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2020-10-16 Kulturmagazin

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magazin<br />

<strong>16</strong>.<strong>10</strong>. <strong>2020</strong><br />

Auf dem<br />

Absprung<br />

Frischer Wind im Kulturherbst: Jungkünstlerin<br />

Sara Lanner und andere neue Namen bei der<br />

Diplomausstellung der Bildenden in Wien.


Gershwin<br />

Rossini<br />

PORGY AND BESS IL BARBIERE<br />

Wayne Marshall |Matthew Wild<br />

DI SIVIGLIA *<br />

Wiener KammerOrchester<br />

special extended<br />

George Jackson |Christoph Zauner<br />

Porgy and Bess-Ensemble<br />

Wiener KammerOrchester<br />

Eric Greene, Simon Shibambu,<br />

Mit dem Jungen Ensemble<br />

Jeanine De Bique, Pumeza Matshikiza<br />

Theater an der Wien<br />

Premiere: 14. Oktober <strong>2020</strong><br />

Premiere: 5. März 2021<br />

Änderungen vorbehalten<br />

Mozart<br />

LE NOZZE DI FIGARO<br />

Stefan Gottfried |Alfred Dorfer<br />

Concentus Musicus Wien<br />

Arnold Schoenberg Chor<br />

Florian Boesch, Cristina Pasaroiu,<br />

Robert Gleadow, Giulia Semenzato<br />

Premiere: 12. November <strong>2020</strong><br />

Cavalli<br />

GIASONE *<br />

Benjamin Bayl |Georg Zlabinger<br />

Bach Consort Wien<br />

Mit dem Jungen Ensemble<br />

Theater an der Wien<br />

Premiere: 29. November <strong>2020</strong><br />

Rameau<br />

PLATÉE<br />

William Christie |Robert Carsen<br />

Les Arts Florissants |Arnold Schoenberg Chor<br />

Marcel Beekman, Jeanine De Bique,<br />

Edwin Crossley Mercer, Cyril Auvity<br />

Premiere: 14. Dezember <strong>2020</strong><br />

Massenet<br />

THAÏS<br />

Leo Hussain |Peter Konwitschny<br />

RSO Wien |Arnold Schoenberg Chor<br />

Nicole Chevalier, Josef Wagner,<br />

Roberto Sacca, Carolina Lippo<br />

Premiere: 19. Jänner 2021<br />

Donizetti<br />

BELISARIO<br />

Oksana Lyniv |Nigel Lowery<br />

RSO Wien |Arnold Schoenberg Chor<br />

Roberto Frontali, Carmela Remigio,<br />

Paolo Fanale, Stefan Cerny<br />

Premiere: <strong>16</strong>. Februar 2021<br />

Prokofjew<br />

DER FEURIGE<br />

ENGEL<br />

Constantin Trinks |Andrea Breth<br />

Wiener Symphoniker<br />

Arnold Schoenberg Chor<br />

Ausrine Stundyte, Bo Skovhus,<br />

Nikolai Schukoff, Natascha Petrinsky<br />

Premiere: 17. März 2021<br />

Händel<br />

SAUL<br />

Christopher Moulds |Claus Guth<br />

Freiburger Barockorchester<br />

Arnold Schoenberg Chor<br />

Florian Boesch, Anna Prohaska,<br />

Jake Arditti, Giulia Semenzato<br />

Premiere: <strong>16</strong>. April 2021<br />

Beethoven<br />

AN DIE FREUDE<br />

John Neumeier |Hamburg Ballett<br />

Wiener KammerOrchester<br />

Arnold Schoenberg Chor<br />

Valentina Petraeva, Sofia Vinnik,<br />

Andrew Morstein, Ivan Zinoviev<br />

Premiere: 5. Mai 2021<br />

Wagner<br />

TRISTAN<br />

EXPERIMENT *<br />

Hartmut Keil |Günther Groissböck<br />

Wiener KammerOrchester<br />

Norbert Ernst, Kristiane Kaiser,<br />

Günther Groissböck, Juliette Mars<br />

Premiere: 26. Mai 2021<br />

*Theater an der Wien<br />

IN DER KAMMEROPER<br />

wwww.theater-wien.at<br />

DAS OPERNHAUS<br />

Intendanz:Roland Geyer<br />

vor abendrot<br />

SAISON<br />

de facto<br />

beyond |Hermine Karigl-Wagenhofer<br />

Hauptsponsor<br />

Theater an der Wien<br />

Tageskasse: Mo-Sa <strong>10</strong>-18 Uhr<br />

Linke Wienzeile 6|<strong>10</strong>60 Wien<br />

www.theater-wien.at


Inhalt<br />

Cover: Christine Ebenthal. Fotos: Wolfgang Vollmer/Henry Rox Archive Cologne <strong>2020</strong>; Clemens Fabry;<br />

magazin<br />

Kunstbeschau. Johanna Hofleitner führt durch<br />

die besten Ausstellungen der kommenden Monate.Oben:<br />

Wolfgang Vollmer im Fotohof.<br />

Vorwort<br />

38<br />

Mit Euphorie –und Vorbehalt: So lässt sich ganz grob die<br />

Arbeit an dieser Ausgabe des„<strong>Kulturmagazin</strong>s“beschreiben,<br />

das –aus bekannten Gründen –imOktober ungewohnterweisezum<br />

ersten Malindiesem Jahr erscheint.<br />

Alle mitwirkenden Autorinnen und Autorenwaren wohl nicht minder<br />

froh als ihrejeweiligen Gesprächspartner,dass da geradewieder<br />

ein Kulturbetrieb zu laufen beginnt,der,wenngleich unter neuen Voraussetzungen,<br />

erahnen lässt,wie die liebe neue Normalität im jeweiligenZusammenhang<br />

aussehen wird. Vieleskann freilich doch nicht,<br />

wie vonden Veranstaltern geplant,aus dem Frühling in das zweite<br />

Halbjahr herübergeholt werden; einiges wurde aufdas kommende<br />

Jahr verschoben, manchesentfällt ganz.Und –jetzt eben zu unserem<br />

Vorbehalt –esist auch nicht auszuschließen, dass aufden folgenden<br />

Seiten Angekündigtesdoch entfallen muss. Die Tipps in der „Panorama<br />

International“-Rubrik sind zudem mit Reisewarnungsvorsicht<br />

zu genießen. Wirhoffen aber,Ihnen stehen einigeMonate Kultur-und<br />

auch einiges an Lesegenuss bevor. Für laufend aktuelle<br />

Veranstaltungshinweiseerlauben wir uns, auf<br />

die Rubrik DiePresse.com/kulturkalender<br />

zu verweisen.<br />

AufWiederlesen im Frühling!<br />

Daniela Tomasovsky, BarbaraPetsch, Daniel Kalt<br />

Impressum<br />

4 Panorama. Höhepunktedes kulturellen Treibens aus<br />

allen Himmelsrichtungen.<br />

14 Talentprobe. Die Diplomausstellung derBildenden<br />

als Sprungbrett fürjunge Kunstschaffende.<br />

24 Personalpolitik. Neue Köpfefür Albertina, Kunstraum<br />

Niederösterreich unddie Bildende.<br />

28 Hausbesuch. Die Burggasse 98 alsinterdisziplinäre<br />

Kunst-Design-Anlaufstelle.<br />

30 Zeitfenster. Auch im Coronakunstjahr findeteine<br />

Vienna ArtWeek statt.<br />

34 Reisefieber. Zu Besuch in Thessaloniki, wo sich<br />

Orient und Okzident ganz nahekommen.<br />

44 Wertsteigerung. Die Begeisterungsfähigkeit des<br />

Kunstmarkts für afrikanische Kunstpositionen.<br />

48 Kauflaune. EinÜberblick der wichtigsten Kunstmarkttermineinden<br />

kommenden Monaten.<br />

58 Aufbruchstimmung. Anna B. Savage im Gespräch über<br />

musikalische Einflüsse und literarische Inspiration.<br />

60 Festlich. Jamie Cullumlegtsein erstesWeihnachtsalbumvor<br />

und istimmer nochsehr „boyish“.<br />

62 Tanzbein. Acht Musiker ausdem Weinviertel sind<br />

Skolka, mitSka-und Polkaanklängen.<br />

64 Bühnenpsychologie. Eine Vorstellungvon Hans<br />

Werner HenzesOper „Das verratene Meer“.<br />

66 Musikgeschichte. Maddalenadel Gobbo spielt<br />

historisch wertvoll die VioladaGamba.<br />

68 Preisverdacht. Clemens MariaSchreiner erhält im<br />

November denÖsterreichischenKabarettpreis.<br />

70 Famos. Alfred Dorfer inszeniert den „Figaro“,auchin<br />

Burgtheaterund Staatsopergibtman Mozart.<br />

74 Sprachverliebt. Dorfliteratur mitmagischen Tönen<br />

vonKatharina Johanna Ferner.<br />

76 Einstand. Der neueChef desStaatsopernballetts,<br />

Martin Schläpfer,imgroßen Interview.<br />

78 Neuland. Eine neue Kulturstiftung will markante<br />

Kulturimpulse in Kärnten setzen.<br />

80 Autoritäten. Die Anfänge desösterreichischen Autorenfilms<br />

sind Thema derdiesjährigen Viennale.<br />

84 Lichtspielfest. Filmfestivals in ganz Österreich sorgen<br />

für vielfältigeUnterhaltung.<br />

90 Kulturherbst. Nataša Ilić istTeil desDirektorinnen-<br />

Triosder Kunsthalle Wien undgibtKulturtipps.<br />

Medieninhaber undHerausgeber: „Die Presse“ Verlags-Ges.m.b.H. &CoKG, <strong>10</strong>30 Wien, HainburgerStraße 33,Tel.: 01/514 14-Serie. Geschäftsführung: Mag. Herwig Langanger, RainerNowak.<br />

Chefredaktion: Rainer Nowak. Leitung „<strong>Kulturmagazin</strong>“: Mag. Dr.Daniel Kalt,BarbaraPetsch, MMag. Daniela Tomasovsky. Mitarbeiter (Text): Mag. Andrey Arnold, Mag. Holger Fleischmann,JohannaHofleitner,<br />

Dr.Harald Klauhs,Samir H. Köck, EvaKomarek,MAMag. MagdalenaMayer,Katrin NussmayrBA, Barbara Petsch, Mag. Dr.Veronika Schmidt,Mag.Dr. Wilhelm Sinkovicz,Mag.AlmuthSpiegler,MMag.<br />

DanielaTomasovsky,Mag.Isabella Wallnöfer, Paula Watzl MA. Bildredaktion: Mag. Christine Pichler. ProjektleitungVermarktung: Adelheid Liehr, Tel.:+43/1/514 14-554 Artdirection: Matthias Eberhart.<br />

Produktion/Layout: Bakk. Thomas Kiener, Christian Stutzig, Patricia Varga. Dispo:Alexander Schindler. Hersteller: Druck Styria GmbH &CoKG. Herstellungsort: Martin-Priekopa/SK. Beiträge überKooperationspartner<br />

der„Presse“ erscheinen in redaktionellerUnabhängigkeit mitfinanzieller Unterstützung der jeweiligen Kooperationspartner.<br />

<strong>Kulturmagazin</strong> 3


Panorama<br />

SÜD<br />

Zwiespältig. Das „Morgen“, von<br />

dem Herbert Brandls Ausstellung<br />

im Kunsthaus Graz erzählt,<br />

ist ungewiss,vage, ausweichend.<br />

Werweiß schon, was<br />

morgen ist? Wirdesüberhaupt<br />

ein Morgen geben? Ab 23.<strong>10</strong>.<br />

Märchenhaft. Höchst lebendig ist<br />

die russische Kunst des Spitzentanzes.Wenn<br />

das St.Petersburger<br />

Klassische Ballett auf Tournee<br />

geht,dann reisen natürlich die<br />

Schwäne samt ihrer Königin mit.<br />

„Schwanensee“ am 25. 11. im<br />

Konzerthaus Klagenfurt.<br />

Twins. IhrePR-Frau vergleicht<br />

sie mit Cigarettes After Sex.<br />

Das ist ein bisserl weit hergeholt,aber<br />

ein gewisses Kreisen<br />

um sich selbst zeichnet auch<br />

die sanfte Musik von Mynth<br />

aus.Das hat vielleicht damit<br />

zu tun, dass Mario und Giovanna<br />

Fartacek Zwillinge sind.<br />

Orpheum Graz, 25. 2. 2021<br />

„Alcina“. Voneiner Zauberin handelt<br />

Händels Oper „Alcina“ –und<br />

von zaubrischer Schönheit ist<br />

auch KiandraHowarth, die australische<br />

Sopranistin singt die Partie<br />

in Klagenfurt.Florentine Klepper<br />

inszeniert,Attilio Cremonesi<br />

dirigert.Esgeht um Utopien.<br />

Vis-à-vis. Zarte geometrische Kompositionen<br />

versus kräftige abstrakte Expression:<br />

Mit Suse Krawagna und Franco<br />

Kappl (Bild) zeigt das Museum Moderner<br />

Kunst Kärnten zwei Maler,die konträrer<br />

nicht sein könnten, in einer Doppelausstellung.<br />

4. 2.–2. 5. 2021.<br />

„Das Licht im Kasten“. Elfriede Jelinek<br />

befasst sich mit einem ihrer<br />

Lieblingsthemen: Mode.Sprachgewaltig<br />

macht sie sich über schöne<br />

Oberflächen und hässliche Kehrseiten<br />

der Branche lustig. Im Grazer<br />

Schauspielhaus inszeniert der<br />

begabte Franz-Xaver Mayr.Mit Oliver<br />

Chomik (Foto links), Johanna<br />

Sophia Baader.Ab20. 11.<br />

Fotos: Wolfgang Günzel, Offenbach, Brandl,beigestellt<br />

4 <strong>Kulturmagazin</strong>


Feiern SieSilvester im<br />

Wiener Konzerthaus!<br />

28 &29/12/20 &01/01/21<br />

Strauss Festival Orchester Wien<br />

»Märchen ausdem Orient«<br />

Willy Büchler Leitung<br />

30 &31/12/20 &01/01/21<br />

Wiener Symphoniker<br />

»Beethoven: Symphonie Nr.9«<br />

Wiener Singakademie, ManfredHoneck Dirigent<br />

30/12/20<br />

Habjan &Friends<br />

»Luftkunst«<br />

Nikolaus Habjan, Ines Schüttengruber u. a.<br />

31/12/20<br />

Silvester-Gala<br />

»Best of Philharmonix«<br />

©Helmut Prochart


Panorama<br />

NORD<br />

Klassiker in neuem Gewand. Nicht<br />

umzubringen sind Romeo und Julia,<br />

sie sterben immer wieder von<br />

Neuem. Die Liebe und das Paar leben<br />

heute, der Todist der alte.Das<br />

kann auch Choreograf Reginaldo<br />

Oliveiranicht ändern. Ab 14. 11. im<br />

Salzburger Landestheater<br />

„Schöne Bescherung“. Früh ist<br />

das Salzburger Landestheater<br />

heuer mit einem Vorgeschmack<br />

auf Weihnachten dran: Ab 21. 11.<br />

wirdAlan Ayckbourns beliebte<br />

Farceüber ein explosives Familienfest<br />

mit echten Gewehren und<br />

Puppentheater gespielt.<br />

Subtil. Für musikalische<br />

Connaisseureist der<br />

Stubnblues das ansprechendste<br />

Programm des<br />

vielseitigen Veteranen<br />

Willi Resetarits.Blues,<br />

Country und Folk fließen<br />

hier sanft ineinander,und<br />

der Willi singt so subtil<br />

wie sonst nirgends.<br />

30. <strong>10</strong>., Minoriten, Wels<br />

Wellenbad. Die ArsElectronica hatte<br />

sie schon am Radar.Nun taucht<br />

das britische Kollektiv Squidsoup<br />

auch das Linzer Schlossmuseum in<br />

ein immersives Bad aus Sound und<br />

Lichtbällen. Lautsprecher,Sensorenund<br />

Mikrocomputer machen es<br />

möglich. Ab 12. 11.<br />

Aufmüpfig. IhreKunst<br />

warunerschrocken, innovativ<br />

und frech, ihr zurückgelassenes<br />

Œuvre<br />

immens.Das Lentos<br />

würdigt das unterschätzte<br />

Werk von Linda Bilda<br />

(1963–2019) nun posthum<br />

mit einer Retrospektive.Ab11.<br />

11.<br />

Naturgewaltig. Werner Reiterer lädt<br />

in Linz zu einem weiteren seiner<br />

„Walksonthe mind-side“. Als gedankliches<br />

Experiment zur Umkehrung<br />

der Werte sperrt er im Mediendeck<br />

des OK-Centrum ein ohrenbetäubendes<br />

Gewitter ein. Ab 17. 12.<br />

Fotos: Ralf-Bodo Kliem, Bildrecht, Wien <strong>2020</strong>; Rieser, Giles Rocholl; Werner Reiterer; Maria Löffelberger;<br />

6 <strong>Kulturmagazin</strong>


DER NEUE ORT<br />

FURFOTOGRAFIE<br />

UND MEDIEN­<br />

KUNST IN LINZ<br />

LUOYANG<br />

21.<strong>10</strong>.20— 21.02.21<br />

Luo Yang, Princess butterfly<br />

(aus der Serie YOUTH), 2019<br />

©Luo Yang<br />

THEPLACE OF THE MIND<br />

ROGER BALLEN –RETROSPEKTIVE<br />

14.<strong>10</strong>.20— 14.02.21<br />

Roger Ballen<br />

Cat Catcher,1998<br />

©Roger Ballen<br />

FAMILYSKIN<br />

ANETAGRZESZYKOWSKA<br />

28.<strong>10</strong>.20—28.02.21<br />

Aneta Grzeszykowska, aus der Serie Mama, Nr.32, 2018<br />

Pigment Tusche auf Baumwollpapier,36x50cm<br />

©Künstlerin und Raster Gallery


Panorama<br />

WEST<br />

Best of. Weltberühmt sind<br />

die Choreografen Nacho<br />

Duato,Jiří Kylián und Mauro<br />

Bigonzetti. In der Großen<br />

Nacht des Tanzes zeigt das<br />

Ensemble des Tiroler Landestheatersjeeines<br />

der berühmten<br />

Ballette.15.11.<br />

Queer. Zum Jahreswechsel<br />

machen sich Jakob Lena Knebl<br />

&Ashley Hans Scheirl über das<br />

Kunsthaus Bregenz her.Mit<br />

Malerei, Installationen, Textilien<br />

und bühnenartigen Eingriffen<br />

transformieren sie es in ein<br />

humorvoll-anarchisches Universum.<br />

Ab 12. 12.<br />

Spiel der Nacht. Doppelt gemoppelt<br />

ist das Tanztheater<br />

von Kristina &Sadé, wenn die<br />

Zwillinge als „Alleyne Dance“<br />

auftreten. Diesmal im jährlichen<br />

Herbstfestival mit der<br />

neuen Produktion „A Night’s<br />

Game“ von „Tanz.ist“.<br />

7.–15. 11., Spielboden<br />

Dornbirn. tanzist.at<br />

„Katja Kabanowa“. Eine leidenschaftliche<br />

Frau flüchtet aus<br />

ihrer Ehe (und vor der Schwiegermutter)<br />

in eine leidenschaftliche<br />

Affäre. Hermann Schneider,Intendant<br />

in Linz, inszeniert<br />

am Tiroler Landestheater<br />

LeoŠ JanáČeksOper mit Anna-<br />

Maria Kalesidis,inRussland geborene<br />

Sängerin mit griechischen<br />

Wurzeln. Es dirigiert LukasBeikircher.Ab14.<br />

11.<br />

„Tschick“. So zart wie rohist<br />

diese Geschichte über zwei<br />

Burschen, die sich mit einem<br />

halbkaputten Lada nach Transsilvanien<br />

aufmachen. Im Vorarlberger<br />

Landestheater inszeniert<br />

Martin Brachvogel das<br />

Roadmovie von Wolfgang<br />

Herrndorf.Ab20. <strong>10</strong>.<br />

8 <strong>Kulturmagazin</strong><br />

Fragil. Ausgangspunkt der Installationen, Filme,<br />

Sound- und Textarbeiten von Iman Issa sind Kunstgegenstände,<br />

architektonische oder historische<br />

Elemente.Das Innsbrucker Taxispalais widmet ihr<br />

nun ihreerste Personale in Österreich. Ab 8. 11.<br />

Fotos: Lidia Crisafulli, Anja Koehler, Miro Kuzmanovic/Kunstahus Bregenz; Sebastian Stadler; beigestellt


Marina Faust<br />

Otto-Breicha-Preis<br />

für Fotokunst 2019<br />

26. September <strong>2020</strong> –14. Februar 2021<br />

Rupertinum<br />

Fiona Tan<br />

Mit der anderen Hand<br />

With the other hand<br />

31. Oktober <strong>2020</strong> –21. Februar 2021<br />

Mönchsberg<br />

In Kooperation mit Kunsthalle Krems<br />

(21.11.<strong>2020</strong>–14.2.2021)<br />

Marina Faust, aus der Serie Untitled ITA, 1975–1989, Archiv Marina Faust ©Marina Faust |Fiona Tan, Gray Glass, <strong>2020</strong>, Zweikanal-Videoinstallation (schwarz-weiß, Ton), Filmstill,<br />

in Auftrag gegeben vom Museum der Moderne Salzburg, mit Unterstützung von Mondriaan Fund, NL, Museum der Moderne Salzburg, Courtesy die Künstlerin, Frith Street Gallery,<br />

London, Peter Freeman Inc., New York, Wako Works of Art, Tokyo<br />

museumdermoderne.at


Panorama<br />

OST<br />

Umbruch. Modernistische Experimente,<br />

feministische Rollenspiele,<br />

politische Ideologien und das Verhältnis<br />

zwischen Individuum und<br />

Typveränderten die Porträtfotografie<br />

in den 1920ern. Die Schau „Faces“<br />

in der Albertina zeichnet diesen Umbruch<br />

nach. Ab 12. 2. 2021.<br />

Poppig. Jazz und Hip­Hop tanzen<br />

sie ebenso perfekt wie zeitgenössisches<br />

Ballett,die jungen und sehr<br />

jungen Tänzerinnen und Tänzer der<br />

Groupe Grenade aus Aix­en­Provence.InSt.<br />

Pölten zeigen sie Ausschnitte<br />

aus bekannten Choreografien.<br />

5. 12. Festspielhaus<br />

Querdenkerin. Bunt,schrill, emotional,<br />

grotesk, figurativ wie abstrakt<br />

sind die Skulpturen und Bilder,an<br />

denen die Wienerin Lieselott Beschorner<br />

seit den 1950ern fern jeglicher<br />

Kategorisierung arbeitet.Der<br />

spät Entdeckten widmet die Landesgalerie<br />

NÖ nun eine große Retrospektive.Ab7.11.<br />

Christian Fennesz. Als raffinierte<br />

Klanginstallation zum Eintauchen<br />

und Mitmachen ist „Area“ am<br />

19. 11. im Wiener Konzerthaus avisiert.Fennesz<br />

ist ein international<br />

renommierter Elektronikmusiker<br />

aus Österreich. „Area: Fennesz<br />

playsNous sonic“ ist eine Uraufführung<br />

beim Festival Wien Modern.<br />

Verletzlich. Das prekäreVerhältnis<br />

von Mensch und Umwelt beleuchtet<br />

die aktuelle Ausstellung des<br />

Dommuseums.„Fragile Schöpfung“<br />

versammelt rund 40 künstlerische<br />

Positionen vom Mittelalter bis zur<br />

Gegenwart.Bis 28. 8. 2021.<br />

Hochkultur. Die geheimnisumwobene<br />

Kultur der Azteken steht im Zentrum<br />

einer Ausstellung über ein Volk,<br />

das 1430–1521 eine der wichtigsten<br />

Hochkulturen der Neuzeit entwickelte.Ein<br />

starker Fokus gilt den<br />

Tributen und Opferungen.<br />

Bis 13. 4. 2021.<br />

Fotos: Cécile Martini; Nachlass Helmar Lerski/Museum Folkwang, Essen; Lieselott Beschorner/Wien Museum; Paul Schirnweg/Studio Lois Weinberger und Galerie Krinzinger/Friedl Rusch; Christian Fennesz; beigestellt<br />

<strong>10</strong> <strong>Kulturmagazin</strong>


Johannesgasse 6, <strong>10</strong><strong>10</strong> Wien, www.onb.ac.at<br />

Entgeltliche Einschaltung


Panorama<br />

INTERNATIONAL<br />

Raubein. Als er noch<br />

ohne Hut und Sonnenbrille<br />

sang, warersanft<br />

und zuweilen spirituell.<br />

Heute klingt VanMorrison<br />

raubeiniger und bluesiger.Neuerdings<br />

singt er<br />

gegen die Coronastrategie<br />

der britischen Regierung.<br />

17.–21.11.,<br />

Palladium, London.<br />

Wartestellung. Der Warschauer<br />

Künstler Andrzej Wróblewski<br />

(1927–1957) schuf in nur wenigen<br />

Jahren ein Werk von erstaunlicher<br />

Aktualität.Zumal seine Bilder von<br />

Warteräumen wurden als Sinnbilder<br />

für die Erfahrung des sozialistischen<br />

Mittel- und Osteuropa gesehen.<br />

Bis <strong>10</strong>. 1. 2021 in der Modernen<br />

Galerie Ljubljana.<br />

Spacig. Sonja Leimer befasst sich<br />

mit kollektiven Wünschen, Ängsten<br />

und den Bedrohungen unserer<br />

Lebenswelt.Für „Space Junk“ im<br />

Bozener Museion arbeitet sie mit<br />

Weltraumschrott als historisch und<br />

kulturell aufgeladenem Material.<br />

Bis 17. 1. 2021.<br />

„Everywoman“. Eine erfolgreiche<br />

Schauspielerin<br />

begegnet einer tödlich<br />

Erkrankten, die in einem<br />

Theaterstück mitspielen<br />

möchte.Das ist ihr letzter<br />

Wunsch. Die Aufführung<br />

von den Salzburger<br />

Festspielen übersiedelte<br />

an die Schaubühne<br />

Berlin. Ab 27. <strong>10</strong>.<br />

VomReisen. Für seine magischen<br />

Bilder taucht Cyrill Lachauer auf<br />

langen Reisen tief in lokale Kulturen<br />

ein. „I am not sea, Iamnot land“<br />

heißt seine Schau mit Filmen,<br />

Videos,Fotos und Texten im<br />

Münchner Haus der Kunst.<br />

Von23. <strong>10</strong>. bis 11. 4. 2021<br />

„Die Vögel“. Frank Castorf<br />

inszeniert im Bühnenbild von<br />

Aleksandar Denic (o.l.) die<br />

lyrisch-fantastische Oper von<br />

Walter Braunfels nach Aristophanes:<br />

Gefiederte ergreifen<br />

mit Hilfezweier Exilanten aus<br />

Athen die Macht.Ingo Metzmacher<br />

dirigiert in der Bayerischen<br />

Staatsoper in München.<br />

Ab 31. <strong>10</strong>.<br />

Fotos: Reuters, Andrzej Wróblewski Foundation; Courtesy Galerie Barbara Gross,; Armin Samilovic; W.Hoesl;Cyrill Lachauer;<br />

12 <strong>Kulturmagazin</strong>


„<br />

Wien feiert in einergroßartigen Ausstellung<br />

die französischen Meister! “<br />

Neue Zürcher Zeitung<br />

ENDLICH<br />

ZU SEHEN!<br />

NUR BIS<br />

15.11.<strong>2020</strong><br />

JETZT ONLINE-<br />

TICKET KAUFEN!<br />

Vincent van Gogh, Der Sämann (Detail), 1888, Kunstmuseum Bern, Dauerleihgabe Hahnloser/Jaeggli Stiftung ©Foto: Reto Pedrini, Zürich


Hinaus aus den<br />

heiligen Hallen<br />

Die Akademie macht aus ihrer Raumnot eine<br />

Tugend und zeigt die Diplom-Ausstellung <strong>2020</strong><br />

im Stephanushaus, einem ehemaligen Priesterund<br />

Gästehaus und zukünftigen Hotel.<br />

Text: Johanna Hofleitner<br />

Fotos: Christine Ebenthal<br />

Die unmittelbare Lebensrealität beschreibt Abiona Esther<br />

Ojo als ihr Bezugsfeld, darauf verweist auch ihre Maske<br />

aus afrikanischem Stoff. „Ich beschäftige mich stets mit<br />

Themen, die mich selbst betreffen“, sagt sie. Die Arbeit<br />

mit Stoffen, Taschen, Haaren spiegelt die Erfahrung, mit zwei Kulturen<br />

groß geworden zu sein. Aufgewachsen im Mühlviertel, war<br />

die Kultur Afrikas für das Kind nigerianischer Eltern ein Teil des<br />

Alltags. Auch Rassismuserfahrung schwingt mit. „Man muss leider<br />

auch 2021 noch davonausgehen, dass jede Person, die keine weiße<br />

Haut hat, mit Rassismus konfrontiert ist“, sagt sie. „Ich will in meiner<br />

Arbeit jedoch Empowerment zeigen und nicht auseiner Opferrolle<br />

heraus agieren.“ Haare stehen auch im Mittelpunkt von Ojos<br />

Abschlussarbeit. „Haare sind in der afrikanischen Kultur ein wichtiges<br />

Thema, weil sie viel Pflege und Aufmerksamkeit brauchen.“<br />

Ihre Diplomarbeit legt sie als Kombination von Bildhauerei und<br />

Fotografie an. Dafür hat sie Menschen aus der afrikanischen Diasporazuhause<br />

fotografiert, die Fotosprojiziertsie dann aufObjekte,<br />

die mit Haaren assoziiert sind: Bänder, Haarteile, Tücher, Caps.<br />

Ojo: „Mit den Haaren sind viele Geschichten verbunden, aber auch<br />

verloren gegangen. Sie aufzuarbeiten wäre ein Lebensprojekt.“<br />

14 <strong>Kulturmagazin</strong>


Kunst aus der Realität. Abiona<br />

Esther Ojo,Absolventin der Klasse<br />

Bildhauerei/Raumstrategien.<br />

<strong>Kulturmagazin</strong> 15


In ihrem Element. SaraLanner,<br />

Absolventin der Performativen<br />

Kunst,Klasse Carola Dertnig.<br />

Sie hat ein abgeschlossenes Tanzstudium und ist als Choreografin,<br />

freischaffende Tänzerin und Performance-<br />

Künstlerin tätig. Trotzdem entschied sich Sara Lanner,<br />

nochmals zu studieren, und machte2015ander Akademie<br />

die Aufnahmeprüfung für Performative Kunst. „Ich wollte nicht<br />

nur interpretativ arbeiten, sondern auch in neuen Formaten und<br />

Kollaborationen. Es interessiert mich, Dinge zuübersetzen und in<br />

einen anderen Kontext zubringen“, sagt sie. „Die Performance ist<br />

mein ganz persönliches Interesse. Schon als Kind hatte ich mir<br />

kleine Szenen, Performances, Choreografien ausgedacht.“ In ihrer<br />

Kunst arbeitet SaraLanner daran, die unterschiedlichen performativen<br />

Traditionen zusammenzuführen. „Für viele bin ich ein Alien,<br />

weil der Graubereich zwischen Tanz und Kunst noch nicht sehr<br />

ergründet ist.“ Oft ergänzt und erweitert sie den Raum der Performance<br />

um skulpturale Elemente, Objekte oder Wandzeichnungen.<br />

Oder sie entwickelt Performances für Galerieräume, die später auf<br />

Bühnen aufgeführt werden. „Ein Galerie- oder Ausstellungsraum<br />

ermöglicht, anders als ein Bühnenraum, die Performance nicht<br />

nurzukonsumieren, sondern direkt zu erleben. Das istein Prozess<br />

desgemeinsamen Denkens zwischen mir und dem Publikum.“<br />

<strong>16</strong> <strong>Kulturmagazin</strong>


Grenzgänger. Christian Rothwangl,<br />

Fachbereich Grafik und<br />

druckgrafische Techniken.<br />

Die Bilder von Christian Rothwangl kommen bald farbigbunt<br />

daher, bald sind sie reduziert auf die Nichtfarben<br />

Schwarz, Grau und Weiß. Bisweilen präsentieren sie sich<br />

linear, jasogar recht filigran, mit einem Schuss Ornamentalität,<br />

dann aber auch wieder recht flächig und orientieren<br />

sich an Alltagsobjekten als einfachen Formvorlagen. Als Materialien<br />

verwendet Rothwangl Tusche ebenso wie Acrylfarbe, als Malwerkzeug<br />

eher Pinsel als spitze Stifte.<br />

Ist es nun Malerei oder Zeichnung? Esist der schmale Grat zwischen<br />

diesen beiden Medien, dem sich der gebürtige Steirer, Jahrgang<br />

1993, der nach dem Studium in Wien, London und Hamburg<br />

sein Diplom nun imFachbereich Grafik und druckgrafische Techniken<br />

bei Christian Schwarzwald ablegen wird, mit seinen Arbeiten<br />

verschrieben hat. „Ich bin irgendwann an einen Punkt gekommen,<br />

wo ich die Farbe gebraucht habe“, sagt er. Mit seiner<br />

Abschlussarbeit geht Christian Rothwangl noch einen Schritt weiterund<br />

stellt einer Gruppe vonkleinformatigen Werken eine übergroße,<br />

in die Waagrechte gekippte Bodenarbeit imAusmaß von<br />

mehr als zwei mal vier Metern entgegen. Die Erfahrung desRaums<br />

wirdauf diese Weisevon der Malerei buchstäblich ins Bild geholt.<br />

<strong>Kulturmagazin</strong> 17


Pille-Riin Jaik hat inden letzten Jahren<br />

Filme und Videos vorgelegt, deren Bildsprache<br />

und Atmosphäre von dunkler<br />

Melancholie geprägt sind. Aufmerksamkeit<br />

erregte die estnische Künstlerin auch mit<br />

handgemachten Papierblumen aus zerschnittenen<br />

Archivmaterialien der Akademie, mit denen<br />

sie versuchte, dem viele Jahrzehnte erschwerten<br />

Zugang von Frauen zum Studium materielle<br />

Form zu geben. Als medienspezfisch würde<br />

Jaik – sie hatte in Tallinn Fotografie studiert,<br />

bevor sie 2015 nach Wien an die Klasse Kunst<br />

und digitale Medien vonConstanze Ruhm kam –<br />

ihre Arbeitsweise jedoch nicht beschreiben.<br />

„Abhängig vom Konzept und den äußeren Rahmenbedingungen<br />

variiert mein Medium zwischen<br />

Videokunst und Performance bis hin zu<br />

performativenSkulpturen“, sagtsie.<br />

Immer wieder kommen auch recycelte Materialien<br />

ins Spiel, von Abfall, alten Textilien, Archivalien<br />

bis hin zu eigenen wiederverwerteten<br />

Arbeiten. Die Videoaufnahmen für ihr neuestes<br />

Filmprojekt „Xeroines“ –eine Multichannel-Installation,<br />

die zugleich auch ihre Abschlussarbeit<br />

ist –hat sie im Sommer in Estland gedreht. Über<br />

Bilder von Schauplätzen wie aufgegebenen, von<br />

der Natur überwucherten Kasernen legt sich<br />

wie eine Geisterstimme aus der Vergangenheit<br />

eine Tonspur mit feministischen Texten von<br />

Philosophinnen und Schriftstellerinnen.<br />

Multimedial. Pille-Riin Jaik ist<br />

Absolventin des Fachbereichs<br />

Kunst und digitale Medien.<br />

18 <strong>Kulturmagazin</strong>


TONKÜNSTLER<br />

ORCHESTER<br />

NEUJAHRS–<br />

KONZERT 2021<br />

IM MUSIKVEREIN<br />

WIEN<br />

SO 3 JÄN 21,15.30 UHR<br />

DI 5 JÄN 21, 15.30 UHR<br />

DO 7JÄN 21,19.30 UHR<br />

Tickets von 30bis 75 Euro<br />

Sopran BEATE RITTER<br />

Dirigent ALFRED ESCHWÉ<br />

T: +43 1586 83 83<br />

tickets@tonkuenstler.at<br />

tonkuenstler.at<br />

O R C H E S T E R


20 <strong>Kulturmagazin</strong><br />

Danielle Pamps Kunst ist queer und voller<br />

Widersprüche. Ihre Bilder und<br />

Zeichnungen umkreisen geradezu<br />

obsessiv die eigene Gefühlswelt. Wie<br />

ein roter Faden durchzieht die Auseinandersetzung<br />

mit der eigenen Geschichte und Identität<br />

ihr Werk. Dem steht eine geradezu kristallin<br />

anmutende analytische Darstellungs- und Sichtweise<br />

gegenüber –als würden die Verhältnisse<br />

durch ein Vergrößerungsglas betrachtet. Klare<br />

Farben, harte Kontraste und Linien dominieren.<br />

„Ich habe eine sehr existenzielle Perspektive,<br />

meine Themen sind immer autobiografisch“, sagt<br />

Danielle Pamp,„es geht um Erinnerungen, Erfahrungen,<br />

Transgenderness und das alltägliche<br />

Leben vonPersonen, die wie ich sind.“<br />

In ihrer Diplomarbeit im Fachbereich Grafik und<br />

druckgrafische Techniken setzt sich Pamp auf<br />

der Grundlage von Alben und Archiven mit den<br />

Geheimnissen, Geschichten und Traumata ihrer<br />

Familie auseinander. Aufgewachsen in einer<br />

Künstlerfamilie –die Großmutter war Malerin,<br />

der Großvater Bildhauer, die Mutter Textilkünstlerin<br />

–, war die Beschäftigung mit künstlerischen<br />

Dingen für das Kind etwas Organisches. Mehr<br />

und mehr wurde allerdings die religiöse Obsession<br />

von Teilen der Familie zum Auslöser von<br />

Konflikten und Zweifeln –bis hin zum Bruch.<br />

Erinnerungsarbeit. Danielle<br />

Pamp kam2015 aus Stockholm<br />

zum Studium nach Wien.


