2020-10-16 Kulturmagazin
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magazin<br />
<strong>16</strong>.<strong>10</strong>. <strong>2020</strong><br />
Auf dem<br />
Absprung<br />
Frischer Wind im Kulturherbst: Jungkünstlerin<br />
Sara Lanner und andere neue Namen bei der<br />
Diplomausstellung der Bildenden in Wien.
Gershwin<br />
Rossini<br />
PORGY AND BESS IL BARBIERE<br />
Wayne Marshall |Matthew Wild<br />
DI SIVIGLIA *<br />
Wiener KammerOrchester<br />
special extended<br />
George Jackson |Christoph Zauner<br />
Porgy and Bess-Ensemble<br />
Wiener KammerOrchester<br />
Eric Greene, Simon Shibambu,<br />
Mit dem Jungen Ensemble<br />
Jeanine De Bique, Pumeza Matshikiza<br />
Theater an der Wien<br />
Premiere: 14. Oktober <strong>2020</strong><br />
Premiere: 5. März 2021<br />
Änderungen vorbehalten<br />
Mozart<br />
LE NOZZE DI FIGARO<br />
Stefan Gottfried |Alfred Dorfer<br />
Concentus Musicus Wien<br />
Arnold Schoenberg Chor<br />
Florian Boesch, Cristina Pasaroiu,<br />
Robert Gleadow, Giulia Semenzato<br />
Premiere: 12. November <strong>2020</strong><br />
Cavalli<br />
GIASONE *<br />
Benjamin Bayl |Georg Zlabinger<br />
Bach Consort Wien<br />
Mit dem Jungen Ensemble<br />
Theater an der Wien<br />
Premiere: 29. November <strong>2020</strong><br />
Rameau<br />
PLATÉE<br />
William Christie |Robert Carsen<br />
Les Arts Florissants |Arnold Schoenberg Chor<br />
Marcel Beekman, Jeanine De Bique,<br />
Edwin Crossley Mercer, Cyril Auvity<br />
Premiere: 14. Dezember <strong>2020</strong><br />
Massenet<br />
THAÏS<br />
Leo Hussain |Peter Konwitschny<br />
RSO Wien |Arnold Schoenberg Chor<br />
Nicole Chevalier, Josef Wagner,<br />
Roberto Sacca, Carolina Lippo<br />
Premiere: 19. Jänner 2021<br />
Donizetti<br />
BELISARIO<br />
Oksana Lyniv |Nigel Lowery<br />
RSO Wien |Arnold Schoenberg Chor<br />
Roberto Frontali, Carmela Remigio,<br />
Paolo Fanale, Stefan Cerny<br />
Premiere: <strong>16</strong>. Februar 2021<br />
Prokofjew<br />
DER FEURIGE<br />
ENGEL<br />
Constantin Trinks |Andrea Breth<br />
Wiener Symphoniker<br />
Arnold Schoenberg Chor<br />
Ausrine Stundyte, Bo Skovhus,<br />
Nikolai Schukoff, Natascha Petrinsky<br />
Premiere: 17. März 2021<br />
Händel<br />
SAUL<br />
Christopher Moulds |Claus Guth<br />
Freiburger Barockorchester<br />
Arnold Schoenberg Chor<br />
Florian Boesch, Anna Prohaska,<br />
Jake Arditti, Giulia Semenzato<br />
Premiere: <strong>16</strong>. April 2021<br />
Beethoven<br />
AN DIE FREUDE<br />
John Neumeier |Hamburg Ballett<br />
Wiener KammerOrchester<br />
Arnold Schoenberg Chor<br />
Valentina Petraeva, Sofia Vinnik,<br />
Andrew Morstein, Ivan Zinoviev<br />
Premiere: 5. Mai 2021<br />
Wagner<br />
TRISTAN<br />
EXPERIMENT *<br />
Hartmut Keil |Günther Groissböck<br />
Wiener KammerOrchester<br />
Norbert Ernst, Kristiane Kaiser,<br />
Günther Groissböck, Juliette Mars<br />
Premiere: 26. Mai 2021<br />
*Theater an der Wien<br />
IN DER KAMMEROPER<br />
wwww.theater-wien.at<br />
DAS OPERNHAUS<br />
Intendanz:Roland Geyer<br />
vor abendrot<br />
SAISON<br />
de facto<br />
beyond |Hermine Karigl-Wagenhofer<br />
Hauptsponsor<br />
Theater an der Wien<br />
Tageskasse: Mo-Sa <strong>10</strong>-18 Uhr<br />
Linke Wienzeile 6|<strong>10</strong>60 Wien<br />
www.theater-wien.at
Inhalt<br />
Cover: Christine Ebenthal. Fotos: Wolfgang Vollmer/Henry Rox Archive Cologne <strong>2020</strong>; Clemens Fabry;<br />
magazin<br />
Kunstbeschau. Johanna Hofleitner führt durch<br />
die besten Ausstellungen der kommenden Monate.Oben:<br />
Wolfgang Vollmer im Fotohof.<br />
Vorwort<br />
38<br />
Mit Euphorie –und Vorbehalt: So lässt sich ganz grob die<br />
Arbeit an dieser Ausgabe des„<strong>Kulturmagazin</strong>s“beschreiben,<br />
das –aus bekannten Gründen –imOktober ungewohnterweisezum<br />
ersten Malindiesem Jahr erscheint.<br />
Alle mitwirkenden Autorinnen und Autorenwaren wohl nicht minder<br />
froh als ihrejeweiligen Gesprächspartner,dass da geradewieder<br />
ein Kulturbetrieb zu laufen beginnt,der,wenngleich unter neuen Voraussetzungen,<br />
erahnen lässt,wie die liebe neue Normalität im jeweiligenZusammenhang<br />
aussehen wird. Vieleskann freilich doch nicht,<br />
wie vonden Veranstaltern geplant,aus dem Frühling in das zweite<br />
Halbjahr herübergeholt werden; einiges wurde aufdas kommende<br />
Jahr verschoben, manchesentfällt ganz.Und –jetzt eben zu unserem<br />
Vorbehalt –esist auch nicht auszuschließen, dass aufden folgenden<br />
Seiten Angekündigtesdoch entfallen muss. Die Tipps in der „Panorama<br />
International“-Rubrik sind zudem mit Reisewarnungsvorsicht<br />
zu genießen. Wirhoffen aber,Ihnen stehen einigeMonate Kultur-und<br />
auch einiges an Lesegenuss bevor. Für laufend aktuelle<br />
Veranstaltungshinweiseerlauben wir uns, auf<br />
die Rubrik DiePresse.com/kulturkalender<br />
zu verweisen.<br />
AufWiederlesen im Frühling!<br />
Daniela Tomasovsky, BarbaraPetsch, Daniel Kalt<br />
Impressum<br />
4 Panorama. Höhepunktedes kulturellen Treibens aus<br />
allen Himmelsrichtungen.<br />
14 Talentprobe. Die Diplomausstellung derBildenden<br />
als Sprungbrett fürjunge Kunstschaffende.<br />
24 Personalpolitik. Neue Köpfefür Albertina, Kunstraum<br />
Niederösterreich unddie Bildende.<br />
28 Hausbesuch. Die Burggasse 98 alsinterdisziplinäre<br />
Kunst-Design-Anlaufstelle.<br />
30 Zeitfenster. Auch im Coronakunstjahr findeteine<br />
Vienna ArtWeek statt.<br />
34 Reisefieber. Zu Besuch in Thessaloniki, wo sich<br />
Orient und Okzident ganz nahekommen.<br />
44 Wertsteigerung. Die Begeisterungsfähigkeit des<br />
Kunstmarkts für afrikanische Kunstpositionen.<br />
48 Kauflaune. EinÜberblick der wichtigsten Kunstmarkttermineinden<br />
kommenden Monaten.<br />
58 Aufbruchstimmung. Anna B. Savage im Gespräch über<br />
musikalische Einflüsse und literarische Inspiration.<br />
60 Festlich. Jamie Cullumlegtsein erstesWeihnachtsalbumvor<br />
und istimmer nochsehr „boyish“.<br />
62 Tanzbein. Acht Musiker ausdem Weinviertel sind<br />
Skolka, mitSka-und Polkaanklängen.<br />
64 Bühnenpsychologie. Eine Vorstellungvon Hans<br />
Werner HenzesOper „Das verratene Meer“.<br />
66 Musikgeschichte. Maddalenadel Gobbo spielt<br />
historisch wertvoll die VioladaGamba.<br />
68 Preisverdacht. Clemens MariaSchreiner erhält im<br />
November denÖsterreichischenKabarettpreis.<br />
70 Famos. Alfred Dorfer inszeniert den „Figaro“,auchin<br />
Burgtheaterund Staatsopergibtman Mozart.<br />
74 Sprachverliebt. Dorfliteratur mitmagischen Tönen<br />
vonKatharina Johanna Ferner.<br />
76 Einstand. Der neueChef desStaatsopernballetts,<br />
Martin Schläpfer,imgroßen Interview.<br />
78 Neuland. Eine neue Kulturstiftung will markante<br />
Kulturimpulse in Kärnten setzen.<br />
80 Autoritäten. Die Anfänge desösterreichischen Autorenfilms<br />
sind Thema derdiesjährigen Viennale.<br />
84 Lichtspielfest. Filmfestivals in ganz Österreich sorgen<br />
für vielfältigeUnterhaltung.<br />
90 Kulturherbst. Nataša Ilić istTeil desDirektorinnen-<br />
Triosder Kunsthalle Wien undgibtKulturtipps.<br />
Medieninhaber undHerausgeber: „Die Presse“ Verlags-Ges.m.b.H. &CoKG, <strong>10</strong>30 Wien, HainburgerStraße 33,Tel.: 01/514 14-Serie. Geschäftsführung: Mag. Herwig Langanger, RainerNowak.<br />
Chefredaktion: Rainer Nowak. Leitung „<strong>Kulturmagazin</strong>“: Mag. Dr.Daniel Kalt,BarbaraPetsch, MMag. Daniela Tomasovsky. Mitarbeiter (Text): Mag. Andrey Arnold, Mag. Holger Fleischmann,JohannaHofleitner,<br />
Dr.Harald Klauhs,Samir H. Köck, EvaKomarek,MAMag. MagdalenaMayer,Katrin NussmayrBA, Barbara Petsch, Mag. Dr.Veronika Schmidt,Mag.Dr. Wilhelm Sinkovicz,Mag.AlmuthSpiegler,MMag.<br />
DanielaTomasovsky,Mag.Isabella Wallnöfer, Paula Watzl MA. Bildredaktion: Mag. Christine Pichler. ProjektleitungVermarktung: Adelheid Liehr, Tel.:+43/1/514 14-554 Artdirection: Matthias Eberhart.<br />
Produktion/Layout: Bakk. Thomas Kiener, Christian Stutzig, Patricia Varga. Dispo:Alexander Schindler. Hersteller: Druck Styria GmbH &CoKG. Herstellungsort: Martin-Priekopa/SK. Beiträge überKooperationspartner<br />
der„Presse“ erscheinen in redaktionellerUnabhängigkeit mitfinanzieller Unterstützung der jeweiligen Kooperationspartner.<br />
<strong>Kulturmagazin</strong> 3
Panorama<br />
SÜD<br />
Zwiespältig. Das „Morgen“, von<br />
dem Herbert Brandls Ausstellung<br />
im Kunsthaus Graz erzählt,<br />
ist ungewiss,vage, ausweichend.<br />
Werweiß schon, was<br />
morgen ist? Wirdesüberhaupt<br />
ein Morgen geben? Ab 23.<strong>10</strong>.<br />
Märchenhaft. Höchst lebendig ist<br />
die russische Kunst des Spitzentanzes.Wenn<br />
das St.Petersburger<br />
Klassische Ballett auf Tournee<br />
geht,dann reisen natürlich die<br />
Schwäne samt ihrer Königin mit.<br />
„Schwanensee“ am 25. 11. im<br />
Konzerthaus Klagenfurt.<br />
Twins. IhrePR-Frau vergleicht<br />
sie mit Cigarettes After Sex.<br />
Das ist ein bisserl weit hergeholt,aber<br />
ein gewisses Kreisen<br />
um sich selbst zeichnet auch<br />
die sanfte Musik von Mynth<br />
aus.Das hat vielleicht damit<br />
zu tun, dass Mario und Giovanna<br />
Fartacek Zwillinge sind.<br />
Orpheum Graz, 25. 2. 2021<br />
„Alcina“. Voneiner Zauberin handelt<br />
Händels Oper „Alcina“ –und<br />
von zaubrischer Schönheit ist<br />
auch KiandraHowarth, die australische<br />
Sopranistin singt die Partie<br />
in Klagenfurt.Florentine Klepper<br />
inszeniert,Attilio Cremonesi<br />
dirigert.Esgeht um Utopien.<br />
Vis-à-vis. Zarte geometrische Kompositionen<br />
versus kräftige abstrakte Expression:<br />
Mit Suse Krawagna und Franco<br />
Kappl (Bild) zeigt das Museum Moderner<br />
Kunst Kärnten zwei Maler,die konträrer<br />
nicht sein könnten, in einer Doppelausstellung.<br />
4. 2.–2. 5. 2021.<br />
„Das Licht im Kasten“. Elfriede Jelinek<br />
befasst sich mit einem ihrer<br />
Lieblingsthemen: Mode.Sprachgewaltig<br />
macht sie sich über schöne<br />
Oberflächen und hässliche Kehrseiten<br />
der Branche lustig. Im Grazer<br />
Schauspielhaus inszeniert der<br />
begabte Franz-Xaver Mayr.Mit Oliver<br />
Chomik (Foto links), Johanna<br />
Sophia Baader.Ab20. 11.<br />
Fotos: Wolfgang Günzel, Offenbach, Brandl,beigestellt<br />
4 <strong>Kulturmagazin</strong>
Feiern SieSilvester im<br />
Wiener Konzerthaus!<br />
28 &29/12/20 &01/01/21<br />
Strauss Festival Orchester Wien<br />
»Märchen ausdem Orient«<br />
Willy Büchler Leitung<br />
30 &31/12/20 &01/01/21<br />
Wiener Symphoniker<br />
»Beethoven: Symphonie Nr.9«<br />
Wiener Singakademie, ManfredHoneck Dirigent<br />
30/12/20<br />
Habjan &Friends<br />
»Luftkunst«<br />
Nikolaus Habjan, Ines Schüttengruber u. a.<br />
31/12/20<br />
Silvester-Gala<br />
»Best of Philharmonix«<br />
©Helmut Prochart
Panorama<br />
NORD<br />
Klassiker in neuem Gewand. Nicht<br />
umzubringen sind Romeo und Julia,<br />
sie sterben immer wieder von<br />
Neuem. Die Liebe und das Paar leben<br />
heute, der Todist der alte.Das<br />
kann auch Choreograf Reginaldo<br />
Oliveiranicht ändern. Ab 14. 11. im<br />
Salzburger Landestheater<br />
„Schöne Bescherung“. Früh ist<br />
das Salzburger Landestheater<br />
heuer mit einem Vorgeschmack<br />
auf Weihnachten dran: Ab 21. 11.<br />
wirdAlan Ayckbourns beliebte<br />
Farceüber ein explosives Familienfest<br />
mit echten Gewehren und<br />
Puppentheater gespielt.<br />
Subtil. Für musikalische<br />
Connaisseureist der<br />
Stubnblues das ansprechendste<br />
Programm des<br />
vielseitigen Veteranen<br />
Willi Resetarits.Blues,<br />
Country und Folk fließen<br />
hier sanft ineinander,und<br />
der Willi singt so subtil<br />
wie sonst nirgends.<br />
30. <strong>10</strong>., Minoriten, Wels<br />
Wellenbad. Die ArsElectronica hatte<br />
sie schon am Radar.Nun taucht<br />
das britische Kollektiv Squidsoup<br />
auch das Linzer Schlossmuseum in<br />
ein immersives Bad aus Sound und<br />
Lichtbällen. Lautsprecher,Sensorenund<br />
Mikrocomputer machen es<br />
möglich. Ab 12. 11.<br />
Aufmüpfig. IhreKunst<br />
warunerschrocken, innovativ<br />
und frech, ihr zurückgelassenes<br />
Œuvre<br />
immens.Das Lentos<br />
würdigt das unterschätzte<br />
Werk von Linda Bilda<br />
(1963–2019) nun posthum<br />
mit einer Retrospektive.Ab11.<br />
11.<br />
Naturgewaltig. Werner Reiterer lädt<br />
in Linz zu einem weiteren seiner<br />
„Walksonthe mind-side“. Als gedankliches<br />
Experiment zur Umkehrung<br />
der Werte sperrt er im Mediendeck<br />
des OK-Centrum ein ohrenbetäubendes<br />
Gewitter ein. Ab 17. 12.<br />
Fotos: Ralf-Bodo Kliem, Bildrecht, Wien <strong>2020</strong>; Rieser, Giles Rocholl; Werner Reiterer; Maria Löffelberger;<br />
6 <strong>Kulturmagazin</strong>
DER NEUE ORT<br />
FURFOTOGRAFIE<br />
UND MEDIEN<br />
KUNST IN LINZ<br />
LUOYANG<br />
21.<strong>10</strong>.20— 21.02.21<br />
Luo Yang, Princess butterfly<br />
(aus der Serie YOUTH), 2019<br />
©Luo Yang<br />
THEPLACE OF THE MIND<br />
ROGER BALLEN –RETROSPEKTIVE<br />
14.<strong>10</strong>.20— 14.02.21<br />
Roger Ballen<br />
Cat Catcher,1998<br />
©Roger Ballen<br />
FAMILYSKIN<br />
ANETAGRZESZYKOWSKA<br />
28.<strong>10</strong>.20—28.02.21<br />
Aneta Grzeszykowska, aus der Serie Mama, Nr.32, 2018<br />
Pigment Tusche auf Baumwollpapier,36x50cm<br />
©Künstlerin und Raster Gallery
Panorama<br />
WEST<br />
Best of. Weltberühmt sind<br />
die Choreografen Nacho<br />
Duato,Jiří Kylián und Mauro<br />
Bigonzetti. In der Großen<br />
Nacht des Tanzes zeigt das<br />
Ensemble des Tiroler Landestheatersjeeines<br />
der berühmten<br />
Ballette.15.11.<br />
Queer. Zum Jahreswechsel<br />
machen sich Jakob Lena Knebl<br />
&Ashley Hans Scheirl über das<br />
Kunsthaus Bregenz her.Mit<br />
Malerei, Installationen, Textilien<br />
und bühnenartigen Eingriffen<br />
transformieren sie es in ein<br />
humorvoll-anarchisches Universum.<br />
Ab 12. 12.<br />
Spiel der Nacht. Doppelt gemoppelt<br />
ist das Tanztheater<br />
von Kristina &Sadé, wenn die<br />
Zwillinge als „Alleyne Dance“<br />
auftreten. Diesmal im jährlichen<br />
Herbstfestival mit der<br />
neuen Produktion „A Night’s<br />
Game“ von „Tanz.ist“.<br />
7.–15. 11., Spielboden<br />
Dornbirn. tanzist.at<br />
„Katja Kabanowa“. Eine leidenschaftliche<br />
Frau flüchtet aus<br />
ihrer Ehe (und vor der Schwiegermutter)<br />
in eine leidenschaftliche<br />
Affäre. Hermann Schneider,Intendant<br />
in Linz, inszeniert<br />
am Tiroler Landestheater<br />
LeoŠ JanáČeksOper mit Anna-<br />
Maria Kalesidis,inRussland geborene<br />
Sängerin mit griechischen<br />
Wurzeln. Es dirigiert LukasBeikircher.Ab14.<br />
11.<br />
„Tschick“. So zart wie rohist<br />
diese Geschichte über zwei<br />
Burschen, die sich mit einem<br />
halbkaputten Lada nach Transsilvanien<br />
aufmachen. Im Vorarlberger<br />
Landestheater inszeniert<br />
Martin Brachvogel das<br />
Roadmovie von Wolfgang<br />
Herrndorf.Ab20. <strong>10</strong>.<br />
8 <strong>Kulturmagazin</strong><br />
Fragil. Ausgangspunkt der Installationen, Filme,<br />
Sound- und Textarbeiten von Iman Issa sind Kunstgegenstände,<br />
architektonische oder historische<br />
Elemente.Das Innsbrucker Taxispalais widmet ihr<br />
nun ihreerste Personale in Österreich. Ab 8. 11.<br />
Fotos: Lidia Crisafulli, Anja Koehler, Miro Kuzmanovic/Kunstahus Bregenz; Sebastian Stadler; beigestellt
Marina Faust<br />
Otto-Breicha-Preis<br />
für Fotokunst 2019<br />
26. September <strong>2020</strong> –14. Februar 2021<br />
Rupertinum<br />
Fiona Tan<br />
Mit der anderen Hand<br />
With the other hand<br />
31. Oktober <strong>2020</strong> –21. Februar 2021<br />
Mönchsberg<br />
In Kooperation mit Kunsthalle Krems<br />
(21.11.<strong>2020</strong>–14.2.2021)<br />
Marina Faust, aus der Serie Untitled ITA, 1975–1989, Archiv Marina Faust ©Marina Faust |Fiona Tan, Gray Glass, <strong>2020</strong>, Zweikanal-Videoinstallation (schwarz-weiß, Ton), Filmstill,<br />
in Auftrag gegeben vom Museum der Moderne Salzburg, mit Unterstützung von Mondriaan Fund, NL, Museum der Moderne Salzburg, Courtesy die Künstlerin, Frith Street Gallery,<br />
London, Peter Freeman Inc., New York, Wako Works of Art, Tokyo<br />
museumdermoderne.at
Panorama<br />
OST<br />
Umbruch. Modernistische Experimente,<br />
feministische Rollenspiele,<br />
politische Ideologien und das Verhältnis<br />
zwischen Individuum und<br />
Typveränderten die Porträtfotografie<br />
in den 1920ern. Die Schau „Faces“<br />
in der Albertina zeichnet diesen Umbruch<br />
nach. Ab 12. 2. 2021.<br />
Poppig. Jazz und HipHop tanzen<br />
sie ebenso perfekt wie zeitgenössisches<br />
Ballett,die jungen und sehr<br />
jungen Tänzerinnen und Tänzer der<br />
Groupe Grenade aus AixenProvence.InSt.<br />
Pölten zeigen sie Ausschnitte<br />
aus bekannten Choreografien.<br />
5. 12. Festspielhaus<br />
Querdenkerin. Bunt,schrill, emotional,<br />
grotesk, figurativ wie abstrakt<br />
sind die Skulpturen und Bilder,an<br />
denen die Wienerin Lieselott Beschorner<br />
seit den 1950ern fern jeglicher<br />
Kategorisierung arbeitet.Der<br />
spät Entdeckten widmet die Landesgalerie<br />
NÖ nun eine große Retrospektive.Ab7.11.<br />
Christian Fennesz. Als raffinierte<br />
Klanginstallation zum Eintauchen<br />
und Mitmachen ist „Area“ am<br />
19. 11. im Wiener Konzerthaus avisiert.Fennesz<br />
ist ein international<br />
renommierter Elektronikmusiker<br />
aus Österreich. „Area: Fennesz<br />
playsNous sonic“ ist eine Uraufführung<br />
beim Festival Wien Modern.<br />
Verletzlich. Das prekäreVerhältnis<br />
von Mensch und Umwelt beleuchtet<br />
die aktuelle Ausstellung des<br />
Dommuseums.„Fragile Schöpfung“<br />
versammelt rund 40 künstlerische<br />
Positionen vom Mittelalter bis zur<br />
Gegenwart.Bis 28. 8. 2021.<br />
Hochkultur. Die geheimnisumwobene<br />
Kultur der Azteken steht im Zentrum<br />
einer Ausstellung über ein Volk,<br />
das 1430–1521 eine der wichtigsten<br />
Hochkulturen der Neuzeit entwickelte.Ein<br />
starker Fokus gilt den<br />
Tributen und Opferungen.<br />
Bis 13. 4. 2021.<br />
Fotos: Cécile Martini; Nachlass Helmar Lerski/Museum Folkwang, Essen; Lieselott Beschorner/Wien Museum; Paul Schirnweg/Studio Lois Weinberger und Galerie Krinzinger/Friedl Rusch; Christian Fennesz; beigestellt<br />
<strong>10</strong> <strong>Kulturmagazin</strong>
Johannesgasse 6, <strong>10</strong><strong>10</strong> Wien, www.onb.ac.at<br />
Entgeltliche Einschaltung
Panorama<br />
INTERNATIONAL<br />
Raubein. Als er noch<br />
ohne Hut und Sonnenbrille<br />
sang, warersanft<br />
und zuweilen spirituell.<br />
Heute klingt VanMorrison<br />
raubeiniger und bluesiger.Neuerdings<br />
singt er<br />
gegen die Coronastrategie<br />
der britischen Regierung.<br />
17.–21.11.,<br />
Palladium, London.<br />
Wartestellung. Der Warschauer<br />
Künstler Andrzej Wróblewski<br />
(1927–1957) schuf in nur wenigen<br />
Jahren ein Werk von erstaunlicher<br />
Aktualität.Zumal seine Bilder von<br />
Warteräumen wurden als Sinnbilder<br />
für die Erfahrung des sozialistischen<br />
Mittel- und Osteuropa gesehen.<br />
Bis <strong>10</strong>. 1. 2021 in der Modernen<br />
Galerie Ljubljana.<br />
Spacig. Sonja Leimer befasst sich<br />
mit kollektiven Wünschen, Ängsten<br />
und den Bedrohungen unserer<br />
Lebenswelt.Für „Space Junk“ im<br />
Bozener Museion arbeitet sie mit<br />
Weltraumschrott als historisch und<br />
kulturell aufgeladenem Material.<br />
Bis 17. 1. 2021.<br />
„Everywoman“. Eine erfolgreiche<br />
Schauspielerin<br />
begegnet einer tödlich<br />
Erkrankten, die in einem<br />
Theaterstück mitspielen<br />
möchte.Das ist ihr letzter<br />
Wunsch. Die Aufführung<br />
von den Salzburger<br />
Festspielen übersiedelte<br />
an die Schaubühne<br />
Berlin. Ab 27. <strong>10</strong>.<br />
VomReisen. Für seine magischen<br />
Bilder taucht Cyrill Lachauer auf<br />
langen Reisen tief in lokale Kulturen<br />
ein. „I am not sea, Iamnot land“<br />
heißt seine Schau mit Filmen,<br />
Videos,Fotos und Texten im<br />
Münchner Haus der Kunst.<br />
Von23. <strong>10</strong>. bis 11. 4. 2021<br />
„Die Vögel“. Frank Castorf<br />
inszeniert im Bühnenbild von<br />
Aleksandar Denic (o.l.) die<br />
lyrisch-fantastische Oper von<br />
Walter Braunfels nach Aristophanes:<br />
Gefiederte ergreifen<br />
mit Hilfezweier Exilanten aus<br />
Athen die Macht.Ingo Metzmacher<br />
dirigiert in der Bayerischen<br />
Staatsoper in München.<br />
Ab 31. <strong>10</strong>.<br />
Fotos: Reuters, Andrzej Wróblewski Foundation; Courtesy Galerie Barbara Gross,; Armin Samilovic; W.Hoesl;Cyrill Lachauer;<br />
12 <strong>Kulturmagazin</strong>
„<br />
Wien feiert in einergroßartigen Ausstellung<br />
die französischen Meister! “<br />
Neue Zürcher Zeitung<br />
ENDLICH<br />
ZU SEHEN!<br />
NUR BIS<br />
15.11.<strong>2020</strong><br />
JETZT ONLINE-<br />
TICKET KAUFEN!<br />
Vincent van Gogh, Der Sämann (Detail), 1888, Kunstmuseum Bern, Dauerleihgabe Hahnloser/Jaeggli Stiftung ©Foto: Reto Pedrini, Zürich
Hinaus aus den<br />
heiligen Hallen<br />
Die Akademie macht aus ihrer Raumnot eine<br />
Tugend und zeigt die Diplom-Ausstellung <strong>2020</strong><br />
im Stephanushaus, einem ehemaligen Priesterund<br />
Gästehaus und zukünftigen Hotel.<br />
Text: Johanna Hofleitner<br />
Fotos: Christine Ebenthal<br />
Die unmittelbare Lebensrealität beschreibt Abiona Esther<br />
Ojo als ihr Bezugsfeld, darauf verweist auch ihre Maske<br />
aus afrikanischem Stoff. „Ich beschäftige mich stets mit<br />
Themen, die mich selbst betreffen“, sagt sie. Die Arbeit<br />
mit Stoffen, Taschen, Haaren spiegelt die Erfahrung, mit zwei Kulturen<br />
groß geworden zu sein. Aufgewachsen im Mühlviertel, war<br />
die Kultur Afrikas für das Kind nigerianischer Eltern ein Teil des<br />
Alltags. Auch Rassismuserfahrung schwingt mit. „Man muss leider<br />
auch 2021 noch davonausgehen, dass jede Person, die keine weiße<br />
Haut hat, mit Rassismus konfrontiert ist“, sagt sie. „Ich will in meiner<br />
Arbeit jedoch Empowerment zeigen und nicht auseiner Opferrolle<br />
heraus agieren.“ Haare stehen auch im Mittelpunkt von Ojos<br />
Abschlussarbeit. „Haare sind in der afrikanischen Kultur ein wichtiges<br />
Thema, weil sie viel Pflege und Aufmerksamkeit brauchen.“<br />
Ihre Diplomarbeit legt sie als Kombination von Bildhauerei und<br />
Fotografie an. Dafür hat sie Menschen aus der afrikanischen Diasporazuhause<br />
fotografiert, die Fotosprojiziertsie dann aufObjekte,<br />
die mit Haaren assoziiert sind: Bänder, Haarteile, Tücher, Caps.<br />
Ojo: „Mit den Haaren sind viele Geschichten verbunden, aber auch<br />
verloren gegangen. Sie aufzuarbeiten wäre ein Lebensprojekt.“<br />
14 <strong>Kulturmagazin</strong>
Kunst aus der Realität. Abiona<br />
Esther Ojo,Absolventin der Klasse<br />
Bildhauerei/Raumstrategien.<br />
<strong>Kulturmagazin</strong> 15
In ihrem Element. SaraLanner,<br />
Absolventin der Performativen<br />
Kunst,Klasse Carola Dertnig.<br />
Sie hat ein abgeschlossenes Tanzstudium und ist als Choreografin,<br />
freischaffende Tänzerin und Performance-<br />
Künstlerin tätig. Trotzdem entschied sich Sara Lanner,<br />
nochmals zu studieren, und machte2015ander Akademie<br />
die Aufnahmeprüfung für Performative Kunst. „Ich wollte nicht<br />
nur interpretativ arbeiten, sondern auch in neuen Formaten und<br />
Kollaborationen. Es interessiert mich, Dinge zuübersetzen und in<br />
einen anderen Kontext zubringen“, sagt sie. „Die Performance ist<br />
mein ganz persönliches Interesse. Schon als Kind hatte ich mir<br />
kleine Szenen, Performances, Choreografien ausgedacht.“ In ihrer<br />
Kunst arbeitet SaraLanner daran, die unterschiedlichen performativen<br />
Traditionen zusammenzuführen. „Für viele bin ich ein Alien,<br />
weil der Graubereich zwischen Tanz und Kunst noch nicht sehr<br />
ergründet ist.“ Oft ergänzt und erweitert sie den Raum der Performance<br />
um skulpturale Elemente, Objekte oder Wandzeichnungen.<br />
Oder sie entwickelt Performances für Galerieräume, die später auf<br />
Bühnen aufgeführt werden. „Ein Galerie- oder Ausstellungsraum<br />
ermöglicht, anders als ein Bühnenraum, die Performance nicht<br />
nurzukonsumieren, sondern direkt zu erleben. Das istein Prozess<br />
desgemeinsamen Denkens zwischen mir und dem Publikum.“<br />
<strong>16</strong> <strong>Kulturmagazin</strong>
Grenzgänger. Christian Rothwangl,<br />
Fachbereich Grafik und<br />
druckgrafische Techniken.<br />
Die Bilder von Christian Rothwangl kommen bald farbigbunt<br />
daher, bald sind sie reduziert auf die Nichtfarben<br />
Schwarz, Grau und Weiß. Bisweilen präsentieren sie sich<br />
linear, jasogar recht filigran, mit einem Schuss Ornamentalität,<br />
dann aber auch wieder recht flächig und orientieren<br />
sich an Alltagsobjekten als einfachen Formvorlagen. Als Materialien<br />
verwendet Rothwangl Tusche ebenso wie Acrylfarbe, als Malwerkzeug<br />
eher Pinsel als spitze Stifte.<br />
Ist es nun Malerei oder Zeichnung? Esist der schmale Grat zwischen<br />
diesen beiden Medien, dem sich der gebürtige Steirer, Jahrgang<br />
1993, der nach dem Studium in Wien, London und Hamburg<br />
sein Diplom nun imFachbereich Grafik und druckgrafische Techniken<br />
bei Christian Schwarzwald ablegen wird, mit seinen Arbeiten<br />
verschrieben hat. „Ich bin irgendwann an einen Punkt gekommen,<br />
wo ich die Farbe gebraucht habe“, sagt er. Mit seiner<br />
Abschlussarbeit geht Christian Rothwangl noch einen Schritt weiterund<br />
stellt einer Gruppe vonkleinformatigen Werken eine übergroße,<br />
in die Waagrechte gekippte Bodenarbeit imAusmaß von<br />
mehr als zwei mal vier Metern entgegen. Die Erfahrung desRaums<br />
wirdauf diese Weisevon der Malerei buchstäblich ins Bild geholt.<br />
<strong>Kulturmagazin</strong> 17
Pille-Riin Jaik hat inden letzten Jahren<br />
Filme und Videos vorgelegt, deren Bildsprache<br />
und Atmosphäre von dunkler<br />
Melancholie geprägt sind. Aufmerksamkeit<br />
erregte die estnische Künstlerin auch mit<br />
handgemachten Papierblumen aus zerschnittenen<br />
Archivmaterialien der Akademie, mit denen<br />
sie versuchte, dem viele Jahrzehnte erschwerten<br />
Zugang von Frauen zum Studium materielle<br />
Form zu geben. Als medienspezfisch würde<br />
Jaik – sie hatte in Tallinn Fotografie studiert,<br />
bevor sie 2015 nach Wien an die Klasse Kunst<br />
und digitale Medien vonConstanze Ruhm kam –<br />
ihre Arbeitsweise jedoch nicht beschreiben.<br />
„Abhängig vom Konzept und den äußeren Rahmenbedingungen<br />
variiert mein Medium zwischen<br />
Videokunst und Performance bis hin zu<br />
performativenSkulpturen“, sagtsie.<br />
Immer wieder kommen auch recycelte Materialien<br />
ins Spiel, von Abfall, alten Textilien, Archivalien<br />
bis hin zu eigenen wiederverwerteten<br />
Arbeiten. Die Videoaufnahmen für ihr neuestes<br />
Filmprojekt „Xeroines“ –eine Multichannel-Installation,<br />
die zugleich auch ihre Abschlussarbeit<br />
ist –hat sie im Sommer in Estland gedreht. Über<br />
Bilder von Schauplätzen wie aufgegebenen, von<br />
der Natur überwucherten Kasernen legt sich<br />
wie eine Geisterstimme aus der Vergangenheit<br />
eine Tonspur mit feministischen Texten von<br />
Philosophinnen und Schriftstellerinnen.<br />
Multimedial. Pille-Riin Jaik ist<br />
Absolventin des Fachbereichs<br />
Kunst und digitale Medien.<br />
18 <strong>Kulturmagazin</strong>
TONKÜNSTLER<br />
ORCHESTER<br />
NEUJAHRS–<br />
KONZERT 2021<br />
IM MUSIKVEREIN<br />
WIEN<br />
SO 3 JÄN 21,15.30 UHR<br />
DI 5 JÄN 21, 15.30 UHR<br />
DO 7JÄN 21,19.30 UHR<br />
Tickets von 30bis 75 Euro<br />
Sopran BEATE RITTER<br />
Dirigent ALFRED ESCHWÉ<br />
T: +43 1586 83 83<br />
tickets@tonkuenstler.at<br />
tonkuenstler.at<br />
O R C H E S T E R
20 <strong>Kulturmagazin</strong><br />
Danielle Pamps Kunst ist queer und voller<br />
Widersprüche. Ihre Bilder und<br />
Zeichnungen umkreisen geradezu<br />
obsessiv die eigene Gefühlswelt. Wie<br />
ein roter Faden durchzieht die Auseinandersetzung<br />
mit der eigenen Geschichte und Identität<br />
ihr Werk. Dem steht eine geradezu kristallin<br />
anmutende analytische Darstellungs- und Sichtweise<br />
gegenüber –als würden die Verhältnisse<br />
durch ein Vergrößerungsglas betrachtet. Klare<br />
Farben, harte Kontraste und Linien dominieren.<br />
„Ich habe eine sehr existenzielle Perspektive,<br />
meine Themen sind immer autobiografisch“, sagt<br />
Danielle Pamp,„es geht um Erinnerungen, Erfahrungen,<br />
Transgenderness und das alltägliche<br />
Leben vonPersonen, die wie ich sind.“<br />
In ihrer Diplomarbeit im Fachbereich Grafik und<br />
druckgrafische Techniken setzt sich Pamp auf<br />
der Grundlage von Alben und Archiven mit den<br />
Geheimnissen, Geschichten und Traumata ihrer<br />
Familie auseinander. Aufgewachsen in einer<br />
Künstlerfamilie –die Großmutter war Malerin,<br />
der Großvater Bildhauer, die Mutter Textilkünstlerin<br />
–, war die Beschäftigung mit künstlerischen<br />
Dingen für das Kind etwas Organisches. Mehr<br />
und mehr wurde allerdings die religiöse Obsession<br />
von Teilen der Familie zum Auslöser von<br />
Konflikten und Zweifeln –bis hin zum Bruch.<br />
Erinnerungsarbeit. Danielle<br />
Pamp kam2015 aus Stockholm<br />
zum Studium nach Wien.
