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LERNEN MIT ZUKUNFT September 2020

Impulsmagazin für Erwachsene - Lebensraum: MENSCH

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- information - diskussion - innovation - motivation -

Das Österreichische Impuls-Magazin | September 2020

Wie könnte die Schule aussehen?

Traum oder Wirklichkeit?

BESUCHEN SIE UNS:

www.facebook.com/lernen.mit.zukunft

Ich gebe meinen Senf dazu

Der Kommunikator - Teil 2

Dann mach doch, was du willst!

Erziehung ist (k)ein Kinderspiel


inhalt & impressum

inhalt & übersicht

Back to school

Vom Hoffnungs- zum Virenträger

Hilfe! Mein Kind ist hochsensitiv!

Schule als Chance für alle

Ich gebe meinen Senf dazu

Sommerprojekt für Grundschulkinder

Wegweiser

Tipps zum Schulstart im Herbst

Dann mach doch, was du willst

Kreativität

(K)ein Widerspruch in sich?

Familien- und Lernzentrum

Leben wir alle in derselben Welt?

Prof. Abakus

Kindheit früher und heute

AgentInnen der Veränderung

Kinder brauchen den Kindergarten

Wie könnte die Schule auch aussehen

Home-learning an der Uni

Macht unserer Sprache

Eulalia

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2 | SEPTEMBER 2020


editorial & information

impressum

Medieninhaber, Herausgeber

& Verleger LERNEN MIT

ZUKUNFT, 1220 Wien,

Mühlwasserpromenade 23/ Haus

13, e-mail: office@LmZukunft.

at, Herausgeber/Grafik: Karl H.

Schrittwieser, Redaktion (Bild/

Text): Birgit Menke,

Titelseite - Foto: © 8926 |

pixabay.com

Blattlinie:

Mit unserer Themenvielfalt laden

wir Erwachsene ein, sich für die

Entwicklung unserer Lebenswelt

und für künftige Generationen

einzusetzen.

Dazu geben wir Informationen,

Gedankenimpulse und

Anregungen.

Die AutorInnen übernehmen

selbst die Verantwortung für den

Inhalt ihrer Artikel.

Ausgangslage:

Nichts ist umsonst

JEDER EINZELNE SOLL SICH SAGEN: FÜR MICH IST DIE WELT GESCHAFFEN,

DARUM BIN ICH VERANTWORTLICH (Babylonischer Talmud)

Sie ist nicht mehr wegzudenken aus unserem Alltag, die

Maskenpflicht. Und die meisten halten sich auch daran

und soweit ich das beobachten kann, auch ziemlich unaufgeregt.

Doch kaum setze ich die Maske auf, meinen

kuschligen 3-lagigen Freund, kitzelt eine Stelle an meiner Nase

oder es juckt im Gesicht. Meine Ohren stehen ab, weil mich

die richtige Größe noch nicht gefunden hat. Und meine Brille

beschlägt immer dann, wenn ich gerade versuche, das Kleingedruckte

zu lesen. Ich mag die Maske nicht, aber ich sehe sie als

das kleinere Übel, wenn ich mir die Nachrichten aus aller Welt

anhöre.

Irgendwann wird aber auch dieses Thema der Vergangenheit

angehören. Und was wird dann bleiben aus dieser Zeit? Wird die

Beliebtheit regionaler Produkte anhalten und damit ein bewusstes

Hinschauen auf die Herkunft und Produktion von Lebensmitteln?

Wird sie bleiben, die Wertschätzung gegenüber den Berufen, die

uns über die erste Welle getragen haben und immer noch tragen?

Und entwickeln wir eine größere Toleranz und Dankbarkeit gegenüber

ausländischen Fachkräften, ohne die unser Pflegesystem

nicht nur in Corona-Zeiten zusammenbrechen würde? Wird es das

von vielen erhoffte Umdenken geben?

Noch sind wir mit den Einschränkungen und Herausforderungen

beschäftigt, die die Pandemie mit sich bringt. Eine schwierige Zeit

für Familien, für die Kinder, unser Alltags- und Berufsleben, für

Kunst und Kultur und für die Wirtschaft. Nicht zu vergessen die

soziale Isolation.

Dennoch haben wir alle eine gemeinsame Verantwortung. Die

Ausbreitung des Virus zu verhindern. Und damit viel Leid der

Betroffenen, denn die Krankheit kann sehr schlimm sein.