„Der Wunsch, die Kunst weiterhin real zu zeigen, hatimmer bestanden.“<br />

Sie ist der krönende Abschluss des Studienjahrs<br />

und ein Fixpunkt im Kalender von Künstlern<br />

und Studierenden, Sammlern, Galeristen, Ausstellungskuratoren,<br />

Kunstkritikern und anderen<br />

Kunstprofis: die Präsentation der Abschluss- und Diplomarbeiten<br />

an den Kunstuniversitäten. Dabei treffen<br />

verschiedene Interessen aufeinander: Die einen wollen<br />

sich und ihre Kunst zeigen, die anderen künstlerischen<br />

Nachwuchs scouten, sei es für die eigene Sammlung,fürs<br />

Galerieprogramm oder für kommende Ausstellungsprojekte.<br />

Und viele wollen sich einfach nur<br />

informieren.<br />

Während die Diplomausstellung der<br />

Akademie der bildenden Künste Wien<br />

üblicherweise inder letzten Juni-Woche<br />

stattfindet, ist in diesem Jahr alles<br />

anders. Nicht nurhat sich die Sanierung<br />

des Hauptgebäudes am Schillerplatz<br />

etwas verzögert. Auch der Juni-Termin<br />

ist der Pandemie zum Opfer gefallen.<br />

Eine Präsentation im Herbst ist zwar<br />

nicht irregulär, allerdings stehen aufgrund<br />

des laufenden Betriebes imAusweichquartier<br />

Augasse 2–6 in der ehemaligen<br />

Wirtschaftsuni eigentlich keine<br />

Räume zur Verfügung. „Es ist immer<br />

noch Sommersemester, aber wir sind in<br />

der Nachfrist“, sagt Ingeborg Erhart,<br />

Vizerektorin für Kunst und Lehre. Diese<br />

Nachfrist bringt noch einen weiteren<br />

Umstand mit sich: Eine überdurchschnittlich<br />

große Anzahl ausstellungswilliger<br />

Absolventen und Absolventinnen.<br />

„Weil sich viele Termine nach<br />

hinten verschoben haben, gibt es in diesem<br />

Jahr viel mehr Diplomierende“, erklärt Ingeborg<br />

Erhart.<br />

Ausstellen im Nachsommer. Die Möglichkeit, sich im<br />

zentral gelegenen Stephanushaus mit einer Pop-up-Ausstellung<br />

zu präsentieren, bevor das ehemalige Priesterund<br />

Gästehaus mit dem Sechziger-Jahre-Flair in ein Caritashotel<br />

umgebaut wird, kam daher wie gerufen. Ein<br />

zweiter Schauplatz ist die „Spezialschule für Bildhauerei“<br />

als Außenstelle in der Kurzbauergasse. Das Format<br />

Ausstellung stand dabei zu keinem Zeitpunkt in Frage.<br />

„Es bestand an der Akademie immer der große Wunsch,<br />

mit den Abschlussarbeiten nicht in den digitalen Raum<br />

auszuweichen, sondern die Kunst weiterhin real zu zeigen.<br />

Sowohl das Rektorat als auch der Ausstellungsbereich<br />

waren der Meinung, dass ein schnelles Switchen<br />

des Präsentationsmodus nicht ideal ist“, sagt Stephanie<br />

Expertise. Vizerektorin<br />

Ingeborg<br />

Erhart und Ausstellungskuratorin<br />

Stephanie<br />

Damianitsch.<br />

Tipp<br />

„Parcours.Abschlussarbeiten.<strong>2020</strong>“.<br />

14. 11.–22. 11.<strong>2020</strong>,<br />

magdas HOTEL im Stephanushaus,Ungargasse<br />

38,<br />

<strong>10</strong>30 Wien &Bildhauerateliers,<br />

Kurzbauergasse 9,<br />

<strong>10</strong>20 Wien, www.akbild.ac.at<br />

Damianitsch. Sie ist nicht nur Kuratorin der Abschlussausstellung,<br />

sondern an der Akademie generell für den<br />

Ausstellungsbereich verantwortlich, sowohl auf der<br />

praktischen als auch theoretischen Ebene.<br />

Mehr und mehr verfestigte sich der Gedanke, „lieber<br />

zuzuwarten und etwas richtig Großes zumachen“, so<br />

Damianitsch. „Die Möglichkeit, spannende Arbeiten in<br />

einer solchen Dichtezupräsentieren und alle Fachbereiche<br />

und Medien zu einem Überblick zu bündeln, haben<br />

wir sonst nicht.“ Mit Ausnahme einiger theoretischer<br />

Arbeiten, die aus diversen Gründen<br />

digital oder hybrid eingereicht wurden,<br />

werden nun rund 50 Abschlussarbeiten<br />

aus den verschiedenen Instituten „in<br />

echt, Farbe und live“ präsentiert. Das<br />

Gros stellt dabei das Institut für bildende<br />

Kunst (IBK) mit seinen siebzehn<br />

Fachbereichen von Abstrakter Malerei<br />

bis Zeichnen. Jede Arbeit kann hier als<br />

Einzelpräsentation in einem eigenen<br />

Raum präsentiert werden. Dazu kommen<br />

die Diplome der Institute für Konservierung/Restaurierung,<br />

Architektur<br />

künstlerischesLehramt,Kunst- undKulturwissenschaften<br />

sowie Naturwissenschaften<br />

und Technologien. Die Absolventen<br />

des Master in Critical Studies<br />

werden auf einer eigenen Etage eine<br />

kompletteAusstellung entwickeln. „Dieser<br />

Ort hier ist sehr reizvoll“, sagt<br />

Damianitsch. „Man darf aber nicht übersehen,<br />

dass die Ausstellung zugleich<br />

auch die Diplomprüfung ist.“<br />

Generell rückt das Ausstellen auch in<br />

der Lehre wieder verstärkt in den<br />

Fokus Das soll sowohl im Haus mehr etabliert werden<br />

als auch in die Öffentlichkeit hinausgetragen werden.<br />

Ingeborg Erhart: „Ausstellen und Praxis sollen als Themen<br />

mehr mit der künstlerischen Produktion verbunden<br />

werden. Ich muss bereits als Student lernen, mit<br />

einer räumlichen Situation umzugehen.“ Stephanie<br />

Damianitsch, die als Kuratorin auch in Form von Team-<br />

Teachings immer wieder indie verschiedenen<br />

Fachbereiche miteinbezogen wird, beobachtet<br />

zudem, dass Diplome zunehmend als Ausstellungsgut<br />

interessant werden. „Umso wichtiger<br />

ist es, sich schon während des Studiums Reflexionsgabe<br />

anzueignen. Ein Kurator erzeugt<br />

immer eine Narration. Was passiert dabei mit<br />

meiner Arbeit? Es ist wichtig, das zu verstehen,umsich<br />

und seine Kunst nichtinstrumentalisieren<br />

zu lassen.“ e<br />

22 <strong>Kulturmagazin</strong>


ABSTRAKT<br />

geometrie+konzept<br />

24.09. <strong>2020</strong>–<strong>10</strong>. 01. 2021<br />

Burggasse 8|9021Klagenfurt am Wörthersee<br />

Di–So <strong>10</strong>.00–18.00, Do <strong>10</strong>.00–20.00 Uhr | www.mmkk.at<br />

Esther Stocker, o.T., 2007, Acryl auf Baumwolle, 140 x<strong>16</strong>0 cm (Detail)<br />

Foto: Ferdinand Neumüller |Bezahlte Anzeige


Vernetzt. Angela Stief ist seit Sommer<br />

Chefkuratorin der Albertina Modern.<br />

Denkräume für<br />

neue Köpfe<br />

Elfenbeinturm war gestern. Kunst hat heute mit<br />

Öffnung, Offenheit und Öffentlichkeit zu tun. Über<br />

drei neue Protagonisten der Wiener Kunstszene.<br />

Text: Johanna Hofleitner<br />

Fotos: Christine Pichler<br />

Sie liebt große Brillen, schrille Outfits,<br />

die Kunst von Outsidern und<br />

die Freiheit, die sie aus ihrer<br />

Arbeit mit der Kunst zieht. Diese<br />

Freiheit hat Angela Stief die letzten sieben<br />

Jahre ausgekostet und genossen, bevor sie<br />

Albertina-Direktor Klaus-Albrecht Schröder<br />

im Juli als neue Chefkuratorin der<br />

Albertina Modern vorstellte. Eine Fülle<br />

freier Projekte und ihr Beitrag zur Eröffnungsschau<br />

der Albertina Modern über<br />

das Kunstgeschehen in Österreich von1945<br />

bis 1980, „The Beginning“, waren eine hinreichend<br />

starke Empfehlung.<br />

Vice versa nahm die frühere Kuratorin der<br />

Kunsthalle Wien bereitwillig die Herausforderung<br />

an, fortan mit dem insgesamt rund<br />

60.000 zeitgenössische Werke umfassenden<br />

Bestand beziehungsweise eigentlich<br />

sämtlichen 400.000 Inventarnummern der<br />

Albertina zu arbeiten. „Dieser Reichtum des<br />

Hauses gefällt mir und erfreut mich“, sagt<br />

sie. „Denn ich bin nicht nur Kuratorin für<br />

zeitgenössische Kunst,sondernauch Kunsthistorikerin.<br />

Darum interessiert mich die<br />

Befragung von Geschichte extrem.“ ImFall<br />

von „The Beginning“ war das etwa die Auseinandersetzung<br />

mit den Wurzeln der zeitgenössischen<br />

österreichischen Kunst. Stief:<br />

„Als Kuratorin muss ich auch Ordnungskriterien<br />

schaffen und den Zeitgeist zeigen,<br />

derdamalsherrschte.“<br />

Für ihr nächstes großes Projekt in der<br />

Albertina Modern richtet Stief ihr Augenmerk<br />

auf die 1980er-Jahre. Hier will sie<br />

auch weniger bekannte Positionen zeigen,<br />

die aber etwas Eigenständiges und Neues<br />

begonnen haben –abseitsvon Strömungen.<br />

„Ich hatte immer schon ein Faible für Solitäre“,<br />

sagt sie. In diesem Sinn interessiert<br />

sie etwa eine Künstlerin wie Birgit Jürgenssen<br />

in all ihrem Facettenreichtum. Ein<br />

anderer Aspekt des Projekts ist die Gegenüberstellung<br />

der Malerei der Neuen Wilden<br />

mit der Kunst der amerikanischen Pictures-Generation<br />

und der Transavanguardia.<br />

Expression trifft hier auf Appropriation,<br />

Figuration aufAbstraktion. Ein Anliegenist<br />

es ihr schließlich, den Frauenanteil in den<br />

Ausstellungen zu erhöhen.<br />

„Ich will mit dem, was ich tue, nicht nur<br />

eine Elite bedienen, sondern habe auch<br />

einen Bildungsauftrag“, beschreibt sie ihr<br />

Credo. Deswegen hat sie sich auch ausbedungen,<br />

neben der Museumsarbeit weiterhin<br />

freie Projekte realisieren zu können –<br />

als Kuratorin der Vienna Art Week bei-<br />

24 <strong>Kulturmagazin</strong>


spielsweise oder der Ausstellungen der<br />

Österreichischen Gesellschaft vom Goldenen<br />

Kreuze, für die sie seit 2018 Outsider-<br />

Ausstellungen programmiert.<br />

Nah ander Gegenwart. Sie hat Kunstgeschichte<br />

und Politikwissenschaft an der<br />

Universität Wien und Critical Studies an<br />

der Akademie der bildenden Künste Wien<br />

studiert sowie Erfahrungen bei der Architekturbiennale<br />

und als wissenschaftliche<br />

Mitarbeiterin im Kulturbereich gesammelt.<br />

Frauenfragen und Geschlechtergerechtigkeit<br />

sind Katharina Brandl genauso ein<br />

Anliegen wie die Offenheit für die Fragen<br />

der Zeit. Hier laufen die verschiedenen<br />

Fäden zusammen, die die junge Kuratorin<br />

und Wissenschaftlerin vor eineinhalb Jahren<br />

bewogen haben, sich um die Position<br />

der künstlerischen Leitung des Kunstraums<br />

Niederösterreich zu bewerben. Das<br />

programmatische Bekenntnis des Ausstellungsraums<br />

zur Zeitgenossenschaft und<br />

Brandls eigene interdisziplinäre Neugier<br />

»<br />

Interdisziplinär.<br />

Katharina Brandl leitet<br />

seit Herbst 2018<br />

den Kunstraum<br />

Niederösterreich.<br />

„Wir wollen mit dem Kunstraumeine Atmosphäre<br />

schaffen, die wohlwollend und gutheißend sein soll.“<br />

KARLSRUHE<br />

JETZT<br />

TICKETS<br />

SICHERN<br />

art-karlsruhe.de/<br />

ticket-vvk<br />

Klassische Moderne und Gegenwartskunst<br />

25.–28. Februar 2021 |Messe Karlsruhe<br />

www.art-karlsruhe.de


Expositur. Johan Frederik<br />

Hartle, Rektor der<br />

Akademie der bildenden<br />

Künste Wien.<br />

bevor 2019 dann der Ruf andie Akademie<br />

der bildenden Künste Wien folgte –eine<br />

Stadt, die für Hartle kein Neuland ist, hatte<br />

er hier doch 2001 ein Verlagsvolontariat<br />

gemacht. Seine Aufgaben als Rektor hatte<br />

er sich aber wohl anders vorgestellt. Während<br />

die Bereiche Forschung und Internationalisierung<br />

sowie die Profilierung des<br />

Verhältnisses von Kunst und Öffentlichkeit<br />

als Schwerpunkte auf der Agenda stehen,<br />

drängte sich mit dem Lockdown die Frage<br />

des Pandemie-Krisenmanagements in<br />

Zusammenhang mit der Einschränkung<br />

des Lehrbetriebs in den Vordergrund.<br />

Hartle: „Corona ist ein anderer sozialer<br />

Aggregatzustand.“<br />

Ein großes Projekt ist die Rückübersiedlung<br />

der Akademie im Winter ins sanierte<br />

Hauptgebäude am Schillerplatz. Dann<br />

kann auch wieder mit dem Haus gearbeitet<br />

werden. „Die Potenziale der Akademie sollen<br />

dann wesentlich stärker genutzt und<br />

sichtbar gemacht werden“, sagt er. „Es gilt,<br />

aus der Wechselwirkung von Gegenwart<br />

und Vergangenheit neue Erlebnisräume zu<br />

schaffen. Wir wollen aber die Schillerplatz-<br />

Fixierung auch hinter uns lassen und hi-<br />

Es geht um Sichtbarkeit.Die Kunst hateine strukturelle<br />

Verpflichtung,auch in öffentliche Räume einzugreifen.<br />

»<br />

ergaben ein perfektes Matchmaking. „In<br />

welcher Zeit leben wir eigentlich? Was<br />

bedeutet es, wenn wir davon sprechen, in<br />

einer algorithmisierten Gegenwart zu<br />

leben?“, beschreibt sie ihren Ansatz, dessen<br />

Prämisse es ist, stetsnah an der Gegenwart<br />

zu sein. Das spiegelt sich auch in den<br />

Themen der von Katharina Brandl programmierten<br />

Gruppenausstellungen: Da<br />

geht es um die gesellschaftlich geringe<br />

Relevanz von Fürsorge heute, Fragen der<br />

Unsterblichkeit, die Zukunft der Natur in<br />

einer technologisierten Gegenwart. „Die<br />

Gegenwartskunst hatoft einen elitistischen<br />

Hauch“, sagt sie. „Dem wollen wir entgegensteuern<br />

durch eine Atmosphäre, die<br />

gut, wohlwollend und gutheißend sein soll<br />

–auch im Umgang mit den Künstlern und<br />

Künstlerinnen, von denen viele hier zum<br />

ersten Mal Erfahrungen in der Zusammenarbeit<br />

mit einer Institution machen.“ Und<br />

schließlich ist ihr auch die Vermittlung ein<br />

großesAnliegen. „Der Sinn öffentlicher Institutionen<br />

ist es, zum Diskurs beizutragen“,<br />

sagt Brandl. „Als Denk- und Wahrnehmungsraum<br />

können wir Geschichten<br />

erzählen und Räume schaffen, die vielleicht<br />

neue Zugängezur Welt schaffen.“<br />

Sichtbarkeit erzeugen. Johan Frederik<br />

Hartles Spezialgebiet ist die Philosophie.<br />

Seit 2008/09 lehrte er dazu an zahlreichen<br />

Universitäten von Vancouver bis Hangzhou.<br />

Eine Professurander Hochschule für<br />

Kunst und Gestaltung in Karlsruhe mündete2018<br />

in ein kommissarischesRektorat,<br />

nausgehen.“ Vorstellbar sind Pop-up-Situationen<br />

oder Zwischennutzungen. Hartle:<br />

„Ausstellungen sind eine Praxisform, die<br />

eine Öffentlichkeit adressiert. Die Kunst<br />

hat aber auch die strukturelle Verpflichtung,<br />

inöffentliche Räume einzugreifen.“<br />

Da schwingt nicht nur die Absicht mit,<br />

mehr Sichtbarkeit zu erzeugen, sondern<br />

auch der Wunsch nach mehr Quadratmetern.<br />

Und auch die Lehre soll internationalisiert<br />

werden – inhaltlich wie personell.<br />

„Es geht um die Dekolonialisierung der<br />

Kunst –darum, den nordatlantischen Blick<br />

zu überwinden und auch Partnerschaften<br />

mit Schwellenländern einzugehen“, sagt<br />

Hartle. „Denn die Anzahl internationaler<br />

Lehrender steht in keinem Verhältnis zur<br />

Internationalität derStudierenden.“ e<br />

26 <strong>Kulturmagazin</strong>


Kulturherbst in Krems<br />

ENTGELTLICHE EINSCHALTUNG<br />

Die Kunstmeile Krems als einzigartiges Kulturareal in der bezaubernden Doppelstadt<br />

Krems-Stein verspricht auch im Herbst hochkarätige Ausstellungen am Torzur Wachau.<br />

Ausstellungsansicht im Karikaturmuseum Krems.<br />

Die Landesgalerie Niederösterreich überzeugt<br />

auch durch ihre Architektur.<br />

Die Fotoserien von Robin Rhode sind noch<br />

bis 1. November zu sehen.<br />

Die Landesgalerie Niederösterreich<br />

hat sich als wichtiger<br />

Kulturträger etabliert.<br />

Fotos: Faruk Pinjo, Raffael F. Lehner, Christian Redtenacbher, The Artist Robin Rhode<br />

Die Landesgalerie Niederösterreich ist das<br />

jüngste Ausstellungshaus auf der Kunstmeile<br />

Krems. Der spektakuläre Museumsneubau<br />

am neuen Museumsplatz antwortet mit<br />

Themen- und Personalausstellungen auf Fragen der<br />

Gegenwart. Die aktuelle Ausstellung „Spuren und Masken<br />

der Flucht“ ist eine der wenigen musealen Kunstausstellungen<br />

der letzten Jahre, die sich mit einem der<br />

gesellschaftspolitisch relevantesten Themen unserer<br />

Zeit auseinandersetzen: mit Flucht und Migration. Die<br />

Schau möchte jenseits von kolportierten (Flüchtlings-)<br />

Zahlen und Fakten, jenseits medialer Aufregungen und<br />

politischer Debatten mittels einzelner künstlerischer<br />

Positionen und Werke individuelle Geschichten erzählen.<br />

Mit Malereien, Fotografien, Videoarbeiten, Installationen<br />

und Skulpturen geht sie den Fragen nach, welche<br />

Schicksale sich hinter medial erzählten Fluchtberichten<br />

verbergen, was es für den einzelnen Menschen<br />

heißt, seine Gemeinschaft zu verlassen, sich in völlige<br />

Unsicherheit und Lebensgefahr zu begeben und –<br />

wenn die Flucht gelingt –ineinem fremden Land<br />

heimisch zu werden.<br />

Internationales Kunstschaffen und Comic-Helden der<br />

1960er-Jahre. Ebenso am Museumsplatz liegt die<br />

Kunsthalle Krems, das internationale Ausstellungs-<br />

Tipp<br />

Kunstmeile Krems,<br />

Museumsplatz 5,3500 Krems<br />

Mehr zumAusstellungsprogramm<br />

&Öffnungszeiten:<br />

www.lgnoe.at<br />

www.kunsthalle.at<br />

www.karikaturmuseum.at<br />

www.forum-frohner.at<br />

haus des Landes Niederösterreich für zeitgenössische<br />

Kunst. Bis 1. November sind noch die farbgewaltigen<br />

Fotoserien in Street-Art-Ästhetik des südafrikanischen<br />

Künstlers Robin Rhode zu sehen. Ab 21. November<br />

widmet die Kunsthalle Krems der indonesischen Fotografin,<br />

Filmemacherin und Videokünstlerin Fiona Tan<br />

die erste große monografische Ausstellung in Österreich.<br />

Das gegenüberliegende Karikaturmuseum<br />

Krems zählt zu den wichtigsten europäischen Museen<br />

seiner Art. Die Sonderausstellung „Fix &Foxi XXL. Die<br />

Entdeckung der Schlümpfe, Spirou und Lucky Luke“<br />

präsentiert die bunte Welt der Comic-Helden der<br />

1960er-Jahre.<br />

Adolf Frohner und seine Zeit. Nur fünf Gehminuten<br />

vom Museumsplatz entfernt befindet sich das Forum<br />

Frohner im Komplex des ehemaligen Minoritenklosters.<br />

Das Forum ist dem Schaffen des österreichischen<br />

Künstlers Adolf Frohner und seiner Zeit<br />

gewidmet. In der aktuellen Ausstellung „Antworten<br />

auf die Wirklichkeit“ werden Frohners<br />

Begegnungen mit dem Nouveau Réalisme<br />

beleuchtet. Frohner lernte die Kunstströmung<br />

auf seinen Reisen nach Paris in den 1960er-<br />

Jahren kennen, die anschließend deutlichen<br />

Niederschlag in seinen Werken fand.<br />

<strong>Kulturmagazin</strong> 27


Hausgemeinschaft. Permanent<br />

am Werk in der<br />

Burggasse 98 sind Martijn<br />

Straatman, Maria Scharl,<br />

Frank Maria, Niklas Worisch,<br />

Teresa Berger (v.l.).<br />

kaufen kann, etwa in Form eines Tickets –<br />

da sind keine Limits gesetzt“, so Frank<br />

Maria. Niklas Worisch und er leiten gemeinsam<br />

die Aktivitäten der Burggasse 98.<br />

Frank Maria hat an der Akademie der bildenden<br />

Künsteinder Klasse für Grafik und<br />

druckgrafische Techniken bei Gunter<br />

Damisch studiert, Worisch an der renommierten<br />

Designacademy Eindhoven in<br />

den Niederlanden –inder Burggasse vermengen<br />

sich ihreTätigkeitsbereiche.<br />

Erweiterter<br />

Originalbegriff<br />

Hinter der bemalten Fassade eines Hauses inder<br />

Wiener Burggasse tut sich ein Kreativraum auf, der<br />

Kunst und Design zusammenbringt. Text: Paula Watzl<br />

Designgalerie, Kreativhub und<br />

interdisziplinäre Produktionsstätte.<br />

Die Burggasse 98, das<br />

bemalte Haus am oberen Ende<br />

der quirligen Burggasse in Wien Neubau,<br />

hat sich schon oft neu erfunden und kann<br />

wohl als Gesamtkunstwerk des21. Jahrhunderts<br />

gelten. Mit einem Containerpool vor<br />

dem Gebäude hat man im Sommer<br />

2019 dem Gürtelprojekt von <strong>2020</strong> vorgegriffen;<br />

mit dem Festival „Design<br />

Days“ konnte wiederholt eine aufstrebende<br />

Designergeneration nach Wien<br />

geholt werden, und mit diversen Projekten<br />

an der Seite von Starkoch Lukas<br />

Mraz testen die Betreiber immer wieder<br />

die fluiden Grenzen desLabels „Design“<br />

aus, etwa mit der Herausgabe limitierter<br />

Kunstkochbücher und Pop-up-Happenings<br />

zur Präsentation dieser.<br />

„Auch Events sind für uns Kunst. Ein<br />

Happening kann Kunst sein, die man auch<br />

28 <strong>Kulturmagazin</strong><br />

Intelligente Serie. Die zweite Edition von B-98<br />

schufen Elisa Alberti und Simone Oberlechner.<br />

Leistbare Kunst. Kunst und Design sind<br />

die Ankerpunkte des Hauses, ein Haus,<br />

das selbst Kunstwerk ist. Die Fassade<br />

wurde 2014 von wichtigen Protagonisten<br />

der Wiener Street-Art, nämlich Knarf,<br />

Mafia Tabak und Fresh Max, bemalt, ist<br />

aber, wie alles an dieser Adresse, kein<br />

festgeschriebener Umstand, sondern im<br />

Wandel begriffener Zwischenstatus. Ein<br />

Projekt, das sich nun allerdings als permanent<br />

herauskristallisiert, ist die Marke<br />

„B-98“. Unter dieser Formel werden seit<br />

Anfang des Jahres leistbare Kunsteditionen<br />

produziert, die nah am Design<br />

gedacht werden.<br />

Gebrauchsdesign mit Kunstanspruch,<br />

von eingeladenen Künstlern und Designern<br />

konzipiert: Die erste so gestaltete<br />

Edition ist eine aus Beton gegossene<br />

Lampe von Designer Anton Defant und<br />

Architekt Rupert Zallmann (Madame<br />

Architects), die inzwischen vergriffen ist.<br />

„Bei der Untersuchung der Eigenschaften<br />

von flüssigen Gießmaterialien wie Beton<br />

und Gips spielt das Duo mit dem Maßstab,<br />

indem es die Grenze zwischen funktionellem<br />

Objekt, Skulptur und architektonischen<br />

Referenzen verwischt“, sagen die<br />

Herausgeber über das Projekt.<br />

Ehe 2021 eine Edition mit Industrial<br />

Designer Marco Dessí in Produktion geht,<br />

wirdEnde Oktober die zweiteEdition lanciert<br />

– eine Vase in 30 Ausformungen,<br />

geschaffen von Elisa Alberti und<br />

Simone Oberlechner. Anders als bei<br />

herkömmlichen Kunsteditionen handelt<br />

es sich nicht um 30 idente<br />

Abzüge, die signiert und durchnummeriert<br />

werden, sondern um 30<br />

Einzelstücke, die als eine „intelligente<br />

Serie“, wie es heißt, produziert<br />

werden und ab 120 Euro erhältlich<br />

sind.<br />

Edition kommt vom lateinischen<br />

„editio“ und bedeutet „Herausgabe“<br />

und bezeichnet ganz generell einen angenehmen<br />

und niederschwelligen Einstieg<br />

Fotos: Niko Havranek, Eva Lena Gagern.


„Wir versuchen Künstler dazu zu bringen, Dingezutun,<br />

die sie normalerweisenicht machen würden.“<br />

in die Welt des Kunstkaufs. Denn daEditionen<br />

den Begriff„Original“erweitern, sindsie<br />

günstiger als einzelne, eigenständige Kunstwerke.<br />

BeiB-98 verbindensich die Ideenvon<br />

Original und Serie zueiner neuen Mischform,<br />

wie überhaupt das Verbindende großgeschrieben<br />

wird. „Wir wollen Gebrauchsgegenstände<br />

leiwand machen“, erklärt Frank<br />

Mariadie Visionvon B-98.<br />

Elisa Alberti ist eine erfolgreiche, aufstrebende<br />

bildende Künstlerin, Simone Oberlechner<br />

ist Sozialarbeiterin und Keramikerin:<br />

Auch außerhalb der jeweils angestammten<br />

Disziplin neue Techniken zu<br />

erarbeiten und Ideen sowie Kompetenzen<br />

zusammenzuführen ist eine der Grundideen<br />

der B-98-Editionen, deren Initiatoren<br />

zur Erstpräsentation des Objekts am<br />

31. Oktober auch ein großes Gesamterlebnis<br />

mit frischer Ofenpizza von Lukas Mraz<br />

planen. Doch B-98 sorgt nicht nur für Aufmerksamkeit<br />

rund um Kunst und Design,<br />

sondern sieht sich vor allem als „Ermöglicher“<br />

und begleitet die Editionen oft auch<br />

essenziell in der technischen Umsetzung.<br />

Produziert wird direkt in der Burggasse,<br />

schließlich findet sich im Untergeschoß ein<br />

Produktionsparcours der Sonderklasse –<br />

vom eigenen Keramikofen über eine Siebdruckmaschine<br />

biszum Metallraumfür die<br />

gröberen Arbeiten.<br />

Permanent werden diese Werkstätten von<br />

den Jungdesignern Martijn Straatman (Studio<br />

Tinus) und Teresa Berger, die beide an<br />

der Designacademy Eindhoven studiert<br />

haben, und Maria Scharl, die an der New<br />

Design University St. Pölten studiert hat,<br />

genutzt, doch auch Gäste sind willkommen.<br />

Im Keller der Burggasse 98 wird<br />

einerseits Beton gegossen, während andererseits<br />

auch Projekte entstehen, die im<br />

Stadtraumauf Betongespraytwerden.<br />

Kunst-Design-Schmelze. Etwa in Zusammenarbeit<br />

mit Kunst im öffentlichen Raum<br />

Wien (KÖR), für die man gemeinsam mit<br />

„Wien 3420“ und der „Inoperable Gallery“<br />

das Mural-Projekt „Beautification“ des<br />

internationalen Stardesigners Stefan Sagmeister<br />

und dessen Grafikbüro Sagmeister<br />

&Walsh inder Seestadt ausführte. Typografien<br />

und grafische Elemente, welche die<br />

Wand entlang der Janis-Joplin-Promenade<br />

„verschönern“, wurden von Sagmeister initiiert<br />

und von der Designagentur B-98 im<br />

Sommer 2019 ausgestaltet. Beratend und<br />

ausführend agieren Niklas Worisch und<br />

Frank Maria inProjekten wie diesen. „Wir<br />

versuchen die Schmelze von Kunst und<br />

Design zu pushen“, so Worisch, „wollen<br />

Künstler dazu bringen, neue Techniken zu<br />

erproben und Dinge zutun, die sie normal<br />

nicht machen würden. Wir machen das<br />

dann technisch möglich.“Neben den Werkstätten,<br />

dem Showroom und einem vielfältig<br />

genutzten Hof gibt es im Haus auch ein<br />

Artist-in-Residence-Studio, ein Piercingstudio<br />

und ein Filmschnittstudio.Ein kollegialer<br />

Kreativcluster, der die Coronazeit<br />

zur eigenen Professionalisierung nutzen<br />

konnte und mit seinen Designeditionen<br />

nuneine kleine Marktlückeauftut. e<br />

Tipp<br />

Launch-Event.Die zweite<br />

Edition des B-98-Labels wird<br />

am 31. Oktober vorgestellt,<br />

14–20 Uhr,Details auf<br />

www.burggasse98.com<br />

NACH UNS DIE<br />

Frank Thiel, Perito Moreno #04, 2012-2013 ©Frank Thiel, Bildrecht, Wien, <strong>2020</strong><br />

BIS 14.02.21<br />

UntereWeißgerberstraße 13 |<strong>10</strong>30 Wien |Täglich <strong>10</strong>:00-18:00 | www.kunsthauswien.com


Flower-Power. In ihren performativ<br />

angelegten Werken arbeitet die<br />

Künstlerin Elisabeth von Samsonow<br />

auch mit Mythen und Ritualen.<br />

Fotos: Schreibtisch der Anthropologin, <strong>2020</strong> Astrid Bartl; eSeL.at/Lorenz Seidler;;<br />

30 <strong>Kulturmagazin</strong>


Geheimnisse von<br />

Kunst und Alltag<br />

Unter dem Motto „Living Rituals“ erschließt die<br />

Vienna Art Week einmal mehr neue Wege der<br />

Kunstvermittlung und -präsentation.<br />

Text: Johanna Hofleitner<br />

Die bevorstehende Vienna Art Week hat diesmal<br />

„Living Rituals“ als Motto auf ihre Fahnen<br />

geschrieben. Dabei ist die Kunstwoche, die<br />

<strong>2020</strong> zum <strong>16</strong>. Mal stattfindet, inerster Linie<br />

selbst ein Ritual. Mit ihrem geballten Programm aus<br />

Talks, Screenings, Touren, Panels, Performances und<br />

dergleichen ist sie ebenso ein fixer Teil des Kunstjahres,<br />

wie Ostern oder Weihnachten zum bürgerlichen Kalender<br />

gehören –einzig, dass es in diesem Jahr mit der<br />

Selbstverständlichkeit nicht ganz so weit her ist.<br />

„Im März haben wir uns schon kurz gefragt, ob wir das<br />

Ganze überhaupt durchführen können“, sagtVienna-Art-<br />

Week-Chef Robert Punkenhofer. Der umtriebige Kulturmanager,<br />

Networker, Kunst- und<br />

Ideensammler, Entrepreneur, Designliebhaber<br />

und bis2017Wirtschaftsdelegierte<br />

in Barcelona hatte die Kunstwoche<br />

2004 ins Leben gerufen und<br />

seitdem als Mastermind von einer<br />

anfänglich sehr elitären Veranstaltung<br />

in Richtung eines offenen Formats<br />

entwickelt. „Uns war schnell<br />

klar: Wir wollen das auch in diesem<br />

Jahr machen.“<br />

Kein Mangel an Ideen. Das durch<br />

den Lockdown notwendig gewordene<br />

Umdenken in Richtung Digitalisierung<br />

auf allen Ebenen (was in vielen<br />

Bereichen als Sprung ins kalteWasser<br />

erlebt wurde) hatte die Vienna Art<br />

Week bereits vorbereitet durch eine<br />

digitale Plattform, auf der seit Herbst<br />

2019 laufend Content geliefertwurde.<br />

Auch an Leitmotiven und Slogans<br />

bestand kein Mangel. Was inVor-Corona-Zeiten<br />

als „Vienna ArtWeekYearAround“programmiertworden<br />

war, wurdeimKrisenjahr <strong>2020</strong> zur Durchhalteparole<br />

umgepolt: „Vienna Art Week in Times ofCrisis“.<br />

So konntevon Anfang an digital geplant werden –bis hin<br />

zur Möglichkeit der digitalen Durchführung von Veranstaltungen<br />

–eine Option, die angesichts beschränkter<br />

Teilnehmerzahlen wohl oder übel zumindest mitgedacht<br />

werden muss. Vor diesem Hintergrund war es<br />

auch mehr als logisch, für diese Ausgabe insbesondere<br />

Künstlerinnen und Künstler, Akteurinnen und Akteure<br />

Studio-Flair. Während<br />

der Open<br />

Studio Daysgewähren<br />

rund <strong>10</strong>0<br />

Künstlerinnen und<br />

Künstler Einblicke<br />

hinter die Kulissen<br />

ihres Schaffens.<br />

„Der ritualisierte Körper isteine<br />

prunkvolle Bühne, in die sich<br />

Geheimnisse und Gottheiten<br />

einschreiben.“<br />

Byung-Chul Han<br />

in den Blick zu nehmen, die in Wien leben und arbeiten –<br />

ein Appell, der auch an die Programmpartner weitergegeben<br />

wurde. Think global, act local sozusagen, neu<br />

gedacht.<br />

Lebendige Rituale. „Living Rituals“ also. Das Leitthema<br />

impliziert gleichermaßen ein Plädoyer dafür, Rituale zu<br />

leben, wie auch die Intention, den Fokus auf lebendige<br />

Rituale zu legen. Pate stand dafür der koreanisch-deutsche<br />

Philosoph Byung-Chul Han mit seinem Essay „Vom<br />

Verschwinden der Rituale“, in dem er sich für eine Rehabilitierung<br />

des Begriffs nicht zuletzt auch in einem<br />

lebensästhetischen Sinn einsetzt: „Der ritualisierte Körper<br />

ist eine prunkvolle Bühne, in die sich Geheimnisse<br />

und Gottheiten einschreiben“, schreibt er. Die Art Week<br />

denkt nundas Ritual gewissermaßen fort –ineinem vorrangig<br />

zeitgenössischen, allgemeinen und philosophischen<br />

Sinn: als nicht nur, aber auch strukturgebender<br />

Bestandteil desLebens, vomAlltag biszur Kunst: vonder<br />

Morgentoilette über die Zigarette danach bis zuBegrüßungsritualen,<br />

neumodische wie der Wuhan-Shake oder<br />

der Thai-Gruß miteingeschlossen; vom Mund-Nasen-<br />

Schutzgar nicht zu reden.<br />

Um zur Kunst zurückzukehren: Auch Künstler haben<br />

Rituale. Allein der Gang ins Atelier selbst leitet ein Ritual<br />

ein: Sich tagaus, tagein der Kunst hinzugeben. Der Zeichner<br />

Klaus Mosettig treibt es weiter, indem er, kaum dass<br />

er sein Atelier betritt,allmorgendlich unzähligeBleistifte<br />

spitzt.Oft wohnen auch der Kunst selbst rituelle Formen<br />

inne –imFall desMalersRobertSchaberl<br />

zum Beispiel der Kreisel, an dem<br />

er sich in konzentrisch-abstrakten Bildern<br />

seit Jahrzehnten in immer<br />

neuen Formatenund Farbvariationen<br />

abarbeitet. Die Künstlerphilosophin<br />

Elisabeth von Samsonow wiederum<br />

bringt das Thema in all seiner Schönheit<br />

und Selbstbezüglichkeit aufs<br />

Tapet,wenn sie sich selbst als Subjekt<br />

ins Zentrum des „Schreibtischs der<br />

Anthropologin“ setzt. Für Hermann<br />

Nitsch schließlich stehen Rituale per<br />

se im Zentrum seines Lebenswerks<br />

„Orgien-Mysterien-Theater“.<br />

Solchen und noch viel mehr Zugängen<br />

spürt die Vienna Art Week nach.<br />

Acht Tage lang legt sie Fährten,<br />

knüpft Netze, stellt Kontexte her –<br />

und gibt dem Ritual so eine Bühne.<br />

Eine solche hat sich in letzter Minute<br />

buchstäblich mit der Zwischennutzung<br />

eines abbruchreifen Einfamilienhauses<br />

aus den Sechzigern in einem verwunschenen<br />

Garten ander Simmeringer Hauptstraße aufgetan. Auf<br />

zwei Etagen werden rund ein Dutzend Künstlerinnen<br />

und Künstler mit Videos, Installationen und anderen<br />

ortsspezifischen Arbeiten den Ritualen des Alltags auf<br />

den Zahn fühlen, denen ein solches Haus gleichsam als<br />

Stellvertreter für alle Häuser Raum gibt: Vom Keller bis<br />

zum Dach, Wohnzimmer bis zum Schlafzimmer, Kinderzimmer<br />

bis zum Bad geben sie eine durch und durch<br />

künstlerische Replik auf Byung-Chul Hans prunkvolle<br />

Bühne und deren Geheimnisse. e<br />

<strong>Kulturmagazin</strong> 31


Antriebskraft. Offspaces<br />

wie das Flat1<br />

sind einer der Motoren<br />

des Kunstbetriebs.<br />

Performen. Roberta<br />

Limas Aktionen zeigt<br />

der Stadtraum Sammlung<br />

Friedrichshof.<br />

Kreisel malen. Robert<br />

Schaberls Atelier ist<br />

eine Fixstation des<br />

Exhibition­Parcours.<br />

VomRitus reden. Nitsch<br />

im Gespräch über Rituale<br />

und Formen: 19. 11.,<br />

Nitsch Foundation.<br />

Einblicke. Zum Sammlergespräch<br />

mit Rafael<br />

Jablonkalädt die<br />

Albertina am 18. 11.<br />

Hinterhof-Madonna.<br />

Bilder von Suzanne<br />

Dixon zeigt das JAW­<br />

Atelier im Werd.<br />

Highlights &Termine<br />

Unter dem Motto „Living stattfindet. Thrill verspricht<br />

Rituals“ findet die Vienna Art dann die Hauptausstellung<br />

Week vom 13.-20.November „House of Living Rituals“ in<br />

zum <strong>16</strong>.Mal statt. Am ersten einem abbruchreifen Simmeringer<br />