„Der Wunsch, die Kunst weiterhin real zu zeigen, hatimmer bestanden.“<br />
Sie ist der krönende Abschluss des Studienjahrs<br />
und ein Fixpunkt im Kalender von Künstlern<br />
und Studierenden, Sammlern, Galeristen, Ausstellungskuratoren,<br />
Kunstkritikern und anderen<br />
Kunstprofis: die Präsentation der Abschluss- und Diplomarbeiten<br />
an den Kunstuniversitäten. Dabei treffen<br />
verschiedene Interessen aufeinander: Die einen wollen<br />
sich und ihre Kunst zeigen, die anderen künstlerischen<br />
Nachwuchs scouten, sei es für die eigene Sammlung,fürs<br />
Galerieprogramm oder für kommende Ausstellungsprojekte.<br />
Und viele wollen sich einfach nur<br />
informieren.<br />
Während die Diplomausstellung der<br />
Akademie der bildenden Künste Wien<br />
üblicherweise inder letzten Juni-Woche<br />
stattfindet, ist in diesem Jahr alles<br />
anders. Nicht nurhat sich die Sanierung<br />
des Hauptgebäudes am Schillerplatz<br />
etwas verzögert. Auch der Juni-Termin<br />
ist der Pandemie zum Opfer gefallen.<br />
Eine Präsentation im Herbst ist zwar<br />
nicht irregulär, allerdings stehen aufgrund<br />
des laufenden Betriebes imAusweichquartier<br />
Augasse 2–6 in der ehemaligen<br />
Wirtschaftsuni eigentlich keine<br />
Räume zur Verfügung. „Es ist immer<br />
noch Sommersemester, aber wir sind in<br />
der Nachfrist“, sagt Ingeborg Erhart,<br />
Vizerektorin für Kunst und Lehre. Diese<br />
Nachfrist bringt noch einen weiteren<br />
Umstand mit sich: Eine überdurchschnittlich<br />
große Anzahl ausstellungswilliger<br />
Absolventen und Absolventinnen.<br />
„Weil sich viele Termine nach<br />
hinten verschoben haben, gibt es in diesem<br />
Jahr viel mehr Diplomierende“, erklärt Ingeborg<br />
Erhart.<br />
Ausstellen im Nachsommer. Die Möglichkeit, sich im<br />
zentral gelegenen Stephanushaus mit einer Pop-up-Ausstellung<br />
zu präsentieren, bevor das ehemalige Priesterund<br />
Gästehaus mit dem Sechziger-Jahre-Flair in ein Caritashotel<br />
umgebaut wird, kam daher wie gerufen. Ein<br />
zweiter Schauplatz ist die „Spezialschule für Bildhauerei“<br />
als Außenstelle in der Kurzbauergasse. Das Format<br />
Ausstellung stand dabei zu keinem Zeitpunkt in Frage.<br />
„Es bestand an der Akademie immer der große Wunsch,<br />
mit den Abschlussarbeiten nicht in den digitalen Raum<br />
auszuweichen, sondern die Kunst weiterhin real zu zeigen.<br />
Sowohl das Rektorat als auch der Ausstellungsbereich<br />
waren der Meinung, dass ein schnelles Switchen<br />
des Präsentationsmodus nicht ideal ist“, sagt Stephanie<br />
Expertise. Vizerektorin<br />
Ingeborg<br />
Erhart und Ausstellungskuratorin<br />
Stephanie<br />
Damianitsch.<br />
Tipp<br />
„Parcours.Abschlussarbeiten.<strong>2020</strong>“.<br />
14. 11.–22. 11.<strong>2020</strong>,<br />
magdas HOTEL im Stephanushaus,Ungargasse<br />
38,<br />
<strong>10</strong>30 Wien &Bildhauerateliers,<br />
Kurzbauergasse 9,<br />
<strong>10</strong>20 Wien, www.akbild.ac.at<br />
Damianitsch. Sie ist nicht nur Kuratorin der Abschlussausstellung,<br />
sondern an der Akademie generell für den<br />
Ausstellungsbereich verantwortlich, sowohl auf der<br />
praktischen als auch theoretischen Ebene.<br />
Mehr und mehr verfestigte sich der Gedanke, „lieber<br />
zuzuwarten und etwas richtig Großes zumachen“, so<br />
Damianitsch. „Die Möglichkeit, spannende Arbeiten in<br />
einer solchen Dichtezupräsentieren und alle Fachbereiche<br />
und Medien zu einem Überblick zu bündeln, haben<br />
wir sonst nicht.“ Mit Ausnahme einiger theoretischer<br />
Arbeiten, die aus diversen Gründen<br />
digital oder hybrid eingereicht wurden,<br />
werden nun rund 50 Abschlussarbeiten<br />
aus den verschiedenen Instituten „in<br />
echt, Farbe und live“ präsentiert. Das<br />
Gros stellt dabei das Institut für bildende<br />
Kunst (IBK) mit seinen siebzehn<br />
Fachbereichen von Abstrakter Malerei<br />
bis Zeichnen. Jede Arbeit kann hier als<br />
Einzelpräsentation in einem eigenen<br />
Raum präsentiert werden. Dazu kommen<br />
die Diplome der Institute für Konservierung/Restaurierung,<br />
Architektur<br />
künstlerischesLehramt,Kunst- undKulturwissenschaften<br />
sowie Naturwissenschaften<br />
und Technologien. Die Absolventen<br />
des Master in Critical Studies<br />
werden auf einer eigenen Etage eine<br />
kompletteAusstellung entwickeln. „Dieser<br />
Ort hier ist sehr reizvoll“, sagt<br />
Damianitsch. „Man darf aber nicht übersehen,<br />
dass die Ausstellung zugleich<br />
auch die Diplomprüfung ist.“<br />
Generell rückt das Ausstellen auch in<br />
der Lehre wieder verstärkt in den<br />
Fokus Das soll sowohl im Haus mehr etabliert werden<br />
als auch in die Öffentlichkeit hinausgetragen werden.<br />
Ingeborg Erhart: „Ausstellen und Praxis sollen als Themen<br />
mehr mit der künstlerischen Produktion verbunden<br />
werden. Ich muss bereits als Student lernen, mit<br />
einer räumlichen Situation umzugehen.“ Stephanie<br />
Damianitsch, die als Kuratorin auch in Form von Team-<br />
Teachings immer wieder indie verschiedenen<br />
Fachbereiche miteinbezogen wird, beobachtet<br />
zudem, dass Diplome zunehmend als Ausstellungsgut<br />
interessant werden. „Umso wichtiger<br />
ist es, sich schon während des Studiums Reflexionsgabe<br />
anzueignen. Ein Kurator erzeugt<br />
immer eine Narration. Was passiert dabei mit<br />
meiner Arbeit? Es ist wichtig, das zu verstehen,umsich<br />
und seine Kunst nichtinstrumentalisieren<br />
zu lassen.“ e<br />
22 <strong>Kulturmagazin</strong>
ABSTRAKT<br />
geometrie+konzept<br />
24.09. <strong>2020</strong>–<strong>10</strong>. 01. 2021<br />
Burggasse 8|9021Klagenfurt am Wörthersee<br />
Di–So <strong>10</strong>.00–18.00, Do <strong>10</strong>.00–20.00 Uhr | www.mmkk.at<br />
Esther Stocker, o.T., 2007, Acryl auf Baumwolle, 140 x<strong>16</strong>0 cm (Detail)<br />
Foto: Ferdinand Neumüller |Bezahlte Anzeige
Vernetzt. Angela Stief ist seit Sommer<br />
Chefkuratorin der Albertina Modern.<br />
Denkräume für<br />
neue Köpfe<br />
Elfenbeinturm war gestern. Kunst hat heute mit<br />
Öffnung, Offenheit und Öffentlichkeit zu tun. Über<br />
drei neue Protagonisten der Wiener Kunstszene.<br />
Text: Johanna Hofleitner<br />
Fotos: Christine Pichler<br />
Sie liebt große Brillen, schrille Outfits,<br />
die Kunst von Outsidern und<br />
die Freiheit, die sie aus ihrer<br />
Arbeit mit der Kunst zieht. Diese<br />
Freiheit hat Angela Stief die letzten sieben<br />
Jahre ausgekostet und genossen, bevor sie<br />
Albertina-Direktor Klaus-Albrecht Schröder<br />
im Juli als neue Chefkuratorin der<br />
Albertina Modern vorstellte. Eine Fülle<br />
freier Projekte und ihr Beitrag zur Eröffnungsschau<br />
der Albertina Modern über<br />
das Kunstgeschehen in Österreich von1945<br />
bis 1980, „The Beginning“, waren eine hinreichend<br />
starke Empfehlung.<br />
Vice versa nahm die frühere Kuratorin der<br />
Kunsthalle Wien bereitwillig die Herausforderung<br />
an, fortan mit dem insgesamt rund<br />
60.000 zeitgenössische Werke umfassenden<br />
Bestand beziehungsweise eigentlich<br />
sämtlichen 400.000 Inventarnummern der<br />
Albertina zu arbeiten. „Dieser Reichtum des<br />
Hauses gefällt mir und erfreut mich“, sagt<br />
sie. „Denn ich bin nicht nur Kuratorin für<br />
zeitgenössische Kunst,sondernauch Kunsthistorikerin.<br />
Darum interessiert mich die<br />
Befragung von Geschichte extrem.“ ImFall<br />
von „The Beginning“ war das etwa die Auseinandersetzung<br />
mit den Wurzeln der zeitgenössischen<br />
österreichischen Kunst. Stief:<br />
„Als Kuratorin muss ich auch Ordnungskriterien<br />
schaffen und den Zeitgeist zeigen,<br />
derdamalsherrschte.“<br />
Für ihr nächstes großes Projekt in der<br />
Albertina Modern richtet Stief ihr Augenmerk<br />
auf die 1980er-Jahre. Hier will sie<br />
auch weniger bekannte Positionen zeigen,<br />
die aber etwas Eigenständiges und Neues<br />
begonnen haben –abseitsvon Strömungen.<br />
„Ich hatte immer schon ein Faible für Solitäre“,<br />
sagt sie. In diesem Sinn interessiert<br />
sie etwa eine Künstlerin wie Birgit Jürgenssen<br />
in all ihrem Facettenreichtum. Ein<br />
anderer Aspekt des Projekts ist die Gegenüberstellung<br />
der Malerei der Neuen Wilden<br />
mit der Kunst der amerikanischen Pictures-Generation<br />
und der Transavanguardia.<br />
Expression trifft hier auf Appropriation,<br />
Figuration aufAbstraktion. Ein Anliegenist<br />
es ihr schließlich, den Frauenanteil in den<br />
Ausstellungen zu erhöhen.<br />
„Ich will mit dem, was ich tue, nicht nur<br />
eine Elite bedienen, sondern habe auch<br />
einen Bildungsauftrag“, beschreibt sie ihr<br />
Credo. Deswegen hat sie sich auch ausbedungen,<br />
neben der Museumsarbeit weiterhin<br />
freie Projekte realisieren zu können –<br />
als Kuratorin der Vienna Art Week bei-<br />
24 <strong>Kulturmagazin</strong>
spielsweise oder der Ausstellungen der<br />
Österreichischen Gesellschaft vom Goldenen<br />
Kreuze, für die sie seit 2018 Outsider-<br />
Ausstellungen programmiert.<br />
Nah ander Gegenwart. Sie hat Kunstgeschichte<br />
und Politikwissenschaft an der<br />
Universität Wien und Critical Studies an<br />
der Akademie der bildenden Künste Wien<br />
studiert sowie Erfahrungen bei der Architekturbiennale<br />
und als wissenschaftliche<br />
Mitarbeiterin im Kulturbereich gesammelt.<br />
Frauenfragen und Geschlechtergerechtigkeit<br />
sind Katharina Brandl genauso ein<br />
Anliegen wie die Offenheit für die Fragen<br />
der Zeit. Hier laufen die verschiedenen<br />
Fäden zusammen, die die junge Kuratorin<br />
und Wissenschaftlerin vor eineinhalb Jahren<br />
bewogen haben, sich um die Position<br />
der künstlerischen Leitung des Kunstraums<br />
Niederösterreich zu bewerben. Das<br />
programmatische Bekenntnis des Ausstellungsraums<br />
zur Zeitgenossenschaft und<br />
Brandls eigene interdisziplinäre Neugier<br />
»<br />
Interdisziplinär.<br />
Katharina Brandl leitet<br />
seit Herbst 2018<br />
den Kunstraum<br />
Niederösterreich.<br />
„Wir wollen mit dem Kunstraumeine Atmosphäre<br />
schaffen, die wohlwollend und gutheißend sein soll.“<br />
KARLSRUHE<br />
JETZT<br />
TICKETS<br />
SICHERN<br />
art-karlsruhe.de/<br />
ticket-vvk<br />
Klassische Moderne und Gegenwartskunst<br />
25.–28. Februar 2021 |Messe Karlsruhe<br />
www.art-karlsruhe.de
Expositur. Johan Frederik<br />
Hartle, Rektor der<br />
Akademie der bildenden<br />
Künste Wien.<br />
bevor 2019 dann der Ruf andie Akademie<br />
der bildenden Künste Wien folgte –eine<br />
Stadt, die für Hartle kein Neuland ist, hatte<br />
er hier doch 2001 ein Verlagsvolontariat<br />
gemacht. Seine Aufgaben als Rektor hatte<br />
er sich aber wohl anders vorgestellt. Während<br />
die Bereiche Forschung und Internationalisierung<br />
sowie die Profilierung des<br />
Verhältnisses von Kunst und Öffentlichkeit<br />
als Schwerpunkte auf der Agenda stehen,<br />
drängte sich mit dem Lockdown die Frage<br />
des Pandemie-Krisenmanagements in<br />
Zusammenhang mit der Einschränkung<br />
des Lehrbetriebs in den Vordergrund.<br />
Hartle: „Corona ist ein anderer sozialer<br />
Aggregatzustand.“<br />
Ein großes Projekt ist die Rückübersiedlung<br />
der Akademie im Winter ins sanierte<br />
Hauptgebäude am Schillerplatz. Dann<br />
kann auch wieder mit dem Haus gearbeitet<br />
werden. „Die Potenziale der Akademie sollen<br />
dann wesentlich stärker genutzt und<br />
sichtbar gemacht werden“, sagt er. „Es gilt,<br />
aus der Wechselwirkung von Gegenwart<br />
und Vergangenheit neue Erlebnisräume zu<br />
schaffen. Wir wollen aber die Schillerplatz-<br />
Fixierung auch hinter uns lassen und hi-<br />
Es geht um Sichtbarkeit.Die Kunst hateine strukturelle<br />
Verpflichtung,auch in öffentliche Räume einzugreifen.<br />
»<br />
ergaben ein perfektes Matchmaking. „In<br />
welcher Zeit leben wir eigentlich? Was<br />
bedeutet es, wenn wir davon sprechen, in<br />
einer algorithmisierten Gegenwart zu<br />
leben?“, beschreibt sie ihren Ansatz, dessen<br />
Prämisse es ist, stetsnah an der Gegenwart<br />
zu sein. Das spiegelt sich auch in den<br />
Themen der von Katharina Brandl programmierten<br />
Gruppenausstellungen: Da<br />
geht es um die gesellschaftlich geringe<br />
Relevanz von Fürsorge heute, Fragen der<br />
Unsterblichkeit, die Zukunft der Natur in<br />
einer technologisierten Gegenwart. „Die<br />
Gegenwartskunst hatoft einen elitistischen<br />
Hauch“, sagt sie. „Dem wollen wir entgegensteuern<br />
durch eine Atmosphäre, die<br />
gut, wohlwollend und gutheißend sein soll<br />
–auch im Umgang mit den Künstlern und<br />
Künstlerinnen, von denen viele hier zum<br />
ersten Mal Erfahrungen in der Zusammenarbeit<br />
mit einer Institution machen.“ Und<br />
schließlich ist ihr auch die Vermittlung ein<br />
großesAnliegen. „Der Sinn öffentlicher Institutionen<br />
ist es, zum Diskurs beizutragen“,<br />
sagt Brandl. „Als Denk- und Wahrnehmungsraum<br />
können wir Geschichten<br />
erzählen und Räume schaffen, die vielleicht<br />
neue Zugängezur Welt schaffen.“<br />
Sichtbarkeit erzeugen. Johan Frederik<br />
Hartles Spezialgebiet ist die Philosophie.<br />
Seit 2008/09 lehrte er dazu an zahlreichen<br />
Universitäten von Vancouver bis Hangzhou.<br />
Eine Professurander Hochschule für<br />
Kunst und Gestaltung in Karlsruhe mündete2018<br />
in ein kommissarischesRektorat,<br />
nausgehen.“ Vorstellbar sind Pop-up-Situationen<br />
oder Zwischennutzungen. Hartle:<br />
„Ausstellungen sind eine Praxisform, die<br />
eine Öffentlichkeit adressiert. Die Kunst<br />
hat aber auch die strukturelle Verpflichtung,<br />
inöffentliche Räume einzugreifen.“<br />
Da schwingt nicht nur die Absicht mit,<br />
mehr Sichtbarkeit zu erzeugen, sondern<br />
auch der Wunsch nach mehr Quadratmetern.<br />
Und auch die Lehre soll internationalisiert<br />
werden – inhaltlich wie personell.<br />
„Es geht um die Dekolonialisierung der<br />
Kunst –darum, den nordatlantischen Blick<br />
zu überwinden und auch Partnerschaften<br />
mit Schwellenländern einzugehen“, sagt<br />
Hartle. „Denn die Anzahl internationaler<br />
Lehrender steht in keinem Verhältnis zur<br />
Internationalität derStudierenden.“ e<br />
26 <strong>Kulturmagazin</strong>
Kulturherbst in Krems<br />
ENTGELTLICHE EINSCHALTUNG<br />
Die Kunstmeile Krems als einzigartiges Kulturareal in der bezaubernden Doppelstadt<br />
Krems-Stein verspricht auch im Herbst hochkarätige Ausstellungen am Torzur Wachau.<br />
Ausstellungsansicht im Karikaturmuseum Krems.<br />
Die Landesgalerie Niederösterreich überzeugt<br />
auch durch ihre Architektur.<br />
Die Fotoserien von Robin Rhode sind noch<br />
bis 1. November zu sehen.<br />
Die Landesgalerie Niederösterreich<br />
hat sich als wichtiger<br />
Kulturträger etabliert.<br />
Fotos: Faruk Pinjo, Raffael F. Lehner, Christian Redtenacbher, The Artist Robin Rhode<br />
Die Landesgalerie Niederösterreich ist das<br />
jüngste Ausstellungshaus auf der Kunstmeile<br />
Krems. Der spektakuläre Museumsneubau<br />
am neuen Museumsplatz antwortet mit<br />
Themen- und Personalausstellungen auf Fragen der<br />
Gegenwart. Die aktuelle Ausstellung „Spuren und Masken<br />
der Flucht“ ist eine der wenigen musealen Kunstausstellungen<br />
der letzten Jahre, die sich mit einem der<br />
gesellschaftspolitisch relevantesten Themen unserer<br />
Zeit auseinandersetzen: mit Flucht und Migration. Die<br />
Schau möchte jenseits von kolportierten (Flüchtlings-)<br />
Zahlen und Fakten, jenseits medialer Aufregungen und<br />
politischer Debatten mittels einzelner künstlerischer<br />
Positionen und Werke individuelle Geschichten erzählen.<br />
Mit Malereien, Fotografien, Videoarbeiten, Installationen<br />
und Skulpturen geht sie den Fragen nach, welche<br />
Schicksale sich hinter medial erzählten Fluchtberichten<br />
verbergen, was es für den einzelnen Menschen<br />
heißt, seine Gemeinschaft zu verlassen, sich in völlige<br />
Unsicherheit und Lebensgefahr zu begeben und –<br />
wenn die Flucht gelingt –ineinem fremden Land<br />
heimisch zu werden.<br />
Internationales Kunstschaffen und Comic-Helden der<br />
1960er-Jahre. Ebenso am Museumsplatz liegt die<br />
Kunsthalle Krems, das internationale Ausstellungs-<br />
Tipp<br />
Kunstmeile Krems,<br />
Museumsplatz 5,3500 Krems<br />
Mehr zumAusstellungsprogramm<br />
&Öffnungszeiten:<br />
www.lgnoe.at<br />
www.kunsthalle.at<br />
www.karikaturmuseum.at<br />
www.forum-frohner.at<br />
haus des Landes Niederösterreich für zeitgenössische<br />
Kunst. Bis 1. November sind noch die farbgewaltigen<br />
Fotoserien in Street-Art-Ästhetik des südafrikanischen<br />
Künstlers Robin Rhode zu sehen. Ab 21. November<br />
widmet die Kunsthalle Krems der indonesischen Fotografin,<br />
Filmemacherin und Videokünstlerin Fiona Tan<br />
die erste große monografische Ausstellung in Österreich.<br />
Das gegenüberliegende Karikaturmuseum<br />
Krems zählt zu den wichtigsten europäischen Museen<br />
seiner Art. Die Sonderausstellung „Fix &Foxi XXL. Die<br />
Entdeckung der Schlümpfe, Spirou und Lucky Luke“<br />
präsentiert die bunte Welt der Comic-Helden der<br />
1960er-Jahre.<br />
Adolf Frohner und seine Zeit. Nur fünf Gehminuten<br />
vom Museumsplatz entfernt befindet sich das Forum<br />
Frohner im Komplex des ehemaligen Minoritenklosters.<br />
Das Forum ist dem Schaffen des österreichischen<br />
Künstlers Adolf Frohner und seiner Zeit<br />
gewidmet. In der aktuellen Ausstellung „Antworten<br />
auf die Wirklichkeit“ werden Frohners<br />
Begegnungen mit dem Nouveau Réalisme<br />
beleuchtet. Frohner lernte die Kunstströmung<br />
auf seinen Reisen nach Paris in den 1960er-<br />
Jahren kennen, die anschließend deutlichen<br />
Niederschlag in seinen Werken fand.<br />
<strong>Kulturmagazin</strong> 27
Hausgemeinschaft. Permanent<br />
am Werk in der<br />
Burggasse 98 sind Martijn<br />
Straatman, Maria Scharl,<br />
Frank Maria, Niklas Worisch,<br />
Teresa Berger (v.l.).<br />
kaufen kann, etwa in Form eines Tickets –<br />
da sind keine Limits gesetzt“, so Frank<br />
Maria. Niklas Worisch und er leiten gemeinsam<br />
die Aktivitäten der Burggasse 98.<br />
Frank Maria hat an der Akademie der bildenden<br />
Künsteinder Klasse für Grafik und<br />
druckgrafische Techniken bei Gunter<br />
Damisch studiert, Worisch an der renommierten<br />
Designacademy Eindhoven in<br />
den Niederlanden –inder Burggasse vermengen<br />
sich ihreTätigkeitsbereiche.<br />
Erweiterter<br />
Originalbegriff<br />
Hinter der bemalten Fassade eines Hauses inder<br />
Wiener Burggasse tut sich ein Kreativraum auf, der<br />
Kunst und Design zusammenbringt. Text: Paula Watzl<br />
Designgalerie, Kreativhub und<br />
interdisziplinäre Produktionsstätte.<br />
Die Burggasse 98, das<br />
bemalte Haus am oberen Ende<br />
der quirligen Burggasse in Wien Neubau,<br />
hat sich schon oft neu erfunden und kann<br />
wohl als Gesamtkunstwerk des21. Jahrhunderts<br />
gelten. Mit einem Containerpool vor<br />
dem Gebäude hat man im Sommer<br />
2019 dem Gürtelprojekt von <strong>2020</strong> vorgegriffen;<br />
mit dem Festival „Design<br />
Days“ konnte wiederholt eine aufstrebende<br />
Designergeneration nach Wien<br />
geholt werden, und mit diversen Projekten<br />
an der Seite von Starkoch Lukas<br />
Mraz testen die Betreiber immer wieder<br />
die fluiden Grenzen desLabels „Design“<br />
aus, etwa mit der Herausgabe limitierter<br />
Kunstkochbücher und Pop-up-Happenings<br />
zur Präsentation dieser.<br />
„Auch Events sind für uns Kunst. Ein<br />
Happening kann Kunst sein, die man auch<br />
28 <strong>Kulturmagazin</strong><br />
Intelligente Serie. Die zweite Edition von B-98<br />
schufen Elisa Alberti und Simone Oberlechner.<br />
Leistbare Kunst. Kunst und Design sind<br />
die Ankerpunkte des Hauses, ein Haus,<br />
das selbst Kunstwerk ist. Die Fassade<br />
wurde 2014 von wichtigen Protagonisten<br />
der Wiener Street-Art, nämlich Knarf,<br />
Mafia Tabak und Fresh Max, bemalt, ist<br />
aber, wie alles an dieser Adresse, kein<br />
festgeschriebener Umstand, sondern im<br />
Wandel begriffener Zwischenstatus. Ein<br />
Projekt, das sich nun allerdings als permanent<br />
herauskristallisiert, ist die Marke<br />
„B-98“. Unter dieser Formel werden seit<br />
Anfang des Jahres leistbare Kunsteditionen<br />
produziert, die nah am Design<br />
gedacht werden.<br />
Gebrauchsdesign mit Kunstanspruch,<br />
von eingeladenen Künstlern und Designern<br />
konzipiert: Die erste so gestaltete<br />
Edition ist eine aus Beton gegossene<br />
Lampe von Designer Anton Defant und<br />
Architekt Rupert Zallmann (Madame<br />
Architects), die inzwischen vergriffen ist.<br />
„Bei der Untersuchung der Eigenschaften<br />
von flüssigen Gießmaterialien wie Beton<br />
und Gips spielt das Duo mit dem Maßstab,<br />
indem es die Grenze zwischen funktionellem<br />
Objekt, Skulptur und architektonischen<br />
Referenzen verwischt“, sagen die<br />
Herausgeber über das Projekt.<br />
Ehe 2021 eine Edition mit Industrial<br />
Designer Marco Dessí in Produktion geht,<br />
wirdEnde Oktober die zweiteEdition lanciert<br />
– eine Vase in 30 Ausformungen,<br />
geschaffen von Elisa Alberti und<br />
Simone Oberlechner. Anders als bei<br />
herkömmlichen Kunsteditionen handelt<br />
es sich nicht um 30 idente<br />
Abzüge, die signiert und durchnummeriert<br />
werden, sondern um 30<br />
Einzelstücke, die als eine „intelligente<br />
Serie“, wie es heißt, produziert<br />
werden und ab 120 Euro erhältlich<br />
sind.<br />
Edition kommt vom lateinischen<br />
„editio“ und bedeutet „Herausgabe“<br />
und bezeichnet ganz generell einen angenehmen<br />
und niederschwelligen Einstieg<br />
Fotos: Niko Havranek, Eva Lena Gagern.
