21. November
widmet die Kunsthalle Krems der indonesischen Fotografin,
Filmemacherin und Videokünstlerin Fiona Tan
die erste große monografische Ausstellung in Österreich.
Das gegenüberliegende Karikaturmuseum
Krems zählt zu den wichtigsten europäischen Museen
seiner Art. Die Sonderausstellung „Fix &Foxi XXL. Die
Entdeckung der Schlümpfe, Spirou und Lucky Luke“
präsentiert die bunte Welt der Comic-Helden der
1960er-Jahre.
Adolf Frohner und seine Zeit. Nur fünf Gehminuten
vom Museumsplatz entfernt befindet sich das Forum
Frohner im Komplex des ehemaligen Minoritenklosters.
Das Forum ist dem Schaffen des österreichischen
Künstlers Adolf Frohner und seiner Zeit
gewidmet. In der aktuellen Ausstellung „Antworten
auf die Wirklichkeit“ werden Frohners
Begegnungen mit dem Nouveau Réalisme
beleuchtet. Frohner lernte die Kunstströmung
auf seinen Reisen nach Paris in den 1960er-
Jahren kennen, die anschließend deutlichen
Niederschlag in seinen Werken fand.
Kulturmagazin 27
Hausgemeinschaft. Permanent
am Werk in der
Burggasse 98 sind Martijn
Straatman, Maria Scharl,
Frank Maria, Niklas Worisch,
Teresa Berger (v.l.).
kaufen kann, etwa in Form eines Tickets –
da sind keine Limits gesetzt“, so Frank
Maria. Niklas Worisch und er leiten gemeinsam
die Aktivitäten der Burggasse 98.
Frank Maria hat an der Akademie der bildenden
Künsteinder Klasse für Grafik und
druckgrafische Techniken bei Gunter
Damisch studiert, Worisch an der renommierten
Designacademy Eindhoven in
den Niederlanden –inder Burggasse vermengen
sich ihreTätigkeitsbereiche.
Erweiterter
Originalbegriff
Hinter der bemalten Fassade eines Hauses inder
Wiener Burggasse tut sich ein Kreativraum auf, der
Kunst und Design zusammenbringt. Text: Paula Watzl
Designgalerie, Kreativhub und
interdisziplinäre Produktionsstätte.
Die Burggasse 98, das
bemalte Haus am oberen Ende
der quirligen Burggasse in Wien Neubau,
hat sich schon oft neu erfunden und kann
wohl als Gesamtkunstwerk des21. Jahrhunderts
gelten. Mit einem Containerpool vor
dem Gebäude hat man im Sommer
2019 dem Gürtelprojekt von 2020 vorgegriffen;
mit dem Festival „Design
Days“ konnte wiederholt eine aufstrebende
Designergeneration nach Wien
geholt werden, und mit diversen Projekten
an der Seite von Starkoch Lukas
Mraz testen die Betreiber immer wieder
die fluiden Grenzen desLabels „Design“
aus, etwa mit der Herausgabe limitierter
Kunstkochbücher und Pop-up-Happenings
zur Präsentation dieser.
„Auch Events sind für uns Kunst. Ein
Happening kann Kunst sein, die man auch
28 Kulturmagazin
Intelligente Serie. Die zweite Edition von B-98
schufen Elisa Alberti und Simone Oberlechner.
Leistbare Kunst. Kunst und Design sind
die Ankerpunkte des Hauses, ein Haus,
das selbst Kunstwerk ist. Die Fassade
wurde 2014 von wichtigen Protagonisten
der Wiener Street-Art, nämlich Knarf,
Mafia Tabak und Fresh Max, bemalt, ist
aber, wie alles an dieser Adresse, kein
festgeschriebener Umstand, sondern im
Wandel begriffener Zwischenstatus. Ein
Projekt, das sich nun allerdings als permanent
herauskristallisiert, ist die Marke
„B-98“. Unter dieser Formel werden seit
Anfang des Jahres leistbare Kunsteditionen
produziert, die nah am Design
gedacht werden.
Gebrauchsdesign mit Kunstanspruch,
von eingeladenen Künstlern und Designern
konzipiert: Die erste so gestaltete
Edition ist eine aus Beton gegossene
Lampe von Designer Anton Defant und
Architekt Rupert Zallmann (Madame
Architects), die inzwischen vergriffen ist.
„Bei der Untersuchung der Eigenschaften
von flüssigen Gießmaterialien wie Beton
und Gips spielt das Duo mit dem Maßstab,
indem es die Grenze zwischen funktionellem
Objekt, Skulptur und architektonischen
Referenzen verwischt“, sagen die
Herausgeber über das Projekt.
Ehe 2021 eine Edition mit Industrial
Designer Marco Dessí in Produktion geht,
wirdEnde Oktober die zweiteEdition lanciert
– eine Vase in 30 Ausformungen,
geschaffen von Elisa Alberti und
Simone Oberlechner. Anders als bei
herkömmlichen Kunsteditionen handelt
es sich nicht um 30 idente
Abzüge, die signiert und durchnummeriert
werden, sondern um 30
Einzelstücke, die als eine „intelligente
Serie“, wie es heißt, produziert
werden und ab 120 Euro erhältlich
sind.
Edition kommt vom lateinischen
„editio“ und bedeutet „Herausgabe“
und bezeichnet ganz generell einen angenehmen
und niederschwelligen Einstieg
Fotos: Niko Havranek, Eva Lena Gagern.
„Wir versuchen Künstler dazu zu bringen, Dingezutun,
die sie normalerweisenicht machen würden.“
in die Welt des Kunstkaufs. Denn daEditionen
den Begriff„Original“erweitern, sindsie
günstiger als einzelne, eigenständige Kunstwerke.
BeiB-98 verbindensich die Ideenvon
Original und Serie zueiner neuen Mischform,
wie überhaupt das Verbindende großgeschrieben
wird. „Wir wollen Gebrauchsgegenstände
leiwand machen“, erklärt Frank
Mariadie Visionvon B-98.
Elisa Alberti ist eine erfolgreiche, aufstrebende
bildende Künstlerin, Simone Oberlechner
ist Sozialarbeiterin und Keramikerin:
Auch außerhalb der jeweils angestammten
Disziplin neue Techniken zu
erarbeiten und Ideen sowie Kompetenzen
zusammenzuführen ist eine der Grundideen
der B-98-Editionen, deren Initiatoren
zur Erstpräsentation des Objekts am
31. Oktober auch ein großes Gesamterlebnis
mit frischer Ofenpizza von Lukas Mraz
planen. Doch B-98 sorgt nicht nur für Aufmerksamkeit
rund um Kunst und Design,
sondern sieht sich vor allem als „Ermöglicher“
und begleitet die Editionen oft auch
essenziell in der technischen Umsetzung.
Produziert wird direkt in der Burggasse,
schließlich findet sich im Untergeschoß ein
Produktionsparcours der Sonderklasse –
vom eigenen Keramikofen über eine Siebdruckmaschine
biszum Metallraumfür die
gröberen Arbeiten.
Permanent werden diese Werkstätten von
den Jungdesignern Martijn Straatman (Studio
Tinus) und Teresa Berger, die beide an
der Designacademy Eindhoven studiert
haben, und Maria Scharl, die an der New
Design University St. Pölten studiert hat,
genutzt, doch auch Gäste sind willkommen.
Im Keller der Burggasse 98 wird
einerseits Beton gegossen, während andererseits
auch Projekte entstehen, die im
Stadtraumauf Betongespraytwerden.
Kunst-Design-Schmelze. Etwa in Zusammenarbeit
mit Kunst im öffentlichen Raum
Wien (KÖR), für die man gemeinsam mit
„Wien 3420“ und der „Inoperable Gallery“
das Mural-Projekt „Beautification“ des
internationalen Stardesigners Stefan Sagmeister
und dessen Grafikbüro Sagmeister
&Walsh inder Seestadt ausführte. Typografien
und grafische Elemente, welche die
Wand entlang der Janis-Joplin-Promenade
„verschönern“, wurden von Sagmeister initiiert
und von der Designagentur B-98 im
Sommer 2019 ausgestaltet. Beratend und
ausführend agieren Niklas Worisch und
Frank Maria inProjekten wie diesen. „Wir
versuchen die Schmelze von Kunst und
Design zu pushen“, so Worisch, „wollen
Künstler dazu bringen, neue Techniken zu
erproben und Dinge zutun, die sie normal
nicht machen würden. Wir machen das
dann technisch möglich.“Neben den Werkstätten,
dem Showroom und einem vielfältig
genutzten Hof gibt es im Haus auch ein
Artist-in-Residence-Studio, ein Piercingstudio
und ein Filmschnittstudio.Ein kollegialer
Kreativcluster, der die Coronazeit
zur eigenen Professionalisierung nutzen
konnte und mit seinen Designeditionen
nuneine kleine Marktlückeauftut. e
Tipp
Launch-Event.Die zweite
Edition des B-98-Labels wird
am 31. Oktober vorgestellt,
14–20 Uhr,Details auf
www.burggasse98.com
NACH UNS DIE
Frank Thiel, Perito Moreno #04, 2012-2013 ©Frank Thiel, Bildrecht, Wien, 2020
BIS 14.02.21
UntereWeißgerberstraße 13 |1030 Wien |Täglich 10:00-18:00 | www.kunsthauswien.com
Flower-Power. In ihren performativ
angelegten Werken arbeitet die
Künstlerin Elisabeth von Samsonow
auch mit Mythen und Ritualen.
Fotos: Schreibtisch der Anthropologin, 2020 Astrid Bartl; eSeL.at/Lorenz Seidler;;
30 Kulturmagazin
Geheimnisse von
Kunst und Alltag
Unter dem Motto „Living Rituals“ erschließt die
Vienna Art Week einmal mehr neue Wege der
Kunstvermittlung und -präsentation.
Text: Johanna Hofleitner
Die bevorstehende Vienna Art Week hat diesmal
„Living Rituals“ als Motto auf ihre Fahnen
geschrieben. Dabei ist die Kunstwoche, die
2020 zum 16. Mal stattfindet, inerster Linie
selbst ein Ritual. Mit ihrem geballten Programm aus
Talks, Screenings, Touren, Panels, Performances und
dergleichen ist sie ebenso ein fixer Teil des Kunstjahres,
wie Ostern oder Weihnachten zum bürgerlichen Kalender
gehören –einzig, dass es in diesem Jahr mit der
Selbstverständlichkeit nicht ganz so weit her ist.
„Im März haben wir uns schon kurz gefragt, ob wir das
Ganze überhaupt durchführen können“, sagtVienna-Art-
Week-Chef Robert Punkenhofer. Der umtriebige Kulturmanager,
Networker, Kunst- und
Ideensammler, Entrepreneur, Designliebhaber
und bis2017Wirtschaftsdelegierte
in Barcelona hatte die Kunstwoche
2004 ins Leben gerufen und
seitdem als Mastermind von einer
anfänglich sehr elitären Veranstaltung
in Richtung eines offenen Formats
entwickelt. „Uns war schnell
klar: Wir wollen das auch in diesem
Jahr machen.“
Kein Mangel an Ideen. Das durch
den Lockdown notwendig gewordene
Umdenken in Richtung Digitalisierung
auf allen Ebenen (was in vielen
Bereichen als Sprung ins kalteWasser
erlebt wurde) hatte die Vienna Art
Week bereits vorbereitet durch eine
digitale Plattform, auf der seit Herbst
2019 laufend Content geliefertwurde.
Auch an Leitmotiven und Slogans
bestand kein Mangel. Was inVor-Corona-Zeiten
als „Vienna ArtWeekYearAround“programmiertworden
war, wurdeimKrisenjahr 2020 zur Durchhalteparole
umgepolt: „Vienna Art Week in Times ofCrisis“.
So konntevon Anfang an digital geplant werden –bis hin
zur Möglichkeit der digitalen Durchführung von Veranstaltungen
–eine Option, die angesichts beschränkter
Teilnehmerzahlen wohl oder übel zumindest mitgedacht
werden muss. Vor diesem Hintergrund war es
auch mehr als logisch, für diese Ausgabe insbesondere
Künstlerinnen und Künstler, Akteurinnen und Akteure
Studio-Flair. Während
der Open
Studio Daysgewähren
rund 100
Künstlerinnen und
Künstler Einblicke
hinter die Kulissen
ihres Schaffens.
„Der ritualisierte Körper isteine
prunkvolle Bühne, in die sich
Geheimnisse und Gottheiten
einschreiben.“
Byung-Chul Han
in den Blick zu nehmen, die in Wien leben und arbeiten –
ein Appell, der auch an die Programmpartner weitergegeben
wurde. Think global, act local sozusagen, neu
gedacht.
Lebendige Rituale. „Living Rituals“ also. Das Leitthema
impliziert gleichermaßen ein Plädoyer dafür, Rituale zu
leben, wie auch die Intention, den Fokus auf lebendige
Rituale zu legen. Pate stand dafür der koreanisch-deutsche
Philosoph Byung-Chul Han mit seinem Essay „Vom
Verschwinden der Rituale“, in dem er sich für eine Rehabilitierung
des Begriffs nicht zuletzt auch in einem
lebensästhetischen Sinn einsetzt: „Der ritualisierte Körper
ist eine prunkvolle Bühne, in die sich Geheimnisse
und Gottheiten einschreiben“, schreibt er. Die Art Week
denkt nundas Ritual gewissermaßen fort –ineinem vorrangig
zeitgenössischen, allgemeinen und philosophischen
Sinn: als nicht nur, aber auch strukturgebender
Bestandteil desLebens, vomAlltag biszur Kunst: vonder
Morgentoilette über die Zigarette danach bis zuBegrüßungsritualen,
neumodische wie der Wuhan-Shake oder
der Thai-Gruß miteingeschlossen; vom Mund-Nasen-
Schutzgar nicht zu reden.
Um zur Kunst zurückzukehren: Auch Künstler haben
Rituale. Allein der Gang ins Atelier selbst leitet ein Ritual
ein: Sich tagaus, tagein der Kunst hinzugeben. Der Zeichner
Klaus Mosettig treibt es weiter, indem er, kaum dass
er sein Atelier betritt,allmorgendlich unzähligeBleistifte
spitzt.Oft wohnen auch der Kunst selbst rituelle Formen
inne –imFall desMalersRobertSchaberl
zum Beispiel der Kreisel, an dem
er sich in konzentrisch-abstrakten Bildern
seit Jahrzehnten in immer
neuen Formatenund Farbvariationen
abarbeitet. Die Künstlerphilosophin
Elisabeth von Samsonow wiederum
bringt das Thema in all seiner Schönheit
und Selbstbezüglichkeit aufs
Tapet,wenn sie sich selbst als Subjekt
ins Zentrum des „Schreibtischs der
Anthropologin“ setzt. Für Hermann
Nitsch schließlich stehen Rituale per
se im Zentrum seines Lebenswerks
„Orgien-Mysterien-Theater“.
Solchen und noch viel mehr Zugängen
spürt die Vienna Art Week nach.
Acht Tage lang legt sie Fährten,
knüpft Netze, stellt Kontexte her –
und gibt dem Ritual so eine Bühne.
Eine solche hat sich in letzter Minute
buchstäblich mit der Zwischennutzung
eines abbruchreifen Einfamilienhauses
aus den Sechzigern in einem verwunschenen
Garten ander Simmeringer Hauptstraße aufgetan. Auf
zwei Etagen werden rund ein Dutzend Künstlerinnen
und Künstler mit Videos, Installationen und anderen
ortsspezifischen Arbeiten den Ritualen des Alltags auf
den Zahn fühlen, denen ein solches Haus gleichsam als
Stellvertreter für alle Häuser Raum gibt: Vom Keller bis
zum Dach, Wohnzimmer bis zum Schlafzimmer, Kinderzimmer
bis zum Bad geben sie eine durch und durch
künstlerische Replik auf Byung-Chul Hans prunkvolle
Bühne und deren Geheimnisse. e
Kulturmagazin 31
Antriebskraft. Offspaces
wie das Flat1
sind einer der Motoren
des Kunstbetriebs.
Performen. Roberta
Limas Aktionen zeigt
der Stadtraum Sammlung
Friedrichshof.
Kreisel malen. Robert
Schaberls Atelier ist
eine Fixstation des
ExhibitionParcours.
VomRitus reden. Nitsch
im Gespräch über Rituale
und Formen: 19. 11.,
Nitsch Foundation.
Einblicke. Zum Sammlergespräch
mit Rafael
Jablonkalädt die
Albertina am 18. 11.
Hinterhof-Madonna.
Bilder von Suzanne
Dixon zeigt das JAW
Atelier im Werd.
Highlights &Termine
Unter dem Motto „Living stattfindet. Thrill verspricht
Rituals“ findet die Vienna Art dann die Hauptausstellung
Week vom 13.-20.November „House of Living Rituals“ in
zum 16.Mal statt. Am ersten einem abbruchreifen Simmeringer
Einfamilienhaus aus den
Wochenende geben die Open
Studio Days einen Eindruck von 1960er-Jahren. Mit Werken von
der Vielfalt desKunstschaffens Acconci bis Zabelkawirdes
in der Stadt. 100Künstlerinnen gleichsam künstlerisch
und Künstler öffnen zwei Tage „besetzt“ (13.–20.11.).
lang ihreAteliersund gewähren Den diskursiven Abschluss bildet
schließlich das LivingRituals
Einblick hinter die Kulissen
ihrer Arbeit. WalkingTours Line-Up am Freitagnachmittag,
strukturieren das Angebot. diesmal im Semperdepot. In
Einen Schwerpunkt innerhalb Diskussionen, Screenings und
der Open Studio Days bildet Performances wirddas Wochenthema
noch einmal künst-
der LivingRituals Exhibition
Parcours.Der kuratierte Ausstellungspfad
verbindet sieben örtert. Unter den Teilnehmern
lerisch und philosophisch er-
Ateliers, in denen Künstlerinnen
und Künstler Arbeiten zum Byung-Chul Han, Autor des
finden sich u. a. der Philosoph
Motto der Vienna Art Week Buchs „Vom Verschwinden der
präsentieren, darunter Heinrich Rituale“ sowie der Künstler
Dunst, Klaus Mosettig, Elisabeth
von Samsonow oder die Diverse Veranstaltungen von
Erwin Wurm (20.11., 15–18 Uhr).
Outsiderkünstlerinnen von ausgewählten Galerien und
JAW. Begleitet von Expertengesprächen,
ist der Parcours (insgesamt 22 Wiener Institu-
Mitgliedern desArt Clusters
eine Art dislozierte Ausstellung, tionen, Ausstellungshäuser,
die zwar nicht unter einem Kunstunis, Museen) runden das
Dach, doch unter der thematischen
Klammer „Living Rituals“
Angebot ab.
www.viennaartweek.at
Fotos: eSeL.at/Lorenz Seidler; Roberta Lima./Courtesy of the artist and Charim Galerie; Robert Schaberl; Nitsch Foundation; Volker Döhne.
32 Kulturmagazin
Magische Augenblicke
Unbekanntes, Neues und Klassisches sorgen bei der
Loisiarte jedes Jahr für Spannung.
Text: Wilhelm Sinkovicz
diepresse.com/derclub
CLUB-VORTEILE
Stimmungsvoll. Die „Basilika“, tief unten in den
Kellerfluchten, bietet den perfekten Rahmen.
Avantgarde. Kurt Schwertsik und RichardDünser
schreiben „hörbare“ Neue Musik.
Fotos: Robert Herbst, Mischa Erben, Matthäus Stepa;
Die Loisiarte ist traditionsgemäß
das erste Festival imheimischen
Festspielleben. Jahr für Jahr versammelt
sich das treue Publikum
an einem verlängerten Wochenende im
Loisium, dessen architektonische Originalität
als Pforte zu denalten Kellergängen im
Weinland am Kamp dient. Dort lässt sich
nicht nur wunderbar Wein verkosten, sondern
auch musizieren. Es war Christian
Altenburger, der vor Jahren den Versuch
startete, sowohl im Besucherzentrum als
auch tief unter der Erde zu konzertieren –
und der dabei entdeckte, dass die akustischen
Gegebenheiten dieser Räume entgegen
allen Unkenrufen nicht nur
annehmbar,sondern sogar äußerst reizvoll
sind. Vor allem im alten Weinkeller, den
man zur sogenannten Kathedrale ausgebaut
hat, spielt (und hört!) sich’s wunderbar.
Seit Beginn des Festivals Loisiarte ist
Erwin Ortner mit seinem Arnold Schönberg
Chor dabei, der gerade dieses
Ambiente für magische Augenblicke zu
nutzen verstand.
Als Programmgestalter legt Christian
Altenburger Wert auf Abwechslungsreichtum
–und auf die Einbindung von Musik
unserer Zeit, die aus dem Mainstream der
„Neuen Musik“ ausbricht und subjektive,
für die Hörer oft überraschend „schöne“
Klänge hören lässt. Das verschaffte dem
Festival von Anfang an Interesse und
sicherte, dass die Neugierigen von Jahr zu
Jahr wiederkehren.
Zumal die Kombination vonUnbekanntem,
Neuem und wahrhaft Klassischem stets für
Spannung garantiert. Überdies wird die
Loisiarte seit Langem zu einem Fest für alle
Sinne und Kunstsparten. Denn zur Musik
kommt auch die bildende Kunst. Stets gibt
es im Loisium auch eine Ausstellung; und
alle Konzerte werden vonLesungenbegleitet,
die Angelika Messner liebevoll kuratiert,
sodass auch die Literatur zu ihrem
Recht kommt.
So werden Christian Altenburger und seine
Mitstreiter, darunter die Pianisten Jasminka
Stancul und das Duo Silver-Garburg,
Tipp
Schubert,Dünser. Ilse Aichinger
(Nicole Heesters). Donnerstag,
15. April 2021.
Schwertsik, Mozart. H.C. Artmann
(Joachim Bißmeier). Freitag, 16. 4.
Brahms,Schmidinger (Schönberg-
Chor). Michael Köhlmeier,
Samstag, 17. April.
ww.loisium.com
Klarinettist Michel Lethiec oder die Cellisten
Niklas Schmidt und Patrick Demenga
mit Schauspielergrößen wie Nicole Heesters,
Joachim Bißmeier und Petra Morzé
konfrontiert, die Prosa und Poesie von Ilse
Aichinger, H.C.Artmann und Antonio Fian
lesen, während Michael Köhlmeier am
Samstag auseigenen Werken vorträgt.
Zeitgenossen. Musikalisch umrahmt werden
diese literarischen Schmankerln von
Werken Franz Schuberts (die „F-Moll-Fantasie“),
Wolfgang Amadé Mozarts (Klarinettenquintett)
und Ludwig van Beethovens
(„Erzherzogs-Trio“). Zeitgenossen sind wie
immer dabei: Kurt Schwertsiks Musik trifft
am Freitag, dem 16. April, passend auf
Texte von H. C. Artmann, Helmut Schmidingers
„Gesang zwischen den Stühlen“auf
Chormusik vonJohannesBrahms (mit dem
Schönberg-Chor), Johanna Doderer präsentiert
vor dem Beethoven-Trio im
Abschlusskonzertr am Sonntagvormittag
ihr neuesFünftes Streichquartett.
Zum Auftakt kommt Richard Dünser, der
nicht nur ein eigenes Werk für die rare
Besetzung Klavier zu vier Händen plus
Streichquartett komponiert hat, sondern
auch noch Schuberts Sonate für Klavier zu
vier Händen D 617 für diese Besetzung
arrangierthat. e
Kulturmagazin 33
Der Götterberg
Olymp ist nah
Ein Stück Orient im Okzident: In
Thessaloniki berühren einander
byzantinische, osmanische und
moderne westliche Kultur.
Hafenstadt. Blick
aufsMeer von der
malerischen Altstadt,die
sich
recht steil den
Hügel hinanzieht.
Text: Barbara Petsch
Ratem quibea
derum coreipiscipsum
assit
magnata coreporessi
cum quidesent,sitas
aut e
Fotos: Wanderlust/Discover Greece.
34 Kulturmagazin
Erdoğan will wieder Griechenland besetzen, wie
es schon einmal der Fall war. Er will das Osmanische
Reich wieder errichten.“ Elena ist unsere
Führerin bei dieser Stadttour in Thessaloniki,
ihre Antwort auf die Frage, ob sich die Griechen Sorgen
machen angesichts der angespannten Lage im Streit um
die Gasvorkommen vor der zyprischen Küste, kommt
ohne Zögern. Wie geht es der türkischen Community in
der Stadt? „Die meisten haben Angst vor Erdogan“, vermutetGiotavon
der griechischen Tourismusagentur.Die
Kluft zwischen den politischen Realitäten ganz in der
Nähe und der Stimmung in der Stadt amThermaischen
Golf könntejedenfalls größer nicht sein: Volle Bars, originelle
Geschäfte, hübsch designt, kleine Läden mit Handwerk
und Mode neben den üblichen Flagship-Stores,Jogger,
Radfahrer am Peer,Schiffe, Herbstsonne. An Europas
Südgrenze gibt es viele große Hafenstädte, von Valencia
bis Thessaloniki, Letzteres wirkt etwas „balkanesisch“,
aber die Hauptstadt Makedoniens hat auch einiges von
Barcelona und sogar vomgeschniegelten Triest.
Makedonien ist einer der ältesten Schauplätze europäischer
Geschichte. Nahe dem Hafen von Thessaloniki
blickt eine gigantische Statue gen Osten: Alexander der
Große. JedesSchulkind kennt den Feldherrn,
der in kurzer Zeit ein Imperium zusammenraffte,
das bisanden indischen Subkontinent
reichte. Alexander starb jung, erwurde nur
33 Jahre alt. Europas erster Hero war eine
ambivalente Persönlichkeit, schön, charismatisch,
entschlossen, strategisch begabt,
aber auch skrupellos.