Einfamilienhaus aus den<br />

Wochenende geben die Open<br />

Studio Days einen Eindruck von 1960er-Jahren. Mit Werken von<br />

der Vielfalt desKunstschaffens Acconci bis Zabelkawirdes<br />

in der Stadt. <strong>10</strong>0Künstlerinnen gleichsam künstlerisch<br />

und Künstler öffnen zwei Tage „besetzt“ (13.–20.11.).<br />

lang ihreAteliersund gewähren Den diskursiven Abschluss bildet<br />

schließlich das LivingRituals<br />

Einblick hinter die Kulissen<br />

ihrer Arbeit. WalkingTours Line-Up am Freitagnachmittag,<br />

strukturieren das Angebot. diesmal im Semperdepot. In<br />

Einen Schwerpunkt innerhalb Diskussionen, Screenings und<br />

der Open Studio Days bildet Performances wirddas Wochenthema<br />

noch einmal künst-<br />

der LivingRituals Exhibition<br />

Parcours.Der kuratierte Ausstellungspfad<br />

verbindet sieben örtert. Unter den Teilnehmern<br />

lerisch und philosophisch er-<br />

Ateliers, in denen Künstlerinnen<br />

und Künstler Arbeiten zum Byung-Chul Han, Autor des<br />

finden sich u. a. der Philosoph<br />

Motto der Vienna Art Week Buchs „Vom Verschwinden der<br />

präsentieren, darunter Heinrich Rituale“ sowie der Künstler<br />

Dunst, Klaus Mosettig, Elisabeth<br />

von Samsonow oder die Diverse Veranstaltungen von<br />

Erwin Wurm (20.11., 15–18 Uhr).<br />

Outsiderkünstlerinnen von ausgewählten Galerien und<br />

JAW. Begleitet von Expertengesprächen,<br />

ist der Parcours (insgesamt 22 Wiener Institu-<br />

Mitgliedern desArt Clusters<br />

eine Art dislozierte Ausstellung, tionen, Ausstellungshäuser,<br />

die zwar nicht unter einem Kunstunis, Museen) runden das<br />

Dach, doch unter der thematischen<br />

Klammer „Living Rituals“<br />

Angebot ab.<br />

www.viennaartweek.at<br />

Fotos: eSeL.at/Lorenz Seidler; Roberta Lima./Courtesy of the artist and Charim Galerie; Robert Schaberl; Nitsch Foundation; Volker Döhne.<br />

32 <strong>Kulturmagazin</strong>


Magische Augenblicke<br />

Unbekanntes, Neues und Klassisches sorgen bei der<br />

Loisiarte jedes Jahr für Spannung.<br />

Text: Wilhelm Sinkovicz<br />

diepresse.com/derclub<br />

CLUB-VORTEILE<br />

Stimmungsvoll. Die „Basilika“, tief unten in den<br />

Kellerfluchten, bietet den perfekten Rahmen.<br />

Avantgarde. Kurt Schwertsik und RichardDünser<br />

schreiben „hörbare“ Neue Musik.<br />

Fotos: Robert Herbst, Mischa Erben, Matthäus Stepa;<br />

Die Loisiarte ist traditionsgemäß<br />

das erste Festival imheimischen<br />

Festspielleben. Jahr für Jahr versammelt<br />

sich das treue Publikum<br />

an einem verlängerten Wochenende im<br />

Loisium, dessen architektonische Originalität<br />

als Pforte zu denalten Kellergängen im<br />

Weinland am Kamp dient. Dort lässt sich<br />

nicht nur wunderbar Wein verkosten, sondern<br />

auch musizieren. Es war Christian<br />

Altenburger, der vor Jahren den Versuch<br />

startete, sowohl im Besucherzentrum als<br />

auch tief unter der Erde zu konzertieren –<br />

und der dabei entdeckte, dass die akustischen<br />

Gegebenheiten dieser Räume entgegen<br />

allen Unkenrufen nicht nur<br />

annehmbar,sondern sogar äußerst reizvoll<br />

sind. Vor allem im alten Weinkeller, den<br />

man zur sogenannten Kathedrale ausgebaut<br />

hat, spielt (und hört!) sich’s wunderbar.<br />

Seit Beginn des Festivals Loisiarte ist<br />

Erwin Ortner mit seinem Arnold Schönberg<br />

Chor dabei, der gerade dieses<br />

Ambiente für magische Augenblicke zu<br />

nutzen verstand.<br />

Als Programmgestalter legt Christian<br />

Altenburger Wert auf Abwechslungsreichtum<br />

–und auf die Einbindung von Musik<br />

unserer Zeit, die aus dem Mainstream der<br />

„Neuen Musik“ ausbricht und subjektive,<br />

für die Hörer oft überraschend „schöne“<br />

Klänge hören lässt. Das verschaffte dem<br />

Festival von Anfang an Interesse und<br />

sicherte, dass die Neugierigen von Jahr zu<br />

Jahr wiederkehren.<br />

Zumal die Kombination vonUnbekanntem,<br />

Neuem und wahrhaft Klassischem stets für<br />

Spannung garantiert. Überdies wird die<br />

Loisiarte seit Langem zu einem Fest für alle<br />

Sinne und Kunstsparten. Denn zur Musik<br />

kommt auch die bildende Kunst. Stets gibt<br />

es im Loisium auch eine Ausstellung; und<br />

alle Konzerte werden vonLesungenbegleitet,<br />

die Angelika Messner liebevoll kuratiert,<br />

sodass auch die Literatur zu ihrem<br />

Recht kommt.<br />

So werden Christian Altenburger und seine<br />

Mitstreiter, darunter die Pianisten Jasminka<br />

Stancul und das Duo Silver-Garburg,<br />

Tipp<br />

Schubert,Dünser. Ilse Aichinger<br />

(Nicole Heesters). Donnerstag,<br />

15. April 2021.<br />

Schwertsik, Mozart. H.C. Artmann<br />

(Joachim Bißmeier). Freitag, <strong>16</strong>. 4.<br />

Brahms,Schmidinger (Schönberg-<br />

Chor). Michael Köhlmeier,<br />

Samstag, 17. April.<br />

ww.loisium.com<br />

Klarinettist Michel Lethiec oder die Cellisten<br />

Niklas Schmidt und Patrick Demenga<br />

mit Schauspielergrößen wie Nicole Heesters,<br />

Joachim Bißmeier und Petra Morzé<br />

konfrontiert, die Prosa und Poesie von Ilse<br />

Aichinger, H.C.Artmann und Antonio Fian<br />

lesen, während Michael Köhlmeier am<br />

Samstag auseigenen Werken vorträgt.<br />

Zeitgenossen. Musikalisch umrahmt werden<br />

diese literarischen Schmankerln von<br />

Werken Franz Schuberts (die „F-Moll-Fantasie“),<br />

Wolfgang Amadé Mozarts (Klarinettenquintett)<br />

und Ludwig van Beethovens<br />

(„Erzherzogs-Trio“). Zeitgenossen sind wie<br />

immer dabei: Kurt Schwertsiks Musik trifft<br />

am Freitag, dem <strong>16</strong>. April, passend auf<br />

Texte von H. C. Artmann, Helmut Schmidingers<br />

„Gesang zwischen den Stühlen“auf<br />

Chormusik vonJohannesBrahms (mit dem<br />

Schönberg-Chor), Johanna Doderer präsentiert<br />

vor dem Beethoven-Trio im<br />

Abschlusskonzertr am Sonntagvormittag<br />

ihr neuesFünftes Streichquartett.<br />

Zum Auftakt kommt Richard Dünser, der<br />

nicht nur ein eigenes Werk für die rare<br />

Besetzung Klavier zu vier Händen plus<br />

Streichquartett komponiert hat, sondern<br />

auch noch Schuberts Sonate für Klavier zu<br />

vier Händen D 617 für diese Besetzung<br />

arrangierthat. e<br />

<strong>Kulturmagazin</strong> 33


Der Götterberg<br />

Olymp ist nah<br />

Ein Stück Orient im Okzident: In<br />

Thessaloniki berühren einander<br />

byzantinische, osmanische und<br />

moderne westliche Kultur.<br />

Hafenstadt. Blick<br />

aufsMeer von der<br />

malerischen Altstadt,die<br />

sich<br />

recht steil den<br />

Hügel hinanzieht.<br />

Text: Barbara Petsch<br />

Ratem quibea<br />

derum coreipiscipsum<br />

assit<br />

magnata coreporessi<br />

cum quidesent,sitas<br />

aut e<br />

Fotos: Wanderlust/Discover Greece.<br />

34 <strong>Kulturmagazin</strong>


Erdoğan will wieder Griechenland besetzen, wie<br />

es schon einmal der Fall war. Er will das Osmanische<br />

Reich wieder errichten.“ Elena ist unsere<br />

Führerin bei dieser Stadttour in Thessaloniki,<br />

ihre Antwort auf die Frage, ob sich die Griechen Sorgen<br />

machen angesichts der angespannten Lage im Streit um<br />

die Gasvorkommen vor der zyprischen Küste, kommt<br />

ohne Zögern. Wie geht es der türkischen Community in<br />

der Stadt? „Die meisten haben Angst vor Erdogan“, vermutetGiotavon<br />

der griechischen Tourismusagentur.Die<br />

Kluft zwischen den politischen Realitäten ganz in der<br />

Nähe und der Stimmung in der Stadt amThermaischen<br />

Golf könntejedenfalls größer nicht sein: Volle Bars, originelle<br />

Geschäfte, hübsch designt, kleine Läden mit Handwerk<br />

und Mode neben den üblichen Flagship-Stores,Jogger,<br />

Radfahrer am Peer,Schiffe, Herbstsonne. An Europas<br />

Südgrenze gibt es viele große Hafenstädte, von Valencia<br />

bis Thessaloniki, Letzteres wirkt etwas „balkanesisch“,<br />

aber die Hauptstadt Makedoniens hat auch einiges von<br />

Barcelona und sogar vomgeschniegelten Triest.<br />

Makedonien ist einer der ältesten Schauplätze europäischer<br />

Geschichte. Nahe dem Hafen von Thessaloniki<br />

blickt eine gigantische Statue gen Osten: Alexander der<br />

Große. JedesSchulkind kennt den Feldherrn,<br />

der in kurzer Zeit ein Imperium zusammenraffte,<br />

das bisanden indischen Subkontinent<br />

reichte. Alexander starb jung, erwurde nur<br />

33 Jahre alt. Europas erster Hero war eine<br />

ambivalente Persönlichkeit, schön, charismatisch,<br />

entschlossen, strategisch begabt,<br />

aber auch skrupellos.<br />

Konzerthaus. Der<br />

Bau des japanischen<br />

Pritzker-<br />

PreisträgersArata<br />

Isozaki dient auch<br />

für Kongresse.<br />

aber osmanischen Ursprungs ist. Die Osmanen<br />

eroberten Thessaloniki 1430. Sie regierten<br />

bis 1913. Außerdem stand die Stadt in<br />

ihrer Geschichte u.a.unter der Herrschaft<br />

der Römer und der Deutschen, die Nationalsozialisten<br />

deportierten die große jüdische<br />

Gemeinde (rund 60.000 Menschen) ins KZ,<br />

obwohl diese drei Billionen Drachmen als<br />

Schutzgeld zu zahlen bereit war. Auf dem<br />

Gelände eines jüdischen Friedhofs wurde<br />

die heutige Aristoteles-Universität errichtet,<br />

eine unverzeihliche Attacke gegen jüdische<br />

Identität.Heutegibt es wieder eine kleine jüdische Community<br />

inThessaloniki, Israelis besuchen die Stadt auf<br />

der Suche nach Spuren ihrer Ahnen. Sie finden sie im<br />

Jüdischen Museum und in Villen, von denen die meisten<br />

imposanteRuinen sind.Indie eleganteVilla Bianca(Vassilisis-Olga-Straße),<br />

die der Mailänder Pietro Arrigoni<br />

1911 bis 1913 für den Kaufmann und Industriellen Dino<br />

Fernandez Diaz errichtete, zog 2013 die Städtische<br />

Kunstgalerie ein. Fernandez Diaz und seine Familie flohen<br />

vor den Nationalsozialisten nach Italien, wo sie von<br />

der SS ermordet wurden.<br />

Grausame Geschichte. In gesetzten<br />

Worten erklären Führer den Besuchern<br />

von Thessaloniki die grausame<br />

Geschichte dieser Stadt. Sie führen zu<br />

stillen, orthodoxen Kirchen,<br />

Moscheen, Plätzen, auf denen Synagogen<br />

standen. Es gibt ein Museum für<br />

byzantinische Kultur und eins für zeitgenössische<br />

Kunst. Vom Hafen aus<br />

kann man Minikreuzfahrten auf Piratenschiffen<br />

oder römischen Galeeren<br />

unternehmen. Griechenland-Fans<br />

dürften feststellen, dass sich ihre<br />

Sehnsuchtsdestination in den letzten<br />

Jahrzehnten, trotz vieler Krisen, zuletzt jene um die<br />

Staatsschulden, stark verändert hat. Thessaloniki etwa<br />

hat <strong>10</strong>0.000 Studenten, es gibt immer mehr junge Akademiker,<br />

viele Griechen sprechen fließend Englisch.<br />

Thessaloniki, dieser geschundene Ort, wirkt heute wie<br />

ein Nabel europäischer Multikultur. Ja, es gibt sehr viele<br />

Bettler, angeblich Roma, heißt es, aber auch viele Griechen<br />

und Griechinnen sind wohl darunter, vor allem<br />

Kinder. Achtlos gehen Passanten an einer am Straßenrand<br />

kauernden Greisin vorbei, die auseiner Plastikdose<br />

Essenreste klaubt.Das entsetzt.<br />

Insgesamt aber strahlt die Stadt Lebensfreude und Toleranz<br />

aus, sie hat ein ansprechendes Fluidum, nicht nur<br />

wenn man aufder Dachterrasse desLuxushotels Electra<br />

Palace Fischsuppe löffelt oder im nahen Excelsior<br />

Hotel Baisers mit Beeren knackt. Die griechische<br />

Küche hat sich jenseits von Souvlaki und Tzatziki<br />

diversifiziert, an herrlichen Rohstoffen, Wein, Käse,<br />

Oliven, Gemüse, Lammfleisch, Fisch, mangelt es nicht.<br />

Manprobiereetwadas Restaurant Thria (Maria Kallas<br />

1). Leider nicht immer, aber hoffentlich immer öfter<br />

sehen die Griechen davon ab, ihre erstklassigen Nahrungsmittel<br />

mit Sauce Hollandaise zu übergießen<br />

oder italienische Klassiker wie Ossobuco zu probieren.<br />

Bitte nicht. Ein Highlight sind manche Marktlo-<br />

Eine Stadt brennt. Im Iran wird eine schaurige<br />

Geschichte von Alexander erzählt: Der<br />

Eroberer des altpersischen Achämenidenreiches<br />

zerstörte Persepolis, heute ein Ruinenfeld<br />

nordöstlich von Schiras, und das kam<br />

angeblich so: Eine Tänzerin begeisterte den<br />

Weißer Turm.<br />

König, der reichlich trank und dann der Schönen sagte,<br />

Das heutige<br />

sie hätte einen Wunsch frei. Das Mädchen forderte die<br />

Wahrzeichen der<br />

Zerstörung der Stadt, die Alexander prompt niederbrennen<br />

ließ. Der Kleinstaat Makedonien wurde durch Ale-<br />

Befestigung und<br />

Stadt warTeil der<br />

xander und seinen Vater Philipp II. zu einem Weltreich. Gefängnis.<br />

In Vergina, westlich vonThessaloniki, locken Ausgrabungen<br />

rund um Philipp und Alexander –sowie ein stattlicher<br />

Goldschatz mit Truhen und filigranen Diademen.<br />

Landpartie. Rund<br />

um Thessaloniki<br />

Philipps letzte Ruhestätte, eine Grabkammer, die ägyptisch<br />

anmutet, ist hier zu finden, gesucht wird aber vor<br />

locken liebevoll<br />

restaurierte Dörferinden<br />

Bergen<br />

allem nach Alexanders Grab. Dieser starb 323 v.Chr. in<br />

Babylon. Kann sein, sagen die Griechen, bestattetaber ist und am Meer.<br />

er in Vergina. Und sobald das bewiesen ist, werden die<br />

Nationalisten in Makedonien verlangen, dass sich<br />

Nordmazedonien einen anderen Namen zulegt.<br />

Denn nurdie Griechen, sagen sie, hätten ein Recht<br />

auf die Bezeichnung Makedonien. Für nicht<br />

wenige Griechen ist dieses Thema eine ernste<br />

Sache, was wohl damit zu tun hat, dass dieses viel<br />

gerühmte Land lang um seine Identität kämpfen<br />

musste. Den Zeugen dieser Geschichte begegnet<br />

der Reisende im heutesounbeschwert wirkenden<br />

Thessaloniki. Das eindrücklichste Monument ist<br />

der Weiße Turm, der Teil der byzantinischen<br />

Befestigungsanlagen war, in seiner heutigen Form »<br />

<strong>Kulturmagazin</strong> 35


Olymp. Auf dem Götterberggibt<br />

es viele gut ausgebaute Wanderwege<br />

für jedermanns Kräfte.<br />

Rasten und Speisen.<br />

Das verbindet<br />

die Bewohner<br />

von Thessaloniki<br />

mit den Touristen.<br />

Und die Pommes.<br />

Alexander der Große. Der Eroberer,<br />

geboren 356 v. Chr., schaut<br />

am Hafen gen Osten.<br />

Übers Wochenende begibt sich der wohlhabendere<br />

Bürger aufs Land oder an den Strand.<br />

»<br />

kale. Übers Wochenende begibt sich der wohlhabendere<br />

Bürger von Thessaloniki aufs Land oder an den Strand.<br />

Eine beliebte Wanderdestination ist der Olymp, auf dem<br />

Wälder,Klöster und Hütten zu finden sind, aber bedauerlicherweise<br />

keine Götter. Die Witterung wechselt gern<br />

und plötzlich. Dann muss sich der Reisende im Informationszentrum<br />

mit Fotosdes Kalksteinmassivs im feenhaften<br />

Licht oder Aufnahmen der vielfältigen Flora und<br />

Fauna (Wildkatzen!) begnügen, allerdings hat die Natur<br />

eine gewisse Ähnlichkeit mit österreichischen Bergen.<br />

Wir lassen uns von der drahtigen Hiking-Spezialistin<br />

Touren erklären, für die man jedoch besser mehrere<br />

Tage einplant,hernach können wir einen Spaziergang zu<br />

Wasserfällen unternehmen, dabei geht es meist bergab.<br />

Trittsicherheit und Wanderausrüstung sind jedoch<br />

gefragt. Den Berggipfel kann man nur mit Kletterausrüstung<br />

erreichen, ein Teil des Gebirges ist militärisches<br />

Gebiet, anscheinend gibt es aber Genehmigungen für<br />

besondere Freunde der Wildnis, die dort herummarschieren<br />

wollen, man kann sogar übernachten. Refuges<br />

heißen die Hütten, da zuckt der Zuhörer kurz zusammen,<br />

mit Flüchtlingen aus Syrien und Afghanistan hat<br />

der Ausdruck aber nichtszutun.<br />

Merkwürdig ist, dass der Olymp als Wohnsitz der Götter,<br />

als der er doch in aller Welt berühmt ist, hier kaum<br />

jemanden zu interessieren scheint, auch Merchandising<br />

über Zeus, Pallas Athene &Co. ist unbekannt. 150.000<br />

Touristen entern alljährlich den Olymp-Nationalpark, es<br />

ist gewiss erfrischend (und nicht nur wegen des kühlen<br />

Wetters), ihn jetzt in der Coronakrise zubesuchen, wie<br />

Griechenland überhaupt, das wenige Infektionen hat.<br />

Tipp<br />

Stadtführungen. Bei dot2dot<br />

gibt es exzellent versierte<br />

und charmante Führer und<br />

spezielle Touren, etwaüber<br />

Historie oder Kulinarik.<br />

www.dot2dot.gr<br />

Anreise. Direktflüge ab Wien<br />

etwamit Austrian,<br />

www.austrian.com<br />

Informationen. Das griechische<br />

Tourismusamt informiert<br />

auf www.visitgreece.gr<br />

Die Passagiere eines mittelstark besetzten Ryan-Air-Fliegers<br />

vonWien nach Thessaloniki (direkt,AegeanAirlines<br />

hat eine Zwischenlandung in Athen) Ende September<br />

wurden samt und sonders mit Stäbchen getestet, man<br />

teilteuns mit,dass, falls wir positivseien, wir verständigt<br />

würden. Was dann? Angeblich muss man in Quarantäne<br />

–auf Kosten desgriechischen Staats.<br />

Karierte Tischtücher. Zum Schluss noch ein Aperçu<br />

zum Olymp, an seinem Fuße liegt das Hotel Cavo<br />

Olympo,eine schickeHerbergemit kleinem Strand, Pool,<br />

Spa, viel Marmor und Palmen. Das Service könnte etwas<br />

emsiger sein, aber die Panoramen sind grandios, die<br />

Zimmer riesig und das Styling istelegant.<br />

Ein Ausflug in bodenständige griechische Tourismuskultur<br />

(Holzmöblierung mit karierten Tischdecken)<br />

empfiehlt sich ins etwas abgelegene Dörfchen<br />

Palaios Panteleimonas. Auf Fotos ist ein verlassenes,<br />

völlig verrottetes Örtchen zu sehen, seit<br />

den Neunzigern, erzählt einer der Lokalbetreiber,<br />

kamen Nachfahren der früheren Besitzer,<br />

aber auch Stadtflüchter ins Gebirge. Sie repariertenund<br />

restauriertenliebevoll. Es gibt auch<br />

Zimmer. Trinken und Autofahren ist keineswegs<br />

ratsam. Auch in dieser Hinsicht ist Griechenland<br />

der EU näher gerückt: Es gibt saftige<br />

Strafen für Alkoholsünder. Dafür wurde das<br />

öffentliche Verkehrsnetz verbessert. Alles in<br />

allem: Makedonien und die Chalkidike haben<br />

viel zu bieten, vor allem Touristen, die nur die<br />

griechischen Inseln kennen. e<br />

Fotos: Fotos: Wanderlust/Discover Greece. Compliance-Hinweis: Die Reise erfolgte auf Einladung von Discover Greece.<br />

36 <strong>Kulturmagazin</strong>


Musikstadt Leipzig<br />

Heimatort des Operngenies Richard Wagner.<br />

ENTGELTLICHE EINSCHALTUNG<br />

Die Thomaskirche ist ebenfalls<br />

einen Besuch wert.<br />

Die Oper Leipzig bietet Musikgenuss<br />

–beispielsweise bei<br />

einer „Siegfried“-Inszenierung.<br />

Fotos: Kirsten Nijhof, Oper Leipzig, LTM/Bao Kuo;<br />

Leipzig und die Musik: Das ist jahrhundertelange<br />

Tradition. Zahlreiche Komponisten, darunter<br />

Johann Sebastian Bach, Felix Mendelssohn-<br />

Bartholdy, Clara und Robert Schumann sowie<br />

Richard Wagner lebten und arbeiteten hier. Die Oper<br />

Leipzig und das Gewandhausorchester genießen weltweites<br />

Renommee und internationale Festivals wie das<br />

Bachfest und die Richard-Wagner-Festtage erfreuen<br />

sich stetig steigender Besucherzahlen. Das ganze Jahr<br />

hindurch lassen sich die einstigen Wirkungsstätten der<br />

Komponisten auf der Leipziger Notenspur erkunden.<br />

Der Rundweg durchs Zentrum vermittelt dank Hörproben<br />

und Schautafeln einen lebendigen Eindruck<br />

über das Leben zur damaligen Zeit –natürlich auch<br />

über das des wohl berühmtesten Sohnes der Stadt:<br />

Richard Wagner!<br />

Oper Leipzig –ein Traditionshaus mitten in Europa.<br />

Mit Gründung <strong>16</strong>93 ist die Oper Leipzig das drittälteste<br />

bürgerliche Opernhaus Europas und blickt voller Stolz<br />

auf eine mittlerweile über 325-jährige Tradition. Knapp<br />

die Hälfte dieser mehr als drei Jahrhunderte ist mit<br />

dem Gewandhausorchester ein Ensemble von Weltruhm<br />

–aktuell belegt der Klangkörper Rang vier im<br />

internationalen Vergleich –ständiger musikalischer Begleiter<br />

der Oper Leipzig. Seit dem Amtsantritt von Intendant<br />

und Generalmusikdirektor Prof. Ulf Schirmer<br />

Tipp<br />

JETZT EXKLUSIV! Erleben<br />

Sie vom 20. Juni bis 14. Juli<br />

2022 alleWagner-Opern in<br />

Leipzig! Buchungen sind ab<br />

sofort möglich unter<br />

Tel. +49/(0)341/7<strong>10</strong> 4275<br />

oder<br />

incoming@ltm-leipzig.de<br />

sind die Werke Richard Wagners eine zentrale Säule<br />

des Opernrepertoires. Ein Highlight im jährlichen Spielplan<br />

sind die Aufführungen des „Ring des Nibelungen“.<br />

In der Saison <strong>2020</strong>/2021 wird das Wagner’sche Opus<br />

magnum an zwei Terminen (14.–18. April 2021 und<br />

5.–9. Mai 2021) zu erleben sein.<br />

Wagner 22 –alle Wagner-Opern indrei Wochen. Ein<br />

weltweit einzigartiges Vorhaben, das die internationale<br />

Musikwelt aufhorchen lässt, erwartet Wagnerianer<br />

2022 in Leipzig. Das Opernhaus verfolgt das ambitionierte<br />

Ziel, bis dahin alle 13 Bühnenwerke Wagners<br />

szenisch zu erarbeiten und im Juni/Juli 2022 im Rahmen<br />

eines dreiwöchigen Festivals zu präsentieren. Die<br />

Wagner-Festtage vom 18. bis 20. Juni 2021<br />

mit Aufführungen der Frühwerke „Die Feen“,<br />

„Rienzi“ sowie „Das Liebesverbot“ werden<br />

weitere Meilensteine auf dem Weg dorthin<br />

sein. Musikliebhaber müssen mit einer Reise<br />

nach Leipzig aber nicht bis 2022 warten. Das<br />

hochkarätige Mahler Festival unter der Regie<br />

des Gewandhausorchesters im Mai 2021 sowie<br />

das jährliche Bachfest bieten auch vorher<br />

schon perfekte Reiseanlässe. Das passende<br />

Reiseangebot inklusive Tickets für zum Teil<br />

bereits ausverkaufte Konzerte finden Sie<br />

unter www.leipzig.travel/musikstadt<br />

<strong>Kulturmagazin</strong> 37


1<br />

Fotos: Sammlung Steffan /Pabst /Wolfgang Vollmer/Henry Rox Archive Cologne <strong>2020</strong>; Roland Krauss/Bildrecht, Wien<br />

38 <strong>Kulturmagazin</strong>


2<br />

3<br />

Widerständige<br />

Schönheit<br />

Die Kunst hält durch. Mit Utopien<br />

und Visionen stemmt sie sich den<br />

Unbilden der Zeit entgegen –oder<br />

malt sich die Welt einfach schön.<br />

Text: Johanna Hofleitner<br />

1. Leopold Museum<br />

„Emil Pirchan Universalkünstler“. Alles begann mit dem Studium bei Otto<br />

Wagner in Wien. Erste Erfolge feierte Emil Pirchan (1884–1957) mit seinem<br />

Münchner „Atelier für Graphik, Bühnenkunst,Hausbau, Raumkunst und<br />

Kunstgewerbe“. Berlin, Prag, zuletzt wieder Wien warendie großen Stationen<br />

des Universalisten, der sich mit der Entwicklung der Stufenbühne („Jessnersche<br />

Treppe“) auch im Bereich der modernen Bühnenbildgestaltung einen<br />

Namen gemacht hatte.27. 11. <strong>2020</strong>–4.4. 2021, www.leopoldmuseum.org<br />

2. Fotohof<br />

Wolfgang Vollmer. Fotografie ist für Wolfgang Vollmer mehr als das Festhalten<br />

von Bildern. Sein Aktionsradius umfasst auch das Sammeln, Recherchierenund<br />

Neubewerten. Ein Projekt ist etwadie Wiederentdeckung des nahezu<br />

vergessenen deutsch-amerikanischen Bildhauersund Fotografen Henry Rox<br />

(1899–1967), der in seinen Früchteskulpturen das Vokabular der Pop-Art an<br />

die surrealen Experimente Man Raysoder die ironischen Konsumparodien à<br />

la Fischli/Weiss heranführte.27.11.<strong>2020</strong>–23.1.2021, www.fotohof.at<br />

3. Belvedere 21<br />

Maja Vukoje. Trügerische Stilleben sind das: die Orangen, Eislutscher,Spielroboter<br />

oder Zuckerwürfel, die Maja Vukoje auf großen Leinwänden in Szene<br />

setzt.Was sie verbindet,ist ihre Zugehörigkeit zur Konsum- und Warenwelt.<br />

Mit ihren Südfrüchten, Kolonialwaren oder Symbolen der Populärkultur und<br />

des digitalisierten Alltags verweisen diese Bilder auf Transkulturalität und<br />

kulturelle Hybridität als Grundbedingungen der gegenwärtigen Alltags- und<br />

Lebenswelt.12. 11. <strong>2020</strong>–11. 5.2021, www.belvedere.at<br />

<strong>Kulturmagazin</strong> 39


1<br />

2<br />

3<br />

4<br />

Fotos: Luo Yang; Courtesy Hugo Canoilas and Galerie Martin Janda ©the artist; Club Fortuna <strong>2020</strong>; Kunstraum Dornbirn; Nick Ash; Andrej Popović<br />

40 <strong>Kulturmagazin</strong>


5<br />

6<br />

1. FC –Francisco Carolinum, Linz<br />

Luo Yang. Für Ai Weiwei ist sie einer der Shootingstarsder jungen chinesischen<br />

Fotografie.Vor dem Hintergrund der Widersprüche einer Gesellschaft<br />

zwischen Turbokapitalismus und Tradition zeichnet Luo Yang, Jahrgang<br />

1984, in einfühlsamen Porträts ein Bild ihrer Zeit.Ihre„Girls“ etwasind exzentrisch,<br />

schön, selbstbewusst und zugleich doch auch verletztlich und<br />

fragil. „Youth“ zeigt eine Generation auf der Suche nach Identität und<br />

Orientierung. 21. <strong>10</strong>.<strong>2020</strong>–21. 2. 2021, www.ooelkg.at<br />

2. Mumok<br />

„On the extremes of good and evil“. Hugo Canoilas Bilder sind entweder so<br />

groß, dass er sie auf dem Boden auflegt.Oder es tummeln sich im kleinen<br />

Format exotische, bedrohliche oder ausgestorbene Tiereund Fabelwesen<br />

darauf.Für seine ebenso installative wie experimentell-kritische, allemal aber<br />

exquisite Malerei wirdder in Wien lebende portugiesische Künstler nun mit<br />

dem renommierten Kapsch Contemporary Art Prize <strong>2020</strong> sowie einer Personale<br />

im Mumok belohnt.8.11. <strong>2020</strong>–28. 2.2021, www.mumok.at<br />

3. Kunstverein Eisenstadt<br />

„Komplizenschaft 4“. Für die nächste Doppelausstellung setzt der junge<br />

Kunstverein auf kollektive Aktionen über das „Als-ob“ im Verhältnis zur Wirklichkeit.Das<br />

im Dreieck von Kunst,Gesellschaft und existenzieller Lebenshilfeagierende<br />

Trio „Club Fortuna“ erweitert dafür sein Experimentierfeld um<br />

den Faktor Natur (Bild). Dem gegenüber stehen ephemerePerformances<br />

und Raumskizzen aus der feinen Feder der tschechischen Künstlerin Maja<br />

Štefančíková. 13. 12. <strong>2020</strong>–20. 2.2021, www.kunstvereineisenstadt.at<br />

4. Kunstraum Dornbirn<br />

Claudia Comte. Sie verwandelt Eisfelder in Spielelandschaften, verpflanzt<br />

Baumstämme ins Innere, um es zum artifiziellen Wald zu transformieren,<br />

oder platziert verführerisch polierte Skulpturen. Räume sind die Spielwiese<br />

des Schweizer Shootingstars. Der historischen Architektur des Kunstraums<br />

wirdClaudia Comte ein 450 Quadratmeter großes Deckengemälde verpassen,<br />

in dem Op-Art und Pop-Art,Konkrete Kunst und Abstrakter Expressionismus<br />

in eins fallen. 27. 11. <strong>2020</strong>–7. 3.2021, www.kunstraumdornbirn.at<br />

5. Secession Wien<br />

Danh Vō. Er arbeitet mit Fotos,Fundstücken, die historisch oder emotional<br />

aufgeladen sind, Dokumenten, manchmal auch Werken anderer Künstler.<br />

Aus ihnen schafft der vietnamesische Künstler Danh Vō rätselhaft-poetische<br />

Objekte und Installationen. Angetrieben von einer starken politisch-ethischen<br />