„Wir versuchen Künstler dazu zu bringen, Dingezutun,<br />
die sie normalerweisenicht machen würden.“<br />
in die Welt des Kunstkaufs. Denn daEditionen<br />
den Begriff„Original“erweitern, sindsie<br />
günstiger als einzelne, eigenständige Kunstwerke.<br />
BeiB-98 verbindensich die Ideenvon<br />
Original und Serie zueiner neuen Mischform,<br />
wie überhaupt das Verbindende großgeschrieben<br />
wird. „Wir wollen Gebrauchsgegenstände<br />
leiwand machen“, erklärt Frank<br />
Mariadie Visionvon B-98.<br />
Elisa Alberti ist eine erfolgreiche, aufstrebende<br />
bildende Künstlerin, Simone Oberlechner<br />
ist Sozialarbeiterin und Keramikerin:<br />
Auch außerhalb der jeweils angestammten<br />
Disziplin neue Techniken zu<br />
erarbeiten und Ideen sowie Kompetenzen<br />
zusammenzuführen ist eine der Grundideen<br />
der B-98-Editionen, deren Initiatoren<br />
zur Erstpräsentation des Objekts am<br />
31. Oktober auch ein großes Gesamterlebnis<br />
mit frischer Ofenpizza von Lukas Mraz<br />
planen. Doch B-98 sorgt nicht nur für Aufmerksamkeit<br />
rund um Kunst und Design,<br />
sondern sieht sich vor allem als „Ermöglicher“<br />
und begleitet die Editionen oft auch<br />
essenziell in der technischen Umsetzung.<br />
Produziert wird direkt in der Burggasse,<br />
schließlich findet sich im Untergeschoß ein<br />
Produktionsparcours der Sonderklasse –<br />
vom eigenen Keramikofen über eine Siebdruckmaschine<br />
biszum Metallraumfür die<br />
gröberen Arbeiten.<br />
Permanent werden diese Werkstätten von<br />
den Jungdesignern Martijn Straatman (Studio<br />
Tinus) und Teresa Berger, die beide an<br />
der Designacademy Eindhoven studiert<br />
haben, und Maria Scharl, die an der New<br />
Design University St. Pölten studiert hat,<br />
genutzt, doch auch Gäste sind willkommen.<br />
Im Keller der Burggasse 98 wird<br />
einerseits Beton gegossen, während andererseits<br />
auch Projekte entstehen, die im<br />
Stadtraumauf Betongespraytwerden.<br />
Kunst-Design-Schmelze. Etwa in Zusammenarbeit<br />
mit Kunst im öffentlichen Raum<br />
Wien (KÖR), für die man gemeinsam mit<br />
„Wien 3420“ und der „Inoperable Gallery“<br />
das Mural-Projekt „Beautification“ des<br />
internationalen Stardesigners Stefan Sagmeister<br />
und dessen Grafikbüro Sagmeister<br />
&Walsh inder Seestadt ausführte. Typografien<br />
und grafische Elemente, welche die<br />
Wand entlang der Janis-Joplin-Promenade<br />
„verschönern“, wurden von Sagmeister initiiert<br />
und von der Designagentur B-98 im<br />
Sommer 2019 ausgestaltet. Beratend und<br />
ausführend agieren Niklas Worisch und<br />
Frank Maria inProjekten wie diesen. „Wir<br />
versuchen die Schmelze von Kunst und<br />
Design zu pushen“, so Worisch, „wollen<br />
Künstler dazu bringen, neue Techniken zu<br />
erproben und Dinge zutun, die sie normal<br />
nicht machen würden. Wir machen das<br />
dann technisch möglich.“Neben den Werkstätten,<br />
dem Showroom und einem vielfältig<br />
genutzten Hof gibt es im Haus auch ein<br />
Artist-in-Residence-Studio, ein Piercingstudio<br />
und ein Filmschnittstudio.Ein kollegialer<br />
Kreativcluster, der die Coronazeit<br />
zur eigenen Professionalisierung nutzen<br />
konnte und mit seinen Designeditionen<br />
nuneine kleine Marktlückeauftut. e<br />
Tipp<br />
Launch-Event.Die zweite<br />
Edition des B-98-Labels wird<br />
am 31. Oktober vorgestellt,<br />
14–20 Uhr,Details auf<br />
www.burggasse98.com<br />
NACH UNS DIE<br />
Frank Thiel, Perito Moreno #04, 2012-2013 ©Frank Thiel, Bildrecht, Wien, <strong>2020</strong><br />
BIS 14.02.21<br />
UntereWeißgerberstraße 13 |<strong>10</strong>30 Wien |Täglich <strong>10</strong>:00-18:00 | www.kunsthauswien.com
Flower-Power. In ihren performativ<br />
angelegten Werken arbeitet die<br />
Künstlerin Elisabeth von Samsonow<br />
auch mit Mythen und Ritualen.<br />
Fotos: Schreibtisch der Anthropologin, <strong>2020</strong> Astrid Bartl; eSeL.at/Lorenz Seidler;;<br />
30 <strong>Kulturmagazin</strong>
Geheimnisse von<br />
Kunst und Alltag<br />
Unter dem Motto „Living Rituals“ erschließt die<br />
Vienna Art Week einmal mehr neue Wege der<br />
Kunstvermittlung und -präsentation.<br />
Text: Johanna Hofleitner<br />
Die bevorstehende Vienna Art Week hat diesmal<br />
„Living Rituals“ als Motto auf ihre Fahnen<br />
geschrieben. Dabei ist die Kunstwoche, die<br />
<strong>2020</strong> zum <strong>16</strong>. Mal stattfindet, inerster Linie<br />
selbst ein Ritual. Mit ihrem geballten Programm aus<br />
Talks, Screenings, Touren, Panels, Performances und<br />
dergleichen ist sie ebenso ein fixer Teil des Kunstjahres,<br />
wie Ostern oder Weihnachten zum bürgerlichen Kalender<br />
gehören –einzig, dass es in diesem Jahr mit der<br />
Selbstverständlichkeit nicht ganz so weit her ist.<br />
„Im März haben wir uns schon kurz gefragt, ob wir das<br />
Ganze überhaupt durchführen können“, sagtVienna-Art-<br />
Week-Chef Robert Punkenhofer. Der umtriebige Kulturmanager,<br />
Networker, Kunst- und<br />
Ideensammler, Entrepreneur, Designliebhaber<br />
und bis2017Wirtschaftsdelegierte<br />
in Barcelona hatte die Kunstwoche<br />
2004 ins Leben gerufen und<br />
seitdem als Mastermind von einer<br />
anfänglich sehr elitären Veranstaltung<br />
in Richtung eines offenen Formats<br />
entwickelt. „Uns war schnell<br />
klar: Wir wollen das auch in diesem<br />
Jahr machen.“<br />
Kein Mangel an Ideen. Das durch<br />
den Lockdown notwendig gewordene<br />
Umdenken in Richtung Digitalisierung<br />
auf allen Ebenen (was in vielen<br />
Bereichen als Sprung ins kalteWasser<br />
erlebt wurde) hatte die Vienna Art<br />
Week bereits vorbereitet durch eine<br />
digitale Plattform, auf der seit Herbst<br />
2019 laufend Content geliefertwurde.<br />
Auch an Leitmotiven und Slogans<br />
bestand kein Mangel. Was inVor-Corona-Zeiten<br />
als „Vienna ArtWeekYearAround“programmiertworden<br />
war, wurdeimKrisenjahr <strong>2020</strong> zur Durchhalteparole<br />
umgepolt: „Vienna Art Week in Times ofCrisis“.<br />
So konntevon Anfang an digital geplant werden –bis hin<br />
zur Möglichkeit der digitalen Durchführung von Veranstaltungen<br />
–eine Option, die angesichts beschränkter<br />
Teilnehmerzahlen wohl oder übel zumindest mitgedacht<br />
werden muss. Vor diesem Hintergrund war es<br />
auch mehr als logisch, für diese Ausgabe insbesondere<br />
Künstlerinnen und Künstler, Akteurinnen und Akteure<br />
Studio-Flair. Während<br />
der Open<br />
Studio Daysgewähren<br />
rund <strong>10</strong>0<br />
Künstlerinnen und<br />
Künstler Einblicke<br />
hinter die Kulissen<br />
ihres Schaffens.<br />
„Der ritualisierte Körper isteine<br />
prunkvolle Bühne, in die sich<br />
Geheimnisse und Gottheiten<br />
einschreiben.“<br />
Byung-Chul Han<br />
in den Blick zu nehmen, die in Wien leben und arbeiten –<br />
ein Appell, der auch an die Programmpartner weitergegeben<br />
wurde. Think global, act local sozusagen, neu<br />
gedacht.<br />
Lebendige Rituale. „Living Rituals“ also. Das Leitthema<br />
impliziert gleichermaßen ein Plädoyer dafür, Rituale zu<br />
leben, wie auch die Intention, den Fokus auf lebendige<br />
Rituale zu legen. Pate stand dafür der koreanisch-deutsche<br />
Philosoph Byung-Chul Han mit seinem Essay „Vom<br />
Verschwinden der Rituale“, in dem er sich für eine Rehabilitierung<br />
des Begriffs nicht zuletzt auch in einem<br />
lebensästhetischen Sinn einsetzt: „Der ritualisierte Körper<br />
ist eine prunkvolle Bühne, in die sich Geheimnisse<br />
und Gottheiten einschreiben“, schreibt er. Die Art Week<br />
denkt nundas Ritual gewissermaßen fort –ineinem vorrangig<br />
zeitgenössischen, allgemeinen und philosophischen<br />
Sinn: als nicht nur, aber auch strukturgebender<br />
Bestandteil desLebens, vomAlltag biszur Kunst: vonder<br />
Morgentoilette über die Zigarette danach bis zuBegrüßungsritualen,<br />
neumodische wie der Wuhan-Shake oder<br />
der Thai-Gruß miteingeschlossen; vom Mund-Nasen-<br />
Schutzgar nicht zu reden.<br />
Um zur Kunst zurückzukehren: Auch Künstler haben<br />
Rituale. Allein der Gang ins Atelier selbst leitet ein Ritual<br />
ein: Sich tagaus, tagein der Kunst hinzugeben. Der Zeichner<br />
Klaus Mosettig treibt es weiter, indem er, kaum dass<br />
er sein Atelier betritt,allmorgendlich unzähligeBleistifte<br />
spitzt.Oft wohnen auch der Kunst selbst rituelle Formen<br />
inne –imFall desMalersRobertSchaberl<br />
zum Beispiel der Kreisel, an dem<br />
er sich in konzentrisch-abstrakten Bildern<br />
seit Jahrzehnten in immer<br />
neuen Formatenund Farbvariationen<br />
abarbeitet. Die Künstlerphilosophin<br />
Elisabeth von Samsonow wiederum<br />
bringt das Thema in all seiner Schönheit<br />
und Selbstbezüglichkeit aufs<br />
Tapet,wenn sie sich selbst als Subjekt<br />
ins Zentrum des „Schreibtischs der<br />
Anthropologin“ setzt. Für Hermann<br />
Nitsch schließlich stehen Rituale per<br />
se im Zentrum seines Lebenswerks<br />
„Orgien-Mysterien-Theater“.<br />
Solchen und noch viel mehr Zugängen<br />
spürt die Vienna Art Week nach.<br />
Acht Tage lang legt sie Fährten,<br />
knüpft Netze, stellt Kontexte her –<br />
und gibt dem Ritual so eine Bühne.<br />
Eine solche hat sich in letzter Minute<br />
buchstäblich mit der Zwischennutzung<br />
eines abbruchreifen Einfamilienhauses<br />
aus den Sechzigern in einem verwunschenen<br />
Garten ander Simmeringer Hauptstraße aufgetan. Auf<br />
zwei Etagen werden rund ein Dutzend Künstlerinnen<br />
und Künstler mit Videos, Installationen und anderen<br />
ortsspezifischen Arbeiten den Ritualen des Alltags auf<br />
den Zahn fühlen, denen ein solches Haus gleichsam als<br />
Stellvertreter für alle Häuser Raum gibt: Vom Keller bis<br />
zum Dach, Wohnzimmer bis zum Schlafzimmer, Kinderzimmer<br />
bis zum Bad geben sie eine durch und durch<br />
künstlerische Replik auf Byung-Chul Hans prunkvolle<br />
Bühne und deren Geheimnisse. e<br />
<strong>Kulturmagazin</strong> 31
Antriebskraft. Offspaces<br />
wie das Flat1<br />
sind einer der Motoren<br />
des Kunstbetriebs.<br />
Performen. Roberta<br />
Limas Aktionen zeigt<br />
der Stadtraum Sammlung<br />
Friedrichshof.<br />
Kreisel malen. Robert<br />
Schaberls Atelier ist<br />
eine Fixstation des<br />
ExhibitionParcours.<br />
VomRitus reden. Nitsch<br />
im Gespräch über Rituale<br />
und Formen: 19. 11.,<br />
Nitsch Foundation.<br />
Einblicke. Zum Sammlergespräch<br />
mit Rafael<br />
Jablonkalädt die<br />
Albertina am 18. 11.<br />
Hinterhof-Madonna.<br />
Bilder von Suzanne<br />
Dixon zeigt das JAW<br />
Atelier im Werd.<br />
Highlights &Termine<br />
Unter dem Motto „Living stattfindet. Thrill verspricht<br />
Rituals“ findet die Vienna Art dann die Hauptausstellung<br />
Week vom 13.-20.November „House of Living Rituals“ in<br />
zum <strong>16</strong>.Mal statt. Am ersten einem abbruchreifen Simmeringer<br />
Einfamilienhaus aus den<br />
Wochenende geben die Open<br />
Studio Days einen Eindruck von 1960er-Jahren. Mit Werken von<br />
der Vielfalt desKunstschaffens Acconci bis Zabelkawirdes<br />
in der Stadt. <strong>10</strong>0Künstlerinnen gleichsam künstlerisch<br />
und Künstler öffnen zwei Tage „besetzt“ (13.–20.11.).<br />
lang ihreAteliersund gewähren Den diskursiven Abschluss bildet<br />
schließlich das LivingRituals<br />
Einblick hinter die Kulissen<br />
ihrer Arbeit. WalkingTours Line-Up am Freitagnachmittag,<br />
strukturieren das Angebot. diesmal im Semperdepot. In<br />
Einen Schwerpunkt innerhalb Diskussionen, Screenings und<br />
der Open Studio Days bildet Performances wirddas Wochenthema<br />
noch einmal künst-<br />
der LivingRituals Exhibition<br />
Parcours.Der kuratierte Ausstellungspfad<br />
verbindet sieben örtert. Unter den Teilnehmern<br />
lerisch und philosophisch er-<br />
Ateliers, in denen Künstlerinnen<br />
und Künstler Arbeiten zum Byung-Chul Han, Autor des<br />
finden sich u. a. der Philosoph<br />
Motto der Vienna Art Week Buchs „Vom Verschwinden der<br />
präsentieren, darunter Heinrich Rituale“ sowie der Künstler<br />
Dunst, Klaus Mosettig, Elisabeth<br />
von Samsonow oder die Diverse Veranstaltungen von<br />
Erwin Wurm (20.11., 15–18 Uhr).<br />
Outsiderkünstlerinnen von ausgewählten Galerien und<br />
JAW. Begleitet von Expertengesprächen,<br />
ist der Parcours (insgesamt 22 Wiener Institu-<br />
Mitgliedern desArt Clusters<br />
eine Art dislozierte Ausstellung, tionen, Ausstellungshäuser,<br />
die zwar nicht unter einem Kunstunis, Museen) runden das<br />
Dach, doch unter der thematischen<br />
Klammer „Living Rituals“<br />
Angebot ab.<br />
www.viennaartweek.at<br />
Fotos: eSeL.at/Lorenz Seidler; Roberta Lima./Courtesy of the artist and Charim Galerie; Robert Schaberl; Nitsch Foundation; Volker Döhne.<br />
32 <strong>Kulturmagazin</strong>
Magische Augenblicke<br />
Unbekanntes, Neues und Klassisches sorgen bei der<br />
Loisiarte jedes Jahr für Spannung.<br />
Text: Wilhelm Sinkovicz<br />
diepresse.com/derclub<br />
CLUB-VORTEILE<br />
Stimmungsvoll. Die „Basilika“, tief unten in den<br />
Kellerfluchten, bietet den perfekten Rahmen.<br />
Avantgarde. Kurt Schwertsik und RichardDünser<br />
schreiben „hörbare“ Neue Musik.<br />
Fotos: Robert Herbst, Mischa Erben, Matthäus Stepa;<br />
Die Loisiarte ist traditionsgemäß<br />
das erste Festival imheimischen<br />
Festspielleben. Jahr für Jahr versammelt<br />
sich das treue Publikum<br />
an einem verlängerten Wochenende im<br />
Loisium, dessen architektonische Originalität<br />
als Pforte zu denalten Kellergängen im<br />
Weinland am Kamp dient. Dort lässt sich<br />
nicht nur wunderbar Wein verkosten, sondern<br />
auch musizieren. Es war Christian<br />
Altenburger, der vor Jahren den Versuch<br />
startete, sowohl im Besucherzentrum als<br />
auch tief unter der Erde zu konzertieren –<br />
und der dabei entdeckte, dass die akustischen<br />
Gegebenheiten dieser Räume entgegen<br />
allen Unkenrufen nicht nur<br />
annehmbar,sondern sogar äußerst reizvoll<br />
sind. Vor allem im alten Weinkeller, den<br />
man zur sogenannten Kathedrale ausgebaut<br />
hat, spielt (und hört!) sich’s wunderbar.<br />
Seit Beginn des Festivals Loisiarte ist<br />
Erwin Ortner mit seinem Arnold Schönberg<br />
Chor dabei, der gerade dieses<br />
Ambiente für magische Augenblicke zu<br />
nutzen verstand.<br />
Als Programmgestalter legt Christian<br />
Altenburger Wert auf Abwechslungsreichtum<br />
–und auf die Einbindung von Musik<br />
unserer Zeit, die aus dem Mainstream der<br />
„Neuen Musik“ ausbricht und subjektive,<br />
für die Hörer oft überraschend „schöne“<br />
Klänge hören lässt. Das verschaffte dem<br />
Festival von Anfang an Interesse und<br />
sicherte, dass die Neugierigen von Jahr zu<br />
Jahr wiederkehren.<br />
Zumal die Kombination vonUnbekanntem,<br />
Neuem und wahrhaft Klassischem stets für<br />
Spannung garantiert. Überdies wird die<br />
Loisiarte seit Langem zu einem Fest für alle<br />
Sinne und Kunstsparten. Denn zur Musik<br />
kommt auch die bildende Kunst. Stets gibt<br />
es im Loisium auch eine Ausstellung; und<br />
alle Konzerte werden vonLesungenbegleitet,<br />
die Angelika Messner liebevoll kuratiert,<br />
sodass auch die Literatur zu ihrem<br />
Recht kommt.<br />
So werden Christian Altenburger und seine<br />
Mitstreiter, darunter die Pianisten Jasminka<br />
Stancul und das Duo Silver-Garburg,<br />
Tipp<br />
Schubert,Dünser. Ilse Aichinger<br />
(Nicole Heesters). Donnerstag,<br />
15. April 2021.<br />
Schwertsik, Mozart. H.C. Artmann<br />
(Joachim Bißmeier). Freitag, <strong>16</strong>. 4.<br />
Brahms,Schmidinger (Schönberg-<br />
Chor). Michael Köhlmeier,<br />
Samstag, 17. April.<br />
ww.loisium.com<br />
Klarinettist Michel Lethiec oder die Cellisten<br />
Niklas Schmidt und Patrick Demenga<br />
mit Schauspielergrößen wie Nicole Heesters,<br />
Joachim Bißmeier und Petra Morzé<br />
konfrontiert, die Prosa und Poesie von Ilse<br />
Aichinger, H.C.Artmann und Antonio Fian<br />
lesen, während Michael Köhlmeier am<br />
Samstag auseigenen Werken vorträgt.<br />
Zeitgenossen. Musikalisch umrahmt werden<br />
diese literarischen Schmankerln von<br />
Werken Franz Schuberts (die „F-Moll-Fantasie“),<br />
Wolfgang Amadé Mozarts (Klarinettenquintett)<br />
und Ludwig van Beethovens<br />
(„Erzherzogs-Trio“). Zeitgenossen sind wie<br />
immer dabei: Kurt Schwertsiks Musik trifft<br />
am Freitag, dem <strong>16</strong>. April, passend auf<br />
Texte von H. C. Artmann, Helmut Schmidingers<br />
„Gesang zwischen den Stühlen“auf<br />
Chormusik vonJohannesBrahms (mit dem<br />
Schönberg-Chor), Johanna Doderer präsentiert<br />
vor dem Beethoven-Trio im<br />
Abschlusskonzertr am Sonntagvormittag<br />
ihr neuesFünftes Streichquartett.<br />
Zum Auftakt kommt Richard Dünser, der<br />
nicht nur ein eigenes Werk für die rare<br />
Besetzung Klavier zu vier Händen plus<br />
Streichquartett komponiert hat, sondern<br />
auch noch Schuberts Sonate für Klavier zu<br />
vier Händen D 617 für diese Besetzung<br />
arrangierthat. e<br />
<strong>Kulturmagazin</strong> 33
Der Götterberg<br />
Olymp ist nah<br />
Ein Stück Orient im Okzident: In<br />
Thessaloniki berühren einander<br />
byzantinische, osmanische und<br />
moderne westliche Kultur.<br />
Hafenstadt. Blick<br />
aufsMeer von der<br />
malerischen Altstadt,die<br />
sich<br />
recht steil den<br />
Hügel hinanzieht.<br />
Text: Barbara Petsch<br />
Ratem quibea<br />
derum coreipiscipsum<br />
assit<br />
magnata coreporessi<br />
cum quidesent,sitas<br />
aut e<br />
Fotos: Wanderlust/Discover Greece.<br />
34 <strong>Kulturmagazin</strong>
Erdoğan will wieder Griechenland besetzen, wie<br />
es schon einmal der Fall war. Er will das Osmanische<br />
Reich wieder errichten.“ Elena ist unsere<br />
Führerin bei dieser Stadttour in Thessaloniki,<br />
ihre Antwort auf die Frage, ob sich die Griechen Sorgen<br />
machen angesichts der angespannten Lage im Streit um<br />
die Gasvorkommen vor der zyprischen Küste, kommt<br />
ohne Zögern. Wie geht es der türkischen Community in<br />
der Stadt? „Die meisten haben Angst vor Erdogan“, vermutetGiotavon<br />
der griechischen Tourismusagentur.Die<br />
Kluft zwischen den politischen Realitäten ganz in der<br />
Nähe und der Stimmung in der Stadt amThermaischen<br />
Golf könntejedenfalls größer nicht sein: Volle Bars, originelle<br />
Geschäfte, hübsch designt, kleine Läden mit Handwerk<br />
und Mode neben den üblichen Flagship-Stores,Jogger,<br />
Radfahrer am Peer,Schiffe, Herbstsonne. An Europas<br />
Südgrenze gibt es viele große Hafenstädte, von Valencia<br />
bis Thessaloniki, Letzteres wirkt etwas „balkanesisch“,<br />
aber die Hauptstadt Makedoniens hat auch einiges von<br />
Barcelona und sogar vomgeschniegelten Triest.<br />
Makedonien ist einer der ältesten Schauplätze europäischer<br />
Geschichte. Nahe dem Hafen von Thessaloniki<br />
blickt eine gigantische Statue gen Osten: Alexander der<br />
Große. JedesSchulkind kennt den Feldherrn,<br />
der in kurzer Zeit ein Imperium zusammenraffte,<br />
das bisanden indischen Subkontinent<br />
reichte. Alexander starb jung, erwurde nur<br />
33 Jahre alt. Europas erster Hero war eine<br />
ambivalente Persönlichkeit, schön, charismatisch,<br />
entschlossen, strategisch begabt,<br />
aber auch skrupellos.<br />
Konzerthaus. Der<br />
Bau des japanischen<br />
Pritzker-<br />
PreisträgersArata<br />
Isozaki dient auch<br />
für Kongresse.<br />
aber osmanischen Ursprungs ist. Die Osmanen<br />
eroberten Thessaloniki 1430. Sie regierten<br />
bis 1913. Außerdem stand die Stadt in<br />
ihrer Geschichte u.a.unter der Herrschaft<br />
der Römer und der Deutschen, die Nationalsozialisten<br />
deportierten die große jüdische<br />
Gemeinde (rund 60.000 Menschen) ins KZ,<br />
obwohl diese drei Billionen Drachmen als<br />
Schutzgeld zu zahlen bereit war. Auf dem<br />
Gelände eines jüdischen Friedhofs wurde<br />
die heutige Aristoteles-Universität errichtet,<br />
eine unverzeihliche Attacke gegen jüdische<br />
Identität.Heutegibt es wieder eine kleine jüdische Community<br />
inThessaloniki, Israelis besuchen die Stadt auf<br />
der Suche nach Spuren ihrer Ahnen. Sie finden sie im<br />
Jüdischen Museum und in Villen, von denen die meisten<br />
imposanteRuinen sind.Indie eleganteVilla Bianca(Vassilisis-Olga-Straße),<br />
die der Mailänder Pietro Arrigoni<br />
1911 bis 1913 für den Kaufmann und Industriellen Dino<br />
Fernandez Diaz errichtete, zog 2013 die Städtische<br />
Kunstgalerie ein. Fernandez Diaz und seine Familie flohen<br />
vor den Nationalsozialisten nach Italien, wo sie von<br />
der SS ermordet wurden.<br />
Grausame Geschichte. In gesetzten<br />
Worten erklären Führer den Besuchern<br />
von Thessaloniki die grausame<br />
Geschichte dieser Stadt. Sie führen zu<br />
stillen, orthodoxen Kirchen,<br />
Moscheen, Plätzen, auf denen Synagogen<br />
standen. Es gibt ein Museum für<br />
byzantinische Kultur und eins für zeitgenössische<br />
Kunst. Vom Hafen aus<br />
kann man Minikreuzfahrten auf Piratenschiffen<br />
oder römischen Galeeren<br />
unternehmen. Griechenland-Fans<br />
dürften feststellen, dass sich ihre<br />
Sehnsuchtsdestination in den letzten<br />
Jahrzehnten, trotz vieler Krisen, zuletzt jene um die<br />
Staatsschulden, stark verändert hat. Thessaloniki etwa<br />
hat <strong>10</strong>0.000 Studenten, es gibt immer mehr junge Akademiker,<br />
viele Griechen sprechen fließend Englisch.<br />
Thessaloniki, dieser geschundene Ort, wirkt heute wie<br />
ein Nabel europäischer Multikultur. Ja, es gibt sehr viele<br />
Bettler, angeblich Roma, heißt es, aber auch viele Griechen<br />
und Griechinnen sind wohl darunter, vor allem<br />
Kinder. Achtlos gehen Passanten an einer am Straßenrand<br />
kauernden Greisin vorbei, die auseiner Plastikdose<br />
Essenreste klaubt.Das entsetzt.<br />
Insgesamt aber strahlt die Stadt Lebensfreude und Toleranz<br />
aus, sie hat ein ansprechendes Fluidum, nicht nur<br />
wenn man aufder Dachterrasse desLuxushotels Electra<br />
Palace Fischsuppe löffelt oder im nahen Excelsior<br />
Hotel Baisers mit Beeren knackt. Die griechische<br />
Küche hat sich jenseits von Souvlaki und Tzatziki<br />
diversifiziert, an herrlichen Rohstoffen, Wein, Käse,<br />
Oliven, Gemüse, Lammfleisch, Fisch, mangelt es nicht.<br />
Manprobiereetwadas Restaurant Thria (Maria Kallas<br />
1). Leider nicht immer, aber hoffentlich immer öfter<br />
sehen die Griechen davon ab, ihre erstklassigen Nahrungsmittel<br />
mit Sauce Hollandaise zu übergießen<br />
oder italienische Klassiker wie Ossobuco zu probieren.<br />
Bitte nicht. Ein Highlight sind manche Marktlo-<br />
Eine Stadt brennt. Im Iran wird eine schaurige<br />
Geschichte von Alexander erzählt: Der<br />
Eroberer des altpersischen Achämenidenreiches<br />
zerstörte Persepolis, heute ein Ruinenfeld<br />
nordöstlich von Schiras, und das kam<br />
angeblich so: Eine Tänzerin begeisterte den<br />
Weißer Turm.<br />
König, der reichlich trank und dann der Schönen sagte,<br />
Das heutige<br />
sie hätte einen Wunsch frei. Das Mädchen forderte die<br />
Wahrzeichen der<br />
Zerstörung der Stadt, die Alexander prompt niederbrennen<br />
ließ. Der Kleinstaat Makedonien wurde durch Ale-<br />
Befestigung und<br />
Stadt warTeil der<br />
xander und seinen Vater Philipp II. zu einem Weltreich. Gefängnis.<br />
In Vergina, westlich vonThessaloniki, locken Ausgrabungen<br />
rund um Philipp und Alexander –sowie ein stattlicher<br />
Goldschatz mit Truhen und filigranen Diademen.<br />
Landpartie. Rund<br />
um Thessaloniki<br />
Philipps letzte Ruhestätte, eine Grabkammer, die ägyptisch<br />
anmutet, ist hier zu finden, gesucht wird aber vor<br />
locken liebevoll<br />
restaurierte Dörferinden<br />
Bergen<br />
allem nach Alexanders Grab. Dieser starb 323 v.Chr. in<br />
Babylon. Kann sein, sagen die Griechen, bestattetaber ist und am Meer.<br />
er in Vergina. Und sobald das bewiesen ist, werden die<br />
Nationalisten in Makedonien verlangen, dass sich<br />
Nordmazedonien einen anderen Namen zulegt.<br />
Denn nurdie Griechen, sagen sie, hätten ein Recht<br />
auf die Bezeichnung Makedonien. Für nicht<br />
wenige Griechen ist dieses Thema eine ernste<br />
Sache, was wohl damit zu tun hat, dass dieses viel<br />
gerühmte Land lang um seine Identität kämpfen<br />
musste. Den Zeugen dieser Geschichte begegnet<br />
der Reisende im heutesounbeschwert wirkenden<br />
Thessaloniki. Das eindrücklichste Monument ist<br />
der Weiße Turm, der Teil der byzantinischen<br />
Befestigungsanlagen war, in seiner heutigen Form »<br />
<strong>Kulturmagazin</strong> 35
Olymp. Auf dem Götterberggibt<br />
es viele gut ausgebaute Wanderwege<br />
für jedermanns Kräfte.<br />
Rasten und Speisen.<br />
Das verbindet<br />
die Bewohner<br />
von Thessaloniki<br />
mit den Touristen.<br />
Und die Pommes.<br />
Alexander der Große. Der Eroberer,<br />
geboren 356 v. Chr., schaut<br />
am Hafen gen Osten.<br />
Übers Wochenende begibt sich der wohlhabendere<br />
Bürger aufs Land oder an den Strand.<br />
»<br />
kale. Übers Wochenende begibt sich der wohlhabendere<br />
Bürger von Thessaloniki aufs Land oder an den Strand.<br />
Eine beliebte Wanderdestination ist der Olymp, auf dem<br />
Wälder,Klöster und Hütten zu finden sind, aber bedauerlicherweise<br />
keine Götter. Die Witterung wechselt gern<br />
und plötzlich. Dann muss sich der Reisende im Informationszentrum<br />
mit Fotosdes Kalksteinmassivs im feenhaften<br />
Licht oder Aufnahmen der vielfältigen Flora und<br />
Fauna (Wildkatzen!) begnügen, allerdings hat die Natur<br />
eine gewisse Ähnlichkeit mit österreichischen Bergen.<br />
Wir lassen uns von der drahtigen Hiking-Spezialistin<br />
Touren erklären, für die man jedoch besser mehrere<br />
Tage einplant,hernach können wir einen Spaziergang zu<br />
Wasserfällen unternehmen, dabei geht es meist bergab.<br />
Trittsicherheit und Wanderausrüstung sind jedoch<br />
gefragt. Den Berggipfel kann man nur mit Kletterausrüstung<br />
erreichen, ein Teil des Gebirges ist militärisches<br />
Gebiet, anscheinend gibt es aber Genehmigungen für<br />
besondere Freunde der Wildnis, die dort herummarschieren<br />
wollen, man kann sogar übernachten. Refuges<br />
heißen die Hütten, da zuckt der Zuhörer kurz zusammen,<br />
mit Flüchtlingen aus Syrien und Afghanistan hat<br />
der Ausdruck aber nichtszutun.<br />
Merkwürdig ist, dass der Olymp als Wohnsitz der Götter,<br />
als der er doch in aller Welt berühmt ist, hier kaum<br />
jemanden zu interessieren scheint, auch Merchandising<br />
über Zeus, Pallas Athene &Co. ist unbekannt. 150.000<br />
Touristen entern alljährlich den Olymp-Nationalpark, es<br />
ist gewiss erfrischend (und nicht nur wegen des kühlen<br />
Wetters), ihn jetzt in der Coronakrise zubesuchen, wie<br />
Griechenland überhaupt, das wenige Infektionen hat.<br />
Tipp<br />
Stadtführungen. Bei dot2dot<br />
gibt es exzellent versierte<br />
und charmante Führer und<br />
spezielle Touren, etwaüber<br />
Historie oder Kulinarik.<br />
www.dot2dot.gr<br />
Anreise. Direktflüge ab Wien<br />
etwamit Austrian,<br />
www.austrian.com<br />
Informationen. Das griechische<br />
Tourismusamt informiert<br />
auf www.visitgreece.gr<br />
Die Passagiere eines mittelstark besetzten Ryan-Air-Fliegers<br />
vonWien nach Thessaloniki (direkt,AegeanAirlines<br />
hat eine Zwischenlandung in Athen) Ende September<br />
wurden samt und sonders mit Stäbchen getestet, man<br />
teilteuns mit,dass, falls wir positivseien, wir verständigt<br />
würden. Was dann? Angeblich muss man in Quarantäne<br />
–auf Kosten desgriechischen Staats.<br />
Karierte Tischtücher. Zum Schluss noch ein Aperçu<br />
zum Olymp, an seinem Fuße liegt das Hotel Cavo<br />
Olympo,eine schickeHerbergemit kleinem Strand, Pool,<br />
Spa, viel Marmor und Palmen. Das Service könnte etwas<br />
emsiger sein, aber die Panoramen sind grandios, die<br />
Zimmer riesig und das Styling istelegant.<br />
Ein Ausflug in bodenständige griechische Tourismuskultur<br />
(Holzmöblierung mit karierten Tischdecken)<br />
empfiehlt sich ins etwas abgelegene Dörfchen<br />
Palaios Panteleimonas. Auf Fotos ist ein verlassenes,<br />
völlig verrottetes Örtchen zu sehen, seit<br />
den Neunzigern, erzählt einer der Lokalbetreiber,<br />
kamen Nachfahren der früheren Besitzer,<br />
aber auch Stadtflüchter ins Gebirge. Sie repariertenund<br />
restauriertenliebevoll. Es gibt auch<br />
Zimmer. Trinken und Autofahren ist keineswegs<br />
ratsam. Auch in dieser Hinsicht ist Griechenland<br />
der EU näher gerückt: Es gibt saftige<br />
Strafen für Alkoholsünder. Dafür wurde das<br />
öffentliche Verkehrsnetz verbessert. Alles in<br />
allem: Makedonien und die Chalkidike haben<br />
viel zu bieten, vor allem Touristen, die nur die<br />
griechischen Inseln kennen. e<br />
Fotos: Fotos: Wanderlust/Discover Greece. Compliance-Hinweis: Die Reise erfolgte auf Einladung von Discover Greece.<br />
36 <strong>Kulturmagazin</strong>
Musikstadt Leipzig<br />
Heimatort des Operngenies Richard Wagner.<br />
ENTGELTLICHE EINSCHALTUNG<br />
Die Thomaskirche ist ebenfalls<br />
einen Besuch wert.<br />
Die Oper Leipzig bietet Musikgenuss<br />
–beispielsweise bei<br />
einer „Siegfried“-Inszenierung.<br />
Fotos: Kirsten Nijhof, Oper Leipzig, LTM/Bao Kuo;<br />
Leipzig und die Musik: Das ist jahrhundertelange<br />
Tradition. Zahlreiche Komponisten, darunter<br />
Johann Sebastian Bach, Felix Mendelssohn-<br />
Bartholdy, Clara und Robert Schumann sowie<br />
Richard Wagner lebten und arbeiteten hier. Die Oper<br />
Leipzig und das Gewandhausorchester genießen weltweites<br />
Renommee und internationale Festivals wie das<br />
Bachfest und die Richard-Wagner-Festtage erfreuen<br />
sich stetig steigender Besucherzahlen. Das ganze Jahr<br />
hindurch lassen sich die einstigen Wirkungsstätten der<br />
Komponisten auf der Leipziger Notenspur erkunden.<br />
Der Rundweg durchs Zentrum vermittelt dank Hörproben<br />
und Schautafeln einen lebendigen Eindruck<br />
über das Leben zur damaligen Zeit –natürlich auch<br />
über das des wohl berühmtesten Sohnes der Stadt:<br />
Richard Wagner!<br />
Oper Leipzig –ein Traditionshaus mitten in Europa.<br />
Mit Gründung <strong>16</strong>93 ist die Oper Leipzig das drittälteste<br />
bürgerliche Opernhaus Europas und blickt voller Stolz<br />
auf eine mittlerweile über 325-jährige Tradition. Knapp<br />
die Hälfte dieser mehr als drei Jahrhunderte ist mit<br />
dem Gewandhausorchester ein Ensemble von Weltruhm<br />
–aktuell belegt der Klangkörper Rang vier im<br />
internationalen Vergleich –ständiger musikalischer Begleiter<br />
der Oper Leipzig. Seit dem Amtsantritt von Intendant<br />
und Generalmusikdirektor Prof. Ulf Schirmer<br />
Tipp<br />
JETZT EXKLUSIV! Erleben<br />
Sie vom 20. Juni bis 14. Juli<br />
2022 alleWagner-Opern in<br />
Leipzig! Buchungen sind ab<br />
sofort möglich unter<br />
Tel. +49/(0)341/7<strong>10</strong> 4275<br />
oder<br />
incoming@ltm-leipzig.de<br />
sind die Werke Richard Wagners eine zentrale Säule<br />
des Opernrepertoires. Ein Highlight im jährlichen Spielplan<br />
sind die Aufführungen des „Ring des Nibelungen“.<br />
In der Saison <strong>2020</strong>/2021 wird das Wagner’sche Opus<br />
magnum an zwei Terminen (14.–18. April 2021 und<br />
5.–9. Mai 2021) zu erleben sein.<br />
Wagner 22 –alle Wagner-Opern indrei Wochen. Ein<br />
weltweit einzigartiges Vorhaben, das die internationale<br />
Musikwelt aufhorchen lässt, erwartet Wagnerianer<br />