Konzerthaus. Der
Bau des japanischen
Pritzker-
PreisträgersArata
Isozaki dient auch
für Kongresse.
aber osmanischen Ursprungs ist. Die Osmanen
eroberten Thessaloniki 1430. Sie regierten
bis 1913. Außerdem stand die Stadt in
ihrer Geschichte u.a.unter der Herrschaft
der Römer und der Deutschen, die Nationalsozialisten
deportierten die große jüdische
Gemeinde (rund 60.000 Menschen) ins KZ,
obwohl diese drei Billionen Drachmen als
Schutzgeld zu zahlen bereit war. Auf dem
Gelände eines jüdischen Friedhofs wurde
die heutige Aristoteles-Universität errichtet,
eine unverzeihliche Attacke gegen jüdische
Identität.Heutegibt es wieder eine kleine jüdische Community
inThessaloniki, Israelis besuchen die Stadt auf
der Suche nach Spuren ihrer Ahnen. Sie finden sie im
Jüdischen Museum und in Villen, von denen die meisten
imposanteRuinen sind.Indie eleganteVilla Bianca(Vassilisis-Olga-Straße),
die der Mailänder Pietro Arrigoni
1911 bis 1913 für den Kaufmann und Industriellen Dino
Fernandez Diaz errichtete, zog 2013 die Städtische
Kunstgalerie ein. Fernandez Diaz und seine Familie flohen
vor den Nationalsozialisten nach Italien, wo sie von
der SS ermordet wurden.
Grausame Geschichte. In gesetzten
Worten erklären Führer den Besuchern
von Thessaloniki die grausame
Geschichte dieser Stadt. Sie führen zu
stillen, orthodoxen Kirchen,
Moscheen, Plätzen, auf denen Synagogen
standen. Es gibt ein Museum für
byzantinische Kultur und eins für zeitgenössische
Kunst. Vom Hafen aus
kann man Minikreuzfahrten auf Piratenschiffen
oder römischen Galeeren
unternehmen. Griechenland-Fans
dürften feststellen, dass sich ihre
Sehnsuchtsdestination in den letzten
Jahrzehnten, trotz vieler Krisen, zuletzt jene um die
Staatsschulden, stark verändert hat. Thessaloniki etwa
hat 100.000 Studenten, es gibt immer mehr junge Akademiker,
viele Griechen sprechen fließend Englisch.
Thessaloniki, dieser geschundene Ort, wirkt heute wie
ein Nabel europäischer Multikultur. Ja, es gibt sehr viele
Bettler, angeblich Roma, heißt es, aber auch viele Griechen
und Griechinnen sind wohl darunter, vor allem
Kinder. Achtlos gehen Passanten an einer am Straßenrand
kauernden Greisin vorbei, die auseiner Plastikdose
Essenreste klaubt.Das entsetzt.
Insgesamt aber strahlt die Stadt Lebensfreude und Toleranz
aus, sie hat ein ansprechendes Fluidum, nicht nur
wenn man aufder Dachterrasse desLuxushotels Electra
Palace Fischsuppe löffelt oder im nahen Excelsior
Hotel Baisers mit Beeren knackt. Die griechische
Küche hat sich jenseits von Souvlaki und Tzatziki
diversifiziert, an herrlichen Rohstoffen, Wein, Käse,
Oliven, Gemüse, Lammfleisch, Fisch, mangelt es nicht.
Manprobiereetwadas Restaurant Thria (Maria Kallas
1). Leider nicht immer, aber hoffentlich immer öfter
sehen die Griechen davon ab, ihre erstklassigen Nahrungsmittel
mit Sauce Hollandaise zu übergießen
oder italienische Klassiker wie Ossobuco zu probieren.
Bitte nicht. Ein Highlight sind manche Marktlo-
Eine Stadt brennt. Im Iran wird eine schaurige
Geschichte von Alexander erzählt: Der
Eroberer des altpersischen Achämenidenreiches
zerstörte Persepolis, heute ein Ruinenfeld
nordöstlich von Schiras, und das kam
angeblich so: Eine Tänzerin begeisterte den
Weißer Turm.
König, der reichlich trank und dann der Schönen sagte,
Das heutige
sie hätte einen Wunsch frei. Das Mädchen forderte die
Wahrzeichen der
Zerstörung der Stadt, die Alexander prompt niederbrennen
ließ. Der Kleinstaat Makedonien wurde durch Ale-
Befestigung und
Stadt warTeil der
xander und seinen Vater Philipp II. zu einem Weltreich. Gefängnis.
In Vergina, westlich vonThessaloniki, locken Ausgrabungen
rund um Philipp und Alexander –sowie ein stattlicher
Goldschatz mit Truhen und filigranen Diademen.
Landpartie. Rund
um Thessaloniki
Philipps letzte Ruhestätte, eine Grabkammer, die ägyptisch
anmutet, ist hier zu finden, gesucht wird aber vor
locken liebevoll
restaurierte Dörferinden
Bergen
allem nach Alexanders Grab. Dieser starb 323 v.Chr. in
Babylon. Kann sein, sagen die Griechen, bestattetaber ist und am Meer.
er in Vergina. Und sobald das bewiesen ist, werden die
Nationalisten in Makedonien verlangen, dass sich
Nordmazedonien einen anderen Namen zulegt.
Denn nurdie Griechen, sagen sie, hätten ein Recht
auf die Bezeichnung Makedonien. Für nicht
wenige Griechen ist dieses Thema eine ernste
Sache, was wohl damit zu tun hat, dass dieses viel
gerühmte Land lang um seine Identität kämpfen
musste. Den Zeugen dieser Geschichte begegnet
der Reisende im heutesounbeschwert wirkenden
Thessaloniki. Das eindrücklichste Monument ist
der Weiße Turm, der Teil der byzantinischen
Befestigungsanlagen war, in seiner heutigen Form »
Kulturmagazin 35
Olymp. Auf dem Götterberggibt
es viele gut ausgebaute Wanderwege
für jedermanns Kräfte.
Rasten und Speisen.
Das verbindet
die Bewohner
von Thessaloniki
mit den Touristen.
Und die Pommes.
Alexander der Große. Der Eroberer,
geboren 356 v. Chr., schaut
am Hafen gen Osten.
Übers Wochenende begibt sich der wohlhabendere
Bürger aufs Land oder an den Strand.
»
kale. Übers Wochenende begibt sich der wohlhabendere
Bürger von Thessaloniki aufs Land oder an den Strand.
Eine beliebte Wanderdestination ist der Olymp, auf dem
Wälder,Klöster und Hütten zu finden sind, aber bedauerlicherweise
keine Götter. Die Witterung wechselt gern
und plötzlich. Dann muss sich der Reisende im Informationszentrum
mit Fotosdes Kalksteinmassivs im feenhaften
Licht oder Aufnahmen der vielfältigen Flora und
Fauna (Wildkatzen!) begnügen, allerdings hat die Natur
eine gewisse Ähnlichkeit mit österreichischen Bergen.
Wir lassen uns von der drahtigen Hiking-Spezialistin
Touren erklären, für die man jedoch besser mehrere
Tage einplant,hernach können wir einen Spaziergang zu
Wasserfällen unternehmen, dabei geht es meist bergab.
Trittsicherheit und Wanderausrüstung sind jedoch
gefragt. Den Berggipfel kann man nur mit Kletterausrüstung
erreichen, ein Teil des Gebirges ist militärisches
Gebiet, anscheinend gibt es aber Genehmigungen für
besondere Freunde der Wildnis, die dort herummarschieren
wollen, man kann sogar übernachten. Refuges
heißen die Hütten, da zuckt der Zuhörer kurz zusammen,
mit Flüchtlingen aus Syrien und Afghanistan hat
der Ausdruck aber nichtszutun.
Merkwürdig ist, dass der Olymp als Wohnsitz der Götter,
als der er doch in aller Welt berühmt ist, hier kaum
jemanden zu interessieren scheint, auch Merchandising
über Zeus, Pallas Athene &Co. ist unbekannt. 150.000
Touristen entern alljährlich den Olymp-Nationalpark, es
ist gewiss erfrischend (und nicht nur wegen des kühlen
Wetters), ihn jetzt in der Coronakrise zubesuchen, wie
Griechenland überhaupt, das wenige Infektionen hat.
Tipp
Stadtführungen. Bei dot2dot
gibt es exzellent versierte
und charmante Führer und
spezielle Touren, etwaüber
Historie oder Kulinarik.
www.dot2dot.gr
Anreise. Direktflüge ab Wien
etwamit Austrian,
www.austrian.com
Informationen. Das griechische
Tourismusamt informiert
auf www.visitgreece.gr
Die Passagiere eines mittelstark besetzten Ryan-Air-Fliegers
vonWien nach Thessaloniki (direkt,AegeanAirlines
hat eine Zwischenlandung in Athen) Ende September
wurden samt und sonders mit Stäbchen getestet, man
teilteuns mit,dass, falls wir positivseien, wir verständigt
würden. Was dann? Angeblich muss man in Quarantäne
–auf Kosten desgriechischen Staats.
Karierte Tischtücher. Zum Schluss noch ein Aperçu
zum Olymp, an seinem Fuße liegt das Hotel Cavo
Olympo,eine schickeHerbergemit kleinem Strand, Pool,
Spa, viel Marmor und Palmen. Das Service könnte etwas
emsiger sein, aber die Panoramen sind grandios, die
Zimmer riesig und das Styling istelegant.
Ein Ausflug in bodenständige griechische Tourismuskultur
(Holzmöblierung mit karierten Tischdecken)
empfiehlt sich ins etwas abgelegene Dörfchen
Palaios Panteleimonas. Auf Fotos ist ein verlassenes,
völlig verrottetes Örtchen zu sehen, seit
den Neunzigern, erzählt einer der Lokalbetreiber,
kamen Nachfahren der früheren Besitzer,
aber auch Stadtflüchter ins Gebirge. Sie repariertenund
restauriertenliebevoll. Es gibt auch
Zimmer. Trinken und Autofahren ist keineswegs
ratsam. Auch in dieser Hinsicht ist Griechenland
der EU näher gerückt: Es gibt saftige
Strafen für Alkoholsünder. Dafür wurde das
öffentliche Verkehrsnetz verbessert. Alles in
allem: Makedonien und die Chalkidike haben
viel zu bieten, vor allem Touristen, die nur die
griechischen Inseln kennen. e
Fotos: Fotos: Wanderlust/Discover Greece. Compliance-Hinweis: Die Reise erfolgte auf Einladung von Discover Greece.
36 Kulturmagazin
Musikstadt Leipzig
Heimatort des Operngenies Richard Wagner.
ENTGELTLICHE EINSCHALTUNG
Die Thomaskirche ist ebenfalls
einen Besuch wert.
Die Oper Leipzig bietet Musikgenuss
–beispielsweise bei
einer „Siegfried“-Inszenierung.
Fotos: Kirsten Nijhof, Oper Leipzig, LTM/Bao Kuo;
Leipzig und die Musik: Das ist jahrhundertelange
Tradition. Zahlreiche Komponisten, darunter
Johann Sebastian Bach, Felix Mendelssohn-
Bartholdy, Clara und Robert Schumann sowie
Richard Wagner lebten und arbeiteten hier. Die Oper
Leipzig und das Gewandhausorchester genießen weltweites
Renommee und internationale Festivals wie das
Bachfest und die Richard-Wagner-Festtage erfreuen
sich stetig steigender Besucherzahlen. Das ganze Jahr
hindurch lassen sich die einstigen Wirkungsstätten der
Komponisten auf der Leipziger Notenspur erkunden.
Der Rundweg durchs Zentrum vermittelt dank Hörproben
und Schautafeln einen lebendigen Eindruck
über das Leben zur damaligen Zeit –natürlich auch
über das des wohl berühmtesten Sohnes der Stadt:
Richard Wagner!
Oper Leipzig –ein Traditionshaus mitten in Europa.
Mit Gründung 1693 ist die Oper Leipzig das drittälteste
bürgerliche Opernhaus Europas und blickt voller Stolz
auf eine mittlerweile über 325-jährige Tradition. Knapp
die Hälfte dieser mehr als drei Jahrhunderte ist mit
dem Gewandhausorchester ein Ensemble von Weltruhm
–aktuell belegt der Klangkörper Rang vier im
internationalen Vergleich –ständiger musikalischer Begleiter
der Oper Leipzig. Seit dem Amtsantritt von Intendant
und Generalmusikdirektor Prof. Ulf Schirmer
Tipp
JETZT EXKLUSIV! Erleben
Sie vom 20. Juni bis 14. Juli
2022 alleWagner-Opern in
Leipzig! Buchungen sind ab
sofort möglich unter
Tel. +49/(0)341/710 4275
oder
incoming@ltm-leipzig.de
sind die Werke Richard Wagners eine zentrale Säule
des Opernrepertoires. Ein Highlight im jährlichen Spielplan
sind die Aufführungen des „Ring des Nibelungen“.
In der Saison 2020/2021 wird das Wagner’sche Opus
magnum an zwei Terminen (14.–18. April 2021 und
5.–9. Mai 2021) zu erleben sein.
Wagner 22 –alle Wagner-Opern indrei Wochen. Ein
weltweit einzigartiges Vorhaben, das die internationale
Musikwelt aufhorchen lässt, erwartet Wagnerianer
2022 in Leipzig. Das Opernhaus verfolgt das ambitionierte
Ziel, bis dahin alle 13 Bühnenwerke Wagners
szenisch zu erarbeiten und im Juni/Juli 2022 im Rahmen
eines dreiwöchigen Festivals zu präsentieren. Die
Wagner-Festtage vom 18. bis 20. Juni 2021
mit Aufführungen der Frühwerke „Die Feen“,
„Rienzi“ sowie „Das Liebesverbot“ werden
weitere Meilensteine auf dem Weg dorthin
sein. Musikliebhaber müssen mit einer Reise
nach Leipzig aber nicht bis 2022 warten. Das
hochkarätige Mahler Festival unter der Regie
des Gewandhausorchesters im Mai 2021 sowie
das jährliche Bachfest bieten auch vorher
schon perfekte Reiseanlässe. Das passende
Reiseangebot inklusive Tickets für zum Teil
bereits ausverkaufte Konzerte finden Sie
unter www.leipzig.travel/musikstadt
Kulturmagazin 37
1
Fotos: Sammlung Steffan /Pabst /Wolfgang Vollmer/Henry Rox Archive Cologne 2020; Roland Krauss/Bildrecht, Wien
38 Kulturmagazin
2
3
Widerständige
Schönheit
Die Kunst hält durch. Mit Utopien
und Visionen stemmt sie sich den
Unbilden der Zeit entgegen –oder
malt sich die Welt einfach schön.
Text: Johanna Hofleitner
1. Leopold Museum
„Emil Pirchan Universalkünstler“. Alles begann mit dem Studium bei Otto
Wagner in Wien. Erste Erfolge feierte Emil Pirchan (1884–1957) mit seinem
Münchner „Atelier für Graphik, Bühnenkunst,Hausbau, Raumkunst und
Kunstgewerbe“. Berlin, Prag, zuletzt wieder Wien warendie großen Stationen
des Universalisten, der sich mit der Entwicklung der Stufenbühne („Jessnersche
Treppe“) auch im Bereich der modernen Bühnenbildgestaltung einen
Namen gemacht hatte.27. 11. 2020–4.4. 2021, www.leopoldmuseum.org
2. Fotohof
Wolfgang Vollmer. Fotografie ist für Wolfgang Vollmer mehr als das Festhalten
von Bildern. Sein Aktionsradius umfasst auch das Sammeln, Recherchierenund
Neubewerten. Ein Projekt ist etwadie Wiederentdeckung des nahezu
vergessenen deutsch-amerikanischen Bildhauersund Fotografen Henry Rox
(1899–1967), der in seinen Früchteskulpturen das Vokabular der Pop-Art an
die surrealen Experimente Man Raysoder die ironischen Konsumparodien à
la Fischli/Weiss heranführte.27.11.2020–23.1.2021, www.fotohof.at
3. Belvedere 21
Maja Vukoje. Trügerische Stilleben sind das: die Orangen, Eislutscher,Spielroboter
oder Zuckerwürfel, die Maja Vukoje auf großen Leinwänden in Szene
setzt.Was sie verbindet,ist ihre Zugehörigkeit zur Konsum- und Warenwelt.
Mit ihren Südfrüchten, Kolonialwaren oder Symbolen der Populärkultur und
des digitalisierten Alltags verweisen diese Bilder auf Transkulturalität und
kulturelle Hybridität als Grundbedingungen der gegenwärtigen Alltags- und
Lebenswelt.12. 11. 2020–11. 5.2021, www.belvedere.at
Kulturmagazin 39
1
2
3
4
Fotos: Luo Yang; Courtesy Hugo Canoilas and Galerie Martin Janda ©the artist; Club Fortuna 2020; Kunstraum Dornbirn; Nick Ash; Andrej Popović
40 Kulturmagazin
5
6
1. FC –Francisco Carolinum, Linz
Luo Yang. Für Ai Weiwei ist sie einer der Shootingstarsder jungen chinesischen
Fotografie.Vor dem Hintergrund der Widersprüche einer Gesellschaft
zwischen Turbokapitalismus und Tradition zeichnet Luo Yang, Jahrgang
1984, in einfühlsamen Porträts ein Bild ihrer Zeit.Ihre„Girls“ etwasind exzentrisch,
schön, selbstbewusst und zugleich doch auch verletztlich und
fragil. „Youth“ zeigt eine Generation auf der Suche nach Identität und
Orientierung. 21. 10.2020–21. 2. 2021, www.ooelkg.at
2. Mumok
„On the extremes of good and evil“. Hugo Canoilas Bilder sind entweder so
groß, dass er sie auf dem Boden auflegt.Oder es tummeln sich im kleinen
Format exotische, bedrohliche oder ausgestorbene Tiereund Fabelwesen
darauf.Für seine ebenso installative wie experimentell-kritische, allemal aber
exquisite Malerei wirdder in Wien lebende portugiesische Künstler nun mit
dem renommierten Kapsch Contemporary Art Prize 2020 sowie einer Personale
im Mumok belohnt.8.11. 2020–28. 2.2021, www.mumok.at
3. Kunstverein Eisenstadt
„Komplizenschaft 4“. Für die nächste Doppelausstellung setzt der junge
Kunstverein auf kollektive Aktionen über das „Als-ob“ im Verhältnis zur Wirklichkeit.Das
im Dreieck von Kunst,Gesellschaft und existenzieller Lebenshilfeagierende
Trio „Club Fortuna“ erweitert dafür sein Experimentierfeld um
den Faktor Natur (Bild). Dem gegenüber stehen ephemerePerformances
und Raumskizzen aus der feinen Feder der tschechischen Künstlerin Maja
Štefančíková. 13. 12. 2020–20. 2.2021, www.kunstvereineisenstadt.at
4. Kunstraum Dornbirn
Claudia Comte. Sie verwandelt Eisfelder in Spielelandschaften, verpflanzt
Baumstämme ins Innere, um es zum artifiziellen Wald zu transformieren,
oder platziert verführerisch polierte Skulpturen. Räume sind die Spielwiese
des Schweizer Shootingstars. Der historischen Architektur des Kunstraums
wirdClaudia Comte ein 450 Quadratmeter großes Deckengemälde verpassen,
in dem Op-Art und Pop-Art,Konkrete Kunst und Abstrakter Expressionismus
in eins fallen. 27. 11. 2020–7. 3.2021, www.kunstraumdornbirn.at
5. Secession Wien
Danh Vō. Er arbeitet mit Fotos,Fundstücken, die historisch oder emotional
aufgeladen sind, Dokumenten, manchmal auch Werken anderer Künstler.
Aus ihnen schafft der vietnamesische Künstler Danh Vō rätselhaft-poetische
Objekte und Installationen. Angetrieben von einer starken politisch-ethischen
Haltung, erzählen sie von Geschichte und Gegenwart,Zukunft und
Vergangenheit sowie der Erfahrung der Flucht und des Sich-Wiederfindens
an einem zufälligen anderen Ort.21.11. 2020–31. 1.2021, www.secession.at
6. Kunsthalle Wien
„Shadow Citizens“. Želimir Žilnik zählt zu den großen politischen Filmemachern
Europas.Invielen seiner Filme nahm er geradezu prophetisch Entwicklungen
wie den Zerfall Jugoslawiens,den Übergang vom Sozialismus zu
einer neoliberalen Ordnung, dieZersetzung gesellschaftlicher Strukturen
vorweg. Die Ausstellung spannt einen Bogen von den frühen Amateurfilmen,
Dokumentar- und Indipendent-Filmen der 1960er-, 1970er-Jahre bis zu
seinen neuesten Langfilmen. 24. 10. 2020–17. 1. 2021, www.kunsthallewien.at
Kulturmagazin 41
1
2
3 4
1. Kunsthalle Krems
„Mit der anderen Hand“. Fiona Tanumkreist in Videoinstallationen und Fotografien
Erinnerung, Zeit und Geschichte.Ausgehend von umfangreichen Recherchen
konstruiert die Künstlerin eindringliche Narrative im Grenzbereich
von Fiktion, Imagination, eigener Biografie und Dokumentation. Die zusammen
mit dem Museum der Moderne Salzburgproduzierte Ausstellung ist als
umfangreiche Mid-Career-Show angelegt.Inneuen Arbeiten reagiert Tanzudem
auf lokale Zusammenhänge, wie etwainKrems die Nachbarschaft von
Kunsthalle und Justizanstalt.21. 11. 2020–14.2. 2021, www.kunsthalle.net
2. Neue Galerie Graz
„Kompromisslos“. Julije Knifer (1924–2004) ist einer der wichtigsten Künstler
Kroatiens nach 1945. Mit seiner stets in Weiß und Schwarz gehaltenen
abstrakt-geometrischen Malerei am Schnittpunkt von konkreter und konzeptueller
Kunst und dem Mäander als Leitform arbeitete er sich gleichsam am
Nullpunkt der Malerei ab.Die Neue Galerie würdigt ihn nun mit einer umfangreichen
Personale.20.11.2020–25. 4.2021, www.museum-joanneum.at
3. Museum der Moderne Salzburg
„Ir“. Not Vital ist ein Nomade im Leben wie in der Kunst.Angetrieben von
einem anthropologischen Interesse für das Fremde sowie der Leidenschaft,
seine Wohn- und Produktionsstätten fortwährend zu wechseln, schuf er seit
über 50 Jahren ein rätselhaft-poetisches Werk. In einer typisch reduzierten
Formensprache vermischt er in surrealistisch anmutenden Skulpturen
eigenes Erinnern mit Motiven, Materialien und der Handwerkskunst fremder
Kulturen. 5. 12. 2020–13.6. 2021, www.museumdermoderne.at
4. MAK
„Fortschritt durch Schönheit“. Zum 150. Geburtstag widmet das MAK Josef
Hoffmann die bisher größte Retrospektive seines Gesamtwerks. In 20 Kapiteln
lässt die Schau die vielen Facetten seines Wirkens als Architekt,Designer,Mitbegründer
der Wiener Werkstätte, Lehrer und Ausstellungsmacher
Revue passieren. Ein direktes Erleben seines Raumdenkens ermöglicht die
Rekonstruktion seines „Boudoirsfür einen großen Star“, entworfen für die
Pariser Weltausstellung 1937. 10. 12. 2020–18.4. 2021, www.mak.at
Fotos: Courtesy of the artist and Frith Street Gallery, London/Foto Steve White; Julije Knifer/Bildrecht Wien 2020; Eric Gregory Powell/Courtesy Not Vital Studio;
MAK; Petri Virtanen/Kansallisgalleria; Christian Fogarolli; Transito2Plus1 ©Luna Ghisetti; Marlies Pöschl/Bildrecht
42 Kulturmagazin
5 7
8
6
5. Grazer Kunstverein
Alma Heikkilä. In organisch anmutenden Skulpturen und Malereien umkreist
die Künstlerin Klimawandel, Umweltkrisen und Artensterben als drängende
Nöte unserer Zeit.Dabei erkundet Heikkilä Organismen, mikroskopische
Bakterien, Pilze oder anderewinzige Lebewesen jenseits der menschlichen
Wahrnehmung. Aus einem tiefen Wissen über Ökosysteme und Mikroben
entsteht eine Kunst,die sich der Würdigung der Koexistenz unzähliger Organismen
verschrieben hat.11. 12. 2020–26.2. 2021, www.grazerkunstverein.org
6. Reaktor
„The Outer Reaches of the Inner Self“. Am schmalen Grat zwischen Alchemie
und Wissenschaft analysiert Christian Fogarolli unterschiedliche Konzepte
psychischer und physischer Gesundheit.Die mittelalterliche Praxis
des „Narrenschneidens“ –eine Operation zur Heilung von Wahnsinn, bei der
den Patienten Steine aus dem Kopf geschnitten werden –ist Kristallisationspunkt
einer raumgreifenden Installation samt Film, die mit der aufgeheizten
Architektur des Raums in Dialog tritt.20. 10–24. 10. 2020, www.reaktor.art
7. Kunstraum Niederösterreich.
„LifeConstantly Escapes“. Die kapitalistische Moderne als ständiger Angriff
auf unser Leben und sozio-ökologische Katastrophe ist Reibebaum für eine
Ausstellung, die nach Alternativen und Gegenmodellen sucht.Bilder,Skulpturen,
Raum- und Klanginstallationen widersetzen sich der Logik der Gewaltförmigkeit
und entwickeln Visionen, die die Möglichkeit eines „Jenseits der
Moderne“ zumindest andenken lassen. 4.2–3. 4.2021, www.kunstraum.net
8. Salzburger Kunstverein
Marlies Pöschl. Das Filmemachen ist für die junge Salzburgerin eine Praxis,
um zeitaktuelle Fragen mit den Codes von Dokumentar-, Image- und Experimentalfilm
zu verhandeln. Dafür arbeitet Pöschl in verschiedenen Formen
des Austauschs.Der in Zusammenarbeit mit Kindern und Jugendlichen entstandene
Film „Aurore“ etwabeschäftigt sich mit der Zukunft der Pflege vor
dem Hintergrund immersiver Digitalisierung und künstlicher Intelligenz. Die
Interaktion von Jung und Alt ist ebenso Thema wie das Verhältnis von
Mensch und Maschine.12. 12. 2020–7.2.2021, www.salzburger-kunstverein.at
Kulturmagazin 43
Der
Aufstieg
afrikanischer
Kunst
Ankauf. Das Guggenheim
Museum
hat im August „Joy
Adenike“ von Amoako
Boafogekauft.