Haltung, erzählen sie von Geschichte und Gegenwart,Zukunft und<br />

Vergangenheit sowie der Erfahrung der Flucht und des Sich-Wiederfindens<br />

an einem zufälligen anderen Ort.21.11. <strong>2020</strong>–31. 1.2021, www.secession.at<br />

6. Kunsthalle Wien<br />

„Shadow Citizens“. Želimir Žilnik zählt zu den großen politischen Filmemachern<br />

Europas.Invielen seiner Filme nahm er geradezu prophetisch Entwicklungen<br />

wie den Zerfall Jugoslawiens,den Übergang vom Sozialismus zu<br />

einer neoliberalen Ordnung, dieZersetzung gesellschaftlicher Strukturen<br />

vorweg. Die Ausstellung spannt einen Bogen von den frühen Amateurfilmen,<br />

Dokumentar- und Indipendent-Filmen der 1960er-, 1970er-Jahre bis zu<br />

seinen neuesten Langfilmen. 24. <strong>10</strong>. <strong>2020</strong>–17. 1. 2021, www.kunsthallewien.at<br />

<strong>Kulturmagazin</strong> 41


1<br />

2<br />

3 4<br />

1. Kunsthalle Krems<br />

„Mit der anderen Hand“. Fiona Tanumkreist in Videoinstallationen und Fotografien<br />

Erinnerung, Zeit und Geschichte.Ausgehend von umfangreichen Recherchen<br />

konstruiert die Künstlerin eindringliche Narrative im Grenzbereich<br />

von Fiktion, Imagination, eigener Biografie und Dokumentation. Die zusammen<br />

mit dem Museum der Moderne Salzburgproduzierte Ausstellung ist als<br />

umfangreiche Mid-Career-Show angelegt.Inneuen Arbeiten reagiert Tanzudem<br />

auf lokale Zusammenhänge, wie etwainKrems die Nachbarschaft von<br />

Kunsthalle und Justizanstalt.21. 11. <strong>2020</strong>–14.2. 2021, www.kunsthalle.net<br />

2. Neue Galerie Graz<br />

„Kompromisslos“. Julije Knifer (1924–2004) ist einer der wichtigsten Künstler<br />

Kroatiens nach 1945. Mit seiner stets in Weiß und Schwarz gehaltenen<br />

abstrakt-geometrischen Malerei am Schnittpunkt von konkreter und konzeptueller<br />

Kunst und dem Mäander als Leitform arbeitete er sich gleichsam am<br />

Nullpunkt der Malerei ab.Die Neue Galerie würdigt ihn nun mit einer umfangreichen<br />

Personale.20.11.<strong>2020</strong>–25. 4.2021, www.museum-joanneum.at<br />

3. Museum der Moderne Salzburg<br />

„Ir“. Not Vital ist ein Nomade im Leben wie in der Kunst.Angetrieben von<br />

einem anthropologischen Interesse für das Fremde sowie der Leidenschaft,<br />

seine Wohn- und Produktionsstätten fortwährend zu wechseln, schuf er seit<br />

über 50 Jahren ein rätselhaft-poetisches Werk. In einer typisch reduzierten<br />

Formensprache vermischt er in surrealistisch anmutenden Skulpturen<br />

eigenes Erinnern mit Motiven, Materialien und der Handwerkskunst fremder<br />

Kulturen. 5. 12. <strong>2020</strong>–13.6. 2021, www.museumdermoderne.at<br />

4. MAK<br />

„Fortschritt durch Schönheit“. Zum 150. Geburtstag widmet das MAK Josef<br />

Hoffmann die bisher größte Retrospektive seines Gesamtwerks. In 20 Kapiteln<br />

lässt die Schau die vielen Facetten seines Wirkens als Architekt,Designer,Mitbegründer<br />

der Wiener Werkstätte, Lehrer und Ausstellungsmacher<br />

Revue passieren. Ein direktes Erleben seines Raumdenkens ermöglicht die<br />

Rekonstruktion seines „Boudoirsfür einen großen Star“, entworfen für die<br />

Pariser Weltausstellung 1937. <strong>10</strong>. 12. <strong>2020</strong>–18.4. 2021, www.mak.at<br />

Fotos: Courtesy of the artist and Frith Street Gallery, London/Foto Steve White; Julije Knifer/Bildrecht Wien <strong>2020</strong>; Eric Gregory Powell/Courtesy Not Vital Studio;<br />

MAK; Petri Virtanen/Kansallisgalleria; Christian Fogarolli; Transito2Plus1 ©Luna Ghisetti; Marlies Pöschl/Bildrecht<br />

42 <strong>Kulturmagazin</strong>


5 7<br />

8<br />

6<br />

5. Grazer Kunstverein<br />

Alma Heikkilä. In organisch anmutenden Skulpturen und Malereien umkreist<br />

die Künstlerin Klimawandel, Umweltkrisen und Artensterben als drängende<br />

Nöte unserer Zeit.Dabei erkundet Heikkilä Organismen, mikroskopische<br />

Bakterien, Pilze oder anderewinzige Lebewesen jenseits der menschlichen<br />

Wahrnehmung. Aus einem tiefen Wissen über Ökosysteme und Mikroben<br />

entsteht eine Kunst,die sich der Würdigung der Koexistenz unzähliger Organismen<br />

verschrieben hat.11. 12. <strong>2020</strong>–26.2. 2021, www.grazerkunstverein.org<br />

6. Reaktor<br />

„The Outer Reaches of the Inner Self“. Am schmalen Grat zwischen Alchemie<br />

und Wissenschaft analysiert Christian Fogarolli unterschiedliche Konzepte<br />

psychischer und physischer Gesundheit.Die mittelalterliche Praxis<br />

des „Narrenschneidens“ –eine Operation zur Heilung von Wahnsinn, bei der<br />

den Patienten Steine aus dem Kopf geschnitten werden –ist Kristallisationspunkt<br />

einer raumgreifenden Installation samt Film, die mit der aufgeheizten<br />

Architektur des Raums in Dialog tritt.20. <strong>10</strong>–24. <strong>10</strong>. <strong>2020</strong>, www.reaktor.art<br />

7. Kunstraum Niederösterreich.<br />

„LifeConstantly Escapes“. Die kapitalistische Moderne als ständiger Angriff<br />

auf unser Leben und sozio-ökologische Katastrophe ist Reibebaum für eine<br />

Ausstellung, die nach Alternativen und Gegenmodellen sucht.Bilder,Skulpturen,<br />

Raum- und Klanginstallationen widersetzen sich der Logik der Gewaltförmigkeit<br />

und entwickeln Visionen, die die Möglichkeit eines „Jenseits der<br />

Moderne“ zumindest andenken lassen. 4.2–3. 4.2021, www.kunstraum.net<br />

8. Salzburger Kunstverein<br />

Marlies Pöschl. Das Filmemachen ist für die junge Salzburgerin eine Praxis,<br />

um zeitaktuelle Fragen mit den Codes von Dokumentar-, Image- und Experimentalfilm<br />

zu verhandeln. Dafür arbeitet Pöschl in verschiedenen Formen<br />

des Austauschs.Der in Zusammenarbeit mit Kindern und Jugendlichen entstandene<br />

Film „Aurore“ etwabeschäftigt sich mit der Zukunft der Pflege vor<br />

dem Hintergrund immersiver Digitalisierung und künstlicher Intelligenz. Die<br />

Interaktion von Jung und Alt ist ebenso Thema wie das Verhältnis von<br />

Mensch und Maschine.12. 12. <strong>2020</strong>–7.2.2021, www.salzburger-kunstverein.at<br />

<strong>Kulturmagazin</strong> 43


Der<br />

Aufstieg<br />

afrikanischer<br />

Kunst<br />

Ankauf. Das Guggenheim<br />

Museum<br />

hat im August „Joy<br />

Adenike“ von Amoako<br />

Boafogekauft.<br />

Die Kunstwelt entdeckt die<br />

Diversität. Keine andere<br />

Sparte erlebt so einen Boom<br />

wie Kunst aus Afrika und der<br />

Diaspora.<br />

Text: Eva Komarek<br />

Tribal Marks. Babajide<br />

Olatunji Ist<br />

für seine hyperrealistischen<br />

Porträts<br />

bekannt.<br />

44 Kultur spezial


„Vignette“.<br />

Das erste Werk Kerry<br />

James Marshalls,<br />

das bei Christie’s<br />

eine Million Dollar<br />

erzielte.<br />

Auktionsdebüt. „The<br />

Lemon Bathing Suit“<br />

von AmoakoBoafo<br />

verelffachte den<br />

Schätzwert.<br />

nen „Fons Americanus“ erzählt die<br />

Geschichte des transatlantischen Sklavenhandels<br />

und gehörte zu den meistbeachteten<br />

Skulpturen der Londoner Museen. Mit<br />

der zunehmenden kuratorischen Beachtung<br />

reagierte auch der Markt. Das Londoner<br />

Auktionshaus Bonhams verzeichnet<br />

seit 20<strong>10</strong> mit einer jährlichen Afrika-Auktion<br />

steigende Verkaufszahlen. 2013 gründete<br />

Touria ElGlaoui, Tochter des marokkanischen<br />

Künstlers Hassan El Glaoui, die<br />

1-54 Contemporary African Art Fair inLondon,<br />

die sie parallel zur Frieze Art Fair<br />

positionierte. Essollte eine Success-Story<br />

werden. Es folgte die Expansion nach New<br />

York und 2018 nach Marrakesch. Und Sotheby’s<br />

eröffnete 2017 in London eine<br />

Expertenabteilung für moderne und zeitgenössische<br />

afrikanische Kunst. „Seither<br />

sind die Auktionsumsätze für afrikanische<br />

Kunst pro Jahr von rund zwei Millionen<br />

Dollar auf 20Millionen Dollar gestiegen“,<br />

Fotos: Mariane Ibrahim; Philipps; Christies Images Ltd. <strong>2020</strong>;<br />

The Lemon Bathing Suit“ des in<br />

Ghana geborenen, in Wien lebenden<br />

Malers Amoako Boafo sollte<br />

bei der Phillips-Auktion in London<br />

im Februar Geschichte schreiben: Der<br />

Schätzwert von 30.000 bis 50.000 Pfund<br />

verelffachte sich dank eines Bietgefechts<br />

auf 550.000 Pfund. Es war das Auktionsdebüt<br />

desKünstlers. DerStrabag-Artaward-<br />

2019-Gewinner war schon im Dezember<br />

auf der Art Basel Miami prominent vertreten.<br />

Die auf afrikanische Kunst spezialisierte<br />

Galeristin Mariane Ibrahim widmete<br />

ihm eine Soloshow. Die Bilder warenschon<br />

bei der Previewausverkauft.Sein Erfolg litt<br />

auch unter der Coronapandemie nicht. Bei<br />

der ersten Onlineauktion von Phillips im<br />

Mai vervielfachte „Joy in Purple“ den<br />

Schätzwert von 70.000 Dollar auf 540.000<br />

Dollar. ImAugust kaufte dann das Guggenheim<br />

Museum sein Werk „Joy Adenike“,<br />

wie seine Galeristin Ibrahim bekannt gab.<br />

Boafo reitet auf einer Welle der generell<br />

steigenden Nachfragenach Arbeiten afrikanischer<br />

Künstler.<br />

Aufmerksamkeit wächst. Bis vor rund<br />

zehn Jahren galt Afrika für die westliche<br />

Kunstwelt als dunkler Kontinent. Dann<br />

ging es Schlag auf Schlag. 2013 verlieh die<br />

Biennale von Venedig den Goldenen<br />

Löwen für den besten Länderpavillon dem<br />

Debütanten Angola und machte zwei Jahre<br />

später Okwui Enwezor zum künstlerischen<br />

Leiter der 56. Biennale und verlieh dem<br />

ghanaischen Künstler El Anatsui den Goldenen<br />

Löwen für sein Gesamtwerk. Wichtige<br />

Museen sprangen auf diesen Trend auf<br />

und begannen zeitgenössische Kunst aus<br />

Afrika zu kaufen. Zu den Vorreitern gehörte<br />

die Tate Modern, die schon 2013 gleich<br />

zwei Ausstellungen afrikanischen Künstlern<br />

widmete. Im Vorjahr beauftragte die<br />

Tate die afroamerikanische Künstlerin<br />

Kara Walker mit einer Skulptur für die Turbinenhalle.<br />

Der 13 Meter hohe weiße Brun-<br />

Mit der zunehmenden<br />

kuratorischen Beachtung<br />

vonafrikanischer<br />

Kunst reagierte auch<br />

der Markt.<br />

sagt Hannah O’Leary, Direktorin der Abteilung<br />

für moderne und zeitgenössische afrikanische<br />

Kunst bei Sotheby’s.<br />

Der westlich zentrierte Blick der Kunstwelt<br />

beginnt immer mehr aufzubrechen.<br />

Museen und Institutionen entdecken die<br />

Diversität, und auch viele westliche Galerien<br />

haben afrikanische Künstler in ihr Programm<br />

aufgenommen. Das hat zueinem<br />

Boom bei afrikanischer Kunst geführt. Die<br />

großen Auktionshäuser reißen sich inzwischen<br />

um die wichtigsten Künstler,die sich<br />

einen Ruf gemacht haben und für die welt-<br />

»<br />

Kultur spezial 45


»<br />

Frühwerk. Ben<br />

Enwonwus Porträt<br />

„Christine“<br />

stieg bei Sotheby’s<br />

auf 1,1 Millionen<br />

Pfund.<br />

weit eine starke Nachfrage besteht, wie<br />

etwa nach Yinka Shonibare oder William<br />

Kentridge. Selbst die altehrwürdige Kunstund<br />

Antiquitätenmesse Tefaf hat heuer die<br />

Sonderausstellung Showcase zeigenössischer<br />

Kunst aus Afrika gewidmet. Der Londoner<br />

Aussteller Tafeta präsentierte die<br />

„Tribal Mark“-Serie des nigerianischen<br />

Künstlers Babajide Olatunji, der für seine<br />

hyperrealistischen Porträts mit gesichtsscharfen<br />

Charakteren bekannt ist.<br />

Die Oberliga. Der in Los Angeles aufgewachsene<br />

Künstler Kerry James Marshall<br />

ist der Superstar unter den zeitgenössischen<br />

schwarzen Künstlern. Er verdankt<br />

seine Bekanntheit der Biennale des Whitney<br />

Museums und der documenta inKassel<br />

im Jahr 1997. 2013 wurde er von Barack<br />

Obama zum Mitglied des Komitees für<br />

Kunst und Geisteswissenschaften ernannt,<br />

und wenige Monate später übernahm die<br />

einflussreiche Galerie David Zwirner seine<br />

Vertretung. Der Aufstieg am Kunstmarkt<br />

ließ nicht lang aufsich warten. 2014 erzielte<br />

sein Werk „Vignette“ bei Christie’s einen<br />

Zuschlag von einer Million Dollar. 20<strong>16</strong><br />

widmeten gleich mehrere Institutionen<br />

dem Künstler Retrospektiven. In der Folge<br />

verdoppelte sich sein Rekordpreis auf<br />

2,1 Millionen Dollar. 2018 katapultierte sich<br />

der Wert des Künstlers auf ein Vielfaches.<br />

Die Arbeit „Past Times“, auf der Schwarze<br />

sich bei Freizeitaktivitäten vergnügen, die<br />

mit der weißen Oberschicht in Verbindung<br />

gebracht werden –Krocket, Golf, Rudern –,<br />

46 Kultur spezial<br />

wurde am <strong>16</strong>. Mai 2018 bei Sotheby’s für<br />

21,1 Millionen Dollar verkauft. Das ist bis<br />

heute der höchste Preis eines afroamerikanischen<br />

Künstlers zu Lebzeiten. Auch für<br />

Amy Sheralds Erfolg waren die Obamas<br />

ausschlaggebend. In diesem Fall war es<br />

Michelle Obama, die ein Porträt beauftragte.<br />

Seitdem sind ihre Werke auf der<br />

ganzen Welt bekannt, und sie wurde von<br />

der internationalen Topgalerie Hauser &<br />

Wirthunter Vertraggenommen.<br />

In der Oberliga spielt auch die nigerianischstämmigeKünstlerin<br />

Njideka Akunyili<br />

Crosby. Sie wurde 20<strong>16</strong> entdeckt, als sie<br />

den Canson-Preis inNew York erhielt. Im<br />

gleichen Jahr gab sie ihr Auktionsdebüt.<br />

Seitdem erzielen ihre Werke Millionenzuschläge.<br />

Der Rekord stammt von 2018 für<br />

„Bush Babies“, das auf 3,3 Millionen Dollar<br />

stieg. Andere Künstler ihrer Generation,<br />

deren Preise zuletzt bei Auktionen in die<br />

Höhe schnellten, sind Adam Pendleton,<br />

Toyin Ojih Odutola und Otis Kwame Kye<br />

Quaicoe. „Shade of Black“ von Kwame Kye<br />

pulverisierte im Juli die Schätzung von<br />

Kunst ausAfrika ist<br />

ebenso gefragtwie jene<br />

der Diaspora. Ben<br />

Enwonwuund Gerard<br />

Sekotogelten als<br />

afrikanische Meister.<br />

Installation. Auf<br />

der Messe 1­54<br />

in Marrakesch<br />

warMoataz Nasrs<br />

„The Mac Gate“<br />

der Hingucker.<br />

30.000 Dollar und ging auf250.000 Dollar.<br />

Wie inder afroamerikanischen Kunst gibt<br />

es auch wichtige Vertreter der afrobritischen<br />

Kunst. Hier ist besonders Steve<br />

McQueen zu nennen, dem das Institute of<br />

Contemporary Art in London als erstem<br />

schwarzen britischen Künstler eine Soloshow<br />

widmete. Yinka Shonibare und Chris<br />

Ofili wiederum wurden dank des Einflusses<br />

der Galerie Saatchi entdeckt. Zuletzt<br />

fielen in den Londoner Auktionen Künstler<br />

wie Henry Tayler, Hurvin Anderson und<br />

Michael Armitagemit Preissprüngen auf.<br />

Die Afrikaner. Doch nicht nur Kunst der<br />

Diaspora feiert Erfolge, es steigt auch die<br />

Nachfragenach Kunst ausAfrika. „Afrikanische<br />

Kunst hat eine lange Geschichte.<br />

Künstler wie der Nigerianer Ben Enwonwu<br />

und der Südafrikaner Gerard Sekoto gelten<br />

als afrikanische Meisterund etabliertendie<br />

afrikanische Moderne“, sagt O’Leary.<br />

Zudem entwickle sich quer über den Kontinent<br />

eine Kunstszene. „In unserer letzten<br />

Auktion hatten wir Werke von Künstlern<br />

aus 21Ländern“, so die Expertin. Zu den<br />

hochpreisigen Künstlern zählen Enwonwu,<br />

El Anatsui und Papa Ibra Tall aus dem<br />

Senegal. „Südafrikanische Künstler sind<br />

international bekannt und lang aktiv. Sotheby’s<br />

hält die Rekordpreise für William<br />

Kentridge, Marlene Dumas, Nicholas Hlobo<br />

und Gavin Jantjes.“ Gesucht seien zudem<br />

die nigerianischen Künstler Toyin Ojih<br />

Odutola und Njideka Akunyili sowie der<br />

Kongolese EddyKamuanga Ilunga. e<br />

Fotos: Courtesy of Phillips, Nicolas Brasseur, Sotheby‘s;


Der Kunstraum imPalais Kinsky lädt zur<br />

ÖSTERREICHISCHE KUNST AUS 7JAHRZEHNTEN<br />

Tauchen Sie ein in die Form- und Gedankenwelten<br />

heimischer Künstler. Große Namen und vielversprechende<br />

Neuentdeckungen vereint unter einem Dach.<br />

Legen Sie den Grundstein für Ihre Sammlung oder<br />

finden Sie die passende Ergänzung im Kinsky.<br />

19. bis 31. Oktober<br />

Mo bis Fr, 14-20 Uhr<br />

Sa, 11-17 Uhr<br />

imkinsky.com<br />

Kunstraum im Palais Kinsky, <strong>10</strong><strong>10</strong> Wien, Freyung 4


Markttreiben im<br />

Coronamodus<br />

Im Frühjahr kamder Kunstmarkt zum Erliegen,<br />

die Branche hoffte auf einen guten Herbst.<br />

Doch wieder wurden Messen abgesagt, viele<br />

Aktivitäten ins Internet verlegt. Einige trotzen<br />

dennoch der Pandemie.<br />

Text: Eva Komarek<br />

Highlights<br />

München. Zu den wenigen internationalen<br />

Messen, die heuer real über die Bühne<br />

gehen, gehört die „Highlights“ in<br />

München. Aufgrund der Coronasituation<br />

findet die Messe aber in den Bronzesälen<br />

der Münchner Residenz statt.Insgesamt<br />

sind 27 Aussteller dabei, darunter<br />

Beck &Eggeling mit Werken von GerhardRichter,etwa„Fuji“.<br />

22.–25. Oktober, www.munichhighlights<br />

Fotos: Beigestellt; Beck &Eggeling International Fine Art; Archiv, M.Schnur; VG Bild-Kunst, Bonn<br />

48 <strong>Kulturmagazin</strong>


Tefaf virtuell<br />

Digitaler Showroom. Im März fand die<br />

TefafinMaastricht noch real statt.Für<br />

die Herbstausgabe in New York gab es<br />

eine Absage.Stattdessen hat die Messe<br />

einen digitalen Showroom gebaut,der<br />

jeweils ein Werk in den Mittelpunkt<br />

stellt.Auch Interaktion zwischen den<br />

Besuchern soll möglich sein. Die deutsche<br />

Galerie Beck &Eggeling hat sich<br />

für eine Arbeit von GerhardHoehme<br />

entschieden.<br />

1.–4. November, www.tefaf.com<br />

Art Austria<br />

Museumsquartier. Messemacher Wolfgang<br />

Pelz übersiedelt mit der Art Austria<br />

vom Sommerpalais Liechtenstein in den<br />

Haupthof des Museumsquartiers. Dort<br />

errichtet er eine eigene Halle.Neu ist<br />

auch, dass jede Galerie auf einer eigenen<br />

Wand das persönliche Highlight des<br />

Angebots ins Rampenlicht rückt.Die<br />

Galerie Estermann &Messner etwahat<br />

„Ihr gegenüber Brücke“ von Martin<br />

Schnur gewählt.15.–18. Oktober,<br />

www.art-austria.info<br />

Hochhaus<br />

Herrengasse<br />

Ausstellung. Wo sich noch bis vor<br />

einem Jahr der Luxus-Showroom des<br />

Elektroauto-VorreitersTesla befand, gibt<br />

es jetzt Kunst.Das Hochhaus Herrengasse<br />

betreibt dort einen Pop-up-<br />

Space, den Galerien bespielen. Das<br />

vierte Quartal übernimmt die Galerie<br />

Ernst Hilger und zeigt Gunter Damisch<br />

und Peter Krawagner.Von Damisch ist<br />

die Skulptur „Flämmlerbogenkonstrukt“<br />

zu sehen. Viertes Quartal,<br />

www.hochhausherrengasse.at<br />

<strong>Kulturmagazin</strong> 49


Ketterer Kunst<br />

Marktfrisch. Wenn ein Werk zum ersten<br />

Mal auf den Markt kommt,sorgt das<br />

meist für Aufregung und großes Interesse.Bei<br />

Ernst Ludwig KirchnersGemälde<br />

„Unser Haus“ handelt es sich um so<br />

ein marktfrisches Werk. Es stammt direkt<br />

aus dem Nachlass des Künstlers<br />

und kommt im Dezember beim Münchner<br />

Auktionshaus Ketterer Kunst zum<br />

Aufruf.Esist auf 500.000–700.000<br />

Eurogeschätzt.11.–12. Dezember,<br />

www.kettererkunst.de<br />

W&K im Palais<br />

Werkschau. Nach der Ausstellung<br />

„Günter Brus“ im Vorjahr widmen<br />

Wienerroither &Kohlbacher einem<br />

zweiten Wiener Aktionisten eine Ausstellung.<br />

Gemeinsam mit der Galerie<br />

Konzett wirdimNovember eine umfangreiche<br />

Schau mit Gemälden und<br />

Fotografien von Otto Mühl im Palais<br />

Schönborn-Batthyány zu sehen sein,<br />

darunter auch „Ohne Titel (2 Tänzerinnen)“<br />

aus dem Jahr 1983.<br />

Ab 4. November, www.w-k.art<br />

Art &Antique<br />

Hofburg. AlexandraGraski-Hoffmann hat<br />

mit der Messe in Salzburgzur Festspielzeit<br />

trotz Corona gute Erfahrungen gemacht.Deshalb<br />

hat sie sich entschieden,<br />

auch die Herbstmesse in Wien zu machen.<br />

Geboten werden Kunst und Antiquitäten<br />

von der Antikebis zur Gegenwart.Die<br />

Galerie bei der Albertina Zetter<br />

bringt einen Keramikaufsatz von Michael<br />

Powolny,um19<strong>10</strong>. 5.–8. November,<br />

www.artantique-hofburg.at<br />

Fotos: Beigestellt; Galerie bei der Albertina •Zetter; VIENNA-ART-WEEK-2019_Foto_eSeL_at; Courtesy Galerie Johannes Faber<br />

50 <strong>Kulturmagazin</strong>


Dorotheum<br />

Classic Week. Das Bildnis der Madame<br />

Lebreton gab der Vater der<br />

Porträtierten, Andrea Antonini, 1908<br />

beim österreichischen Maler Eugen<br />

von Blaas in Auftrag. Es warein<br />

Hochzeitsgeschenk an seine Tochter.<br />

Dieses Gemälde ist eines der Toplose<br />

der Auktion „Gemälde des 19.<br />

Jahrhunderts“ im Rahmen der Auktionswoche<br />

im Dorotheum. Der<br />

Schätzwert beträgt 150.000–<br />

200.000 Euro. Ein weiterer Höhepunkt<br />

ist ein „Bauerngarten“ von Olga<br />

Wisinger-Florian.<br />

5.–<strong>10</strong>. November,<br />

www.dorotheum.com<br />

Dorotheum<br />

Contemporary Week. Klassische Moderne,<br />

Zeitgenössische Kunst,Juwelen und<br />

Uhren kommen im Dorotheum im November<br />

bei der Contemporary Week zur<br />

Versteigerung. Zu den Höhepunkten der<br />

Klassischen Moderne zählt das Gemälde<br />

„Dame in Rot vor einem blauen Hintergrund“<br />

des russisch-französischen<br />

Expressionisten Chaim Soutine.Der<br />

Schätzwert beträgt 1,5–2,5 Millionen<br />

Euro.<br />

24.–30. November, www.dorotheum.com<br />

<strong>Kulturmagazin</strong> 51


Artcurial Paris<br />

Asiatische Kunst. Chinesisches Porzellan,<br />

buddhistische Kunst,altertümliche<br />

Bronzen, Jade, traditionelle Malerei und<br />

Gravuren aus Ländern wie China, Japan,<br />

Kambodscha oder Indien, so vielfältig ist<br />

das Angebot asiatischer Kunst bei der<br />

Auktion im französischen Auktionshaus<br />

Artcurial. Zu den Toplosen der nächsten<br />

Auktion zählt ein Paar Porzellanschüsseln<br />

in Koralle.Die Taxe ist <strong>10</strong>.000 bis<br />

15.000 Euro.<br />

<strong>10</strong>. Dezember, www.artcurial.com<br />

Artcurial Paris<br />

Kunstsensation. Originale des belgischen<br />

ComiczeichnersHergé, bekannt<br />

für „Tim und Struppi“, brechen alle Rekorde.<br />

Artcurial bringt nun eine Sensation<br />

zum Aufruf: „Le Lotus bleu“, das als<br />

Cover für den gleichnamigen Band<br />

geplant war, wardem Verlag zu teuer.Also<br />

schenkte Hergé es dem Sohn des<br />

Verlegers. Jetzt kommt es für zwei bis<br />

drei Millionen Eurozur Auktion. 21. November,<br />

www.artcurial.com<br />

Im Kinsky<br />

Weihnachtsauktion. Statt mehrereAuktionen<br />

in unterschiedlichen Sparten im Herbst<br />

packt das Auktionshaus im Kinsky sämtliche<br />

Sparten in eine große dreitägige Weihnachtsauktion.<br />

Diese Auktion umfasst dann<br />

Kunst von den Alten Meistern bis zur Gegenwart,ergänzt<br />

von Antiquitäten, Jugendstil<br />

und Kunsthandwerk. In der Sparte „Gemälde<br />

des 19. Jahrhunderts“ kommt „Hortensien“<br />

von Olga Wisinger-Florian zum Aufruf.<br />

Es soll 350.000–700.000 Eurobringen.<br />

1.–3. Dezember, imkinsky.com<br />

Fotos: Olga Wisinger; Artcurial<br />

52 <strong>Kulturmagazin</strong>


MAC-HOFFMANN&COGMBH ©<strong>2020</strong><br />

Ausstellervorschau<br />

HOFBURG<br />

VIENNA<br />

05.BIS 08.11.20<br />

Die Messe für Kunst,<br />

Antiquitäten und Design<br />

Do-Sa: <strong>10</strong>-20 Uhr, So: <strong>10</strong>-18 Uhr<br />

artantique-hofburg.at


Art Cologne<br />

Im Doppelpack. Die Art Cologne musste<br />

coronabedingt die Messe im Frühjahr<br />

absagen und holt sie nun parallel zur<br />

Cologne Fine Art &Design im November<br />

nach. In Köln sind immer viele österreichische<br />

Galerien dabei. Heuer sind es<br />

13 Aussteller,darunter die Charim Galerie,<br />

die auf eine starkeweibliche Präsentation<br />

setzt.Sie zeigt unter anderem „Silicon<br />

Valley“von Dorit Margreiter.<br />

18.–22. November,<br />

www.artcologne.de<br />

Sotheby’s<br />

Artist Quarterly. Das Auktionshaus fördert<br />

mit der Ausstellungsserie Artist<br />

Quarterly junge Kunst.Imvierten Quartal<br />

bespielt Dominik Louda die Räume<br />

des Wiener Büros.Seine Malerei setzt<br />

sich mit Architektur und Raum auseinander.Seine<br />

bildlichen Konstruktionen,<br />

illusionistische Räume aus Beton, Holz,<br />

Stahl oder Glas,wirken spannungsgeladen.<br />

Bei Sotheby’s zeigt er neue Arbeiten.<br />

Oktober bis Dezemberw,<br />

www.sothebys.com<br />

Fotos: Beigestellt; Hergé Moulinsart <strong>2020</strong>; Dominik Louda<br />

54 <strong>Kulturmagazin</strong>


Zeitreise<br />

Österreichische Kunst aus 7Jahrzehnten –<br />

innovative Kunstvermittlung im Palais Kinsky<br />

ENTGELTLICHE EINSCHALTUNG<br />

Markus Prachensky<br />

rot auf weiß –Solitude –II, 1964<br />

Öl auf Leinwand; gerahmt<br />

<strong>10</strong>0 x<strong>16</strong>5 cm<br />

Xenia Hausner<br />

Borodino, 2019<br />

Öl auf 3<strong>10</strong> gHahnenmühle Bütten<br />

<strong>10</strong>0 x156 cm<br />

Fotos: Markus Prachensky; Xenia Hausner;<br />

Im Kinsky beschreitet man ab kommendem Montag<br />

mit dem Kunstraum einen neuen und innovativen<br />

Weg. Die Räume im Erdgeschoß des Palais werden<br />

im Oktober dazu genutzt, heimische Kunst zu<br />

präsentieren und einen umfangreichen Überblick über<br />

deren Entwicklung in den vergangenen 70 Jahren zu<br />

bieten. Dabei besteht für interessierte Besucher auch<br />

die Möglichkeit, die Werke käuflich zu erwerben.<br />

„Von Österreich gingen im19. und 20. Jahrhundert<br />

bedeutende Kunstrichtungen aus, eswar ein unbestrittener<br />

Mittelpunkt europäischer Kunst“, führt<br />

Nadine Kraus-Drasche, Mitkuratorin der Ausstellung,<br />

aus. „Diese Tradition hochzuhalten und sie dabei mit<br />

innovativen, originellen Konzepten zu bereichern, ist<br />

ein Merkmal der zeitgenössischen österreichischen<br />

Kunst.“ Mit dieser kann man nun im Kunstraum auf<br />

Tuchfühlung gehen –eine willkommene Gelegenheit<br />

für all jene, die den Zugang zur Kunst imFrühjahr<br />

schmerzlich vermisst haben.<br />

So sind wichtige Werke international anerkannter<br />

Künstler wie Max Weiler, Fritz Wotruba, Günter Brus<br />

oder Erwin Wurm Teil der Ausstellung. Die unterschiedliche<br />

Ausrichtung dieser Künstler macht den<br />

besonderen Reiz der Schau aus, ihre Vielfalt lädt zum<br />

Staunen ein. Überraschende Synergien ergeben sich<br />

durch die Hängung der Werke. Die Generation um<br />

Hans Bischoffshausen und Oswald Oberhuber tritt etwa<br />

in einen Dialog mit jüngeren Künstlern wie Herbert<br />

Brandl oder Tillman Kaiser und Markus Schinwald.<br />

Arrivierten Namen wie Markus Prachensky werden<br />

neuere Positionen wie jene der Künstlergruppe Gelitin<br />

gegenübergestellt. Auch den Malerinnen ist quer<br />

durch die Jahrzehnte ein Schwerpunkt gesetzt –von<br />

der Grande Dame Martha Jungwirth über Xenia Haus-<br />

Tipp<br />

AlleWerke sind ab sofort<br />

auch ineinem Online-Katalog<br />

zu besichtigen, über<br />

www.imkinsky.com<br />

Die Schau läuft vom 19. bis<br />

31. Oktober <strong>2020</strong>, jeweils<br />

Montag bis Freitag von 14bis<br />

20 Uhr und Samstag von<br />

11 bis 17 Uhr.<br />

ner und Suse Krawagna bis hin zu Bianca Regl.<br />

Insgesamt sind es rund 60 Künstler und Künstlerinnen<br />

aus den Bereichen Malerei und Bildhauerei, von denen<br />

über <strong>10</strong>0 Arbeiten im Kunstraum zu sehen sind. „Wir<br />

zeigen hier sieben Jahrzehnte Kunst, mit den wichtigsten<br />

Vertretern der einzelnen Kunstströmungen!“,<br />

so Kraus-Drasche. Damit will das Haus jedem Besucher<br />

ermöglichen, sich mit der österreichischen Kunst<br />

auseinanderzusetzen. Wer den Grundstein zu einer<br />

Sammlung legen möchte oder eine bereits vorhandene<br />

Kollektion aufzustocken vorhat, ist hier amrichtigen<br />

Ort. Ein Begleitprogramm mit Führungen sorgt für<br />

einen intensiven Austausch über die Werke, Veranstaltungen<br />

wie After-Work-Drinks bieten Kunstgenuss in<br />

entspannter Atmosphäre. Die Ausstellung ist aber<br />

auch ganz individuell ohne Voranmeldung zu besichtigen,<br />

alle Maßnahmen zum Schutz der Besucher wurden<br />

selbstverständlich getroffen.<br />

Das Kuratorenteam besteht aus den Eigentümern des<br />

Auktionshauses im Kinsky, Michael Kovacek und Dr.<br />

Ernst Ploil, sowie aus der Leiterin für Private Sales,<br />

Nadine Kraus-Drasche, und den Expertinnen für zeitgenössische<br />

Kunst Astrid Pfeiffer und Timea<br />

Pinter.<br />

„Unser Ausgangspunkt war einerseits, österreichischen<br />

Künstlern indieser herausfordernden<br />

Zeit eine Plattform zubieten“, erklärt<br />

Kraus-Drasche. „Andererseits halten wir<br />

immer nach innovativen Wegen Ausschau,<br />

um unserer Kundschaft abseits der traditionellen<br />

Auktionen etwas Neues zu bieten!“<br />

Beide Aspekte greifen nun im Kunstraum auf<br />

spannende Weise ineinander.<br />

Text von: Mag. Alexandra Markl<br />

<strong>Kulturmagazin</strong> 55


On Location<br />

MQ LIBELLE<br />

Beflügelte Terrasse<br />

Endlich istsie gelandet: Coronabedingtkonntedie Libelle, derneue<br />

VeranstaltungsraumamDachdes Leopold-Museums samtgrandioser<br />

Aussichtsterrasse,erstimSeptember stattimApril eröffnet werden.<br />

Die luftigeLeichtigkeit einer Libelle soll derBau aufdem Dach des<br />

Leopold-Museums widerspiegeln, so Architekt Laurids Ortner,der<br />

zusammenmit seinem Bruder auch die meistenanderen Bauten des<br />

MQ geplanthat.Eva Schlegelhat dieGlaswand der Libelle entworfen,<br />

vonBrigitte Kowanz stammen die ikonischen Beleuchtungskörper<br />

aufder Terrasse. Wiedas Programm desRaums weitergeht,ist allerdings<br />

noch unklar.Vom 1. November bis31. März istWinterpause.<br />

Foto: Hertha Hurnaus<br />

56 <strong>Kulturmagazin</strong>


GRABEN 13. <strong>10</strong><strong>10</strong> WIEN.<br />

www.heldwein.com<br />

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@juwelierheldwein #juwelierheldwein