2022 in Leipzig. Das Opernhaus verfolgt das ambitionierte<br />
Ziel, bis dahin alle 13 Bühnenwerke Wagners<br />
szenisch zu erarbeiten und im Juni/Juli 2022 im Rahmen<br />
eines dreiwöchigen Festivals zu präsentieren. Die<br />
Wagner-Festtage vom 18. bis 20. Juni 2021<br />
mit Aufführungen der Frühwerke „Die Feen“,<br />
„Rienzi“ sowie „Das Liebesverbot“ werden<br />
weitere Meilensteine auf dem Weg dorthin<br />
sein. Musikliebhaber müssen mit einer Reise<br />
nach Leipzig aber nicht bis 2022 warten. Das<br />
hochkarätige Mahler Festival unter der Regie<br />
des Gewandhausorchesters im Mai 2021 sowie<br />
das jährliche Bachfest bieten auch vorher<br />
schon perfekte Reiseanlässe. Das passende<br />
Reiseangebot inklusive Tickets für zum Teil<br />
bereits ausverkaufte Konzerte finden Sie<br />
unter www.leipzig.travel/musikstadt<br />
<strong>Kulturmagazin</strong> 37
1<br />
Fotos: Sammlung Steffan /Pabst /Wolfgang Vollmer/Henry Rox Archive Cologne <strong>2020</strong>; Roland Krauss/Bildrecht, Wien<br />
38 <strong>Kulturmagazin</strong>
2<br />
3<br />
Widerständige<br />
Schönheit<br />
Die Kunst hält durch. Mit Utopien<br />
und Visionen stemmt sie sich den<br />
Unbilden der Zeit entgegen –oder<br />
malt sich die Welt einfach schön.<br />
Text: Johanna Hofleitner<br />
1. Leopold Museum<br />
„Emil Pirchan Universalkünstler“. Alles begann mit dem Studium bei Otto<br />
Wagner in Wien. Erste Erfolge feierte Emil Pirchan (1884–1957) mit seinem<br />
Münchner „Atelier für Graphik, Bühnenkunst,Hausbau, Raumkunst und<br />
Kunstgewerbe“. Berlin, Prag, zuletzt wieder Wien warendie großen Stationen<br />
des Universalisten, der sich mit der Entwicklung der Stufenbühne („Jessnersche<br />
Treppe“) auch im Bereich der modernen Bühnenbildgestaltung einen<br />
Namen gemacht hatte.27. 11. <strong>2020</strong>–4.4. 2021, www.leopoldmuseum.org<br />
2. Fotohof<br />
Wolfgang Vollmer. Fotografie ist für Wolfgang Vollmer mehr als das Festhalten<br />
von Bildern. Sein Aktionsradius umfasst auch das Sammeln, Recherchierenund<br />
Neubewerten. Ein Projekt ist etwadie Wiederentdeckung des nahezu<br />
vergessenen deutsch-amerikanischen Bildhauersund Fotografen Henry Rox<br />
(1899–1967), der in seinen Früchteskulpturen das Vokabular der Pop-Art an<br />
die surrealen Experimente Man Raysoder die ironischen Konsumparodien à<br />
la Fischli/Weiss heranführte.27.11.<strong>2020</strong>–23.1.2021, www.fotohof.at<br />
3. Belvedere 21<br />
Maja Vukoje. Trügerische Stilleben sind das: die Orangen, Eislutscher,Spielroboter<br />
oder Zuckerwürfel, die Maja Vukoje auf großen Leinwänden in Szene<br />
setzt.Was sie verbindet,ist ihre Zugehörigkeit zur Konsum- und Warenwelt.<br />
Mit ihren Südfrüchten, Kolonialwaren oder Symbolen der Populärkultur und<br />
des digitalisierten Alltags verweisen diese Bilder auf Transkulturalität und<br />
kulturelle Hybridität als Grundbedingungen der gegenwärtigen Alltags- und<br />
Lebenswelt.12. 11. <strong>2020</strong>–11. 5.2021, www.belvedere.at<br />
<strong>Kulturmagazin</strong> 39
1<br />
2<br />
3<br />
4<br />
Fotos: Luo Yang; Courtesy Hugo Canoilas and Galerie Martin Janda ©the artist; Club Fortuna <strong>2020</strong>; Kunstraum Dornbirn; Nick Ash; Andrej Popović<br />
40 <strong>Kulturmagazin</strong>
5<br />
6<br />
1. FC –Francisco Carolinum, Linz<br />
Luo Yang. Für Ai Weiwei ist sie einer der Shootingstarsder jungen chinesischen<br />
Fotografie.Vor dem Hintergrund der Widersprüche einer Gesellschaft<br />
zwischen Turbokapitalismus und Tradition zeichnet Luo Yang, Jahrgang<br />
1984, in einfühlsamen Porträts ein Bild ihrer Zeit.Ihre„Girls“ etwasind exzentrisch,<br />
schön, selbstbewusst und zugleich doch auch verletztlich und<br />
fragil. „Youth“ zeigt eine Generation auf der Suche nach Identität und<br />
Orientierung. 21. <strong>10</strong>.<strong>2020</strong>–21. 2. 2021, www.ooelkg.at<br />
2. Mumok<br />
„On the extremes of good and evil“. Hugo Canoilas Bilder sind entweder so<br />
groß, dass er sie auf dem Boden auflegt.Oder es tummeln sich im kleinen<br />
Format exotische, bedrohliche oder ausgestorbene Tiereund Fabelwesen<br />
darauf.Für seine ebenso installative wie experimentell-kritische, allemal aber<br />
exquisite Malerei wirdder in Wien lebende portugiesische Künstler nun mit<br />
dem renommierten Kapsch Contemporary Art Prize <strong>2020</strong> sowie einer Personale<br />
im Mumok belohnt.8.11. <strong>2020</strong>–28. 2.2021, www.mumok.at<br />
3. Kunstverein Eisenstadt<br />
„Komplizenschaft 4“. Für die nächste Doppelausstellung setzt der junge<br />
Kunstverein auf kollektive Aktionen über das „Als-ob“ im Verhältnis zur Wirklichkeit.Das<br />
im Dreieck von Kunst,Gesellschaft und existenzieller Lebenshilfeagierende<br />
Trio „Club Fortuna“ erweitert dafür sein Experimentierfeld um<br />
den Faktor Natur (Bild). Dem gegenüber stehen ephemerePerformances<br />
und Raumskizzen aus der feinen Feder der tschechischen Künstlerin Maja<br />
Štefančíková. 13. 12. <strong>2020</strong>–20. 2.2021, www.kunstvereineisenstadt.at<br />
4. Kunstraum Dornbirn<br />
Claudia Comte. Sie verwandelt Eisfelder in Spielelandschaften, verpflanzt<br />
Baumstämme ins Innere, um es zum artifiziellen Wald zu transformieren,<br />
oder platziert verführerisch polierte Skulpturen. Räume sind die Spielwiese<br />
des Schweizer Shootingstars. Der historischen Architektur des Kunstraums<br />
wirdClaudia Comte ein 450 Quadratmeter großes Deckengemälde verpassen,<br />
in dem Op-Art und Pop-Art,Konkrete Kunst und Abstrakter Expressionismus<br />
in eins fallen. 27. 11. <strong>2020</strong>–7. 3.2021, www.kunstraumdornbirn.at<br />
5. Secession Wien<br />
Danh Vō. Er arbeitet mit Fotos,Fundstücken, die historisch oder emotional<br />
aufgeladen sind, Dokumenten, manchmal auch Werken anderer Künstler.<br />
Aus ihnen schafft der vietnamesische Künstler Danh Vō rätselhaft-poetische<br />
Objekte und Installationen. Angetrieben von einer starken politisch-ethischen<br />
Haltung, erzählen sie von Geschichte und Gegenwart,Zukunft und<br />
Vergangenheit sowie der Erfahrung der Flucht und des Sich-Wiederfindens<br />
an einem zufälligen anderen Ort.21.11. <strong>2020</strong>–31. 1.2021, www.secession.at<br />
6. Kunsthalle Wien<br />
„Shadow Citizens“. Želimir Žilnik zählt zu den großen politischen Filmemachern<br />
Europas.Invielen seiner Filme nahm er geradezu prophetisch Entwicklungen<br />
wie den Zerfall Jugoslawiens,den Übergang vom Sozialismus zu<br />
einer neoliberalen Ordnung, dieZersetzung gesellschaftlicher Strukturen<br />
vorweg. Die Ausstellung spannt einen Bogen von den frühen Amateurfilmen,<br />
Dokumentar- und Indipendent-Filmen der 1960er-, 1970er-Jahre bis zu<br />
seinen neuesten Langfilmen. 24. <strong>10</strong>. <strong>2020</strong>–17. 1. 2021, www.kunsthallewien.at<br />
<strong>Kulturmagazin</strong> 41
1<br />
2<br />
3 4<br />
1. Kunsthalle Krems<br />
„Mit der anderen Hand“. Fiona Tanumkreist in Videoinstallationen und Fotografien<br />
Erinnerung, Zeit und Geschichte.Ausgehend von umfangreichen Recherchen<br />
konstruiert die Künstlerin eindringliche Narrative im Grenzbereich<br />
von Fiktion, Imagination, eigener Biografie und Dokumentation. Die zusammen<br />
mit dem Museum der Moderne Salzburgproduzierte Ausstellung ist als<br />
umfangreiche Mid-Career-Show angelegt.Inneuen Arbeiten reagiert Tanzudem<br />
auf lokale Zusammenhänge, wie etwainKrems die Nachbarschaft von<br />
Kunsthalle und Justizanstalt.21. 11. <strong>2020</strong>–14.2. 2021, www.kunsthalle.net<br />
2. Neue Galerie Graz<br />
„Kompromisslos“. Julije Knifer (1924–2004) ist einer der wichtigsten Künstler<br />
Kroatiens nach 1945. Mit seiner stets in Weiß und Schwarz gehaltenen<br />
abstrakt-geometrischen Malerei am Schnittpunkt von konkreter und konzeptueller<br />
Kunst und dem Mäander als Leitform arbeitete er sich gleichsam am<br />
Nullpunkt der Malerei ab.Die Neue Galerie würdigt ihn nun mit einer umfangreichen<br />
Personale.20.11.<strong>2020</strong>–25. 4.2021, www.museum-joanneum.at<br />
3. Museum der Moderne Salzburg<br />
„Ir“. Not Vital ist ein Nomade im Leben wie in der Kunst.Angetrieben von<br />
einem anthropologischen Interesse für das Fremde sowie der Leidenschaft,<br />
seine Wohn- und Produktionsstätten fortwährend zu wechseln, schuf er seit<br />
über 50 Jahren ein rätselhaft-poetisches Werk. In einer typisch reduzierten<br />
Formensprache vermischt er in surrealistisch anmutenden Skulpturen<br />
eigenes Erinnern mit Motiven, Materialien und der Handwerkskunst fremder<br />
Kulturen. 5. 12. <strong>2020</strong>–13.6. 2021, www.museumdermoderne.at<br />
4. MAK<br />
„Fortschritt durch Schönheit“. Zum 150. Geburtstag widmet das MAK Josef<br />
Hoffmann die bisher größte Retrospektive seines Gesamtwerks. In 20 Kapiteln<br />
lässt die Schau die vielen Facetten seines Wirkens als Architekt,Designer,Mitbegründer<br />
der Wiener Werkstätte, Lehrer und Ausstellungsmacher<br />
Revue passieren. Ein direktes Erleben seines Raumdenkens ermöglicht die<br />
Rekonstruktion seines „Boudoirsfür einen großen Star“, entworfen für die<br />
Pariser Weltausstellung 1937. <strong>10</strong>. 12. <strong>2020</strong>–18.4. 2021, www.mak.at<br />
Fotos: Courtesy of the artist and Frith Street Gallery, London/Foto Steve White; Julije Knifer/Bildrecht Wien <strong>2020</strong>; Eric Gregory Powell/Courtesy Not Vital Studio;<br />
MAK; Petri Virtanen/Kansallisgalleria; Christian Fogarolli; Transito2Plus1 ©Luna Ghisetti; Marlies Pöschl/Bildrecht<br />
42 <strong>Kulturmagazin</strong>
5 7<br />
8<br />
6<br />
5. Grazer Kunstverein<br />
Alma Heikkilä. In organisch anmutenden Skulpturen und Malereien umkreist<br />
die Künstlerin Klimawandel, Umweltkrisen und Artensterben als drängende<br />
Nöte unserer Zeit.Dabei erkundet Heikkilä Organismen, mikroskopische<br />
Bakterien, Pilze oder anderewinzige Lebewesen jenseits der menschlichen<br />
Wahrnehmung. Aus einem tiefen Wissen über Ökosysteme und Mikroben<br />
entsteht eine Kunst,die sich der Würdigung der Koexistenz unzähliger Organismen<br />
verschrieben hat.11. 12. <strong>2020</strong>–26.2. 2021, www.grazerkunstverein.org<br />
6. Reaktor<br />
„The Outer Reaches of the Inner Self“. Am schmalen Grat zwischen Alchemie<br />
und Wissenschaft analysiert Christian Fogarolli unterschiedliche Konzepte<br />
psychischer und physischer Gesundheit.Die mittelalterliche Praxis<br />
des „Narrenschneidens“ –eine Operation zur Heilung von Wahnsinn, bei der<br />
den Patienten Steine aus dem Kopf geschnitten werden –ist Kristallisationspunkt<br />
einer raumgreifenden Installation samt Film, die mit der aufgeheizten<br />
Architektur des Raums in Dialog tritt.20. <strong>10</strong>–24. <strong>10</strong>. <strong>2020</strong>, www.reaktor.art<br />
7. Kunstraum Niederösterreich.<br />
„LifeConstantly Escapes“. Die kapitalistische Moderne als ständiger Angriff<br />
auf unser Leben und sozio-ökologische Katastrophe ist Reibebaum für eine<br />
Ausstellung, die nach Alternativen und Gegenmodellen sucht.Bilder,Skulpturen,<br />
Raum- und Klanginstallationen widersetzen sich der Logik der Gewaltförmigkeit<br />
und entwickeln Visionen, die die Möglichkeit eines „Jenseits der<br />
Moderne“ zumindest andenken lassen. 4.2–3. 4.2021, www.kunstraum.net<br />
8. Salzburger Kunstverein<br />
Marlies Pöschl. Das Filmemachen ist für die junge Salzburgerin eine Praxis,<br />
um zeitaktuelle Fragen mit den Codes von Dokumentar-, Image- und Experimentalfilm<br />
zu verhandeln. Dafür arbeitet Pöschl in verschiedenen Formen<br />
des Austauschs.Der in Zusammenarbeit mit Kindern und Jugendlichen entstandene<br />
Film „Aurore“ etwabeschäftigt sich mit der Zukunft der Pflege vor<br />
dem Hintergrund immersiver Digitalisierung und künstlicher Intelligenz. Die<br />
Interaktion von Jung und Alt ist ebenso Thema wie das Verhältnis von<br />
Mensch und Maschine.12. 12. <strong>2020</strong>–7.2.2021, www.salzburger-kunstverein.at<br />
<strong>Kulturmagazin</strong> 43
Der<br />
Aufstieg<br />
afrikanischer<br />
Kunst<br />
Ankauf. Das Guggenheim<br />
Museum<br />
hat im August „Joy<br />
Adenike“ von Amoako<br />
Boafogekauft.<br />
Die Kunstwelt entdeckt die<br />
Diversität. Keine andere<br />
Sparte erlebt so einen Boom<br />
wie Kunst aus Afrika und der<br />
Diaspora.<br />
Text: Eva Komarek<br />
Tribal Marks. Babajide<br />
Olatunji Ist<br />
für seine hyperrealistischen<br />
Porträts<br />
bekannt.<br />
44 Kultur spezial
„Vignette“.<br />
Das erste Werk Kerry<br />
James Marshalls,<br />
das bei Christie’s<br />
eine Million Dollar<br />
erzielte.<br />
Auktionsdebüt. „The<br />
Lemon Bathing Suit“<br />
von AmoakoBoafo<br />
verelffachte den<br />
Schätzwert.<br />
nen „Fons Americanus“ erzählt die<br />
Geschichte des transatlantischen Sklavenhandels<br />
und gehörte zu den meistbeachteten<br />
Skulpturen der Londoner Museen. Mit<br />
der zunehmenden kuratorischen Beachtung<br />
reagierte auch der Markt. Das Londoner<br />
Auktionshaus Bonhams verzeichnet<br />
seit 20<strong>10</strong> mit einer jährlichen Afrika-Auktion<br />
steigende Verkaufszahlen. 2013 gründete<br />
Touria ElGlaoui, Tochter des marokkanischen<br />
Künstlers Hassan El Glaoui, die<br />
1-54 Contemporary African Art Fair inLondon,<br />
die sie parallel zur Frieze Art Fair<br />
positionierte. Essollte eine Success-Story<br />
werden. Es folgte die Expansion nach New<br />
York und 2018 nach Marrakesch. Und Sotheby’s<br />
eröffnete 2017 in London eine<br />
Expertenabteilung für moderne und zeitgenössische<br />
afrikanische Kunst. „Seither<br />
sind die Auktionsumsätze für afrikanische<br />
Kunst pro Jahr von rund zwei Millionen<br />
Dollar auf 20Millionen Dollar gestiegen“,<br />
Fotos: Mariane Ibrahim; Philipps; Christies Images Ltd. <strong>2020</strong>;<br />
The Lemon Bathing Suit“ des in<br />
Ghana geborenen, in Wien lebenden<br />
Malers Amoako Boafo sollte<br />
bei der Phillips-Auktion in London<br />
im Februar Geschichte schreiben: Der<br />
Schätzwert von 30.000 bis 50.000 Pfund<br />
verelffachte sich dank eines Bietgefechts<br />
auf 550.000 Pfund. Es war das Auktionsdebüt<br />
desKünstlers. DerStrabag-Artaward-<br />
2019-Gewinner war schon im Dezember<br />
auf der Art Basel Miami prominent vertreten.<br />
Die auf afrikanische Kunst spezialisierte<br />
Galeristin Mariane Ibrahim widmete<br />
ihm eine Soloshow. Die Bilder warenschon<br />
bei der Previewausverkauft.Sein Erfolg litt<br />
auch unter der Coronapandemie nicht. Bei<br />
der ersten Onlineauktion von Phillips im<br />
Mai vervielfachte „Joy in Purple“ den<br />
Schätzwert von 70.000 Dollar auf 540.000<br />
Dollar. ImAugust kaufte dann das Guggenheim<br />
Museum sein Werk „Joy Adenike“,<br />
wie seine Galeristin Ibrahim bekannt gab.<br />
Boafo reitet auf einer Welle der generell<br />
steigenden Nachfragenach Arbeiten afrikanischer<br />
Künstler.<br />
Aufmerksamkeit wächst. Bis vor rund<br />
zehn Jahren galt Afrika für die westliche<br />
Kunstwelt als dunkler Kontinent. Dann<br />
ging es Schlag auf Schlag. 2013 verlieh die<br />
Biennale von Venedig den Goldenen<br />
Löwen für den besten Länderpavillon dem<br />
Debütanten Angola und machte zwei Jahre<br />
später Okwui Enwezor zum künstlerischen<br />
Leiter der 56. Biennale und verlieh dem<br />
ghanaischen Künstler El Anatsui den Goldenen<br />
Löwen für sein Gesamtwerk. Wichtige<br />
Museen sprangen auf diesen Trend auf<br />
und begannen zeitgenössische Kunst aus<br />
Afrika zu kaufen. Zu den Vorreitern gehörte<br />
die Tate Modern, die schon 2013 gleich<br />
zwei Ausstellungen afrikanischen Künstlern<br />
widmete. Im Vorjahr beauftragte die<br />
Tate die afroamerikanische Künstlerin<br />
Kara Walker mit einer Skulptur für die Turbinenhalle.<br />
Der 13 Meter hohe weiße Brun-<br />
Mit der zunehmenden<br />
kuratorischen Beachtung<br />
vonafrikanischer<br />
Kunst reagierte auch<br />
der Markt.<br />
sagt Hannah O’Leary, Direktorin der Abteilung<br />
für moderne und zeitgenössische afrikanische<br />
Kunst bei Sotheby’s.<br />
Der westlich zentrierte Blick der Kunstwelt<br />
beginnt immer mehr aufzubrechen.<br />
Museen und Institutionen entdecken die<br />
Diversität, und auch viele westliche Galerien<br />
haben afrikanische Künstler in ihr Programm<br />
aufgenommen. Das hat zueinem<br />
Boom bei afrikanischer Kunst geführt. Die<br />
großen Auktionshäuser reißen sich inzwischen<br />
um die wichtigsten Künstler,die sich<br />
einen Ruf gemacht haben und für die welt-<br />
»<br />
Kultur spezial 45
»<br />
Frühwerk. Ben<br />
Enwonwus Porträt<br />
„Christine“<br />
stieg bei Sotheby’s<br />
auf 1,1 Millionen<br />
Pfund.<br />
weit eine starke Nachfrage besteht, wie<br />
etwa nach Yinka Shonibare oder William<br />
Kentridge. Selbst die altehrwürdige Kunstund<br />
Antiquitätenmesse Tefaf hat heuer die<br />
Sonderausstellung Showcase zeigenössischer<br />
Kunst aus Afrika gewidmet. Der Londoner<br />
Aussteller Tafeta präsentierte die<br />
„Tribal Mark“-Serie des nigerianischen<br />
Künstlers Babajide Olatunji, der für seine<br />
hyperrealistischen Porträts mit gesichtsscharfen<br />
Charakteren bekannt ist.<br />
Die Oberliga. Der in Los Angeles aufgewachsene<br />
Künstler Kerry James Marshall<br />
ist der Superstar unter den zeitgenössischen<br />
schwarzen Künstlern. Er verdankt<br />
seine Bekanntheit der Biennale des Whitney<br />
Museums und der documenta inKassel<br />
im Jahr 1997. 2013 wurde er von Barack<br />
Obama zum Mitglied des Komitees für<br />
Kunst und Geisteswissenschaften ernannt,<br />
und wenige Monate später übernahm die<br />
einflussreiche Galerie David Zwirner seine<br />
Vertretung. Der Aufstieg am Kunstmarkt<br />
ließ nicht lang aufsich warten. 2014 erzielte<br />
sein Werk „Vignette“ bei Christie’s einen<br />
Zuschlag von einer Million Dollar. 20<strong>16</strong><br />
widmeten gleich mehrere Institutionen<br />
dem Künstler Retrospektiven. In der Folge<br />
verdoppelte sich sein Rekordpreis auf<br />
2,1 Millionen Dollar. 2018 katapultierte sich<br />
der Wert des Künstlers auf ein Vielfaches.<br />
Die Arbeit „Past Times“, auf der Schwarze<br />
sich bei Freizeitaktivitäten vergnügen, die<br />
mit der weißen Oberschicht in Verbindung<br />
gebracht werden –Krocket, Golf, Rudern –,<br />
46 Kultur spezial<br />
wurde am <strong>16</strong>. Mai 2018 bei Sotheby’s für<br />
21,1 Millionen Dollar verkauft. Das ist bis<br />
heute der höchste Preis eines afroamerikanischen<br />
Künstlers zu Lebzeiten. Auch für<br />
Amy Sheralds Erfolg waren die Obamas<br />
ausschlaggebend. In diesem Fall war es<br />
Michelle Obama, die ein Porträt beauftragte.<br />
Seitdem sind ihre Werke auf der<br />
ganzen Welt bekannt, und sie wurde von<br />
der internationalen Topgalerie Hauser &<br />
Wirthunter Vertraggenommen.<br />
In der Oberliga spielt auch die nigerianischstämmigeKünstlerin<br />
Njideka Akunyili<br />
Crosby. Sie wurde 20<strong>16</strong> entdeckt, als sie<br />
den Canson-Preis inNew York erhielt. Im<br />
gleichen Jahr gab sie ihr Auktionsdebüt.<br />
Seitdem erzielen ihre Werke Millionenzuschläge.<br />
Der Rekord stammt von 2018 für<br />
„Bush Babies“, das auf 3,3 Millionen Dollar<br />
stieg. Andere Künstler ihrer Generation,<br />
deren Preise zuletzt bei Auktionen in die<br />
Höhe schnellten, sind Adam Pendleton,<br />
Toyin Ojih Odutola und Otis Kwame Kye<br />
Quaicoe. „Shade of Black“ von Kwame Kye<br />
pulverisierte im Juli die Schätzung von<br />
Kunst ausAfrika ist<br />
ebenso gefragtwie jene<br />
der Diaspora. Ben<br />
Enwonwuund Gerard<br />
Sekotogelten als<br />
afrikanische Meister.<br />
Installation. Auf<br />
der Messe 154<br />
in Marrakesch<br />
warMoataz Nasrs<br />
„The Mac Gate“<br />
der Hingucker.<br />
30.000 Dollar und ging auf250.000 Dollar.<br />
Wie inder afroamerikanischen Kunst gibt<br />
es auch wichtige Vertreter der afrobritischen<br />
Kunst. Hier ist besonders Steve<br />
McQueen zu nennen, dem das Institute of<br />
Contemporary Art in London als erstem<br />
schwarzen britischen Künstler eine Soloshow<br />
widmete. Yinka Shonibare und Chris<br />
Ofili wiederum wurden dank des Einflusses<br />
der Galerie Saatchi entdeckt. Zuletzt<br />
fielen in den Londoner Auktionen Künstler<br />
wie Henry Tayler, Hurvin Anderson und<br />
Michael Armitagemit Preissprüngen auf.<br />
Die Afrikaner. Doch nicht nur Kunst der<br />
Diaspora feiert Erfolge, es steigt auch die<br />
Nachfragenach Kunst ausAfrika. „Afrikanische<br />
Kunst hat eine lange Geschichte.<br />
Künstler wie der Nigerianer Ben Enwonwu<br />
und der Südafrikaner Gerard Sekoto gelten<br />
als afrikanische Meisterund etabliertendie<br />
afrikanische Moderne“, sagt O’Leary.<br />
Zudem entwickle sich quer über den Kontinent<br />
eine Kunstszene. „In unserer letzten<br />
Auktion hatten wir Werke von Künstlern<br />
aus 21Ländern“, so die Expertin. Zu den<br />
hochpreisigen Künstlern zählen Enwonwu,<br />
El Anatsui und Papa Ibra Tall aus dem<br />
Senegal. „Südafrikanische Künstler sind<br />
international bekannt und lang aktiv. Sotheby’s<br />
hält die Rekordpreise für William<br />
Kentridge, Marlene Dumas, Nicholas Hlobo<br />
und Gavin Jantjes.“ Gesucht seien zudem<br />
die nigerianischen Künstler Toyin Ojih<br />
Odutola und Njideka Akunyili sowie der<br />
Kongolese EddyKamuanga Ilunga. e<br />
Fotos: Courtesy of Phillips, Nicolas Brasseur, Sotheby‘s;
Der Kunstraum imPalais Kinsky lädt zur<br />
ÖSTERREICHISCHE KUNST AUS 7JAHRZEHNTEN<br />
Tauchen Sie ein in die Form- und Gedankenwelten<br />
heimischer Künstler. Große Namen und vielversprechende<br />
Neuentdeckungen vereint unter einem Dach.<br />
Legen Sie den Grundstein für Ihre Sammlung oder<br />
finden Sie die passende Ergänzung im Kinsky.<br />
19. bis 31. Oktober<br />
Mo bis Fr, 14-20 Uhr<br />
Sa, 11-17 Uhr<br />
imkinsky.com<br />
Kunstraum im Palais Kinsky, <strong>10</strong><strong>10</strong> Wien, Freyung 4
Markttreiben im<br />
Coronamodus<br />
Im Frühjahr kamder Kunstmarkt zum Erliegen,<br />
die Branche hoffte auf einen guten Herbst.<br />
Doch wieder wurden Messen abgesagt, viele<br />
Aktivitäten ins Internet verlegt. Einige trotzen<br />
dennoch der Pandemie.<br />
Text: Eva Komarek<br />
Highlights<br />
München. Zu den wenigen internationalen<br />
Messen, die heuer real über die Bühne<br />
gehen, gehört die „Highlights“ in<br />
München. Aufgrund der Coronasituation<br />
findet die Messe aber in den Bronzesälen<br />
der Münchner Residenz statt.Insgesamt<br />
sind 27 Aussteller dabei, darunter<br />
Beck &Eggeling mit Werken von GerhardRichter,etwa„Fuji“.<br />
22.–25. Oktober, www.munichhighlights<br />
Fotos: Beigestellt; Beck &Eggeling International Fine Art; Archiv, M.Schnur; VG Bild-Kunst, Bonn<br />
48 <strong>Kulturmagazin</strong>
Tefaf virtuell<br />
Digitaler Showroom. Im März fand die<br />
TefafinMaastricht noch real statt.Für<br />
die Herbstausgabe in New York gab es<br />
eine Absage.Stattdessen hat die Messe<br />
einen digitalen Showroom gebaut,der<br />
jeweils ein Werk in den Mittelpunkt<br />
stellt.Auch Interaktion zwischen den<br />
Besuchern soll möglich sein. Die deutsche<br />
Galerie Beck &Eggeling hat sich<br />
für eine Arbeit von GerhardHoehme<br />
entschieden.<br />
1.–4. November, www.tefaf.com<br />
Art Austria<br />
Museumsquartier. Messemacher Wolfgang<br />
Pelz übersiedelt mit der Art Austria<br />
vom Sommerpalais Liechtenstein in den<br />
Haupthof des Museumsquartiers. Dort<br />
errichtet er eine eigene Halle.Neu ist<br />
auch, dass jede Galerie auf einer eigenen<br />
Wand das persönliche Highlight des<br />
Angebots ins Rampenlicht rückt.Die<br />
Galerie Estermann &Messner etwahat<br />
„Ihr gegenüber Brücke“ von Martin<br />
Schnur gewählt.15.–18. Oktober,<br />
www.art-austria.info<br />
Hochhaus<br />
Herrengasse<br />
Ausstellung. Wo sich noch bis vor<br />
einem Jahr der Luxus-Showroom des<br />
Elektroauto-VorreitersTesla befand, gibt<br />
es jetzt Kunst.Das Hochhaus Herrengasse<br />
betreibt dort einen Pop-up-<br />
Space, den Galerien bespielen. Das<br />
vierte Quartal übernimmt die Galerie<br />
Ernst Hilger und zeigt Gunter Damisch<br />
und Peter Krawagner.Von Damisch ist<br />
die Skulptur „Flämmlerbogenkonstrukt“<br />
zu sehen. Viertes Quartal,<br />
www.hochhausherrengasse.at<br />
<strong>Kulturmagazin</strong> 49
Ketterer Kunst<br />
Marktfrisch. Wenn ein Werk zum ersten<br />
Mal auf den Markt kommt,sorgt das<br />
meist für Aufregung und großes Interesse.Bei<br />
Ernst Ludwig KirchnersGemälde<br />
„Unser Haus“ handelt es sich um so<br />
ein marktfrisches Werk. Es stammt direkt<br />
aus dem Nachlass des Künstlers<br />
und kommt im Dezember beim Münchner<br />
Auktionshaus Ketterer Kunst zum<br />
Aufruf.Esist auf 500.000–700.000<br />
Eurogeschätzt.11.–12. Dezember,<br />
www.kettererkunst.de<br />
W&K im Palais<br />
Werkschau. Nach der Ausstellung<br />
„Günter Brus“ im Vorjahr widmen<br />
Wienerroither &Kohlbacher einem<br />
zweiten Wiener Aktionisten eine Ausstellung.<br />
Gemeinsam mit der Galerie<br />
Konzett wirdimNovember eine umfangreiche<br />
Schau mit Gemälden und<br />
Fotografien von Otto Mühl im Palais<br />
Schönborn-Batthyány zu sehen sein,<br />
darunter auch „Ohne Titel (2 Tänzerinnen)“<br />
aus dem Jahr 1983.<br />
Ab 4. November, www.w-k.art<br />
Art &Antique<br />
Hofburg. AlexandraGraski-Hoffmann hat<br />
mit der Messe in Salzburgzur Festspielzeit<br />
trotz Corona gute Erfahrungen gemacht.Deshalb<br />
hat sie sich entschieden,<br />
auch die Herbstmesse in Wien zu machen.<br />
Geboten werden Kunst und Antiquitäten<br />
von der Antikebis zur Gegenwart.Die<br />
Galerie bei der Albertina Zetter<br />
bringt einen Keramikaufsatz von Michael<br />
Powolny,um19<strong>10</strong>. 5.–8. November,<br />
www.artantique-hofburg.at<br />
Fotos: Beigestellt; Galerie bei der Albertina •Zetter; VIENNA-ART-WEEK-2019_Foto_eSeL_at; Courtesy Galerie Johannes Faber<br />
50 <strong>Kulturmagazin</strong>
Dorotheum<br />
Classic Week. Das Bildnis der Madame<br />
Lebreton gab der Vater der<br />
Porträtierten, Andrea Antonini, 1908<br />
beim österreichischen Maler Eugen<br />
von Blaas in Auftrag. Es warein<br />
Hochzeitsgeschenk an seine Tochter.<br />
Dieses Gemälde ist eines der Toplose<br />
der Auktion „Gemälde des 19.<br />
Jahrhunderts“ im Rahmen der Auktionswoche<br />
im Dorotheum. Der<br />
Schätzwert beträgt 150.000–<br />
200.000 Euro. Ein weiterer Höhepunkt<br />
ist ein „Bauerngarten“ von Olga<br />
Wisinger-Florian.<br />
5.–<strong>10</strong>. November,<br />
www.dorotheum.com<br />
Dorotheum<br />
Contemporary Week. Klassische Moderne,<br />
Zeitgenössische Kunst,Juwelen und<br />
Uhren kommen im Dorotheum im November<br />
bei der Contemporary Week zur<br />
Versteigerung. Zu den Höhepunkten der<br />
Klassischen Moderne zählt das Gemälde<br />
„Dame in Rot vor einem blauen Hintergrund“<br />
des russisch-französischen<br />
Expressionisten Chaim Soutine.Der<br />
Schätzwert beträgt 1,5–2,5 Millionen<br />
Euro.<br />
24.–30. November, www.dorotheum.com<br />
<strong>Kulturmagazin</strong> 51
Artcurial Paris<br />
Asiatische Kunst. Chinesisches Porzellan,<br />
buddhistische Kunst,altertümliche<br />
Bronzen, Jade, traditionelle Malerei und<br />
Gravuren aus Ländern wie China, Japan,<br />
Kambodscha oder Indien, so vielfältig ist<br />
das Angebot asiatischer Kunst bei der<br />
Auktion im französischen Auktionshaus<br />
Artcurial. Zu den Toplosen der nächsten<br />
Auktion zählt ein Paar Porzellanschüsseln<br />
in Koralle.Die Taxe ist <strong>10</strong>.000 bis<br />
15.000 Euro.<br />
<strong>10</strong>. Dezember, www.artcurial.com<br />
Artcurial Paris<br />
Kunstsensation. Originale des belgischen<br />
ComiczeichnersHergé, bekannt<br />
für „Tim und Struppi“, brechen alle Rekorde.<br />
Artcurial bringt nun eine Sensation<br />
zum Aufruf: „Le Lotus bleu“, das als<br />
Cover für den gleichnamigen Band<br />
geplant war, wardem Verlag zu teuer.Also<br />
schenkte Hergé es dem Sohn des<br />
Verlegers. Jetzt kommt es für zwei bis<br />
drei Millionen Eurozur Auktion. 21. November,<br />
www.artcurial.com<br />
Im Kinsky<br />
Weihnachtsauktion. Statt mehrereAuktionen<br />
in unterschiedlichen Sparten im Herbst<br />
packt das Auktionshaus im Kinsky sämtliche<br />
Sparten in eine große dreitägige Weihnachtsauktion.<br />
Diese Auktion umfasst dann<br />
Kunst von den Alten Meistern bis zur Gegenwart,ergänzt<br />
von Antiquitäten, Jugendstil<br />
und Kunsthandwerk. In der Sparte „Gemälde<br />
des 19. Jahrhunderts“ kommt „Hortensien“<br />
von Olga Wisinger-Florian zum Aufruf.<br />
Es soll 350.000–700.000 Eurobringen.<br />
1.–3. Dezember, imkinsky.com<br />
Fotos: Olga Wisinger; Artcurial<br />
52 <strong>Kulturmagazin</strong>
MAC-HOFFMANN&COGMBH ©<strong>2020</strong><br />
Ausstellervorschau<br />
HOFBURG<br />
VIENNA<br />
05.BIS 08.11.20<br />
Die Messe für Kunst,<br />
Antiquitäten und Design<br />
Do-Sa: <strong>10</strong>-20 Uhr, So: <strong>10</strong>-18 Uhr<br />
artantique-hofburg.at
Art Cologne<br />
Im Doppelpack. Die Art Cologne musste<br />
coronabedingt die Messe im Frühjahr<br />
absagen und holt sie nun parallel zur<br />
Cologne Fine Art &Design im November<br />
nach. In Köln sind immer viele österreichische<br />
Galerien dabei. Heuer sind es<br />
13 Aussteller,darunter die Charim Galerie,<br />
die auf eine starkeweibliche Präsentation<br />
setzt.Sie zeigt unter anderem „Silicon<br />
Valley“von Dorit Margreiter.<br />
18.–22. November,<br />
www.artcologne.de<br />
Sotheby’s<br />
Artist Quarterly. Das Auktionshaus fördert<br />
mit der Ausstellungsserie Artist<br />
Quarterly junge Kunst.Imvierten Quartal<br />
bespielt Dominik Louda die Räume<br />
des Wiener Büros.Seine Malerei setzt<br />
sich mit Architektur und Raum auseinander.Seine<br />
bildlichen Konstruktionen,<br />
illusionistische Räume aus Beton, Holz,<br />
Stahl oder Glas,wirken spannungsgeladen.<br />
Bei Sotheby’s zeigt er neue Arbeiten.<br />
Oktober bis Dezemberw,<br />
www.sothebys.com<br />
Fotos: Beigestellt; Hergé Moulinsart <strong>2020</strong>; Dominik Louda<br />
54 <strong>Kulturmagazin</strong>
Zeitreise<br />
Österreichische Kunst aus 7Jahrzehnten –<br />
innovative Kunstvermittlung im Palais Kinsky<br />
ENTGELTLICHE EINSCHALTUNG<br />
Markus Prachensky<br />
rot auf weiß –Solitude –II, 1964<br />
Öl auf Leinwand; gerahmt<br />
<strong>10</strong>0 x<strong>16</strong>5 cm<br />
Xenia Hausner<br />
Borodino, 2019<br />
Öl auf 3<strong>10</strong> gHahnenmühle Bütten<br />
<strong>10</strong>0 x156 cm<br />
Fotos: Markus Prachensky; Xenia Hausner;<br />
Im Kinsky beschreitet man ab kommendem Montag<br />
mit dem Kunstraum einen neuen und innovativen<br />
Weg. Die Räume im Erdgeschoß des Palais werden<br />
im Oktober dazu genutzt, heimische Kunst zu<br />
präsentieren und einen umfangreichen Überblick über<br />
deren Entwicklung in den vergangenen 70 Jahren zu<br />
bieten. Dabei besteht für interessierte Besucher auch<br />
die Möglichkeit, die Werke käuflich zu erwerben.<br />
„Von Österreich gingen im19. und 20. Jahrhundert<br />
bedeutende Kunstrichtungen aus, eswar ein unbestrittener<br />
Mittelpunkt europäischer Kunst“, führt<br />
Nadine Kraus-Drasche, Mitkuratorin der Ausstellung,<br />
aus. „Diese Tradition hochzuhalten und sie dabei mit<br />
innovativen, originellen Konzepten zu bereichern, ist<br />
ein Merkmal der zeitgenössischen österreichischen<br />