Die Kunstwelt entdeckt die
Diversität. Keine andere
Sparte erlebt so einen Boom
wie Kunst aus Afrika und der
Diaspora.
Text: Eva Komarek
Tribal Marks. Babajide
Olatunji Ist
für seine hyperrealistischen
Porträts
bekannt.
44 Kultur spezial
„Vignette“.
Das erste Werk Kerry
James Marshalls,
das bei Christie’s
eine Million Dollar
erzielte.
Auktionsdebüt. „The
Lemon Bathing Suit“
von AmoakoBoafo
verelffachte den
Schätzwert.
nen „Fons Americanus“ erzählt die
Geschichte des transatlantischen Sklavenhandels
und gehörte zu den meistbeachteten
Skulpturen der Londoner Museen. Mit
der zunehmenden kuratorischen Beachtung
reagierte auch der Markt. Das Londoner
Auktionshaus Bonhams verzeichnet
seit 2010 mit einer jährlichen Afrika-Auktion
steigende Verkaufszahlen. 2013 gründete
Touria ElGlaoui, Tochter des marokkanischen
Künstlers Hassan El Glaoui, die
1-54 Contemporary African Art Fair inLondon,
die sie parallel zur Frieze Art Fair
positionierte. Essollte eine Success-Story
werden. Es folgte die Expansion nach New
York und 2018 nach Marrakesch. Und Sotheby’s
eröffnete 2017 in London eine
Expertenabteilung für moderne und zeitgenössische
afrikanische Kunst. „Seither
sind die Auktionsumsätze für afrikanische
Kunst pro Jahr von rund zwei Millionen
Dollar auf 20Millionen Dollar gestiegen“,
Fotos: Mariane Ibrahim; Philipps; Christies Images Ltd. 2020;
The Lemon Bathing Suit“ des in
Ghana geborenen, in Wien lebenden
Malers Amoako Boafo sollte
bei der Phillips-Auktion in London
im Februar Geschichte schreiben: Der
Schätzwert von 30.000 bis 50.000 Pfund
verelffachte sich dank eines Bietgefechts
auf 550.000 Pfund. Es war das Auktionsdebüt
desKünstlers. DerStrabag-Artaward-
2019-Gewinner war schon im Dezember
auf der Art Basel Miami prominent vertreten.
Die auf afrikanische Kunst spezialisierte
Galeristin Mariane Ibrahim widmete
ihm eine Soloshow. Die Bilder warenschon
bei der Previewausverkauft.Sein Erfolg litt
auch unter der Coronapandemie nicht. Bei
der ersten Onlineauktion von Phillips im
Mai vervielfachte „Joy in Purple“ den
Schätzwert von 70.000 Dollar auf 540.000
Dollar. ImAugust kaufte dann das Guggenheim
Museum sein Werk „Joy Adenike“,
wie seine Galeristin Ibrahim bekannt gab.
Boafo reitet auf einer Welle der generell
steigenden Nachfragenach Arbeiten afrikanischer
Künstler.
Aufmerksamkeit wächst. Bis vor rund
zehn Jahren galt Afrika für die westliche
Kunstwelt als dunkler Kontinent. Dann
ging es Schlag auf Schlag. 2013 verlieh die
Biennale von Venedig den Goldenen
Löwen für den besten Länderpavillon dem
Debütanten Angola und machte zwei Jahre
später Okwui Enwezor zum künstlerischen
Leiter der 56. Biennale und verlieh dem
ghanaischen Künstler El Anatsui den Goldenen
Löwen für sein Gesamtwerk. Wichtige
Museen sprangen auf diesen Trend auf
und begannen zeitgenössische Kunst aus
Afrika zu kaufen. Zu den Vorreitern gehörte
die Tate Modern, die schon 2013 gleich
zwei Ausstellungen afrikanischen Künstlern
widmete. Im Vorjahr beauftragte die
Tate die afroamerikanische Künstlerin
Kara Walker mit einer Skulptur für die Turbinenhalle.
Der 13 Meter hohe weiße Brun-
Mit der zunehmenden
kuratorischen Beachtung
vonafrikanischer
Kunst reagierte auch
der Markt.
sagt Hannah O’Leary, Direktorin der Abteilung
für moderne und zeitgenössische afrikanische
Kunst bei Sotheby’s.
Der westlich zentrierte Blick der Kunstwelt
beginnt immer mehr aufzubrechen.
Museen und Institutionen entdecken die
Diversität, und auch viele westliche Galerien
haben afrikanische Künstler in ihr Programm
aufgenommen. Das hat zueinem
Boom bei afrikanischer Kunst geführt. Die
großen Auktionshäuser reißen sich inzwischen
um die wichtigsten Künstler,die sich
einen Ruf gemacht haben und für die welt-
»
Kultur spezial 45
»
Frühwerk. Ben
Enwonwus Porträt
„Christine“
stieg bei Sotheby’s
auf 1,1 Millionen
Pfund.
weit eine starke Nachfrage besteht, wie
etwa nach Yinka Shonibare oder William
Kentridge. Selbst die altehrwürdige Kunstund
Antiquitätenmesse Tefaf hat heuer die
Sonderausstellung Showcase zeigenössischer
Kunst aus Afrika gewidmet. Der Londoner
Aussteller Tafeta präsentierte die
„Tribal Mark“-Serie des nigerianischen
Künstlers Babajide Olatunji, der für seine
hyperrealistischen Porträts mit gesichtsscharfen
Charakteren bekannt ist.
Die Oberliga. Der in Los Angeles aufgewachsene
Künstler Kerry James Marshall
ist der Superstar unter den zeitgenössischen
schwarzen Künstlern. Er verdankt
seine Bekanntheit der Biennale des Whitney
Museums und der documenta inKassel
im Jahr 1997. 2013 wurde er von Barack
Obama zum Mitglied des Komitees für
Kunst und Geisteswissenschaften ernannt,
und wenige Monate später übernahm die
einflussreiche Galerie David Zwirner seine
Vertretung. Der Aufstieg am Kunstmarkt
ließ nicht lang aufsich warten. 2014 erzielte
sein Werk „Vignette“ bei Christie’s einen
Zuschlag von einer Million Dollar. 2016
widmeten gleich mehrere Institutionen
dem Künstler Retrospektiven. In der Folge
verdoppelte sich sein Rekordpreis auf
2,1 Millionen Dollar. 2018 katapultierte sich
der Wert des Künstlers auf ein Vielfaches.
Die Arbeit „Past Times“, auf der Schwarze
sich bei Freizeitaktivitäten vergnügen, die
mit der weißen Oberschicht in Verbindung
gebracht werden –Krocket, Golf, Rudern –,
46 Kultur spezial
wurde am 16. Mai 2018 bei Sotheby’s für
21,1 Millionen Dollar verkauft. Das ist bis
heute der höchste Preis eines afroamerikanischen
Künstlers zu Lebzeiten. Auch für
Amy Sheralds Erfolg waren die Obamas
ausschlaggebend. In diesem Fall war es
Michelle Obama, die ein Porträt beauftragte.
Seitdem sind ihre Werke auf der
ganzen Welt bekannt, und sie wurde von
der internationalen Topgalerie Hauser &
Wirthunter Vertraggenommen.
In der Oberliga spielt auch die nigerianischstämmigeKünstlerin
Njideka Akunyili
Crosby. Sie wurde 2016 entdeckt, als sie
den Canson-Preis inNew York erhielt. Im
gleichen Jahr gab sie ihr Auktionsdebüt.
Seitdem erzielen ihre Werke Millionenzuschläge.
Der Rekord stammt von 2018 für
„Bush Babies“, das auf 3,3 Millionen Dollar
stieg. Andere Künstler ihrer Generation,
deren Preise zuletzt bei Auktionen in die
Höhe schnellten, sind Adam Pendleton,
Toyin Ojih Odutola und Otis Kwame Kye
Quaicoe. „Shade of Black“ von Kwame Kye
pulverisierte im Juli die Schätzung von
Kunst ausAfrika ist
ebenso gefragtwie jene
der Diaspora. Ben
Enwonwuund Gerard
Sekotogelten als
afrikanische Meister.
Installation. Auf
der Messe 154
in Marrakesch
warMoataz Nasrs
„The Mac Gate“
der Hingucker.
30.000 Dollar und ging auf250.000 Dollar.
Wie inder afroamerikanischen Kunst gibt
es auch wichtige Vertreter der afrobritischen
Kunst. Hier ist besonders Steve
McQueen zu nennen, dem das Institute of
Contemporary Art in London als erstem
schwarzen britischen Künstler eine Soloshow
widmete. Yinka Shonibare und Chris
Ofili wiederum wurden dank des Einflusses
der Galerie Saatchi entdeckt. Zuletzt
fielen in den Londoner Auktionen Künstler
wie Henry Tayler, Hurvin Anderson und
Michael Armitagemit Preissprüngen auf.
Die Afrikaner. Doch nicht nur Kunst der
Diaspora feiert Erfolge, es steigt auch die
Nachfragenach Kunst ausAfrika. „Afrikanische
Kunst hat eine lange Geschichte.
Künstler wie der Nigerianer Ben Enwonwu
und der Südafrikaner Gerard Sekoto gelten
als afrikanische Meisterund etabliertendie
afrikanische Moderne“, sagt O’Leary.
Zudem entwickle sich quer über den Kontinent
eine Kunstszene. „In unserer letzten
Auktion hatten wir Werke von Künstlern
aus 21Ländern“, so die Expertin. Zu den
hochpreisigen Künstlern zählen Enwonwu,
El Anatsui und Papa Ibra Tall aus dem
Senegal. „Südafrikanische Künstler sind
international bekannt und lang aktiv. Sotheby’s
hält die Rekordpreise für William
Kentridge, Marlene Dumas, Nicholas Hlobo
und Gavin Jantjes.“ Gesucht seien zudem
die nigerianischen Künstler Toyin Ojih
Odutola und Njideka Akunyili sowie der
Kongolese EddyKamuanga Ilunga. e
Fotos: Courtesy of Phillips, Nicolas Brasseur, Sotheby‘s;
Der Kunstraum imPalais Kinsky lädt zur
ÖSTERREICHISCHE KUNST AUS 7JAHRZEHNTEN
Tauchen Sie ein in die Form- und Gedankenwelten
heimischer Künstler. Große Namen und vielversprechende
Neuentdeckungen vereint unter einem Dach.
Legen Sie den Grundstein für Ihre Sammlung oder
finden Sie die passende Ergänzung im Kinsky.
19. bis 31. Oktober
Mo bis Fr, 14-20 Uhr
Sa, 11-17 Uhr
imkinsky.com
Kunstraum im Palais Kinsky, 1010 Wien, Freyung 4
Markttreiben im
Coronamodus
Im Frühjahr kamder Kunstmarkt zum Erliegen,
die Branche hoffte auf einen guten Herbst.
Doch wieder wurden Messen abgesagt, viele
Aktivitäten ins Internet verlegt. Einige trotzen
dennoch der Pandemie.
Text: Eva Komarek
Highlights
München. Zu den wenigen internationalen
Messen, die heuer real über die Bühne
gehen, gehört die „Highlights“ in
München. Aufgrund der Coronasituation
findet die Messe aber in den Bronzesälen
der Münchner Residenz statt.Insgesamt
sind 27 Aussteller dabei, darunter
Beck &Eggeling mit Werken von GerhardRichter,etwa„Fuji“.
22.–25. Oktober, www.munichhighlights
Fotos: Beigestellt; Beck &Eggeling International Fine Art; Archiv, M.Schnur; VG Bild-Kunst, Bonn
48 Kulturmagazin
Tefaf virtuell
Digitaler Showroom. Im März fand die
TefafinMaastricht noch real statt.Für
die Herbstausgabe in New York gab es
eine Absage.Stattdessen hat die Messe
einen digitalen Showroom gebaut,der
jeweils ein Werk in den Mittelpunkt
stellt.Auch Interaktion zwischen den
Besuchern soll möglich sein. Die deutsche
Galerie Beck &Eggeling hat sich
für eine Arbeit von GerhardHoehme
entschieden.
1.–4. November, www.tefaf.com
Art Austria
Museumsquartier. Messemacher Wolfgang
Pelz übersiedelt mit der Art Austria
vom Sommerpalais Liechtenstein in den
Haupthof des Museumsquartiers. Dort
errichtet er eine eigene Halle.Neu ist
auch, dass jede Galerie auf einer eigenen
Wand das persönliche Highlight des
Angebots ins Rampenlicht rückt.Die
Galerie Estermann &Messner etwahat
„Ihr gegenüber Brücke“ von Martin
Schnur gewählt.15.–18. Oktober,
www.art-austria.info
Hochhaus
Herrengasse
Ausstellung. Wo sich noch bis vor
einem Jahr der Luxus-Showroom des
Elektroauto-VorreitersTesla befand, gibt
es jetzt Kunst.Das Hochhaus Herrengasse
betreibt dort einen Pop-up-
Space, den Galerien bespielen. Das
vierte Quartal übernimmt die Galerie
Ernst Hilger und zeigt Gunter Damisch
und Peter Krawagner.Von Damisch ist
die Skulptur „Flämmlerbogenkonstrukt“
zu sehen. Viertes Quartal,
www.hochhausherrengasse.at
Kulturmagazin 49
Ketterer Kunst
Marktfrisch. Wenn ein Werk zum ersten
Mal auf den Markt kommt,sorgt das
meist für Aufregung und großes Interesse.Bei
Ernst Ludwig KirchnersGemälde
„Unser Haus“ handelt es sich um so
ein marktfrisches Werk. Es stammt direkt
aus dem Nachlass des Künstlers
und kommt im Dezember beim Münchner
Auktionshaus Ketterer Kunst zum
Aufruf.Esist auf 500.000–700.000
Eurogeschätzt.11.–12. Dezember,
www.kettererkunst.de
W&K im Palais
Werkschau. Nach der Ausstellung
„Günter Brus“ im Vorjahr widmen
Wienerroither &Kohlbacher einem
zweiten Wiener Aktionisten eine Ausstellung.
Gemeinsam mit der Galerie
Konzett wirdimNovember eine umfangreiche
Schau mit Gemälden und
Fotografien von Otto Mühl im Palais
Schönborn-Batthyány zu sehen sein,
darunter auch „Ohne Titel (2 Tänzerinnen)“
aus dem Jahr 1983.
Ab 4. November, www.w-k.art
Art &Antique
Hofburg. AlexandraGraski-Hoffmann hat
mit der Messe in Salzburgzur Festspielzeit
trotz Corona gute Erfahrungen gemacht.Deshalb
hat sie sich entschieden,
auch die Herbstmesse in Wien zu machen.
Geboten werden Kunst und Antiquitäten
von der Antikebis zur Gegenwart.Die
Galerie bei der Albertina Zetter
bringt einen Keramikaufsatz von Michael
Powolny,um1910. 5.–8. November,
www.artantique-hofburg.at
Fotos: Beigestellt; Galerie bei der Albertina •Zetter; VIENNA-ART-WEEK-2019_Foto_eSeL_at; Courtesy Galerie Johannes Faber
50 Kulturmagazin
Dorotheum
Classic Week. Das Bildnis der Madame
Lebreton gab der Vater der
Porträtierten, Andrea Antonini, 1908
beim österreichischen Maler Eugen
von Blaas in Auftrag. Es warein
Hochzeitsgeschenk an seine Tochter.
Dieses Gemälde ist eines der Toplose
der Auktion „Gemälde des 19.
Jahrhunderts“ im Rahmen der Auktionswoche
im Dorotheum. Der
Schätzwert beträgt 150.000–
200.000 Euro. Ein weiterer Höhepunkt
ist ein „Bauerngarten“ von Olga
Wisinger-Florian.
5.–10. November,
www.dorotheum.com
Dorotheum
Contemporary Week. Klassische Moderne,
Zeitgenössische Kunst,Juwelen und
Uhren kommen im Dorotheum im November
bei der Contemporary Week zur
Versteigerung. Zu den Höhepunkten der
Klassischen Moderne zählt das Gemälde
„Dame in Rot vor einem blauen Hintergrund“
des russisch-französischen
Expressionisten Chaim Soutine.Der
Schätzwert beträgt 1,5–2,5 Millionen
Euro.
24.–30. November, www.dorotheum.com
Kulturmagazin 51
Artcurial Paris
Asiatische Kunst. Chinesisches Porzellan,
buddhistische Kunst,altertümliche
Bronzen, Jade, traditionelle Malerei und
Gravuren aus Ländern wie China, Japan,
Kambodscha oder Indien, so vielfältig ist
das Angebot asiatischer Kunst bei der
Auktion im französischen Auktionshaus
Artcurial. Zu den Toplosen der nächsten
Auktion zählt ein Paar Porzellanschüsseln
in Koralle.Die Taxe ist 10.000 bis
15.000 Euro.
10. Dezember, www.artcurial.com
Artcurial Paris
Kunstsensation. Originale des belgischen
ComiczeichnersHergé, bekannt
für „Tim und Struppi“, brechen alle Rekorde.
Artcurial bringt nun eine Sensation
zum Aufruf: „Le Lotus bleu“, das als
Cover für den gleichnamigen Band
geplant war, wardem Verlag zu teuer.Also
schenkte Hergé es dem Sohn des
Verlegers. Jetzt kommt es für zwei bis
drei Millionen Eurozur Auktion. 21. November,
www.artcurial.com
Im Kinsky
Weihnachtsauktion. Statt mehrereAuktionen
in unterschiedlichen Sparten im Herbst
packt das Auktionshaus im Kinsky sämtliche
Sparten in eine große dreitägige Weihnachtsauktion.
Diese Auktion umfasst dann
Kunst von den Alten Meistern bis zur Gegenwart,ergänzt
von Antiquitäten, Jugendstil
und Kunsthandwerk. In der Sparte „Gemälde
des 19. Jahrhunderts“ kommt „Hortensien“
von Olga Wisinger-Florian zum Aufruf.
Es soll 350.000–700.000 Eurobringen.
1.–3. Dezember, imkinsky.com
Fotos: Olga Wisinger; Artcurial
52 Kulturmagazin
MAC-HOFFMANN&COGMBH ©2020
Ausstellervorschau
HOFBURG
VIENNA
05.BIS 08.11.20
Die Messe für Kunst,
Antiquitäten und Design
Do-Sa: 10-20 Uhr, So: 10-18 Uhr
artantique-hofburg.at
Art Cologne
Im Doppelpack. Die Art Cologne musste
coronabedingt die Messe im Frühjahr
absagen und holt sie nun parallel zur
Cologne Fine Art &Design im November
nach. In Köln sind immer viele österreichische
Galerien dabei. Heuer sind es
13 Aussteller,darunter die Charim Galerie,
die auf eine starkeweibliche Präsentation
setzt.Sie zeigt unter anderem „Silicon
Valley“von Dorit Margreiter.
18.–22. November,
www.artcologne.de
Sotheby’s
Artist Quarterly. Das Auktionshaus fördert
mit der Ausstellungsserie Artist
Quarterly junge Kunst.Imvierten Quartal
bespielt Dominik Louda die Räume
des Wiener Büros.Seine Malerei setzt
sich mit Architektur und Raum auseinander.Seine
bildlichen Konstruktionen,
illusionistische Räume aus Beton, Holz,
Stahl oder Glas,wirken spannungsgeladen.
Bei Sotheby’s zeigt er neue Arbeiten.
Oktober bis Dezemberw,
www.sothebys.com
Fotos: Beigestellt; Hergé Moulinsart 2020; Dominik Louda
54 Kulturmagazin
Zeitreise
Österreichische Kunst aus 7Jahrzehnten –
innovative Kunstvermittlung im Palais Kinsky
ENTGELTLICHE EINSCHALTUNG
Markus Prachensky
rot auf weiß –Solitude –II, 1964
Öl auf Leinwand; gerahmt
100 x165 cm
Xenia Hausner
Borodino, 2019
Öl auf 310 gHahnenmühle Bütten
100 x156 cm
Fotos: Markus Prachensky; Xenia Hausner;
Im Kinsky beschreitet man ab kommendem Montag
mit dem Kunstraum einen neuen und innovativen
Weg. Die Räume im Erdgeschoß des Palais werden
im Oktober dazu genutzt, heimische Kunst zu
präsentieren und einen umfangreichen Überblick über
deren Entwicklung in den vergangenen 70 Jahren zu
bieten. Dabei besteht für interessierte Besucher auch
die Möglichkeit, die Werke käuflich zu erwerben.
„Von Österreich gingen im19. und 20. Jahrhundert
bedeutende Kunstrichtungen aus, eswar ein unbestrittener
Mittelpunkt europäischer Kunst“, führt
Nadine Kraus-Drasche, Mitkuratorin der Ausstellung,
aus. „Diese Tradition hochzuhalten und sie dabei mit
innovativen, originellen Konzepten zu bereichern, ist
ein Merkmal der zeitgenössischen österreichischen
Kunst.“ Mit dieser kann man nun im Kunstraum auf
Tuchfühlung gehen –eine willkommene Gelegenheit
für all jene, die den Zugang zur Kunst imFrühjahr
schmerzlich vermisst haben.
So sind wichtige Werke international anerkannter
Künstler wie Max Weiler, Fritz Wotruba, Günter Brus
oder Erwin Wurm Teil der Ausstellung. Die unterschiedliche
Ausrichtung dieser Künstler macht den
besonderen Reiz der Schau aus, ihre Vielfalt lädt zum
Staunen ein. Überraschende Synergien ergeben sich
durch die Hängung der Werke. Die Generation um
Hans Bischoffshausen und Oswald Oberhuber tritt etwa
in einen Dialog mit jüngeren Künstlern wie Herbert
Brandl oder Tillman Kaiser und Markus Schinwald.
Arrivierten Namen wie Markus Prachensky werden
neuere Positionen wie jene der Künstlergruppe Gelitin
gegenübergestellt. Auch den Malerinnen ist quer
durch die Jahrzehnte ein Schwerpunkt gesetzt –von
der Grande Dame Martha Jungwirth über Xenia Haus-
Tipp
AlleWerke sind ab sofort
auch ineinem Online-Katalog
zu besichtigen, über
www.imkinsky.com
Die Schau läuft vom 19. bis
31. Oktober 2020, jeweils
Montag bis Freitag von 14bis
20 Uhr und Samstag von
11 bis 17 Uhr.
ner und Suse Krawagna bis hin zu Bianca Regl.
Insgesamt sind es rund 60 Künstler und Künstlerinnen
aus den Bereichen Malerei und Bildhauerei, von denen
über 100 Arbeiten im Kunstraum zu sehen sind. „Wir
zeigen hier sieben Jahrzehnte Kunst, mit den wichtigsten
Vertretern der einzelnen Kunstströmungen!“,
so Kraus-Drasche. Damit will das Haus jedem Besucher
ermöglichen, sich mit der österreichischen Kunst
auseinanderzusetzen. Wer den Grundstein zu einer
Sammlung legen möchte oder eine bereits vorhandene
Kollektion aufzustocken vorhat, ist hier amrichtigen
Ort. Ein Begleitprogramm mit Führungen sorgt für
einen intensiven Austausch über die Werke, Veranstaltungen
wie After-Work-Drinks bieten Kunstgenuss in
entspannter Atmosphäre. Die Ausstellung ist aber
auch ganz individuell ohne Voranmeldung zu besichtigen,
alle Maßnahmen zum Schutz der Besucher wurden
selbstverständlich getroffen.
Das Kuratorenteam besteht aus den Eigentümern des
Auktionshauses im Kinsky, Michael Kovacek und Dr.
Ernst Ploil, sowie aus der Leiterin für Private Sales,
Nadine Kraus-Drasche, und den Expertinnen für zeitgenössische
Kunst Astrid Pfeiffer und Timea
Pinter.
„Unser Ausgangspunkt war einerseits, österreichischen
Künstlern indieser herausfordernden
Zeit eine Plattform zubieten“, erklärt
Kraus-Drasche. „Andererseits halten wir
immer nach innovativen Wegen Ausschau,
um unserer Kundschaft abseits der traditionellen
Auktionen etwas Neues zu bieten!“
Beide Aspekte greifen nun im Kunstraum auf
spannende Weise ineinander.
Text von: Mag. Alexandra Markl
Kulturmagazin 55
On Location
MQ LIBELLE
Beflügelte Terrasse
Endlich istsie gelandet: Coronabedingtkonntedie Libelle, derneue
VeranstaltungsraumamDachdes Leopold-Museums samtgrandioser
Aussichtsterrasse,erstimSeptember stattimApril eröffnet werden.