Ich wünsche Ihnen einen farbenfrohen Herbst,

bitte bleiben Sie gesund,

Ihr

Karl H. Schrittwieser

Obmann und Herausgeber

LERNEN MIT ZUKUNFT

Foto © Francis Ray | pixabay.com

3 | SEPTEMBER 2020


information & lernen

Nicht jeden freut’s:

Back to school

UND DAS NACH EINER LÄNGEREN LERNPAUSE ALS DEN

MEISTEN VON UNS LIEB WAR

DI Roswitha Wurm

Dipl. Lerndidaktikerin

Lese- und Rechtschreibtrainerin,

Kinderbuchautorin

Interaktive Lesungen

an Schulen buchbar unter:

www.lesenmitkindern.at

In der letzten Ausgabe gab es eine

Reflektion was wir aus der Zeit der

Corona bedingten Schulschließungen

für das Lernen mitnehmen können. Was

ich als Lern- und Mentaltrainerin allerdings

beobachte ist, dass gerade Kinder

mit anlagebedingten Lernschwierigkeiten

wie Legasthenie, Dyskalkulie oder andere

Lerndifferenzierungen die Zeit fernab vom

Schulgebäude sehr genossen haben. Dasselbe

betrifft SchülerInnen, die Außenseiter in

der Klasse sind, gemobbt werden oder aus

unterschiedlichen Gründen immer ein wenig

hinter der Klasse herhinken. Gerade auf sie

sollte in der Back-to-School“-Zeit besonders

geachtet werden. Der Leistungsdruck im

Klassenraum ist in jedem Fall höher als in

der Heimunterrichtszeit und kann Kinderherzen

zerbrechen lassen!

LERNSCHWÄCHE AKZEPTIEREN

Anders als die meisten anderen zu sein,

vor allem wenn es darum geht nicht

so leicht zu lernen wie die anderen,

kann sehr belastend für Betroffene

sein. Besonders wenn man immer

wieder zu hören bekommt: „Du

musst einfach mehr üben. Schreibe

und lies so viel du kannst. Irgendwann

verschwindet dann deine

Lese-Rechtschreibschwäche!“

Aber so einfach ist das nicht.

Das legasthene/dyskalkule Kind

macht seine Fehler nicht absichtlich

oder weil es zu wenig übt, sondern

weil es durch seine differenten Sinneswahrnehmungen

allein mit den herkömmlichen

Lernmethoden das Schreiben, Lesen

und Rechnen nicht erlernen kann.

WIE KÖNNEN ELTERN UND LEHRER DEM

KIND HELFEN?

• Betonen Sie dem Kind gegenüber nicht

ständig, dass es eine „Schwäche“ hat.

Sondern richten Sie das Augenmerk vielmehr

auf Dinge, die es zweifellos gut kann oder auf

seine sozialen Stärken, um das Selbstvertrauen

des Kindes zu stärken

• Auch wenn es manchmal schwerfällt:

geben Sie dem betroffenen Kind Zeit und verhalten

Sie sich geduldig und verständnisvoll.

• Legasthene und dyskalkule Kinder weisen

eine ihnen typische Sprunghaftigkeit in der

Aufmerksamkeit im Umgang mit Buchstaben

und Zahlen auf. Helfen Sie dem Kind seine

Gedanken zu ordnen und das Denken und

Handeln in Einklang zu bringen.

• Lob ist ein wichtiger Faktor für den Erfolg.

Bitte vergleichen Sie betroffene Kinder nicht

mit anderen!

• Der Arbeitsplatz des Kindes sollte übersichtlich,

nicht überladen und angenehm gestaltet

sein.

• Erstellen Sie gemeinsam mit dem Kind

einen Lern- und Übungsplan.

• Es sollte betroffenen Kindern ermöglicht

werden für die schulische Beurteilung mündliche

oder alternative Leistungen erbringen zu

können.

Foto: © mohamed Hassan | pixabay.com

4 | SEPTEMBER 2020


information & lernen

Am Wichtigsten ist, dass alle Beteiligten: das Kind, Eltern und Lehrer

an einem Strang ziehen, das Gespräch miteinander suchen und

gemeinsam an der Lerndifferenzierung des Kindes arbeiten. Das

Gleiche gilt, wenn andere Gründe dafür sprechen, dass ein Kind sich

in der Klasse nicht wohl fühlt.

So freut’s dann wohl doch alle, dass unsere Schulen (hoffentlich)

wieder für längere Zeit die Türen offen haben!

Brilli hat sogar eine eigene Instagramseite

und freut sich über

Besucher und Follower:

https://www.instagram.com/

brilli_daskueken/

Bald veröffentlichen wir auch

Brillis ersten Lernsong unter

dem Motto:

Bewege dich schlau!