Kunst.“ Mit dieser kann man nun im Kunstraum auf<br />
Tuchfühlung gehen –eine willkommene Gelegenheit<br />
für all jene, die den Zugang zur Kunst imFrühjahr<br />
schmerzlich vermisst haben.<br />
So sind wichtige Werke international anerkannter<br />
Künstler wie Max Weiler, Fritz Wotruba, Günter Brus<br />
oder Erwin Wurm Teil der Ausstellung. Die unterschiedliche<br />
Ausrichtung dieser Künstler macht den<br />
besonderen Reiz der Schau aus, ihre Vielfalt lädt zum<br />
Staunen ein. Überraschende Synergien ergeben sich<br />
durch die Hängung der Werke. Die Generation um<br />
Hans Bischoffshausen und Oswald Oberhuber tritt etwa<br />
in einen Dialog mit jüngeren Künstlern wie Herbert<br />
Brandl oder Tillman Kaiser und Markus Schinwald.<br />
Arrivierten Namen wie Markus Prachensky werden<br />
neuere Positionen wie jene der Künstlergruppe Gelitin<br />
gegenübergestellt. Auch den Malerinnen ist quer<br />
durch die Jahrzehnte ein Schwerpunkt gesetzt –von<br />
der Grande Dame Martha Jungwirth über Xenia Haus-<br />
Tipp<br />
AlleWerke sind ab sofort<br />
auch ineinem Online-Katalog<br />
zu besichtigen, über<br />
www.imkinsky.com<br />
Die Schau läuft vom 19. bis<br />
31. Oktober <strong>2020</strong>, jeweils<br />
Montag bis Freitag von 14bis<br />
20 Uhr und Samstag von<br />
11 bis 17 Uhr.<br />
ner und Suse Krawagna bis hin zu Bianca Regl.<br />
Insgesamt sind es rund 60 Künstler und Künstlerinnen<br />
aus den Bereichen Malerei und Bildhauerei, von denen<br />
über <strong>10</strong>0 Arbeiten im Kunstraum zu sehen sind. „Wir<br />
zeigen hier sieben Jahrzehnte Kunst, mit den wichtigsten<br />
Vertretern der einzelnen Kunstströmungen!“,<br />
so Kraus-Drasche. Damit will das Haus jedem Besucher<br />
ermöglichen, sich mit der österreichischen Kunst<br />
auseinanderzusetzen. Wer den Grundstein zu einer<br />
Sammlung legen möchte oder eine bereits vorhandene<br />
Kollektion aufzustocken vorhat, ist hier amrichtigen<br />
Ort. Ein Begleitprogramm mit Führungen sorgt für<br />
einen intensiven Austausch über die Werke, Veranstaltungen<br />
wie After-Work-Drinks bieten Kunstgenuss in<br />
entspannter Atmosphäre. Die Ausstellung ist aber<br />
auch ganz individuell ohne Voranmeldung zu besichtigen,<br />
alle Maßnahmen zum Schutz der Besucher wurden<br />
selbstverständlich getroffen.<br />
Das Kuratorenteam besteht aus den Eigentümern des<br />
Auktionshauses im Kinsky, Michael Kovacek und Dr.<br />
Ernst Ploil, sowie aus der Leiterin für Private Sales,<br />
Nadine Kraus-Drasche, und den Expertinnen für zeitgenössische<br />
Kunst Astrid Pfeiffer und Timea<br />
Pinter.<br />
„Unser Ausgangspunkt war einerseits, österreichischen<br />
Künstlern indieser herausfordernden<br />
Zeit eine Plattform zubieten“, erklärt<br />
Kraus-Drasche. „Andererseits halten wir<br />
immer nach innovativen Wegen Ausschau,<br />
um unserer Kundschaft abseits der traditionellen<br />
Auktionen etwas Neues zu bieten!“<br />
Beide Aspekte greifen nun im Kunstraum auf<br />
spannende Weise ineinander.<br />
Text von: Mag. Alexandra Markl<br />
<strong>Kulturmagazin</strong> 55
On Location<br />
MQ LIBELLE<br />
Beflügelte Terrasse<br />
Endlich istsie gelandet: Coronabedingtkonntedie Libelle, derneue<br />
VeranstaltungsraumamDachdes Leopold-Museums samtgrandioser<br />
Aussichtsterrasse,erstimSeptember stattimApril eröffnet werden.<br />
Die luftigeLeichtigkeit einer Libelle soll derBau aufdem Dach des<br />
Leopold-Museums widerspiegeln, so Architekt Laurids Ortner,der<br />
zusammenmit seinem Bruder auch die meistenanderen Bauten des<br />
MQ geplanthat.Eva Schlegelhat dieGlaswand der Libelle entworfen,<br />
vonBrigitte Kowanz stammen die ikonischen Beleuchtungskörper<br />
aufder Terrasse. Wiedas Programm desRaums weitergeht,ist allerdings<br />
noch unklar.Vom 1. November bis31. März istWinterpause.<br />
Foto: Hertha Hurnaus<br />
56 <strong>Kulturmagazin</strong>
GRABEN 13. <strong>10</strong><strong>10</strong> WIEN.<br />
www.heldwein.com<br />
Follow us on Social Media:<br />
@juwelierheldwein #juwelierheldwein
Signifikante Stimme. Ella Fitzgerald<br />
ist das gesangliche Vorbild von<br />
Anna B. Savage.<br />
„Sexualität ist<br />
Konversation“<br />
Anna B. Savage wuchs mit Mozart-Arien auf und<br />
singt über Masturbation. ImNovember kommt sie<br />
nach Wien, 2021 erscheint ihr erstes Album.<br />
Interview: Samir H. Köck<br />
Fotos: Ebru Yildiz<br />
58 <strong>Kulturmagazin</strong>
Die britische Musikerin Anna B. Savage kam nach Jahren<br />
des Herumirrens auf dem deutschen Label City<br />
Slang unter. Im Jänner 2021 erscheint ihr erstes<br />
Album „A Common Turn“. Mit dunkler Stimme geistert<br />
sie zwischen Melancholie und Aufbruch herum.<br />
Im November gastiert sie, die auf ihrem neuen Song „Chelsea<br />
Hotel #3“ das Tabuthema weibliche Masturbation behandelt,<br />
beim Wiener „Blue Bird Festival“ im Porgy &Bess.<br />
Ist Ihr Künstlername Anna B. Savage (zu Deutsch: Anna sei<br />
wild) auchgleichkünstlerisches Programm?<br />
Ich denke schon. Nur eine Kleinigkeit noch: Es ist tatsächlich mein<br />
Name. Nichts Ausgedachtes. Wenn man schon soeinen Namen<br />
trägt, dann sollteman ihm auch gerecht werden.<br />
Wie haben Sie die Musik als Möglichkeit eigenen Ausdrucks<br />
erkannt?<br />
Meine Eltern sind beide Opernsänger. Musik war immer bei uns<br />
präsent. Wahrscheinlich ist meine früheste musikalische Erinnerung<br />
die Arie der Königin der Nacht aus Mozarts „Zauberflöte“.<br />
Damals schlief ich noch im Gitterbett.<br />
Gabesaußer klassischerMusik nochandereFormen, die Sie als<br />
Kind kennenlernten?<br />
Der allergrößte Teil der Musik, der ich als Kind ausgesetzt war,<br />
war Klassik. Mozart-Opern waren meine größte Freude. Besonders<br />
hatte esmir „Figaros Hochzeit“ angetan. Daneben gab es<br />
noch Jazz und die Beatles. Im Familienkreis lief auch Ella Fitzgerald<br />
und Nat King Cole. Meine Geschwister sind um einiges älter<br />
als ich. Sie entwickelten ihren eigenen Musikgeschmack,der auch<br />
auf mich abfärbte. Bei meinem Bruder hörte ich Radiohead und<br />
Nick Drake, bei meiner Schwester Stevie Wonder und India Arie.<br />
Sie haben eine sehr signifikante Stimme. Hatten Sie jemals ein<br />
gesangliches Vorbild?<br />
Das war sicher Ella Fitzgerald. Ich habe sehr viele Stunden zu den<br />
Schallplatten gesungen und wohl auch versucht, sie zu kopieren.<br />
Ihr Timing ist unerreicht. Und da war soeine Leichtigkeit und<br />
Würde inihrem Gesang.<br />
Aber ihre Kunst war entschieden fröhlicher als das, was Sie<br />
machen. Wiegehtdas zusammen?<br />
Ich weiß es auch nicht genau. Vielleicht kommt meine Vorliebe für<br />
das Düsterevon derOper.<br />
In welchemTeilvon London wuchsen Sie eigentlichauf?<br />
In Crouch End, also Nord-London. Es istbeinah idyllisch.<br />
Aber der Jazz spielt sich inLondon, sieht man von Soho ab, in<br />
Ost-London ab. Sie haben vor ein paar Jahren ein Livealbum im<br />
berühmten Cafe Oto aufgenommen. Wiekam das?<br />
Ich durfte das Vorprogramm eines Konzerts der norwegischen<br />
Sängerin Jenny Hval bestreiten. Der Toningenieur des Clubs stellte<br />
sich als Freund meines Tourmanagers heraus. Und sofragte er<br />
mich, ob er aufnehmen solle. Im Zweifel warenwir dafür.AmEnde<br />
fanden wir die Aufnahmen gut und veröffentlichten sie als EP auf<br />
Vinyl. Es war interesssant für mich, die Stücke soabgespeckt zu<br />
hören. NurGitarreund meine Stimme.<br />
Was hat Sie zu dem darauf enthaltenen Song „Also Human“<br />
inspiriert?<br />
Das Lied handelt von einer meiner besten Freundinnen,<br />
die den Hang zur Einzelgängerin hat. Es ist<br />
ein Song über Unsicherheit. Schwächen gehören<br />
für mich zum Menschsein. Es ist eine Art Liebeslied<br />
an sie.<br />
Sie bereiten gerade Ihr leicht verspätetesDebütalbum<br />
vor. Welche Schritte ziehen Sie in Erwägung?<br />
Das ist derzeit eine Art Millionen-Dollar-Frage. Die<br />
Pandemie macht längerfristigePlanung fast unmög-<br />
Tipp<br />
Blue BirdFestival. Vom<br />
19.bis 21. November <strong>2020</strong><br />
im Porgy&Bess. Mit<br />
Anna B. Savage,Garish,<br />
Alicia Edelweiss, Konni<br />
Kass, ThisIsthe Kit.<br />
lich. Die Veröffentlichung wurde jetzt einmal verschoben. Mein<br />
ästhetisches Ziel war auf jeden Fall, ein Album zu machen, das<br />
mit jedem Hördurchgang wächst. So richtig radiotauglich ist<br />
meine Musik nicht. Dafällt dann schon viel weg, was Marketingstrategien<br />
anbelangt.<br />
WiehabenSie denCovid-19-Lockdown verbracht?<br />
Ich war in Bristol, wo meine Geschwister leben. Ich fand es ziemlich<br />
schwierig, die ganze Zeit so unabgelenkt von mir selbst zu<br />
sein. Und soversuchte ich ein bisschen etwas zulernen, schaute<br />
mir ein paar YouTube-Masterclasses an. Viel gelesen habe ich.<br />
Und natürlich Songs geschrieben. Ich war nicht krank und habe<br />
das Beste daraus gemacht.<br />
Wird das Lied „Dead Pursuits“ Teil Ihres Albums sein? Und<br />
worumgehtesda?<br />
Es ist mein Lamento auf die Musikindustrie. Was ich nicht alles<br />
probiert habe, ohne dass etwas passiert ist. Das Komponieren ist<br />
nur die eine Seite. Wesentlich schwieriger ist es, Leute inder<br />
Industrie dazu zu bringen, deine Songs anzuhören. Umso besser<br />
fühlt es sich jetzt an, dass ich endlich ein Label gefunden habe.<br />
Sie litten eine Zeit lang auch unter einer Schreibhemmung. Wie<br />
habenSie diese überwunden?<br />
Das ging einige Jahre so. Als Hauptgrund entpuppte sich schließlich<br />
eine ziemlich toxische Beziehung. Sobald ich da raus war,<br />
ging es bergauf. Ich hangelte mich entlang von Coverversionen<br />
wieder zurück zur eigenen Kreativität. Die Lieder anderer öffneten<br />
mich wieder. Zusätzlich las ich viele Romane und Gedichtbände.<br />
Das lockerte mich.<br />
Favorisieren Sie eine bestimmte Dekade in der Popmusikhistorie?<br />
Es ist nicht leicht. Ich bin ein Kind der 1990er-Jahre. Wahrscheinlich<br />
sind es ohnehin die Neunziger mit Radiohead und Jeff<br />
Buckley. Grungeund Emo sind die Strömungen, die mich wohl am<br />
meisten geprägt haben.<br />
Wasist IhreDefinition eines gutenSongs?<br />
Diesbezüglich bin ich gespalten. Als Tochter eines Opernsängerpaars<br />
will ich, dass ein Lied interessant ist. Der andere Teil von<br />
mir will schlicht beim Hören etwas fühlen. In meiner Musik will<br />
ich diese beiden Teile meines Ichs zusammenführen.<br />
Ist einegewisse Perfektion wichtig?<br />
Keinesfalls. Für mich wenigstens nicht.ImGegenteil. Ichhabe mich<br />
lange Zeit damit herumgeschlagen zu glauben, dass ich nicht gut<br />
genug sei. Der Feind alles Kreativen ist für mich der Glaube an<br />
Perfektion.<br />
Einer Ihrer neuen Songs, „Chelsea Hotel #3“, steht in gewisser<br />
Beziehung zuLeonard Cohens „Chelsea Hotel #2“. Wie kommt<br />
das?<br />
Angeregt von dem Roman „I Love Dick“ von Chris Kraus wollte<br />
ich einen Song über weibliche Selbstbefriedigung schreiben, als<br />
ich dieses Cohen-Lied zu Gehör bekam. Mir gefiel die saloppe<br />
Art, wie Cohen über seine sexuelle Begegnung mit Janis Joplin<br />
berichtet. Inmeinem Song geht es darum, das einzementierte<br />
Verhältnis von Muse und Künstler umzukehren. Es ödet mich<br />
an, dass Musen immer Frauen sein müssen. Es kann doch<br />
genauso gut andersrum sein.<br />
Sehen Sie Verbesserungen im Verhältnis von Frauen<br />
und Männern in denletzten Jahren?<br />
Ja, auf jeden Fall. Die Menschen sind mittlerweile<br />
viel eher bereit, nicht nur mit ihrem Partner über<br />
alles zusprechen. Basis einer guten Beziehung ist<br />
exzellente Konversation. Sexualität ist jaauch eine<br />
Form von Konversation. Das verstehen mittlerweile<br />
viel mehr Menschen. Wie ich hoffe, auch außerhalb<br />
meiner digitalen Echokammer... e<br />
<strong>Kulturmagazin</strong> 59
„Der Ruhm<br />
verblasst schnell“<br />
Jamie Cullum, mittlerweile 41Jahre alt, wirkt immer<br />
noch unverschämt „boyish“. Mit seinem Album „Taller“<br />
gastiert erEnde Jänner 2021 im Wiener Konzerthaus.<br />
Text: Samir H. Köck<br />
Qurilig. Das Brennen, der Drang zu komponieren<br />
hören bei Jamie Cullum nie auf.<br />
Fotos: Universal Music;<br />
60 <strong>Kulturmagazin</strong>
Humor besitzt Jamie Cullum nicht<br />
zu wenig.„IwishIwastaller“ sang<br />
er im Titelsong seines letzten<br />
regulären Albums. Er, der mit der<br />
einen Kopf größeren Fernsehköchin<br />
Sophie Dahl, der Enkelin des berühmten<br />
Schriftstellers Roald Dahl, glücklich ist. Seit<br />
vielen Jahren schon. Ist man als kleinwüchsiger<br />
Mann getriebener, was den Erfolg<br />
anlangt, weil ja so viele Künstler und<br />
Geschäftsleute eher Zwergerln als Riesen<br />
sind? Cullum hält einen Moment inne und<br />
setzt seine seriöse Miene auf. „Das ist mir<br />
zu simpel gedacht.Inmeinem Fall kann ich<br />
ehrlich sagen, dass meine Körpergröße keinesfalls<br />
meinen Charakter mitgeformt hat.<br />
Dieses ganze Genecktwerden habe ich<br />
nicht allzu ernst genommen. Es war viel<br />
eher meine intensive Liebe zur Musik, die<br />
mich dorthin gebracht hat, wo ich heute<br />
stehe.“<br />
Anders als so mancher Kollege hat esCullum<br />
dauerhaft geschafft, sich an der Spitze<br />
zu halten. Dies durch mehrerlei Strategien.<br />
Eine davon war sicher sein breites Interesse<br />
an Musik. Immer wieder integrierte<br />
er Songs aus ganz anderen Genres in seine<br />
jazzige Mischkulanz. Lieder von Pharrell<br />
Williams, von Rihanna oder den europäischen<br />
Clubhit „I Took aPill in Ibiza“ von<br />
Mike Posner. Dieser furchtlose Zugang zur<br />
Musik, den er sicher aus der Zeit als Hochzeitsmusiker<br />
herübergerettet hat, zeichnet<br />
ihn genauso aus wie seine Rasanz und sein<br />
Gusto, Coverversionen erbarmungslos zu<br />
dynamisieren.<br />
Poppig wie nie. Der 1979 in Essex geborene<br />
Brite Jamie Cullum hat sich seine<br />
Kunst autodidaktisch beigebracht. Zudem<br />
verwandelte ersich praktisch in Bestzeit<br />
von einem bloßen Interpreten zu einem<br />
gestandenen SingerSongwriter. Seit er<br />
2003 zum „Rising Star“ bei den British Jazz<br />
Awards gekürt worden war, arbeitete er<br />
sich rasch an die Spitze und machte Weltkarriere<br />
mit einem unverschämt charmanten<br />
Mix aus Jazz und Pop. Auf seiner musikalischen<br />
Reise hat er mit so unterschiedlichen<br />
Künstlern wie dem Count Basie<br />
Orchestra und Pharrell Williams, Dan the<br />
Automator und Gregory Porter gearbeitet.<br />
Seine bislang acht Alben demonstrieren in<br />
ihrer Unterschiedlichkeit das künstlerische<br />
Spektrum desunverschämt jung aussehenden<br />
Vierzigjährigen. Das 2013 edierte<br />
„Momentum“, das den oft unmerklichen<br />
Wechsel von Adoleszenz zum Erwachsensein<br />
thematisiert, zeigte ihn poppig wie<br />
nie. Auf dem Nachfolger „Interlude“ unterzieht<br />
er Jazzklassiker und Popraritäten von<br />
Sufjan Stevens bis Randy Newman einer<br />
Frischzellenkur àlaNostalgia 77. Was zieht<br />
ihn so an der Popmusik an, dass er sie<br />
unerlässlich findet, wenn es um die<br />
Erneuerung des Vokaljazz geht? „Ob meine<br />
Musik unter Pop oder Jazz rubriziert wird,<br />
ist mir egal. Wenn ich mich auf einen klarenJazzsound<br />
beschränken würde, wäre es<br />
viel härter, in meinen Eigenkompositionen<br />
konzise Statements zu machen. Da wäre<br />
ich dazu gezwungen, permanent vertrackte<br />
Akkordwechsel und clevere Taktarten<br />
auszuhecken. Als Komponist kann es<br />
einen langweilen, an solche Dinge zudenken,<br />
wenn man eine klare emotionale Botschaft<br />
vermitteln will.“ Jeder, der ihn schon<br />
einmal live gesehen hat, schwärmt von seiner<br />
Quecksilbrigkeit, die ihn zuweilen verleitet,<br />
mit billigen Turnschuhen auf teure<br />
Flügel zuspringen. Eindeutig war bislang,<br />
dass es wichtiger war, mit Traditionen zu<br />
brechen, als ihnen brav zu folgen.<br />
Das ist nun ein wenig anders. Erstmals hat<br />
er eine Weihnachtsplatte aufgenommen.<br />
„The Pianoman at Christmas“ heißt das<br />
Werk.Und man kann davonausgehen, dass<br />
es eines der besten des Festtagsgenres sein<br />
wird. Dass es auf einer Höhe mit den wirklich<br />
gut ins anspruchsvolle Ohr gehenden<br />
X-MasAlben von John Legend, Michael<br />
Bublé und Robbie Williams sein wird. Von<br />
diesen Liedern, so schön sie auch sein<br />
mögen, wirderdann im Jänner,wenn er im<br />
Wiener Konzerthaus gastieren wird, nichts<br />
hören lassen. Egal.<br />
Auf dem eingangs erwähnten aktuellen<br />
Album „Taller“ hat ersich konzeptuell wieder<br />
mehr dem Jazz zugewandt.Ein bewusster<br />
Akt? „Im Grunde gibt es kein Album<br />
ohne zumindest unbewusstes Konzept.<br />
Aber diesmal war esein ganz bewusster<br />
Schritt, wieder mehr in den Jazz abzutauchen.<br />
Und zwar einen Jazz, der ganz und<br />
gar ins 21. Jahrhundert gehört. Ich habe<br />
sehr sorgfältig darauf geachtet, dass es<br />
ganz modern klingt. Da gibt es kräftigere<br />
Tipp<br />
„Taller“. Am 30. Jänner 2021 ist<br />
Jamie Cullum im Wiener Konzerthaus<br />
zu hören,<br />
www.konzerthaus.at<br />
„The Pianoman at Christmas“.<br />
Das Album erscheint im Oktober<br />
bei Universal Music,<br />
www.universalmusic.com<br />
Schlagzeugsounds, programmierte Passagen<br />
und ein paar Synthesizer und ganz<br />
zum Schluss eine FourtothefloorNummer<br />
mit Housebeats. Kurioserweise klingt<br />
der Opener, eine Nummer, die ich mit dem<br />
CountBasieOrchestra aufnahm, viel kräftiger<br />
als allesandere.“<br />
Britischer Jazz erneuert sich. Der Stilmix<br />
fiel diesmal nicht so abenteuerlich aus wie<br />
früher. Hat sich sein Geschmack verändert?<br />
„Nein. Die grundsätzliche Ausrichtung<br />
auf den ganz großen Horizont, die<br />
habe ich mir immer bewahren können.<br />
Früher haben mich Akkordfortschreitungensehr<br />
reizen können, heutzutagesind es<br />
gute Texte wie jene von Nick Cave, den ich<br />
heute viel lieber höre als früher. Er hat<br />
stark an Tiefe gewonnen. Ich liebe die<br />
Arbeit von sounterschiedlichen Kollegen<br />
wie Tom Misch und Shabaka Hutchings.<br />
Der Jazz erfährt gerade eine richtige<br />
Erneuerung in England. Es gibt so viele<br />
junge Musiker, die an Herausforderungen<br />
interessiert sind. Und immer mehr von<br />
„Der Jazz erfährtgeradeeine Erneuerung in<br />
England. Es gibt so viele jungeMusiker,die an<br />
Herausforderungen interessiertsind.“<br />
diesen Instrumentalisten sind Frauen.<br />
Wenigstens das stimmt mich optimistisch.“<br />
Cullum beherrscht die hohe Kunst des<br />
Rückzugs. Nach Jahren im Scheinwerferlicht<br />
verschwindet er zwischendurch für<br />
längere Zeit in die Anonymität. Das „Star<br />
Game“spielt er nicht gern. Wasgenoss er in<br />
diesen Phasen des Rückzugs am meisten?<br />
„Ganz simple Dinge. Ich hing in Pubs ab,<br />
fuhr mit meinem Fahrrad herum, besuchte<br />
meine Eltern, spielte Tennis und Fußball,<br />
versuchte mich in der Kochkunst und<br />
pflegte immer wieder mal ein Mittagsschläfchen<br />
zu halten.“<br />
Nie Angst gehabt, die mühevoll aufgebaute<br />
Karriere damit zu gefährden? „Es stimmt<br />
schon, heutzutage verblasst der Ruhm<br />
ziemlich schnell. Aber ich hoffte immer,<br />
dass meine Bekanntheit auf meinen musikalischen<br />
Qualitäten basiert. Mein Gehirn<br />
war vom vielen Trubel meines jähen Karriereaufschwungs<br />
geröstet. Ich hatte<br />
unendlich großes Schlafbedürfnis. Dem<br />
folgte ich und wartete darauf, bis wieder<br />
dieses Brennen in mir aufkam, dieser<br />
Drang zu komponieren und zu spielen. Das<br />
passierte dann überraschend schnell. Ich<br />
komponierte schon nach einem Monat<br />
wieder. Allerdings nur zum Spaß und<br />
Songs, die die Öffentlichkeit niemals zu<br />
hören bekommt.“ e<br />
<strong>Kulturmagazin</strong> 61
Weinviertler. Alle acht Skolka-Musiker stammen<br />
von dort.Der Dialekt ist ihr Markenzeichen.<br />
Tanzbodenfeger<br />
aus dem Weinviertel<br />
Kerniger Ska und satte Polkabeats versetzt<br />
mit geschmeidigem Reggae: Das ist der<br />
Sound von Skolka. Gemeinsam mit Otto Jaus<br />
hat die Band gerade eine neue, nostalgische<br />
Single herausgebracht: „Domois, wia ma<br />
Kinder woan.“<br />
Text: Daniela Tomasovsky<br />
62 <strong>Kulturmagazin</strong><br />
Sie haben im Weizenfeld ein Kinderzimmer<br />
aufgebaut, mit Retrotapeten,<br />
Festnetztelefon, Spielen,<br />
alten Fotos und Fanta aus 80er<br />
JahreFlaschen. „Domois, wia ma Kinder<br />
woan“ ist der jüngste Streich der Weinviertler<br />
CrossoverBand Skolka, die Single<br />
kam Ende August heraus, Otto Jaus ist als<br />
Überraschungsgast mit an Bord. „AHittn<br />
zum Verstecken, der Kopf voll Fantasie“...<br />
Erinnerungen an die Kindheit werden zu<br />
groovigen Beats heraufbeschworen. Und<br />
die Kindheit haben sie gemeinsam, die acht<br />
Musiker von Skolka und der Sänger und<br />
Kabarettist Otto Jaus (der sonst mit Paul<br />
Pizzera als Duo auftritt). Sie alle sind im<br />
Weinviertel groß geworden, der Dialekt ist<br />
zu einem Markenzeichen von Skolka<br />
geworden. Seit 2008/09 musizieren Judith<br />
Frank (Gesang), Thomas Rieder (Gitarre/<br />
Fotos: Michael Reidinger
Gesang), Raffael Schimpf (Bass), Gerald<br />
Schwent (Schlagzeug), Christoph Schödl<br />
(Posaune/Gesang), Roman Leisser<br />
(Posaune), Christoph Nadler (Trompete)<br />
und Bernd Treimer (Trompete) als Band<br />
miteinander, anfangs als Coverband und<br />
mit englischen Liedern.<br />
Tanzbar. Viel experimentiertwurde in frühen<br />
Jahren, 2012 wurde dann die heutige<br />
Band gegründet: Skolka. Der Name setzt<br />
sich aus den Musikstilen Ska und Polka<br />
zusammen. „Bob Marley und die amerikanische<br />
Ska-Punk-Band Mad Caddies haben<br />
uns inspiriert“, erzählt Trompeter Christoph<br />
Nadler. Getanzt werden soll zu ihren<br />
Liedern, daher die Polka, und auch auf den<br />
Dialektgesang einigte man sich schnell.<br />
„Das gab es damals noch kaum. Wirwollten<br />
uns einfach so ausdrücken können, wie wir<br />
es gewohnt sind. Im Englischen kommt das<br />
nicht so authentisch rüber“, so Nadler.<br />
Anfangs traten Skolka als Vorgruppe auf,<br />
etwa von Russkaja, La Brass Banda, Clara<br />
Luzia, Wanda oder Seiler und Speer. 2013<br />
erschien ihr erstes Mini-Album „Gemma<br />
Gemma“, das gleich mal in die Top 40der<br />
österreichischen Charts einstieg.<br />
„Daunzboa“, also tanzbar aufHochdeutsch,<br />
war das erste reguläre Album der Band,<br />
beim Spielberg Musikfestival, dem Donauinselfest<br />
und dem Nova Rock tourten sie<br />
damit und trafen mit ihren Texten den Spirit<br />
ihrer Generation. „Wenn die Gstriegelten<br />
wieder am Sudern san, machs dir<br />
chillig hier am Uferstrand“, singen sie etwa<br />
in „Leiwaund“. Gefühlig-entspannt geht es<br />
auch in „Roda Klee“ zu: „Wir ernähren uns<br />
von Liebe, Luft und Licht. Wir versumpern<br />
unten am See, schlafen ein im rotenKlee.“<br />
Sie können aber auch anders: Bei Liveauf-<br />
Der Dialekt istauch in Kroatien kein Hindernis.<br />
Musik versteht man auch ohne Sprache.<br />
tritten forcieren Skolka vorrangig ihre<br />
Tanzbodenfeger, allesamt Eigenkompositionen:<br />
„Heit geht’srund“, „Adrenalin“oder<br />
„Auf geht’s“. „Die Nacht ist jung, jetzt gemmas<br />
an, es juckt in’d Fiaß, treibt di voran“,<br />
heißt es da zu schmissigen Beats des<br />
Oktetts. „Wir spielen ausschließlich auf<br />
analogen Instrumenten, das gehört zu<br />
unseren Markenzeichen“, sagtNadler.<br />
Neue Ideen. <strong>2020</strong> durchkreuzte Corona<br />
die Tourpläne, die meisten Konzerte wurden<br />
aufs nächsteJahr verschoben: Etwa die<br />
Burg Clam, das Nova Rock Festival, Freiklang<br />
auf der Ruine Falkenstein und natürlich<br />
die Auftritte imAusland. Wie ging es<br />
der Band im Lockdown? „Am Anfang war<br />
es schon zach. Aber wir hatten seit Längeremgeplant,neue<br />
Stückezuschreiben, das<br />
war dann ein guter Anlass, um Ideen zu<br />
sammeln“, sagt Nadler. Sobald es wieder<br />
möglich war, trafen sie sich im Studio und<br />
probten miteinander. „Wir leben alle nicht<br />
Tipp<br />
„Wia ma Kinder woan“, feat.<br />
Otto Jaus. Die Single ist Ende<br />
August <strong>2020</strong> erschienen.<br />
Bisherige Alben: „Dammawos“,<br />
„daunzboa“, „Gemma<br />
Gemma“. Livetermine sind<br />
für heuer unsicher, gibt’s<br />
kurzfristig auf der Website<br />
www.skolkamusik.at oder auf<br />
den SocialMediaKanälen.<br />
von der Band, aber natürlich suchen wir<br />
Kanäle, um unsere Musik unter die Leute<br />
zu bringen, vor allem, da Liveauftritte<br />
momentan kaum möglich sind. Als Nachwuchskünstler<br />
ist esaber schwierig, eine<br />
größere Reichweite zuerlangen, die großen<br />
Radiostationen blocken da eher ab“,<br />
meint der Trompeter, der im Brotberuf in<br />
einer Musikschule unterrichtet.<br />
Social-Media-Kanäle wie Facebook, Instagram<br />
oder YouTube spielen eine umso größereRolle.„Das<br />
sind unsereHauptkommunikationskanäle,<br />
um Konzerttermine zu<br />
promoten oder Einblicke ins Bandleben zu<br />
geben.“ Auch danutzt hin und wieder ein<br />
Reichweitenverstärker. „DiePuls-4-Castingshow<br />
,Ein Herz von Österreich‘ hat uns<br />
nach vorn katapultiert und viele Klicks auf<br />
YouTube gebracht.“<br />
Apropos Auslandsauftritte –ist dader Dialekt<br />
kein Hindernis? „Wir spielen viel im<br />
süddeutschen Raum –Bayern ist jaimmerhin<br />
so groß wie Österreich –oder in der<br />
Schweiz, etwa beim Alpenklang Festival.<br />
Aber wir haben auch in Kroatien oder Bratislava<br />
gespielt, die Musik verbindet, viele<br />
Songs versteht man auch ohne Sprache.“<br />
Dass auch Anliegenvon Frauen in der männerdominierten<br />
Band zum Ausdruck kommen,<br />
dafür sorgt Frontfrau Judith Frank.<br />
Etwa mit „He Madl“. „Steh auf, gspier di,<br />
lass die Masknfalln, feier di söbst“, heißtes<br />
da. Zukunftspläne hat die Band viele, die<br />
Coronalage macht die Planung schwer.<br />
Trotzdem: „Spielen, spielen, spielen“ lautet<br />
das Motto. e<br />
MOZ ARTWOC HE<br />
2021<br />
2 1<br />
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2 1<br />
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–<br />
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3 1<br />
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Konzerte<br />
Wissenschaft<br />
Museen
Josh Lovell. Der junge kanadische Tenor<br />
singt die Hauptrolle, Noboru.<br />
Simone Young. Die Dirigentin leitet die<br />
Premiereander Wiener Staatsoper.<br />
Die Sogwirkung<br />
einer Buberlbande<br />
Wie aus zarten Knaben blutrünstige<br />
Mörder werden, zeigt Hans Werner<br />
Henzes Oper „Das verratene Meer“.<br />
Text: Wilhelm Sinkovicz<br />
Sergio Morabito. Der Chefdramaturg<br />
der Wiener Staatsoper führt Regie.<br />
Bo Skovhus. Der dänische Bariton<br />
gibt den Offizier Ryuji.<br />
64 <strong>Kulturmagazin</strong>
Fotos: Simon Pauly; Berthold Fabricius; Klara Beck; Roland Unger;<br />
Mit den Nachwehen der Achtundsechziger-Bewegung<br />
hatte sich<br />
der deutsche Komponist Hans<br />
Werner Henze völlig aus den<br />
Opernhäusern und Konzertsälen der Welt<br />
zurückgezogen. Er wollte „engagierte<br />
Musik“ machen, ging eine Zeit lang nach<br />
Kuba und verfasste, wenn schon, Opern<br />
nach Texten von Edward Bond mit sozialkritisch-revolutionärem<br />
Inhalt. Dabei war<br />
Henze in den späten Fünfziger- und frühen<br />
Sechzigerjahren zum Liebkind des Musik-<br />
Establishments geworden: Er war nach Italien<br />
gegangen, wo man freizügiger leben<br />
konnte injenen Jahren. Er schrieb Musik<br />
zwischen Neutönerei und der Liebe zu zartenMelodien<br />
und schlichter Harmonik und<br />
positionierte sich damit zwischen allen<br />
Stühlen: Den Avantgardisten zu altmodisch,<br />
dem Publikum zu modern. Henze<br />
hielt den Zwiespalt nicht mehr aus und<br />
sonderte sich weiter ab –beziehungsweise<br />
warf sich in die Arme der engagierten Linken.<br />
Doch auch das hatte ein Ablaufdatum:<br />
Die Oper „Das verratene Meer“ markierte<br />
so etwas wie die Rückkehr des Komponisten<br />
ins allgemeine Musikleben. Henze war<br />
sich seiner sicher geworden und schrieb<br />
einfach nur noch Stücke, auf die er Lust<br />
hatte–ohne Rücksicht aufästhetische Doktrinen<br />
oder politische Wegweiser.<br />
Bezeichnend dafür ist, dass die Vorlage<br />
zum „verratenen Meer“ von einem ausdrücklich<br />
der japanischen „Rechten“ zuzuordnenden,<br />
wenn auch äußerst populären<br />
Autorstammt: Yukio Mishima hatsich nach<br />
einem von ihm selbst mitorganisierten<br />
Putschversuch zur Wiedereinsetzung der<br />
absoluten Monarchie 1970 das Leben<br />
genommen.<br />
rien ansetzen. Es wirddargestellt,wie Menschen<br />
einander begegnen und wasdie Konsequenzen<br />
der Begegnungen sind.“<br />
Mit entsprechendem „Abstand“ hat man<br />
also bei einer Präsentation des Werks an<br />
der Wiener Staatsoper die Handlung zu<br />
dechiffrieren. Im Wesentlichen geht es um<br />
die rituellen, quasireligiösen Handlungen<br />
einer japanischen Jugendgruppe, die es<br />
sich zum Ziel macht, ihre Prinzipien gegen<br />
Eindringlinge von außen zu verteidigen,<br />
und die dabei vor dem Äußersten nicht<br />
zurückschreckt.<br />
Der Verrat. Opfer der Aktion istRyuji, Offizier<br />
der japanischen Handelsmarine, der<br />
sich in die 33-jährige, ebenso schöne wie<br />
wohlhabende WitweFusakoverliebt.Fusakos<br />
Sohn Noboru, Mitglied der Jugendbande,<br />
ist zunächst interessiert anseinem<br />
„Stiefvater“, doch als offenbar wird, dass<br />
der Offizier seinen Dienst quittiert, um mit<br />
Fusako zu leben, ändert sich die Lage<br />
schlagartig: Die jungen Burschen sehen in<br />
dem Offizier einen Abtrünnigen, der „das<br />
Meer verraten“ hat. Die Geschichte, die<br />
Henze zu den Worten seines Librettisten<br />
Hans-Ulrich Treichel erzählt, handelt vom<br />
langsamen Ablösungsprozess des Burschen,<br />
seinen erotischen Beobachtungen<br />
bei den nächtlichen Zusammenkünften seiner<br />
Mutter mit ihrem Geliebten. Und von<br />
der schleichenden Infiltration durch das<br />
Gedankengut der jungen Männer, die am<br />
Ende des ersten Teils der Oper eine Katze<br />
schlachten –was sich zuletzt als Generalprobe<br />
für die rituelle Opferung Ryujis entpuppt,<br />
mit der der spiegelbildlich zum erstenangelegtezweiteTeil<br />
der Oper schließt.<br />
In Henzes Charakterisierung der Figuren<br />
gibt es nicht Gut, nicht Böse: „Jede Frau<br />
kann sich mit Fusako identifizieren, jeder<br />
Mann mit Ryuji. Undjeder Mensch mit dem<br />
Anfänger,dem es zustößt,imCollege einen<br />
Anführer kennenzulernen und in seine<br />
Gang von knabenhaften, altklugen Schulkameraden<br />
integriertzuwerden.“<br />
Der Komponist möchte keine Verurteilungen<br />
vornehmen: „Es ist wichtig, dass diese<br />
Jungens wie normale oder besser: über-<br />
Tipp<br />
„Das verratene Meer“. Die<br />
Premiereder szenischen<br />
Erstaufführung in deutscher<br />
Sprache findet am 13. Dezember<br />
in der Wiener Staatsoper<br />
statt.Dirigentin: Simone<br />
Young. Regie: Jossi Wieler<br />
und Sergio Morabito.Mit<br />
Josh Lovell, Bo Skovhus,<br />
Vera-Lotte Boecker.<br />
Es geht um die rituellen<br />
Handlungen einer<br />
japanischen Jugendgruppe,<br />
die vordem<br />
Äußersten nicht<br />
zurückschreckt.<br />
Psychoanalyse als Inspiration. Sein<br />