Die luftigeLeichtigkeit einer Libelle soll derBau aufdem Dach des
Leopold-Museums widerspiegeln, so Architekt Laurids Ortner,der
zusammenmit seinem Bruder auch die meistenanderen Bauten des
MQ geplanthat.Eva Schlegelhat dieGlaswand der Libelle entworfen,
vonBrigitte Kowanz stammen die ikonischen Beleuchtungskörper
aufder Terrasse. Wiedas Programm desRaums weitergeht,ist allerdings
noch unklar.Vom 1. November bis31. März istWinterpause.
Foto: Hertha Hurnaus
56 Kulturmagazin
GRABEN 13. 1010 WIEN.
www.heldwein.com
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@juwelierheldwein #juwelierheldwein
Signifikante Stimme. Ella Fitzgerald
ist das gesangliche Vorbild von
Anna B. Savage.
„Sexualität ist
Konversation“
Anna B. Savage wuchs mit Mozart-Arien auf und
singt über Masturbation. ImNovember kommt sie
nach Wien, 2021 erscheint ihr erstes Album.
Interview: Samir H. Köck
Fotos: Ebru Yildiz
58 Kulturmagazin
Die britische Musikerin Anna B. Savage kam nach Jahren
des Herumirrens auf dem deutschen Label City
Slang unter. Im Jänner 2021 erscheint ihr erstes
Album „A Common Turn“. Mit dunkler Stimme geistert
sie zwischen Melancholie und Aufbruch herum.
Im November gastiert sie, die auf ihrem neuen Song „Chelsea
Hotel #3“ das Tabuthema weibliche Masturbation behandelt,
beim Wiener „Blue Bird Festival“ im Porgy &Bess.
Ist Ihr Künstlername Anna B. Savage (zu Deutsch: Anna sei
wild) auchgleichkünstlerisches Programm?
Ich denke schon. Nur eine Kleinigkeit noch: Es ist tatsächlich mein
Name. Nichts Ausgedachtes. Wenn man schon soeinen Namen
trägt, dann sollteman ihm auch gerecht werden.
Wie haben Sie die Musik als Möglichkeit eigenen Ausdrucks
erkannt?
Meine Eltern sind beide Opernsänger. Musik war immer bei uns
präsent. Wahrscheinlich ist meine früheste musikalische Erinnerung
die Arie der Königin der Nacht aus Mozarts „Zauberflöte“.
Damals schlief ich noch im Gitterbett.
Gabesaußer klassischerMusik nochandereFormen, die Sie als
Kind kennenlernten?
Der allergrößte Teil der Musik, der ich als Kind ausgesetzt war,
war Klassik. Mozart-Opern waren meine größte Freude. Besonders
hatte esmir „Figaros Hochzeit“ angetan. Daneben gab es
noch Jazz und die Beatles. Im Familienkreis lief auch Ella Fitzgerald
und Nat King Cole. Meine Geschwister sind um einiges älter
als ich. Sie entwickelten ihren eigenen Musikgeschmack,der auch
auf mich abfärbte. Bei meinem Bruder hörte ich Radiohead und
Nick Drake, bei meiner Schwester Stevie Wonder und India Arie.
Sie haben eine sehr signifikante Stimme. Hatten Sie jemals ein
gesangliches Vorbild?
Das war sicher Ella Fitzgerald. Ich habe sehr viele Stunden zu den
Schallplatten gesungen und wohl auch versucht, sie zu kopieren.
Ihr Timing ist unerreicht. Und da war soeine Leichtigkeit und
Würde inihrem Gesang.
Aber ihre Kunst war entschieden fröhlicher als das, was Sie
machen. Wiegehtdas zusammen?
Ich weiß es auch nicht genau. Vielleicht kommt meine Vorliebe für
das Düsterevon derOper.
In welchemTeilvon London wuchsen Sie eigentlichauf?
In Crouch End, also Nord-London. Es istbeinah idyllisch.
Aber der Jazz spielt sich inLondon, sieht man von Soho ab, in
Ost-London ab. Sie haben vor ein paar Jahren ein Livealbum im
berühmten Cafe Oto aufgenommen. Wiekam das?
Ich durfte das Vorprogramm eines Konzerts der norwegischen
Sängerin Jenny Hval bestreiten. Der Toningenieur des Clubs stellte
sich als Freund meines Tourmanagers heraus. Und sofragte er
mich, ob er aufnehmen solle. Im Zweifel warenwir dafür.AmEnde
fanden wir die Aufnahmen gut und veröffentlichten sie als EP auf
Vinyl. Es war interesssant für mich, die Stücke soabgespeckt zu
hören. NurGitarreund meine Stimme.
Was hat Sie zu dem darauf enthaltenen Song „Also Human“
inspiriert?
Das Lied handelt von einer meiner besten Freundinnen,
die den Hang zur Einzelgängerin hat. Es ist
ein Song über Unsicherheit. Schwächen gehören
für mich zum Menschsein. Es ist eine Art Liebeslied
an sie.
Sie bereiten gerade Ihr leicht verspätetesDebütalbum
vor. Welche Schritte ziehen Sie in Erwägung?
Das ist derzeit eine Art Millionen-Dollar-Frage. Die
Pandemie macht längerfristigePlanung fast unmög-
Tipp
Blue BirdFestival. Vom
19.bis 21. November 2020
im Porgy&Bess. Mit
Anna B. Savage,Garish,
Alicia Edelweiss, Konni
Kass, ThisIsthe Kit.
lich. Die Veröffentlichung wurde jetzt einmal verschoben. Mein
ästhetisches Ziel war auf jeden Fall, ein Album zu machen, das
mit jedem Hördurchgang wächst. So richtig radiotauglich ist
meine Musik nicht. Dafällt dann schon viel weg, was Marketingstrategien
anbelangt.
WiehabenSie denCovid-19-Lockdown verbracht?
Ich war in Bristol, wo meine Geschwister leben. Ich fand es ziemlich
schwierig, die ganze Zeit so unabgelenkt von mir selbst zu
sein. Und soversuchte ich ein bisschen etwas zulernen, schaute
mir ein paar YouTube-Masterclasses an. Viel gelesen habe ich.
Und natürlich Songs geschrieben. Ich war nicht krank und habe
das Beste daraus gemacht.
Wird das Lied „Dead Pursuits“ Teil Ihres Albums sein? Und
worumgehtesda?
Es ist mein Lamento auf die Musikindustrie. Was ich nicht alles
probiert habe, ohne dass etwas passiert ist. Das Komponieren ist
nur die eine Seite. Wesentlich schwieriger ist es, Leute inder
Industrie dazu zu bringen, deine Songs anzuhören. Umso besser
fühlt es sich jetzt an, dass ich endlich ein Label gefunden habe.
Sie litten eine Zeit lang auch unter einer Schreibhemmung. Wie
habenSie diese überwunden?
Das ging einige Jahre so. Als Hauptgrund entpuppte sich schließlich
eine ziemlich toxische Beziehung. Sobald ich da raus war,
ging es bergauf. Ich hangelte mich entlang von Coverversionen
wieder zurück zur eigenen Kreativität. Die Lieder anderer öffneten
mich wieder. Zusätzlich las ich viele Romane und Gedichtbände.
Das lockerte mich.
Favorisieren Sie eine bestimmte Dekade in der Popmusikhistorie?
Es ist nicht leicht. Ich bin ein Kind der 1990er-Jahre. Wahrscheinlich
sind es ohnehin die Neunziger mit Radiohead und Jeff
Buckley. Grungeund Emo sind die Strömungen, die mich wohl am
meisten geprägt haben.
Wasist IhreDefinition eines gutenSongs?
Diesbezüglich bin ich gespalten. Als Tochter eines Opernsängerpaars
will ich, dass ein Lied interessant ist. Der andere Teil von
mir will schlicht beim Hören etwas fühlen. In meiner Musik will
ich diese beiden Teile meines Ichs zusammenführen.
Ist einegewisse Perfektion wichtig?
Keinesfalls. Für mich wenigstens nicht.ImGegenteil. Ichhabe mich
lange Zeit damit herumgeschlagen zu glauben, dass ich nicht gut
genug sei. Der Feind alles Kreativen ist für mich der Glaube an
Perfektion.
Einer Ihrer neuen Songs, „Chelsea Hotel #3“, steht in gewisser
Beziehung zuLeonard Cohens „Chelsea Hotel #2“. Wie kommt
das?
Angeregt von dem Roman „I Love Dick“ von Chris Kraus wollte
ich einen Song über weibliche Selbstbefriedigung schreiben, als
ich dieses Cohen-Lied zu Gehör bekam. Mir gefiel die saloppe
Art, wie Cohen über seine sexuelle Begegnung mit Janis Joplin
berichtet. Inmeinem Song geht es darum, das einzementierte
Verhältnis von Muse und Künstler umzukehren. Es ödet mich
an, dass Musen immer Frauen sein müssen. Es kann doch
genauso gut andersrum sein.
Sehen Sie Verbesserungen im Verhältnis von Frauen
und Männern in denletzten Jahren?
Ja, auf jeden Fall. Die Menschen sind mittlerweile
viel eher bereit, nicht nur mit ihrem Partner über
alles zusprechen. Basis einer guten Beziehung ist
exzellente Konversation. Sexualität ist jaauch eine
Form von Konversation. Das verstehen mittlerweile
viel mehr Menschen. Wie ich hoffe, auch außerhalb
meiner digitalen Echokammer... e
Kulturmagazin 59
„Der Ruhm
verblasst schnell“
Jamie Cullum, mittlerweile 41Jahre alt, wirkt immer
noch unverschämt „boyish“. Mit seinem Album „Taller“
gastiert erEnde Jänner 2021 im Wiener Konzerthaus.
Text: Samir H. Köck
Qurilig. Das Brennen, der Drang zu komponieren
hören bei Jamie Cullum nie auf.
Fotos: Universal Music;
60 Kulturmagazin
Humor besitzt Jamie Cullum nicht
zu wenig.„IwishIwastaller“ sang
er im Titelsong seines letzten
regulären Albums. Er, der mit der
einen Kopf größeren Fernsehköchin
Sophie Dahl, der Enkelin des berühmten
Schriftstellers Roald Dahl, glücklich ist. Seit
vielen Jahren schon. Ist man als kleinwüchsiger
Mann getriebener, was den Erfolg
anlangt, weil ja so viele Künstler und
Geschäftsleute eher Zwergerln als Riesen
sind? Cullum hält einen Moment inne und
setzt seine seriöse Miene auf. „Das ist mir
zu simpel gedacht.Inmeinem Fall kann ich
ehrlich sagen, dass meine Körpergröße keinesfalls
meinen Charakter mitgeformt hat.
Dieses ganze Genecktwerden habe ich
nicht allzu ernst genommen. Es war viel
eher meine intensive Liebe zur Musik, die
mich dorthin gebracht hat, wo ich heute
stehe.“
Anders als so mancher Kollege hat esCullum
dauerhaft geschafft, sich an der Spitze
zu halten. Dies durch mehrerlei Strategien.
Eine davon war sicher sein breites Interesse
an Musik. Immer wieder integrierte
er Songs aus ganz anderen Genres in seine
jazzige Mischkulanz. Lieder von Pharrell
Williams, von Rihanna oder den europäischen
Clubhit „I Took aPill in Ibiza“ von
Mike Posner. Dieser furchtlose Zugang zur
Musik, den er sicher aus der Zeit als Hochzeitsmusiker
herübergerettet hat, zeichnet
ihn genauso aus wie seine Rasanz und sein
Gusto, Coverversionen erbarmungslos zu
dynamisieren.
Poppig wie nie. Der 1979 in Essex geborene
Brite Jamie Cullum hat sich seine
Kunst autodidaktisch beigebracht. Zudem
verwandelte ersich praktisch in Bestzeit
von einem bloßen Interpreten zu einem
gestandenen SingerSongwriter. Seit er
2003 zum „Rising Star“ bei den British Jazz
Awards gekürt worden war, arbeitete er
sich rasch an die Spitze und machte Weltkarriere
mit einem unverschämt charmanten
Mix aus Jazz und Pop. Auf seiner musikalischen
Reise hat er mit so unterschiedlichen
Künstlern wie dem Count Basie
Orchestra und Pharrell Williams, Dan the
Automator und Gregory Porter gearbeitet.
Seine bislang acht Alben demonstrieren in
ihrer Unterschiedlichkeit das künstlerische
Spektrum desunverschämt jung aussehenden
Vierzigjährigen. Das 2013 edierte
„Momentum“, das den oft unmerklichen
Wechsel von Adoleszenz zum Erwachsensein
thematisiert, zeigte ihn poppig wie
nie. Auf dem Nachfolger „Interlude“ unterzieht
er Jazzklassiker und Popraritäten von
Sufjan Stevens bis Randy Newman einer
Frischzellenkur àlaNostalgia 77. Was zieht
ihn so an der Popmusik an, dass er sie
unerlässlich findet, wenn es um die
Erneuerung des Vokaljazz geht? „Ob meine
Musik unter Pop oder Jazz rubriziert wird,
ist mir egal. Wenn ich mich auf einen klarenJazzsound
beschränken würde, wäre es
viel härter, in meinen Eigenkompositionen
konzise Statements zu machen. Da wäre
ich dazu gezwungen, permanent vertrackte
Akkordwechsel und clevere Taktarten
auszuhecken. Als Komponist kann es
einen langweilen, an solche Dinge zudenken,
wenn man eine klare emotionale Botschaft
vermitteln will.“ Jeder, der ihn schon
einmal live gesehen hat, schwärmt von seiner
Quecksilbrigkeit, die ihn zuweilen verleitet,
mit billigen Turnschuhen auf teure
Flügel zuspringen. Eindeutig war bislang,
dass es wichtiger war, mit Traditionen zu
brechen, als ihnen brav zu folgen.
Das ist nun ein wenig anders. Erstmals hat
er eine Weihnachtsplatte aufgenommen.
„The Pianoman at Christmas“ heißt das
Werk.Und man kann davonausgehen, dass
es eines der besten des Festtagsgenres sein
wird. Dass es auf einer Höhe mit den wirklich
gut ins anspruchsvolle Ohr gehenden
X-MasAlben von John Legend, Michael
Bublé und Robbie Williams sein wird. Von
diesen Liedern, so schön sie auch sein
mögen, wirderdann im Jänner,wenn er im
Wiener Konzerthaus gastieren wird, nichts
hören lassen. Egal.
Auf dem eingangs erwähnten aktuellen
Album „Taller“ hat ersich konzeptuell wieder
mehr dem Jazz zugewandt.Ein bewusster
Akt? „Im Grunde gibt es kein Album
ohne zumindest unbewusstes Konzept.
Aber diesmal war esein ganz bewusster
Schritt, wieder mehr in den Jazz abzutauchen.
Und zwar einen Jazz, der ganz und
gar ins 21. Jahrhundert gehört. Ich habe
sehr sorgfältig darauf geachtet, dass es
ganz modern klingt. Da gibt es kräftigere
Tipp
„Taller“. Am 30. Jänner 2021 ist
Jamie Cullum im Wiener Konzerthaus
zu hören,
www.konzerthaus.at
„The Pianoman at Christmas“.
Das Album erscheint im Oktober
bei Universal Music,
www.universalmusic.com
Schlagzeugsounds, programmierte Passagen
und ein paar Synthesizer und ganz
zum Schluss eine FourtothefloorNummer
mit Housebeats. Kurioserweise klingt
der Opener, eine Nummer, die ich mit dem
CountBasieOrchestra aufnahm, viel kräftiger
als allesandere.“
Britischer Jazz erneuert sich. Der Stilmix
fiel diesmal nicht so abenteuerlich aus wie
früher. Hat sich sein Geschmack verändert?
„Nein. Die grundsätzliche Ausrichtung
auf den ganz großen Horizont, die
habe ich mir immer bewahren können.
Früher haben mich Akkordfortschreitungensehr
reizen können, heutzutagesind es
gute Texte wie jene von Nick Cave, den ich
heute viel lieber höre als früher. Er hat
stark an Tiefe gewonnen. Ich liebe die
Arbeit von sounterschiedlichen Kollegen
wie Tom Misch und Shabaka Hutchings.
Der Jazz erfährt gerade eine richtige
Erneuerung in England. Es gibt so viele
junge Musiker, die an Herausforderungen
interessiert sind. Und immer mehr von
„Der Jazz erfährtgeradeeine Erneuerung in
England. Es gibt so viele jungeMusiker,die an
Herausforderungen interessiertsind.“
diesen Instrumentalisten sind Frauen.
Wenigstens das stimmt mich optimistisch.“
Cullum beherrscht die hohe Kunst des
Rückzugs. Nach Jahren im Scheinwerferlicht
verschwindet er zwischendurch für
längere Zeit in die Anonymität. Das „Star
Game“spielt er nicht gern. Wasgenoss er in
diesen Phasen des Rückzugs am meisten?
„Ganz simple Dinge. Ich hing in Pubs ab,
fuhr mit meinem Fahrrad herum, besuchte
meine Eltern, spielte Tennis und Fußball,
versuchte mich in der Kochkunst und
pflegte immer wieder mal ein Mittagsschläfchen
zu halten.“
Nie Angst gehabt, die mühevoll aufgebaute
Karriere damit zu gefährden? „Es stimmt
schon, heutzutage verblasst der Ruhm
ziemlich schnell. Aber ich hoffte immer,
dass meine Bekanntheit auf meinen musikalischen
Qualitäten basiert. Mein Gehirn
war vom vielen Trubel meines jähen Karriereaufschwungs
geröstet. Ich hatte
unendlich großes Schlafbedürfnis. Dem
folgte ich und wartete darauf, bis wieder
dieses Brennen in mir aufkam, dieser
Drang zu komponieren und zu spielen. Das
passierte dann überraschend schnell. Ich
komponierte schon nach einem Monat
wieder. Allerdings nur zum Spaß und
Songs, die die Öffentlichkeit niemals zu
hören bekommt.“ e
Kulturmagazin 61
Weinviertler. Alle acht Skolka-Musiker stammen
von dort.Der Dialekt ist ihr Markenzeichen.
Tanzbodenfeger
aus dem Weinviertel
Kerniger Ska und satte Polkabeats versetzt
mit geschmeidigem Reggae: Das ist der
Sound von Skolka. Gemeinsam mit Otto Jaus
hat die Band gerade eine neue, nostalgische
Single herausgebracht: „Domois, wia ma
Kinder woan.“
Text: Daniela Tomasovsky
62 Kulturmagazin
Sie haben im Weizenfeld ein Kinderzimmer
aufgebaut, mit Retrotapeten,
Festnetztelefon, Spielen,
alten Fotos und Fanta aus 80er
JahreFlaschen. „Domois, wia ma Kinder
woan“ ist der jüngste Streich der Weinviertler
CrossoverBand Skolka, die Single
kam Ende August heraus, Otto Jaus ist als
Überraschungsgast mit an Bord. „AHittn
zum Verstecken, der Kopf voll Fantasie“...
Erinnerungen an die Kindheit werden zu
groovigen Beats heraufbeschworen. Und
die Kindheit haben sie gemeinsam, die acht
Musiker von Skolka und der Sänger und
Kabarettist Otto Jaus (der sonst mit Paul
Pizzera als Duo auftritt). Sie alle sind im
Weinviertel groß geworden, der Dialekt ist
zu einem Markenzeichen von Skolka
geworden. Seit 2008/09 musizieren Judith
Frank (Gesang), Thomas Rieder (Gitarre/
Fotos: Michael Reidinger
Gesang), Raffael Schimpf (Bass), Gerald
Schwent (Schlagzeug), Christoph Schödl
(Posaune/Gesang), Roman Leisser
(Posaune), Christoph Nadler (Trompete)
und Bernd Treimer (Trompete) als Band
miteinander, anfangs als Coverband und
mit englischen Liedern.
Tanzbar. Viel experimentiertwurde in frühen
Jahren, 2012 wurde dann die heutige
Band gegründet: Skolka. Der Name setzt
sich aus den Musikstilen Ska und Polka
zusammen. „Bob Marley und die amerikanische
Ska-Punk-Band Mad Caddies haben
uns inspiriert“, erzählt Trompeter Christoph
Nadler. Getanzt werden soll zu ihren
Liedern, daher die Polka, und auch auf den
Dialektgesang einigte man sich schnell.
„Das gab es damals noch kaum. Wirwollten
uns einfach so ausdrücken können, wie wir
es gewohnt sind. Im Englischen kommt das
nicht so authentisch rüber“, so Nadler.
Anfangs traten Skolka als Vorgruppe auf,
etwa von Russkaja, La Brass Banda, Clara
Luzia, Wanda oder Seiler und Speer. 2013
erschien ihr erstes Mini-Album „Gemma
Gemma“, das gleich mal in die Top 40der
österreichischen Charts einstieg.
„Daunzboa“, also tanzbar aufHochdeutsch,
war das erste reguläre Album der Band,
beim Spielberg Musikfestival, dem Donauinselfest
und dem Nova Rock tourten sie
damit und trafen mit ihren Texten den Spirit
ihrer Generation. „Wenn die Gstriegelten
wieder am Sudern san, machs dir
chillig hier am Uferstrand“, singen sie etwa
in „Leiwaund“. Gefühlig-entspannt geht es
auch in „Roda Klee“ zu: „Wir ernähren uns
von Liebe, Luft und Licht. Wir versumpern
unten am See, schlafen ein im rotenKlee.“
Sie können aber auch anders: Bei Liveauf-
Der Dialekt istauch in Kroatien kein Hindernis.
Musik versteht man auch ohne Sprache.
tritten forcieren Skolka vorrangig ihre
Tanzbodenfeger, allesamt Eigenkompositionen:
„Heit geht’srund“, „Adrenalin“oder
„Auf geht’s“. „Die Nacht ist jung, jetzt gemmas
an, es juckt in’d Fiaß, treibt di voran“,
heißt es da zu schmissigen Beats des
Oktetts. „Wir spielen ausschließlich auf
analogen Instrumenten, das gehört zu
unseren Markenzeichen“, sagtNadler.
Neue Ideen. 2020 durchkreuzte Corona
die Tourpläne, die meisten Konzerte wurden
aufs nächsteJahr verschoben: Etwa die
Burg Clam, das Nova Rock Festival, Freiklang
auf der Ruine Falkenstein und natürlich
die Auftritte imAusland. Wie ging es
der Band im Lockdown? „Am Anfang war
es schon zach. Aber wir hatten seit Längeremgeplant,neue
Stückezuschreiben, das
war dann ein guter Anlass, um Ideen zu
sammeln“, sagt Nadler. Sobald es wieder
möglich war, trafen sie sich im Studio und
probten miteinander. „Wir leben alle nicht
Tipp
„Wia ma Kinder woan“, feat.
Otto Jaus. Die Single ist Ende
August 2020 erschienen.
Bisherige Alben: „Dammawos“,
„daunzboa“, „Gemma
Gemma“. Livetermine sind
für heuer unsicher, gibt’s
kurzfristig auf der Website
www.skolkamusik.at oder auf
den SocialMediaKanälen.
von der Band, aber natürlich suchen wir
Kanäle, um unsere Musik unter die Leute
zu bringen, vor allem, da Liveauftritte
momentan kaum möglich sind. Als Nachwuchskünstler
ist esaber schwierig, eine
größere Reichweite zuerlangen, die großen
Radiostationen blocken da eher ab“,
meint der Trompeter, der im Brotberuf in
einer Musikschule unterrichtet.
Social-Media-Kanäle wie Facebook, Instagram
oder YouTube spielen eine umso größereRolle.„Das
sind unsereHauptkommunikationskanäle,
um Konzerttermine zu
promoten oder Einblicke ins Bandleben zu
geben.“ Auch danutzt hin und wieder ein
Reichweitenverstärker. „DiePuls-4-Castingshow
,Ein Herz von Österreich‘ hat uns
nach vorn katapultiert und viele Klicks auf
YouTube gebracht.“
Apropos Auslandsauftritte –ist dader Dialekt
kein Hindernis? „Wir spielen viel im
süddeutschen Raum –Bayern ist jaimmerhin
so groß wie Österreich –oder in der
Schweiz, etwa beim Alpenklang Festival.
Aber wir haben auch in Kroatien oder Bratislava
gespielt, die Musik verbindet, viele
Songs versteht man auch ohne Sprache.“
Dass auch Anliegenvon Frauen in der männerdominierten
Band zum Ausdruck kommen,
dafür sorgt Frontfrau Judith Frank.
Etwa mit „He Madl“. „Steh auf, gspier di,
lass die Masknfalln, feier di söbst“, heißtes
da. Zukunftspläne hat die Band viele, die
Coronalage macht die Planung schwer.
Trotzdem: „Spielen, spielen, spielen“ lautet
das Motto. e
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Wissenschaft
Museen
Josh Lovell. Der junge kanadische Tenor
singt die Hauptrolle, Noboru.
Simone Young. Die Dirigentin leitet die
Premiereander Wiener Staatsoper.
Die Sogwirkung
einer Buberlbande
Wie aus zarten Knaben blutrünstige
Mörder werden, zeigt Hans Werner
Henzes Oper „Das verratene Meer“.
Text: Wilhelm Sinkovicz
Sergio Morabito. Der Chefdramaturg
der Wiener Staatsoper führt Regie.
Bo Skovhus. Der dänische Bariton
gibt den Offizier Ryuji.