Buchtipp: Roswitha Wurm, Brilli- das Küken, SCM Brockhaus

Brilli ist anders als die anderen Küken am Hühnerhof. Das Lernen

fällt ihm schwer. Deshalb lachen ihn die anderen aus. Als er untröstlich

ist, trifft er auf Watti, den Igel mit dem watteweichsten Herz

der Welt. Watti übt mit Brilli gemeinsam. Und plötzlich klappt es

immer besser … „denn mit einem Freund an der Seite ist nichts zu

schwer.“

Foto: © Annalise Batista | pixabay.com

5 | SEPTEMBER 2020


information & lernwelt

Die geheimnisvolle Mutation:

Vom Hoffnungs- zum Virenträger

WAS LERNEN WIR DARAUS? KINDER UND JUGENDLICHE HABEN IN

WAHRHEIT KEINE LOBBY

Gerald Ehegartner

Lehrer, Autor, Naturpädagoge

und Visionssucheleiter

„Akademie für Potentialentfaltung“,

„Lernwelt“

www.geraldehegartner.com

Es entbehrt nicht einer gewissen

Ironie, dass das Ökumenische

Heiligenlexikon die

Heilige Corona als Schutzpatronin

vor Seuchengefahr ausweist.

Weitere Aufgaben: Schutzpatronin

des Geldes, der Fleischer und

Schatzsucher. Gerade die ersten

beiden Aufgaben machen die Heilige

Corona, die im jugendlichen Alter

eines gewaltsamen Todes starb,

zur unbezahlbaren Krisenexpertin

in Zeiten der Pandemie und Wirtschaftskrise.

St. Corona am Wechsel und am

Schöpfl wurden verständlicherweise

zum Pilgerhit. Ob sich unter

die Pilgerschar auch Fleischer und

Schatzsucher mischen, kann nicht

bestätigt werden. Einen Heiligen,

den ich derzeit zusätzlich anrufen

würde, wäre Don Bosco. Für ihn

waren Kinder und Jugendliche stets

Hoffnungsträger der Zukunft.

Auch für die meisten von uns galt bis

vor kurzem diese Prämisse.

Seit dem Lockdown hatte sich aber

Gravierendes verändert:

Die einstigen Hoffnungsträger

waren offensichtlich zu Virenträgern

mutiert.

Lern-, Spiel- und Begegnungsorte

wurden geschlossen, obwohl

Kinder am neuartigen Virus

kaum erkranken, sondern

sich meist lediglich infizieren.

Nur jeder 90. Cluster kommt

von der Schule, die zukünftig

Gefahr läuft, wie Computer

rauf- und runtergefahren zu werden.

Nun aber müssen sich die ehemaligen Hoffnungsträger

solidarisch mit der Risikogruppe

zeigen.

Sie tragen bereits unsere Schulden- und Umweltlast,

jetzt auch die Gesundheitslast.

Abgesagte Abschlussfeiern, Ausflüge, Praktika,

Schullandwochen, Au-pair-Aufenthalte, Auslandsstudien,

Feste. Berührung, Nähe, Bewegung,

Musik, Gesang, Tanz und Feiern machen

uns zu Menschen, gelten mittlerweile aber als

die sieben Todsünden.

„Der Virus ist unter uns“, framte der Gesundheitsminister,

nachdem Macron den Krieg gegen

den neuen Feind schon ausgerufen hatte.

Nur, wo sind die Würdenträger, die rufen: „Die

heilige Corona ist unter uns!“ oder „Das Reich

Gottes ist mitten unter uns!“?

Braucht es nicht gerade auch die Kirche, die wieder

Mut macht, die versteht, dass das fieseste

Virus die Angst selbst ist und mit einem biblischen

„Fürchtet euch nicht!“ Kraft gibt, ohne die

realen Gefahren zu verharmlosen? Wo sind die

Vertreter der verschiedensten Religionen? Sind

die Würdenträger auf merkwürdige Weise auch

zu Virenträgern mutiert? Manchmal bedarf es

tröstlicher und nicht nur „drostlicher“ Worte.

Schweden ließ die meisten Bildungseinrichtungen

geöffnet, schützt die Risikogruppe und

verpflichtet zu keinem Maskentanz.

Das Gesundheitswesen ist bis heute nicht überfordert,

die Mortalitätsrate ist niedriger als z. B.

in Belgien und GB ( 0,056 %; die mittelalterliche

Pest schätzt man auf bis zu 40 %)), die Wirtschaft

und der soziale Zusammenhalt brechen

weit weniger ein.

Ich mache mir Sorgen um die nächste Generation

und hoffe, dass so manch Würdenträger die

Würde der Kinder und Jugendlichen erkennt und

den Wandel vom derzeitigen Virus- zurück zum

Hoffnungsträger einläuten möchte.

Foto: © Cora Müller | fotolia.com


information & entwicklung

Mit feinen Sensoren:

Hilfe! Mein Kind ist hochsensitiv!