Roman „Gogo NoEiko“ wurde zur Grundlage<br />
von Henzes Oper, für deren Stil und<br />
Anlageder Komponist ausdrücklich Vorbilder<br />
nennt, die weit weg weisen von seiner<br />
jüngeren, engagierten Künstlervergangenheit:<br />
Ein Essay von Auden, „das Theater<br />
Racines und Corneilles“ und, man höre<br />
und staune, „das post-wagnerische Musikdrama<br />
und die Psychoanalyse“ seien, so<br />
Henze, „wesentliche Inspirationsquellen<br />
für diese im modernen Japan angesiedelte<br />
Liebestragödie“gewesen.<br />
Es war Henze auch wichtig, darauf hinzuweisen,<br />
„dass das Stück keine Moral im<br />
westlichen Sinn hat. Es geschehen die<br />
Dinge schicksalhaft, d.h.wie durch Zufall,<br />
wie in der Natur. Wir dürfen nicht richten,<br />
dürfen keine christlich-westlichen Kritedurchschnittlich<br />
begabte ,college boys‘<br />
sich benehmen, wir müssen sie mögen, wir<br />
müssen besonders mit Noboru sympathisieren,<br />
der Hauptrolle der Oper.“<br />
Entsprechend ergeht HenzesAufforderung<br />
an die Regisseure und die Darsteller der<br />
Jugendbande: „Sie sind keine Perversen<br />
oder Skinheads oder Rocker, dies sind<br />
zarte, verletzte Wesen, deren Spielereien<br />
irgendwann einmal, sozusagen durch den<br />
Unglücksfall einer zerebralen Missfunktion<br />
hervorgerufen, in tödliche Wirklichkeit<br />
umschlagen. Aber sie sind keine Kriminellen.<br />
Es stößt ihnen etwas zu. Ein geistiges<br />
Abenteuer, das zu weit geht, außer Kontrolle<br />
gerät:die Grenzüberschreitung.“<br />
Henzes Partitur ist ein Musterbeispiel für<br />
die von diesem Komponisten jahrzehntelang<br />
kultivierte Polystilistik, die vieles von<br />
der sogenannten Postmoderne vorweggenommen<br />
hat, aber auch dort, wo sie zwischen<br />
avantgardistischen Praktiken und<br />
Elementen der Unterhaltungsmusik vermittelt,<br />
stets unverwechselbar die Handschrift<br />
Henzes trägt. In den Szenen der<br />
Jugendbande Noborus greift der Komponist<br />
sogar auf Techniken des Renaissance-<br />
Madrigals zurück: Die fünfstimmigen<br />
Ensembles der Jugendlichen sind für alle<br />
Männerstimmlagen gesetzt: vom Countertenor<br />
bis zum Bass. Sie bilden mit scharf<br />
geschliffenen, nervös-vielschichtigen<br />
Rhythmen den Gegenpol zur schwärmerischen<br />
Musik der „Erwachsenen“.<br />
Einen breiteren Stellenwert als gewohnt<br />
nehmen in diesem Werk die Kommentare<br />
der Handlung durch das groß besetzte<br />
Orchester ein: Die Zwischenspiele sind oft<br />
minutenlang und symbolisierendie Stimme<br />
derNatur,des „verratenen Meers“.<br />
Die österreichische Erstaufführung der<br />
Oper fand in japanischer Sprache unter<br />
dem Titel „Gogo NoEiko“ bei den Salzburger<br />
Festspielen statt. Die Wiener Staatsoper<br />
zeigt die szenische Erstaufführung in deutscher<br />
Sprache mit Vera-Lotte Boecker als<br />
Fusako, Josh Lovell als Noboru und Bo Skovhus<br />
als Ryuji. Simone Young dirigiert, Jossi<br />
Wieler und Sergio Morabito inszenieren in<br />
Bühnenbildern vonAnna Viebrock. e<br />
<strong>Kulturmagazin</strong> 65
Kuriose<br />
Meisterwerke<br />
Maddalena del Gobbo lässt im<br />
Musikverein die Viola daGamba in<br />
all ihren Spielarten erklingen.<br />
Text: Wilhelm Sinkovicz<br />
Otto Biba, langjähriger Direktor<br />
des Archivs der Gesellschaft der<br />
Musikfreunde in Wien – und<br />
damit Herr über eine der wertvollsten<br />
Musikaliensammlungen der Welt –,<br />
hat eine originelle Konzertreihe ins Leben<br />
gerufen: Unter dem Titel „Nun klingen sie<br />
wieder“ präsentiert er Instrumente aus<br />
dem Archiv, die zum Teil seit Jahrhundertennicht<br />
mehr zu hören waren.<br />
Dabei konnten Musikfreunde bereitsKuriositäten<br />
entdecken. Etwa die zur Biedermeier-Zeit<br />
modische „Stockflöte“, die es<br />
dem Flaneur ermöglichte, irgendwo unter<br />
freiem Himmel seinen Spazierstock in eine<br />
Flötezuverwandeln und zu musizieren.<br />
Freilich beherbergen die Sammlungen<br />
auch wertvolle Instrumenteaus dem Besitz<br />
großer Musiker und Komponisten. Die<br />
nächste Folge widmet sich der Viola da<br />
Gamba, also einer ganzen Instrumentenfamilie,<br />
die von der großväterlichen Bassgambe<br />
bis zum Sopran-„Baby“ alle Register<br />
umfasste und vor der Landnahme von Vio-<br />
Ausnahmekünstlerin.<br />
Die gebürtige<br />
Italienerin Maddalena<br />
del Gobbo beherrscht<br />
die Gambe<br />
wie niemand anderer.<br />
linen und Violoncelli das weite musikalische<br />
Land unumschränkt beherrschte: Die<br />
Gambe war das allumfassende Streichinstrument<br />
–der Kontrabass ist inunserem<br />
Symphonieorchestern der letzte Überlebende<br />
der Spezies.<br />
Damen vorbehalten. Mit Maddalena del<br />
Gobbo hat sich Otto Biba diesmal einer<br />
charmanten und versierten Instrumentalistin<br />
versichert, die im umfassendsten<br />
Sinne des Wortes alle Gamben-Spielarten<br />
beherrscht. Sie bringt Kollegen mit, Eva<br />
Münzberg (Pardessus de Viole), Christoph<br />
Urbanetz (Baryton), Florian Wieninger<br />
(Violone) und den Cembalisten<br />
Anton Holzapfel.<br />
Gemeinsam musiziert man<br />
Gambenmusik aus drei Jahrhunderten.<br />
Wobei mit der Violone die<br />
Vorform unseres Kontrabasses<br />
zubestaunen ist. Die Pardessus<br />
de Viole wiederum ist<br />
Tipp<br />
„Nun klingen sie wieder“.<br />
Mit Maddalena del Gobbo,<br />
EvaMünzberg, Christoph Urbanetz,<br />
Florian Wieninger,<br />
Anton Holzapfel. 11. Februar<br />
2021, 19.30 Uhr,Musikverein,<br />
Brahmssaal<br />
die Gambe in der höchsten Lage: Der Sopran<br />
war im Frankreich des frühen 18. Jahrhunderts<br />
vornehmlich den Damen vorbehalten.<br />
Für das Baryton wiederum, mit dem<br />
die Instrumentenbauer des18. Jahrhunderts<br />
einen Sonderwegbeschritten, hatsich Maddalena<br />
del Gobbo schon einmal selbst eingesetzt,indem<br />
sie aufdiesem Instrument eine<br />
ganze CD aufgenommen hat.<br />
Geheimnisvolle Bordunsaiten. In der<br />
Musikgeschichtsschreibung hat das Barytonauf<br />
Grund der zahlreichen Werkeüberlebt,<br />
die kein Geringerer als Joseph Haydn<br />
komponierthat.Und das kam so: Wiesooft<br />
hängt esaneiner einzigen Persönlichkeit,<br />
in diesem Fall war Fürst Esterházy, der<br />
Dienstherr Haydns, der Promotor des<br />
raren Instruments. Haydn war seit den<br />
1770er-Jahren der unermüdliche fürstliche<br />
Opernkapellmeister. Das wusste die ganze<br />
Welt. Doch vor dieser Ära machte man in<br />
Eisenstadt und Esterháza eher Kammermusik.<br />
Und diese Musik dominierte der<br />
Klang eines Instruments, von dem wir<br />
heute ohne den musikalischen Fürsten<br />
nicht einmal mehr den Namen kennen<br />
würden: Nikolaus, der Prachtliebende,<br />
spielteBaryton.<br />
Optisch würden wir in unseren Tagen dieses<br />
Instrument am ehesten mit dem Cello<br />
vergleichen, klanglich am ehesten mit<br />
einer Bratsche. Doch schwingt im Klang<br />
des Barytons im wahrsten Sinn etwas<br />
Geheimnisvolles mit. Sogenannte Bordunsaiten,<br />
unterhalb der eigentlich gespielten<br />
Saiten angebracht, umgeben den Klang<br />
stets noch mit sanften Sphärenharmonien.<br />
Weitere Zusatzsaiten waren wie Gitarresaitenzum<br />
Zupfen gedacht.Soumfasstediese<br />
Hybridinstrument eine erstaunliche Klangpalette,<br />
während der harmonische Bereich<br />
ziemlich begrenzt war. Die mitklingenden<br />
Saiten konnten ja nicht umgestimmt werden,<br />
sodass sich angenehme Effekte nur in<br />
bestimmten Tonarten ergaben. Daher stehen<br />
denn die meisten der Hunderten (!)<br />
Werke, die Joseph Haydn für das Baryton<br />
geschrieben hat, in immer denselben Tonarten.<br />
Wär’ nicht Haydn gewesen, wenn<br />
ihm nicht trotz dieser Beschränkungen<br />
immer etwasNeueseingefallen wäre.<br />
Mandarf sich also durchaus auch in diesem<br />
kuriosen Klangumfeld auf kompositorische<br />
Meisterwerke freuen. Und<br />
auch einige Cembalo-Zwischenspiele,<br />
die Anton Holzapfel<br />
auf historischen Instrumenten<br />
der Musikvereinssammlung<br />
musizieren wird;<br />
auch diesbezüglich darf man<br />
sich auf Überraschungen<br />
gefasst machen. e<br />
Fotos: Universal Music;<br />
66 <strong>Kulturmagazin</strong>
Virtuoser Brückenbauer<br />
Mit Martin Schläpfer als Ballettdirektor beginnt für das<br />
Wiener Staatsballett eine neue Ära.<br />
Text: Daniela Tomasovsky<br />
diepresse.com/derclub<br />
CLUB-VORTEILE<br />
Vielfältiges Programm.<br />
„Dance is music made visible“<br />
–George Balanchines „Jewels“<br />
(rechts oben und unten)<br />
werden wiederaufgenommen.<br />
„Mahler,live“ (oben) ist Schläpfers<br />
Staatsoperneinstand, die<br />
Klassiker „Giselle“ (linksoben)<br />
und „Schwanensee“ (links<br />
unten) laufen weiter.<br />
Fotos: Wiener Staatsballett/Ashley Taylor; beigesterllt;<br />
Martin Schläpfer übernahm mit<br />
der Spielzeit <strong>2020</strong>/21 die Leitung<br />
des Wiener Staatsballetts.<br />
Der Schweizer Choreograf und<br />
Ballettdirektor hatte zuletzt das mehrfach<br />
preisgekrönte Ballett am Rhein Düsseldorf<br />
Duisburg zu internationalem Rang geführt.<br />
Seine Werke faszinieren mit ihrer Intensität,<br />
ihrer Virtuosität, ihren zutiefst berührenden<br />
Bildern und einer prägnanten<br />
Bewegungssprache, die sich als ein Musizieren<br />
mit dem Körper begreift, immer<br />
aber auch die Stimmungen und Fragestellungen<br />
der heutigen Zeit reflektiert.<br />
Gleich mehrere Programme geben die<br />
Gelegenheit zur Begegnung – darunter<br />
zwei Uraufführungen: Zu Gustav Mahlers<br />
4.Symphonie und DmitriSchostakowitschs<br />
15. Symphonie entstehen zwei neue Werke<br />
für Wien, die zugleich auch der Beginn des<br />
intensivenDialogs sind, den Martin Schläpfer<br />
in den kommenden Jahren mit den<br />
Künstlern seinesEnsemblesgestalten wird.<br />
Als Direktor zeigt sich Martin Schläpfer als<br />
ein Brückenbauer, der die großen Balletttraditionen<br />
selbstverständlich weiter pflegen,<br />
aber den Spielplan auch um wichtige<br />
Künstler der Gegenwart und eine große<br />
Vielfalt an choreografischen Handschriften<br />
bereichern wird. Die Meister der amerikanischen<br />
Neoklassik GeorgeBalanchine und<br />
Jerome Robbins werden weiterhin zu den<br />
Fixsternen des Wiener Spielplans gehören,<br />
ebenso wie der Niederländer Hans van<br />
Manen.<br />
Tanzmoderne. Erstmals sind mit dem<br />
Staatsballett <strong>2020</strong>/21 dagegen Werke von<br />
AlexeiRatmansky sowie der beiden großen<br />
American-Modern-Dance-Künstler Paul<br />
Taylor und Mark Morris zu erleben. Aber<br />
auch die Tanzmoderne, deren Heimat das<br />
Tipp<br />
Wiener Staatsballett. Die Uraufführung<br />
von „Mahler,live“ findet am<br />
4. November in der Wiener Staatsoper<br />
statt.Die Premierevon „Ein<br />
Deutsches Requiem“ am 30. Jänner<br />
2021 in der Wiener Volksoper.<br />
Ermäßigte Tickets.<br />
DiePresse.com/derclub<br />
Nederlands Dans Theater ist, wird mit WerkenSol<br />
Leóns &PaulLightfoots, Jiří Kyliáns<br />
und natürlich Hans vanManens begeistern.<br />
Besonders am Herzen liegt Schläpfer die<br />
enge Zusammenarbeit mit den beiden<br />
Klangkörpern der Staats- und der Volksoper,<br />
mit international renommierten Dirigenten<br />
und Instrumentalisten. Neben der<br />
Erarbeitung der Symphonien Mahlers und<br />
Schostakowitschs mit dem Orchester der<br />
Wiener Staatsoper ist die Neueinstudierung<br />
von Martin Schläpfers „Ein Deutsches<br />
Requiem“, an der auch der Chor und<br />
Zusatzchor sowie Sängerinnen und Sänger<br />
der Volksoper mitwirken, ein Höhepunkt<br />
der Saison.<br />
Im Repertoire bleiben die großen Produktionen<br />
des Ensembles: In der Staatsoper<br />
neben „Jewels“auchdie Handlungsballette<br />
„La fille mal gardée“, „Giselle“ und „Schwanensee“.<br />
In der Volksoper stehen erneut<br />
das beliebte Familienstück „Peter Pan“<br />
sowie „Coppélia“ auf dem Spielplan. Die<br />
„Nurejew-Gala“ wird als Reverenz an den<br />
Ausnahmetänzer und Choreografen in<br />
Zukunft in einem zweijährigen Rhythmus<br />
stattfinden. s<br />
<strong>Kulturmagazin</strong> 67
Ohne<br />
Sprungbrett<br />
zur Spitze<br />
Im November erhält<br />
Clemens Maria Schreiner<br />
den Österreichischen<br />
Kabarettpreis. ImGespräch<br />
erzählt er, dass die<br />
Coronakrise nicht die erste<br />
Zäsur inseinem<br />
Leben ist.<br />
Text: Veronika Schmidt<br />
Foto: Christine Pichler<br />
Moderator und Kabarettist. Clemens<br />
Maria Schreiner trifft den Nerv der Zeit.<br />
68 <strong>Kulturmagazin</strong>
Im Sommer ist esClemens Maria Schreiner<br />
zum ersten Mal passiert, dass er<br />
einen Auftritt absagen musste, weil zu<br />
viele Zuschauer angemeldet waren. Das<br />
hätte ersich auch nicht gedacht, als er früher<br />
im Theater amAlsergrund noch hoffend<br />
wartete, ob vielleicht doch noch vier<br />
Leute auftauchen, damit eine zweistellige<br />
Zahl an Zuschauern zusammenkommt und<br />
der Auftritt stattfinden kann. Diesmal lag<br />
die Schuld bei den Coronabeschränkungen:<br />
Es hatten sich mehr Leute angemeldet,als<br />
in dem kleinen Saal erlaubt waren–<br />
der Auftritt fand nicht statt. Dass Schreiner<br />
diese Anekdote mit einem Lächeln im<br />
Gesicht erzählt, liegt nicht nur anseinem<br />
grundsätzlich entspannten Gemüt, sondern<br />
auch daran, dass er kurz davor mit<br />
dem Österreichischen Kabarettpreisausgezeichnet<br />
worden ist. Und zwar mit dem<br />
Hauptpreis, ohne davorjeden Förder-oder<br />
Programmpreis bekommen zu haben, die<br />
traditionell stärker den Nachwuchskünstlern<br />
gewidmet sind. Der 31-Jährige, der mit<br />
fünfzehn Jahren als Gymnasiast begonnen<br />
hat, Programme zu schreiben, erreicht<br />
quasi ohne Sprungbrett die Spitze der heimischen<br />
Kabarettanerkennung.<br />
ich dort eine Dreiviertelstunde spielen<br />
soll.“ Dass bei dem Auftritt im Kleinen<br />
TheaterSchreiners Vaterihn bei zwei Nummern<br />
auf der Gitarre begleitete, dürfte<br />
wohl der Grund sein, warum sich bis heute<br />
das Gerücht hält, dass Clemens Maria<br />
Schreiner als Jugendlicher die Programme<br />
gemeinsam mit seinem Vater geschrieben<br />
hätte. „Es gibt von diesem Auftritt in Salzburg<br />
eine Kritik, inder mein Vater gesondert,<br />
aber nicht wirklich lobend erwähnt<br />
wird.“<br />
normale Leben in Österreich hinter sich<br />
und zog für knapp ein Jahr nach Neuseeland,<br />
wo ein Campingbus der neue Nebenwohnsitz<br />
war. An verschiedenen Orten<br />
konnte das Paar für Kost und Logis arbeiten:<br />
„Kühe melken, Zäune reparieren,<br />
Hunde sitten und alles, was anfällt. Auch<br />
wenn es lächerlich abgedroschen klingt:<br />
Aber Reisen verändertden Menschen.“Der<br />
Mentalitätsunterschied, den Schreiner auf<br />
diesen Inseln erlebt hat, wo das Weltgeschehen<br />
weit weg ist –physisch und mental<br />
–,hat ihn geprägt: „Es war angenehm zu<br />
sehen, dass man seinen Mitmenschen auch<br />
sehr offen und vertrauensvoll begegnen<br />
kann, wenn einen nicht dieses Grundrauschen<br />
zumüllt mit Dingen, auf die man eh<br />
keinen Einfluss hat.“<br />
Faktencheck. Nach Neuseeland war ihm<br />
klar, dass er seine Kabarettprogramme<br />
ganz anders aufbauen will, und bat seinen<br />
renommiertenKabarettkollegenund steirischen<br />
Landsmann Leo Lukas, ab nun die<br />
„Ich finde, dass Verifizierungsstrategien als Schulfach<br />
wichtiger wärenals das Abrufen vondetailliertenFakten.“<br />
Fokus auf das Kabarett. Dabei macht er<br />
darauf aufmerksam, dass die Coronakrise<br />
vor allem den „Mittelbau“ der Kabarettkolleginnen<br />
und -kollegen erschüttert hat:<br />
„Alle zwischen ,Naja, ich spiele einmal im<br />
Monat wo‘ und ,mir ist’s ehwurscht, weil<br />
meine Enkel müssen nie mehr was arbeiten‘<br />
hat esschwer getroffen.“ Also jene, die<br />
ohne Nebenjobs ihr Einkommen aus den<br />
Auftritten lukrieren. „Ich war jainmeinen<br />
Anfängen in einer Luxussituation, dass ich<br />
mich gleich auf das Kabarett fokussieren<br />
konnte“,erzählt Schreiner.<br />
Nach einigen kleineren Jobs hat es sich<br />
Mitte der Nullerjahre schnell ergeben, dass<br />
die Kabarettauftritte und Moderationen<br />
bei Veranstaltungen als Einkommen ausreichten.<br />
„Ich habe zwar mit sehr viel Liebe<br />
und sehr wenig Fortschritt Publizistik studiert.<br />
Aber vor einigen Jahren habe ich<br />
damit abgeschlossen, also nicht mit dem<br />
Bachelor, sondern mit dem Studium.<br />
Obwohl ein Publizistikstudium eh kein<br />
guter Plan Bgewesen wäre“, sagt erwieder<br />
lachend.<br />
Der Plan Aergab sich 2005, weil Schreiner<br />
bei einer Veranstaltung moderierte und<br />
daraufhin für eine Jubiläumsshow imSalzburger<br />
Kleinen Theater engagiert wurde.<br />
„Wie die meisten beginnenden Kabarettisten<br />
hatte ich auf die Frage, ob ich ein ganzes<br />
Programm hätte, mit Ja geantwortet<br />
und musste dann in einem Monat schnell<br />
eines schreiben, als der Anruf kam, dass<br />
Campingbus als Wohnsitz. Vielleicht entstand<br />
da die Mähr, dass ihm seine Familie<br />
anfangs zum Erfolg verholfen hätte. Dieser<br />
stellte sich aus eigener Kraft ein, als Schreiner<br />
2005 –mit <strong>16</strong> Jahren als jüngster Künstler<br />
je –den Grazer Kleinkunstvogelgewann,<br />
wo er Teile aus dem Salzburger Auftritt<br />
präsentierte und als Sieger plötzlich Termine<br />
für ein abendfüllendes Programm<br />
zugesagt bekam: „Da hat mein Freund, der<br />
produktive Zwang, wieder eingesetzt.“ Dieser<br />
besucht ihn seither alle zwei Jahre,<br />
wenn der Termin für die nächste Premiere<br />
feststeht. Sein aktuelles Programm<br />
„Schwarz auf Weiß“ hatte im Oktober 2019<br />
Premiere und pausierte nun seit März<br />
unfreiwillig. „Für mich war die Coronapause<br />
eh ok, denn ich bin gleich zu Beginn<br />
des Lockdowns Vater geworden: Da hat<br />
mich nur mäßig interessiert, was rundherum<br />
passiert, und die Folgen waren nicht<br />
existenzbedrohend.“<br />
Die Pandemie istimLebenslauf vonSchreiner<br />
nicht die erste Zäsur, denn er ließ 2012<br />
gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin das<br />
Tipp<br />
Österreichischer Kabarettpreis.<br />
Die Verleihung soll –in welcher<br />
Form auch immer –am<strong>16</strong>. November<br />
im Globe Wien stattfinden.<br />
Clemens Maria Schreiner<br />
erhält den Hauptpreis.Die Impro-Kabarettistin<br />
Magda Leeb<br />
wirdals „Kaiserin von Österreich“<br />
mit dem Förderpreis ausgezeichnet,und<br />
Hosea Ratschiller<br />
bekommt für „Ein neuer<br />
Mensch“ den Programmpreis.<br />
Der Sonderpreis geht diesmal<br />
an den Karikaturisten Michael<br />
Pammesberger.<br />
Regie zu übernehmen. „Davor habe ich<br />
sehr eigensinnig im stillen Kämmerchen<br />
gearbeitet, war der Meinung, dass Vorpremieren<br />
feig sind, und habe nie wirkliche<br />
Proben gemacht.“<br />
Das Programm „Schwarz auf Weiß“ ist<br />
bereits das vierte, das Schreiner gemeinsam<br />
mit Leo Lukas erarbeitet hat. „Darin<br />
geht es um ,Wahrheit oder Fake‘, was javor<br />
Corona das zentrale Thema war und das<br />
man nicht an einer Person aufziehen kann.“<br />
Damit istnatürlich Donald Trump gemeint,<br />
der im gesamten Programm über Fake<br />
News nicht vorkommt. Kaum war das Programm<br />
geschrieben, ergab sich zufällig,<br />
dass Clemens Maria Schreiner als Moderator<br />
der neuen ORF-Comedy-Show „Fakt<br />
oder Fake“angefragtwurde. Seit Dezember<br />
2019 wurden acht Folgen des Formats, das<br />
auf witzige Weise die Unwahrheiten aus<br />
dem Internet aufblattelt, ausgestrahlt, und<br />
Ende des Jahres wird die zweite Staffel aufgezeichnet.<br />
„Solche Sendungen sensibilisieren<br />
die Leute. Ich finde, dass Faktencheck<br />
und Verifizierungsstrategien als<br />
Schulfach wichtiger wären als das Abrufen<br />
vondetailliertenFakten in kurzer Zeit –das<br />
googelt immer einer schneller.“<br />
Die Show trifft jedenfalls einen Nerv der<br />
Zeit, was daran zu erkennen ist, dass viele<br />
Zuseher Filme, Memes und Schlagzeilen<br />
aus dem Internet einschicken, um diese als<br />
Fakt oder Fake bestimmen zu lassen. e<br />
<strong>Kulturmagazin</strong> 69
Keine Übersetzung<br />
ins Heute nötig<br />
Mozart hat Hochkonjunktur: Alfred Dorfer<br />
inszeniert den „Figaro“, ander Staatsoper gibt<br />
man die „Entführung aus dem Serail“, das<br />
Burgtheater dekonstruiert die „Zauberflöte“.<br />
Text: Barbara Petsch<br />
Porträts: Christine Ebenthal<br />
Erster Zuschauer. So sieht sich Kabarettist<br />
Alfred Dorfer als Opernregisseur<br />
in „dienernder Funktion“.<br />
Illustration: Fredrik Floen<br />
70 <strong>Kulturmagazin</strong>
Mozart wird immer wieder neu entdeckt, verjazzt,<br />
vertanzt, verfremdet. Nun gibt es wieder<br />
ungewöhnliche Annäherungen: Kabarettist<br />
Alfred Dorfer inszeniertimTheater an der<br />
Wien „Figaros Hochzeit“. Das Burgtheater will der „Zauberflöte“<br />
das Märchen austreiben. Und „Die Entführung<br />
aus dem Serail“ inder Regie von Provokateur Hans Neuenfels<br />
ist inder Staatsoper zu erleben. Das „<strong>Kulturmagazin</strong>“<br />
sprach mit Dorfer und dem Staatsopern-„Bassa<br />
Selim“Christian Nickel über die Faszination Mozart.<br />
Zunächst zum Praktischen, wie kommt ein Opernintendant<br />
wie Roland Geyer, Intendant im Theater ander<br />
Wien, überhaupt auf einen Kabarettisten als Regisseur?<br />
„Ich war schon überrascht“, erzählt Dorfer, „Ich selbst<br />
wäre nie auf die Idee gekommen oder hätte den Mut<br />
gehabt, zufragen, ob ich eine Oper inszenieren darf,<br />
obwohl ich ja seit 50 Jahren in die Oper gehe. Als Kind<br />
musste ich Klavier lernen –und somit bin ich wehrlos in<br />
die Klassik gerutscht. Ich bin in einem absolut klassikaffinen<br />
Haushalt aufgewachsen. In den Vorgenerationen<br />
meiner Familie mütterlicherseits gibt es eine Reihe von<br />
Geigern. Der ,Figaro‘ war die Musik meiner Kindheit. Es<br />
ist eine seltsame Koinzidenz, dass ich jetzt mit fast sechzig<br />
Jahren gerade diese Oper herausbringe.“<br />
Zunächst wusste Dorfer gar nicht, was ein Regisseur<br />
überhaupt tun soll im komplexen Operngebilde: „Ich<br />
habe gedacht,ich bin dafür verantwortlich, dass die Sängerrichtig<br />
singen. Das warein Irrglaube.“<br />
Hat ergleich ja gesagt bei Geyers Angebot? Dorfer: „Ich<br />
kann zwar Partituren lesen, aber ich habe sehr lang gezögert,<br />
mich auf dieses Engagement einzulassen, bis mir<br />
bewusst wurde, welcher Glücksfall das für mich ist, ob<br />
auch für die anderen, das wirdman sehen.“<br />
Was ist für Dorfer wichtig an diesem Werk? „Der ,Figaro‘<br />
ist eines jener Stücke, die keine Übersetzung ins Heute<br />
brauchen“, erläutert Dorfer: „In ihren zwischenmenschlichen<br />
Beziehungen verhalten sich die Menschen von<br />
damals genauso wie jetzt. Diese Oper hat einen Anstrich<br />
von Commedia dell’Arte. Die ewigen Verwechslungen<br />
sind witzig, aber auch wieder nicht zu<br />
lustig, insofern ist der ,Figaro‘ eine<br />
Komödie im besten Sinne. Und erwar<br />
auch ein Revolutionsstück, was heute<br />
gern betont wird.“<br />
Für bildstarke Performancesmit Musik,<br />
auch Pop,ist das Hamburger Kommando<br />
Himmelfahrtbekannt.<br />
TiereinMenschengestalt. Entwürfefür die „Zauberflöte“, eine<br />
Extravaganza nach Mozart mit Apparaten und Projektionen, die<br />
im Burgtheater uraufgeführt wird. Kostüme: Frederik Floen.<br />
ihn? „Vermutlich war erein bisschen wie Galileo Galilei,<br />
er hat den Konflikt gesucht“, meint Dorfer: „Es hat ihm<br />
Spaß gemacht,mit Lorenzo Da PonteProvokantes auszuhecken.<br />
Kaiser Josef II. war dabei durchaus ein Partner<br />
für ihn. Mozart wollte Adelige ärgern, nach dem Motto:<br />
Schauen wir einmal, wie weit man gehen kann.“ Ist es<br />
möglich, dass ein Mann, der eine Frau küsst, tatsächlich<br />
nicht erkennt, dass sie seine eigene Gattin ist? Dorfer<br />
grinst: „Realistisch und trocken gesagt ist es schwer vorstellbar,<br />
außer der Mann hat bewusstseinsverändernde<br />
Substanzen zu sich genommen oder er sieht schlecht.<br />
Ich glaube, Mozart wollte den Grafen noch ein bisschen<br />
mehr desavouieren, und dass der Graf seine Frau küsst,<br />
die er für Susanna hält,war dasspielerische Mittel dafür.<br />
Es geht hier um amouröse Versessenheit, die kann einen<br />
schon zu allerhand verleiten. Der Graf hat jaauch eine<br />
Schwäche für ganz jungeFrauen, etwa für Barbarina.“<br />
Ist das nicht bei allen Männern so?Dorfer:„Beimir nicht,<br />
und ich bin sehr froh darüber.“ Ist er aufgeregt? „Es fühlt<br />
sich vermutlich an wie für einen Fußballtrainer. Ab<br />
einem gewissen Zeitpunkt kann man nicht mehr eingreifen“,<br />
sagt Dorfer. Wird eretwas ganz anders machen als<br />
andere Opernregisseure? „Ich möchte die Darsteller<br />
absolut in den Mittelpunkt rücken und nicht das Konzept“,<br />
betont Dorfer:„Außerdem will ich nah am Libretto<br />
bleiben, denn es gibt für mein Dafürhalten etwaszuviele<br />
dumme Ideen im Musiktheater.“ Er selbst sehe sich als<br />
„ersten Zuschauer“: „Der Regisseur im Musiktheater hat<br />
eine dienende, sogar servile Funktion“, ist Dorfer überzeugt.<br />
Die Vorbereitung dieses „Figaro“ war wegen<br />
Corona nicht einfach, es mussten drei verschiedene Versionen,<br />
auch gekürzte, erarbeitet werden. Hat eresje<br />
bereut, sich auf das Projekt eingelassen zu haben? „Oh<br />
nein!“, strahlt Dorfer: „Ich inszeniere ,Figaros Hochzeit‘,<br />
eine der schönsten Opern, in einem der wunderbarsten<br />
Theater! Das ist wie ein Traum!“ Wer wäre er selbst gern<br />
im „Figaro“. Dorfer: „Zu meiner komischen Seite würde<br />
der Basilio passen, dieses Geknechtete, Geschraubte,<br />
Verhärmte, Intrigante ist sehr wienerisch. Ich bin ja<br />
selbst Wiener, also ist eskein Rassismus,<br />
wenn ich das sage.“<br />
Bassas Bauchproblem. Schauplatzwechsel<br />
in die Staatsoper, woHans<br />
Neuenfels seine Inszenierung der<br />
Provokateur Mozart. Der Graf bedient<br />
sich alter feudalistischer Praktiken, er<br />
will das Ius Primae Noctis wieder einführen,<br />
das Recht auf die erste Nacht:<br />
Der Feudalherr darf Frauen vor der<br />
„Entführung aus dem Serail“ zeigt,<br />
die seinerzeit in Stuttgart einen Skandal<br />
hervorrief. Christian Nickel spielt<br />
den Bassa Selim, wie kam die Wahl<br />
auf ihn als europäischer „Sir“ für<br />
Hochzeitsnacht entjungfern, sprich<br />
einen Geschäftsmann in der Türkei?<br />
vergewaltigen, das erscheint barbarisch.<br />
Dorfer: „Ja. Aber: Das war zu<br />
Nickel: „Der Bassa ist hier nicht über<br />
das Klischee besetzt. Man sagt mir<br />
Mozarts Zeiten schon ironisch<br />
allerdings, er muss einen Bauch<br />
gemeint. Der Graf ist einfach in die<br />
Zofe Susanna verliebt und hofft auf<br />
das Recht auf die erste Nacht. Doch<br />
Mozart benützt diesen Kniff, umden<br />
Affront des Stücks gegen den Adel zu<br />
verstärken. Darum sind die Leute in<br />
haben. Den habe ich –seit Corona.<br />
Die Biografie des Bassa Selim ist ein<br />
wenig schleierhaft. Erist vom Christentum<br />
zum Islam konvertiert, ein<br />
Grenzgänger zwischen den Kulturen.<br />
Inzwischen ist er im moslemischen<br />
der Wiener Premiere reihenweise aus<br />
Glauben verwurzelt. Mozart greift<br />
dem Theatergegangen.“<br />
Wie war Mozart? Wie sieht Dorfer<br />
gängige Bilder über die Türkei auf,<br />
die ja zu dieser Zeit aus hiesiger Sicht »<br />
<strong>Kulturmagazin</strong> 71
„Bassa Selim entscheidet<br />
gegen,Auge um Auge,Zahn<br />
um Zahn‘. Er verzichtet auf<br />
Gewalt und gibt das junge<br />
Paar frei.“ Christian Nickel<br />
Keine Türkei-Klischees. Christian Nickel, ein cooler<br />
„Sir“, der Konstanze gefallen könnte, spielt den<br />
Bassa Selim in Neuenfels’ Wiener „Entführung“.<br />
»<br />
am Boden lag, nachdem Wien die zweite Türkenbelagerung<br />
erfolgreich abgewehrt hatte. Mozart hat die Figur<br />
desBassa eher aufgewertet, und so versuche ich sie auch<br />
zu spielen. Wir haben auch ein neues Ende.“ Warum entscheidet<br />
sich die schöne Konstanze gegen Bassa und für<br />
Belmonte? Nickel: „Konstanze und Belmonte haben einander<br />
als Kinder ewige Liebe geschworen. Bassa Selim<br />
könnte Konstanze befehlen, bei ihm zu bleiben, er<br />
könnte sie zwingen oder ihr Gewalt antun. Sie ist seine<br />
Gefangene. Aber er sagt zuihr: ,Dir selbst will ich dein<br />
Herz zu danken haben.‘“<br />
Aber Konstanze hat doch spürbar Sympathie für den<br />
Bassa. Nickel: „Für alle drei Figuren, für Bassa Selim, Konstanze<br />
und Belmonte, ist dieses Erlebnis eine existenzielle<br />
Erfahrung.Die zwei jungen Leuteschauen in einen<br />
Abgrund, sie gehen durch die Hölle und gereift aus der<br />
Krise hervor. Aber auch Bassa Selim hat sich verändert.<br />
Er sagt zu Belmonte: ,Ich reiche dir jetzt die Hand,<br />
obwohl es mir nicht leicht fällt, ich ringe mir das ab.<br />
Nimm Konstanze, nimm deine Freiheit, segle in dein<br />
Vaterland und sagedeinem Vater: Es istein größeres Vergnügen,<br />
erlittenes Unrecht mit Wohltaten zuvergelten,<br />
als sich zu rächen. Bassa Selim entscheidet gegen das<br />
Prinzip ‚Auge umAuge, Zahn um Zahn‘. Und das alles<br />
ereignet sich auf den Wogen dieser wunderbaren Musik,<br />
die Herzen öffnet und vielleicht Verzeihung ermöglicht.“<br />
72 <strong>Kulturmagazin</strong><br />
Tipps<br />
„Figaros Hochzeit“. Theater<br />
an der Wien ab 12. 11., siehe<br />
www.theater-wien. at<br />
„Entführung aus dem Serail“.<br />
Staatsoper,Termine auf<br />
www.wiener-staatsoper.at<br />
„Zauberflöte, eine Extravaganza<br />
nach Mozart“.Burgtheater,PremiereimDezember,siehe<br />
www.burgtheater.at<br />
Neue Machokultur. Heute haben sich Europa und die<br />
Türkei entzweit. Endgültig? „Vor 20Jahren dachten wir,<br />
Istanbul hätte das Zeug, zum Nabel Europas zu werden<br />
oder zwei Welten zu verbinden“, erinnert Nickel: „Ich<br />
war zuversichtlich, dass die Integration der Nachkommen<br />
der Gastarbeiter, die hier aufgewachsen sind, gelingen<br />
könnte, in Österreich wie in Deutschland. Ich<br />
stamme ursprünglich aus Hamburg. ImMoment ist das<br />
passé. Die Machokultur wurde restauriert, die harte<br />
Hand, das sogenannte männliche Auftreten –sehr enttäuschend,<br />
aber wir bleiben zuversichtlich, oder?!“<br />
Die ungewöhnlichste Mozart-Annäherung wird wohl im<br />
Dezember im Burgtheaterstattfinden: „Zauberflöte, eine<br />
Extravaganza“, diese Uraufführung gestaltet das Kollektiv<br />
Kommando Himmelfahrt, das sich künstlerisch<br />
gesellschaftlichen und wissenschaftlichen<br />
Utopien widmet. In der neuen „Zauberflöte“<br />
soll es um die dunkle Seite der Aufklärung<br />
gehen, Vernunft, Verstand oder Aberglauben.<br />
Das klingt etwas trocken, tatsächlich ist eine<br />
saftige, bildstarke Performance versprochen.<br />
„Furios“, wie Kritiker fanden, stellen der Komponist<br />
Jan Dvorak, der Regisseur Thomas Fiedler<br />
und die Dramaturgin Julia Warnemünde<br />
Texte von Platon, Thomas Morus, Jules Verne<br />
oder Artaud in neue Zusammenhänge. e
Friede<br />
denMenschen<br />
aufErden.<br />
Undim<br />
Internet.<br />
Foto:Litzlbauer<br />
Online besuchen<br />
und spenden.<br />
sternsingen.at/2021<br />
Klick dich zu denSternsinger/innen undhol dirden Segen fürein gutesNeues Jahr.Denn wenn dieWeltverrückt<br />
spielt, gibtuns Tradition Hoffnung.FeiereWeihnachten mitCaspar, Melchior undBalthasar wieseit1954.