64 Kulturmagazin
Fotos: Simon Pauly; Berthold Fabricius; Klara Beck; Roland Unger;
Mit den Nachwehen der Achtundsechziger-Bewegung
hatte sich
der deutsche Komponist Hans
Werner Henze völlig aus den
Opernhäusern und Konzertsälen der Welt
zurückgezogen. Er wollte „engagierte
Musik“ machen, ging eine Zeit lang nach
Kuba und verfasste, wenn schon, Opern
nach Texten von Edward Bond mit sozialkritisch-revolutionärem
Inhalt. Dabei war
Henze in den späten Fünfziger- und frühen
Sechzigerjahren zum Liebkind des Musik-
Establishments geworden: Er war nach Italien
gegangen, wo man freizügiger leben
konnte injenen Jahren. Er schrieb Musik
zwischen Neutönerei und der Liebe zu zartenMelodien
und schlichter Harmonik und
positionierte sich damit zwischen allen
Stühlen: Den Avantgardisten zu altmodisch,
dem Publikum zu modern. Henze
hielt den Zwiespalt nicht mehr aus und
sonderte sich weiter ab –beziehungsweise
warf sich in die Arme der engagierten Linken.
Doch auch das hatte ein Ablaufdatum:
Die Oper „Das verratene Meer“ markierte
so etwas wie die Rückkehr des Komponisten
ins allgemeine Musikleben. Henze war
sich seiner sicher geworden und schrieb
einfach nur noch Stücke, auf die er Lust
hatte–ohne Rücksicht aufästhetische Doktrinen
oder politische Wegweiser.
Bezeichnend dafür ist, dass die Vorlage
zum „verratenen Meer“ von einem ausdrücklich
der japanischen „Rechten“ zuzuordnenden,
wenn auch äußerst populären
Autorstammt: Yukio Mishima hatsich nach
einem von ihm selbst mitorganisierten
Putschversuch zur Wiedereinsetzung der
absoluten Monarchie 1970 das Leben
genommen.
rien ansetzen. Es wirddargestellt,wie Menschen
einander begegnen und wasdie Konsequenzen
der Begegnungen sind.“
Mit entsprechendem „Abstand“ hat man
also bei einer Präsentation des Werks an
der Wiener Staatsoper die Handlung zu
dechiffrieren. Im Wesentlichen geht es um
die rituellen, quasireligiösen Handlungen
einer japanischen Jugendgruppe, die es
sich zum Ziel macht, ihre Prinzipien gegen
Eindringlinge von außen zu verteidigen,
und die dabei vor dem Äußersten nicht
zurückschreckt.
Der Verrat. Opfer der Aktion istRyuji, Offizier
der japanischen Handelsmarine, der
sich in die 33-jährige, ebenso schöne wie
wohlhabende WitweFusakoverliebt.Fusakos
Sohn Noboru, Mitglied der Jugendbande,
ist zunächst interessiert anseinem
„Stiefvater“, doch als offenbar wird, dass
der Offizier seinen Dienst quittiert, um mit
Fusako zu leben, ändert sich die Lage
schlagartig: Die jungen Burschen sehen in
dem Offizier einen Abtrünnigen, der „das
Meer verraten“ hat. Die Geschichte, die
Henze zu den Worten seines Librettisten
Hans-Ulrich Treichel erzählt, handelt vom
langsamen Ablösungsprozess des Burschen,
seinen erotischen Beobachtungen
bei den nächtlichen Zusammenkünften seiner
Mutter mit ihrem Geliebten. Und von
der schleichenden Infiltration durch das
Gedankengut der jungen Männer, die am
Ende des ersten Teils der Oper eine Katze
schlachten –was sich zuletzt als Generalprobe
für die rituelle Opferung Ryujis entpuppt,
mit der der spiegelbildlich zum erstenangelegtezweiteTeil
der Oper schließt.
In Henzes Charakterisierung der Figuren
gibt es nicht Gut, nicht Böse: „Jede Frau
kann sich mit Fusako identifizieren, jeder
Mann mit Ryuji. Undjeder Mensch mit dem
Anfänger,dem es zustößt,imCollege einen
Anführer kennenzulernen und in seine
Gang von knabenhaften, altklugen Schulkameraden
integriertzuwerden.“
Der Komponist möchte keine Verurteilungen
vornehmen: „Es ist wichtig, dass diese
Jungens wie normale oder besser: über-
Tipp
„Das verratene Meer“. Die
Premiereder szenischen
Erstaufführung in deutscher
Sprache findet am 13. Dezember
in der Wiener Staatsoper
statt.Dirigentin: Simone
Young. Regie: Jossi Wieler
und Sergio Morabito.Mit
Josh Lovell, Bo Skovhus,
Vera-Lotte Boecker.
Es geht um die rituellen
Handlungen einer
japanischen Jugendgruppe,
die vordem
Äußersten nicht
zurückschreckt.
Psychoanalyse als Inspiration. Sein
Roman „Gogo NoEiko“ wurde zur Grundlage
von Henzes Oper, für deren Stil und
Anlageder Komponist ausdrücklich Vorbilder
nennt, die weit weg weisen von seiner
jüngeren, engagierten Künstlervergangenheit:
Ein Essay von Auden, „das Theater
Racines und Corneilles“ und, man höre
und staune, „das post-wagnerische Musikdrama
und die Psychoanalyse“ seien, so
Henze, „wesentliche Inspirationsquellen
für diese im modernen Japan angesiedelte
Liebestragödie“gewesen.
Es war Henze auch wichtig, darauf hinzuweisen,
„dass das Stück keine Moral im
westlichen Sinn hat. Es geschehen die
Dinge schicksalhaft, d.h.wie durch Zufall,
wie in der Natur. Wir dürfen nicht richten,
dürfen keine christlich-westlichen Kritedurchschnittlich
begabte ,college boys‘
sich benehmen, wir müssen sie mögen, wir
müssen besonders mit Noboru sympathisieren,
der Hauptrolle der Oper.“
Entsprechend ergeht HenzesAufforderung
an die Regisseure und die Darsteller der
Jugendbande: „Sie sind keine Perversen
oder Skinheads oder Rocker, dies sind
zarte, verletzte Wesen, deren Spielereien
irgendwann einmal, sozusagen durch den
Unglücksfall einer zerebralen Missfunktion
hervorgerufen, in tödliche Wirklichkeit
umschlagen. Aber sie sind keine Kriminellen.
Es stößt ihnen etwas zu. Ein geistiges
Abenteuer, das zu weit geht, außer Kontrolle
gerät:die Grenzüberschreitung.“
Henzes Partitur ist ein Musterbeispiel für
die von diesem Komponisten jahrzehntelang
kultivierte Polystilistik, die vieles von
der sogenannten Postmoderne vorweggenommen
hat, aber auch dort, wo sie zwischen
avantgardistischen Praktiken und
Elementen der Unterhaltungsmusik vermittelt,
stets unverwechselbar die Handschrift
Henzes trägt. In den Szenen der
Jugendbande Noborus greift der Komponist
sogar auf Techniken des Renaissance-
Madrigals zurück: Die fünfstimmigen
Ensembles der Jugendlichen sind für alle
Männerstimmlagen gesetzt: vom Countertenor
bis zum Bass. Sie bilden mit scharf
geschliffenen, nervös-vielschichtigen
Rhythmen den Gegenpol zur schwärmerischen
Musik der „Erwachsenen“.
Einen breiteren Stellenwert als gewohnt
nehmen in diesem Werk die Kommentare
der Handlung durch das groß besetzte
Orchester ein: Die Zwischenspiele sind oft
minutenlang und symbolisierendie Stimme
derNatur,des „verratenen Meers“.
Die österreichische Erstaufführung der
Oper fand in japanischer Sprache unter
dem Titel „Gogo NoEiko“ bei den Salzburger
Festspielen statt. Die Wiener Staatsoper
zeigt die szenische Erstaufführung in deutscher
Sprache mit Vera-Lotte Boecker als
Fusako, Josh Lovell als Noboru und Bo Skovhus
als Ryuji. Simone Young dirigiert, Jossi
Wieler und Sergio Morabito inszenieren in
Bühnenbildern vonAnna Viebrock. e
Kulturmagazin 65
Kuriose
Meisterwerke
Maddalena del Gobbo lässt im
Musikverein die Viola daGamba in
all ihren Spielarten erklingen.
Text: Wilhelm Sinkovicz
Otto Biba, langjähriger Direktor
des Archivs der Gesellschaft der
Musikfreunde in Wien – und
damit Herr über eine der wertvollsten
Musikaliensammlungen der Welt –,
hat eine originelle Konzertreihe ins Leben
gerufen: Unter dem Titel „Nun klingen sie
wieder“ präsentiert er Instrumente aus
dem Archiv, die zum Teil seit Jahrhundertennicht
mehr zu hören waren.
Dabei konnten Musikfreunde bereitsKuriositäten
entdecken. Etwa die zur Biedermeier-Zeit
modische „Stockflöte“, die es
dem Flaneur ermöglichte, irgendwo unter
freiem Himmel seinen Spazierstock in eine
Flötezuverwandeln und zu musizieren.
Freilich beherbergen die Sammlungen
auch wertvolle Instrumenteaus dem Besitz
großer Musiker und Komponisten. Die
nächste Folge widmet sich der Viola da
Gamba, also einer ganzen Instrumentenfamilie,
die von der großväterlichen Bassgambe
bis zum Sopran-„Baby“ alle Register
umfasste und vor der Landnahme von Vio-
Ausnahmekünstlerin.
Die gebürtige
Italienerin Maddalena
del Gobbo beherrscht
die Gambe
wie niemand anderer.
linen und Violoncelli das weite musikalische
Land unumschränkt beherrschte: Die
Gambe war das allumfassende Streichinstrument
–der Kontrabass ist inunserem
Symphonieorchestern der letzte Überlebende
der Spezies.
Damen vorbehalten. Mit Maddalena del
Gobbo hat sich Otto Biba diesmal einer
charmanten und versierten Instrumentalistin
versichert, die im umfassendsten
Sinne des Wortes alle Gamben-Spielarten
beherrscht. Sie bringt Kollegen mit, Eva
Münzberg (Pardessus de Viole), Christoph
Urbanetz (Baryton), Florian Wieninger
(Violone) und den Cembalisten
Anton Holzapfel.
Gemeinsam musiziert man
Gambenmusik aus drei Jahrhunderten.
Wobei mit der Violone die
Vorform unseres Kontrabasses
zubestaunen ist. Die Pardessus
de Viole wiederum ist
Tipp
„Nun klingen sie wieder“.
Mit Maddalena del Gobbo,
EvaMünzberg, Christoph Urbanetz,
Florian Wieninger,
Anton Holzapfel. 11. Februar
2021, 19.30 Uhr,Musikverein,
Brahmssaal
die Gambe in der höchsten Lage: Der Sopran
war im Frankreich des frühen 18. Jahrhunderts
vornehmlich den Damen vorbehalten.
Für das Baryton wiederum, mit dem
die Instrumentenbauer des18. Jahrhunderts
einen Sonderwegbeschritten, hatsich Maddalena
del Gobbo schon einmal selbst eingesetzt,indem
sie aufdiesem Instrument eine
ganze CD aufgenommen hat.
Geheimnisvolle Bordunsaiten. In der
Musikgeschichtsschreibung hat das Barytonauf
Grund der zahlreichen Werkeüberlebt,
die kein Geringerer als Joseph Haydn
komponierthat.Und das kam so: Wiesooft
hängt esaneiner einzigen Persönlichkeit,
in diesem Fall war Fürst Esterházy, der
Dienstherr Haydns, der Promotor des
raren Instruments. Haydn war seit den
1770er-Jahren der unermüdliche fürstliche
Opernkapellmeister. Das wusste die ganze
Welt. Doch vor dieser Ära machte man in
Eisenstadt und Esterháza eher Kammermusik.
Und diese Musik dominierte der
Klang eines Instruments, von dem wir
heute ohne den musikalischen Fürsten
nicht einmal mehr den Namen kennen
würden: Nikolaus, der Prachtliebende,
spielteBaryton.
Optisch würden wir in unseren Tagen dieses
Instrument am ehesten mit dem Cello
vergleichen, klanglich am ehesten mit
einer Bratsche. Doch schwingt im Klang
des Barytons im wahrsten Sinn etwas
Geheimnisvolles mit. Sogenannte Bordunsaiten,
unterhalb der eigentlich gespielten
Saiten angebracht, umgeben den Klang
stets noch mit sanften Sphärenharmonien.
Weitere Zusatzsaiten waren wie Gitarresaitenzum
Zupfen gedacht.Soumfasstediese
Hybridinstrument eine erstaunliche Klangpalette,
während der harmonische Bereich
ziemlich begrenzt war. Die mitklingenden
Saiten konnten ja nicht umgestimmt werden,
sodass sich angenehme Effekte nur in
bestimmten Tonarten ergaben. Daher stehen
denn die meisten der Hunderten (!)
Werke, die Joseph Haydn für das Baryton
geschrieben hat, in immer denselben Tonarten.
Wär’ nicht Haydn gewesen, wenn
ihm nicht trotz dieser Beschränkungen
immer etwasNeueseingefallen wäre.
Mandarf sich also durchaus auch in diesem
kuriosen Klangumfeld auf kompositorische
Meisterwerke freuen. Und
auch einige Cembalo-Zwischenspiele,
die Anton Holzapfel
auf historischen Instrumenten
der Musikvereinssammlung
musizieren wird;
auch diesbezüglich darf man
sich auf Überraschungen
gefasst machen. e
Fotos: Universal Music;
66 Kulturmagazin
Virtuoser Brückenbauer
Mit Martin Schläpfer als Ballettdirektor beginnt für das
Wiener Staatsballett eine neue Ära.
Text: Daniela Tomasovsky
diepresse.com/derclub
CLUB-VORTEILE
Vielfältiges Programm.
„Dance is music made visible“
–George Balanchines „Jewels“
(rechts oben und unten)
werden wiederaufgenommen.
„Mahler,live“ (oben) ist Schläpfers
Staatsoperneinstand, die
Klassiker „Giselle“ (linksoben)
und „Schwanensee“ (links
unten) laufen weiter.
Fotos: Wiener Staatsballett/Ashley Taylor; beigesterllt;
Martin Schläpfer übernahm mit
der Spielzeit 2020/21 die Leitung
des Wiener Staatsballetts.
Der Schweizer Choreograf und
Ballettdirektor hatte zuletzt das mehrfach
preisgekrönte Ballett am Rhein Düsseldorf
Duisburg zu internationalem Rang geführt.
Seine Werke faszinieren mit ihrer Intensität,
ihrer Virtuosität, ihren zutiefst berührenden
Bildern und einer prägnanten
Bewegungssprache, die sich als ein Musizieren
mit dem Körper begreift, immer
aber auch die Stimmungen und Fragestellungen
der heutigen Zeit reflektiert.
Gleich mehrere Programme geben die
Gelegenheit zur Begegnung – darunter
zwei Uraufführungen: Zu Gustav Mahlers
4.Symphonie und DmitriSchostakowitschs
15. Symphonie entstehen zwei neue Werke
für Wien, die zugleich auch der Beginn des
intensivenDialogs sind, den Martin Schläpfer
in den kommenden Jahren mit den
Künstlern seinesEnsemblesgestalten wird.
Als Direktor zeigt sich Martin Schläpfer als
ein Brückenbauer, der die großen Balletttraditionen
selbstverständlich weiter pflegen,
aber den Spielplan auch um wichtige
Künstler der Gegenwart und eine große
Vielfalt an choreografischen Handschriften
bereichern wird. Die Meister der amerikanischen
Neoklassik GeorgeBalanchine und
Jerome Robbins werden weiterhin zu den
Fixsternen des Wiener Spielplans gehören,
ebenso wie der Niederländer Hans van
Manen.
Tanzmoderne. Erstmals sind mit dem
Staatsballett 2020/21 dagegen Werke von
AlexeiRatmansky sowie der beiden großen
American-Modern-Dance-Künstler Paul
Taylor und Mark Morris zu erleben. Aber
auch die Tanzmoderne, deren Heimat das
Tipp
Wiener Staatsballett. Die Uraufführung
von „Mahler,live“ findet am
4. November in der Wiener Staatsoper
statt.Die Premierevon „Ein
Deutsches Requiem“ am 30. Jänner
2021 in der Wiener Volksoper.
Ermäßigte Tickets.
DiePresse.com/derclub
Nederlands Dans Theater ist, wird mit WerkenSol
Leóns &PaulLightfoots, Jiří Kyliáns
und natürlich Hans vanManens begeistern.
Besonders am Herzen liegt Schläpfer die
enge Zusammenarbeit mit den beiden
Klangkörpern der Staats- und der Volksoper,
mit international renommierten Dirigenten
und Instrumentalisten. Neben der
Erarbeitung der Symphonien Mahlers und
Schostakowitschs mit dem Orchester der
Wiener Staatsoper ist die Neueinstudierung
von Martin Schläpfers „Ein Deutsches
Requiem“, an der auch der Chor und
Zusatzchor sowie Sängerinnen und Sänger
der Volksoper mitwirken, ein Höhepunkt
der Saison.
Im Repertoire bleiben die großen Produktionen
des Ensembles: In der Staatsoper
neben „Jewels“auchdie Handlungsballette
„La fille mal gardée“, „Giselle“ und „Schwanensee“.
In der Volksoper stehen erneut
das beliebte Familienstück „Peter Pan“
sowie „Coppélia“ auf dem Spielplan. Die
„Nurejew-Gala“ wird als Reverenz an den
Ausnahmetänzer und Choreografen in
Zukunft in einem zweijährigen Rhythmus
stattfinden. s
Kulturmagazin 67
Ohne
Sprungbrett
zur Spitze
Im November erhält
Clemens Maria Schreiner
den Österreichischen
Kabarettpreis. ImGespräch
erzählt er, dass die
Coronakrise nicht die erste
Zäsur inseinem
Leben ist.
Text: Veronika Schmidt
Foto: Christine Pichler
Moderator und Kabarettist. Clemens
Maria Schreiner trifft den Nerv der Zeit.
68 Kulturmagazin
Im Sommer ist esClemens Maria Schreiner
zum ersten Mal passiert, dass er
einen Auftritt absagen musste, weil zu
viele Zuschauer angemeldet waren. Das
hätte ersich auch nicht gedacht, als er früher
im Theater amAlsergrund noch hoffend
wartete, ob vielleicht doch noch vier
Leute auftauchen, damit eine zweistellige
Zahl an Zuschauern zusammenkommt und
der Auftritt stattfinden kann. Diesmal lag
die Schuld bei den Coronabeschränkungen:
Es hatten sich mehr Leute angemeldet,als
in dem kleinen Saal erlaubt waren–
der Auftritt fand nicht statt. Dass Schreiner
diese Anekdote mit einem Lächeln im
Gesicht erzählt, liegt nicht nur anseinem
grundsätzlich entspannten Gemüt, sondern
auch daran, dass er kurz davor mit
dem Österreichischen Kabarettpreisausgezeichnet
worden ist. Und zwar mit dem
Hauptpreis, ohne davorjeden Förder-oder
Programmpreis bekommen zu haben, die
traditionell stärker den Nachwuchskünstlern
gewidmet sind. Der 31-Jährige, der mit
fünfzehn Jahren als Gymnasiast begonnen
hat, Programme zu schreiben, erreicht
quasi ohne Sprungbrett die Spitze der heimischen
Kabarettanerkennung.
ich dort eine Dreiviertelstunde spielen
soll.“ Dass bei dem Auftritt im Kleinen
TheaterSchreiners Vaterihn bei zwei Nummern
auf der Gitarre begleitete, dürfte
wohl der Grund sein, warum sich bis heute
das Gerücht hält, dass Clemens Maria
Schreiner als Jugendlicher die Programme
gemeinsam mit seinem Vater geschrieben
hätte. „Es gibt von diesem Auftritt in Salzburg
eine Kritik, inder mein Vater gesondert,
aber nicht wirklich lobend erwähnt
wird.“
normale Leben in Österreich hinter sich
und zog für knapp ein Jahr nach Neuseeland,
wo ein Campingbus der neue Nebenwohnsitz
war. An verschiedenen Orten
konnte das Paar für Kost und Logis arbeiten:
„Kühe melken, Zäune reparieren,
Hunde sitten und alles, was anfällt. Auch
wenn es lächerlich abgedroschen klingt:
Aber Reisen verändertden Menschen.“Der
Mentalitätsunterschied, den Schreiner auf
diesen Inseln erlebt hat, wo das Weltgeschehen
weit weg ist –physisch und mental
–,hat ihn geprägt: „Es war angenehm zu
sehen, dass man seinen Mitmenschen auch
sehr offen und vertrauensvoll begegnen
kann, wenn einen nicht dieses Grundrauschen
zumüllt mit Dingen, auf die man eh
keinen Einfluss hat.“
Faktencheck. Nach Neuseeland war ihm
klar, dass er seine Kabarettprogramme
ganz anders aufbauen will, und bat seinen
renommiertenKabarettkollegenund steirischen
Landsmann Leo Lukas, ab nun die
„Ich finde, dass Verifizierungsstrategien als Schulfach
wichtiger wärenals das Abrufen vondetailliertenFakten.“
Fokus auf das Kabarett. Dabei macht er
darauf aufmerksam, dass die Coronakrise
vor allem den „Mittelbau“ der Kabarettkolleginnen
und -kollegen erschüttert hat:
„Alle zwischen ,Naja, ich spiele einmal im
Monat wo‘ und ,mir ist’s ehwurscht, weil
meine Enkel müssen nie mehr was arbeiten‘
hat esschwer getroffen.“ Also jene, die
ohne Nebenjobs ihr Einkommen aus den
Auftritten lukrieren. „Ich war jainmeinen
Anfängen in einer Luxussituation, dass ich
mich gleich auf das Kabarett fokussieren
konnte“,erzählt Schreiner.
Nach einigen kleineren Jobs hat es sich
Mitte der Nullerjahre schnell ergeben, dass
die Kabarettauftritte und Moderationen
bei Veranstaltungen als Einkommen ausreichten.
„Ich habe zwar mit sehr viel Liebe
und sehr wenig Fortschritt Publizistik studiert.
Aber vor einigen Jahren habe ich
damit abgeschlossen, also nicht mit dem
Bachelor, sondern mit dem Studium.
Obwohl ein Publizistikstudium eh kein
guter Plan Bgewesen wäre“, sagt erwieder
lachend.
Der Plan Aergab sich 2005, weil Schreiner
bei einer Veranstaltung moderierte und
daraufhin für eine Jubiläumsshow imSalzburger
Kleinen Theater engagiert wurde.
„Wie die meisten beginnenden Kabarettisten
hatte ich auf die Frage, ob ich ein ganzes
Programm hätte, mit Ja geantwortet
und musste dann in einem Monat schnell
eines schreiben, als der Anruf kam, dass
Campingbus als Wohnsitz. Vielleicht entstand
da die Mähr, dass ihm seine Familie
anfangs zum Erfolg verholfen hätte. Dieser
stellte sich aus eigener Kraft ein, als Schreiner
2005 –mit 16 Jahren als jüngster Künstler
je –den Grazer Kleinkunstvogelgewann,
wo er Teile aus dem Salzburger Auftritt
präsentierte und als Sieger plötzlich Termine
für ein abendfüllendes Programm
zugesagt bekam: „Da hat mein Freund, der
produktive Zwang, wieder eingesetzt.“ Dieser
besucht ihn seither alle zwei Jahre,
wenn der Termin für die nächste Premiere
feststeht. Sein aktuelles Programm
„Schwarz auf Weiß“ hatte im Oktober 2019
Premiere und pausierte nun seit März
unfreiwillig. „Für mich war die Coronapause
eh ok, denn ich bin gleich zu Beginn
des Lockdowns Vater geworden: Da hat
mich nur mäßig interessiert, was rundherum
passiert, und die Folgen waren nicht
existenzbedrohend.“
Die Pandemie istimLebenslauf vonSchreiner
nicht die erste Zäsur, denn er ließ 2012
gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin das
Tipp
Österreichischer Kabarettpreis.
Die Verleihung soll –in welcher
Form auch immer –am16. November
im Globe Wien stattfinden.
Clemens Maria Schreiner
erhält den Hauptpreis.Die Impro-Kabarettistin
Magda Leeb
wirdals „Kaiserin von Österreich“
mit dem Förderpreis ausgezeichnet,und
Hosea Ratschiller
bekommt für „Ein neuer
Mensch“ den Programmpreis.
Der Sonderpreis geht diesmal
an den Karikaturisten Michael
Pammesberger.
Regie zu übernehmen. „Davor habe ich
sehr eigensinnig im stillen Kämmerchen
gearbeitet, war der Meinung, dass Vorpremieren
feig sind, und habe nie wirkliche
Proben gemacht.“
Das Programm „Schwarz auf Weiß“ ist
bereits das vierte, das Schreiner gemeinsam
mit Leo Lukas erarbeitet hat. „Darin
geht es um ,Wahrheit oder Fake‘, was javor
Corona das zentrale Thema war und das
man nicht an einer Person aufziehen kann.“
Damit istnatürlich Donald Trump gemeint,
der im gesamten Programm über Fake
News nicht vorkommt. Kaum war das Programm
geschrieben, ergab sich zufällig,
dass Clemens Maria Schreiner als Moderator
der neuen ORF-Comedy-Show „Fakt
oder Fake“angefragtwurde. Seit Dezember
2019 wurden acht Folgen des Formats, das
auf witzige Weise die Unwahrheiten aus
dem Internet aufblattelt, ausgestrahlt, und
Ende des Jahres wird die zweite Staffel aufgezeichnet.
„Solche Sendungen sensibilisieren
die Leute. Ich finde, dass Faktencheck
und Verifizierungsstrategien als
Schulfach wichtiger wären als das Abrufen
vondetailliertenFakten in kurzer Zeit –das
googelt immer einer schneller.“
Die Show trifft jedenfalls einen Nerv der
Zeit, was daran zu erkennen ist, dass viele
Zuseher Filme, Memes und Schlagzeilen
aus dem Internet einschicken, um diese als
Fakt oder Fake bestimmen zu lassen. e
Kulturmagazin 69
Keine Übersetzung
ins Heute nötig
Mozart hat Hochkonjunktur: Alfred Dorfer
inszeniert den „Figaro“, ander Staatsoper gibt
man die „Entführung aus dem Serail“, das
Burgtheater dekonstruiert die „Zauberflöte“.