WIE KANN ICH BESTMÖGLICH DAMIT UMGEHEN?

Vorneweg: Hochsensitivität/Hochsensibilität

ist keine Störung oder

Krankheit, die wegtherapiert

werden kann oder soll, vielmehr

handelt es sich um eine vererbte Persönlichkeitseigenschaft,

die zu einer

wertvollen Ressource und Begabung

werden kann.

WAS BEDEUTET HOCHSENSITIVITÄT/

HOCHSENSIBILITÄT BEI KINDERN?

Aufgrund einer besonderen neuronalen

Veranlagung ist ihre Wahrnehmung

differenzierter und intensiver als bei anderen

Kindern. Sie nehmen mehr subtile

Informationen auf, denken viel nach und

spüren auch auf der Gefühlsebene alles

viel intensiver. Ihre Reizoffenheit und

Sensibilität macht sie allerdings auch

verletzlicher und schneller reizüberflutet.

Hochsensitive Babys/Kinder brauchen

meist besondere Nähe und Aufmerksamkeit

(anfangs oft ausschließlich durch

die Mutter), um zu lernen, mit ihrer

speziellen Wahrnehmungsweise selbstbewusst

umzugehen. Für Eltern und

PädagogInnen stellt ein hochsensitives

Kind oft eine große Herausforderung dar.

MERKMALE IM ALLTAG, WORAN SIE

EIN HOCHSENSITIVES KIND

ERKENNEN KÖNNEN

Die meisten sind eher introvertiert (ca.

30 % jedoch sind extravertiert).

Unvorhergesehene Änderungen bereiten

ihnen Unbehagen.

Sie denken sehr viel nach, sind außergewöhnlich

empathisch und stellen schon

in jungen Lebensjahren tiefgründige

Fragen.

Sie sind sehr sinnlich und reagieren oft

empfindlich auf taktile Reize, laute Geräusche

oder bestimmte Gerüche.

Viele hochsensitive Kinder sind perfektionistisch

veranlagt, Ungerechtigkeiten sind

für sie sehr schwer auszuhalten.

TIPPS FÜR DEN UMGANG MIT EINEM

HOCHSENSITIVEN KIND

• Lassen Sie es sein wie es ist! (Ihr Kind

ist ok!)

• Üben Sie sich in Geduld! (Vieles

dauert mit einem hochsensitiven Kind

länger.)

• Achten Sie auf Struktur (räumlich,

zeitlich, organisatorisch)!

• Finden Sie eine Balance zwischen

„Schützen“ und „Stupsen“! (Hochsensitive

Kinder brauchen Verständnis

für ihre Zurückhaltung sowie Ermutigung

zu neuen Erfahrungen gleichermaßen.)

Kurz zusammengefasst:

Ihr hochsensitives

Kind ist nicht krank,

sondern lediglich

„anders“ in seiner

Wahrnehmung und

Verarbeitung von

Reizen. Es ist unsere

Aufgabe als Eltern und

PädagogInnen, jedem

hochsensitiven Kind zu

zeigen, wie es seine Hochsensitivität

nicht als Hindernis,

sondern als Geschenk und

besondere Begabung begreifen

lernen kann.

Elisabeth Heller

Psychotherapeutin,

Dipl. Sozialpädagogin und

Mutter von drei Kindern

www.elisabeth-heller.at

tipps

Aron, E., Das hochsensible

Kind: Wie Sie auf die

besonderen Schwächen

und Bedürfnisse Ihres Kindes

eingehen, mvg Verlag,

2008

Für Kinder (und ihre WegbegleiterInnen):

Hanke-Basfeld, M., Philipp

zähmt den Grübelgeier,

Festland Verlag e.U., 2015

Foto: © mohamed Hassan | pixabay.com


information & innovation

Analyse und Vorschläge:

Schule als Chance für alle

WARUM ES IM LEBEN VORBILDER BRAUCHT

Dipl.-Ing. Alexander Ristic

Journalist

Frau Melisa Erkurt hat unser aktuelles

Bildungssystem analysiert

und hält uns den Spiegel vor. Sie

spricht aus eigener Erfahrung. Die

29-jährige ist als „muslimisches Flüchtlingskind“

mit ihrer Mutter aus Sarajewo

nach Österreich gekommen. Sie hat es in

Österreich „geschafft“. Sie hat erfolgreich

Germanistik studiert und arbeitet

als Lehrerin und

Journalistin.

Melisa Erkurt macht

eine detaillierte

Bestandsaufnahme

aus ihrer eignen

Unterrichtserfahrung

und aus ihrem

persönlichen Lebensweg.