Archaisch und naturnah.<br />
Das Leben im Dorf<br />
bekommt bei Katharina<br />
Johanna Ferner eine literarische<br />
Stimme.<br />
„Ich bin<br />
mehr das<br />
Team Harry<br />
Potter“<br />
Die Salzburger Autorin<br />
Katharina Johanna Ferner<br />
überzeugt mit ihrem Roman<br />
„Der Anbeginn“.<br />
Text: Harald Klauhs<br />
Foto: Christine Pichler<br />
74 <strong>Kulturmagazin</strong>
Während ich meine ersten<br />
Atemzügetat,lag Großmutter<br />
in ihrem Bett und entschlief<br />
der sterblichen Welt... Ihr<br />
Körper war von neuem Leben erfüllt, in<br />
ihren Haaren sammelten sich die Überreste<br />
des Maikäferfestes, ihr Strickkleid<br />
war von Flechten übersät.“ Womit habe ich<br />
es denn hier zu tun, kann man sich mit Fug<br />
und Recht fragen, liest man die ersten Seiten<br />
inKatharina Johanna Ferners Roman<br />
„Der Anbeginn“. Doch schnell entwickelt<br />
die Geschichte einen Sog, dem man sich<br />
kaum entziehen kann, ebenso wenig wie<br />
dem Rauschen jenes Flusses, das im Dorf<br />
weithin zu hören istund das die Geschichte<br />
orchestriert. Es ist eine mystisch-archaische<br />
Welt, indie man im Buch der 1991<br />
geborenen Salzburgerin eintaucht. Und<br />
doch gibt es darin Zivilisationsaccessoires<br />
wie etwa eine Badewanne.<br />
„Es gibt so viele Berlin-Drogenszene-Romane.<br />
Die interessieren mich aber literarisch nicht.“<br />
schreibung auch Tolkiens Mittelerde im<br />
Kopf hatte?<br />
„Ich bin nicht so der Klassiker-Typ“, sagt<br />
Katharina Ferner, „ich bin mehr das Team<br />
Harry Potter.“ Die siebenbändige Saga hat<br />
sie nicht nur als Kind schon verschlungen,<br />
sie liest immer noch jeden Sommer darin.<br />
Außerdem ist sie ein Fan von Helena Bonham<br />
Carter. Wernun glaubt, dass er es hier<br />
miteinem fantastischen Mischmasch zu tun<br />
hat, der sei auf die ganz realistische Dorfgeschichte<br />
verwiesen, die dieser Roman auch<br />
(noch) erzählt. „Es gibt so viele Berlin-Drogenszene-Romane“,<br />
meint die Autorinverlegen<br />
lächelnd, „die interessieren mich aber<br />
literarisch nicht.Ich wollteeine ganz andere<br />
Welt schaffen und trotzdem moderne Themen<br />
darin verhandeln“. Wersich daraufeinlässt,<br />
wird nicht erst am Schluss sagen:<br />
Experiment gelungen!<br />
Nature Writing. Realistisch ist zum Beispiel<br />
die Schilderung desLebens mit einem<br />
malenden Vater: „Terpentin. Vaterhatte frische<br />
Farbe angerührt, es roch im ganzen<br />
Haus danach“, berichtet die Ich-Erzählerin<br />
von einem markanten Geruch ihrer Kindheit.Ähnliche<br />
Erfahrungen hatauchKatharina<br />
Ferner gemacht, daihr Vater Künstler<br />
ist. Deshalb gehörte auch die Lektüre von<br />
Kunstbüchern genauso zu ihrer Jugend wie<br />
Besuche von Vernissagen. Von ihrem Vater<br />
hat sie möglicherweise ihre Vielseitigkeit<br />
geerbt, die sich nicht nur innerhalb ihres<br />
literarischen Schaffens zeigt, sondern auch<br />
kunstübergreifend. Ihr Vater tritt u. a. als<br />
Kabarettist auf, Katharina macht Tanzperformances.<br />
Oder er malt Cover für ihre<br />
Bücher, während sie an der Poetisierung<br />
der Welt arbeitet.<br />
Das geht in unserer hochindustrialisierten<br />
Welt nicht ohne Renaturalisierung.Und die<br />
ist der in der Stadt Salzburg aufgewachsenen<br />
Autorin eben ein Anliegen. Woher<br />
kommt ihr inniges Verhältniszur Natur?Zu<br />
einem nicht unbeträchtlichen Teil, so sagt<br />
Tipp<br />
„Der Anbeginn“. Katharina J. Fernersjüngster<br />
Roman ist am 15.<br />
September <strong>2020</strong> im Limbus Verlag<br />
erschienen. Dort erschien im Vorjahr<br />
auch ihr viel beachtetes Lyrikdebüt<br />
„einmal fliegenpilz zum frühstück“.<br />
www.limbusverlag.at<br />
Mystische Landschaft. Der Titel „Der<br />
Anbeginn“ kennzeichnet deshalb keine<br />
Neufassung der Genesis. Nicht die Schöpfung<br />
ist das Thema des Romans, sehr wohl<br />
aber die Geburt eines Menschen. „I carry<br />
you /Inurture you /Give birth toyou /<br />
Again“ lautet das einleitende Motto, das<br />
sich die Autorin von der isländischen Folkund<br />
Indiemusikerin Ólöf Arnalds ausgeliehen<br />
hat. Zur Zeit der Niederschrift des ersten<br />
Kapitels hielt sich Katharina Ferner in<br />
Island auf. „Da gab’s dasMeer und dahinter<br />
die Eisberge. Diese Szenerie hatte ich<br />
immer vor Augen –und sie hat soeinen<br />
Raum für den Roman geschaffen.“ Hört<br />
man in dieser mystischen und schwermütigenLandschaft<br />
dann noch isländische Popmusik,<br />
dann kommt man in so einen Flow.<br />
„Die Songs sind für mich der Schreib-<br />
Soundtrack.Ich hab das ganz oft gehört.“<br />
Geboren wird erst einmal die namenlose<br />
Ich-Erzählerin. Für die Autorin hat jeder<br />
Name eine Bedeutung. Deshalb war esihr<br />
wichtig, ihrer Protagonistin keinen zu<br />
geben, um sie nicht festzulegen. Andere<br />
Figuren haben sehr wohl – symbolgeladene<br />
–Namen wie die beiden Tanten Ada<br />
und Ida, die Bäckerin Svenja, die Nixe<br />
Nora oder auch die in zwei weit auseinanderliegenden<br />
Dörfern zur selben Stunde<br />
geborenen Buben Omar und Marian.<br />
Schon daran ist zu erkennen, dass die<br />
Autorin beim Schreiben nicht nur den<br />
Sound nordischer Mythologie im Kopf<br />
hatte, sondern auch Märchen und allerlei<br />
magische Texte. Da sind Elemente von<br />
„Alice in Wonderland“ genauso enthalten<br />
wie der magische Realismus eines Gabriel<br />
García Márquez. Inseiner Hermetik erinnert<br />
das Dorf sogar an Marlen Haushofers<br />
„Die Wand“. Ob sie bei der Landschaftsbesie,<br />
verdankt sie das einem Stipendium, das<br />
sie für drei Monate in das kleine Schwarzwälder<br />
Städtle Hausach geführt hat. „Dort<br />
war ich schon sehr ausgesetzt.“ Sie lebte<br />
dort mit Käfern, Spinnen, Fröschen und<br />
anderem Getier, war viel wandern und hat<br />
dort unter anderem Mikael Vogels Buch<br />
über ausgestorbene Tierartengelesen oder<br />
den Band von Sabine Scho über Tiere in<br />
der Architektur. Inder Folge hat sie begonnen,<br />
sich mit Nature Writing zu beschäftigen,<br />
einer traditionsreichen literarischen<br />
Gattung,die sich mit Naturbeschreibungen<br />
auseinandersetzt. „Diese Thematik in die<br />
Literatur zu bringen, ohne kitschige Naturlyrik<br />
zu schreiben“, wurde für Katharina<br />
Ferner zur Herzensangelegenheit.<br />
Verdichtet. Und noch ein heute eminent<br />
politisches Thema wird im Roman „Der<br />
Anbeginn“ verhandelt: „Der erste Stoß. Ich<br />
konnte nur in den Ärmel beißen... Ich<br />
begann zu zählen. Wie lange würde es dauern.<br />
Die Zahlen kamen mir durcheinander.<br />
Mein Körper löste sich in Kribbeln auf und<br />
ich fühlte nichts mehr.“ Diese Beschreibung<br />
einer Vergewaltigung ist hyperrealistisch<br />
– und zugleich poetisch verfasst.<br />
Besonders in dieser Szene verdichtet sich<br />
Katharina Ferners Stil: Engagiert, aber<br />
nicht ideologisiert. „Ich schreibe gern<br />
meine Meinung zu aktuellen Themen,<br />
wenn ich die Möglichkeit finde, das literarisch-poetisch<br />
zu erzählen. Nur eine Messageabzugeben,<br />
wäre mir zu wenig.“<br />
Und so klärt sich allmählich das Fremdartige<br />
und zugleich Faszinierende dieses<br />
Textes. Eshat wohl damit zu tun, dass das<br />
Spartenübergreifende Katharina Ferner in<br />
die Wiege gelegt worden ist und sich in<br />
ihrer Ausbildung fortsetzte: „Ich bin aufein<br />
musisches Gymnasium gegangen. Da<br />
konnte man sich alle Musen auswählen. In<br />
dieser Zeit habe ich zuerst Theatergespielt.<br />
Jetzt habe ich sogar ein Theaterstück für<br />
Kinder geschrieben.“ Später hat sie dann<br />
Slawistik studiert. Die großen russischen<br />
Romane von Dostojewski und Tolstoi hat<br />
sie trotz ihrer Klassiker-Aversion gelesen.<br />
„Die Erzählweise der slawischen Literatur<br />
hat für mich sehr viel Bedeutung“, sagt sie.<br />
Die Leserschaft ihres Romans wirddeshalb<br />
auch Anklänge andie russische Mystik und<br />
die tschechische Fantastik finden.<br />
Damit kann man für die Lektüre eines der<br />
ungewöhnlichsten Romane dieses Herbstes<br />
eines mit Sicherheit versprechen: Langweilig<br />
wirdeseinem dabei nicht. e<br />
<strong>Kulturmagazin</strong> 75
„Ich arbeite<br />
aus der Musik<br />
heraus“<br />
Der neue Chef des Staatsballetts<br />
Martin Schläpfer über das Glück,<br />
auch in einer schwierigen Zeit<br />
künstlerisch tätig sein zu können.<br />
Interview: Isabella Leitenmüller-Wallnöfer<br />
KlareHandschrift. Martin Schläpfer<br />
will das klassische Repertoirefür<br />
Zeitgenössisches öffnen.<br />
Fotos: Tillmann Franzen;<br />
76 <strong>Kulturmagazin</strong>
Er stammt aus einer Appenzeller Bauernfamilie und<br />
brachteseine Familie mit seinem Berufswunsch ausdem<br />
Konzept.Seiner Sturheit verdankt er eine steile Tanzkarriere–zunächst<br />
als Solotänzer in Basel und Kanada, später<br />
als gefeierter Choreograf. Seit Anfang September dieses Jahres<br />
ist der Schweizer Martin Schläpfer nun Chef des Wiener<br />
Staatsballetts –und somit für die Ballettcompagnien von Staatsoper<br />
und Volksoper zuständig. Am 24. November ist in der<br />
Staatsoper seine ersteWiener Premierezusehen: „Mahler,live“.<br />
Wiesind Sie in Wien angekommen?<br />
Wenn man es trenntvon der Situation um Covid, dann geht’smir<br />
gut.Ich fühle mich wohl in Wien. Aber es istjanicht möglich, das<br />
zu trennen. Ich bin dankbar, dass wir überhaupt versuchen dürfen,<br />
in dieser Situation aufdie Bühne zu gehen und unsereArbeit<br />
zu machen. Das istnicht selbstverständlich...<br />
DieMetropolitan Opera bleibt nochein ganzes Jahr langzu.<br />
Die MET finanziert sich zum Großteil von privatem Geld, nicht<br />
vonSubventionen. WiehartdiesesModell in einer Kriseist,zeigt<br />
sich jetzt. Für die Kunst und die Gesellschaft ist das ein immenser<br />
Schaden. Zugleich müssen wir uns bewusst sein, dass die<br />
Künstler und Mitarbeiter, die nun alle auf der Straße stehen, das<br />
Schicksal mit so vielen Menschen teilen, über die man nicht<br />
redet und die ihre Arbeit und damit Lebensgrundlage ebenfalls<br />
verlieren. Wir sprechen auch in unserem Ensemble immer wieder<br />
darüber, was für ein Glück es ist, arbeiten zu dürfen. Auf der<br />
anderen Seitehat es aber auch eine wichtigeSignalwirkung nach<br />
außen, Vorstellungen zu machen. Und ich spüre schon eine sehr<br />
große Freude bei den Tänzerinnen und Tänzern, dass sie zurück<br />
im Ballettsaal sein dürfen –und natürlich aufder Bühne.<br />
Sind alle aufdas Virusgetestet?<br />
Alle Künstlerinnen und Künstler werden wöchentlich getestet.<br />
Undwir tragen Masken.<br />
DieTänzer tragenbeim Proben eine Maske?<br />
Wirachten sehr darauf, dass so weit wie möglich auch beim Training<br />
und den Proben alle einen Mund-Nasen-Schutz tragen. Das<br />
ist von der Atmung her eine große Herausforderung. Und es<br />
macht auch psychisch etwas: Es ist eine Last, von der man sich<br />
ab und zu befreien muss. Dann machen wir Pause.<br />
Arbeiten Sie schon an „4“,das Sie im Novemberander Staatsoperuraufführen<br />
werden?<br />
Ich habe begonnen, in kleinen Nischen zu kreieren, weil die Zeit<br />
knapp ist. Und wir proben parallel auch schon Balanchine und<br />
Robbins für den Frühling.AbOktober kann ich dann hoffentlich<br />
mehr in die Tiefearbeiten.<br />
Sie choreografieren zu Gustav Mahlers Symphonie Nr. 4<br />
G-Dur.<br />
Ich habe in meiner Karriere bisher nur wenige Handlungsballette<br />
gemacht: den „Feuervogel“ und „Schwanensee“. Natürlich<br />
habe ich aber schon auch Geschichten erzählt wie in „Appenzellertänze“.<br />
Es ist also nicht so, dass ich nur dem puren Tanz verfallen<br />
wäre. Aber grundsätzlich choreografiere ich<br />
aus der Musik heraus. Für meinen Antritt in Wien ist<br />
es Mahlers 4. Symphonie. Sie hat eine große Leichtigkeit,<br />
aber ist ineinem schönen Sinne auch hintergründig<br />
und ein bisschen hinterhältig. Das passt gut<br />
zu einer Eröffnung.<br />
Und dann ist da natürlich auch die Bedeutung<br />
Mahlersfür die Wiener Staatsoper.<br />
Ja,aber das warfür mich weniger der Beweggrund als<br />
das Wissen, dass das Wiener Staatsopernorchester<br />
diese Musik grandios spielen wird. Ich möchte, dass<br />
dieses wunderbare Orchester gern für den Tanz<br />
Tipp<br />
„Mahler,live“. Martin Schläpfers<br />
erste Premierefindet am<br />
24. November in der Wiener<br />
Staatsoper statt.Hans van<br />
Manens „Live“ sowie die Uraufführung<br />
„4“ –zuMahlers<br />
4. Symphonie –sind zu sehen.<br />
Am 30. Jänner ist in der<br />
Volksoper „Ein deutsches<br />
Requiem“ zu erleben.<br />
spielt. Das ist jainder Ballettliteratur, was das kompositorische<br />
Niveau angeht, leider nicht immer gewährleistet. Natürlich ist<br />
„Giselle“ ein dramaturgisch perfektes und sehr berührendes<br />
Stück, aber die Musik von Adolphe Adam ist für die meisten<br />
Musiker nicht geradeeine Lieblingskomposition (lacht).<br />
Vor Ihrem Stück wird beim Ballettabend Hans van Manens<br />
„Live“ gezeigt.<br />
„Live“ ist eine bahnbrechende Arbeit, die van Manen bisher ausschließlich<br />
vomNiederländischen Nationalballett in Amsterdam<br />
hattanzen lassen. Wirerleben eine Ballerina, die gefilmt und auf<br />
eine Leinwand projiziertwird. Mansieht sie live undgleichzeitig<br />
im Film aufder Bühne, im Film im Ballettsaal, und am Ende geht<br />
sie ins Foyer, trifft dort einen Tänzer und entschwindet hinaus<br />
ins nächtliche Wien. Dazu spielt die Pianistin Schaghajegh Nosrati<br />
Franz Liszt amKlavier. Sie ist eine großartige Musikerin!<br />
Nach der Pause kommt dann meine Auseinandersetzung mit<br />
Gustav Mahler, inder die gesamte Compagnie tanzt. Dazu spielt<br />
das große Orchester. Ist das nicht eine wunderschöne Kombination?<br />
Wiekommt es, dass Hansvan Manen Ihnendieses Stücküberantwortet<br />
hat?<br />
Hans und ich sind sehr gut befreundet, allerdings noch nicht so<br />
lang.Als Tänzer in den 1980er-Jahren, aber auch als Direktor war<br />
ich zunächst voller Scheu und Respekt,denn Hans vanManenist<br />
ein wirklich großer Choreograf und ich bin in der Regel nicht<br />
kumpelhaft. Ich habe mit dem Ballett am Rhein dann aber jährlich<br />
einen vanManen gezeigt. Undsein bisher letztes Werk –„Alltag“<br />
–hat er für mich kreiert. Da ging ich mit 56 noch einmal als<br />
Tänzer auf die Bühne. Mit „Live“ hat er 1979 ein Schlüsselwerk<br />
geschaffen. Also habe ich ihn gefragt, ob wir es tanzen dürfen.<br />
Ich finde dieses Ballett wunderbar –und möchte als Direktor,<br />
dass in Wien etwasExklusivespassiert.<br />
In „4“ wollen Sie alle Tänzer aufdie Bühne holen?<br />
Ich will primär ein gutes Ballett machen. Aber das bedingt auch,<br />
dass ich als Direktor mit allen arbeite. Nursolernt man einander<br />
kennen. Ich hoffe, dass ich es schaffe, alle zusammen auf der<br />
Bühne zu zeigen. Das gab’s in Wien noch nie!<br />
WieschaffenSie denBrückenschlagzwischenden Häusern?<br />
Ichbemühe mich, auch viel an der Volksoper präsent zu sein. Ich<br />
gebe dort genauso viele Trainings wie an der Staatsoper. Aber<br />
schlussendlich ist man natürlich geografisch getrennt innerhalb<br />
der Stadt. Eine Gesamteinheit hinzukriegenist sehr vielArbeit.<br />
WiesorgenSie dafür,dass die Tänzerinnenund Tänzer Ihrem<br />
Stil,Ihren Vorstellungengerecht werden?<br />
Das passiert mit der Zeit automatisch. Ich lege inmeinen Trainings<br />
die Grundlagen für das, was ich für meine Choreografien<br />
brauche, zugleich bleiben diese ein akademisches Balletttraining.<br />
Wenn ich choreografiere, versuche ich das, was man Stil<br />
oder Handschrift nennt, herauszuarbeiten, sonst wird es ein<br />
Stück wie jedesandere.<br />
WiegehtesIhnenindieserArbeit mit denTänzern?<br />
Die meisten Tänzerinnen und Tänzer des Wiener<br />
Staatsballetts erleben gerade zum ersten Mal, wie<br />
ich arbeite, ihr Körper und ihr Geist müssen sich<br />
zum ersten Mal mit meinem Schrittmaterial auseinandersetzen.<br />
Eine für mich und hoffentlich auch für<br />
sie spannende, aber auch fordernde Erfahrung.<br />
Gleichzeitig gibt mir ihr Künstlersein auch einen<br />
inspirierenden Impetus, anders zu reagieren, im<br />
besten Fall anders zu choreografieren. Wenn ich<br />
spüre, dass jemand neben seinem Können auch<br />
seine Persönlichkeit mit in den Kreationsprozess<br />
einbringt, wirdeswirklich interessant. e<br />
<strong>Kulturmagazin</strong> 77
Kulturelles<br />
Neuland<br />
Neue Impulse setzen und die Szene vor Ort<br />
mit präziser Förderung stärken: Dazu will die<br />
Kulturstiftung Kärtnen künftig beitragen.<br />
Text: Daniel Kalt<br />
Porträt: Christine Pichler<br />
Engagiert. Julia Malischnig (l.)<br />
veranstaltet ein Gitarrenfestival in<br />
Millstatt,MonikaKircher gehört als Ko-<br />
Initiatorin dem Stiftungsvorstand an.<br />
Produktbiler: Beigestellt;<br />
78 <strong>Kulturmagazin</strong>
Unsere Vision war stets, ein Kulturland<br />
Kärnten zu schaffen“, blickt<br />
die ehemalige Kulturpolitikerin<br />
und Geschäftsfrau Monika Kircher<br />
zurück auf die dreijährige Entwicklungsarbeit<br />
der Kärntner Kulturstiftung, die seit<br />
Ende 2019 operativ ist. Eigentlich wollte<br />
die Stiftung ihr hauptsächliches Ziel, nämlich<br />
Kulturschaffende zu fördern, zu vernetzen<br />
und ihnen das Selbstvertrauen für<br />
die Einforderung vonWertschätzung sowie<br />
Entlohnung ihrer Arbeit zu vermitteln,<br />
schon mit einem Fördercall im vergangenen<br />
Frühjahr breitenwirksam ansteuern.<br />
Doch dann kam: das vergangene Frühjahr.<br />
Wie vieles andere haben sich die Vorstellung<br />
des Calls, die Neuformulierung des<br />
Themas „Umbrüche“ und damit die Präsentation<br />
der Kulturstiftung um ein halbes Jahr<br />
nach hinten verschoben. Im September tratenMonika<br />
Kircher sowie die Ko-Initiatoren<br />
Ina MariaLerchbaumer und Adolf Rausch in<br />
Wien bei einer Pressekonferenz gemeinsam<br />
auf, um die österreichweite Geltung der<br />
Initiative zu untermauern. Zeitgleich startete<br />
der erste Themencall, der nun bis<br />
<strong>10</strong>.Dezember läuft.<br />
Großprojekte erwünscht. Die Kulturstiftung<br />
Kärnten beansprucht für sich, und<br />
das ist einigermaßen überraschend, die<br />
erste nicht personen- oder nachlassbezogene<br />
Stiftung ihrer Art bundesweit zu sein.<br />
Das Land Kärnten beteiligte sich mit<br />
50.000 Euro an der Gründung; ob der<br />
Bund mitzahlen wird, ist noch in Abklärung.<br />
Der Löwenanteil der Geldmittel<br />
kommt also vonprivatenFinanciers.<br />
Die großen Ausschreibungen richten sich<br />
an Kulturschaffende mit Wohnsitz inganz<br />
Österreich; die Umsetzung aber soll unbedingt<br />
inKärnten erfolgen. Aus der relativ<br />
hoch angesetzten Mindestfördersumme,<br />
30.000 Euro pro Projekt bei einer anvisierten<br />
Gesamtsumme von 200.000 Euro pro<br />
Durchlauf, ergibt sich ein klares Profil hinsichtlich<br />
Größe und Professionalitätsgrad.<br />
„Wir erhoffen uns Mut und Courage, und<br />
dass Kulturschaffende sich etwas Spezifisches<br />
überlegen, sodass jeder Call klare<br />
Impulse setzen kann“, sagtJulia Malischnig.<br />
Sie ist klassische Gitarristin und Initiatorin<br />
des inMillstatt stattfindenden Festivals „La<br />
guitarra esencial“, außerdem Mitglied des<br />
Kuratoriums, das die zur Förderung emp-<br />
fohlenen Projekte auswählt. „Hier zählen<br />
die künstlerische Qualität, der visionäre<br />
Charakter und die Glaubwürdigkeit im<br />
jeweiligen Zusammenhang“, präzisiert<br />
Malischnig. Die relativ hoch angesetzten<br />
Fördersummen sollen entsprechend ambitionierte<br />
Einreichungen ermöglichen.<br />
„Es geht ganz klar nicht darum, die Politik<br />
aus ihrer Verantwortung zu entlassen“,<br />
sagt Monika Kircher, langjährige Vizebürgermeisterin<br />
von Villach und spätere Vorstandsvorsitzende<br />
der Infineon. Die derzeit<br />
zur Verfügung stehenden 1,5 Millionen<br />
Euro für drei Jahre sollen, so die Hoffnung,<br />
bald gesteigert werden. Um die Attraktivität<br />
für potenzielle Geldgeber zu erhöhen,<br />
sei, so Kircher, eine Überarbeitung des Stiftungsrechts<br />
etwa hinsichtlich der steuerlichen<br />
Absetzbarkeit wünschenswert.<br />
Tipp<br />
„Umbrüche“. Der erste Call<br />
der Kärntner Kulturstiftung<br />
läuft bis <strong>10</strong>. Dezember <strong>2020</strong>.<br />
Proausgewähltem Projekt<br />
werden mindestens 30.000<br />
Euroausgeschüttet,insgesamt<br />
werden 200.000 Euro<br />
vergeben. Projekte sollen in<br />
Kärnten realisiert werden,<br />
mehr auf www.kulturstiftung.at<br />
Als imFrühjahr vielen freiberuflichen Kulturschaffenden<br />
die finanzielle Lebensgrundlage<br />
vorübergehend verloren ging,<br />
schüttete die Stiftung 60.000 Euro über<br />
einen Solidaritätsfonds aus. „Uns war wichtig,<br />
Künstlern eine Möglichkeit zu geben,<br />
sichadäquat zu betätigen“, sagtMonikaKircher.<br />
Das Ergebnis sind zwei CDs, die das<br />
Kärntner Panorama einmal literarisch<br />
(„Koronar“), einmal musikalisch („RecordingsofNow“)<br />
erschließensollen.<br />
Auch hier folgte man den drei Leitbildern<br />
der Kulturstiftung, nämlich „Schätzen, Fördern<br />
und Vernetzen“, wie Kircher mehrmals<br />
betont. „Fördern ist klar, vernetzen<br />
möchten wir etwa mit Symposien und<br />
Informationsveranstaltungen, beim Schätzen<br />
geht es um das Ernstnehmen und die<br />
adäquate Entlohnung“, präzisiert sie und<br />
„Wir erhoffen uns Mutund Courageder Kulturschaffenden,<br />
sodass jeder Call klareImpulse setzt.“<br />
Kärntnerlied. Julia Malischnigs neues Album<br />
„Canti Carinthiae“, via juliamalischnig.com<br />
Wortgewalt. Kärntner Hörtexte „Koronar.Literarische<br />
Nachrichten aus der Herzgegend“.<br />
gibt ein Beispiel: „Niemand würde auf die<br />
Idee kommen, eine Anwaltskanzlei bei<br />
einer Charity-Auktion darum zubitten, ein<br />
Stundenkontingent zu spenden. Dass<br />
Künstlerinnen und Künstler ihre Werke<br />
auktionieren lassen, ist hingegen selbstverständlich.“<br />
Die Bedürfnisse und Ansprüche von freien<br />
Kulturschaffenden decken eine große<br />
Bandbreite ab. „Viele wissen nicht einmal,<br />
welche Förderungen zur Verfügung stehen<br />
würden –oder sie haben nicht die Zeitressourcen<br />
für komplizierte Ansuchen“, sagt<br />
Julia Malischnig, die als Festivalorganisatorin<br />
aus Erfahrung sprechen dürfte. Zielgerichtete<br />
Informationsveranstaltungen sollen<br />
hier Licht ins Dunkel bringen.<br />
Neue Szenen. Wenn die Auswahl der ersten<br />
geförderten Projekte Anfang 2021 feststeht<br />
und es bisspätestens 2022 zur Umsetzung<br />
gekommen ist, wird sich absehen lassen,<br />
wasdie Tätigkeit der Kulturstiftung für<br />
Kärnten wirklich bedeutet. Das Potenzial<br />
ist klar gegeben: Einerseits könnten große<br />
Projekte mit Leuchtturmwirkung ins Land<br />
geholt werden, die ergänzend zum existierenden<br />
Kulturbetrieb und vereinzelten<br />
Sommerirrlichtern bislang unterrepräsentierte<br />
Sparten abdecken. Zum anderen<br />
könnte man so das Entstehen neuer Szenen<br />
ermöglichen, die in der aktuellen Konfiguration<br />
unterrepräsentiert sind. Beides<br />
würde dem Land mittelfristig ein neues<br />
Profil geben. Beider Vorstellung desersten<br />
Themencalls sprühten alle Beteiligten<br />
jedenfalls noch vor Zuversicht. Und das ist<br />
ja schon einmal ein guter Anfang. e<br />
<strong>Kulturmagazin</strong> 79
Milieuporträtismus. „Schwitzkasten“ von<br />
John Cook zeigt ein Arbeiterleben.<br />
Die Wiege des<br />
Austroautorenfilms<br />
Die Anfänge des österreichischen Autorenkinos<br />
waren kein Zuckerschlecken. Bei der<br />
diesjährigen Viennale kann man die Früchte des<br />
Zorns seiner Vorreiter sichten.<br />
Text: Andrey Arnold<br />
Fotos: Viennale<br />
80 <strong>Kulturmagazin</strong>
Österreich ist stolz auf sein Autorenkino. Auf<br />
das Wichtig-Wuchtige, das bei A-Festivals<br />
Preise abräumt. Und auf das Termitenhafte,<br />
das heimlich im Unterholz wurlt: Die eigenwilligen<br />
Dokus und schillernden Avantgardepreziosen, die<br />
hierzulande sprießen wie die Eierschwammerl. Ob diese<br />
bemerkenswert „lebendige Filmkultur“, mit der sich die<br />
Politik gerne brüstet, wirklich ausreichend unterstützt<br />
wird? Das steht auf einem anderen Blatt. Aber stolz?<br />
Stolz istman allemal.<br />
Das war nicht immer so. Während die offizielle Anerkennung<br />
und Förderung des Films als künstlerische Ausdrucksform<br />
jenseits rein kommerzieller (oder staatstragender)<br />
Interessen in Ländern wie Italien, Frankreich<br />
und Deutschland schon in den 1960ern einsetzte, dauerte<br />
es in hiesigen Gefilden etwas länger. Erst einmal<br />
musste der Hut brennen. Und das war spätestens 1970<br />
der Fall. „Der kommerzielle österreichische Film lag am<br />
Boden“, notiert Florian Widegger, Kurator der Filmarchiv-Retrospektive<br />
„AustrianAuteurs“, die bei der diesjährigen<br />
Viennale ein Schlaglicht aufeine vergessene Ära<br />
heimischen Kunstfilmschaffens wirft. „Heimatfilme, mit<br />
denen man in der Nachkriegszeit viel Geld verdienen<br />
konnte, zogen nicht mehr –auch aufgrund des Konkurrenzmediums<br />
Fernsehen, das sich unter dem ORF-Intendanten<br />
Gerd Bacher erstaunliche Freiheiten erlaubte.“<br />
Frischzellenkur. Freiheiten, die der Lichtspielproduktion<br />
in der Regel versagt blieben.<br />
Und die auf angehende Filmschaffende<br />
immer verlockender wirkten: Bilderstürmerische<br />
„Neue Wellen“ waren<br />
geradedabei,die Leinwände europäischer<br />
Programmkinos durchzuwalken. Auch<br />
wagemutige Miniaturen werdender Austrokunstkinolegenden<br />
wie Peter Kubelka<br />
und Valie Export erregten erstes internationales Aufsehen.<br />
Die Vorstellung, dass eine enthemmende Frischzellenkur<br />
auch der darbenden Ösifilmindustrie gut tun<br />
könnte, schien plötzlich nicht mehr so abwegig.Auch aus<br />
diesem Grund setzte esseitens der SPÖ-Alleinregierung<br />
erste Impulse in Richtung einer ernst zu nehmenden<br />
Filmförderung.<br />
Doch schon bevor diese Bestrebungen 1980 in Form<br />
eines Filmfördergesetzes provisorische Früchte trugen,<br />
hatte sich eine Handvoll inspirierter Außenseiter an<br />
unkonventionellen Laufbildarbeitenversucht,deren persönliche<br />
Handschrift und Welthaltigkeit bis heute<br />
berückt. Und die ohne große Übertreibung als opferbereite<br />
Vorreiter der heimischen Autorenfilmidee bezeichnet<br />
werden können. Viele von ihnen waren als Filmemacher<br />
unbeleckt, kamen aus anderen künstlerischen<br />
Zusammenhängen. Und hatten, wie man heute sagen<br />
Heimatfilme, mit denen<br />
man in der Nachkriegszeit<br />
viel Geld verdienen konnte,<br />
zogennicht mehr.<br />
würde, Migrationshintergrund. Der Autodidakt John<br />
Cook war Fotograf: Aus Kanada verschlug es ihn via<br />
Frankreich nach Österreich. Der gebürtigeAserbaidschaner<br />
Mansur Madavibegann seine Laufbahn an der Akademie<br />
der bildenden Künste. DergriechischstämmigeAntonisLepeniotis<br />
kam vomTheater. Vielleicht waresgerade<br />
diese doppelte Außenperspektive, die dem Filmschaffen<br />
dieser Quereinsteiger eine visionäre Note verlieh. Jedenfalls<br />
fasste esdas „Österreichische“ oft eindringlicher als<br />
manch ein Erzeugnis autochthoner Kollegen. Nicht<br />
zuletzt, weil es bereit war, wunde Punkte inden Blick zu<br />
nehmen –und ästhetische Akzentezusetzen.<br />
Ungschamige Lockerheit. Mansur Madavis„Die glücklichen<br />
Minuten des Georg Hauser“ (1974) wirkt aus heutiger<br />
Sicht etwa wie eine Blaupause jener präzis abgezirkelten<br />
Sittengemälde mit sozialkritischem Einschlag, die<br />
mittlerweile zum nahezu abgenudelten Markenzeichen<br />
des heimischen Festivalkinos geworden sind. Da kann<br />
man einem braven Durchschnittsbürger dabei zusehen,<br />
wie er von seinem monotonen (Arbeits-)Alltag in Wahnsinn<br />
und Zerstörungswut getrieben wird. Gesprochen<br />
wird wenig, umso ausdrucksstärker ist die unterkühlte<br />
Bildsprache.<br />
„Schwitzkasten“ von John Cook (1978) besticht indes mit<br />
einer ungschamigen Lockerheit, die ihresgleichen sucht.<br />
Die rohe Bummelantenpoesie von Cooks Spielfilmdebüt<br />
„Langsamer Sommer“ (1974) weicht hier<br />
zwar einem bekömmlicheren Milieuporträtismus,<br />
doch die Erzählung hat immer<br />
noch keine richtige Zielsetzung, folgt<br />
schlicht den Versuchen der Hauptfigur<br />
Hermann, ein lebenswertes Auskommen<br />
als Arbeiter in Wien zu finden. Sie skizziert<br />
seine familiären Probleme und brüchigen<br />
Liebschaften, ohne die Perspektiven<br />
und Lebensbedingungen der zahlreichen Nebenfiguren<br />
auszublenden. Tonfall und Gebaren wirkendabei<br />
durchweg authentisch, weil zwanglos und unverblümt –<br />
gleichwohl sich Cook über die parasitären Praktiken<br />
„engagierter Künstler“ lustig macht, die ihre Produkte<br />
mit proletarischem Kolorit aufwerten. Neben „Georg<br />
Hauser“ mutet „Schwitzkasten“ mit seinem Humor und<br />
den oft luftig-lauen Stadtkulissen zwar wie ein regelrechtes<br />
Freudenfest an; hinsichtlich Güte und Gerechtigkeit<br />
heimischer Verhältnisse macht er sich aber keine Illusionen.<br />
Auch das Werk Antonis Lepeniotis’ hält mit kritischen<br />
Ansichten nicht hinterm Berg. Ein Grund, warum<br />
die genannten Filme weder beim Publikum noch bei<br />
potenziellen Geldgebern übermäßigen Anklang fanden.<br />
Dafür unterstützen sich ihre Urheber gegenseitig: „Viele<br />
der Filmemacher, deren Arbeiten wir zeigen, kannten<br />
sich untereinander“, so Widegger. „Achtet man auf die<br />
<strong>Kulturmagazin</strong> 81<br />
»
Dokufiktion.<br />
Angela SummeredersFilm<br />