Text: Barbara Petsch
Porträts: Christine Ebenthal
Erster Zuschauer. So sieht sich Kabarettist
Alfred Dorfer als Opernregisseur
in „dienernder Funktion“.
Illustration: Fredrik Floen
70 Kulturmagazin
Mozart wird immer wieder neu entdeckt, verjazzt,
vertanzt, verfremdet. Nun gibt es wieder
ungewöhnliche Annäherungen: Kabarettist
Alfred Dorfer inszeniertimTheater an der
Wien „Figaros Hochzeit“. Das Burgtheater will der „Zauberflöte“
das Märchen austreiben. Und „Die Entführung
aus dem Serail“ inder Regie von Provokateur Hans Neuenfels
ist inder Staatsoper zu erleben. Das „Kulturmagazin“
sprach mit Dorfer und dem Staatsopern-„Bassa
Selim“Christian Nickel über die Faszination Mozart.
Zunächst zum Praktischen, wie kommt ein Opernintendant
wie Roland Geyer, Intendant im Theater ander
Wien, überhaupt auf einen Kabarettisten als Regisseur?
„Ich war schon überrascht“, erzählt Dorfer, „Ich selbst
wäre nie auf die Idee gekommen oder hätte den Mut
gehabt, zufragen, ob ich eine Oper inszenieren darf,
obwohl ich ja seit 50 Jahren in die Oper gehe. Als Kind
musste ich Klavier lernen –und somit bin ich wehrlos in
die Klassik gerutscht. Ich bin in einem absolut klassikaffinen
Haushalt aufgewachsen. In den Vorgenerationen
meiner Familie mütterlicherseits gibt es eine Reihe von
Geigern. Der ,Figaro‘ war die Musik meiner Kindheit. Es
ist eine seltsame Koinzidenz, dass ich jetzt mit fast sechzig
Jahren gerade diese Oper herausbringe.“
Zunächst wusste Dorfer gar nicht, was ein Regisseur
überhaupt tun soll im komplexen Operngebilde: „Ich
habe gedacht,ich bin dafür verantwortlich, dass die Sängerrichtig
singen. Das warein Irrglaube.“
Hat ergleich ja gesagt bei Geyers Angebot? Dorfer: „Ich
kann zwar Partituren lesen, aber ich habe sehr lang gezögert,
mich auf dieses Engagement einzulassen, bis mir
bewusst wurde, welcher Glücksfall das für mich ist, ob
auch für die anderen, das wirdman sehen.“
Was ist für Dorfer wichtig an diesem Werk? „Der ,Figaro‘
ist eines jener Stücke, die keine Übersetzung ins Heute
brauchen“, erläutert Dorfer: „In ihren zwischenmenschlichen
Beziehungen verhalten sich die Menschen von
damals genauso wie jetzt. Diese Oper hat einen Anstrich
von Commedia dell’Arte. Die ewigen Verwechslungen
sind witzig, aber auch wieder nicht zu
lustig, insofern ist der ,Figaro‘ eine
Komödie im besten Sinne. Und erwar
auch ein Revolutionsstück, was heute
gern betont wird.“
Für bildstarke Performancesmit Musik,
auch Pop,ist das Hamburger Kommando
Himmelfahrtbekannt.
TiereinMenschengestalt. Entwürfefür die „Zauberflöte“, eine
Extravaganza nach Mozart mit Apparaten und Projektionen, die
im Burgtheater uraufgeführt wird. Kostüme: Frederik Floen.
ihn? „Vermutlich war erein bisschen wie Galileo Galilei,
er hat den Konflikt gesucht“, meint Dorfer: „Es hat ihm
Spaß gemacht,mit Lorenzo Da PonteProvokantes auszuhecken.
Kaiser Josef II. war dabei durchaus ein Partner
für ihn. Mozart wollte Adelige ärgern, nach dem Motto:
Schauen wir einmal, wie weit man gehen kann.“ Ist es
möglich, dass ein Mann, der eine Frau küsst, tatsächlich
nicht erkennt, dass sie seine eigene Gattin ist? Dorfer
grinst: „Realistisch und trocken gesagt ist es schwer vorstellbar,
außer der Mann hat bewusstseinsverändernde
Substanzen zu sich genommen oder er sieht schlecht.
Ich glaube, Mozart wollte den Grafen noch ein bisschen
mehr desavouieren, und dass der Graf seine Frau küsst,
die er für Susanna hält,war dasspielerische Mittel dafür.
Es geht hier um amouröse Versessenheit, die kann einen
schon zu allerhand verleiten. Der Graf hat jaauch eine
Schwäche für ganz jungeFrauen, etwa für Barbarina.“
Ist das nicht bei allen Männern so?Dorfer:„Beimir nicht,
und ich bin sehr froh darüber.“ Ist er aufgeregt? „Es fühlt
sich vermutlich an wie für einen Fußballtrainer. Ab
einem gewissen Zeitpunkt kann man nicht mehr eingreifen“,
sagt Dorfer. Wird eretwas ganz anders machen als
andere Opernregisseure? „Ich möchte die Darsteller
absolut in den Mittelpunkt rücken und nicht das Konzept“,
betont Dorfer:„Außerdem will ich nah am Libretto
bleiben, denn es gibt für mein Dafürhalten etwaszuviele
dumme Ideen im Musiktheater.“ Er selbst sehe sich als
„ersten Zuschauer“: „Der Regisseur im Musiktheater hat
eine dienende, sogar servile Funktion“, ist Dorfer überzeugt.
Die Vorbereitung dieses „Figaro“ war wegen
Corona nicht einfach, es mussten drei verschiedene Versionen,
auch gekürzte, erarbeitet werden. Hat eresje
bereut, sich auf das Projekt eingelassen zu haben? „Oh
nein!“, strahlt Dorfer: „Ich inszeniere ,Figaros Hochzeit‘,
eine der schönsten Opern, in einem der wunderbarsten
Theater! Das ist wie ein Traum!“ Wer wäre er selbst gern
im „Figaro“. Dorfer: „Zu meiner komischen Seite würde
der Basilio passen, dieses Geknechtete, Geschraubte,
Verhärmte, Intrigante ist sehr wienerisch. Ich bin ja
selbst Wiener, also ist eskein Rassismus,
wenn ich das sage.“
Bassas Bauchproblem. Schauplatzwechsel
in die Staatsoper, woHans
Neuenfels seine Inszenierung der
Provokateur Mozart. Der Graf bedient
sich alter feudalistischer Praktiken, er
will das Ius Primae Noctis wieder einführen,
das Recht auf die erste Nacht:
Der Feudalherr darf Frauen vor der
„Entführung aus dem Serail“ zeigt,
die seinerzeit in Stuttgart einen Skandal
hervorrief. Christian Nickel spielt
den Bassa Selim, wie kam die Wahl
auf ihn als europäischer „Sir“ für
Hochzeitsnacht entjungfern, sprich
einen Geschäftsmann in der Türkei?
vergewaltigen, das erscheint barbarisch.
Dorfer: „Ja. Aber: Das war zu
Nickel: „Der Bassa ist hier nicht über
das Klischee besetzt. Man sagt mir
Mozarts Zeiten schon ironisch
allerdings, er muss einen Bauch
gemeint. Der Graf ist einfach in die
Zofe Susanna verliebt und hofft auf
das Recht auf die erste Nacht. Doch
Mozart benützt diesen Kniff, umden
Affront des Stücks gegen den Adel zu
verstärken. Darum sind die Leute in
haben. Den habe ich –seit Corona.
Die Biografie des Bassa Selim ist ein
wenig schleierhaft. Erist vom Christentum
zum Islam konvertiert, ein
Grenzgänger zwischen den Kulturen.
Inzwischen ist er im moslemischen
der Wiener Premiere reihenweise aus
Glauben verwurzelt. Mozart greift
dem Theatergegangen.“
Wie war Mozart? Wie sieht Dorfer
gängige Bilder über die Türkei auf,
die ja zu dieser Zeit aus hiesiger Sicht »
Kulturmagazin 71
„Bassa Selim entscheidet
gegen,Auge um Auge,Zahn
um Zahn‘. Er verzichtet auf
Gewalt und gibt das junge
Paar frei.“ Christian Nickel
Keine Türkei-Klischees. Christian Nickel, ein cooler
„Sir“, der Konstanze gefallen könnte, spielt den
Bassa Selim in Neuenfels’ Wiener „Entführung“.
»
am Boden lag, nachdem Wien die zweite Türkenbelagerung
erfolgreich abgewehrt hatte. Mozart hat die Figur
desBassa eher aufgewertet, und so versuche ich sie auch
zu spielen. Wir haben auch ein neues Ende.“ Warum entscheidet
sich die schöne Konstanze gegen Bassa und für
Belmonte? Nickel: „Konstanze und Belmonte haben einander
als Kinder ewige Liebe geschworen. Bassa Selim
könnte Konstanze befehlen, bei ihm zu bleiben, er
könnte sie zwingen oder ihr Gewalt antun. Sie ist seine
Gefangene. Aber er sagt zuihr: ,Dir selbst will ich dein
Herz zu danken haben.‘“
Aber Konstanze hat doch spürbar Sympathie für den
Bassa. Nickel: „Für alle drei Figuren, für Bassa Selim, Konstanze
und Belmonte, ist dieses Erlebnis eine existenzielle
Erfahrung.Die zwei jungen Leuteschauen in einen
Abgrund, sie gehen durch die Hölle und gereift aus der
Krise hervor. Aber auch Bassa Selim hat sich verändert.
Er sagt zu Belmonte: ,Ich reiche dir jetzt die Hand,
obwohl es mir nicht leicht fällt, ich ringe mir das ab.
Nimm Konstanze, nimm deine Freiheit, segle in dein
Vaterland und sagedeinem Vater: Es istein größeres Vergnügen,
erlittenes Unrecht mit Wohltaten zuvergelten,
als sich zu rächen. Bassa Selim entscheidet gegen das
Prinzip ‚Auge umAuge, Zahn um Zahn‘. Und das alles
ereignet sich auf den Wogen dieser wunderbaren Musik,
die Herzen öffnet und vielleicht Verzeihung ermöglicht.“
72 Kulturmagazin
Tipps
„Figaros Hochzeit“. Theater
an der Wien ab 12. 11., siehe
www.theater-wien. at
„Entführung aus dem Serail“.
Staatsoper,Termine auf
www.wiener-staatsoper.at
„Zauberflöte, eine Extravaganza
nach Mozart“.Burgtheater,PremiereimDezember,siehe
www.burgtheater.at
Neue Machokultur. Heute haben sich Europa und die
Türkei entzweit. Endgültig? „Vor 20Jahren dachten wir,
Istanbul hätte das Zeug, zum Nabel Europas zu werden
oder zwei Welten zu verbinden“, erinnert Nickel: „Ich
war zuversichtlich, dass die Integration der Nachkommen
der Gastarbeiter, die hier aufgewachsen sind, gelingen
könnte, in Österreich wie in Deutschland. Ich
stamme ursprünglich aus Hamburg. ImMoment ist das
passé. Die Machokultur wurde restauriert, die harte
Hand, das sogenannte männliche Auftreten –sehr enttäuschend,
aber wir bleiben zuversichtlich, oder?!“
Die ungewöhnlichste Mozart-Annäherung wird wohl im
Dezember im Burgtheaterstattfinden: „Zauberflöte, eine
Extravaganza“, diese Uraufführung gestaltet das Kollektiv
Kommando Himmelfahrt, das sich künstlerisch
gesellschaftlichen und wissenschaftlichen
Utopien widmet. In der neuen „Zauberflöte“
soll es um die dunkle Seite der Aufklärung
gehen, Vernunft, Verstand oder Aberglauben.
Das klingt etwas trocken, tatsächlich ist eine
saftige, bildstarke Performance versprochen.
„Furios“, wie Kritiker fanden, stellen der Komponist
Jan Dvorak, der Regisseur Thomas Fiedler
und die Dramaturgin Julia Warnemünde
Texte von Platon, Thomas Morus, Jules Verne
oder Artaud in neue Zusammenhänge. e
Friede
denMenschen
aufErden.
Undim
Internet.
Foto:Litzlbauer
Online besuchen
und spenden.
sternsingen.at/2021
Klick dich zu denSternsinger/innen undhol dirden Segen fürein gutesNeues Jahr.Denn wenn dieWeltverrückt
spielt, gibtuns Tradition Hoffnung.FeiereWeihnachten mitCaspar, Melchior undBalthasar wieseit1954.
Archaisch und naturnah.
Das Leben im Dorf
bekommt bei Katharina
Johanna Ferner eine literarische
Stimme.
„Ich bin
mehr das
Team Harry
Potter“
Die Salzburger Autorin
Katharina Johanna Ferner
überzeugt mit ihrem Roman
„Der Anbeginn“.
Text: Harald Klauhs
Foto: Christine Pichler
74 Kulturmagazin
Während ich meine ersten
Atemzügetat,lag Großmutter
in ihrem Bett und entschlief
der sterblichen Welt... Ihr
Körper war von neuem Leben erfüllt, in
ihren Haaren sammelten sich die Überreste
des Maikäferfestes, ihr Strickkleid
war von Flechten übersät.“ Womit habe ich
es denn hier zu tun, kann man sich mit Fug
und Recht fragen, liest man die ersten Seiten
inKatharina Johanna Ferners Roman
„Der Anbeginn“. Doch schnell entwickelt
die Geschichte einen Sog, dem man sich
kaum entziehen kann, ebenso wenig wie
dem Rauschen jenes Flusses, das im Dorf
weithin zu hören istund das die Geschichte
orchestriert. Es ist eine mystisch-archaische
Welt, indie man im Buch der 1991
geborenen Salzburgerin eintaucht. Und
doch gibt es darin Zivilisationsaccessoires
wie etwa eine Badewanne.
„Es gibt so viele Berlin-Drogenszene-Romane.
Die interessieren mich aber literarisch nicht.“
schreibung auch Tolkiens Mittelerde im
Kopf hatte?
„Ich bin nicht so der Klassiker-Typ“, sagt
Katharina Ferner, „ich bin mehr das Team
Harry Potter.“ Die siebenbändige Saga hat
sie nicht nur als Kind schon verschlungen,
sie liest immer noch jeden Sommer darin.
Außerdem ist sie ein Fan von Helena Bonham
Carter. Wernun glaubt, dass er es hier
miteinem fantastischen Mischmasch zu tun
hat, der sei auf die ganz realistische Dorfgeschichte
verwiesen, die dieser Roman auch
(noch) erzählt. „Es gibt so viele Berlin-Drogenszene-Romane“,
meint die Autorinverlegen
lächelnd, „die interessieren mich aber
literarisch nicht.Ich wollteeine ganz andere
Welt schaffen und trotzdem moderne Themen
darin verhandeln“. Wersich daraufeinlässt,
wird nicht erst am Schluss sagen:
Experiment gelungen!
Nature Writing. Realistisch ist zum Beispiel
die Schilderung desLebens mit einem
malenden Vater: „Terpentin. Vaterhatte frische
Farbe angerührt, es roch im ganzen
Haus danach“, berichtet die Ich-Erzählerin
von einem markanten Geruch ihrer Kindheit.Ähnliche
Erfahrungen hatauchKatharina
Ferner gemacht, daihr Vater Künstler
ist. Deshalb gehörte auch die Lektüre von
Kunstbüchern genauso zu ihrer Jugend wie
Besuche von Vernissagen. Von ihrem Vater
hat sie möglicherweise ihre Vielseitigkeit
geerbt, die sich nicht nur innerhalb ihres
literarischen Schaffens zeigt, sondern auch
kunstübergreifend. Ihr Vater tritt u. a. als
Kabarettist auf, Katharina macht Tanzperformances.
Oder er malt Cover für ihre
Bücher, während sie an der Poetisierung
der Welt arbeitet.
Das geht in unserer hochindustrialisierten
Welt nicht ohne Renaturalisierung.Und die
ist der in der Stadt Salzburg aufgewachsenen
Autorin eben ein Anliegen. Woher
kommt ihr inniges Verhältniszur Natur?Zu
einem nicht unbeträchtlichen Teil, so sagt
Tipp
„Der Anbeginn“. Katharina J. Fernersjüngster
Roman ist am 15.
September 2020 im Limbus Verlag
erschienen. Dort erschien im Vorjahr
auch ihr viel beachtetes Lyrikdebüt
„einmal fliegenpilz zum frühstück“.
www.limbusverlag.at
Mystische Landschaft. Der Titel „Der
Anbeginn“ kennzeichnet deshalb keine
Neufassung der Genesis. Nicht die Schöpfung
ist das Thema des Romans, sehr wohl
aber die Geburt eines Menschen. „I carry
you /Inurture you /Give birth toyou /
Again“ lautet das einleitende Motto, das
sich die Autorin von der isländischen Folkund
Indiemusikerin Ólöf Arnalds ausgeliehen
hat. Zur Zeit der Niederschrift des ersten
Kapitels hielt sich Katharina Ferner in
Island auf. „Da gab’s dasMeer und dahinter
die Eisberge. Diese Szenerie hatte ich
immer vor Augen –und sie hat soeinen
Raum für den Roman geschaffen.“ Hört
man in dieser mystischen und schwermütigenLandschaft
dann noch isländische Popmusik,
dann kommt man in so einen Flow.
„Die Songs sind für mich der Schreib-
Soundtrack.Ich hab das ganz oft gehört.“
Geboren wird erst einmal die namenlose
Ich-Erzählerin. Für die Autorin hat jeder
Name eine Bedeutung. Deshalb war esihr
wichtig, ihrer Protagonistin keinen zu
geben, um sie nicht festzulegen. Andere
Figuren haben sehr wohl – symbolgeladene
–Namen wie die beiden Tanten Ada
und Ida, die Bäckerin Svenja, die Nixe
Nora oder auch die in zwei weit auseinanderliegenden
Dörfern zur selben Stunde
geborenen Buben Omar und Marian.
Schon daran ist zu erkennen, dass die
Autorin beim Schreiben nicht nur den
Sound nordischer Mythologie im Kopf
hatte, sondern auch Märchen und allerlei
magische Texte. Da sind Elemente von
„Alice in Wonderland“ genauso enthalten
wie der magische Realismus eines Gabriel
García Márquez. Inseiner Hermetik erinnert
das Dorf sogar an Marlen Haushofers
„Die Wand“. Ob sie bei der Landschaftsbesie,
verdankt sie das einem Stipendium, das
sie für drei Monate in das kleine Schwarzwälder
Städtle Hausach geführt hat. „Dort
war ich schon sehr ausgesetzt.“ Sie lebte
dort mit Käfern, Spinnen, Fröschen und
anderem Getier, war viel wandern und hat
dort unter anderem Mikael Vogels Buch
über ausgestorbene Tierartengelesen oder
den Band von Sabine Scho über Tiere in
der Architektur. Inder Folge hat sie begonnen,
sich mit Nature Writing zu beschäftigen,
einer traditionsreichen literarischen
Gattung,die sich mit Naturbeschreibungen
auseinandersetzt. „Diese Thematik in die
Literatur zu bringen, ohne kitschige Naturlyrik
zu schreiben“, wurde für Katharina
Ferner zur Herzensangelegenheit.
Verdichtet. Und noch ein heute eminent
politisches Thema wird im Roman „Der
Anbeginn“ verhandelt: „Der erste Stoß. Ich
konnte nur in den Ärmel beißen... Ich
begann zu zählen. Wie lange würde es dauern.
Die Zahlen kamen mir durcheinander.
Mein Körper löste sich in Kribbeln auf und
ich fühlte nichts mehr.“ Diese Beschreibung
einer Vergewaltigung ist hyperrealistisch
– und zugleich poetisch verfasst.
Besonders in dieser Szene verdichtet sich
Katharina Ferners Stil: Engagiert, aber
nicht ideologisiert. „Ich schreibe gern
meine Meinung zu aktuellen Themen,
wenn ich die Möglichkeit finde, das literarisch-poetisch
zu erzählen. Nur eine Messageabzugeben,
wäre mir zu wenig.“
Und so klärt sich allmählich das Fremdartige
und zugleich Faszinierende dieses
Textes. Eshat wohl damit zu tun, dass das
Spartenübergreifende Katharina Ferner in
die Wiege gelegt worden ist und sich in
ihrer Ausbildung fortsetzte: „Ich bin aufein
musisches Gymnasium gegangen. Da
konnte man sich alle Musen auswählen. In
dieser Zeit habe ich zuerst Theatergespielt.
Jetzt habe ich sogar ein Theaterstück für
Kinder geschrieben.“ Später hat sie dann
Slawistik studiert. Die großen russischen
Romane von Dostojewski und Tolstoi hat
sie trotz ihrer Klassiker-Aversion gelesen.
„Die Erzählweise der slawischen Literatur
hat für mich sehr viel Bedeutung“, sagt sie.
Die Leserschaft ihres Romans wirddeshalb
auch Anklänge andie russische Mystik und
die tschechische Fantastik finden.
Damit kann man für die Lektüre eines der
ungewöhnlichsten Romane dieses Herbstes
eines mit Sicherheit versprechen: Langweilig
wirdeseinem dabei nicht. e
Kulturmagazin 75
„Ich arbeite
aus der Musik
heraus“
Der neue Chef des Staatsballetts
Martin Schläpfer über das Glück,
auch in einer schwierigen Zeit
künstlerisch tätig sein zu können.
Interview: Isabella Leitenmüller-Wallnöfer
KlareHandschrift. Martin Schläpfer
will das klassische Repertoirefür
Zeitgenössisches öffnen.
Fotos: Tillmann Franzen;
76 Kulturmagazin
Er stammt aus einer Appenzeller Bauernfamilie und
brachteseine Familie mit seinem Berufswunsch ausdem
Konzept.Seiner Sturheit verdankt er eine steile Tanzkarriere–zunächst
als Solotänzer in Basel und Kanada, später
als gefeierter Choreograf. Seit Anfang September dieses Jahres
ist der Schweizer Martin Schläpfer nun Chef des Wiener
Staatsballetts –und somit für die Ballettcompagnien von Staatsoper
und Volksoper zuständig. Am 24. November ist in der
Staatsoper seine ersteWiener Premierezusehen: „Mahler,live“.
Wiesind Sie in Wien angekommen?
Wenn man es trenntvon der Situation um Covid, dann geht’smir
gut.Ich fühle mich wohl in Wien. Aber es istjanicht möglich, das
zu trennen. Ich bin dankbar, dass wir überhaupt versuchen dürfen,
in dieser Situation aufdie Bühne zu gehen und unsereArbeit
zu machen. Das istnicht selbstverständlich...
DieMetropolitan Opera bleibt nochein ganzes Jahr langzu.
Die MET finanziert sich zum Großteil von privatem Geld, nicht
vonSubventionen. WiehartdiesesModell in einer Kriseist,zeigt
sich jetzt. Für die Kunst und die Gesellschaft ist das ein immenser
Schaden. Zugleich müssen wir uns bewusst sein, dass die
Künstler und Mitarbeiter, die nun alle auf der Straße stehen, das
Schicksal mit so vielen Menschen teilen, über die man nicht
redet und die ihre Arbeit und damit Lebensgrundlage ebenfalls
verlieren. Wir sprechen auch in unserem Ensemble immer wieder
darüber, was für ein Glück es ist, arbeiten zu dürfen. Auf der
anderen Seitehat es aber auch eine wichtigeSignalwirkung nach
außen, Vorstellungen zu machen. Und ich spüre schon eine sehr
große Freude bei den Tänzerinnen und Tänzern, dass sie zurück
im Ballettsaal sein dürfen –und natürlich aufder Bühne.
Sind alle aufdas Virusgetestet?
Alle Künstlerinnen und Künstler werden wöchentlich getestet.
Undwir tragen Masken.
DieTänzer tragenbeim Proben eine Maske?
Wirachten sehr darauf, dass so weit wie möglich auch beim Training
und den Proben alle einen Mund-Nasen-Schutz tragen. Das
ist von der Atmung her eine große Herausforderung. Und es
macht auch psychisch etwas: Es ist eine Last, von der man sich
ab und zu befreien muss. Dann machen wir Pause.
Arbeiten Sie schon an „4“,das Sie im Novemberander Staatsoperuraufführen
werden?
Ich habe begonnen, in kleinen Nischen zu kreieren, weil die Zeit
knapp ist. Und wir proben parallel auch schon Balanchine und
Robbins für den Frühling.AbOktober kann ich dann hoffentlich
mehr in die Tiefearbeiten.
Sie choreografieren zu Gustav Mahlers Symphonie Nr. 4
G-Dur.
Ich habe in meiner Karriere bisher nur wenige Handlungsballette
gemacht: den „Feuervogel“ und „Schwanensee“. Natürlich
habe ich aber schon auch Geschichten erzählt wie in „Appenzellertänze“.
Es ist also nicht so, dass ich nur dem puren Tanz verfallen
wäre. Aber grundsätzlich choreografiere ich
aus der Musik heraus. Für meinen Antritt in Wien ist
es Mahlers 4. Symphonie. Sie hat eine große Leichtigkeit,
aber ist ineinem schönen Sinne auch hintergründig
und ein bisschen hinterhältig. Das passt gut
zu einer Eröffnung.
Und dann ist da natürlich auch die Bedeutung
Mahlersfür die Wiener Staatsoper.