Sie dachte

lange, dass Bildung

der Schlüssel zur

gelungenen Integration

sei. Auch die

bestausgebildeten

Migranten stoßen in Österreich noch

immer an eine „gläserne“ Decke. Es ist

ein Märchen ihnen zu erzählen, dass sie

mit Bildung alles erreichen können.

Die Jugend muss ganz woanders

abgeholt werden,

als

sie momentan abgeholt wird. Es kommen

Kinder in unser Bildungssystem, die Zuhause

noch nie ein Buch in Händen gehalten haben,

denen niemals jemand etwas vorgelesen

und mit denen daheim noch nie jemand

gebastelt hat.

Es ist möglich Kinder aus bildungsfernen

Schichten für das Lesen zu begeistern,

wenn man sich die Zeit nimmt, sich mit den

individuellen Interessen

zu beschäftigen, ihnen

die „richtigen“ Bücher

empfiehlt und erfolgreiche

Vorbilder als

Mutmacher nennt.

Melisa Erkurt leiht plakativ

and plastisch ihre

Stimme den Verlierern

unseres Bildungssystems.

Sie zeigt in

ihrem Buch mit vielen

praktischen Beispielen

und plausiblen Argumenten

einen möglichen

positiven Weg auf. Das Buch ist schnell

gelesen. Es ist sehr kurzweilig geschrieben

und man möchte es nicht weglegen.

Sie gibt am Ende des Buches auch fünf konkrete

Verbesserungsmöglichkeiten, um unser

Bildungssystem erfolgreich zu gestalten. Wir

müssen neue Wege gehen. Das hat uns auch

die Covid19 Pandemie gezeigt. Das Buch

sollte Pflichtlektüre für alle sein, die sich

für die Themen Bildung und Integration

interessieren und mitdiskutieren

wollen.

Foto: © Shmel2 | fotolia.com


information & kommunikation

Der Kommunikator - Teil 2:

Ich gebe meinen Senf dazu

DIE KOLUMNE FÜR ALLE, DIE ETWAS ZU SAGEN HABEN

Wir alle kommunizieren.

Immer. Das hat schon Karl

Watzlawick gesagt und damit

die Kommunikationswissenschaft

mitgeprägt. Doch stimmt das

überhaupt? Und wenn wir schon dabei

sind: Was ist Kommunikation eigentlich?

GEHEIMNIS KOMMUNIKATION

Der Begriff Kommunikation stammt

vom lateinischen communicatio ab‚ was

soviel wie Mitteilung bedeutet. Er beschreibt

den Austausch oder die Übertragung

von Informationen, die auf verschiedene

Arten und auf verschiedenen

Wegen stattfinden kann. Bei diesem

Austausch können nicht nur kleinere und

größere Distanzen von einem Individuum

zu einem anderen überwunden werden,

es geht auch immer um ein gegenseitiges

Geben und Nehmen von Erfahrungen,

Wissen, Erkenntnis oder Gefühlen.

Aus wissenschaftlicher Sicht ist das

aber noch lange nicht alles. In dem Buch

Menschliche Kommunikation – Formen,

Störungen, Paradoxien wird die These

aufgestellt, wir seien fast unfähig über

Kommunikation zu kommunizieren.

Watzlawick und viele andere haben es

dennoch nicht unversucht lassen. Zum

Glück.

DER MENSCH, DAS SOZIALE WESEN

Neben der ursprünglichen Bedeutung

wird Kommunikation auch als soziale

Handlung verstanden. Auch technische

Aspekte sind nach und nach in den

Kommunikationsbegriff mit eingeflossen.

Heutzutage kommunizieren nicht mehr

nur Menschen mit Menschen, sondern

mithilfe von Maschinen – mit Menschen

und mit Maschinen. Nichts selten kommunizieren

sogar schon Maschinen mit

Foto: © Sean Johannesen | pixabay.com

Maschinen, die künstliche Intelligenz macht es

möglich. In diesen Fällen werden nicht länger

Lebewesen, sondern stattdessen organisierte

Einheiten oder Systeme als Kommunikatoren –

sowohl Sender als auch Empfänger – angesehen.

Zu diesen „Systemen“ gehören aber auch

die Disziplinen Journalismus, Publizistik oder

Marketing.

FÜR UNS ALLTÄGLICH

Im Alltag verläuft Kommunikation scheinbar

selbstverständlich. Wir hinterfragen die eigene

Art zu kommunizieren nicht. Erst wenn es nicht

so funktioniert, wie wir uns das vorstellen,

wird Kommunikation zum Objekt unserer Aufmerksamkeit.