„Zechmeister“<br />
(1979)<br />
handelt von<br />
einem realen<br />
Gerichtsfall.<br />
„Viele haben sich gedacht: Die spinnt.Was will diesesjunge<br />
Madlohne Ausbildung?Aber ich warwahnsinnig beharrlich.“<br />
Angela Summereder<br />
»<br />
Namen in jedem Abspann, lässt sich ein Netzder Verbundenheit<br />
spinnen.“ Von Karrieren kann dennoch keine<br />
Rede sein: Die meisten Filmografien der „Austrian<br />
Auteurs“ verliefen sich, bevor sie ernstlich Fahrt aufnehmen<br />
konnten. Eine, die trotzallem weitergemacht hat, ist<br />
Angela Summereder. Dabei hatte sie es nicht leichter als<br />
ihremännlichen Kollegen–eher im Gegenteil. Ihr außergewöhnliches<br />
Debüt „Zechmeister“ (1981) stemmte sie<br />
gegen immensen Widerstand, dem sie bereits imZuge<br />
ihres Filmakademie-Studiums begegnete, wie die Filmemacherin<br />
dem „<strong>Kulturmagazin</strong>“erzählt.<br />
Das Sujet –der reale Gerichtsfall einer Frau, die 1948<br />
beschuldigtwurde, ihren Mann vergiftet zu haben –hatte<br />
Summereder schon für ihre Aufnahmeprüfung aufs<br />
Tapet gebracht. Esstieß jedoch auf wenig Gegenliebe,<br />
auch aufgrund der intendierten Ästhetik: Eine mit Stimmungsbildern<br />
und Verfremdungseffekten angereicherte<br />
Dokufiktion. Nach Summereders Filmhochschulrauswurf<br />
wagtesie den Alleingang.„Viele haben sich gedacht:<br />
Die spinnt. Was will dieses junge Madl ohne Ausbildung?<br />
Aber ich warwahnsinnig beharrlich.“<br />
Das Unverständnis der künstlerischen und feministischen<br />
Ansprüche der Erstlingsregisseurin (etwa ihr<br />
unbedingtesBedürfnis, mit einer Kamerafrau zu drehen)<br />
war auch beim Förderbeirat groß. Umsetzen konnte<br />
Summereder den Film nicht zuletzt dank Fürsprecherinnen<br />
wie der Produktionsleiterin Monika Maruschko.<br />
Heute sticht die formale Radikalität von „Zechmeister“<br />
selbst im Kontext der Retrospektive heraus. Dementspre-<br />
Tipp<br />
Viennale <strong>2020</strong>. Die 58. Viennale<br />
findet vom 22. Oktober<br />
bis 1. November unter Covid-<br />
Sicherheitsbestimmungen<br />
statt,mehr dazu auf der<br />
Homepage.Fünf Titel der<br />
„Austrian Auteurs“ sind bei<br />
der Viennale zu sehen, zehn<br />
weiteredarüber hinaus im<br />
MetroKino. www.viennale .at<br />
chend fühlte sich Angela Summereder, eine gebürtige<br />
Oberösterreicherin, nie als Teil einer filmischen Clique<br />
oder Bewegung –auch weil diese weitgehend männlich<br />
bestimmt waren. „Zechmeister“ lief bei den Berliner<br />
Filmfestspielen, wo sogar das nicht gerade avantgardeaffine<br />
„Variety“ dem Ausnahmestreifen Chancen auf ein<br />
Globalrenommee attestierte. Doch in Österreich erntete<br />
er hauptsächlich ungläubige Blicke. Eine entgeisternde<br />
Erfahrung für Summereder, die erst Jahrzehnte später<br />
wieder ein längeres Projekt („Jobcenter“) anging. Auch,<br />
weil sie dazwischen Mutter wurde: „Die Möglichkeiten,<br />
Familie und Filmtätigkeit zu verbinden, waren damals<br />
enorm eingeschränkt.“<br />
Reine Oberflächenveredelung. Nun ist aber alles besser,oder?Kaum,<br />
meint die 62-Jährige. Vieles, wasaktuell<br />
als Fortschritt deklariert wird, empfindet sie als reine<br />
Oberflächenveredelung. „Als gravierendste Veränderung<br />
der Filmlandschaft sehe ich das<br />
inzwischen flächendeckende Einverständnis<br />
darüber,Film nurnoch als Ware für einen Markt<br />
zu verstehen, der auch ein Festivalmarkt sein<br />
kann –nicht mehr als Ausdrucks- oder Verständigungsmittel<br />
im gesellschaftlichen Diskurs.”<br />
Wenn das stimmt, sind mutige Filmemacherinnen<br />
und Filmemacher aus Österreich mehr<br />
denn je gefragt, ihrer Kunst eigenständigeWege<br />
zu bahnen – und diese dann auch zu beschreiten.<br />
e<br />
Fotos: Viennale<br />
82 <strong>Kulturmagazin</strong>
DEUTSCHSPRACHIGE ERSTAUFFÜHRUNG<br />
CHRISTOPH<br />
KOLUMBUS<br />
von Miroslav Krleža<br />
Inszenierung Rene Medvešek<br />
Eine internationale und mehrsprachige Koproduktion<br />
mit den Vereinigten Bühnen Bozen<br />
Vorstellungen: 28.11., 03. und 04.12.<strong>2020</strong><br />
und <strong>10</strong>.02.2021<br />
www.landestheater.net
„Futur 3“. Junge persischstämmige Leute in der deutschen<br />
Provinz: Zu sehen im Ersatzprogramm des Crossing Europe.<br />
„Cat in the Wall“. Gleich zwei Festivals zeigen den gefeierten<br />
Film über Nachbarschaft und soziale Gräben in London.<br />
„Jackie und Oopjen“. Flotte Verfolgungstour mit der<br />
Lady aus dem Rembrandt-Bild.<br />
„Old Man Cartoon Movie“. Absurder Puppentrickspaß<br />
aus Estland über das wilde Landleben.<br />
„Mein Bruder jagt Dinosaurier“. Cool sein trotz Brudersmit<br />
Behinderung? Eine Romanverfilmung aus Italien.<br />
„Crescendo“. Peter Simonischek lässt junge Orchestermusiker<br />
aus Israel und Palästina aneinanderkrachen.<br />
„The Earth Is Blue as an Orange“. Eine ukrainische Familie<br />
verarbeitet die Kriegswirren in einem selbst gedrehten Film.<br />
84 <strong>Kulturmagazin</strong>
Fotos: sixpackfilm (3), Dinand van der Wal, Vision Distribution, Stadtkino Filmverleih/CCC/Oliver Oppitz, This Human World<br />
Das bringt der<br />
Filmfestival-Herbst<br />
Die Viennale ist nicht alles: Längst hat sich –<br />
nicht nur inWien –eine Reihe kleinerer<br />
Festivals etabliert. Auszüge aus dem<br />
Filmprogramm, von absurd bis berührend.<br />
Text: Katrin Nussmayr<br />
Als Jack ein kleines Kind ist, ist er<br />
der größte Fan seines Baby-Bruders:<br />
Gio sei nämlich so etwas<br />
Ähnliches wie ein Superheld,<br />
erklären ihm die Eltern. Als Teenager, als<br />
Jack längst erkannt hat, dass der kleine Gio<br />
das Down-Syndrom hat, schämt er sich für<br />
ihn. Und als er sich in ein Mädchen verliebt,<br />
behauptet er gar, sein Bruder sei tot.<br />
Der italienische Film „Mein Bruder jagt<br />
Dinosaurier“ erzählt warmherzig und witzig<br />
vom Erwachsenwerden, Freundschaft<br />
und Inklusion – eine mehrere Tausend<br />
Köpfe zählende Jugendjury hat ihn beim<br />
Europäischen Filmpreis gar zum besten<br />
Kinderfilm des Jahres gewählt. ImNovember<br />
ist er auf der großen Leinwand zu<br />
sehen, als einer jener Filme, die beim Wiener<br />
Kinderfilmfestival ein Fenster zur Welt<br />
öffnen sollen.<br />
Das Besondere andiesem Festival ist nicht<br />
nur die Filmauswahl, die sich an ein junges<br />
Publikum richtet (und ältere Generationen<br />
genauso verzücken könnte), sondern auch,<br />
wie die Filme aus unterschiedlichen Ländern<br />
präsentiert werden: Gezeigt werden<br />
in den Vor- und Nachmittagsvorstellungen<br />
großteils Originalfassungen, die direkt im<br />
Kino live auf Deutsch eingesprochen werden.<br />
Eröffnet wird der Reigen am<br />
14. November mit der niederländischen<br />
Komödie „Jackie und Oopjen“: Darin büxt<br />
die von Rembrandt in Öl auf Leinwand<br />
gemalte, schwarz gewandete Braut Oopjen<br />
aus ihrem Rahmen aus und düst mit einem<br />
12-jährigen Mädchen durch Amsterdam –<br />
verfolgtvon zwei Kunsträubern...<br />
Der Herbst ist eine Saison der Filmfestivals<br />
–und während die große Aufmerksamkeit<br />
der filmliebenden Städter meist der Viennale<br />
gilt, sind auch kleine Institutionen mit<br />
ihren eigenständigen Programmen zur<br />
Marke geworden. Einen wichtigen Stellenwert<br />
im heimischen Festivalkalender hat<br />
das Linzer Crossing Europe, das auf europäische<br />
Filme konzentriert ist –und Perlen<br />
nach Österreich bringt, die uns sonst wohl<br />
verwehrt blieben, schafft doch nur ein<br />
Bruchteil jener Filme, die in Europa produziertwerden,<br />
einen Kinostartbei uns. Seine<br />
geplante Ausgabe im März musste das Festival<br />
absagen, die Highlights aus dem Programm<br />
werden nun häppchenweise serviert:<br />
Im Wiener Filmmuseum wird etwa<br />
das Drama „Bait“ vom Briten Mark Jenkin<br />
gezeigt (18. <strong>10</strong>.), das bei der Berlinale überzeugte<br />
und einen Bafta-Preis gewann. Im<br />
Wiener Stadtkino gibt es das absurd-komische<br />
Puppentrickabenteuer „Old Man Cartoon<br />
Movie“ aus Estland zu sehen (21. 11.):<br />
Eine ausgekommene Milchkuh droht darin<br />
mit der „Lactokalypse“. Im Linzer City-Kino<br />
präsentiert das Festival jeden Dienstag<br />
einen Film ausdem abgesagtenProgramm.<br />
Etwa den deutschen Coming-of-Age-Film<br />
Tipps<br />
Crossing Europe. Das Festival im März<br />
wurde abgesagt,die Programmhighlights<br />
gibt’s über den ganzen Herbst<br />
verteilt in Kinos –nicht nur in Linz.<br />
crossingeurope.at<br />
Jüdisches Filmfestival. Noch bis<br />
21.Oktober in Wien. www.jfw.at<br />
Internationales Kinderfilmfestival.<br />
14.–22. November in Wien; 21.– 29.<br />
November in vier steirischen Städten.<br />
kinderfilmfestival.at<br />
IFFI. International Film Festival Innsbruck:<br />
3.–8. 11., iffi.at<br />
ThisHuman World. 3.–13. 12. in Wien.<br />
thishumanworld.com<br />
K3. 9.–13. Dezember in Villach.<br />
k3filmfestival.com<br />
„Futur 3“ (24. 11.) über drei zerrissene junge<br />
Menschen iranischer Herkunft in der niedersächsischen<br />
Provinz. Oder den Festivalhit<br />
„Cat in the Wall“ (27. <strong>10</strong>.): Über eine<br />
Katze, die in einem Londoner Gemeindebau<br />
inder Mauer feststeckt, wird hier von<br />
sozialen Klüften, Gentrifizierung und dem<br />
Konflikt zwischen britischer Arbeiterklasse<br />
und zugezogenen Migranten erzählt.<br />
Der Film wird im Dezember auch beim<br />
„This Human World“ zu sehen sein, einem<br />
Festival, das sich stets um globale Menschenrechtsthemen<br />
dreht. Im Programm<br />
istdortauch die Doku„The EarthIsBlue as<br />
an Orange“ über eine ukrainische Familie,<br />
die, umringtvon Kriegund Soldaten, einen<br />
Film dreht. Das Festival will heuer einige<br />
Filme auch über einen Onlinestream<br />
zugänglich machen, Publikumsgespräche<br />
finden via Videokonferenz statt.<br />
Irre Klimaanlagen. Das größte Filmfestival<br />
im Westen des Landes ist das IFFI, das<br />
Internationale Film Festival Innsbruck.<br />
Statt bereits imFrühling findet eine verkleinerte<br />
Ausgabe im November statt.<br />
Rund 60 Filme werden gezeigt, einige<br />
davon imWettbewerb um den Spielfilmpreisdes<br />
LandesTirol, darunter das peruanische<br />
Kinderhandel-Drama „Song Without<br />
aName“ und das jazzige, magisch-gewitzte„Ar<br />
condicionado“aus Angola: Darin<br />
haben die Klimaanlagen von Luanda<br />
scheinbar beschlossen, kollektiv aus ihren<br />
Verankerungen zu brechen, was einen<br />
Streifzug durch die lebhafte Stadt anheizt.<br />
Weiter südlich, in Villach, widmet sich im<br />
Dezember das K3-Festival dem Filmschaffen<br />
aus Norditalien, Südösterreich und Slowenien.<br />
Zu erwarten ist ein Programm aus<br />
sechs Lang-und 25 Kurzfilmen.<br />
Bereits begonnen hat das Jüdische Filmfestival,<br />
unter dem Motto „Reißt die Mauern<br />
nieder!“ werden alte und neue Filme<br />
gezeigt. Der Eröffnungsfilm „Crescendo“, in<br />
dem PeterSimonischek als väterlicher Dirigent<br />
eines ungewöhnlichen Jugendorchesters<br />
heillos zerstrittene Musiker aus Israel<br />
und Palästina zusammenbringt, ist am<br />
21. <strong>10</strong>. erneut zu sehen –und ein paar Sichtungsmöglichkeiten<br />
mehr gibt es auch: Ein<br />
regulärer Kinostart fiel zwar der Pandemie<br />
zum Opfer, vereinzelte Kinos wollen den<br />
Film trotzdem zeigen. e<br />
<strong>Kulturmagazin</strong> 85
Highlights<br />
KLASSIK<br />
LITERATUR<br />
Unkonventionell. Thomas Gansch zeigt in<br />
seinem Konzerthaus-Zyklus,was die<br />
Trompete alles zu bieten hat.<br />
Viel zu selten steht sie aufden großen Konzertbühnen<br />
im Mittelpunkt,die Trompete. Einer,der das Instrument<br />
in seinen vielen Facetten erklingen lässt,ist der-<br />
Trompeter Thomas Gansch. In musikalische Kategorien<br />
lässt er sich nicht pressen: Er gastiertimPorgy&Bess<br />
genauso wie im Wiener Konzerthaus, Letztereshat heuer<br />
ein Abo aufgelegt,bei dem man sich vonder musikalischen<br />
Vielfalt desMusikers überzeugen kann: Alljährlich<br />
vorWeihnachten findet seine „Schlagertherapie“<br />
(21. Dezember) statt. Das Mottodabei lautet: „Vergessen<br />
wir für eine kurzeWeile die Sorgen der Welt und ergeben<br />
uns unseren sehnsüchtigsten Träumen –damit wir’s<br />
danach wieder frisch gestärkt mit der Realität aufnehmen<br />
können.“Udo Jürgens, Catarina Valente, Ludwig Hirsch<br />
und andereSchlagerstars sind in neuem Sound zu hören.<br />
Mit seinem Stammensemble Mnozil Brass bläst Gansch<br />
sich frohgemut wie „Phoenix“aus der Asche empor<br />
(<strong>10</strong>.Februar). Mit seinem langjährigen Kompagnon, dem<br />
Bassisten Georg Breinschmid, sowie dem Geiger Benjamin<br />
Schmid isterimTrio„Brein, Schmid &Gansch“<br />
(17. Jänner) zu erleben. HerbertPixner,ManuDelagound<br />
das Radio String Quartetstehen Gansch in „Alpen &Glühen“zur<br />
Seite.<br />
Daniela Tomasovsky<br />
Virtuos. Mario Roms Interzone sorgen für<br />
jazzige Begleitung der Europäischen<br />
Literaturtage in Krems.<br />
OhWildnis, oh Schutzvor ihr“ nannteeinst Elfriede<br />
Jelinek ihreAttackegegen die Verklärung der Natur.<br />
Fast 40 Jahrespäterlautetdas Mottoder diesjährigen<br />
Europäischen Literaturtage „Mehr Wildnis!“. Die Veranstaltung<br />
findet vom19. bis22. November im Klangraumin<br />
der Kremser Minoritenkirche statt. Früher tatendie Menschen<br />
ihr Möglichstes,umsich vorder Wildniszuschützen,<br />
heutetreibt es sie aufder Suche nach den letzten<br />
Abenteuern dorthin. Heutemüssen nicht mehr wir uns<br />
vorder Natur schützen, sondern die Natur voruns. Darüber<br />
wollen im zwölften Jahr der Literaturtage Autorinnen<br />
undAutoren ausEuropa diskutieren. Den Anfang macht<br />
die deutsche Philosophin Ariadne vonSchirach mit ihrem<br />
Eröffnungsvortrag zum Thema „Was bedeutet Wildnis?“<br />
und einer anschließenden Diskussion mit Robert<br />
Menasse. Höhepunkt wirdSamstag die literarisch-musikalische<br />
Soiree mit dem isländischen AutorSjón und<br />
einer Lesung vonJohannesSilberschneider sein, moderiertvon<br />
der Literaturchefin im ORF,Katja Gasser.Den<br />
Abschluss bildet am Sonntag die Verleihung desEhrenpreisesdes<br />
Österreichischen Buchhandels für Toleranz in<br />
Denken und Handeln an die großartigekanadische AutorinA.L.Kennedy.<br />
www.literaturhauseuropa.eu<br />
Harald Klauhs<br />
Tipp<br />
Tipp<br />
RSO Wien. In seiner 5. Symphonie<br />
reizt Mahler die Tonalität<br />
aus,Visconti verwendete<br />
das Adagietto für seinen Film<br />
„Tod in Venedig“. Marin Alsop<br />
liebt Mahler,auf ihreLesart<br />
kann man also gespannt sein.<br />
<strong>16</strong>. <strong>10</strong>., Wiener Konzerthaus<br />
„Into the Woods“. Witz und<br />
musikalische Eleganz zeichnen<br />
die Musicals von Stephen<br />
Sondheim (er wirdimMärz<br />
2021 90!) aus,in„Into the<br />
Woods“ geht es um Märchen,<br />
das Werk ist ein Plädoyer für<br />
die Wahrheit der Fantasie.<br />
Premiere: 13. März 2021,<br />
Wiener Volksoper<br />
Concentus Musicus. Als<br />
„Symphonie gegen Napoleon“<br />
wurde sie bezeichnet,kurz<br />
nach der Niederlage des<br />
Franzosen in der Schlacht bei<br />
Leipzig fand die Uraufführung<br />
in der Alten Universität in Wien<br />
statt.Der Concentus Musicus<br />
unter Stefan Gottfried lässt sie<br />
so erklingen, wie sie wohl damals<br />
geklungen hat.12. &13.<br />
Dezember,Musikverein.<br />
FriederikeMayröcker. Die Frau<br />
ist in Österreich nahezu ebenso<br />
Kult wie Ruth Bader Ginsburginden<br />
USA: die 95-jährige<br />
FriederikeMayröcker.Inder<br />
Alten Schmiede liest sie aus<br />
ihrem jüngsten Band „da ich<br />
morgens und moosgrün. Ans<br />
Fenster trete“. 27. <strong>10</strong>., 19 Uhr,<br />
Alte Schmiede<br />
Bettina Balàka. Die Salzburger<br />
Autorin hat sich intensiv mit<br />
der Pädagogin, Sozialreformerin<br />
und Frauenrechtsaktivistin<br />
Eugenie Schwarzwald<br />
beschäftigt.Nun hält sie im<br />
Wiener Rathaus eine Festrede<br />
über die ehemalige „Presse“-<br />
Feuilletonistin. 3. 11., 19 Uhr,<br />
Wappensaal<br />
Arbeit statt Almosen. Corona<br />
hat den Autoren zugesetzt.<br />
Lesungen, eine wichtige Einnahmequelle,<br />
sind versiegt.<br />
Marlen Schachinger hat ein<br />
Crowdfunding-Projekt gestartet<br />
und Autoren gebeten, einen<br />
literarischen Text zur „Kulturnation<br />
Österreich“ zu schreiben.<br />
www.startnext.com/fragmente<br />
Fotos: Beigestellt<br />
86 <strong>Kulturmagazin</strong>
TANZ<br />
THEATER<br />
Coppélia. Um ihrem Franz klarzumachen,<br />
dass er sich in eine Puppe verliebt hat,<br />
wirdSwanilda zu Coppélia.<br />
Ursprünglich istdie Erzählung vonder PuppeOlimpia<br />
ein Gruselmärchen. E. T. A. Hoffmann erzählt vom<br />
Studenten Nathanael, der der mechanischen Figur verfällt,<br />
wahnsinnig wirdund sich schließlich in den Tod<br />
stürzt.Diesesunheimliche „Nachtstück“ hatgleich nach<br />
Erscheinen 1817Furoregemacht und fasziniertauch<br />
heutenoch, als rätselhafteFiktion oder charmanteKomödie.<br />
JacquesOffenbach lässt in seiner Oper „Les contes<br />
d’Hoffmann“, die PuppeOlimpia singen. Bald nach Offenbach<br />
meldetesich der jungeKomponistLéo Delibesmit<br />
einer bezaubernden Ballettmusik.Die PuppeOlimpia ist<br />
jetzt Coppélia, ihr Anbeter Franz.Inder Choreografie von<br />
Arthur Saint-Léon eroberte „Coppélia ou La Fille aux<br />
yeux d’émail“1870von Paris ausdie Ballettbühnen der<br />
Welt.Sie istunsterblich, der schrulligeDr. Coppélius muss<br />
nurden Schlüssel in ihrem Rücken drehen. Diesen<br />
Schlüssel hatder Tänzer und Choreograf PierreLacotte,<br />
die Autoritätfür die Rekonstruktion vonBallettklassikern,<br />
gefunden, die 150JahrealteChoreografie neu belebt und<br />
das lang verschollene dritteBild rekonstruiert. Ausdem<br />
Schauerstück istein köstlicher Schabernack geworden.<br />
Glanzvoll istdas Finale, wenn die neue Glockezur großen<br />
Hochzeitsfeier ruft.Ab11. 12. in der Volksoper.<br />
Ditta Rudle<br />
RichardII. Jan Bülow spielt im November<br />
RichardII. im Burgtheater,Regisseur ist<br />
Johan Simons.<br />
Wenn die Musik doch schwieg’, sie macht mich<br />
toll/Denn hatsie Tollen schon zum Witz verholfen/<br />
In mir macht sie den Weisen toll“, spricht RichardII., ein<br />
Shakespeare-König, bei dem man sich fragt, wie die Mächtigen<br />
klug regieren sollen, wenn sie eine derarttragische<br />
eigene Vita haben, in der ihnen früh beigebracht wird,<br />
dass Liebe nichtszählt,Siegenalles–und der Todlauert<br />
stetsgleich um die Ecke.Mit elf Jahren wirdRichardauf<br />
den Thron gesetzt,seine Frau Isabelvon Valoisist sechs<br />
Jahrealt.Richardlässt seinen Onkel ermorden, erhöht<br />
Steuern und Abgaben und widmet sich der eigenen<br />
Prachtentfaltung.Johan Simons, dem zu vielen Stoffen<br />
gleichermaßen Originelleswie Seriöseseinfällt,inszeniert<br />
„RichardII.“imBurgtheatermit JanBülowinder Titelrolle.<br />
Der 1996 in Berlin geborene Schauspieler war<br />
zuletzt in der Burg in Wajdi Mouawads„Vögel“ zu sehen<br />
sowie in der „Edda“. Ferner spielteBülowinder actionreichen<br />
Netflix-Serie „Dogs of Berlin“, zuletzt warerals Udo<br />
Lindenberg in dem Biopic „Lindenberg!Mach dein Ding“<br />
vonHermine Huntgeburth zu erleben. Über die Rock-<br />
Ikone sagte Bülowinder „FAZ“: „Menschen, die erfolgreich<br />
sind, sind vonstarken Selbstzweifeln geprägt.“<br />
RichardII. erfassen diese erst,als es zu spät ist.<br />
Barbara Petsch<br />
Tipp<br />
Tipp<br />
Thunberggoes Tanz. „Climatic<br />
Dance“ ist der fünfte Teil von<br />
Amanda Piñas großartigem<br />
Projekt über den Verlust der<br />
kulturellen und biologischen<br />
Vielfalt des Planeten. Ihr Thema<br />
ist die Entkolonialisierung<br />
von Kunst.Im„Climatic<br />
Dance“ sind auch Studierende<br />
der National School of Folcloric<br />
Dance of Mecikoauf der<br />
Bühne.17.–19. 12. tqw.at<br />
Biografisch. Romy Schneider<br />
ist auf der Tanzbühne gelandet.„Ich<br />
kann nichts im Leben<br />
–aber alles auf der Leinwand“,<br />
sagte die Ausnahmeschauspielerin.<br />
Der Innsbrucker<br />
Ballettchef Enrique Gasa<br />
Valga zeigt das Leben der<br />
facettenreichen Privatperson<br />
und vielseitigen Künstlerin.<br />
Premiere: 27. 2. landestheater.at<br />
Ängste. „In der Dunkelwelt“<br />
beschäftigen sich der Choreograf<br />
Joachim Schlömer und<br />
drei Tänzerinnen mit Gefühlsausbrüchen<br />
und wie man sich<br />
diesen stellt.Ab<strong>16</strong>.<strong>10</strong>.<br />
dschungelwien.at<br />
Liliom. VomHutschenschleuderer<br />
und seiner Julie mit dem<br />
Herzen aus Gold (wo gibt es<br />
heute noch so was?) kann<br />
man nie genug kriegen, darum<br />
inszeniert Peter Wittenberg<br />
die Molnár’sche Vorstadtlegende<br />
im OÖ. Landestheater<br />
in Linz. www.landestheaterlinz.at<br />
Ausländer raus! Wiens Schauspielhaus<br />
blickt zurück auf<br />
Christoph Schlingensief und<br />
seine längst legendären Aktionen:<br />
Am 24. Oktober,dawäre<br />
dieser große und echte Erfinder<br />
neuer Formen der Bühnenkunst<br />
sechzig Jahrealt geworden.<br />
Er starb 20<strong>10</strong>.<br />
Michael Kohlhaas. Dem Pferdehändler<br />
Michael Kohlhaas<br />
wirdvon den Mächtigen übel<br />
mitgespielt.Ergibt nicht auf<br />
und wirdimmer rabiater.Kleists<br />
Novelle, die bis heute provoziert,inszeniert<br />
der Brite Simon<br />
McBurney (ab 2. 12.). Die Berliner<br />
Schaubühne bietet verlässlich<br />
FirstClassBühnenkunst<br />
und lockt zu einem Ausflug an<br />
die Spree.<br />
Fotos: Katarina Soskic, beigestellt<br />
<strong>Kulturmagazin</strong> 87
Highlights<br />
POP<br />
JAZZ<br />
Culk. Entrückt und eindringlich ist der<br />
Gesang von Culk-Sängerin Sophie Löw.<br />
Die Wiener Band ist am 30. <strong>10</strong> im WUK.<br />
ImVideo zum Song „Dichterin“, der ersten Single des<br />
neuen Albums der Wiener Band Culk,kehrtSängerin<br />
Sophie Löwnach gut eineinhalb Minuten der Kameraden<br />
Rücken zu. „Fck generischesMaskulinum“steht aufder<br />
Rückseiteihrer Jacke. In Großbuchstaben. „Vergiss mein<br />
nicht“, singtsie gleich darauf, als siewieder in die Kamera<br />
blickt.Zuvor sieht man lang nichtsaußer den als Untertiteleingeblendeten<br />
Songtext.Bis Löwirgendwann schemenhaft<br />
ausdem Dunkel hervortritt.Passend zu diesem<br />
wütenden wie resignierenden Song,indem sie die<br />
Unsichtbarkeit der Geschlechtervielfalt anprangert: „Du<br />
verdrängst mich/und du verkennst mich/ich verrenne<br />
mich an dunkle Orte/dukennst keine Wortefür mich/<br />
und die du für mich hast /führen mich weit wegvon Einfluss<br />
und Macht.“ DiesesAusleuchten gesellschaftlicher<br />
Missstände, gefasst in dringlichen Post-Punk oder albtraumhaften<br />
Dream-Pop,hat Culk bereitsmit ihrem<br />
Debüt aus2019 zu einer der aufregendsten neuen Bands<br />
im deutschen Sprachraumgemacht.Mit „Zerstreuen über<br />
Euch“, ihrem zweiten Album, festigtsie diesen Status:<br />
IhreSongs über Machtmissbrauch, Unterdrückung oder<br />
zwischenmenschliche Krisen fesseln nicht zuletzt dank<br />
dem bald seltsam entrückten Gesang Löws.<br />
Holger Fleischmann<br />
Schönster Schauder garantiert. Die Tiger<br />
Lillies sind am <strong>16</strong>. und 17. November<br />
(19 &21Uhr) im Porgy&Bess zu Gast.<br />
Das wüstebritische Trio Tiger Lillies wargar nicht lahm<br />
in der Zeit der seuchenbedingtenAusgangsbeschränkungen.Neue<br />
Lieder,neueScherzekamenpermanent<br />
über ihre Internetplattformen. Diese wollen vor Publikum.<br />
Undsoscheuen die Tiger Lilliesweder Gesundheitsrisken<br />
noch Reisestrapazen,umwieder aufs europäische Festlandzustreben.Am<strong>16</strong>.<br />
und17. November werden sie in<br />
Wien aufschlagen. Diesmit dem neuen, vomgriechischen<br />
Rembetiko inspiriertenOpus„Lemonaki“ im Gepäck,wo<br />
es recht viel um Krankenhäuser undFriedhöfegeht.MartynJacques’<br />
vielgerühmtesKastraten-Crooningwirdmit<br />
viel Gustodas angstlustsüchtige Publikum in denVorhof<br />
der Hölle geleiten undallerhandAuslassungen über die<br />
tragischen Schicksalevon Zuhältern,ganzkörpertätowiertenProstituierten,<br />
sodomiertenSchafenund Müttern in<br />
Irrenanstalten zelebrieren.Die gleichermaßenkarg wie<br />
pointiert instrumentiertenMoritatenund die überspitzt<br />
albtraumhaft vorgetragene, gewissermaßen surrealistischeSozialkritiklassen<br />
diedüstereAtmosphäreder<br />
frühenPolitsongs vonBertBrecht und Kurt Weill auf<br />
drastischeArt wiederauferstehen, wecken aber auch<br />
Assoziationen an Helmut Qualtingers genialeH.C.-Artmann-Interpretationen<br />
„SchwarzeLieder“.<br />
Samir H. Köck<br />
Tipp<br />
Tipp<br />
Sigrid Horn. Knapp vorm Lockdown<br />
im März veröffentlichte<br />
die in Wien ansässige Mostviertlerin<br />
ihr zweites Album<br />
voll herrlicher Dialekt-Chansons.„Ibleib<br />
do“, ungewollt<br />
passend betitelt für das Jahr<br />
<strong>2020</strong>, kann man nun im Wiener<br />
Sonnwendviertel live hören.<br />
28.11., Gleis 21, Wien<br />
Blue BirdFestival. Als Hoffnungsträger<br />
in schweren Zeit<br />
will das beliebte, freigeistige<br />
Singer-Songwriter-Festival<br />
heuer agieren: mit heimischen<br />
Acts wie Garish und Alicia<br />
Edelweiss und mit diversen<br />
internationalen Gästen wie<br />
Anna BSavage und This Is the<br />
Kit.19.–21.11., Porgy&Bess<br />
Lou Asril. Sein heuriges (Mini-)<br />
Albumdebüt verdeutlichte,<br />
warum der Mann aus Seitenstetten<br />
als großes Popversprechen<br />
gilt: Bisweilen<br />
sehnsuchtsvoller Falsettgesang<br />
trifft auf reduzierte<br />
R’n’B-Arrangements und<br />
knappe Beats.Beseelt!<br />
29. 11., WUK<br />
Legende. Die Jahresind rasch<br />
verronnen für den großen<br />
Jazzpianisten Chick Corea,<br />
seit er er 1978 sein erstes<br />
Konzerthaus-Konzert gegeben<br />
hat.Sein Werk hat sich stilistisch<br />
stark verbreitert seit den<br />
frühen Tagen des von ihm mitgeprägen<br />
Fusionsounds.Sogar<br />
an Mozart versucht er sich<br />
zuweilen höchst erfolgreich.<br />
8.November,Konzerthaus<br />
Groovemagier. Waldeck präsentiert<br />
an diesem Abend sein<br />
neues Opus „Grand Casino<br />
Hotel“, das Kopfkino vom<br />
Feinsten auslöst.Ausladende<br />
Texturen, schwelgerische<br />
Gesänge und beinharte Tanzrhythmen<br />
locken. 27. November,Porgy<br />
&Bess<br />
Ohren spitzen! David Murray<br />
spielte bereits ab seinem<br />
neunten Lebensjahr Saxofon.<br />
Nach Anfängen im R’n’B<br />
wandte sich der junge Mann<br />
bald ernsthaft dem Jazz zu.<br />
Sein Repertoirereicht vom Spiritual<br />
Free Jazz bis zum Blues.<br />
9. Dezember,Porgy &Bess<br />
Fotos: Antonia Mayer, Andrey Kezzyn<br />
88 <strong>Kulturmagazin</strong>
TM ©1988 CML TM ©1981 RUG LTD CATSLOGO DESIGNED BY DEWYNTERS<br />
CAMERON M ACKINTOSHS<br />
ERFOLGSPRODUKTION V ON<br />
BOUBLIL & SCHÖNBERGS<br />
PREMIEREJÄNNER<strong>2020</strong><br />
#WeAreMusical<br />
WWW.MUSICALVIENNA.AT
Das bringt der Herbst<br />
NATAŠA ILIĆ<br />
Nataša Ilić. Die gebürtige<br />
Zagreberin ist Mitglied des<br />
kroatischen Kuratorinnenkollektivs<br />
What,How &for<br />
Whom/WHW.Gemeinsam<br />
mit Ivet Ćurlin und Sabina<br />
Sabolović leitet sie seit<br />
2019 die Kunsthalle Wien.<br />
Noch bis 30. Oktober ist<br />
dort die Ausstellung „Kiss“<br />
zu sehen,<br />
www.kunsthallewien.at<br />
Waswar der Osten?<br />
Die Moderna Galerija in Ljubljana<br />
gibt einen umfassenden<br />
Überblick über das Werk des<br />
polnischen Malers, Kunsthistorikers<br />
und Kritikers Andrzej<br />
Wróblewski. Im Mittelpunkt<br />
der Ausstellung steht seine<br />
Reisenach Jugoslawien 1956,<br />
nurein Jahr vorseinem Tod.<br />
Erstmals istauch sein Spätwerk<br />
zu sehen. Die Ausstellung<br />
nimmt diesals Anlass, um zu<br />
fragen: Waswar der Osten?–<br />
oder:Gibt es so etwaswie den<br />
Osten noch?Bis <strong>10</strong>.1.2021,<br />
www.mg-lj.si<br />
Erlesene Objekte<br />
Das Weltmuseum Wien präsentierteine<br />
Schauzur Kunst und<br />
Kultur der Azteken, die<br />
erlesene Objekteaus verschiedenen<br />
mexikanischen und<br />
europäischen Museen versammelt.Die<br />
Kultur desmächtigen<br />
Aztekenreichs, nach der<br />
gewaltsamen Eroberung durch<br />
die spanischen Konquistadorendem<br />
Untergang geweiht,<br />
lädt uns ein, über das Schicksal<br />
vonImperien, gewaltsame<br />
Kolonialgeschichten sowie ihre<br />
Folgen und Nachwirkungen in<br />
der Gegenwart nachzudenken.<br />
Bis30. 4. 2021,<br />
www.weltmuseumwien.at<br />
Visuelle Muster<br />
DasHausder Kulturen der Welt<br />
in Berlin präsentiertalle 63<br />
Tafeln vonWarburgs Bilderatlas„Mnemosyne“–erstmals<br />
wiederhergestelltmit dem originalen<br />
Bildmaterial desKunstund<br />
Kulturhistorikers. Aby<br />
WarburgsMethode,nach visuellen<br />
Themenund Mustern<br />
über Zeitenund Geografien<br />
hinweg zu suchen,ist immens<br />
wichtig für unser Verständnis<br />
derheutigenWelt,die so sehr<br />
vonvisuellenMedien beherrscht<br />
wird.Bis 30.11. <strong>2020</strong>,<br />
www.hkw.de<br />
Foto: Christine Pichler.<br />
90 <strong>Kulturmagazin</strong>
SEIT 1707<br />
Classic Week 5. –<strong>10</strong>. November<br />
Alte Meister<br />
Gemälde des 19. Jahrhunderts<br />
Antiquitäten<br />
Contemporary Week<br />
24. –30. November<br />
Zeitgenössische Kunst<br />
Klassische Moderne<br />
Juwelen, Uhren<br />
Palais Dorotheum, Wien, +43-1-515 60-570<br />
Düsseldorf, +49-211-2<strong>10</strong> 77-47, München, +49-89-244 434 730<br />
www.dorotheum.com<br />
Gustav Klimt, „Altar des Dionysos“, 1886, Entwurf für das Deckengemälde im südlichen Stiegenhaus (Giebelfeld)<br />
des Burgtheaters, Öl auf Leinwand, 32 x158 cm, (Abb.-Ausschnitt), €190.000 –300.000, Auktion 24. November