Ja,aber das warfür mich weniger der Beweggrund als
das Wissen, dass das Wiener Staatsopernorchester
diese Musik grandios spielen wird. Ich möchte, dass
dieses wunderbare Orchester gern für den Tanz
Tipp
„Mahler,live“. Martin Schläpfers
erste Premierefindet am
24. November in der Wiener
Staatsoper statt.Hans van
Manens „Live“ sowie die Uraufführung
„4“ –zuMahlers
4. Symphonie –sind zu sehen.
Am 30. Jänner ist in der
Volksoper „Ein deutsches
Requiem“ zu erleben.
spielt. Das ist jainder Ballettliteratur, was das kompositorische
Niveau angeht, leider nicht immer gewährleistet. Natürlich ist
„Giselle“ ein dramaturgisch perfektes und sehr berührendes
Stück, aber die Musik von Adolphe Adam ist für die meisten
Musiker nicht geradeeine Lieblingskomposition (lacht).
Vor Ihrem Stück wird beim Ballettabend Hans van Manens
„Live“ gezeigt.
„Live“ ist eine bahnbrechende Arbeit, die van Manen bisher ausschließlich
vomNiederländischen Nationalballett in Amsterdam
hattanzen lassen. Wirerleben eine Ballerina, die gefilmt und auf
eine Leinwand projiziertwird. Mansieht sie live undgleichzeitig
im Film aufder Bühne, im Film im Ballettsaal, und am Ende geht
sie ins Foyer, trifft dort einen Tänzer und entschwindet hinaus
ins nächtliche Wien. Dazu spielt die Pianistin Schaghajegh Nosrati
Franz Liszt amKlavier. Sie ist eine großartige Musikerin!
Nach der Pause kommt dann meine Auseinandersetzung mit
Gustav Mahler, inder die gesamte Compagnie tanzt. Dazu spielt
das große Orchester. Ist das nicht eine wunderschöne Kombination?
Wiekommt es, dass Hansvan Manen Ihnendieses Stücküberantwortet
hat?
Hans und ich sind sehr gut befreundet, allerdings noch nicht so
lang.Als Tänzer in den 1980er-Jahren, aber auch als Direktor war
ich zunächst voller Scheu und Respekt,denn Hans vanManenist
ein wirklich großer Choreograf und ich bin in der Regel nicht
kumpelhaft. Ich habe mit dem Ballett am Rhein dann aber jährlich
einen vanManen gezeigt. Undsein bisher letztes Werk –„Alltag“
–hat er für mich kreiert. Da ging ich mit 56 noch einmal als
Tänzer auf die Bühne. Mit „Live“ hat er 1979 ein Schlüsselwerk
geschaffen. Also habe ich ihn gefragt, ob wir es tanzen dürfen.
Ich finde dieses Ballett wunderbar –und möchte als Direktor,
dass in Wien etwasExklusivespassiert.
In „4“ wollen Sie alle Tänzer aufdie Bühne holen?
Ich will primär ein gutes Ballett machen. Aber das bedingt auch,
dass ich als Direktor mit allen arbeite. Nursolernt man einander
kennen. Ich hoffe, dass ich es schaffe, alle zusammen auf der
Bühne zu zeigen. Das gab’s in Wien noch nie!
WieschaffenSie denBrückenschlagzwischenden Häusern?
Ichbemühe mich, auch viel an der Volksoper präsent zu sein. Ich
gebe dort genauso viele Trainings wie an der Staatsoper. Aber
schlussendlich ist man natürlich geografisch getrennt innerhalb
der Stadt. Eine Gesamteinheit hinzukriegenist sehr vielArbeit.
WiesorgenSie dafür,dass die Tänzerinnenund Tänzer Ihrem
Stil,Ihren Vorstellungengerecht werden?
Das passiert mit der Zeit automatisch. Ich lege inmeinen Trainings
die Grundlagen für das, was ich für meine Choreografien
brauche, zugleich bleiben diese ein akademisches Balletttraining.
Wenn ich choreografiere, versuche ich das, was man Stil
oder Handschrift nennt, herauszuarbeiten, sonst wird es ein
Stück wie jedesandere.
WiegehtesIhnenindieserArbeit mit denTänzern?
Die meisten Tänzerinnen und Tänzer des Wiener
Staatsballetts erleben gerade zum ersten Mal, wie
ich arbeite, ihr Körper und ihr Geist müssen sich
zum ersten Mal mit meinem Schrittmaterial auseinandersetzen.
Eine für mich und hoffentlich auch für
sie spannende, aber auch fordernde Erfahrung.
Gleichzeitig gibt mir ihr Künstlersein auch einen
inspirierenden Impetus, anders zu reagieren, im
besten Fall anders zu choreografieren. Wenn ich
spüre, dass jemand neben seinem Können auch
seine Persönlichkeit mit in den Kreationsprozess
einbringt, wirdeswirklich interessant. e
Kulturmagazin 77
Kulturelles
Neuland
Neue Impulse setzen und die Szene vor Ort
mit präziser Förderung stärken: Dazu will die
Kulturstiftung Kärtnen künftig beitragen.
Text: Daniel Kalt
Porträt: Christine Pichler
Engagiert. Julia Malischnig (l.)
veranstaltet ein Gitarrenfestival in
Millstatt,MonikaKircher gehört als Ko-
Initiatorin dem Stiftungsvorstand an.
Produktbiler: Beigestellt;
78 Kulturmagazin
Unsere Vision war stets, ein Kulturland
Kärnten zu schaffen“, blickt
die ehemalige Kulturpolitikerin
und Geschäftsfrau Monika Kircher
zurück auf die dreijährige Entwicklungsarbeit
der Kärntner Kulturstiftung, die seit
Ende 2019 operativ ist. Eigentlich wollte
die Stiftung ihr hauptsächliches Ziel, nämlich
Kulturschaffende zu fördern, zu vernetzen
und ihnen das Selbstvertrauen für
die Einforderung vonWertschätzung sowie
Entlohnung ihrer Arbeit zu vermitteln,
schon mit einem Fördercall im vergangenen
Frühjahr breitenwirksam ansteuern.
Doch dann kam: das vergangene Frühjahr.
Wie vieles andere haben sich die Vorstellung
des Calls, die Neuformulierung des
Themas „Umbrüche“ und damit die Präsentation
der Kulturstiftung um ein halbes Jahr
nach hinten verschoben. Im September tratenMonika
Kircher sowie die Ko-Initiatoren
Ina MariaLerchbaumer und Adolf Rausch in
Wien bei einer Pressekonferenz gemeinsam
auf, um die österreichweite Geltung der
Initiative zu untermauern. Zeitgleich startete
der erste Themencall, der nun bis
10.Dezember läuft.
Großprojekte erwünscht. Die Kulturstiftung
Kärnten beansprucht für sich, und
das ist einigermaßen überraschend, die
erste nicht personen- oder nachlassbezogene
Stiftung ihrer Art bundesweit zu sein.
Das Land Kärnten beteiligte sich mit
50.000 Euro an der Gründung; ob der
Bund mitzahlen wird, ist noch in Abklärung.
Der Löwenanteil der Geldmittel
kommt also vonprivatenFinanciers.
Die großen Ausschreibungen richten sich
an Kulturschaffende mit Wohnsitz inganz
Österreich; die Umsetzung aber soll unbedingt
inKärnten erfolgen. Aus der relativ
hoch angesetzten Mindestfördersumme,
30.000 Euro pro Projekt bei einer anvisierten
Gesamtsumme von 200.000 Euro pro
Durchlauf, ergibt sich ein klares Profil hinsichtlich
Größe und Professionalitätsgrad.
„Wir erhoffen uns Mut und Courage, und
dass Kulturschaffende sich etwas Spezifisches
überlegen, sodass jeder Call klare
Impulse setzen kann“, sagtJulia Malischnig.
Sie ist klassische Gitarristin und Initiatorin
des inMillstatt stattfindenden Festivals „La
guitarra esencial“, außerdem Mitglied des
Kuratoriums, das die zur Förderung emp-
fohlenen Projekte auswählt. „Hier zählen
die künstlerische Qualität, der visionäre
Charakter und die Glaubwürdigkeit im
jeweiligen Zusammenhang“, präzisiert
Malischnig. Die relativ hoch angesetzten
Fördersummen sollen entsprechend ambitionierte
Einreichungen ermöglichen.
„Es geht ganz klar nicht darum, die Politik
aus ihrer Verantwortung zu entlassen“,
sagt Monika Kircher, langjährige Vizebürgermeisterin
von Villach und spätere Vorstandsvorsitzende
der Infineon. Die derzeit
zur Verfügung stehenden 1,5 Millionen
Euro für drei Jahre sollen, so die Hoffnung,
bald gesteigert werden. Um die Attraktivität
für potenzielle Geldgeber zu erhöhen,
sei, so Kircher, eine Überarbeitung des Stiftungsrechts
etwa hinsichtlich der steuerlichen
Absetzbarkeit wünschenswert.
Tipp
„Umbrüche“. Der erste Call
der Kärntner Kulturstiftung
läuft bis 10. Dezember 2020.
Proausgewähltem Projekt
werden mindestens 30.000
Euroausgeschüttet,insgesamt
werden 200.000 Euro
vergeben. Projekte sollen in
Kärnten realisiert werden,
mehr auf www.kulturstiftung.at
Als imFrühjahr vielen freiberuflichen Kulturschaffenden
die finanzielle Lebensgrundlage
vorübergehend verloren ging,
schüttete die Stiftung 60.000 Euro über
einen Solidaritätsfonds aus. „Uns war wichtig,
Künstlern eine Möglichkeit zu geben,
sichadäquat zu betätigen“, sagtMonikaKircher.
Das Ergebnis sind zwei CDs, die das
Kärntner Panorama einmal literarisch
(„Koronar“), einmal musikalisch („RecordingsofNow“)
erschließensollen.
Auch hier folgte man den drei Leitbildern
der Kulturstiftung, nämlich „Schätzen, Fördern
und Vernetzen“, wie Kircher mehrmals
betont. „Fördern ist klar, vernetzen
möchten wir etwa mit Symposien und
Informationsveranstaltungen, beim Schätzen
geht es um das Ernstnehmen und die
adäquate Entlohnung“, präzisiert sie und
„Wir erhoffen uns Mutund Courageder Kulturschaffenden,
sodass jeder Call klareImpulse setzt.“
Kärntnerlied. Julia Malischnigs neues Album
„Canti Carinthiae“, via juliamalischnig.com
Wortgewalt. Kärntner Hörtexte „Koronar.Literarische
Nachrichten aus der Herzgegend“.
gibt ein Beispiel: „Niemand würde auf die
Idee kommen, eine Anwaltskanzlei bei
einer Charity-Auktion darum zubitten, ein
Stundenkontingent zu spenden. Dass
Künstlerinnen und Künstler ihre Werke
auktionieren lassen, ist hingegen selbstverständlich.“
Die Bedürfnisse und Ansprüche von freien
Kulturschaffenden decken eine große
Bandbreite ab. „Viele wissen nicht einmal,
welche Förderungen zur Verfügung stehen
würden –oder sie haben nicht die Zeitressourcen
für komplizierte Ansuchen“, sagt
Julia Malischnig, die als Festivalorganisatorin
aus Erfahrung sprechen dürfte. Zielgerichtete
Informationsveranstaltungen sollen
hier Licht ins Dunkel bringen.
Neue Szenen. Wenn die Auswahl der ersten
geförderten Projekte Anfang 2021 feststeht
und es bisspätestens 2022 zur Umsetzung
gekommen ist, wird sich absehen lassen,
wasdie Tätigkeit der Kulturstiftung für
Kärnten wirklich bedeutet. Das Potenzial
ist klar gegeben: Einerseits könnten große
Projekte mit Leuchtturmwirkung ins Land
geholt werden, die ergänzend zum existierenden
Kulturbetrieb und vereinzelten
Sommerirrlichtern bislang unterrepräsentierte
Sparten abdecken. Zum anderen
könnte man so das Entstehen neuer Szenen
ermöglichen, die in der aktuellen Konfiguration
unterrepräsentiert sind. Beides
würde dem Land mittelfristig ein neues
Profil geben. Beider Vorstellung desersten
Themencalls sprühten alle Beteiligten
jedenfalls noch vor Zuversicht. Und das ist
ja schon einmal ein guter Anfang. e
Kulturmagazin 79
Milieuporträtismus. „Schwitzkasten“ von
John Cook zeigt ein Arbeiterleben.
Die Wiege des
Austroautorenfilms
Die Anfänge des österreichischen Autorenkinos
waren kein Zuckerschlecken. Bei der
diesjährigen Viennale kann man die Früchte des
Zorns seiner Vorreiter sichten.
Text: Andrey Arnold
Fotos: Viennale
80 Kulturmagazin
Österreich ist stolz auf sein Autorenkino. Auf
das Wichtig-Wuchtige, das bei A-Festivals
Preise abräumt. Und auf das Termitenhafte,
das heimlich im Unterholz wurlt: Die eigenwilligen
Dokus und schillernden Avantgardepreziosen, die
hierzulande sprießen wie die Eierschwammerl. Ob diese
bemerkenswert „lebendige Filmkultur“, mit der sich die
Politik gerne brüstet, wirklich ausreichend unterstützt
wird? Das steht auf einem anderen Blatt. Aber stolz?
Stolz istman allemal.
Das war nicht immer so. Während die offizielle Anerkennung
und Förderung des Films als künstlerische Ausdrucksform
jenseits rein kommerzieller (oder staatstragender)
Interessen in Ländern wie Italien, Frankreich
und Deutschland schon in den 1960ern einsetzte, dauerte
es in hiesigen Gefilden etwas länger. Erst einmal
musste der Hut brennen. Und das war spätestens 1970
der Fall. „Der kommerzielle österreichische Film lag am
Boden“, notiert Florian Widegger, Kurator der Filmarchiv-Retrospektive
„AustrianAuteurs“, die bei der diesjährigen
Viennale ein Schlaglicht aufeine vergessene Ära
heimischen Kunstfilmschaffens wirft. „Heimatfilme, mit
denen man in der Nachkriegszeit viel Geld verdienen
konnte, zogen nicht mehr –auch aufgrund des Konkurrenzmediums
Fernsehen, das sich unter dem ORF-Intendanten
Gerd Bacher erstaunliche Freiheiten erlaubte.“
Frischzellenkur. Freiheiten, die der Lichtspielproduktion
in der Regel versagt blieben.
Und die auf angehende Filmschaffende
immer verlockender wirkten: Bilderstürmerische
„Neue Wellen“ waren
geradedabei,die Leinwände europäischer
Programmkinos durchzuwalken. Auch
wagemutige Miniaturen werdender Austrokunstkinolegenden
wie Peter Kubelka
und Valie Export erregten erstes internationales Aufsehen.
Die Vorstellung, dass eine enthemmende Frischzellenkur
auch der darbenden Ösifilmindustrie gut tun
könnte, schien plötzlich nicht mehr so abwegig.Auch aus
diesem Grund setzte esseitens der SPÖ-Alleinregierung
erste Impulse in Richtung einer ernst zu nehmenden
Filmförderung.
Doch schon bevor diese Bestrebungen 1980 in Form
eines Filmfördergesetzes provisorische Früchte trugen,
hatte sich eine Handvoll inspirierter Außenseiter an
unkonventionellen Laufbildarbeitenversucht,deren persönliche
Handschrift und Welthaltigkeit bis heute
berückt. Und die ohne große Übertreibung als opferbereite
Vorreiter der heimischen Autorenfilmidee bezeichnet
werden können. Viele von ihnen waren als Filmemacher
unbeleckt, kamen aus anderen künstlerischen
Zusammenhängen. Und hatten, wie man heute sagen
Heimatfilme, mit denen
man in der Nachkriegszeit
viel Geld verdienen konnte,
zogennicht mehr.
würde, Migrationshintergrund. Der Autodidakt John
Cook war Fotograf: Aus Kanada verschlug es ihn via
Frankreich nach Österreich. Der gebürtigeAserbaidschaner
Mansur Madavibegann seine Laufbahn an der Akademie
der bildenden Künste. DergriechischstämmigeAntonisLepeniotis
kam vomTheater. Vielleicht waresgerade
diese doppelte Außenperspektive, die dem Filmschaffen
dieser Quereinsteiger eine visionäre Note verlieh. Jedenfalls
fasste esdas „Österreichische“ oft eindringlicher als
manch ein Erzeugnis autochthoner Kollegen. Nicht
zuletzt, weil es bereit war, wunde Punkte inden Blick zu
nehmen –und ästhetische Akzentezusetzen.
Ungschamige Lockerheit. Mansur Madavis„Die glücklichen
Minuten des Georg Hauser“ (1974) wirkt aus heutiger
Sicht etwa wie eine Blaupause jener präzis abgezirkelten
Sittengemälde mit sozialkritischem Einschlag, die
mittlerweile zum nahezu abgenudelten Markenzeichen
des heimischen Festivalkinos geworden sind. Da kann
man einem braven Durchschnittsbürger dabei zusehen,
wie er von seinem monotonen (Arbeits-)Alltag in Wahnsinn
und Zerstörungswut getrieben wird. Gesprochen
wird wenig, umso ausdrucksstärker ist die unterkühlte
Bildsprache.
„Schwitzkasten“ von John Cook (1978) besticht indes mit
einer ungschamigen Lockerheit, die ihresgleichen sucht.
Die rohe Bummelantenpoesie von Cooks Spielfilmdebüt
„Langsamer Sommer“ (1974) weicht hier
zwar einem bekömmlicheren Milieuporträtismus,
doch die Erzählung hat immer
noch keine richtige Zielsetzung, folgt
schlicht den Versuchen der Hauptfigur
Hermann, ein lebenswertes Auskommen
als Arbeiter in Wien zu finden. Sie skizziert
seine familiären Probleme und brüchigen
Liebschaften, ohne die Perspektiven
und Lebensbedingungen der zahlreichen Nebenfiguren
auszublenden. Tonfall und Gebaren wirkendabei
durchweg authentisch, weil zwanglos und unverblümt –
gleichwohl sich Cook über die parasitären Praktiken
„engagierter Künstler“ lustig macht, die ihre Produkte
mit proletarischem Kolorit aufwerten. Neben „Georg
Hauser“ mutet „Schwitzkasten“ mit seinem Humor und
den oft luftig-lauen Stadtkulissen zwar wie ein regelrechtes
Freudenfest an; hinsichtlich Güte und Gerechtigkeit
heimischer Verhältnisse macht er sich aber keine Illusionen.
Auch das Werk Antonis Lepeniotis’ hält mit kritischen
Ansichten nicht hinterm Berg. Ein Grund, warum
die genannten Filme weder beim Publikum noch bei
potenziellen Geldgebern übermäßigen Anklang fanden.
Dafür unterstützen sich ihre Urheber gegenseitig: „Viele
der Filmemacher, deren Arbeiten wir zeigen, kannten
sich untereinander“, so Widegger. „Achtet man auf die
Kulturmagazin 81
»
Dokufiktion.
Angela SummeredersFilm
„Zechmeister“
(1979)
handelt von
einem realen
Gerichtsfall.
„Viele haben sich gedacht: Die spinnt.Was will diesesjunge
Madlohne Ausbildung?Aber ich warwahnsinnig beharrlich.“
Angela Summereder
»
Namen in jedem Abspann, lässt sich ein Netzder Verbundenheit
spinnen.“ Von Karrieren kann dennoch keine
Rede sein: Die meisten Filmografien der „Austrian
Auteurs“ verliefen sich, bevor sie ernstlich Fahrt aufnehmen
konnten. Eine, die trotzallem weitergemacht hat, ist
Angela Summereder. Dabei hatte sie es nicht leichter als
ihremännlichen Kollegen–eher im Gegenteil. Ihr außergewöhnliches
Debüt „Zechmeister“ (1981) stemmte sie
gegen immensen Widerstand, dem sie bereits imZuge
ihres Filmakademie-Studiums begegnete, wie die Filmemacherin
dem „Kulturmagazin“erzählt.
Das Sujet –der reale Gerichtsfall einer Frau, die 1948
beschuldigtwurde, ihren Mann vergiftet zu haben –hatte
Summereder schon für ihre Aufnahmeprüfung aufs
Tapet gebracht. Esstieß jedoch auf wenig Gegenliebe,
auch aufgrund der intendierten Ästhetik: Eine mit Stimmungsbildern
und Verfremdungseffekten angereicherte
Dokufiktion. Nach Summereders Filmhochschulrauswurf
wagtesie den Alleingang.„Viele haben sich gedacht:
Die spinnt. Was will dieses junge Madl ohne Ausbildung?
Aber ich warwahnsinnig beharrlich.“
Das Unverständnis der künstlerischen und feministischen
Ansprüche der Erstlingsregisseurin (etwa ihr
unbedingtesBedürfnis, mit einer Kamerafrau zu drehen)
war auch beim Förderbeirat groß. Umsetzen konnte
Summereder den Film nicht zuletzt dank Fürsprecherinnen
wie der Produktionsleiterin Monika Maruschko.
Heute sticht die formale Radikalität von „Zechmeister“
selbst im Kontext der Retrospektive heraus. Dementspre-
Tipp
Viennale 2020. Die 58. Viennale
findet vom 22. Oktober
bis 1. November unter Covid-
Sicherheitsbestimmungen
statt,mehr dazu auf der
Homepage.Fünf Titel der
„Austrian Auteurs“ sind bei
der Viennale zu sehen, zehn
weiteredarüber hinaus im
MetroKino. www.viennale .at
chend fühlte sich Angela Summereder, eine gebürtige
Oberösterreicherin, nie als Teil einer filmischen Clique
oder Bewegung –auch weil diese weitgehend männlich
bestimmt waren. „Zechmeister“ lief bei den Berliner
Filmfestspielen, wo sogar das nicht gerade avantgardeaffine
„Variety“ dem Ausnahmestreifen Chancen auf ein
Globalrenommee attestierte. Doch in Österreich erntete
er hauptsächlich ungläubige Blicke. Eine entgeisternde
Erfahrung für Summereder, die erst Jahrzehnte später
wieder ein längeres Projekt („Jobcenter“) anging. Auch,
weil sie dazwischen Mutter wurde: „Die Möglichkeiten,
Familie und Filmtätigkeit zu verbinden, waren damals
enorm eingeschränkt.“
Reine Oberflächenveredelung. Nun ist aber alles besser,oder?Kaum,
meint die 62-Jährige. Vieles, wasaktuell
als Fortschritt deklariert wird, empfindet sie als reine
Oberflächenveredelung. „Als gravierendste Veränderung
der Filmlandschaft sehe ich das
inzwischen flächendeckende Einverständnis
darüber,Film nurnoch als Ware für einen Markt
zu verstehen, der auch ein Festivalmarkt sein
kann –nicht mehr als Ausdrucks- oder Verständigungsmittel
im gesellschaftlichen Diskurs.”
Wenn das stimmt, sind mutige Filmemacherinnen
und Filmemacher aus Österreich mehr
denn je gefragt, ihrer Kunst eigenständigeWege
zu bahnen – und diese dann auch zu beschreiten.
e
Fotos: Viennale
82 Kulturmagazin
DEUTSCHSPRACHIGE ERSTAUFFÜHRUNG
CHRISTOPH
KOLUMBUS
von Miroslav Krleža
Inszenierung Rene Medvešek
Eine internationale und mehrsprachige Koproduktion
mit den Vereinigten Bühnen Bozen
Vorstellungen: 28.11., 03. und 04.12.2020
und 10.02.2021
www.landestheater.net
„Futur 3“. Junge persischstämmige Leute in der deutschen
Provinz: Zu sehen im Ersatzprogramm des Crossing Europe.
„Cat in the Wall“. Gleich zwei Festivals zeigen den gefeierten
Film über Nachbarschaft und soziale Gräben in London.
„Jackie und Oopjen“. Flotte Verfolgungstour mit der
Lady aus dem Rembrandt-Bild.
„Old Man Cartoon Movie“. Absurder Puppentrickspaß
aus Estland über das wilde Landleben.
„Mein Bruder jagt Dinosaurier“. Cool sein trotz Brudersmit
Behinderung? Eine Romanverfilmung aus Italien.
„Crescendo“. Peter Simonischek lässt junge Orchestermusiker
aus Israel und Palästina aneinanderkrachen.
„The Earth Is Blue as an Orange“. Eine ukrainische Familie
verarbeitet die Kriegswirren in einem selbst gedrehten Film.
84 Kulturmagazin
Fotos: sixpackfilm (3), Dinand van der Wal, Vision Distribution, Stadtkino Filmverleih/CCC/Oliver Oppitz, This Human World
Das bringt der
Filmfestival-Herbst
Die Viennale ist nicht alles: Längst hat sich –
nicht nur inWien –eine Reihe kleinerer
Festivals etabliert. Auszüge aus dem
Filmprogramm, von absurd bis berührend.
Text: Katrin Nussmayr
Als Jack ein kleines Kind ist, ist er
der größte Fan seines Baby-Bruders:
Gio sei nämlich so etwas
Ähnliches wie ein Superheld,
erklären ihm die Eltern. Als Teenager, als
Jack längst erkannt hat, dass der kleine Gio
das Down-Syndrom hat, schämt er sich für
ihn. Und als er sich in ein Mädchen verliebt,
behauptet er gar, sein Bruder sei tot.
Der italienische Film „Mein Bruder jagt
Dinosaurier“ erzählt warmherzig und witzig
vom Erwachsenwerden, Freundschaft
und Inklusion – eine mehrere Tausend
Köpfe zählende Jugendjury hat ihn beim
Europäischen Filmpreis gar zum besten
Kinderfilm des Jahres gewählt. ImNovember
ist er auf der großen Leinwand zu
sehen, als einer jener Filme, die beim Wiener
Kinderfilmfestival ein Fenster zur Welt
öffnen sollen.