Die Kommunikationswissenschaft stellt die Frage, unter

welchen Bedingungen Kommunikation abläuft; wie sie

funktioniert oder eben nicht. Wie Watzlawick erkannt hat,

können wir tatsächlich nicht nicht kommunizieren. Wir

geben Signale, egal ob wir sprechen oder gerade nichts

sagen wollen. In der Verhaltenstheorie wird Kommunikation

als Prozess gegenseitigen Aufeinandereinwirkens

angesehen. Sobald wir jemandem Aufmerksamkeit

schenken, wirkt der- oder diejenige auf uns ein.

Selbst Ausnahmefälle wie Komapatienten oder

Autisten geben Signale, wenn auch meist nicht

bewusst.

Mag. Markus Neumeyer

Theater-,Film- und

Medienpädagoge

dipl. Lern/Freizeit &

Vitalcoach

EINFACH GESAGT

Die zwischenmenschliche Kommunikation

ist die Grundlage unserer Gesellschaft. Der

Kitt menschlichen Zusammenlebens. Wir

sprechen, agieren, deuten und geben unseren

Mitmenschen damit Zeichen. Es ist ein gemeinsames

Grundverständnis von Nöten, damit beide

Seiten diese Zeichen auch gleich deuten und adäquat

darauf reagieren können. Geben wir uns einen Ruck und

versuchen wir doch unsere Zeichen genauer zu betrachten. War es missverständlich?

War es doppeldeutig oder für das Gegenüber gar kränkend?

Mit vermehrter Achtsamkeit würden viele Kommunikationsprobleme gar

nicht auftauchen. Das gilt besonders für unsere Wortwahl in der E-Mail-

Kommunikation. Denken Sie darüber nach, bevor sie wieder durchgehend

in Großbuchstaben schreiben oder an jeden Satz drei Rufzeichen anhängen.

Na, stimmt doch!!! Oder???

9 | SEPTEMBER 2020


information & nachhaltigkeit

Entdecke den Wald:

Sommerprojekt für Grundschulkinder

AMEISEN GEHÖREN ZU DEN STÄRKSTEN LEBEWESEN

Ursula Schoeneich

Direktorin der German

School Campus in Newport

Beach, CA USA

www.germanschoolcampus.

com

Was tun, wenn in Zeiten der

Pandemie der Sommer naht

und die Schulen weiterhin

geschlossen bleiben? Wir

mussten umdenken, denn es war seit

März nicht erlaubt mit den Schülern auf

dem Campus zu arbeiten. Wir beschlossen,

das Projekt „Entdecke den Wald,“

im online Klassenraum über 4 Wochen

durchzuführen.

DER WALD UND SEINE BEWOHNER

Am ersten Tag des Sommercamps stellten

sich die Kinder auf Deutsch vor und

lernten die anderen Kinder in der Gruppe

kennen. Als wir beschlossen, das Sommercamp

als Immersion Deutsch durchzuführen,

sprachen wir über alltägliche

Dinge, so dass die Kinder Vertrauen zu

ihrem Lehrer gewannen.

Zuerst wurden die Waldtiere mit Hilfe

von Karteikarten vorgestellt, und es

machte den Kindern wirklich Spaß, da

sie einige der Tiere schon kannten oder

mit ihnen vertraut waren. Wir sprachen

über das Aussehen und den Lebensraum

der jeweiligen Tiere:

"Das Eichhörnchen, das Reh, das

Wildschwein, der Dachs, der Fuchs, die

Ameise, der Vogel". Die SchülerInnen

konnten bereits einige der Vogel- oder

Tierstimmen erkennen oder imitieren.

Unter Anleitung erstellten die Schülerinnen

und Schüler ein kleines Waldtierheft,

das für alle Klassen verwendet

werden soll.

Zur Umsetzung des metrischen Systems

wurden Lerntechniken und -strategien

entwickelt. Zur Messung der Größe des

Tieres wurden verschiedene Hilfsmittel

wie z.B. ein Maßband verwendet. Wir

verwendeten Arbeitsblätter mit Strukturierungs

Material zur Förderung der

motorischen Fähigkeiten, wie z.B. Bilder

von Waldtieren ausschneiden und Aufkleben

auf Papier, mit dem deutschen

Wort daneben. Es wurde diskutiert, ob

das Waldtier unten oder oben, links oder

rechts, kriechend, hüpfend oder fliegend

ist.

Zu diesem Zweck wurde den Schülerinnen

und Schülern eine kleine Vokabelliste

zur Verfügung gestellt, um

die wichtigsten Wörter der jeweiligen

Woche zu lernen. Es war erstaunlich, wie

sie später zwischen Säugetieren, Vögeln

und Insekten unterscheiden konnten und

etwas über die Nahrungskette lernten.

Es war ein einwöchiges Hausaufgaben-

Handwerksprojekt, um ein Tier wie das

Eichhörnchen fertigzustellen.