Signifikante Stimme. Ella Fitzgerald<br />

ist das gesangliche Vorbild von<br />

Anna B. Savage.<br />

„Sexualität ist<br />

Konversation“<br />

Anna B. Savage wuchs mit Mozart-Arien auf und<br />

singt über Masturbation. ImNovember kommt sie<br />

nach Wien, 2021 erscheint ihr erstes Album.<br />

Interview: Samir H. Köck<br />

Fotos: Ebru Yildiz<br />

58 <strong>Kulturmagazin</strong>


Die britische Musikerin Anna B. Savage kam nach Jahren<br />

des Herumirrens auf dem deutschen Label City<br />

Slang unter. Im Jänner 2021 erscheint ihr erstes<br />

Album „A Common Turn“. Mit dunkler Stimme geistert<br />

sie zwischen Melancholie und Aufbruch herum.<br />

Im November gastiert sie, die auf ihrem neuen Song „Chelsea<br />

Hotel #3“ das Tabuthema weibliche Masturbation behandelt,<br />

beim Wiener „Blue Bird Festival“ im Porgy &Bess.<br />

Ist Ihr Künstlername Anna B. Savage (zu Deutsch: Anna sei<br />

wild) auchgleichkünstlerisches Programm?<br />

Ich denke schon. Nur eine Kleinigkeit noch: Es ist tatsächlich mein<br />

Name. Nichts Ausgedachtes. Wenn man schon soeinen Namen<br />

trägt, dann sollteman ihm auch gerecht werden.<br />

Wie haben Sie die Musik als Möglichkeit eigenen Ausdrucks<br />

erkannt?<br />

Meine Eltern sind beide Opernsänger. Musik war immer bei uns<br />

präsent. Wahrscheinlich ist meine früheste musikalische Erinnerung<br />

die Arie der Königin der Nacht aus Mozarts „Zauberflöte“.<br />

Damals schlief ich noch im Gitterbett.<br />

Gabesaußer klassischerMusik nochandereFormen, die Sie als<br />

Kind kennenlernten?<br />

Der allergrößte Teil der Musik, der ich als Kind ausgesetzt war,<br />

war Klassik. Mozart-Opern waren meine größte Freude. Besonders<br />

hatte esmir „Figaros Hochzeit“ angetan. Daneben gab es<br />

noch Jazz und die Beatles. Im Familienkreis lief auch Ella Fitzgerald<br />

und Nat King Cole. Meine Geschwister sind um einiges älter<br />

als ich. Sie entwickelten ihren eigenen Musikgeschmack,der auch<br />

auf mich abfärbte. Bei meinem Bruder hörte ich Radiohead und<br />

Nick Drake, bei meiner Schwester Stevie Wonder und India Arie.<br />

Sie haben eine sehr signifikante Stimme. Hatten Sie jemals ein<br />

gesangliches Vorbild?<br />

Das war sicher Ella Fitzgerald. Ich habe sehr viele Stunden zu den<br />

Schallplatten gesungen und wohl auch versucht, sie zu kopieren.<br />

Ihr Timing ist unerreicht. Und da war soeine Leichtigkeit und<br />

Würde inihrem Gesang.<br />

Aber ihre Kunst war entschieden fröhlicher als das, was Sie<br />

machen. Wiegehtdas zusammen?<br />

Ich weiß es auch nicht genau. Vielleicht kommt meine Vorliebe für<br />

das Düsterevon derOper.<br />

In welchemTeilvon London wuchsen Sie eigentlichauf?<br />

In Crouch End, also Nord-London. Es istbeinah idyllisch.<br />

Aber der Jazz spielt sich inLondon, sieht man von Soho ab, in<br />

Ost-London ab. Sie haben vor ein paar Jahren ein Livealbum im<br />

berühmten Cafe Oto aufgenommen. Wiekam das?<br />

Ich durfte das Vorprogramm eines Konzerts der norwegischen<br />

Sängerin Jenny Hval bestreiten. Der Toningenieur des Clubs stellte<br />

sich als Freund meines Tourmanagers heraus. Und sofragte er<br />

mich, ob er aufnehmen solle. Im Zweifel warenwir dafür.AmEnde<br />

fanden wir die Aufnahmen gut und veröffentlichten sie als EP auf<br />

Vinyl. Es war interesssant für mich, die Stücke soabgespeckt zu<br />

hören. NurGitarreund meine Stimme.<br />

Was hat Sie zu dem darauf enthaltenen Song „Also Human“<br />

inspiriert?<br />

Das Lied handelt von einer meiner besten Freundinnen,<br />

die den Hang zur Einzelgängerin hat. Es ist<br />

ein Song über Unsicherheit. Schwächen gehören<br />

für mich zum Menschsein. Es ist eine Art Liebeslied<br />

an sie.<br />

Sie bereiten gerade Ihr leicht verspätetesDebütalbum<br />

vor. Welche Schritte ziehen Sie in Erwägung?<br />

Das ist derzeit eine Art Millionen-Dollar-Frage. Die<br />

Pandemie macht längerfristigePlanung fast unmög-<br />

Tipp<br />

Blue BirdFestival. Vom<br />

19.bis 21. November <strong>2020</strong><br />

im Porgy&Bess. Mit<br />

Anna B. Savage,Garish,<br />

Alicia Edelweiss, Konni<br />

Kass, ThisIsthe Kit.<br />

lich. Die Veröffentlichung wurde jetzt einmal verschoben. Mein<br />

ästhetisches Ziel war auf jeden Fall, ein Album zu machen, das<br />

mit jedem Hördurchgang wächst. So richtig radiotauglich ist<br />

meine Musik nicht. Dafällt dann schon viel weg, was Marketingstrategien<br />

anbelangt.<br />

WiehabenSie denCovid-19-Lockdown verbracht?<br />

Ich war in Bristol, wo meine Geschwister leben. Ich fand es ziemlich<br />

schwierig, die ganze Zeit so unabgelenkt von mir selbst zu<br />

sein. Und soversuchte ich ein bisschen etwas zulernen, schaute<br />

mir ein paar YouTube-Masterclasses an. Viel gelesen habe ich.<br />

Und natürlich Songs geschrieben. Ich war nicht krank und habe<br />

das Beste daraus gemacht.<br />

Wird das Lied „Dead Pursuits“ Teil Ihres Albums sein? Und<br />

worumgehtesda?<br />

Es ist mein Lamento auf die Musikindustrie. Was ich nicht alles<br />

probiert habe, ohne dass etwas passiert ist. Das Komponieren ist<br />

nur die eine Seite. Wesentlich schwieriger ist es, Leute inder<br />

Industrie dazu zu bringen, deine Songs anzuhören. Umso besser<br />

fühlt es sich jetzt an, dass ich endlich ein Label gefunden habe.<br />

Sie litten eine Zeit lang auch unter einer Schreibhemmung. Wie<br />

habenSie diese überwunden?<br />

Das ging einige Jahre so. Als Hauptgrund entpuppte sich schließlich<br />

eine ziemlich toxische Beziehung. Sobald ich da raus war,<br />

ging es bergauf. Ich hangelte mich entlang von Coverversionen<br />

wieder zurück zur eigenen Kreativität. Die Lieder anderer öffneten<br />

mich wieder. Zusätzlich las ich viele Romane und Gedichtbände.<br />

Das lockerte mich.<br />

Favorisieren Sie eine bestimmte Dekade in der Popmusikhistorie?<br />

Es ist nicht leicht. Ich bin ein Kind der 1990er-Jahre. Wahrscheinlich<br />

sind es ohnehin die Neunziger mit Radiohead und Jeff<br />

Buckley. Grungeund Emo sind die Strömungen, die mich wohl am<br />

meisten geprägt haben.<br />

Wasist IhreDefinition eines gutenSongs?<br />

Diesbezüglich bin ich gespalten. Als Tochter eines Opernsängerpaars<br />

will ich, dass ein Lied interessant ist. Der andere Teil von<br />

mir will schlicht beim Hören etwas fühlen. In meiner Musik will<br />

ich diese beiden Teile meines Ichs zusammenführen.<br />

Ist einegewisse Perfektion wichtig?<br />

Keinesfalls. Für mich wenigstens nicht.ImGegenteil. Ichhabe mich<br />

lange Zeit damit herumgeschlagen zu glauben, dass ich nicht gut<br />

genug sei. Der Feind alles Kreativen ist für mich der Glaube an<br />

Perfektion.<br />

Einer Ihrer neuen Songs, „Chelsea Hotel #3“, steht in gewisser<br />

Beziehung zuLeonard Cohens „Chelsea Hotel #2“. Wie kommt<br />

das?<br />

Angeregt von dem Roman „I Love Dick“ von Chris Kraus wollte<br />

ich einen Song über weibliche Selbstbefriedigung schreiben, als<br />

ich dieses Cohen-Lied zu Gehör bekam. Mir gefiel die saloppe<br />

Art, wie Cohen über seine sexuelle Begegnung mit Janis Joplin<br />

berichtet. Inmeinem Song geht es darum, das einzementierte<br />

Verhältnis von Muse und Künstler umzukehren. Es ödet mich<br />

an, dass Musen immer Frauen sein müssen. Es kann doch<br />

genauso gut andersrum sein.<br />

Sehen Sie Verbesserungen im Verhältnis von Frauen<br />

und Männern in denletzten Jahren?<br />

Ja, auf jeden Fall. Die Menschen sind mittlerweile<br />

viel eher bereit, nicht nur mit ihrem Partner über<br />

alles zusprechen. Basis einer guten Beziehung ist<br />

exzellente Konversation. Sexualität ist jaauch eine<br />

Form von Konversation. Das verstehen mittlerweile<br />

viel mehr Menschen. Wie ich hoffe, auch außerhalb<br />

meiner digitalen Echokammer... e<br />

<strong>Kulturmagazin</strong> 59


„Der Ruhm<br />

verblasst schnell“<br />

Jamie Cullum, mittlerweile 41Jahre alt, wirkt immer<br />

noch unverschämt „boyish“. Mit seinem Album „Taller“<br />

gastiert erEnde Jänner 2021 im Wiener Konzerthaus.<br />

Text: Samir H. Köck<br />

Qurilig. Das Brennen, der Drang zu komponieren<br />

hören bei Jamie Cullum nie auf.<br />

Fotos: Universal Music;<br />

60 <strong>Kulturmagazin</strong>


Humor besitzt Jamie Cullum nicht<br />

zu wenig.„IwishIwastaller“ sang<br />

er im Titelsong seines letzten<br />

regulären Albums. Er, der mit der<br />

einen Kopf größeren Fernsehköchin<br />

Sophie Dahl, der Enkelin des berühmten<br />

Schriftstellers Roald Dahl, glücklich ist. Seit<br />

vielen Jahren schon. Ist man als kleinwüchsiger<br />

Mann getriebener, was den Erfolg<br />

anlangt, weil ja so viele Künstler und<br />

Geschäftsleute eher Zwergerln als Riesen<br />

sind? Cullum hält einen Moment inne und<br />

setzt seine seriöse Miene auf. „Das ist mir<br />

zu simpel gedacht.Inmeinem Fall kann ich<br />

ehrlich sagen, dass meine Körpergröße keinesfalls<br />

meinen Charakter mitgeformt hat.<br />

Dieses ganze Genecktwerden habe ich<br />

nicht allzu ernst genommen. Es war viel<br />

eher meine intensive Liebe zur Musik, die<br />

mich dorthin gebracht hat, wo ich heute<br />

stehe.“<br />

Anders als so mancher Kollege hat esCullum<br />

dauerhaft geschafft, sich an der Spitze<br />

zu halten. Dies durch mehrerlei Strategien.<br />

Eine davon war sicher sein breites Interesse<br />

an Musik. Immer wieder integrierte<br />

er Songs aus ganz anderen Genres in seine<br />

jazzige Mischkulanz. Lieder von Pharrell<br />

Williams, von Rihanna oder den europäischen<br />

Clubhit „I Took aPill in Ibiza“ von<br />

Mike Posner. Dieser furchtlose Zugang zur<br />

Musik, den er sicher aus der Zeit als Hochzeitsmusiker<br />

herübergerettet hat, zeichnet<br />

ihn genauso aus wie seine Rasanz und sein<br />

Gusto, Coverversionen erbarmungslos zu<br />

dynamisieren.<br />

Poppig wie nie. Der 1979 in Essex geborene<br />

Brite Jamie Cullum hat sich seine<br />

Kunst autodidaktisch beigebracht. Zudem<br />

verwandelte ersich praktisch in Bestzeit<br />

von einem bloßen Interpreten zu einem<br />

gestandenen Singer­Songwriter. Seit er<br />

2003 zum „Rising Star“ bei den British Jazz<br />

Awards gekürt worden war, arbeitete er<br />

sich rasch an die Spitze und machte Weltkarriere<br />

mit einem unverschämt charmanten<br />

Mix aus Jazz und Pop. Auf seiner musikalischen<br />

Reise hat er mit so unterschiedlichen<br />

Künstlern wie dem Count Basie<br />

Orchestra und Pharrell Williams, Dan the<br />

Automator und Gregory Porter gearbeitet.<br />

Seine bislang acht Alben demonstrieren in<br />

ihrer Unterschiedlichkeit das künstlerische<br />

Spektrum desunverschämt jung aussehenden<br />

Vierzigjährigen. Das 2013 edierte<br />

„Momentum“, das den oft unmerklichen<br />

Wechsel von Adoleszenz zum Erwachsensein<br />

thematisiert, zeigte ihn poppig wie<br />

nie. Auf dem Nachfolger „Interlude“ unterzieht<br />

er Jazzklassiker und Popraritäten von<br />

Sufjan Stevens bis Randy Newman einer<br />

Frischzellenkur àlaNostalgia 77. Was zieht<br />

ihn so an der Popmusik an, dass er sie<br />

unerlässlich findet, wenn es um die<br />

Erneuerung des Vokaljazz geht? „Ob meine<br />

Musik unter Pop oder Jazz rubriziert wird,<br />

ist mir egal. Wenn ich mich auf einen klarenJazzsound<br />

beschränken würde, wäre es<br />

viel härter, in meinen Eigenkompositionen<br />

konzise Statements zu machen. Da wäre<br />

ich dazu gezwungen, permanent vertrackte<br />

Akkordwechsel und clevere Taktarten<br />

auszuhecken. Als Komponist kann es<br />

einen langweilen, an solche Dinge zudenken,<br />

wenn man eine klare emotionale Botschaft<br />

vermitteln will.“ Jeder, der ihn schon<br />

einmal live gesehen hat, schwärmt von seiner<br />

Quecksilbrigkeit, die ihn zuweilen verleitet,<br />

mit billigen Turnschuhen auf teure<br />

Flügel zuspringen. Eindeutig war bislang,<br />

dass es wichtiger war, mit Traditionen zu<br />

brechen, als ihnen brav zu folgen.<br />

Das ist nun ein wenig anders. Erstmals hat<br />

er eine Weihnachtsplatte aufgenommen.<br />

„The Pianoman at Christmas“ heißt das<br />

Werk.Und man kann davonausgehen, dass<br />

es eines der besten des Festtagsgenres sein<br />

wird. Dass es auf einer Höhe mit den wirklich<br />

gut ins anspruchsvolle Ohr gehenden<br />

X-Mas­Alben von John Legend, Michael<br />

Bublé und Robbie Williams sein wird. Von<br />

diesen Liedern, so schön sie auch sein<br />

mögen, wirderdann im Jänner,wenn er im<br />

Wiener Konzerthaus gastieren wird, nichts<br />

hören lassen. Egal.<br />

Auf dem eingangs erwähnten aktuellen<br />

Album „Taller“ hat ersich konzeptuell wieder<br />

mehr dem Jazz zugewandt.Ein bewusster<br />

Akt? „Im Grunde gibt es kein Album<br />

ohne zumindest unbewusstes Konzept.<br />

Aber diesmal war esein ganz bewusster<br />

Schritt, wieder mehr in den Jazz abzutauchen.<br />

Und zwar einen Jazz, der ganz und<br />

gar ins 21. Jahrhundert gehört. Ich habe<br />

sehr sorgfältig darauf geachtet, dass es<br />

ganz modern klingt. Da gibt es kräftigere<br />

Tipp<br />

„Taller“. Am 30. Jänner 2021 ist<br />

Jamie Cullum im Wiener Konzerthaus<br />

zu hören,<br />

www.konzerthaus.at<br />

„The Pianoman at Christmas“.<br />

Das Album erscheint im Oktober<br />

bei Universal Music,<br />

www.universalmusic.com<br />

Schlagzeugsounds, programmierte Passagen<br />

und ein paar Synthesizer und ganz<br />

zum Schluss eine Four­to­the­floor­Nummer<br />

mit Housebeats. Kurioserweise klingt<br />

der Opener, eine Nummer, die ich mit dem<br />

Count­Basie­Orchestra aufnahm, viel kräftiger<br />

als allesandere.“<br />

Britischer Jazz erneuert sich. Der Stilmix<br />

fiel diesmal nicht so abenteuerlich aus wie<br />

früher. Hat sich sein Geschmack verändert?<br />

„Nein. Die grundsätzliche Ausrichtung<br />

auf den ganz großen Horizont, die<br />

habe ich mir immer bewahren können.<br />

Früher haben mich Akkordfortschreitungensehr<br />

reizen können, heutzutagesind es<br />

gute Texte wie jene von Nick Cave, den ich<br />

heute viel lieber höre als früher. Er hat<br />

stark an Tiefe gewonnen. Ich liebe die<br />

Arbeit von sounterschiedlichen Kollegen<br />

wie Tom Misch und Shabaka Hutchings.<br />

Der Jazz erfährt gerade eine richtige<br />

Erneuerung in England. Es gibt so viele<br />

junge Musiker, die an Herausforderungen<br />

interessiert sind. Und immer mehr von<br />

„Der Jazz erfährtgeradeeine Erneuerung in<br />

England. Es gibt so viele jungeMusiker,die an<br />

Herausforderungen interessiertsind.“<br />

diesen Instrumentalisten sind Frauen.<br />

Wenigstens das stimmt mich optimistisch.“<br />

Cullum beherrscht die hohe Kunst des<br />

Rückzugs. Nach Jahren im Scheinwerferlicht<br />

verschwindet er zwischendurch für<br />

längere Zeit in die Anonymität. Das „Star<br />

Game“spielt er nicht gern. Wasgenoss er in<br />

diesen Phasen des Rückzugs am meisten?<br />

„Ganz simple Dinge. Ich hing in Pubs ab,<br />

fuhr mit meinem Fahrrad herum, besuchte<br />

meine Eltern, spielte Tennis und Fußball,<br />

versuchte mich in der Kochkunst und<br />

pflegte immer wieder mal ein Mittagsschläfchen<br />

zu halten.“<br />

Nie Angst gehabt, die mühevoll aufgebaute<br />

Karriere damit zu gefährden? „Es stimmt<br />

schon, heutzutage verblasst der Ruhm<br />

ziemlich schnell. Aber ich hoffte immer,<br />

dass meine Bekanntheit auf meinen musikalischen<br />

Qualitäten basiert. Mein Gehirn<br />

war vom vielen Trubel meines jähen Karriereaufschwungs<br />

geröstet. Ich hatte<br />

unendlich großes Schlafbedürfnis. Dem<br />

folgte ich und wartete darauf, bis wieder<br />

dieses Brennen in mir aufkam, dieser<br />

Drang zu komponieren und zu spielen. Das<br />

passierte dann überraschend schnell. Ich<br />

komponierte schon nach einem Monat<br />

wieder. Allerdings nur zum Spaß und<br />

Songs, die die Öffentlichkeit niemals zu<br />

hören bekommt.“ e<br />

<strong>Kulturmagazin</strong> 61


Weinviertler. Alle acht Skolka-Musiker stammen<br />

von dort.Der Dialekt ist ihr Markenzeichen.<br />

Tanzbodenfeger<br />

aus dem Weinviertel<br />

Kerniger Ska und satte Polkabeats versetzt<br />

mit geschmeidigem Reggae: Das ist der<br />

Sound von Skolka. Gemeinsam mit Otto Jaus<br />

hat die Band gerade eine neue, nostalgische<br />

Single herausgebracht: „Domois, wia ma<br />

Kinder woan.“<br />

Text: Daniela Tomasovsky<br />

62 <strong>Kulturmagazin</strong><br />

Sie haben im Weizenfeld ein Kinderzimmer<br />

aufgebaut, mit Retrotapeten,<br />

Festnetztelefon, Spielen,<br />

alten Fotos und Fanta aus 80er­<br />

Jahre­Flaschen. „Domois, wia ma Kinder<br />

woan“ ist der jüngste Streich der Weinviertler<br />

Crossover­Band Skolka, die Single<br />

kam Ende August heraus, Otto Jaus ist als<br />

Überraschungsgast mit an Bord. „AHittn<br />

zum Verstecken, der Kopf voll Fantasie“...<br />

Erinnerungen an die Kindheit werden zu<br />

groovigen Beats heraufbeschworen. Und<br />

die Kindheit haben sie gemeinsam, die acht<br />

Musiker von Skolka und der Sänger und<br />

Kabarettist Otto Jaus (der sonst mit Paul<br />

Pizzera als Duo auftritt). Sie alle sind im<br />

Weinviertel groß geworden, der Dialekt ist<br />

zu einem Markenzeichen von Skolka<br />

geworden. Seit 2008/09 musizieren Judith<br />

Frank (Gesang), Thomas Rieder (Gitarre/<br />

Fotos: Michael Reidinger


Gesang), Raffael Schimpf (Bass), Gerald<br />

Schwent (Schlagzeug), Christoph Schödl<br />

(Posaune/Gesang), Roman Leisser<br />

(Posaune), Christoph Nadler (Trompete)<br />

und Bernd Treimer (Trompete) als Band<br />

miteinander, anfangs als Coverband und<br />

mit englischen Liedern.<br />

Tanzbar. Viel experimentiertwurde in frühen<br />

Jahren, 2012 wurde dann die heutige<br />

Band gegründet: Skolka. Der Name setzt<br />

sich aus den Musikstilen Ska und Polka<br />

zusammen. „Bob Marley und die amerikanische<br />

Ska-Punk-Band Mad Caddies haben<br />

uns inspiriert“, erzählt Trompeter Christoph<br />

Nadler. Getanzt werden soll zu ihren<br />

Liedern, daher die Polka, und auch auf den<br />

Dialektgesang einigte man sich schnell.<br />

„Das gab es damals noch kaum. Wirwollten<br />

uns einfach so ausdrücken können, wie wir<br />

es gewohnt sind. Im Englischen kommt das<br />

nicht so authentisch rüber“, so Nadler.<br />

Anfangs traten Skolka als Vorgruppe auf,<br />

etwa von Russkaja, La Brass Banda, Clara<br />

Luzia, Wanda oder Seiler und Speer. 2013<br />

erschien ihr erstes Mini-Album „Gemma<br />

Gemma“, das gleich mal in die Top 40der<br />

österreichischen Charts einstieg.<br />

„Daunzboa“, also tanzbar aufHochdeutsch,<br />

war das erste reguläre Album der Band,<br />

beim Spielberg Musikfestival, dem Donauinselfest<br />

und dem Nova Rock tourten sie<br />

damit und trafen mit ihren Texten den Spirit<br />

ihrer Generation. „Wenn die Gstriegelten<br />

wieder am Sudern san, machs dir<br />

chillig hier am Uferstrand“, singen sie etwa<br />

in „Leiwaund“. Gefühlig-entspannt geht es<br />

auch in „Roda Klee“ zu: „Wir ernähren uns<br />

von Liebe, Luft und Licht. Wir versumpern<br />

unten am See, schlafen ein im rotenKlee.“<br />

Sie können aber auch anders: Bei Liveauf-<br />

Der Dialekt istauch in Kroatien kein Hindernis.<br />

Musik versteht man auch ohne Sprache.<br />

tritten forcieren Skolka vorrangig ihre<br />

Tanzbodenfeger, allesamt Eigenkompositionen:<br />

„Heit geht’srund“, „Adrenalin“oder<br />

„Auf geht’s“. „Die Nacht ist jung, jetzt gemmas<br />

an, es juckt in’d Fiaß, treibt di voran“,<br />

heißt es da zu schmissigen Beats des<br />

Oktetts. „Wir spielen ausschließlich auf<br />

analogen Instrumenten, das gehört zu<br />

unseren Markenzeichen“, sagtNadler.<br />

Neue Ideen. <strong>2020</strong> durchkreuzte Corona<br />

die Tourpläne, die meisten Konzerte wurden<br />

aufs nächsteJahr verschoben: Etwa die<br />

Burg Clam, das Nova Rock Festival, Freiklang<br />

auf der Ruine Falkenstein und natürlich<br />

die Auftritte imAusland. Wie ging es<br />

der Band im Lockdown? „Am Anfang war<br />

es schon zach. Aber wir hatten seit Längeremgeplant,neue<br />

Stückezuschreiben, das<br />

war dann ein guter Anlass, um Ideen zu<br />

sammeln“, sagt Nadler. Sobald es wieder<br />

möglich war, trafen sie sich im Studio und<br />

probten miteinander. „Wir leben alle nicht<br />

Tipp<br />

„Wia ma Kinder woan“, feat.<br />

Otto Jaus. Die Single ist Ende<br />

August <strong>2020</strong> erschienen.<br />

Bisherige Alben: „Dammawos“,<br />

„daunzboa“, „Gemma<br />

Gemma“. Livetermine sind<br />

für heuer unsicher, gibt’s<br />

kurzfristig auf der Website<br />

www.skolkamusik.at oder auf<br />

den Social­Media­Kanälen.<br />

von der Band, aber natürlich suchen wir<br />

Kanäle, um unsere Musik unter die Leute<br />

zu bringen, vor allem, da Liveauftritte<br />

momentan kaum möglich sind. Als Nachwuchskünstler<br />

ist esaber schwierig, eine<br />

größere Reichweite zuerlangen, die großen<br />

Radiostationen blocken da eher ab“,<br />

meint der Trompeter, der im Brotberuf in<br />

einer Musikschule unterrichtet.<br />

Social-Media-Kanäle wie Facebook, Instagram<br />

oder YouTube spielen eine umso größereRolle.„Das<br />

sind unsereHauptkommunikationskanäle,<br />

um Konzerttermine zu<br />

promoten oder Einblicke ins Bandleben zu<br />

geben.“ Auch danutzt hin und wieder ein<br />

Reichweitenverstärker. „DiePuls-4-Castingshow<br />

,Ein Herz von Österreich‘ hat uns<br />

nach vorn katapultiert und viele Klicks auf<br />

YouTube gebracht.“<br />

Apropos Auslandsauftritte –ist dader Dialekt<br />

kein Hindernis? „Wir spielen viel im<br />

süddeutschen Raum –Bayern ist jaimmerhin<br />

so groß wie Österreich –oder in der<br />

Schweiz, etwa beim Alpenklang Festival.<br />

Aber wir haben auch in Kroatien oder Bratislava<br />

gespielt, die Musik verbindet, viele<br />

Songs versteht man auch ohne Sprache.“<br />

Dass auch Anliegenvon Frauen in der männerdominierten<br />

Band zum Ausdruck kommen,<br />

dafür sorgt Frontfrau Judith Frank.<br />

Etwa mit „He Madl“. „Steh auf, gspier di,<br />

lass die Masknfalln, feier di söbst“, heißtes<br />

da. Zukunftspläne hat die Band viele, die<br />

Coronalage macht die Planung schwer.<br />

Trotzdem: „Spielen, spielen, spielen“ lautet<br />

das Motto. e<br />

MOZ ARTWOC HE<br />

2021<br />

2 1<br />

D O<br />

2 1<br />

.<br />

–<br />

S O<br />

3 1<br />

INTENDANT ROLANDO VILLAZÓN<br />

.<br />

J Ä N N E R<br />

und vieles mehr:<br />

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„EWIG DEIN DICH LIEBENDER...“<br />