Das Besondere andiesem Festival ist nicht
nur die Filmauswahl, die sich an ein junges
Publikum richtet (und ältere Generationen
genauso verzücken könnte), sondern auch,
wie die Filme aus unterschiedlichen Ländern
präsentiert werden: Gezeigt werden
in den Vor- und Nachmittagsvorstellungen
großteils Originalfassungen, die direkt im
Kino live auf Deutsch eingesprochen werden.
Eröffnet wird der Reigen am
14. November mit der niederländischen
Komödie „Jackie und Oopjen“: Darin büxt
die von Rembrandt in Öl auf Leinwand
gemalte, schwarz gewandete Braut Oopjen
aus ihrem Rahmen aus und düst mit einem
12-jährigen Mädchen durch Amsterdam –
verfolgtvon zwei Kunsträubern...
Der Herbst ist eine Saison der Filmfestivals
–und während die große Aufmerksamkeit
der filmliebenden Städter meist der Viennale
gilt, sind auch kleine Institutionen mit
ihren eigenständigen Programmen zur
Marke geworden. Einen wichtigen Stellenwert
im heimischen Festivalkalender hat
das Linzer Crossing Europe, das auf europäische
Filme konzentriert ist –und Perlen
nach Österreich bringt, die uns sonst wohl
verwehrt blieben, schafft doch nur ein
Bruchteil jener Filme, die in Europa produziertwerden,
einen Kinostartbei uns. Seine
geplante Ausgabe im März musste das Festival
absagen, die Highlights aus dem Programm
werden nun häppchenweise serviert:
Im Wiener Filmmuseum wird etwa
das Drama „Bait“ vom Briten Mark Jenkin
gezeigt (18. 10.), das bei der Berlinale überzeugte
und einen Bafta-Preis gewann. Im
Wiener Stadtkino gibt es das absurd-komische
Puppentrickabenteuer „Old Man Cartoon
Movie“ aus Estland zu sehen (21. 11.):
Eine ausgekommene Milchkuh droht darin
mit der „Lactokalypse“. Im Linzer City-Kino
präsentiert das Festival jeden Dienstag
einen Film ausdem abgesagtenProgramm.
Etwa den deutschen Coming-of-Age-Film
Tipps
Crossing Europe. Das Festival im März
wurde abgesagt,die Programmhighlights
gibt’s über den ganzen Herbst
verteilt in Kinos –nicht nur in Linz.
crossingeurope.at
Jüdisches Filmfestival. Noch bis
21.Oktober in Wien. www.jfw.at
Internationales Kinderfilmfestival.
14.–22. November in Wien; 21.– 29.
November in vier steirischen Städten.
kinderfilmfestival.at
IFFI. International Film Festival Innsbruck:
3.–8. 11., iffi.at
ThisHuman World. 3.–13. 12. in Wien.
thishumanworld.com
K3. 9.–13. Dezember in Villach.
k3filmfestival.com
„Futur 3“ (24. 11.) über drei zerrissene junge
Menschen iranischer Herkunft in der niedersächsischen
Provinz. Oder den Festivalhit
„Cat in the Wall“ (27. 10.): Über eine
Katze, die in einem Londoner Gemeindebau
inder Mauer feststeckt, wird hier von
sozialen Klüften, Gentrifizierung und dem
Konflikt zwischen britischer Arbeiterklasse
und zugezogenen Migranten erzählt.
Der Film wird im Dezember auch beim
„This Human World“ zu sehen sein, einem
Festival, das sich stets um globale Menschenrechtsthemen
dreht. Im Programm
istdortauch die Doku„The EarthIsBlue as
an Orange“ über eine ukrainische Familie,
die, umringtvon Kriegund Soldaten, einen
Film dreht. Das Festival will heuer einige
Filme auch über einen Onlinestream
zugänglich machen, Publikumsgespräche
finden via Videokonferenz statt.
Irre Klimaanlagen. Das größte Filmfestival
im Westen des Landes ist das IFFI, das
Internationale Film Festival Innsbruck.
Statt bereits imFrühling findet eine verkleinerte
Ausgabe im November statt.
Rund 60 Filme werden gezeigt, einige
davon imWettbewerb um den Spielfilmpreisdes
LandesTirol, darunter das peruanische
Kinderhandel-Drama „Song Without
aName“ und das jazzige, magisch-gewitzte„Ar
condicionado“aus Angola: Darin
haben die Klimaanlagen von Luanda
scheinbar beschlossen, kollektiv aus ihren
Verankerungen zu brechen, was einen
Streifzug durch die lebhafte Stadt anheizt.
Weiter südlich, in Villach, widmet sich im
Dezember das K3-Festival dem Filmschaffen
aus Norditalien, Südösterreich und Slowenien.
Zu erwarten ist ein Programm aus
sechs Lang-und 25 Kurzfilmen.
Bereits begonnen hat das Jüdische Filmfestival,
unter dem Motto „Reißt die Mauern
nieder!“ werden alte und neue Filme
gezeigt. Der Eröffnungsfilm „Crescendo“, in
dem PeterSimonischek als väterlicher Dirigent
eines ungewöhnlichen Jugendorchesters
heillos zerstrittene Musiker aus Israel
und Palästina zusammenbringt, ist am
21. 10. erneut zu sehen –und ein paar Sichtungsmöglichkeiten
mehr gibt es auch: Ein
regulärer Kinostart fiel zwar der Pandemie
zum Opfer, vereinzelte Kinos wollen den
Film trotzdem zeigen. e
Kulturmagazin 85
Highlights
KLASSIK
LITERATUR
Unkonventionell. Thomas Gansch zeigt in
seinem Konzerthaus-Zyklus,was die
Trompete alles zu bieten hat.
Viel zu selten steht sie aufden großen Konzertbühnen
im Mittelpunkt,die Trompete. Einer,der das Instrument
in seinen vielen Facetten erklingen lässt,ist der-
Trompeter Thomas Gansch. In musikalische Kategorien
lässt er sich nicht pressen: Er gastiertimPorgy&Bess
genauso wie im Wiener Konzerthaus, Letztereshat heuer
ein Abo aufgelegt,bei dem man sich vonder musikalischen
Vielfalt desMusikers überzeugen kann: Alljährlich
vorWeihnachten findet seine „Schlagertherapie“
(21. Dezember) statt. Das Mottodabei lautet: „Vergessen
wir für eine kurzeWeile die Sorgen der Welt und ergeben
uns unseren sehnsüchtigsten Träumen –damit wir’s
danach wieder frisch gestärkt mit der Realität aufnehmen
können.“Udo Jürgens, Catarina Valente, Ludwig Hirsch
und andereSchlagerstars sind in neuem Sound zu hören.
Mit seinem Stammensemble Mnozil Brass bläst Gansch
sich frohgemut wie „Phoenix“aus der Asche empor
(10.Februar). Mit seinem langjährigen Kompagnon, dem
Bassisten Georg Breinschmid, sowie dem Geiger Benjamin
Schmid isterimTrio„Brein, Schmid &Gansch“
(17. Jänner) zu erleben. HerbertPixner,ManuDelagound
das Radio String Quartetstehen Gansch in „Alpen &Glühen“zur
Seite.
Daniela Tomasovsky
Virtuos. Mario Roms Interzone sorgen für
jazzige Begleitung der Europäischen
Literaturtage in Krems.
OhWildnis, oh Schutzvor ihr“ nannteeinst Elfriede
Jelinek ihreAttackegegen die Verklärung der Natur.
Fast 40 Jahrespäterlautetdas Mottoder diesjährigen
Europäischen Literaturtage „Mehr Wildnis!“. Die Veranstaltung
findet vom19. bis22. November im Klangraumin
der Kremser Minoritenkirche statt. Früher tatendie Menschen
ihr Möglichstes,umsich vorder Wildniszuschützen,
heutetreibt es sie aufder Suche nach den letzten
Abenteuern dorthin. Heutemüssen nicht mehr wir uns
vorder Natur schützen, sondern die Natur voruns. Darüber
wollen im zwölften Jahr der Literaturtage Autorinnen
undAutoren ausEuropa diskutieren. Den Anfang macht
die deutsche Philosophin Ariadne vonSchirach mit ihrem
Eröffnungsvortrag zum Thema „Was bedeutet Wildnis?“
und einer anschließenden Diskussion mit Robert
Menasse. Höhepunkt wirdSamstag die literarisch-musikalische
Soiree mit dem isländischen AutorSjón und
einer Lesung vonJohannesSilberschneider sein, moderiertvon
der Literaturchefin im ORF,Katja Gasser.Den
Abschluss bildet am Sonntag die Verleihung desEhrenpreisesdes
Österreichischen Buchhandels für Toleranz in
Denken und Handeln an die großartigekanadische AutorinA.L.Kennedy.
www.literaturhauseuropa.eu
Harald Klauhs
Tipp
Tipp
RSO Wien. In seiner 5. Symphonie
reizt Mahler die Tonalität
aus,Visconti verwendete
das Adagietto für seinen Film
„Tod in Venedig“. Marin Alsop
liebt Mahler,auf ihreLesart
kann man also gespannt sein.
16. 10., Wiener Konzerthaus
„Into the Woods“. Witz und
musikalische Eleganz zeichnen
die Musicals von Stephen
Sondheim (er wirdimMärz
2021 90!) aus,in„Into the
Woods“ geht es um Märchen,
das Werk ist ein Plädoyer für
die Wahrheit der Fantasie.
Premiere: 13. März 2021,
Wiener Volksoper
Concentus Musicus. Als
„Symphonie gegen Napoleon“
wurde sie bezeichnet,kurz
nach der Niederlage des
Franzosen in der Schlacht bei
Leipzig fand die Uraufführung
in der Alten Universität in Wien
statt.Der Concentus Musicus
unter Stefan Gottfried lässt sie
so erklingen, wie sie wohl damals
geklungen hat.12. &13.
Dezember,Musikverein.
FriederikeMayröcker. Die Frau
ist in Österreich nahezu ebenso
Kult wie Ruth Bader Ginsburginden
USA: die 95-jährige
FriederikeMayröcker.Inder
Alten Schmiede liest sie aus
ihrem jüngsten Band „da ich
morgens und moosgrün. Ans
Fenster trete“. 27. 10., 19 Uhr,
Alte Schmiede
Bettina Balàka. Die Salzburger
Autorin hat sich intensiv mit
der Pädagogin, Sozialreformerin
und Frauenrechtsaktivistin
Eugenie Schwarzwald
beschäftigt.Nun hält sie im
Wiener Rathaus eine Festrede
über die ehemalige „Presse“-
Feuilletonistin. 3. 11., 19 Uhr,
Wappensaal
Arbeit statt Almosen. Corona
hat den Autoren zugesetzt.
Lesungen, eine wichtige Einnahmequelle,
sind versiegt.
Marlen Schachinger hat ein
Crowdfunding-Projekt gestartet
und Autoren gebeten, einen
literarischen Text zur „Kulturnation
Österreich“ zu schreiben.
www.startnext.com/fragmente
Fotos: Beigestellt
86 Kulturmagazin
TANZ
THEATER
Coppélia. Um ihrem Franz klarzumachen,
dass er sich in eine Puppe verliebt hat,
wirdSwanilda zu Coppélia.
Ursprünglich istdie Erzählung vonder PuppeOlimpia
ein Gruselmärchen. E. T. A. Hoffmann erzählt vom
Studenten Nathanael, der der mechanischen Figur verfällt,
wahnsinnig wirdund sich schließlich in den Tod
stürzt.Diesesunheimliche „Nachtstück“ hatgleich nach
Erscheinen 1817Furoregemacht und fasziniertauch
heutenoch, als rätselhafteFiktion oder charmanteKomödie.
JacquesOffenbach lässt in seiner Oper „Les contes
d’Hoffmann“, die PuppeOlimpia singen. Bald nach Offenbach
meldetesich der jungeKomponistLéo Delibesmit
einer bezaubernden Ballettmusik.Die PuppeOlimpia ist
jetzt Coppélia, ihr Anbeter Franz.Inder Choreografie von
Arthur Saint-Léon eroberte „Coppélia ou La Fille aux
yeux d’émail“1870von Paris ausdie Ballettbühnen der
Welt.Sie istunsterblich, der schrulligeDr. Coppélius muss
nurden Schlüssel in ihrem Rücken drehen. Diesen
Schlüssel hatder Tänzer und Choreograf PierreLacotte,
die Autoritätfür die Rekonstruktion vonBallettklassikern,
gefunden, die 150JahrealteChoreografie neu belebt und
das lang verschollene dritteBild rekonstruiert. Ausdem
Schauerstück istein köstlicher Schabernack geworden.
Glanzvoll istdas Finale, wenn die neue Glockezur großen
Hochzeitsfeier ruft.Ab11. 12. in der Volksoper.
Ditta Rudle
RichardII. Jan Bülow spielt im November
RichardII. im Burgtheater,Regisseur ist
Johan Simons.
Wenn die Musik doch schwieg’, sie macht mich
toll/Denn hatsie Tollen schon zum Witz verholfen/
In mir macht sie den Weisen toll“, spricht RichardII., ein
Shakespeare-König, bei dem man sich fragt, wie die Mächtigen
klug regieren sollen, wenn sie eine derarttragische
eigene Vita haben, in der ihnen früh beigebracht wird,
dass Liebe nichtszählt,Siegenalles–und der Todlauert
stetsgleich um die Ecke.Mit elf Jahren wirdRichardauf
den Thron gesetzt,seine Frau Isabelvon Valoisist sechs
Jahrealt.Richardlässt seinen Onkel ermorden, erhöht
Steuern und Abgaben und widmet sich der eigenen
Prachtentfaltung.Johan Simons, dem zu vielen Stoffen
gleichermaßen Originelleswie Seriöseseinfällt,inszeniert
„RichardII.“imBurgtheatermit JanBülowinder Titelrolle.
Der 1996 in Berlin geborene Schauspieler war
zuletzt in der Burg in Wajdi Mouawads„Vögel“ zu sehen
sowie in der „Edda“. Ferner spielteBülowinder actionreichen
Netflix-Serie „Dogs of Berlin“, zuletzt warerals Udo
Lindenberg in dem Biopic „Lindenberg!Mach dein Ding“
vonHermine Huntgeburth zu erleben. Über die Rock-
Ikone sagte Bülowinder „FAZ“: „Menschen, die erfolgreich
sind, sind vonstarken Selbstzweifeln geprägt.“
RichardII. erfassen diese erst,als es zu spät ist.
Barbara Petsch
Tipp
Tipp
Thunberggoes Tanz. „Climatic
Dance“ ist der fünfte Teil von
Amanda Piñas großartigem
Projekt über den Verlust der
kulturellen und biologischen
Vielfalt des Planeten. Ihr Thema
ist die Entkolonialisierung
von Kunst.Im„Climatic
Dance“ sind auch Studierende
der National School of Folcloric
Dance of Mecikoauf der
Bühne.17.–19. 12. tqw.at
Biografisch. Romy Schneider
ist auf der Tanzbühne gelandet.„Ich
kann nichts im Leben
–aber alles auf der Leinwand“,
sagte die Ausnahmeschauspielerin.
Der Innsbrucker
Ballettchef Enrique Gasa
Valga zeigt das Leben der
facettenreichen Privatperson
und vielseitigen Künstlerin.
Premiere: 27. 2. landestheater.at
Ängste. „In der Dunkelwelt“
beschäftigen sich der Choreograf
Joachim Schlömer und
drei Tänzerinnen mit Gefühlsausbrüchen
und wie man sich
diesen stellt.Ab16.10.
dschungelwien.at
Liliom. VomHutschenschleuderer
und seiner Julie mit dem
Herzen aus Gold (wo gibt es
heute noch so was?) kann
man nie genug kriegen, darum
inszeniert Peter Wittenberg
die Molnár’sche Vorstadtlegende
im OÖ. Landestheater
in Linz. www.landestheaterlinz.at
Ausländer raus! Wiens Schauspielhaus
blickt zurück auf
Christoph Schlingensief und
seine längst legendären Aktionen:
Am 24. Oktober,dawäre
dieser große und echte Erfinder
neuer Formen der Bühnenkunst
sechzig Jahrealt geworden.
Er starb 2010.
Michael Kohlhaas. Dem Pferdehändler
Michael Kohlhaas
wirdvon den Mächtigen übel
mitgespielt.Ergibt nicht auf
und wirdimmer rabiater.Kleists
Novelle, die bis heute provoziert,inszeniert
der Brite Simon
McBurney (ab 2. 12.). Die Berliner
Schaubühne bietet verlässlich
FirstClassBühnenkunst
und lockt zu einem Ausflug an
die Spree.
Fotos: Katarina Soskic, beigestellt
Kulturmagazin 87
Highlights
POP
JAZZ
Culk. Entrückt und eindringlich ist der
Gesang von Culk-Sängerin Sophie Löw.
Die Wiener Band ist am 30. 10 im WUK.
ImVideo zum Song „Dichterin“, der ersten Single des
neuen Albums der Wiener Band Culk,kehrtSängerin
Sophie Löwnach gut eineinhalb Minuten der Kameraden
Rücken zu. „Fck generischesMaskulinum“steht aufder
Rückseiteihrer Jacke. In Großbuchstaben. „Vergiss mein
nicht“, singtsie gleich darauf, als siewieder in die Kamera
blickt.Zuvor sieht man lang nichtsaußer den als Untertiteleingeblendeten
Songtext.Bis Löwirgendwann schemenhaft
ausdem Dunkel hervortritt.Passend zu diesem
wütenden wie resignierenden Song,indem sie die
Unsichtbarkeit der Geschlechtervielfalt anprangert: „Du
verdrängst mich/und du verkennst mich/ich verrenne
mich an dunkle Orte/dukennst keine Wortefür mich/
und die du für mich hast /führen mich weit wegvon Einfluss
und Macht.“ DiesesAusleuchten gesellschaftlicher
Missstände, gefasst in dringlichen Post-Punk oder albtraumhaften
Dream-Pop,hat Culk bereitsmit ihrem
Debüt aus2019 zu einer der aufregendsten neuen Bands
im deutschen Sprachraumgemacht.Mit „Zerstreuen über
Euch“, ihrem zweiten Album, festigtsie diesen Status:
IhreSongs über Machtmissbrauch, Unterdrückung oder
zwischenmenschliche Krisen fesseln nicht zuletzt dank
dem bald seltsam entrückten Gesang Löws.
Holger Fleischmann
Schönster Schauder garantiert. Die Tiger
Lillies sind am 16. und 17. November
(19 &21Uhr) im Porgy&Bess zu Gast.
Das wüstebritische Trio Tiger Lillies wargar nicht lahm
in der Zeit der seuchenbedingtenAusgangsbeschränkungen.Neue
Lieder,neueScherzekamenpermanent
über ihre Internetplattformen. Diese wollen vor Publikum.
Undsoscheuen die Tiger Lilliesweder Gesundheitsrisken
noch Reisestrapazen,umwieder aufs europäische Festlandzustreben.Am16.
und17. November werden sie in
Wien aufschlagen. Diesmit dem neuen, vomgriechischen
Rembetiko inspiriertenOpus„Lemonaki“ im Gepäck,wo
es recht viel um Krankenhäuser undFriedhöfegeht.MartynJacques’
vielgerühmtesKastraten-Crooningwirdmit
viel Gustodas angstlustsüchtige Publikum in denVorhof
der Hölle geleiten undallerhandAuslassungen über die
tragischen Schicksalevon Zuhältern,ganzkörpertätowiertenProstituierten,
sodomiertenSchafenund Müttern in
Irrenanstalten zelebrieren.Die gleichermaßenkarg wie
pointiert instrumentiertenMoritatenund die überspitzt
albtraumhaft vorgetragene, gewissermaßen surrealistischeSozialkritiklassen
diedüstereAtmosphäreder
frühenPolitsongs vonBertBrecht und Kurt Weill auf
drastischeArt wiederauferstehen, wecken aber auch
Assoziationen an Helmut Qualtingers genialeH.C.-Artmann-Interpretationen
„SchwarzeLieder“.
Samir H. Köck
Tipp
Tipp
Sigrid Horn. Knapp vorm Lockdown
im März veröffentlichte
die in Wien ansässige Mostviertlerin
ihr zweites Album
voll herrlicher Dialekt-Chansons.„Ibleib
do“, ungewollt
passend betitelt für das Jahr
2020, kann man nun im Wiener
Sonnwendviertel live hören.
28.11., Gleis 21, Wien
Blue BirdFestival. Als Hoffnungsträger
in schweren Zeit
will das beliebte, freigeistige
Singer-Songwriter-Festival
heuer agieren: mit heimischen
Acts wie Garish und Alicia
Edelweiss und mit diversen
internationalen Gästen wie
Anna BSavage und This Is the
Kit.19.–21.11., Porgy&Bess
Lou Asril. Sein heuriges (Mini-)
Albumdebüt verdeutlichte,
warum der Mann aus Seitenstetten
als großes Popversprechen
gilt: Bisweilen
sehnsuchtsvoller Falsettgesang
trifft auf reduzierte
R’n’B-Arrangements und
knappe Beats.Beseelt!
29. 11., WUK
Legende. Die Jahresind rasch
verronnen für den großen
Jazzpianisten Chick Corea,
seit er er 1978 sein erstes
Konzerthaus-Konzert gegeben
hat.Sein Werk hat sich stilistisch
stark verbreitert seit den
frühen Tagen des von ihm mitgeprägen
Fusionsounds.Sogar
an Mozart versucht er sich
zuweilen höchst erfolgreich.
8.November,Konzerthaus
Groovemagier. Waldeck präsentiert
an diesem Abend sein
neues Opus „Grand Casino
Hotel“, das Kopfkino vom
Feinsten auslöst.Ausladende
Texturen, schwelgerische
Gesänge und beinharte Tanzrhythmen
locken. 27. November,Porgy
&Bess
Ohren spitzen! David Murray
spielte bereits ab seinem
neunten Lebensjahr Saxofon.
Nach Anfängen im R’n’B
wandte sich der junge Mann
bald ernsthaft dem Jazz zu.
Sein Repertoirereicht vom Spiritual
Free Jazz bis zum Blues.
9. Dezember,Porgy &Bess
Fotos: Antonia Mayer, Andrey Kezzyn
88 Kulturmagazin
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CAMERON M ACKINTOSHS
ERFOLGSPRODUKTION V ON
BOUBLIL & SCHÖNBERGS
PREMIEREJÄNNER2020
#WeAreMusical
WWW.MUSICALVIENNA.AT
Das bringt der Herbst
NATAŠA ILIĆ
Nataša Ilić. Die gebürtige
Zagreberin ist Mitglied des
kroatischen Kuratorinnenkollektivs
What,How &for
Whom/WHW.Gemeinsam
mit Ivet Ćurlin und Sabina
Sabolović leitet sie seit
2019 die Kunsthalle Wien.
Noch bis 30. Oktober ist
dort die Ausstellung „Kiss“
zu sehen,
www.kunsthallewien.at
Waswar der Osten?
Die Moderna Galerija in Ljubljana
gibt einen umfassenden
Überblick über das Werk des
polnischen Malers, Kunsthistorikers
und Kritikers Andrzej
Wróblewski. Im Mittelpunkt
der Ausstellung steht seine
Reisenach Jugoslawien 1956,
nurein Jahr vorseinem Tod.
Erstmals istauch sein Spätwerk
zu sehen. Die Ausstellung
nimmt diesals Anlass, um zu
fragen: Waswar der Osten?–
oder:Gibt es so etwaswie den
Osten noch?Bis 10.1.2021,
www.mg-lj.si
Erlesene Objekte
Das Weltmuseum Wien präsentierteine
Schauzur Kunst und
Kultur der Azteken, die
erlesene Objekteaus verschiedenen
mexikanischen und
europäischen Museen versammelt.Die
Kultur desmächtigen
Aztekenreichs, nach der
gewaltsamen Eroberung durch
die spanischen Konquistadorendem
Untergang geweiht,
lädt uns ein, über das Schicksal
vonImperien, gewaltsame
Kolonialgeschichten sowie ihre
Folgen und Nachwirkungen in
der Gegenwart nachzudenken.
Bis30. 4. 2021,
www.weltmuseumwien.at
Visuelle Muster
DasHausder Kulturen der Welt
in Berlin präsentiertalle 63
Tafeln vonWarburgs Bilderatlas„Mnemosyne“–erstmals
wiederhergestelltmit dem originalen
Bildmaterial desKunstund
Kulturhistorikers. Aby
WarburgsMethode,nach visuellen
Themenund Mustern
über Zeitenund Geografien
hinweg zu suchen,ist immens
wichtig für unser Verständnis
derheutigenWelt,die so sehr
vonvisuellenMedien beherrscht
wird.Bis 30.11. 2020,
www.hkw.de
Foto: Christine Pichler.
90 Kulturmagazin
SEIT 1707
Classic Week 5. –10. November
Alte Meister
Gemälde des 19. Jahrhunderts
Antiquitäten
Contemporary Week
24. –30. November
Zeitgenössische Kunst
Klassische Moderne
Juwelen, Uhren
Palais Dorotheum, Wien, +43-1-515 60-570
Düsseldorf, +49-211-210 77-47, München, +49-89-244 434 730
www.dorotheum.com
Gustav Klimt, „Altar des Dionysos“, 1886, Entwurf für das Deckengemälde im südlichen Stiegenhaus (Giebelfeld)
des Burgtheaters, Öl auf Leinwand, 32 x158 cm, (Abb.-Ausschnitt), €190.000 –300.000, Auktion 24. November