Die Kinder sind hinaus in die Natur

gegangen und haben nach Blättern und

Tannenzapfen gesucht und diese in den

Unterricht mitgebracht, denn am Ende

des Kurses haben die Schülerinnen und

Schüler ihren Wald vorgestellt, und was

sie über die Tiere, Bäume und Früchte

des Waldes gelernt haben. Dies war eine

wertvolle Aktivität und förderte sowohl

die Kreativität als auch die Feinmotorik

und die Konzentrationsfähigkeit.

In der weiteren Woche haben

wir uns speziell auf die Ameise konzentriert,

von ihrer Entstehung und ihrem

Nutzen. Die Kinder lernten selbstständig

und eigenverantwortlich zu arbeiten,

10 | SEPTEMBER 2020


information & nachhaltigkeit

indem sie versuchten, die Arbeitsblätter,

die wir ihnen zur Verfügung stellten,

auszuarbeiten. Dazu mussten sie

schneiden, kleben und einfache Wörter

schreiben.

Als Freiarbeit arbeiteten die Schüler an

ihrem Waldprojekt, dazu sammelten

sie in der Natur z.B. im eigenen Garten,

Parks, auf Wanderwegen, Dinge wie

Blätter, Hölzer, etc. die wir für unseren

gebastelten Wald benötigten. Jeder

Schüler stellte immer seine gefundenen

Sammelstücke vor.

DAS WALD-LAPBOOK

Zur Wiederholung in Woche 3 hatten

die SchülerInnen ein Wald-Lapbook

erstellt. Mit dieser Form der Präsentation

konnten die Kinder Unterrichtsthemen

bearbeiten, festigen und kreativ umsetzen.

Wir unterschieden zwischen Nadel- und

Laubbäumen, von der Wurzelschicht

bis zur Baumschicht lernten die SchülerInnen

die Vorzüge des Waldes kennen.

Die Jahreszeiten, und „wer überwintert

oder, gibt es Tiere, die das ganze Jahr

über aktiv sind?!“

Die Photosynthese als wichtiger Bestandteil, das Verhalten im Wald und die

Regeln, das Fressen und gefressen werden und die Nahrungskette mussten

erkärt werden. Die Kinder waren sehr motiviert und engagiert bei ihrer Arbeit.

Sie ordneten die gewonnenen Informationen in einem aufklappbaren Umschlag,

der zahlreiche geklebte oder verstiftete Innenteile wie "Leporello"-

Elemente, Fächer oder Drehscheiben enthielt und so eine klare und verdichtete

Darstellung des gewählten Themas schaffte.

Die jungen Studierenden arbeiteten nicht nur theoretisch, sondern auch manuell

- viele Sinne waren beteiligt. Die Kinder lernten selbständig zu recherchieren

und zu gestalten.

VOM PILZ CHECK BIS ZUM WEG DES HOLZES

Neben der vielfältigen Flora und Fauna des Waldes, bereiteten wir die Schüler

auch auf mögliche Gefahren vor, wie z.B. giftige Pilze! Anhand eines Steckbriefes

lernen die Kinder die einzelnen Begriffe eines Pilzes kennen. Wo sitzt

der Hut? Was ist ein Myzel?

In der weiteren Woche besprachen wir den Weg des Holzes. Was sind die Arbeitsgeräte

eines Forstarbeiters? Schülern wurden die Begriffe Sägewerk und

Motorsäge erklärt. Wie entsteht ein Möbelstück aus Holz? Jedes Kind nannte

mindestens drei Dinge die vorwiegend aus Holz erzeugt werden. Dazu arbeiteten

wir mit einem Arbeitsblatt, wo die Schüler die jeweiligen Arbeitsschritte

„vom Bäumchen zum Holzbrett“ in die richtige Reihenfolge brachten.

Unser Projekt „ Erforsche den Wald,“ forderte die Schüler heraus. Die Erfahrungen,

die sie dabei machten sind wertvoll und die Lernfortschritte gewaltig.

Man konnte sehen wie sie zu Entdeckern und Analysten ihrer eigenen Arbeit

wurden.

Fotos © German School Campus

11 | SEPTEMBER 2020


information & bewusstsein

Im Labyrinth des Lebens:

Wegweiser

GERADE JENE STEINE, DIE DICH INS STOLPERN BRINGEN, SIND DEINE

WEGWEISER (Martin Gerhard Reisenberg)

Roswitha Maderthaner

Kindergartenleiterin

Montessoriepädagogin

Akademische Trainerin

Dipl.Biografiearbeiterin

zur Zeit Studium der

Elementarpädagogik

Neulich am Pilgerweg im Mühlviertel.

Am Morgen des zweiten

Tages erreiche ich ein Labyrinth.