MAGDALENA KOŽENÁ, REGINALDO OLIVEIRA<br />

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Konzerte<br />

Wissenschaft<br />

Museen


Josh Lovell. Der junge kanadische Tenor<br />

singt die Hauptrolle, Noboru.<br />

Simone Young. Die Dirigentin leitet die<br />

Premiereander Wiener Staatsoper.<br />

Die Sogwirkung<br />

einer Buberlbande<br />

Wie aus zarten Knaben blutrünstige<br />

Mörder werden, zeigt Hans Werner<br />

Henzes Oper „Das verratene Meer“.<br />

Text: Wilhelm Sinkovicz<br />

Sergio Morabito. Der Chefdramaturg<br />

der Wiener Staatsoper führt Regie.<br />

Bo Skovhus. Der dänische Bariton<br />

gibt den Offizier Ryuji.<br />

64 <strong>Kulturmagazin</strong>


Fotos: Simon Pauly; Berthold Fabricius; Klara Beck; Roland Unger;<br />

Mit den Nachwehen der Achtundsechziger-Bewegung<br />

hatte sich<br />

der deutsche Komponist Hans<br />

Werner Henze völlig aus den<br />

Opernhäusern und Konzertsälen der Welt<br />

zurückgezogen. Er wollte „engagierte<br />

Musik“ machen, ging eine Zeit lang nach<br />

Kuba und verfasste, wenn schon, Opern<br />

nach Texten von Edward Bond mit sozialkritisch-revolutionärem<br />

Inhalt. Dabei war<br />

Henze in den späten Fünfziger- und frühen<br />

Sechzigerjahren zum Liebkind des Musik-<br />

Establishments geworden: Er war nach Italien<br />

gegangen, wo man freizügiger leben<br />

konnte injenen Jahren. Er schrieb Musik<br />

zwischen Neutönerei und der Liebe zu zartenMelodien<br />

und schlichter Harmonik und<br />

positionierte sich damit zwischen allen<br />

Stühlen: Den Avantgardisten zu altmodisch,<br />

dem Publikum zu modern. Henze<br />

hielt den Zwiespalt nicht mehr aus und<br />

sonderte sich weiter ab –beziehungsweise<br />

warf sich in die Arme der engagierten Linken.<br />

Doch auch das hatte ein Ablaufdatum:<br />

Die Oper „Das verratene Meer“ markierte<br />

so etwas wie die Rückkehr des Komponisten<br />

ins allgemeine Musikleben. Henze war<br />

sich seiner sicher geworden und schrieb<br />

einfach nur noch Stücke, auf die er Lust<br />

hatte–ohne Rücksicht aufästhetische Doktrinen<br />

oder politische Wegweiser.<br />

Bezeichnend dafür ist, dass die Vorlage<br />

zum „verratenen Meer“ von einem ausdrücklich<br />

der japanischen „Rechten“ zuzuordnenden,<br />

wenn auch äußerst populären<br />

Autorstammt: Yukio Mishima hatsich nach<br />

einem von ihm selbst mitorganisierten<br />

Putschversuch zur Wiedereinsetzung der<br />

absoluten Monarchie 1970 das Leben<br />

genommen.<br />

rien ansetzen. Es wirddargestellt,wie Menschen<br />

einander begegnen und wasdie Konsequenzen<br />

der Begegnungen sind.“<br />

Mit entsprechendem „Abstand“ hat man<br />

also bei einer Präsentation des Werks an<br />

der Wiener Staatsoper die Handlung zu<br />

dechiffrieren. Im Wesentlichen geht es um<br />

die rituellen, quasireligiösen Handlungen<br />

einer japanischen Jugendgruppe, die es<br />

sich zum Ziel macht, ihre Prinzipien gegen<br />

Eindringlinge von außen zu verteidigen,<br />

und die dabei vor dem Äußersten nicht<br />

zurückschreckt.<br />

Der Verrat. Opfer der Aktion istRyuji, Offizier<br />

der japanischen Handelsmarine, der<br />

sich in die 33-jährige, ebenso schöne wie<br />

wohlhabende WitweFusakoverliebt.Fusakos<br />

Sohn Noboru, Mitglied der Jugendbande,<br />

ist zunächst interessiert anseinem<br />

„Stiefvater“, doch als offenbar wird, dass<br />

der Offizier seinen Dienst quittiert, um mit<br />

Fusako zu leben, ändert sich die Lage<br />

schlagartig: Die jungen Burschen sehen in<br />

dem Offizier einen Abtrünnigen, der „das<br />

Meer verraten“ hat. Die Geschichte, die<br />

Henze zu den Worten seines Librettisten<br />

Hans-Ulrich Treichel erzählt, handelt vom<br />

langsamen Ablösungsprozess des Burschen,<br />

seinen erotischen Beobachtungen<br />

bei den nächtlichen Zusammenkünften seiner<br />

Mutter mit ihrem Geliebten. Und von<br />

der schleichenden Infiltration durch das<br />

Gedankengut der jungen Männer, die am<br />

Ende des ersten Teils der Oper eine Katze<br />

schlachten –was sich zuletzt als Generalprobe<br />

für die rituelle Opferung Ryujis entpuppt,<br />

mit der der spiegelbildlich zum erstenangelegtezweiteTeil<br />

der Oper schließt.<br />

In Henzes Charakterisierung der Figuren<br />

gibt es nicht Gut, nicht Böse: „Jede Frau<br />

kann sich mit Fusako identifizieren, jeder<br />

Mann mit Ryuji. Undjeder Mensch mit dem<br />

Anfänger,dem es zustößt,imCollege einen<br />

Anführer kennenzulernen und in seine<br />

Gang von knabenhaften, altklugen Schulkameraden<br />

integriertzuwerden.“<br />

Der Komponist möchte keine Verurteilungen<br />

vornehmen: „Es ist wichtig, dass diese<br />

Jungens wie normale oder besser: über-<br />

Tipp<br />

„Das verratene Meer“. Die<br />

Premiereder szenischen<br />

Erstaufführung in deutscher<br />

Sprache findet am 13. Dezember<br />

in der Wiener Staatsoper<br />

statt.Dirigentin: Simone<br />

Young. Regie: Jossi Wieler<br />

und Sergio Morabito.Mit<br />

Josh Lovell, Bo Skovhus,<br />

Vera-Lotte Boecker.<br />

Es geht um die rituellen<br />

Handlungen einer<br />

japanischen Jugendgruppe,<br />

die vordem<br />

Äußersten nicht<br />

zurückschreckt.<br />

Psychoanalyse als Inspiration. Sein<br />

Roman „Gogo NoEiko“ wurde zur Grundlage<br />

von Henzes Oper, für deren Stil und<br />

Anlageder Komponist ausdrücklich Vorbilder<br />

nennt, die weit weg weisen von seiner<br />

jüngeren, engagierten Künstlervergangenheit:<br />

Ein Essay von Auden, „das Theater<br />

Racines und Corneilles“ und, man höre<br />

und staune, „das post-wagnerische Musikdrama<br />

und die Psychoanalyse“ seien, so<br />

Henze, „wesentliche Inspirationsquellen<br />

für diese im modernen Japan angesiedelte<br />

Liebestragödie“gewesen.<br />

Es war Henze auch wichtig, darauf hinzuweisen,<br />

„dass das Stück keine Moral im<br />

westlichen Sinn hat. Es geschehen die<br />

Dinge schicksalhaft, d.h.wie durch Zufall,<br />

wie in der Natur. Wir dürfen nicht richten,<br />

dürfen keine christlich-westlichen Kritedurchschnittlich<br />

begabte ,college boys‘<br />

sich benehmen, wir müssen sie mögen, wir<br />

müssen besonders mit Noboru sympathisieren,<br />

der Hauptrolle der Oper.“<br />

Entsprechend ergeht HenzesAufforderung<br />

an die Regisseure und die Darsteller der<br />

Jugendbande: „Sie sind keine Perversen<br />

oder Skinheads oder Rocker, dies sind<br />

zarte, verletzte Wesen, deren Spielereien<br />

irgendwann einmal, sozusagen durch den<br />

Unglücksfall einer zerebralen Missfunktion<br />

hervorgerufen, in tödliche Wirklichkeit<br />

umschlagen. Aber sie sind keine Kriminellen.<br />

Es stößt ihnen etwas zu. Ein geistiges<br />

Abenteuer, das zu weit geht, außer Kontrolle<br />

gerät:die Grenzüberschreitung.“<br />

Henzes Partitur ist ein Musterbeispiel für<br />

die von diesem Komponisten jahrzehntelang<br />

kultivierte Polystilistik, die vieles von<br />

der sogenannten Postmoderne vorweggenommen<br />

hat, aber auch dort, wo sie zwischen<br />

avantgardistischen Praktiken und<br />

Elementen der Unterhaltungsmusik vermittelt,<br />

stets unverwechselbar die Handschrift<br />

Henzes trägt. In den Szenen der<br />

Jugendbande Noborus greift der Komponist<br />

sogar auf Techniken des Renaissance-<br />

Madrigals zurück: Die fünfstimmigen<br />

Ensembles der Jugendlichen sind für alle<br />

Männerstimmlagen gesetzt: vom Countertenor<br />

bis zum Bass. Sie bilden mit scharf<br />

geschliffenen, nervös-vielschichtigen<br />

Rhythmen den Gegenpol zur schwärmerischen<br />

Musik der „Erwachsenen“.<br />

Einen breiteren Stellenwert als gewohnt<br />

nehmen in diesem Werk die Kommentare<br />

der Handlung durch das groß besetzte<br />

Orchester ein: Die Zwischenspiele sind oft<br />

minutenlang und symbolisierendie Stimme<br />

derNatur,des „verratenen Meers“.<br />

Die österreichische Erstaufführung der<br />

Oper fand in japanischer Sprache unter<br />

dem Titel „Gogo NoEiko“ bei den Salzburger<br />

Festspielen statt. Die Wiener Staatsoper<br />

zeigt die szenische Erstaufführung in deutscher<br />

Sprache mit Vera-Lotte Boecker als<br />

Fusako, Josh Lovell als Noboru und Bo Skovhus<br />

als Ryuji. Simone Young dirigiert, Jossi<br />

Wieler und Sergio Morabito inszenieren in<br />

Bühnenbildern vonAnna Viebrock. e<br />

<strong>Kulturmagazin</strong> 65


Kuriose<br />

Meisterwerke<br />

Maddalena del Gobbo lässt im<br />

Musikverein die Viola daGamba in<br />

all ihren Spielarten erklingen.<br />

Text: Wilhelm Sinkovicz<br />

Otto Biba, langjähriger Direktor<br />

des Archivs der Gesellschaft der<br />

Musikfreunde in Wien – und<br />

damit Herr über eine der wertvollsten<br />

Musikaliensammlungen der Welt –,<br />

hat eine originelle Konzertreihe ins Leben<br />

gerufen: Unter dem Titel „Nun klingen sie<br />

wieder“ präsentiert er Instrumente aus<br />

dem Archiv, die zum Teil seit Jahrhundertennicht<br />

mehr zu hören waren.<br />

Dabei konnten Musikfreunde bereitsKuriositäten<br />

entdecken. Etwa die zur Biedermeier-Zeit<br />

modische „Stockflöte“, die es<br />

dem Flaneur ermöglichte, irgendwo unter<br />

freiem Himmel seinen Spazierstock in eine<br />

Flötezuverwandeln und zu musizieren.<br />

Freilich beherbergen die Sammlungen<br />

auch wertvolle Instrumenteaus dem Besitz<br />

großer Musiker und Komponisten. Die<br />

nächste Folge widmet sich der Viola da<br />

Gamba, also einer ganzen Instrumentenfamilie,<br />

die von der großväterlichen Bassgambe<br />

bis zum Sopran-„Baby“ alle Register<br />

umfasste und vor der Landnahme von Vio-<br />

Ausnahmekünstlerin.<br />

Die gebürtige<br />

Italienerin Maddalena<br />

del Gobbo beherrscht<br />

die Gambe<br />

wie niemand anderer.<br />

linen und Violoncelli das weite musikalische<br />

Land unumschränkt beherrschte: Die<br />

Gambe war das allumfassende Streichinstrument<br />

–der Kontrabass ist inunserem<br />

Symphonieorchestern der letzte Überlebende<br />

der Spezies.<br />

Damen vorbehalten. Mit Maddalena del<br />

Gobbo hat sich Otto Biba diesmal einer<br />

charmanten und versierten Instrumentalistin<br />

versichert, die im umfassendsten<br />

Sinne des Wortes alle Gamben-Spielarten<br />

beherrscht. Sie bringt Kollegen mit, Eva<br />

Münzberg (Pardessus de Viole), Christoph<br />

Urbanetz (Baryton), Florian Wieninger<br />

(Violone) und den Cembalisten<br />

Anton Holzapfel.<br />

Gemeinsam musiziert man<br />

Gambenmusik aus drei Jahrhunderten.<br />

Wobei mit der Violone die<br />

Vorform unseres Kontrabasses<br />

zubestaunen ist. Die Pardessus<br />

de Viole wiederum ist<br />

Tipp<br />

„Nun klingen sie wieder“.<br />

Mit Maddalena del Gobbo,<br />

EvaMünzberg, Christoph Urbanetz,<br />

Florian Wieninger,<br />

Anton Holzapfel. 11. Februar<br />

2021, 19.30 Uhr,Musikverein,<br />

Brahmssaal<br />

die Gambe in der höchsten Lage: Der Sopran<br />

war im Frankreich des frühen 18. Jahrhunderts<br />

vornehmlich den Damen vorbehalten.<br />

Für das Baryton wiederum, mit dem<br />

die Instrumentenbauer des18. Jahrhunderts<br />

einen Sonderwegbeschritten, hatsich Maddalena<br />

del Gobbo schon einmal selbst eingesetzt,indem<br />

sie aufdiesem Instrument eine<br />

ganze CD aufgenommen hat.<br />

Geheimnisvolle Bordunsaiten. In der<br />

Musikgeschichtsschreibung hat das Barytonauf<br />

Grund der zahlreichen Werkeüberlebt,<br />

die kein Geringerer als Joseph Haydn<br />

komponierthat.Und das kam so: Wiesooft<br />

hängt esaneiner einzigen Persönlichkeit,<br />

in diesem Fall war Fürst Esterházy, der<br />

Dienstherr Haydns, der Promotor des<br />

raren Instruments. Haydn war seit den<br />

1770er-Jahren der unermüdliche fürstliche<br />

Opernkapellmeister. Das wusste die ganze<br />

Welt. Doch vor dieser Ära machte man in<br />

Eisenstadt und Esterháza eher Kammermusik.<br />

Und diese Musik dominierte der<br />

Klang eines Instruments, von dem wir<br />

heute ohne den musikalischen Fürsten<br />

nicht einmal mehr den Namen kennen<br />

würden: Nikolaus, der Prachtliebende,<br />

spielteBaryton.<br />

Optisch würden wir in unseren Tagen dieses<br />

Instrument am ehesten mit dem Cello<br />

vergleichen, klanglich am ehesten mit<br />

einer Bratsche. Doch schwingt im Klang<br />

des Barytons im wahrsten Sinn etwas<br />

Geheimnisvolles mit. Sogenannte Bordunsaiten,<br />

unterhalb der eigentlich gespielten<br />

Saiten angebracht, umgeben den Klang<br />

stets noch mit sanften Sphärenharmonien.<br />

Weitere Zusatzsaiten waren wie Gitarresaitenzum<br />

Zupfen gedacht.Soumfasstediese<br />

Hybridinstrument eine erstaunliche Klangpalette,<br />

während der harmonische Bereich<br />

ziemlich begrenzt war. Die mitklingenden<br />

Saiten konnten ja nicht umgestimmt werden,<br />

sodass sich angenehme Effekte nur in<br />

bestimmten Tonarten ergaben. Daher stehen<br />

denn die meisten der Hunderten (!)<br />

Werke, die Joseph Haydn für das Baryton<br />

geschrieben hat, in immer denselben Tonarten.<br />

Wär’ nicht Haydn gewesen, wenn<br />

ihm nicht trotz dieser Beschränkungen<br />

immer etwasNeueseingefallen wäre.<br />

Mandarf sich also durchaus auch in diesem<br />

kuriosen Klangumfeld auf kompositorische<br />

Meisterwerke freuen. Und<br />

auch einige Cembalo-Zwischenspiele,<br />

die Anton Holzapfel<br />

auf historischen Instrumenten<br />

der Musikvereinssammlung<br />

musizieren wird;<br />

auch diesbezüglich darf man<br />

sich auf Überraschungen<br />

gefasst machen. e<br />

Fotos: Universal Music;<br />

66 <strong>Kulturmagazin</strong>


Virtuoser Brückenbauer<br />

Mit Martin Schläpfer als Ballettdirektor beginnt für das<br />

Wiener Staatsballett eine neue Ära.<br />

Text: Daniela Tomasovsky<br />

diepresse.com/derclub<br />

CLUB-VORTEILE<br />

Vielfältiges Programm.<br />

„Dance is music made visible“<br />

–George Balanchines „Jewels“<br />

(rechts oben und unten)<br />

werden wiederaufgenommen.<br />

„Mahler,live“ (oben) ist Schläpfers<br />

Staatsoperneinstand, die<br />

Klassiker „Giselle“ (linksoben)<br />

und „Schwanensee“ (links<br />

unten) laufen weiter.<br />

Fotos: Wiener Staatsballett/Ashley Taylor; beigesterllt;<br />

Martin Schläpfer übernahm mit<br />

der Spielzeit <strong>2020</strong>/21 die Leitung<br />

des Wiener Staatsballetts.<br />

Der Schweizer Choreograf und<br />

Ballettdirektor hatte zuletzt das mehrfach<br />

preisgekrönte Ballett am Rhein Düsseldorf<br />

Duisburg zu internationalem Rang geführt.<br />

Seine Werke faszinieren mit ihrer Intensität,<br />

ihrer Virtuosität, ihren zutiefst berührenden<br />

Bildern und einer prägnanten<br />

Bewegungssprache, die sich als ein Musizieren<br />

mit dem Körper begreift, immer<br />

aber auch die Stimmungen und Fragestellungen<br />

der heutigen Zeit reflektiert.<br />

Gleich mehrere Programme geben die<br />

Gelegenheit zur Begegnung – darunter<br />

zwei Uraufführungen: Zu Gustav Mahlers<br />

4.Symphonie und DmitriSchostakowitschs<br />

15. Symphonie entstehen zwei neue Werke<br />

für Wien, die zugleich auch der Beginn des<br />

intensivenDialogs sind, den Martin Schläpfer<br />

in den kommenden Jahren mit den<br />

Künstlern seinesEnsemblesgestalten wird.<br />

Als Direktor zeigt sich Martin Schläpfer als<br />

ein Brückenbauer, der die großen Balletttraditionen<br />

selbstverständlich weiter pflegen,<br />

aber den Spielplan auch um wichtige<br />

Künstler der Gegenwart und eine große<br />

Vielfalt an choreografischen Handschriften<br />

bereichern wird. Die Meister der amerikanischen<br />

Neoklassik GeorgeBalanchine und<br />

Jerome Robbins werden weiterhin zu den<br />

Fixsternen des Wiener Spielplans gehören,<br />

ebenso wie der Niederländer Hans van<br />

Manen.<br />

Tanzmoderne. Erstmals sind mit dem<br />

Staatsballett <strong>2020</strong>/21 dagegen Werke von<br />

AlexeiRatmansky sowie der beiden großen<br />

American-Modern-Dance-Künstler Paul<br />

Taylor und Mark Morris zu erleben. Aber<br />

auch die Tanzmoderne, deren Heimat das<br />

Tipp<br />

Wiener Staatsballett. Die Uraufführung<br />

von „Mahler,live“ findet am<br />

4. November in der Wiener Staatsoper<br />

statt.Die Premierevon „Ein<br />

Deutsches Requiem“ am 30. Jänner<br />

2021 in der Wiener Volksoper.<br />

Ermäßigte Tickets.<br />

DiePresse.com/derclub<br />

Nederlands Dans Theater ist, wird mit WerkenSol<br />

Leóns &PaulLightfoots, Jiří Kyliáns<br />

und natürlich Hans vanManens begeistern.<br />

Besonders am Herzen liegt Schläpfer die<br />

enge Zusammenarbeit mit den beiden<br />

Klangkörpern der Staats- und der Volksoper,<br />

mit international renommierten Dirigenten<br />

und Instrumentalisten. Neben der<br />

Erarbeitung der Symphonien Mahlers und<br />

Schostakowitschs mit dem Orchester der<br />

Wiener Staatsoper ist die Neueinstudierung<br />

von Martin Schläpfers „Ein Deutsches<br />

Requiem“, an der auch der Chor und<br />

Zusatzchor sowie Sängerinnen und Sänger<br />

der Volksoper mitwirken, ein Höhepunkt<br />

der Saison.<br />

Im Repertoire bleiben die großen Produktionen<br />

des Ensembles: In der Staatsoper<br />

neben „Jewels“auchdie Handlungsballette<br />

„La fille mal gardée“, „Giselle“ und „Schwanensee“.<br />

In der Volksoper stehen erneut<br />

das beliebte Familienstück „Peter Pan“<br />

sowie „Coppélia“ auf dem Spielplan. Die<br />

„Nurejew-Gala“ wird als Reverenz an den<br />

Ausnahmetänzer und Choreografen in<br />

Zukunft in einem zweijährigen Rhythmus<br />

stattfinden. s<br />

<strong>Kulturmagazin</strong> 67


Ohne<br />

Sprungbrett<br />

zur Spitze<br />

Im November erhält<br />

Clemens Maria Schreiner<br />

den Österreichischen<br />

Kabarettpreis. ImGespräch<br />

erzählt er, dass die<br />

Coronakrise nicht die erste<br />

Zäsur inseinem<br />

Leben ist.<br />

Text: Veronika Schmidt<br />

Foto: Christine Pichler<br />

Moderator und Kabarettist. Clemens<br />

Maria Schreiner trifft den Nerv der Zeit.<br />

68 <strong>Kulturmagazin</strong>


Im Sommer ist esClemens Maria Schreiner<br />

zum ersten Mal passiert, dass er<br />

einen Auftritt absagen musste, weil zu<br />

viele Zuschauer angemeldet waren. Das<br />

hätte ersich auch nicht gedacht, als er früher<br />

im Theater amAlsergrund noch hoffend<br />

wartete, ob vielleicht doch noch vier<br />

Leute auftauchen, damit eine zweistellige<br />

Zahl an Zuschauern zusammenkommt und<br />

der Auftritt stattfinden kann. Diesmal lag<br />

die Schuld bei den Coronabeschränkungen:<br />

Es hatten sich mehr Leute angemeldet,als<br />

in dem kleinen Saal erlaubt waren–<br />

der Auftritt fand nicht statt. Dass Schreiner<br />

diese Anekdote mit einem Lächeln im<br />

Gesicht erzählt, liegt nicht nur anseinem<br />

grundsätzlich entspannten Gemüt, sondern<br />

auch daran, dass er kurz davor mit<br />

dem Österreichischen Kabarettpreisausgezeichnet<br />

worden ist. Und zwar mit dem<br />

Hauptpreis, ohne davorjeden Förder-oder<br />

Programmpreis bekommen zu haben, die<br />

traditionell stärker den Nachwuchskünstlern<br />

gewidmet sind. Der 31-Jährige, der mit<br />

fünfzehn Jahren als Gymnasiast begonnen<br />

hat, Programme zu schreiben, erreicht<br />

quasi ohne Sprungbrett die Spitze der heimischen<br />

Kabarettanerkennung.<br />

ich dort eine Dreiviertelstunde spielen<br />

soll.“ Dass bei dem Auftritt im Kleinen<br />

TheaterSchreiners Vaterihn bei zwei Nummern<br />

auf der Gitarre begleitete, dürfte<br />

wohl der Grund sein, warum sich bis heute<br />

das Gerücht hält, dass Clemens Maria<br />

Schreiner als Jugendlicher die Programme<br />

gemeinsam mit seinem Vater geschrieben<br />

hätte. „Es gibt von diesem Auftritt in Salzburg<br />

eine Kritik, inder mein Vater gesondert,<br />

aber nicht wirklich lobend erwähnt<br />

wird.“<br />

normale Leben in Österreich hinter sich<br />

und zog für knapp ein Jahr nach Neuseeland,<br />

wo ein Campingbus der neue Nebenwohnsitz<br />

war. An verschiedenen Orten<br />

konnte das Paar für Kost und Logis arbeiten:<br />

„Kühe melken, Zäune reparieren,<br />

Hunde sitten und alles, was anfällt. Auch<br />

wenn es lächerlich abgedroschen klingt:<br />

Aber Reisen verändertden Menschen.“Der<br />

Mentalitätsunterschied, den Schreiner auf<br />

diesen Inseln erlebt hat, wo das Weltgeschehen<br />

weit weg ist –physisch und mental<br />

–,hat ihn geprägt: „Es war angenehm zu<br />

sehen, dass man seinen Mitmenschen auch<br />

sehr offen und vertrauensvoll begegnen<br />

kann, wenn einen nicht dieses Grundrauschen<br />

zumüllt mit Dingen, auf die man eh<br />

keinen Einfluss hat.“<br />

Faktencheck. Nach Neuseeland war ihm<br />

klar, dass er seine Kabarettprogramme<br />

ganz anders aufbauen will, und bat seinen<br />

renommiertenKabarettkollegenund steirischen<br />

Landsmann Leo Lukas, ab nun die<br />

„Ich finde, dass Verifizierungsstrategien als Schulfach<br />

wichtiger wärenals das Abrufen vondetailliertenFakten.“<br />

Fokus auf das Kabarett. Dabei macht er<br />

darauf aufmerksam, dass die Coronakrise<br />

vor allem den „Mittelbau“ der Kabarettkolleginnen<br />

und -kollegen erschüttert hat:<br />

„Alle zwischen ,Naja, ich spiele einmal im<br />

Monat wo‘ und ,mir ist’s ehwurscht, weil<br />

meine Enkel müssen nie mehr was arbeiten‘<br />

hat esschwer getroffen.“ Also jene, die<br />

ohne Nebenjobs ihr Einkommen aus den<br />

Auftritten lukrieren. „Ich war jainmeinen<br />

Anfängen in einer Luxussituation, dass ich<br />

mich gleich auf das Kabarett fokussieren<br />

konnte“,erzählt Schreiner.<br />

Nach einigen kleineren Jobs hat es sich<br />

Mitte der Nullerjahre schnell ergeben, dass<br />

die Kabarettauftritte und Moderationen<br />

bei Veranstaltungen als Einkommen ausreichten.<br />

„Ich habe zwar mit sehr viel Liebe<br />

und sehr wenig Fortschritt Publizistik studiert.<br />

Aber vor einigen Jahren habe ich<br />

damit abgeschlossen, also nicht mit dem<br />

Bachelor, sondern mit dem Studium.<br />

Obwohl ein Publizistikstudium eh kein<br />

guter Plan Bgewesen wäre“, sagt erwieder<br />

lachend.<br />

Der Plan Aergab sich 2005, weil Schreiner<br />

bei einer Veranstaltung moderierte und<br />

daraufhin für eine Jubiläumsshow imSalzburger<br />

Kleinen Theater engagiert wurde.<br />

„Wie die meisten beginnenden Kabarettisten<br />

hatte ich auf die Frage, ob ich ein ganzes<br />

Programm hätte, mit Ja geantwortet<br />

und musste dann in einem Monat schnell<br />

eines schreiben, als der Anruf kam, dass<br />

Campingbus als Wohnsitz. Vielleicht entstand<br />

da die Mähr, dass ihm seine Familie<br />

anfangs zum Erfolg verholfen hätte. Dieser<br />

stellte sich aus eigener Kraft ein, als Schreiner<br />

2005 –mit <strong>16</strong> Jahren als jüngster Künstler<br />

je –den Grazer Kleinkunstvogelgewann,<br />

wo er Teile aus dem Salzburger Auftritt<br />

präsentierte und als Sieger plötzlich Termine<br />

für ein abendfüllendes Programm<br />

zugesagt bekam: „Da hat mein Freund, der<br />

produktive Zwang, wieder eingesetzt.“ Dieser<br />

besucht ihn seither alle zwei Jahre,<br />

wenn der Termin für die nächste Premiere<br />

feststeht. Sein aktuelles Programm<br />

„Schwarz auf Weiß“ hatte im Oktober 2019<br />

Premiere und pausierte nun seit März<br />

unfreiwillig. „Für mich war die Coronapause<br />

eh ok, denn ich bin gleich zu Beginn<br />

des Lockdowns Vater geworden: Da hat<br />

mich nur mäßig interessiert, was rundherum<br />

passiert, und die Folgen waren nicht<br />

existenzbedrohend.“<br />

Die Pandemie istimLebenslauf vonSchreiner<br />

nicht die erste Zäsur, denn er ließ 2012<br />

gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin das<br />

Tipp<br />

Österreichischer Kabarettpreis.<br />

Die Verleihung soll –in welcher<br />

Form auch immer –am<strong>16</strong>. November<br />

im Globe Wien stattfinden.<br />

Clemens Maria Schreiner<br />

erhält den Hauptpreis.Die Impro-Kabarettistin<br />

Magda Leeb<br />

wirdals „Kaiserin von Österreich“<br />

mit dem Förderpreis ausgezeichnet,und<br />

Hosea Ratschiller<br />

bekommt für „Ein neuer<br />

Mensch“ den Programmpreis.<br />

Der Sonderpreis geht diesmal<br />

an den Karikaturisten Michael<br />

Pammesberger.<br />

Regie zu übernehmen. „Davor habe ich<br />

sehr eigensinnig im stillen Kämmerchen<br />

gearbeitet, war der Meinung, dass Vorpremieren<br />

feig sind, und habe nie wirkliche<br />

Proben gemacht.“<br />

Das Programm „Schwarz auf Weiß“ ist<br />

bereits das vierte, das Schreiner gemeinsam<br />

mit Leo Lukas erarbeitet hat. „Darin<br />

geht es um ,Wahrheit oder Fake‘, was javor<br />

Corona das zentrale Thema war und das<br />

man nicht an einer Person aufziehen kann.“<br />

Damit istnatürlich Donald Trump gemeint,<br />

der im gesamten Programm über Fake<br />

News nicht vorkommt. Kaum war das Programm<br />

geschrieben, ergab sich zufällig,<br />

dass Clemens Maria Schreiner als Moderator<br />

der neuen ORF-Comedy-Show „Fakt<br />

oder Fake“angefragtwurde. Seit Dezember<br />

2019 wurden acht Folgen des Formats, das<br />

auf witzige Weise die Unwahrheiten aus<br />

dem Internet aufblattelt, ausgestrahlt, und<br />

Ende des Jahres wird die zweite Staffel aufgezeichnet.<br />

„Solche Sendungen sensibilisieren<br />

die Leute. Ich finde, dass Faktencheck<br />

und Verifizierungsstrategien als<br />

Schulfach wichtiger wären als das Abrufen<br />

vondetailliertenFakten in kurzer Zeit –das<br />

googelt immer einer schneller.“<br />

Die Show trifft jedenfalls einen Nerv der<br />

Zeit, was daran zu erkennen ist, dass viele<br />

Zuseher Filme, Memes und Schlagzeilen<br />

aus dem Internet einschicken, um diese als<br />

Fakt oder Fake bestimmen zu lassen. e<br />

<strong>Kulturmagazin</strong> 69


Keine Übersetzung<br />

ins Heute nötig<br />

Mozart hat Hochkonjunktur: Alfred Dorfer<br />

inszeniert den „Figaro“, ander Staatsoper gibt<br />

man die „Entführung aus dem Serail“, das<br />

Burgtheater dekonstruiert die „Zauberflöte“.<br />

Text: Barbara Petsch<br />

Porträts: Christine Ebenthal<br />

Erster Zuschauer. So sieht sich Kabarettist<br />

Alfred Dorfer als Opernregisseur<br />

in „dienernder Funktion“.<br />

Illustration: Fredrik Floen<br />

70 <strong>Kulturmagazin</strong>


Mozart wird immer wieder neu entdeckt, verjazzt,<br />

vertanzt, verfremdet. Nun gibt es wieder<br />

ungewöhnliche Annäherungen: Kabarettist<br />

Alfred Dorfer inszeniertimTheater an der<br />

Wien „Figaros Hochzeit“. Das Burgtheater will der „Zauberflöte“<br />

das Märchen austreiben. Und „Die Entführung<br />

aus dem Serail“ inder Regie von Provokateur Hans Neuenfels<br />

ist inder Staatsoper zu erleben. Das „<strong>Kulturmagazin</strong>“<br />

sprach mit Dorfer und dem Staatsopern-„Bassa<br />

Selim“Christian Nickel über die Faszination Mozart.<br />

Zunächst zum Praktischen, wie kommt ein Opernintendant<br />

wie Roland Geyer, Intendant im Theater ander<br />

Wien, überhaupt auf einen Kabarettisten als Regisseur?<br />

„Ich war schon überrascht“, erzählt Dorfer, „Ich selbst<br />

wäre nie auf die Idee gekommen oder hätte den Mut<br />

gehabt, zufragen, ob ich eine Oper inszenieren darf,<br />

obwohl ich ja seit 50 Jahren in die Oper gehe. Als Kind<br />

musste ich Klavier lernen –und somit bin ich wehrlos in<br />

die Klassik gerutscht. Ich bin in einem absolut klassikaffinen<br />

Haushalt aufgewachsen. In den Vorgenerationen<br />

meiner Familie mütterlicherseits gibt es eine Reihe von<br />

Geigern. Der ,Figaro‘ war die Musik meiner Kindheit. Es<br />

ist eine seltsame Koinzidenz, dass ich jetzt mit fast sechzig<br />

Jahren gerade diese Oper herausbringe.“<br />

Zunächst wusste Dorfer gar nicht, was ein Regisseur<br />

überhaupt tun soll im komplexen Operngebilde: „Ich<br />

habe gedacht,ich bin dafür verantwortlich, dass die Sängerrichtig<br />

singen. Das warein Irrglaube.“<br />

Hat ergleich ja gesagt bei Geyers Angebot? Dorfer: „Ich<br />

kann zwar Partituren lesen, aber ich habe sehr lang gezögert,<br />

mich auf dieses Engagement einzulassen, bis mir<br />

bewusst wurde, welcher Glücksfall das für mich ist, ob<br />

auch für die anderen, das wirdman sehen.“<br />

Was ist für Dorfer wichtig an diesem Werk? „Der ,Figaro‘<br />

ist eines jener Stücke, die keine Übersetzung ins Heute<br />

brauchen“, erläutert Dorfer: „In ihren zwischenmenschlichen<br />

Beziehungen verhalten sich die Menschen von<br />

damals genauso wie jetzt. Diese Oper hat einen Anstrich<br />

von Commedia dell’Arte. Die ewigen Verwechslungen<br />

sind witzig, aber auch wieder nicht zu<br />

lustig, insofern ist der ,Figaro‘ eine<br />

Komödie im besten Sinne. Und erwar<br />

auch ein Revolutionsstück, was heute<br />

gern betont wird.“<br />

Für bildstarke Performancesmit Musik,<br />

auch Pop,ist das Hamburger Kommando<br />

Himmelfahrtbekannt.<br />

TiereinMenschengestalt. Entwürfefür die „Zauberflöte“, eine<br />

Extravaganza nach Mozart mit Apparaten und Projektionen, die<br />

im Burgtheater uraufgeführt wird. Kostüme: Frederik Floen.<br />

ihn? „Vermutlich war erein bisschen wie Galileo Galilei,<br />

er hat den Konflikt gesucht“, meint Dorfer: „Es hat ihm<br />

Spaß gemacht,mit Lorenzo Da PonteProvokantes auszuhecken.<br />

Kaiser Josef II. war dabei durchaus ein Partner<br />

für ihn. Mozart wollte Adelige ärgern, nach dem Motto:<br />

Schauen wir einmal, wie weit man gehen kann.“ Ist es<br />

möglich, dass ein Mann, der eine Frau küsst, tatsächlich<br />

nicht erkennt, dass sie seine eigene Gattin ist? Dorfer<br />

grinst: „Realistisch und trocken gesagt ist es schwer vorstellbar,<br />

außer der Mann hat bewusstseinsverändernde<br />

Substanzen zu sich genommen oder er sieht schlecht.<br />

Ich glaube, Mozart wollte den Grafen noch ein bisschen<br />

mehr desavouieren, und dass der Graf seine Frau küsst,<br />

die er für Susanna hält,war dasspielerische Mittel dafür.<br />

Es geht hier um amouröse Versessenheit, die kann einen<br />

schon zu allerhand verleiten. Der Graf hat jaauch eine<br />

Schwäche für ganz jungeFrauen, etwa für Barbarina.“<br />

Ist das nicht bei allen Männern so?Dorfer:„Beimir nicht,<br />

und ich bin sehr froh darüber.“ Ist er aufgeregt? „Es fühlt<br />

sich vermutlich an wie für einen Fußballtrainer. Ab<br />

einem gewissen Zeitpunkt kann man nicht mehr eingreifen“,<br />

sagt Dorfer. Wird eretwas ganz anders machen als<br />

andere Opernregisseure? „Ich möchte die Darsteller<br />

absolut in den Mittelpunkt rücken und nicht das Konzept“,<br />

betont Dorfer:„Außerdem will ich nah am Libretto<br />

bleiben, denn es gibt für mein Dafürhalten etwaszuviele<br />

dumme Ideen im Musiktheater.“ Er selbst sehe sich als<br />

„ersten Zuschauer“: „Der Regisseur im Musiktheater hat<br />

eine dienende, sogar servile Funktion“, ist Dorfer überzeugt.<br />

Die Vorbereitung dieses „Figaro“ war wegen<br />

Corona nicht einfach, es mussten drei verschiedene Versionen,<br />

auch gekürzte, erarbeitet werden. Hat eresje<br />

bereut, sich auf das Projekt eingelassen zu haben? „Oh<br />

nein!“, strahlt Dorfer: „Ich inszeniere ,Figaros Hochzeit‘,<br />

eine der schönsten Opern, in einem der wunderbarsten<br />

Theater! Das ist wie ein Traum!“ Wer wäre er selbst gern<br />

im „Figaro“. Dorfer: „Zu meiner komischen Seite würde<br />

der Basilio passen, dieses Geknechtete, Geschraubte,<br />

Verhärmte, Intrigante ist sehr wienerisch. Ich bin ja<br />

selbst Wiener, also ist eskein Rassismus,<br />

wenn ich das sage.“<br />

Bassas Bauchproblem. Schauplatzwechsel<br />

in die Staatsoper, woHans<br />

Neuenfels seine Inszenierung der<br />

Provokateur Mozart. Der Graf bedient<br />

sich alter feudalistischer Praktiken, er<br />

will das Ius Primae Noctis wieder einführen,<br />

das Recht auf die erste Nacht:<br />

Der Feudalherr darf Frauen vor der<br />

„Entführung aus dem Serail“ zeigt,<br />

die seinerzeit in Stuttgart einen Skandal<br />

hervorrief. Christian Nickel spielt<br />

den Bassa Selim, wie kam die Wahl<br />

auf ihn als europäischer „Sir“ für<br />

Hochzeitsnacht entjungfern, sprich<br />

einen Geschäftsmann in der Türkei?<br />

vergewaltigen, das erscheint barbarisch.<br />

Dorfer: „Ja. Aber: Das war zu<br />

Nickel: „Der Bassa ist hier nicht über<br />

das Klischee besetzt. Man sagt mir<br />

Mozarts Zeiten schon ironisch<br />

allerdings, er muss einen Bauch<br />

gemeint. Der Graf ist einfach in die<br />

Zofe Susanna verliebt und hofft auf<br />

das Recht auf die erste Nacht. Doch<br />

Mozart benützt diesen Kniff, umden<br />

Affront des Stücks gegen den Adel zu<br />

verstärken. Darum sind die Leute in<br />

haben. Den habe ich –seit Corona.<br />

Die Biografie des Bassa Selim ist ein<br />

wenig schleierhaft. Erist vom Christentum<br />

zum Islam konvertiert, ein<br />

Grenzgänger zwischen den Kulturen.<br />

Inzwischen ist er im moslemischen<br />

der Wiener Premiere reihenweise aus<br />

Glauben verwurzelt. Mozart greift<br />

dem Theatergegangen.“<br />

Wie war Mozart? Wie sieht Dorfer<br />

gängige Bilder über die Türkei auf,<br />

die ja zu dieser Zeit aus hiesiger Sicht »<br />

<strong>Kulturmagazin</strong> 71


„Bassa Selim entscheidet<br />

gegen,Auge um Auge,Zahn<br />

um Zahn‘. Er verzichtet auf<br />

Gewalt und gibt das junge<br />

Paar frei.“ Christian Nickel<br />

Keine Türkei-Klischees. Christian Nickel, ein cooler<br />

„Sir“, der Konstanze gefallen könnte, spielt den<br />

Bassa Selim in Neuenfels’ Wiener „Entführung“.<br />

»<br />

am Boden lag, nachdem Wien die zweite Türkenbelagerung<br />

erfolgreich abgewehrt hatte. Mozart hat die Figur<br />

desBassa eher aufgewertet, und so versuche ich sie auch<br />

zu spielen. Wir haben auch ein neues Ende.“ Warum entscheidet<br />

sich die schöne Konstanze gegen Bassa und für<br />

Belmonte? Nickel: „Konstanze und Belmonte haben einander<br />

als Kinder ewige Liebe geschworen. Bassa Selim<br />

könnte Konstanze befehlen, bei ihm zu bleiben, er<br />

könnte sie zwingen oder ihr Gewalt antun. Sie ist seine<br />

Gefangene. Aber er sagt zuihr: ,Dir selbst will ich dein<br />

Herz zu danken haben.‘“<br />

Aber Konstanze hat doch spürbar Sympathie für den<br />

Bassa. Nickel: „Für alle drei Figuren, für Bassa Selim, Konstanze<br />

und Belmonte, ist dieses Erlebnis eine existenzielle<br />

Erfahrung.Die zwei jungen Leuteschauen in einen<br />

Abgrund, sie gehen durch die Hölle und gereift aus der<br />

Krise hervor. Aber auch Bassa Selim hat sich verändert.<br />

Er sagt zu Belmonte: ,Ich reiche dir jetzt die Hand,<br />

obwohl es mir nicht leicht fällt, ich ringe mir das ab.<br />

Nimm Konstanze, nimm deine Freiheit, segle in dein<br />

Vaterland und sagedeinem Vater: Es istein größeres Vergnügen,<br />

erlittenes Unrecht mit Wohltaten zuvergelten,<br />

als sich zu rächen. Bassa Selim entscheidet gegen das<br />

Prinzip ‚Auge umAuge, Zahn um Zahn‘. Und das alles<br />

ereignet sich auf den Wogen dieser wunderbaren Musik,<br />

die Herzen öffnet und vielleicht Verzeihung ermöglicht.“<br />

72 <strong>Kulturmagazin</strong><br />

Tipps<br />

„Figaros Hochzeit“. Theater<br />

an der Wien ab 12. 11., siehe<br />

www.theater-wien. at<br />

„Entführung aus dem Serail“.<br />

Staatsoper,Termine auf<br />

www.wiener-staatsoper.at<br />

„Zauberflöte, eine Extravaganza<br />

nach Mozart“.Burgtheater,PremiereimDezember,siehe<br />

www.burgtheater.at<br />

Neue Machokultur. Heute haben sich Europa und die<br />

Türkei entzweit. Endgültig? „Vor 20Jahren dachten wir,<br />

Istanbul hätte das Zeug, zum Nabel Europas zu werden<br />

oder zwei Welten zu verbinden“, erinnert Nickel: „Ich<br />

war zuversichtlich, dass die Integration der Nachkommen<br />

der Gastarbeiter, die hier aufgewachsen sind, gelingen<br />

könnte, in Österreich wie in Deutschland. Ich<br />

stamme ursprünglich aus Hamburg. ImMoment ist das<br />

passé. Die Machokultur wurde restauriert, die harte<br />

Hand, das sogenannte männliche Auftreten –sehr enttäuschend,<br />

aber wir bleiben zuversichtlich, oder?!“<br />

Die ungewöhnlichste Mozart-Annäherung wird wohl im<br />

Dezember im Burgtheaterstattfinden: „Zauberflöte, eine<br />

Extravaganza“, diese Uraufführung gestaltet das Kollektiv<br />

Kommando Himmelfahrt, das sich künstlerisch<br />

gesellschaftlichen und wissenschaftlichen<br />

Utopien widmet. In der neuen „Zauberflöte“<br />

soll es um die dunkle Seite der Aufklärung<br />

gehen, Vernunft, Verstand oder Aberglauben.<br />

Das klingt etwas trocken, tatsächlich ist eine<br />

saftige, bildstarke Performance versprochen.<br />

„Furios“, wie Kritiker fanden, stellen der Komponist<br />

Jan Dvorak, der Regisseur Thomas Fiedler<br />

und die Dramaturgin Julia Warnemünde<br />

Texte von Platon, Thomas Morus, Jules Verne<br />

oder Artaud in neue Zusammenhänge. e


Friede<br />

denMenschen<br />

aufErden.<br />

Undim<br />

Internet.<br />

Foto:Litzlbauer<br />

Online besuchen<br />

und spenden.<br />

sternsingen.at/2021<br />

Klick dich zu denSternsinger/innen undhol dirden Segen fürein gutesNeues Jahr.Denn wenn dieWeltverrückt<br />

spielt, gibtuns Tradition Hoffnung.FeiereWeihnachten mitCaspar, Melchior undBalthasar wieseit1954.


Archaisch und naturnah.<br />

Das Leben im Dorf<br />

bekommt bei Katharina<br />

Johanna Ferner eine literarische<br />

Stimme.<br />

„Ich bin<br />

mehr das<br />

Team Harry<br />

Potter“<br />

Die Salzburger Autorin<br />

Katharina Johanna Ferner<br />

überzeugt mit ihrem Roman<br />

„Der Anbeginn“.<br />

Text: Harald Klauhs<br />

Foto: Christine Pichler<br />

74 <strong>Kulturmagazin</strong>


Während ich meine ersten<br />

Atemzügetat,lag Großmutter<br />

in ihrem Bett und entschlief<br />

der sterblichen Welt... Ihr<br />

Körper war von neuem Leben erfüllt, in<br />

ihren Haaren sammelten sich die Überreste<br />

des Maikäferfestes, ihr Strickkleid<br />

war von Flechten übersät.“ Womit habe ich<br />

es denn hier zu tun, kann man sich mit Fug<br />

und Recht fragen, liest man die ersten Seiten<br />

inKatharina Johanna Ferners Roman<br />

„Der Anbeginn“. Doch schnell entwickelt<br />

die Geschichte einen Sog, dem man sich<br />

kaum entziehen kann, ebenso wenig wie<br />

dem Rauschen jenes Flusses, das im Dorf<br />

weithin zu hören istund das die Geschichte<br />

orchestriert. Es ist eine mystisch-archaische<br />

Welt, indie man im Buch der 1991<br />

geborenen Salzburgerin eintaucht. Und<br />

doch gibt es darin Zivilisationsaccessoires<br />

wie etwa eine Badewanne.<br />

„Es gibt so viele Berlin-Drogenszene-Romane.<br />

Die interessieren mich aber literarisch nicht.“<br />

schreibung auch Tolkiens Mittelerde im<br />

Kopf hatte?<br />

„Ich bin nicht so der Klassiker-Typ“, sagt<br />

Katharina Ferner, „ich bin mehr das Team<br />

Harry Potter.“ Die siebenbändige Saga hat<br />

sie nicht nur als Kind schon verschlungen,<br />

sie liest immer noch jeden Sommer darin.<br />

Außerdem ist sie ein Fan von Helena Bonham<br />

Carter. Wernun glaubt, dass er es hier<br />

miteinem fantastischen Mischmasch zu tun<br />

hat, der sei auf die ganz realistische Dorfgeschichte<br />

verwiesen, die dieser Roman auch<br />

(noch) erzählt. „Es gibt so viele Berlin-Drogenszene-Romane“,<br />

meint die Autorinverlegen<br />

lächelnd, „die interessieren mich aber<br />

literarisch nicht.Ich wollteeine ganz andere<br />

Welt schaffen und trotzdem moderne Themen<br />

darin verhandeln“. Wersich daraufeinlässt,<br />

wird nicht erst am Schluss sagen:<br />

Experiment gelungen!<br />

Nature Writing. Realistisch ist zum Beispiel<br />

die Schilderung desLebens mit einem<br />

malenden Vater: „Terpentin. Vaterhatte frische<br />

Farbe angerührt, es roch im ganzen<br />

Haus danach“, berichtet die Ich-Erzählerin<br />

von einem markanten Geruch ihrer Kindheit.Ähnliche<br />

Erfahrungen hatauchKatharina<br />

Ferner gemacht, daihr Vater Künstler<br />

ist. Deshalb gehörte auch die Lektüre von<br />

Kunstbüchern genauso zu ihrer Jugend wie<br />

Besuche von Vernissagen. Von ihrem Vater<br />

hat sie möglicherweise ihre Vielseitigkeit<br />

geerbt, die sich nicht nur innerhalb ihres<br />

literarischen Schaffens zeigt, sondern auch<br />

kunstübergreifend. Ihr Vater tritt u. a. als<br />

Kabarettist auf, Katharina macht Tanzperformances.<br />

Oder er malt Cover für ihre<br />

Bücher, während sie an der Poetisierung<br />

der Welt arbeitet.<br />

Das geht in unserer hochindustrialisierten<br />

Welt nicht ohne Renaturalisierung.Und die<br />

ist der in der Stadt Salzburg aufgewachsenen<br />

Autorin eben ein Anliegen. Woher<br />

kommt ihr inniges Verhältniszur Natur?Zu<br />

einem nicht unbeträchtlichen Teil, so sagt<br />

Tipp<br />

„Der Anbeginn“. Katharina J. Fernersjüngster<br />

Roman ist am 15.<br />

September <strong>2020</strong> im Limbus Verlag<br />

erschienen. Dort erschien im Vorjahr<br />

auch ihr viel beachtetes Lyrikdebüt<br />

„einmal fliegenpilz zum frühstück“.<br />

www.limbusverlag.at<br />

Mystische Landschaft. Der Titel „Der<br />

Anbeginn“ kennzeichnet deshalb keine<br />

Neufassung der Genesis. Nicht die Schöpfung<br />

ist das Thema des Romans, sehr wohl<br />

aber die Geburt eines Menschen. „I carry<br />

you /Inurture you /Give birth toyou /<br />

Again“ lautet das einleitende Motto, das<br />

sich die Autorin von der isländischen Folkund<br />

Indiemusikerin Ólöf Arnalds ausgeliehen<br />

hat. Zur Zeit der Niederschrift des ersten<br />

Kapitels hielt sich Katharina Ferner in<br />

Island auf. „Da gab’s dasMeer und dahinter<br />

die Eisberge. Diese Szenerie hatte ich<br />

immer vor Augen –und sie hat soeinen<br />

Raum für den Roman geschaffen.“ Hört<br />

man in dieser mystischen und schwermütigenLandschaft<br />

dann noch isländische Popmusik,<br />

dann kommt man in so einen Flow.<br />

„Die Songs sind für mich der Schreib-<br />

Soundtrack.Ich hab das ganz oft gehört.“<br />

Geboren wird erst einmal die namenlose<br />

Ich-Erzählerin. Für die Autorin hat jeder<br />

Name eine Bedeutung. Deshalb war esihr<br />

wichtig, ihrer Protagonistin keinen zu<br />

geben, um sie nicht festzulegen. Andere<br />

Figuren haben sehr wohl – symbolgeladene<br />

–Namen wie die beiden Tanten Ada<br />

und Ida, die Bäckerin Svenja, die Nixe<br />

Nora oder auch die in zwei weit auseinanderliegenden<br />

Dörfern zur selben Stunde<br />

geborenen Buben Omar und Marian.<br />

Schon daran ist zu erkennen, dass die<br />

Autorin beim Schreiben nicht nur den<br />

Sound nordischer Mythologie im Kopf<br />

hatte, sondern auch Märchen und allerlei<br />

magische Texte. Da sind Elemente von<br />

„Alice in Wonderland“ genauso enthalten<br />

wie der magische Realismus eines Gabriel<br />

García Márquez. Inseiner Hermetik erinnert<br />

das Dorf sogar an Marlen Haushofers<br />

„Die Wand“. Ob sie bei der Landschaftsbesie,<br />

verdankt sie das einem Stipendium, das<br />

sie für drei Monate in das kleine Schwarzwälder<br />

Städtle Hausach geführt hat. „Dort<br />

war ich schon sehr ausgesetzt.“ Sie lebte<br />

dort mit Käfern, Spinnen, Fröschen und<br />

anderem Getier, war viel wandern und hat<br />

dort unter anderem Mikael Vogels Buch<br />

über ausgestorbene Tierartengelesen oder<br />

den Band von Sabine Scho über Tiere in<br />

der Architektur. Inder Folge hat sie begonnen,<br />

sich mit Nature Writing zu beschäftigen,<br />

einer traditionsreichen literarischen<br />

Gattung,die sich mit Naturbeschreibungen<br />

auseinandersetzt. „Diese Thematik in die<br />

Literatur zu bringen, ohne kitschige Naturlyrik<br />

zu schreiben“, wurde für Katharina<br />

Ferner zur Herzensangelegenheit.<br />

Verdichtet. Und noch ein heute eminent<br />

politisches Thema wird im Roman „Der<br />

Anbeginn“ verhandelt: „Der erste Stoß. Ich<br />

konnte nur in den Ärmel beißen... Ich<br />

begann zu zählen. Wie lange würde es dauern.<br />

Die Zahlen kamen mir durcheinander.<br />

Mein Körper löste sich in Kribbeln auf und<br />

ich fühlte nichts mehr.“ Diese Beschreibung<br />

einer Vergewaltigung ist hyperrealistisch<br />

– und zugleich poetisch verfasst.<br />

Besonders in dieser Szene verdichtet sich<br />

Katharina Ferners Stil: Engagiert, aber<br />

nicht ideologisiert. „Ich schreibe gern<br />

meine Meinung zu aktuellen Themen,<br />

wenn ich die Möglichkeit finde, das literarisch-poetisch<br />

zu erzählen. Nur eine Messageabzugeben,<br />

wäre mir zu wenig.“<br />

Und so klärt sich allmählich das Fremdartige<br />

und zugleich Faszinierende dieses<br />

Textes. Eshat wohl damit zu tun, dass das<br />

Spartenübergreifende Katharina Ferner in<br />

die Wiege gelegt worden ist und sich in<br />

ihrer Ausbildung fortsetzte: „Ich bin aufein<br />

musisches Gymnasium gegangen. Da<br />

konnte man sich alle Musen auswählen. In<br />

dieser Zeit habe ich zuerst Theatergespielt.<br />

Jetzt habe ich sogar ein Theaterstück für<br />

Kinder geschrieben.“ Später hat sie dann<br />

Slawistik studiert. Die großen russischen<br />

Romane von Dostojewski und Tolstoi hat<br />

sie trotz ihrer Klassiker-Aversion gelesen.<br />

„Die Erzählweise der slawischen Literatur<br />

hat für mich sehr viel Bedeutung“, sagt sie.<br />

Die Leserschaft ihres Romans wirddeshalb<br />

auch Anklänge andie russische Mystik und<br />

die tschechische Fantastik finden.<br />

Damit kann man für die Lektüre eines der<br />

ungewöhnlichsten Romane dieses Herbstes<br />

eines mit Sicherheit versprechen: Langweilig<br />

wirdeseinem dabei nicht. e<br />

<strong>Kulturmagazin</strong> 75


„Ich arbeite<br />

aus der Musik<br />

heraus“<br />

Der neue Chef des Staatsballetts<br />

Martin Schläpfer über das Glück,<br />

auch in einer schwierigen Zeit<br />

künstlerisch tätig sein zu können.<br />

Interview: Isabella Leitenmüller-Wallnöfer<br />

KlareHandschrift. Martin Schläpfer<br />

will das klassische Repertoirefür<br />

Zeitgenössisches öffnen.<br />

Fotos: Tillmann Franzen;<br />

76 <strong>Kulturmagazin</strong>


Er stammt aus einer Appenzeller Bauernfamilie und<br />

brachteseine Familie mit seinem Berufswunsch ausdem<br />

Konzept.Seiner Sturheit verdankt er eine steile Tanzkarriere–zunächst<br />

als Solotänzer in Basel und Kanada, später<br />

als gefeierter Choreograf. Seit Anfang September dieses Jahres<br />

ist der Schweizer Martin Schläpfer nun Chef des Wiener<br />

Staatsballetts –und somit für die Ballettcompagnien von Staatsoper<br />

und Volksoper zuständig. Am 24. November ist in der<br />

Staatsoper seine ersteWiener Premierezusehen: „Mahler,live“.<br />

Wiesind Sie in Wien angekommen?<br />

Wenn man es trenntvon der Situation um Covid, dann geht’smir<br />

gut.Ich fühle mich wohl in Wien. Aber es istjanicht möglich, das<br />

zu trennen. Ich bin dankbar, dass wir überhaupt versuchen dürfen,<br />

in dieser Situation aufdie Bühne zu gehen und unsereArbeit<br />

zu machen. Das istnicht selbstverständlich...<br />

DieMetropolitan Opera bleibt nochein ganzes Jahr langzu.<br />

Die MET finanziert sich zum Großteil von privatem Geld, nicht<br />

vonSubventionen. WiehartdiesesModell in einer Kriseist,zeigt<br />

sich jetzt. Für die Kunst und die Gesellschaft ist das ein immenser<br />

Schaden. Zugleich müssen wir uns bewusst sein, dass die<br />

Künstler und Mitarbeiter, die nun alle auf der Straße stehen, das<br />

Schicksal mit so vielen Menschen teilen, über die man nicht<br />

redet und die ihre Arbeit und damit Lebensgrundlage ebenfalls<br />

verlieren. Wir sprechen auch in unserem Ensemble immer wieder<br />

darüber, was für ein Glück es ist, arbeiten zu dürfen. Auf der<br />

anderen Seitehat es aber auch eine wichtigeSignalwirkung nach<br />

außen, Vorstellungen zu machen. Und ich spüre schon eine sehr<br />

große Freude bei den Tänzerinnen und Tänzern, dass sie zurück<br />

im Ballettsaal sein dürfen –und natürlich aufder Bühne.<br />

Sind alle aufdas Virusgetestet?<br />

Alle Künstlerinnen und Künstler werden wöchentlich getestet.<br />

Undwir tragen Masken.<br />

DieTänzer tragenbeim Proben eine Maske?<br />

Wirachten sehr darauf, dass so weit wie möglich auch beim Training<br />

und den Proben alle einen Mund-Nasen-Schutz tragen. Das<br />

ist von der Atmung her eine große Herausforderung. Und es<br />

macht auch psychisch etwas: Es ist eine Last, von der man sich<br />

ab und zu befreien muss. Dann machen wir Pause.<br />

Arbeiten Sie schon an „4“,das Sie im Novemberander Staatsoperuraufführen<br />

werden?<br />

Ich habe begonnen, in kleinen Nischen zu kreieren, weil die Zeit<br />

knapp ist. Und wir proben parallel auch schon Balanchine und<br />

Robbins für den Frühling.AbOktober kann ich dann hoffentlich<br />

mehr in die Tiefearbeiten.<br />

Sie choreografieren zu Gustav Mahlers Symphonie Nr. 4<br />

G-Dur.<br />

Ich habe in meiner Karriere bisher nur wenige Handlungsballette<br />

gemacht: den „Feuervogel“ und „Schwanensee“. Natürlich<br />

habe ich aber schon auch Geschichten erzählt wie in „Appenzellertänze“.<br />

Es ist also nicht so, dass ich nur dem puren Tanz verfallen<br />

wäre. Aber grundsätzlich choreografiere ich<br />

aus der Musik heraus. Für meinen Antritt in Wien ist<br />

es Mahlers 4. Symphonie. Sie hat eine große Leichtigkeit,<br />

aber ist ineinem schönen Sinne auch hintergründig<br />

und ein bisschen hinterhältig. Das passt gut<br />

zu einer Eröffnung.<br />

Und dann ist da natürlich auch die Bedeutung<br />

Mahlersfür die Wiener Staatsoper.<br />

Ja,aber das warfür mich weniger der Beweggrund als<br />

das Wissen, dass das Wiener Staatsopernorchester<br />

diese Musik grandios spielen wird. Ich möchte, dass<br />

dieses wunderbare Orchester gern für den Tanz<br />

Tipp<br />

„Mahler,live“. Martin Schläpfers<br />

erste Premierefindet am<br />

24. November in der Wiener<br />

Staatsoper statt.Hans van<br />

Manens „Live“ sowie die Uraufführung<br />

„4“ –zuMahlers<br />

4. Symphonie –sind zu sehen.<br />

Am 30. Jänner ist in der<br />

Volksoper „Ein deutsches<br />

Requiem“ zu erleben.<br />

spielt. Das ist jainder Ballettliteratur, was das kompositorische<br />

Niveau angeht, leider nicht immer gewährleistet. Natürlich ist<br />

„Giselle“ ein dramaturgisch perfektes und sehr berührendes<br />

Stück, aber die Musik von Adolphe Adam ist für die meisten<br />

Musiker nicht geradeeine Lieblingskomposition (lacht).<br />

Vor Ihrem Stück wird beim Ballettabend Hans van Manens<br />

„Live“ gezeigt.<br />

„Live“ ist eine bahnbrechende Arbeit, die van Manen bisher ausschließlich<br />

vomNiederländischen Nationalballett in Amsterdam<br />

hattanzen lassen. Wirerleben eine Ballerina, die gefilmt und auf<br />

eine Leinwand projiziertwird. Mansieht sie live undgleichzeitig<br />

im Film aufder Bühne, im Film im Ballettsaal, und am Ende geht<br />

sie ins Foyer, trifft dort einen Tänzer und entschwindet hinaus<br />

ins nächtliche Wien. Dazu spielt die Pianistin Schaghajegh Nosrati<br />

Franz Liszt amKlavier. Sie ist eine großartige Musikerin!<br />

Nach der Pause kommt dann meine Auseinandersetzung mit<br />

Gustav Mahler, inder die gesamte Compagnie tanzt. Dazu spielt<br />

das große Orchester. Ist das nicht eine wunderschöne Kombination?<br />

Wiekommt es, dass Hansvan Manen Ihnendieses Stücküberantwortet<br />

hat?<br />

Hans und ich sind sehr gut befreundet, allerdings noch nicht so<br />

lang.Als Tänzer in den 1980er-Jahren, aber auch als Direktor war<br />

ich zunächst voller Scheu und Respekt,denn Hans vanManenist<br />

ein wirklich großer Choreograf und ich bin in der Regel nicht<br />

kumpelhaft. Ich habe mit dem Ballett am Rhein dann aber jährlich<br />

einen vanManen gezeigt. Undsein bisher letztes Werk –„Alltag“<br />

–hat er für mich kreiert. Da ging ich mit 56 noch einmal als<br />

Tänzer auf die Bühne. Mit „Live“ hat er 1979 ein Schlüsselwerk<br />

geschaffen. Also habe ich ihn gefragt, ob wir es tanzen dürfen.<br />

Ich finde dieses Ballett wunderbar –und möchte als Direktor,<br />

dass in Wien etwasExklusivespassiert.<br />

In „4“ wollen Sie alle Tänzer aufdie Bühne holen?<br />

Ich will primär ein gutes Ballett machen. Aber das bedingt auch,<br />

dass ich als Direktor mit allen arbeite. Nursolernt man einander<br />

kennen. Ich hoffe, dass ich es schaffe, alle zusammen auf der<br />

Bühne zu zeigen. Das gab’s in Wien noch nie!<br />

WieschaffenSie denBrückenschlagzwischenden Häusern?<br />

Ichbemühe mich, auch viel an der Volksoper präsent zu sein. Ich<br />

gebe dort genauso viele Trainings wie an der Staatsoper. Aber<br />

schlussendlich ist man natürlich geografisch getrennt innerhalb<br />

der Stadt. Eine Gesamteinheit hinzukriegenist sehr vielArbeit.<br />

WiesorgenSie dafür,dass die Tänzerinnenund Tänzer Ihrem<br />

Stil,Ihren Vorstellungengerecht werden?<br />

Das passiert mit der Zeit automatisch. Ich lege inmeinen Trainings<br />

die Grundlagen für das, was ich für meine Choreografien<br />

brauche, zugleich bleiben diese ein akademisches Balletttraining.<br />

Wenn ich choreografiere, versuche ich das, was man Stil<br />

oder Handschrift nennt, herauszuarbeiten, sonst wird es ein<br />

Stück wie jedesandere.<br />

WiegehtesIhnenindieserArbeit mit denTänzern?<br />

Die meisten Tänzerinnen und Tänzer des Wiener<br />

Staatsballetts erleben gerade zum ersten Mal, wie<br />

ich arbeite, ihr Körper und ihr Geist müssen sich<br />

zum ersten Mal mit meinem Schrittmaterial auseinandersetzen.<br />

Eine für mich und hoffentlich auch für<br />

sie spannende, aber auch fordernde Erfahrung.<br />

Gleichzeitig gibt mir ihr Künstlersein auch einen<br />

inspirierenden Impetus, anders zu reagieren, im<br />

besten Fall anders zu choreografieren. Wenn ich<br />

spüre, dass jemand neben seinem Können auch<br />

seine Persönlichkeit mit in den Kreationsprozess<br />

einbringt, wirdeswirklich interessant. e<br />

<strong>Kulturmagazin</strong> 77


Kulturelles<br />

Neuland<br />

Neue Impulse setzen und die Szene vor Ort<br />

mit präziser Förderung stärken: Dazu will die<br />

Kulturstiftung Kärtnen künftig beitragen.<br />

Text: Daniel Kalt<br />

Porträt: Christine Pichler<br />

Engagiert. Julia Malischnig (l.)<br />

veranstaltet ein Gitarrenfestival in<br />

Millstatt,MonikaKircher gehört als Ko-<br />

Initiatorin dem Stiftungsvorstand an.<br />

Produktbiler: Beigestellt;<br />

78 <strong>Kulturmagazin</strong>


Unsere Vision war stets, ein Kulturland<br />

Kärnten zu schaffen“, blickt<br />

die ehemalige Kulturpolitikerin<br />

und Geschäftsfrau Monika Kircher<br />

zurück auf die dreijährige Entwicklungsarbeit<br />

der Kärntner Kulturstiftung, die seit<br />

Ende 2019 operativ ist. Eigentlich wollte<br />

die Stiftung ihr hauptsächliches Ziel, nämlich<br />

Kulturschaffende zu fördern, zu vernetzen<br />

und ihnen das Selbstvertrauen für<br />

die Einforderung vonWertschätzung sowie<br />

Entlohnung ihrer Arbeit zu vermitteln,<br />

schon mit einem Fördercall im vergangenen<br />

Frühjahr breitenwirksam ansteuern.<br />

Doch dann kam: das vergangene Frühjahr.<br />

Wie vieles andere haben sich die Vorstellung<br />

des Calls, die Neuformulierung des<br />

Themas „Umbrüche“ und damit die Präsentation<br />

der Kulturstiftung um ein halbes Jahr<br />

nach hinten verschoben. Im September tratenMonika<br />

Kircher sowie die Ko-Initiatoren<br />

Ina MariaLerchbaumer und Adolf Rausch in<br />

Wien bei einer Pressekonferenz gemeinsam<br />

auf, um die österreichweite Geltung der<br />

Initiative zu untermauern. Zeitgleich startete<br />

der erste Themencall, der nun bis<br />

<strong>10</strong>.Dezember läuft.<br />

Großprojekte erwünscht. Die Kulturstiftung<br />

Kärnten beansprucht für sich, und<br />

das ist einigermaßen überraschend, die<br />

erste nicht personen- oder nachlassbezogene<br />

Stiftung ihrer Art bundesweit zu sein.<br />

Das Land Kärnten beteiligte sich mit<br />

50.000 Euro an der Gründung; ob der<br />

Bund mitzahlen wird, ist noch in Abklärung.<br />

Der Löwenanteil der Geldmittel<br />

kommt also vonprivatenFinanciers.<br />

Die großen Ausschreibungen richten sich<br />

an Kulturschaffende mit Wohnsitz inganz<br />

Österreich; die Umsetzung aber soll unbedingt<br />

inKärnten erfolgen. Aus der relativ<br />

hoch angesetzten Mindestfördersumme,<br />

30.000 Euro pro Projekt bei einer anvisierten<br />

Gesamtsumme von 200.000 Euro pro<br />

Durchlauf, ergibt sich ein klares Profil hinsichtlich<br />

Größe und Professionalitätsgrad.<br />

„Wir erhoffen uns Mut und Courage, und<br />

dass Kulturschaffende sich etwas Spezifisches<br />

überlegen, sodass jeder Call klare<br />

Impulse setzen kann“, sagtJulia Malischnig.<br />

Sie ist klassische Gitarristin und Initiatorin<br />

des inMillstatt stattfindenden Festivals „La<br />

guitarra esencial“, außerdem Mitglied des<br />

Kuratoriums, das die zur Förderung emp-<br />

fohlenen Projekte auswählt. „Hier zählen<br />

die künstlerische Qualität, der visionäre<br />

Charakter und die Glaubwürdigkeit im<br />

jeweiligen Zusammenhang“, präzisiert<br />

Malischnig. Die relativ hoch angesetzten<br />

Fördersummen sollen entsprechend ambitionierte<br />

Einreichungen ermöglichen.<br />

„Es geht ganz klar nicht darum, die Politik<br />

aus ihrer Verantwortung zu entlassen“,<br />

sagt Monika Kircher, langjährige Vizebürgermeisterin<br />

von Villach und spätere Vorstandsvorsitzende<br />

der Infineon. Die derzeit<br />

zur Verfügung stehenden 1,5 Millionen<br />

Euro für drei Jahre sollen, so die Hoffnung,<br />

bald gesteigert werden. Um die Attraktivität<br />

für potenzielle Geldgeber zu erhöhen,<br />

sei, so Kircher, eine Überarbeitung des Stiftungsrechts<br />

etwa hinsichtlich der steuerlichen<br />

Absetzbarkeit wünschenswert.<br />

Tipp<br />

„Umbrüche“. Der erste Call<br />

der Kärntner Kulturstiftung<br />

läuft bis <strong>10</strong>. Dezember <strong>2020</strong>.<br />

Proausgewähltem Projekt<br />

werden mindestens 30.000<br />

Euroausgeschüttet,insgesamt<br />

werden 200.000 Euro<br />

vergeben. Projekte sollen in<br />

Kärnten realisiert werden,<br />

mehr auf www.kulturstiftung.at<br />

Als imFrühjahr vielen freiberuflichen Kulturschaffenden<br />

die finanzielle Lebensgrundlage<br />

vorübergehend verloren ging,<br />

schüttete die Stiftung 60.000 Euro über<br />

einen Solidaritätsfonds aus. „Uns war wichtig,<br />

Künstlern eine Möglichkeit zu geben,<br />

sichadäquat zu betätigen“, sagtMonikaKircher.<br />

Das Ergebnis sind zwei CDs, die das<br />

Kärntner Panorama einmal literarisch<br />

(„Koronar“), einmal musikalisch („RecordingsofNow“)<br />

erschließensollen.<br />

Auch hier folgte man den drei Leitbildern<br />

der Kulturstiftung, nämlich „Schätzen, Fördern<br />

und Vernetzen“, wie Kircher mehrmals<br />

betont. „Fördern ist klar, vernetzen<br />

möchten wir etwa mit Symposien und<br />

Informationsveranstaltungen, beim Schätzen<br />

geht es um das Ernstnehmen und die<br />

adäquate Entlohnung“, präzisiert sie und<br />

„Wir erhoffen uns Mutund Courageder Kulturschaffenden,<br />

sodass jeder Call klareImpulse setzt.“<br />

Kärntnerlied. Julia Malischnigs neues Album<br />

„Canti Carinthiae“, via juliamalischnig.com<br />

Wortgewalt. Kärntner Hörtexte „Koronar.Literarische<br />

Nachrichten aus der Herzgegend“.<br />

gibt ein Beispiel: „Niemand würde auf die<br />

Idee kommen, eine Anwaltskanzlei bei<br />

einer Charity-Auktion darum zubitten, ein<br />

Stundenkontingent zu spenden. Dass<br />

Künstlerinnen und Künstler ihre Werke<br />

auktionieren lassen, ist hingegen selbstverständlich.“<br />

Die Bedürfnisse und Ansprüche von freien<br />

Kulturschaffenden decken eine große<br />

Bandbreite ab. „Viele wissen nicht einmal,<br />

welche Förderungen zur Verfügung stehen<br />

würden –oder sie haben nicht die Zeitressourcen<br />

für komplizierte Ansuchen“, sagt<br />

Julia Malischnig, die als Festivalorganisatorin<br />

aus Erfahrung sprechen dürfte. Zielgerichtete<br />

Informationsveranstaltungen sollen<br />

hier Licht ins Dunkel bringen.<br />

Neue Szenen. Wenn die Auswahl der ersten<br />

geförderten Projekte Anfang 2021 feststeht<br />

und es bisspätestens 2022 zur Umsetzung<br />

gekommen ist, wird sich absehen lassen,<br />

wasdie Tätigkeit der Kulturstiftung für<br />

Kärnten wirklich bedeutet. Das Potenzial<br />

ist klar gegeben: Einerseits könnten große<br />

Projekte mit Leuchtturmwirkung ins Land<br />

geholt werden, die ergänzend zum existierenden<br />

Kulturbetrieb und vereinzelten<br />

Sommerirrlichtern bislang unterrepräsentierte<br />

Sparten abdecken. Zum anderen<br />

könnte man so das Entstehen neuer Szenen<br />

ermöglichen, die in der aktuellen Konfiguration<br />

unterrepräsentiert sind. Beides<br />

würde dem Land mittelfristig ein neues<br />

Profil geben. Beider Vorstellung desersten<br />

Themencalls sprühten alle Beteiligten<br />

jedenfalls noch vor Zuversicht. Und das ist<br />

ja schon einmal ein guter Anfang. e<br />

<strong>Kulturmagazin</strong> 79


Milieuporträtismus. „Schwitzkasten“ von<br />

John Cook zeigt ein Arbeiterleben.<br />

Die Wiege des<br />

Austroautorenfilms<br />

Die Anfänge des österreichischen Autorenkinos<br />

waren kein Zuckerschlecken. Bei der<br />

diesjährigen Viennale kann man die Früchte des<br />

Zorns seiner Vorreiter sichten.<br />

Text: Andrey Arnold<br />

Fotos: Viennale<br />

80 <strong>Kulturmagazin</strong>


Österreich ist stolz auf sein Autorenkino. Auf<br />

das Wichtig-Wuchtige, das bei A-Festivals<br />

Preise abräumt. Und auf das Termitenhafte,<br />

das heimlich im Unterholz wurlt: Die eigenwilligen<br />

Dokus und schillernden Avantgardepreziosen, die<br />

hierzulande sprießen wie die Eierschwammerl. Ob diese<br />

bemerkenswert „lebendige Filmkultur“, mit der sich die<br />

Politik gerne brüstet, wirklich ausreichend unterstützt<br />

wird? Das steht auf einem anderen Blatt. Aber stolz?<br />

Stolz istman allemal.<br />

Das war nicht immer so. Während die offizielle Anerkennung<br />

und Förderung des Films als künstlerische Ausdrucksform<br />

jenseits rein kommerzieller (oder staatstragender)<br />

Interessen in Ländern wie Italien, Frankreich<br />

und Deutschland schon in den 1960ern einsetzte, dauerte<br />

es in hiesigen Gefilden etwas länger. Erst einmal<br />

musste der Hut brennen. Und das war spätestens 1970<br />

der Fall. „Der kommerzielle österreichische Film lag am<br />

Boden“, notiert Florian Widegger, Kurator der Filmarchiv-Retrospektive<br />

„AustrianAuteurs“, die bei der diesjährigen<br />

Viennale ein Schlaglicht aufeine vergessene Ära<br />

heimischen Kunstfilmschaffens wirft. „Heimatfilme, mit<br />

denen man in der Nachkriegszeit viel Geld verdienen<br />

konnte, zogen nicht mehr –auch aufgrund des Konkurrenzmediums<br />

Fernsehen, das sich unter dem ORF-Intendanten<br />

Gerd Bacher erstaunliche Freiheiten erlaubte.“<br />

Frischzellenkur. Freiheiten, die der Lichtspielproduktion<br />

in der Regel versagt blieben.<br />

Und die auf angehende Filmschaffende<br />

immer verlockender wirkten: Bilderstürmerische<br />

„Neue Wellen“ waren<br />

geradedabei,die Leinwände europäischer<br />

Programmkinos durchzuwalken. Auch<br />

wagemutige Miniaturen werdender Austrokunstkinolegenden<br />

wie Peter Kubelka<br />

und Valie Export erregten erstes internationales Aufsehen.<br />

Die Vorstellung, dass eine enthemmende Frischzellenkur<br />

auch der darbenden Ösifilmindustrie gut tun<br />

könnte, schien plötzlich nicht mehr so abwegig.Auch aus<br />

diesem Grund setzte esseitens der SPÖ-Alleinregierung<br />

erste Impulse in Richtung einer ernst zu nehmenden<br />

Filmförderung.<br />

Doch schon bevor diese Bestrebungen 1980 in Form<br />

eines Filmfördergesetzes provisorische Früchte trugen,<br />

hatte sich eine Handvoll inspirierter Außenseiter an<br />

unkonventionellen Laufbildarbeitenversucht,deren persönliche<br />

Handschrift und Welthaltigkeit bis heute<br />

berückt. Und die ohne große Übertreibung als opferbereite<br />

Vorreiter der heimischen Autorenfilmidee bezeichnet<br />

werden können. Viele von ihnen waren als Filmemacher<br />

unbeleckt, kamen aus anderen künstlerischen<br />

Zusammenhängen. Und hatten, wie man heute sagen<br />

Heimatfilme, mit denen<br />

man in der Nachkriegszeit<br />

viel Geld verdienen konnte,<br />

zogennicht mehr.<br />

würde, Migrationshintergrund. Der Autodidakt John<br />

Cook war Fotograf: Aus Kanada verschlug es ihn via<br />

Frankreich nach Österreich. Der gebürtigeAserbaidschaner<br />

Mansur Madavibegann seine Laufbahn an der Akademie<br />

der bildenden Künste. DergriechischstämmigeAntonisLepeniotis<br />

kam vomTheater. Vielleicht waresgerade<br />

diese doppelte Außenperspektive, die dem Filmschaffen<br />

dieser Quereinsteiger eine visionäre Note verlieh. Jedenfalls<br />

fasste esdas „Österreichische“ oft eindringlicher als<br />

manch ein Erzeugnis autochthoner Kollegen. Nicht<br />

zuletzt, weil es bereit war, wunde Punkte inden Blick zu<br />

nehmen –und ästhetische Akzentezusetzen.<br />

Ungschamige Lockerheit. Mansur Madavis„Die glücklichen<br />

Minuten des Georg Hauser“ (1974) wirkt aus heutiger<br />

Sicht etwa wie eine Blaupause jener präzis abgezirkelten<br />

Sittengemälde mit sozialkritischem Einschlag, die<br />

mittlerweile zum nahezu abgenudelten Markenzeichen<br />

des heimischen Festivalkinos geworden sind. Da kann<br />

man einem braven Durchschnittsbürger dabei zusehen,<br />

wie er von seinem monotonen (Arbeits-)Alltag in Wahnsinn<br />

und Zerstörungswut getrieben wird. Gesprochen<br />

wird wenig, umso ausdrucksstärker ist die unterkühlte<br />

Bildsprache.<br />

„Schwitzkasten“ von John Cook (1978) besticht indes mit<br />

einer ungschamigen Lockerheit, die ihresgleichen sucht.<br />

Die rohe Bummelantenpoesie von Cooks Spielfilmdebüt<br />

„Langsamer Sommer“ (1974) weicht hier<br />

zwar einem bekömmlicheren Milieuporträtismus,<br />

doch die Erzählung hat immer<br />

noch keine richtige Zielsetzung, folgt<br />

schlicht den Versuchen der Hauptfigur<br />

Hermann, ein lebenswertes Auskommen<br />

als Arbeiter in Wien zu finden. Sie skizziert<br />

seine familiären Probleme und brüchigen<br />

Liebschaften, ohne die Perspektiven<br />

und Lebensbedingungen der zahlreichen Nebenfiguren<br />

auszublenden. Tonfall und Gebaren wirkendabei<br />

durchweg authentisch, weil zwanglos und unverblümt –<br />

gleichwohl sich Cook über die parasitären Praktiken<br />

„engagierter Künstler“ lustig macht, die ihre Produkte<br />

mit proletarischem Kolorit aufwerten. Neben „Georg<br />

Hauser“ mutet „Schwitzkasten“ mit seinem Humor und<br />

den oft luftig-lauen Stadtkulissen zwar wie ein regelrechtes<br />

Freudenfest an; hinsichtlich Güte und Gerechtigkeit<br />

heimischer Verhältnisse macht er sich aber keine Illusionen.<br />

Auch das Werk Antonis Lepeniotis’ hält mit kritischen<br />

Ansichten nicht hinterm Berg. Ein Grund, warum<br />

die genannten Filme weder beim Publikum noch bei<br />

potenziellen Geldgebern übermäßigen Anklang fanden.<br />

Dafür unterstützen sich ihre Urheber gegenseitig: „Viele<br />

der Filmemacher, deren Arbeiten wir zeigen, kannten<br />

sich untereinander“, so Widegger. „Achtet man auf die<br />

<strong>Kulturmagazin</strong> 81<br />

»


Dokufiktion.<br />

Angela SummeredersFilm<br />

„Zechmeister“<br />

(1979)<br />

handelt von<br />

einem realen<br />

Gerichtsfall.<br />

„Viele haben sich gedacht: Die spinnt.Was will diesesjunge<br />

Madlohne Ausbildung?Aber ich warwahnsinnig beharrlich.“<br />

Angela Summereder<br />

»<br />

Namen in jedem Abspann, lässt sich ein Netzder Verbundenheit<br />

spinnen.“ Von Karrieren kann dennoch keine<br />

Rede sein: Die meisten Filmografien der „Austrian<br />

Auteurs“ verliefen sich, bevor sie ernstlich Fahrt aufnehmen<br />

konnten. Eine, die trotzallem weitergemacht hat, ist<br />

Angela Summereder. Dabei hatte sie es nicht leichter als<br />

ihremännlichen Kollegen–eher im Gegenteil. Ihr außergewöhnliches<br />

Debüt „Zechmeister“ (1981) stemmte sie<br />

gegen immensen Widerstand, dem sie bereits imZuge<br />

ihres Filmakademie-Studiums begegnete, wie die Filmemacherin<br />

dem „<strong>Kulturmagazin</strong>“erzählt.<br />

Das Sujet –der reale Gerichtsfall einer Frau, die 1948<br />

beschuldigtwurde, ihren Mann vergiftet zu haben –hatte<br />

Summereder schon für ihre Aufnahmeprüfung aufs<br />

Tapet gebracht. Esstieß jedoch auf wenig Gegenliebe,<br />

auch aufgrund der intendierten Ästhetik: Eine mit Stimmungsbildern<br />

und Verfremdungseffekten angereicherte<br />

Dokufiktion. Nach Summereders Filmhochschulrauswurf<br />

wagtesie den Alleingang.„Viele haben sich gedacht:<br />

Die spinnt. Was will dieses junge Madl ohne Ausbildung?<br />

Aber ich warwahnsinnig beharrlich.“<br />

Das Unverständnis der künstlerischen und feministischen<br />

Ansprüche der Erstlingsregisseurin (etwa ihr<br />

unbedingtesBedürfnis, mit einer Kamerafrau zu drehen)<br />

war auch beim Förderbeirat groß. Umsetzen konnte<br />

Summereder den Film nicht zuletzt dank Fürsprecherinnen<br />

wie der Produktionsleiterin Monika Maruschko.<br />

Heute sticht die formale Radikalität von „Zechmeister“<br />

selbst im Kontext der Retrospektive heraus. Dementspre-<br />

Tipp<br />

Viennale <strong>2020</strong>. Die 58. Viennale<br />

findet vom 22. Oktober<br />

bis 1. November unter Covid-<br />

Sicherheitsbestimmungen<br />

statt,mehr dazu auf der<br />

Homepage.Fünf Titel der<br />

„Austrian Auteurs“ sind bei<br />

der Viennale zu sehen, zehn<br />

weiteredarüber hinaus im<br />

MetroKino. www.viennale .at<br />

chend fühlte sich Angela Summereder, eine gebürtige<br />

Oberösterreicherin, nie als Teil einer filmischen Clique<br />

oder Bewegung –auch weil diese weitgehend männlich<br />

bestimmt waren. „Zechmeister“ lief bei den Berliner<br />

Filmfestspielen, wo sogar das nicht gerade avantgardeaffine<br />

„Variety“ dem Ausnahmestreifen Chancen auf ein<br />

Globalrenommee attestierte. Doch in Österreich erntete<br />

er hauptsächlich ungläubige Blicke. Eine entgeisternde<br />

Erfahrung für Summereder, die erst Jahrzehnte später<br />

wieder ein längeres Projekt („Jobcenter“) anging. Auch,<br />

weil sie dazwischen Mutter wurde: „Die Möglichkeiten,<br />

Familie und Filmtätigkeit zu verbinden, waren damals<br />

enorm eingeschränkt.“<br />

Reine Oberflächenveredelung. Nun ist aber alles besser,oder?Kaum,<br />

meint die 62-Jährige. Vieles, wasaktuell<br />

als Fortschritt deklariert wird, empfindet sie als reine<br />

Oberflächenveredelung. „Als gravierendste Veränderung<br />

der Filmlandschaft sehe ich das<br />

inzwischen flächendeckende Einverständnis<br />

darüber,Film nurnoch als Ware für einen Markt<br />

zu verstehen, der auch ein Festivalmarkt sein<br />

kann –nicht mehr als Ausdrucks- oder Verständigungsmittel<br />

im gesellschaftlichen Diskurs.”<br />

Wenn das stimmt, sind mutige Filmemacherinnen<br />

und Filmemacher aus Österreich mehr<br />

denn je gefragt, ihrer Kunst eigenständigeWege<br />

zu bahnen – und diese dann auch zu beschreiten.<br />

e<br />

Fotos: Viennale<br />

82 <strong>Kulturmagazin</strong>


DEUTSCHSPRACHIGE ERSTAUFFÜHRUNG<br />

CHRISTOPH<br />

KOLUMBUS<br />

von Miroslav Krleža<br />

Inszenierung Rene Medvešek<br />

Eine internationale und mehrsprachige Koproduktion<br />

mit den Vereinigten Bühnen Bozen<br />

Vorstellungen: 28.11., 03. und 04.12.<strong>2020</strong><br />

und <strong>10</strong>.02.2021<br />

www.landestheater.net


„Futur 3“. Junge persischstämmige Leute in der deutschen<br />

Provinz: Zu sehen im Ersatzprogramm des Crossing Europe.<br />

„Cat in the Wall“. Gleich zwei Festivals zeigen den gefeierten<br />

Film über Nachbarschaft und soziale Gräben in London.<br />

„Jackie und Oopjen“. Flotte Verfolgungstour mit der<br />

Lady aus dem Rembrandt-Bild.<br />

„Old Man Cartoon Movie“. Absurder Puppentrickspaß<br />

aus Estland über das wilde Landleben.<br />

„Mein Bruder jagt Dinosaurier“. Cool sein trotz Brudersmit<br />

Behinderung? Eine Romanverfilmung aus Italien.<br />

„Crescendo“. Peter Simonischek lässt junge Orchestermusiker<br />

aus Israel und Palästina aneinanderkrachen.<br />

„The Earth Is Blue as an Orange“. Eine ukrainische Familie<br />

verarbeitet die Kriegswirren in einem selbst gedrehten Film.<br />

84 <strong>Kulturmagazin</strong>


Fotos: sixpackfilm (3), Dinand van der Wal, Vision Distribution, Stadtkino Filmverleih/CCC/Oliver Oppitz, This Human World<br />

Das bringt der<br />

Filmfestival-Herbst<br />

Die Viennale ist nicht alles: Längst hat sich –<br />

nicht nur inWien –eine Reihe kleinerer<br />

Festivals etabliert. Auszüge aus dem<br />

Filmprogramm, von absurd bis berührend.<br />

Text: Katrin Nussmayr<br />

Als Jack ein kleines Kind ist, ist er<br />

der größte Fan seines Baby-Bruders:<br />

Gio sei nämlich so etwas<br />

Ähnliches wie ein Superheld,<br />

erklären ihm die Eltern. Als Teenager, als<br />

Jack längst erkannt hat, dass der kleine Gio<br />

das Down-Syndrom hat, schämt er sich für<br />

ihn. Und als er sich in ein Mädchen verliebt,<br />

behauptet er gar, sein Bruder sei tot.<br />

Der italienische Film „Mein Bruder jagt<br />

Dinosaurier“ erzählt warmherzig und witzig<br />

vom Erwachsenwerden, Freundschaft<br />

und Inklusion – eine mehrere Tausend<br />

Köpfe zählende Jugendjury hat ihn beim<br />

Europäischen Filmpreis gar zum besten<br />

Kinderfilm des Jahres gewählt. ImNovember<br />

ist er auf der großen Leinwand zu<br />

sehen, als einer jener Filme, die beim Wiener<br />

Kinderfilmfestival ein Fenster zur Welt<br />

öffnen sollen.<br />

Das Besondere andiesem Festival ist nicht<br />

nur die Filmauswahl, die sich an ein junges<br />

Publikum richtet (und ältere Generationen<br />

genauso verzücken könnte), sondern auch,<br />

wie die Filme aus unterschiedlichen Ländern<br />

präsentiert werden: Gezeigt werden<br />

in den Vor- und Nachmittagsvorstellungen<br />

großteils Originalfassungen, die direkt im<br />

Kino live auf Deutsch eingesprochen werden.<br />

Eröffnet wird der Reigen am<br />

14. November mit der niederländischen<br />

Komödie „Jackie und Oopjen“: Darin büxt<br />

die von Rembrandt in Öl auf Leinwand<br />

gemalte, schwarz gewandete Braut Oopjen<br />

aus ihrem Rahmen aus und düst mit einem<br />

12-jährigen Mädchen durch Amsterdam –<br />

verfolgtvon zwei Kunsträubern...<br />

Der Herbst ist eine Saison der Filmfestivals<br />

–und während die große Aufmerksamkeit<br />

der filmliebenden Städter meist der Viennale<br />

gilt, sind auch kleine Institutionen mit<br />

ihren eigenständigen Programmen zur<br />

Marke geworden. Einen wichtigen Stellenwert<br />

im heimischen Festivalkalender hat<br />

das Linzer Crossing Europe, das auf europäische<br />

Filme konzentriert ist –und Perlen<br />

nach Österreich bringt, die uns sonst wohl<br />

verwehrt blieben, schafft doch nur ein<br />

Bruchteil jener Filme, die in Europa produziertwerden,<br />

einen Kinostartbei uns. Seine<br />

geplante Ausgabe im März musste das Festival<br />

absagen, die Highlights aus dem Programm<br />

werden nun häppchenweise serviert:<br />

Im Wiener Filmmuseum wird etwa<br />

das Drama „Bait“ vom Briten Mark Jenkin<br />

gezeigt (18. <strong>10</strong>.), das bei der Berlinale überzeugte<br />

und einen Bafta-Preis gewann. Im<br />

Wiener Stadtkino gibt es das absurd-komische<br />

Puppentrickabenteuer „Old Man Cartoon<br />

Movie“ aus Estland zu sehen (21. 11.):<br />

Eine ausgekommene Milchkuh droht darin<br />

mit der „Lactokalypse“. Im Linzer City-Kino<br />

präsentiert das Festival jeden Dienstag<br />

einen Film ausdem abgesagtenProgramm.<br />

Etwa den deutschen Coming-of-Age-Film<br />

Tipps<br />

Crossing Europe. Das Festival im März<br />

wurde abgesagt,die Programmhighlights<br />

gibt’s über den ganzen Herbst<br />

verteilt in Kinos –nicht nur in Linz.<br />

crossingeurope.at<br />

Jüdisches Filmfestival. Noch bis<br />

21.Oktober in Wien. www.jfw.at<br />

Internationales Kinderfilmfestival.<br />

14.–22. November in Wien; 21.– 29.<br />

November in vier steirischen Städten.<br />

kinderfilmfestival.at<br />

IFFI. International Film Festival Innsbruck:<br />

3.–8. 11., iffi.at<br />

ThisHuman World. 3.–13. 12. in Wien.<br />

thishumanworld.com<br />

K3. 9.–13. Dezember in Villach.<br />

k3filmfestival.com<br />

„Futur 3“ (24. 11.) über drei zerrissene junge<br />

Menschen iranischer Herkunft in der niedersächsischen<br />

Provinz. Oder den Festivalhit<br />

„Cat in the Wall“ (27. <strong>10</strong>.): Über eine<br />

Katze, die in einem Londoner Gemeindebau<br />

inder Mauer feststeckt, wird hier von<br />

sozialen Klüften, Gentrifizierung und dem<br />

Konflikt zwischen britischer Arbeiterklasse<br />

und zugezogenen Migranten erzählt.<br />

Der Film wird im Dezember auch beim<br />

„This Human World“ zu sehen sein, einem<br />

Festival, das sich stets um globale Menschenrechtsthemen<br />

dreht. Im Programm<br />

istdortauch die Doku„The EarthIsBlue as<br />

an Orange“ über eine ukrainische Familie,<br />

die, umringtvon Kriegund Soldaten, einen<br />

Film dreht. Das Festival will heuer einige<br />

Filme auch über einen Onlinestream<br />

zugänglich machen, Publikumsgespräche<br />

finden via Videokonferenz statt.<br />

Irre Klimaanlagen. Das größte Filmfestival<br />

im Westen des Landes ist das IFFI, das<br />

Internationale Film Festival Innsbruck.<br />

Statt bereits imFrühling findet eine verkleinerte<br />

Ausgabe im November statt.<br />

Rund 60 Filme werden gezeigt, einige<br />

davon imWettbewerb um den Spielfilmpreisdes<br />

LandesTirol, darunter das peruanische<br />

Kinderhandel-Drama „Song Without<br />

aName“ und das jazzige, magisch-gewitzte„Ar<br />

condicionado“aus Angola: Darin<br />

haben die Klimaanlagen von Luanda<br />

scheinbar beschlossen, kollektiv aus ihren<br />

Verankerungen zu brechen, was einen<br />

Streifzug durch die lebhafte Stadt anheizt.<br />

Weiter südlich, in Villach, widmet sich im<br />

Dezember das K3-Festival dem Filmschaffen<br />

aus Norditalien, Südösterreich und Slowenien.<br />

Zu erwarten ist ein Programm aus<br />

sechs Lang-und 25 Kurzfilmen.<br />

Bereits begonnen hat das Jüdische Filmfestival,<br />

unter dem Motto „Reißt die Mauern<br />

nieder!“ werden alte und neue Filme<br />

gezeigt. Der Eröffnungsfilm „Crescendo“, in<br />

dem PeterSimonischek als väterlicher Dirigent<br />

eines ungewöhnlichen Jugendorchesters<br />

heillos zerstrittene Musiker aus Israel<br />

und Palästina zusammenbringt, ist am<br />

21. <strong>10</strong>. erneut zu sehen –und ein paar Sichtungsmöglichkeiten<br />

mehr gibt es auch: Ein<br />

regulärer Kinostart fiel zwar der Pandemie<br />

zum Opfer, vereinzelte Kinos wollen den<br />

Film trotzdem zeigen. e<br />

<strong>Kulturmagazin</strong> 85


Highlights<br />

KLASSIK<br />

LITERATUR<br />

Unkonventionell. Thomas Gansch zeigt in<br />

seinem Konzerthaus-Zyklus,was die<br />

Trompete alles zu bieten hat.<br />

Viel zu selten steht sie aufden großen Konzertbühnen<br />

im Mittelpunkt,die Trompete. Einer,der das Instrument<br />

in seinen vielen Facetten erklingen lässt,ist der-<br />

Trompeter Thomas Gansch. In musikalische Kategorien<br />

lässt er sich nicht pressen: Er gastiertimPorgy&Bess<br />

genauso wie im Wiener Konzerthaus, Letztereshat heuer<br />

ein Abo aufgelegt,bei dem man sich vonder musikalischen<br />

Vielfalt desMusikers überzeugen kann: Alljährlich<br />

vorWeihnachten findet seine „Schlagertherapie“<br />

(21. Dezember) statt. Das Mottodabei lautet: „Vergessen<br />

wir für eine kurzeWeile die Sorgen der Welt und ergeben<br />

uns unseren sehnsüchtigsten Träumen –damit wir’s<br />

danach wieder frisch gestärkt mit der Realität aufnehmen<br />

können.“Udo Jürgens, Catarina Valente, Ludwig Hirsch<br />

und andereSchlagerstars sind in neuem Sound zu hören.<br />

Mit seinem Stammensemble Mnozil Brass bläst Gansch<br />

sich frohgemut wie „Phoenix“aus der Asche empor<br />

(<strong>10</strong>.Februar). Mit seinem langjährigen Kompagnon, dem<br />

Bassisten Georg Breinschmid, sowie dem Geiger Benjamin<br />

Schmid isterimTrio„Brein, Schmid &Gansch“<br />

(17. Jänner) zu erleben. HerbertPixner,ManuDelagound<br />

das Radio String Quartetstehen Gansch in „Alpen &Glühen“zur<br />

Seite.<br />

Daniela Tomasovsky<br />

Virtuos. Mario Roms Interzone sorgen für<br />

jazzige Begleitung der Europäischen<br />

Literaturtage in Krems.<br />

OhWildnis, oh Schutzvor ihr“ nannteeinst Elfriede<br />

Jelinek ihreAttackegegen die Verklärung der Natur.<br />

Fast 40 Jahrespäterlautetdas Mottoder diesjährigen<br />

Europäischen Literaturtage „Mehr Wildnis!“. Die Veranstaltung<br />

findet vom19. bis22. November im Klangraumin<br />

der Kremser Minoritenkirche statt. Früher tatendie Menschen<br />

ihr Möglichstes,umsich vorder Wildniszuschützen,<br />

heutetreibt es sie aufder Suche nach den letzten<br />

Abenteuern dorthin. Heutemüssen nicht mehr wir uns<br />

vorder Natur schützen, sondern die Natur voruns. Darüber<br />

wollen im zwölften Jahr der Literaturtage Autorinnen<br />

undAutoren ausEuropa diskutieren. Den Anfang macht<br />

die deutsche Philosophin Ariadne vonSchirach mit ihrem<br />

Eröffnungsvortrag zum Thema „Was bedeutet Wildnis?“<br />

und einer anschließenden Diskussion mit Robert<br />

Menasse. Höhepunkt wirdSamstag die literarisch-musikalische<br />

Soiree mit dem isländischen AutorSjón und<br />

einer Lesung vonJohannesSilberschneider sein, moderiertvon<br />

der Literaturchefin im ORF,Katja Gasser.Den<br />

Abschluss bildet am Sonntag die Verleihung desEhrenpreisesdes<br />

Österreichischen Buchhandels für Toleranz in<br />

Denken und Handeln an die großartigekanadische AutorinA.L.Kennedy.<br />

www.literaturhauseuropa.eu<br />

Harald Klauhs<br />

Tipp<br />

Tipp<br />

RSO Wien. In seiner 5. Symphonie<br />

reizt Mahler die Tonalität<br />

aus,Visconti verwendete<br />

das Adagietto für seinen Film<br />

„Tod in Venedig“. Marin Alsop<br />

liebt Mahler,auf ihreLesart<br />

kann man also gespannt sein.<br />

<strong>16</strong>. <strong>10</strong>., Wiener Konzerthaus<br />

„Into the Woods“. Witz und<br />

musikalische Eleganz zeichnen<br />

die Musicals von Stephen<br />

Sondheim (er wirdimMärz<br />

2021 90!) aus,in„Into the<br />

Woods“ geht es um Märchen,<br />

das Werk ist ein Plädoyer für<br />

die Wahrheit der Fantasie.<br />

Premiere: 13. März 2021,<br />

Wiener Volksoper<br />

Concentus Musicus. Als<br />

„Symphonie gegen Napoleon“<br />

wurde sie bezeichnet,kurz<br />

nach der Niederlage des<br />

Franzosen in der Schlacht bei<br />

Leipzig fand die Uraufführung<br />

in der Alten Universität in Wien<br />

statt.Der Concentus Musicus<br />

unter Stefan Gottfried lässt sie<br />

so erklingen, wie sie wohl damals<br />

geklungen hat.12. &13.<br />

Dezember,Musikverein.<br />

FriederikeMayröcker. Die Frau<br />

ist in Österreich nahezu ebenso<br />

Kult wie Ruth Bader Ginsburginden<br />

USA: die 95-jährige<br />

FriederikeMayröcker.Inder<br />

Alten Schmiede liest sie aus<br />

ihrem jüngsten Band „da ich<br />

morgens und moosgrün. Ans<br />

Fenster trete“. 27. <strong>10</strong>., 19 Uhr,<br />

Alte Schmiede<br />

Bettina Balàka. Die Salzburger<br />

Autorin hat sich intensiv mit<br />

der Pädagogin, Sozialreformerin<br />

und Frauenrechtsaktivistin<br />

Eugenie Schwarzwald<br />

beschäftigt.Nun hält sie im<br />

Wiener Rathaus eine Festrede<br />

über die ehemalige „Presse“-<br />

Feuilletonistin. 3. 11., 19 Uhr,<br />

Wappensaal<br />

Arbeit statt Almosen. Corona<br />

hat den Autoren zugesetzt.<br />

Lesungen, eine wichtige Einnahmequelle,<br />

sind versiegt.<br />

Marlen Schachinger hat ein<br />

Crowdfunding-Projekt gestartet<br />

und Autoren gebeten, einen<br />

literarischen Text zur „Kulturnation<br />

Österreich“ zu schreiben.<br />

www.startnext.com/fragmente<br />

Fotos: Beigestellt<br />

86 <strong>Kulturmagazin</strong>


TANZ<br />

THEATER<br />

Coppélia. Um ihrem Franz klarzumachen,<br />

dass er sich in eine Puppe verliebt hat,<br />

wirdSwanilda zu Coppélia.<br />

Ursprünglich istdie Erzählung vonder PuppeOlimpia<br />

ein Gruselmärchen. E. T. A. Hoffmann erzählt vom<br />

Studenten Nathanael, der der mechanischen Figur verfällt,<br />

wahnsinnig wirdund sich schließlich in den Tod<br />

stürzt.Diesesunheimliche „Nachtstück“ hatgleich nach<br />

Erscheinen 1817Furoregemacht und fasziniertauch<br />

heutenoch, als rätselhafteFiktion oder charmanteKomödie.<br />

JacquesOffenbach lässt in seiner Oper „Les contes<br />

d’Hoffmann“, die PuppeOlimpia singen. Bald nach Offenbach<br />

meldetesich der jungeKomponistLéo Delibesmit<br />

einer bezaubernden Ballettmusik.Die PuppeOlimpia ist<br />

jetzt Coppélia, ihr Anbeter Franz.Inder Choreografie von<br />

Arthur Saint-Léon eroberte „Coppélia ou La Fille aux<br />

yeux d’émail“1870von Paris ausdie Ballettbühnen der<br />

Welt.Sie istunsterblich, der schrulligeDr. Coppélius muss<br />

nurden Schlüssel in ihrem Rücken drehen. Diesen<br />

Schlüssel hatder Tänzer und Choreograf PierreLacotte,<br />

die Autoritätfür die Rekonstruktion vonBallettklassikern,<br />

gefunden, die 150JahrealteChoreografie neu belebt und<br />

das lang verschollene dritteBild rekonstruiert. Ausdem<br />

Schauerstück istein köstlicher Schabernack geworden.<br />

Glanzvoll istdas Finale, wenn die neue Glockezur großen<br />

Hochzeitsfeier ruft.Ab11. 12. in der Volksoper.<br />

Ditta Rudle<br />

RichardII. Jan Bülow spielt im November<br />

RichardII. im Burgtheater,Regisseur ist<br />

Johan Simons.<br />

Wenn die Musik doch schwieg’, sie macht mich<br />

toll/Denn hatsie Tollen schon zum Witz verholfen/<br />

In mir macht sie den Weisen toll“, spricht RichardII., ein<br />

Shakespeare-König, bei dem man sich fragt, wie die Mächtigen<br />

klug regieren sollen, wenn sie eine derarttragische<br />

eigene Vita haben, in der ihnen früh beigebracht wird,<br />

dass Liebe nichtszählt,Siegenalles–und der Todlauert<br />

stetsgleich um die Ecke.Mit elf Jahren wirdRichardauf<br />

den Thron gesetzt,seine Frau Isabelvon Valoisist sechs<br />

Jahrealt.Richardlässt seinen Onkel ermorden, erhöht<br />

Steuern und Abgaben und widmet sich der eigenen<br />

Prachtentfaltung.Johan Simons, dem zu vielen Stoffen<br />

gleichermaßen Originelleswie Seriöseseinfällt,inszeniert<br />

„RichardII.“imBurgtheatermit JanBülowinder Titelrolle.<br />

Der 1996 in Berlin geborene Schauspieler war<br />

zuletzt in der Burg in Wajdi Mouawads„Vögel“ zu sehen<br />

sowie in der „Edda“. Ferner spielteBülowinder actionreichen<br />

Netflix-Serie „Dogs of Berlin“, zuletzt warerals Udo<br />

Lindenberg in dem Biopic „Lindenberg!Mach dein Ding“<br />

vonHermine Huntgeburth zu erleben. Über die Rock-<br />

Ikone sagte Bülowinder „FAZ“: „Menschen, die erfolgreich<br />

sind, sind vonstarken Selbstzweifeln geprägt.“<br />

RichardII. erfassen diese erst,als es zu spät ist.<br />

Barbara Petsch<br />

Tipp<br />

Tipp<br />

Thunberggoes Tanz. „Climatic<br />

Dance“ ist der fünfte Teil von<br />

Amanda Piñas großartigem<br />

Projekt über den Verlust der<br />

kulturellen und biologischen<br />

Vielfalt des Planeten. Ihr Thema<br />

ist die Entkolonialisierung<br />

von Kunst.Im„Climatic<br />

Dance“ sind auch Studierende<br />

der National School of Folcloric<br />

Dance of Mecikoauf der<br />

Bühne.17.–19. 12. tqw.at<br />

Biografisch. Romy Schneider<br />

ist auf der Tanzbühne gelandet.„Ich<br />

kann nichts im Leben<br />

–aber alles auf der Leinwand“,<br />

sagte die Ausnahmeschauspielerin.<br />

Der Innsbrucker<br />

Ballettchef Enrique Gasa<br />

Valga zeigt das Leben der<br />

facettenreichen Privatperson<br />

und vielseitigen Künstlerin.<br />

Premiere: 27. 2. landestheater.at<br />

Ängste. „In der Dunkelwelt“<br />

beschäftigen sich der Choreograf<br />

Joachim Schlömer und<br />

drei Tänzerinnen mit Gefühlsausbrüchen<br />

und wie man sich<br />

diesen stellt.Ab<strong>16</strong>.<strong>10</strong>.<br />

dschungelwien.at<br />

Liliom. VomHutschenschleuderer<br />

und seiner Julie mit dem<br />

Herzen aus Gold (wo gibt es<br />

heute noch so was?) kann<br />

man nie genug kriegen, darum<br />

inszeniert Peter Wittenberg<br />

die Molnár’sche Vorstadtlegende<br />

im OÖ. Landestheater<br />

in Linz. www.landestheaterlinz.at<br />

Ausländer raus! Wiens Schauspielhaus<br />

blickt zurück auf<br />

Christoph Schlingensief und<br />

seine längst legendären Aktionen:<br />

Am 24. Oktober,dawäre<br />

dieser große und echte Erfinder<br />

neuer Formen der Bühnenkunst<br />

sechzig Jahrealt geworden.<br />

Er starb 20<strong>10</strong>.<br />

Michael Kohlhaas. Dem Pferdehändler<br />

Michael Kohlhaas<br />

wirdvon den Mächtigen übel<br />

mitgespielt.Ergibt nicht auf<br />

und wirdimmer rabiater.Kleists<br />

Novelle, die bis heute provoziert,inszeniert<br />

der Brite Simon<br />

McBurney (ab 2. 12.). Die Berliner<br />

Schaubühne bietet verlässlich<br />

First­Class­Bühnenkunst<br />

und lockt zu einem Ausflug an<br />

die Spree.<br />

Fotos: Katarina Soskic, beigestellt<br />

<strong>Kulturmagazin</strong> 87


Highlights<br />

POP<br />

JAZZ<br />

Culk. Entrückt und eindringlich ist der<br />

Gesang von Culk-Sängerin Sophie Löw.<br />

Die Wiener Band ist am 30. <strong>10</strong> im WUK.<br />

ImVideo zum Song „Dichterin“, der ersten Single des<br />

neuen Albums der Wiener Band Culk,kehrtSängerin<br />

Sophie Löwnach gut eineinhalb Minuten der Kameraden<br />

Rücken zu. „Fck generischesMaskulinum“steht aufder<br />

Rückseiteihrer Jacke. In Großbuchstaben. „Vergiss mein<br />

nicht“, singtsie gleich darauf, als siewieder in die Kamera<br />

blickt.Zuvor sieht man lang nichtsaußer den als Untertiteleingeblendeten<br />

Songtext.Bis Löwirgendwann schemenhaft<br />

ausdem Dunkel hervortritt.Passend zu diesem<br />

wütenden wie resignierenden Song,indem sie die<br />

Unsichtbarkeit der Geschlechtervielfalt anprangert: „Du<br />

verdrängst mich/und du verkennst mich/ich verrenne<br />

mich an dunkle Orte/dukennst keine Wortefür mich/<br />

und die du für mich hast /führen mich weit wegvon Einfluss<br />

und Macht.“ DiesesAusleuchten gesellschaftlicher<br />

Missstände, gefasst in dringlichen Post-Punk oder albtraumhaften<br />

Dream-Pop,hat Culk bereitsmit ihrem<br />

Debüt aus2019 zu einer der aufregendsten neuen Bands<br />

im deutschen Sprachraumgemacht.Mit „Zerstreuen über<br />

Euch“, ihrem zweiten Album, festigtsie diesen Status:<br />

IhreSongs über Machtmissbrauch, Unterdrückung oder<br />

zwischenmenschliche Krisen fesseln nicht zuletzt dank<br />

dem bald seltsam entrückten Gesang Löws.<br />

Holger Fleischmann<br />

Schönster Schauder garantiert. Die Tiger<br />

Lillies sind am <strong>16</strong>. und 17. November<br />

(19 &21Uhr) im Porgy&Bess zu Gast.<br />

Das wüstebritische Trio Tiger Lillies wargar nicht lahm<br />

in der Zeit der seuchenbedingtenAusgangsbeschränkungen.Neue<br />

Lieder,neueScherzekamenpermanent<br />

über ihre Internetplattformen. Diese wollen vor Publikum.<br />

Undsoscheuen die Tiger Lilliesweder Gesundheitsrisken<br />

noch Reisestrapazen,umwieder aufs europäische Festlandzustreben.Am<strong>16</strong>.<br />

und17. November werden sie in<br />

Wien aufschlagen. Diesmit dem neuen, vomgriechischen<br />

Rembetiko inspiriertenOpus„Lemonaki“ im Gepäck,wo<br />

es recht viel um Krankenhäuser undFriedhöfegeht.MartynJacques’<br />

vielgerühmtesKastraten-Crooningwirdmit<br />

viel Gustodas angstlustsüchtige Publikum in denVorhof<br />

der Hölle geleiten undallerhandAuslassungen über die<br />

tragischen Schicksalevon Zuhältern,ganzkörpertätowiertenProstituierten,<br />

sodomiertenSchafenund Müttern in<br />

Irrenanstalten zelebrieren.Die gleichermaßenkarg wie<br />

pointiert instrumentiertenMoritatenund die überspitzt<br />

albtraumhaft vorgetragene, gewissermaßen surrealistischeSozialkritiklassen<br />

diedüstereAtmosphäreder<br />

frühenPolitsongs vonBertBrecht und Kurt Weill auf<br />

drastischeArt wiederauferstehen, wecken aber auch<br />

Assoziationen an Helmut Qualtingers genialeH.C.-Artmann-Interpretationen<br />

„SchwarzeLieder“.<br />

Samir H. Köck<br />

Tipp<br />

Tipp<br />

Sigrid Horn. Knapp vorm Lockdown<br />

im März veröffentlichte<br />

die in Wien ansässige Mostviertlerin<br />

ihr zweites Album<br />

voll herrlicher Dialekt-Chansons.„Ibleib<br />

do“, ungewollt<br />

passend betitelt für das Jahr<br />

<strong>2020</strong>, kann man nun im Wiener<br />

Sonnwendviertel live hören.<br />

28.11., Gleis 21, Wien<br />

Blue BirdFestival. Als Hoffnungsträger<br />

in schweren Zeit<br />

will das beliebte, freigeistige<br />

Singer-Songwriter-Festival<br />

heuer agieren: mit heimischen<br />

Acts wie Garish und Alicia<br />

Edelweiss und mit diversen<br />

internationalen Gästen wie<br />

Anna BSavage und This Is the<br />

Kit.19.–21.11., Porgy&Bess<br />

Lou Asril. Sein heuriges (Mini-)<br />

Albumdebüt verdeutlichte,<br />

warum der Mann aus Seitenstetten<br />

als großes Popversprechen<br />

gilt: Bisweilen<br />

sehnsuchtsvoller Falsettgesang<br />

trifft auf reduzierte<br />

R’n’B-Arrangements und<br />

knappe Beats.Beseelt!<br />

29. 11., WUK<br />

Legende. Die Jahresind rasch<br />

verronnen für den großen<br />

Jazzpianisten Chick Corea,<br />

seit er er 1978 sein erstes<br />

Konzerthaus-Konzert gegeben<br />

hat.Sein Werk hat sich stilistisch<br />

stark verbreitert seit den<br />

frühen Tagen des von ihm mitgeprägen<br />

Fusionsounds.Sogar<br />

an Mozart versucht er sich<br />

zuweilen höchst erfolgreich.<br />

8.November,Konzerthaus<br />

Groovemagier. Waldeck präsentiert<br />

an diesem Abend sein<br />

neues Opus „Grand Casino<br />

Hotel“, das Kopfkino vom<br />

Feinsten auslöst.Ausladende<br />

Texturen, schwelgerische<br />

Gesänge und beinharte Tanzrhythmen<br />

locken. 27. November,Porgy<br />

&Bess<br />

Ohren spitzen! David Murray<br />

spielte bereits ab seinem<br />

neunten Lebensjahr Saxofon.<br />

Nach Anfängen im R’n’B<br />

wandte sich der junge Mann<br />

bald ernsthaft dem Jazz zu.<br />

Sein Repertoirereicht vom Spiritual<br />

Free Jazz bis zum Blues.<br />

9. Dezember,Porgy &Bess<br />

Fotos: Antonia Mayer, Andrey Kezzyn<br />

88 <strong>Kulturmagazin</strong>


TM ©1988 CML TM ©1981 RUG LTD CATSLOGO DESIGNED BY DEWYNTERS<br />

CAMERON M ACKINTOSHS<br />

ERFOLGSPRODUKTION V ON<br />

BOUBLIL & SCHÖNBERGS<br />

PREMIEREJÄNNER<strong>2020</strong><br />

#WeAreMusical<br />

WWW.MUSICALVIENNA.AT


Das bringt der Herbst<br />

NATAŠA ILIĆ<br />

Nataša Ilić. Die gebürtige<br />

Zagreberin ist Mitglied des<br />

kroatischen Kuratorinnenkollektivs<br />

What,How &for<br />

Whom/WHW.Gemeinsam<br />

mit Ivet Ćurlin und Sabina<br />

Sabolović leitet sie seit<br />

2019 die Kunsthalle Wien.<br />

Noch bis 30. Oktober ist<br />

dort die Ausstellung „Kiss“<br />

zu sehen,<br />

www.kunsthallewien.at<br />

Waswar der Osten?<br />

Die Moderna Galerija in Ljubljana<br />

gibt einen umfassenden<br />

Überblick über das Werk des<br />

polnischen Malers, Kunsthistorikers<br />

und Kritikers Andrzej<br />

Wróblewski. Im Mittelpunkt<br />

der Ausstellung steht seine<br />

Reisenach Jugoslawien 1956,<br />

nurein Jahr vorseinem Tod.<br />

Erstmals istauch sein Spätwerk<br />

zu sehen. Die Ausstellung<br />

nimmt diesals Anlass, um zu<br />

fragen: Waswar der Osten?–<br />

oder:Gibt es so etwaswie den<br />

Osten noch?Bis <strong>10</strong>.1.2021,<br />

www.mg-lj.si<br />

Erlesene Objekte<br />

Das Weltmuseum Wien präsentierteine<br />

Schauzur Kunst und<br />

Kultur der Azteken, die<br />

erlesene Objekteaus verschiedenen<br />

mexikanischen und<br />

europäischen Museen versammelt.Die<br />

Kultur desmächtigen<br />

Aztekenreichs, nach der<br />

gewaltsamen Eroberung durch<br />

die spanischen Konquistadorendem<br />

Untergang geweiht,<br />

lädt uns ein, über das Schicksal<br />

vonImperien, gewaltsame<br />

Kolonialgeschichten sowie ihre<br />

Folgen und Nachwirkungen in<br />

der Gegenwart nachzudenken.<br />

Bis30. 4. 2021,<br />

www.weltmuseumwien.at<br />

Visuelle Muster<br />

DasHausder Kulturen der Welt<br />

in Berlin präsentiertalle 63<br />

Tafeln vonWarburgs Bilderatlas„Mnemosyne“–erstmals<br />

wiederhergestelltmit dem originalen<br />

Bildmaterial desKunstund<br />

Kulturhistorikers. Aby<br />

WarburgsMethode,nach visuellen<br />

Themenund Mustern<br />

über Zeitenund Geografien<br />

hinweg zu suchen,ist immens<br />

wichtig für unser Verständnis<br />

derheutigenWelt,die so sehr<br />

vonvisuellenMedien beherrscht<br />

wird.Bis 30.11. <strong>2020</strong>,<br />

www.hkw.de<br />

Foto: Christine Pichler.<br />

90 <strong>Kulturmagazin</strong>


SEIT 1707<br />

Classic Week 5. –<strong>10</strong>. November<br />

Alte Meister<br />

Gemälde des 19. Jahrhunderts<br />

Antiquitäten<br />

Contemporary Week<br />

24. –30. November<br />

Zeitgenössische Kunst<br />

Klassische Moderne<br />

Juwelen, Uhren<br />

Palais Dorotheum, Wien, +43-1-515 60-570<br />

Düsseldorf, +49-211-2<strong>10</strong> 77-47, München, +49-89-244 434 730<br />

www.dorotheum.com<br />

Gustav Klimt, „Altar des Dionysos“, 1886, Entwurf für das Deckengemälde im südlichen Stiegenhaus (Giebelfeld)<br />

des Burgtheaters, Öl auf Leinwand, 32 x158 cm, (Abb.-Ausschnitt), €190.000 –300.000, Auktion 24. November

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