Mitten am Weg taucht es auf,

mit kleinen Steinen gelegt und Lavendel

umrandet. In der Mitte steht ein Baum

und am Eingang ist ein Schild befestigt,

mit dem Hinweis, dass es sich um das

Labyrinth von Chartres handelt und

von der örtlichen Landjugend angelegt

wurde. Ich bin begeistert. Man muss

wissen, dass es sich bei einem Labyrinth

nicht um einen Irrgarten handelt. Beim

Irrgarten muss man den Weg suchen

und hinausfinden, dabei wird man in

die Irre geführt. Das Labyrinth hingegen

hat nur einen Weg, der immer zur Mitte

führt. Es ist ein uraltes Menschheitssymbol,

das für das Leben selbst und

den Lebensweg steht. Macht man

sich auf und begeht es, so kann

man viel über sein Leben erfahren

und sich selbst entdecken.

Da steh ich also, voll Vorfreude und

dem Gedanken, ob mein Rucksack beim

Durchschreiten mitkommen soll. Es ist

mein zweiter Pilgertag und der Rucksack

drückt schon schwer auf meinen

Schultern. Außerdem überlege ich, ob

ich diese zusätzlichen Meter wirklich

gehen will, liegt doch noch ein ordentlicher

Tagesmarsch vor mir. Meine

Begeisterung fegt aber alle aufkommenden

Zweifel hinweg. Ich stelle den

Rucksack ab, und mache beherzt die

ersten Schritte in das Labyrinth hinein.

Kein Wegweiser zeigt mir, wohin ich

muss, anders als am Pilgerweg, wo ich

mich immer mit Hilfe solcher Wegweiser

orientiere. Nein, das Labyrinth gibt den

Weg vor, vorausgesetzt man begeht es.

Es gibt nur diesen einen Weg, und der

führt ganz bestimmt in die Mitte. Es tut

gut sich in solcher Sicherheit zu wissen.

Ständig plagt mich nämlich beim Pilgern

die Sorge, ob ich am richtigen Weg,

und hoffentlich nicht falsch abgebogen

bin, oder ein Schild übersehen habe.

Dann überkommen mich Zweifel. Hier

im Labyrinth ist es einfach. Ich vertraue

dem Weg, der vor mir liegt. Ich muss

auch nicht den ganzen Weg kennen,

sondern immer nur wissen, wohin ich

den nächsten Schritt setze. Im Leben,

wie im Labyrinth kann man schnell den

Überblick verlieren. Wie gut ist es zu

wissen, dass es genügt, einfach den

nächsten Schritt zu kennen. Leo Tolstoi

(1828 – 1910) formulierte es folgendermaßen:

„Denke immer daran,

dass es nur eine wichtige Zeit gibt:

Heute. Hier. Jetzt.“ Die Gegenwart

als Ausgangsbasis.

Fotos © 8926 und Gerd Altmann | pixabay.com


information & bewusstsein

Auch die Biografiearbeit setzt immer in der

Gegenwart an. Aktuelle Fragestellungen und

Anlässe sind dabei der Ausgangspunkt für die

Rückschau oder Vorschau auf sein Leben. Die

Gegenwart kann Orientierung geben, wenn

man nur den nächsten, möglichen Schritt

überlegt, nicht den Verlauf des gesamten

Weges. Unerwartet tauchen beim Begehen

vom Labyrinth Wendungen auf, und ich

meistere sie mühelos, da ich immer nur einen

Fuß vor den anderen setze. Ich bleibe stehen

und stutze, ich denke hier geht es weiter,

aber nein der Weg im Labyrinth wechselt

nach einer Kurve die Richtung. Wie oft schon

dachte ich, zu wissen, wo es in meinem

Leben langgeht, um mich kurz darauf mit

unvorhersehbaren Wendungen konfrontiert

zu sehen. Vertraue! Das Labyrinth kennt den

Weg, und das Leben scheinbar auch.

Ich finde mein Tempo, gehe sehr bewusst,

so wie den ganzen letzten Tag auch, und

plötzlich stehe ich in der Mitte. Vor mir ein

Baum. Bin ich schon angekommen, bin ich

schon am Ziel? Wohin jetzt? Der Weg ist zu

Ende, aber ist das auch das Ziel? War es das?

Ich drehe mich um, und da ist er wieder. Der

Weg hinaus. Der Weg hinaus ist der Weg

hinein. Schritt für Schritt. In der Symbolik des

Labyrinthes stellt sein Zentrum die Lebensmitte

des Menschen dar. Ab hier geht es wieder

zurück. Zügiger durchschreite ich nun das

Labyrinth, und erlebe es aus einer anderen

Perspektive. Ich erreiche den Ausgang, der

zuvor mein Eingang war, schultere meinen

Rucksack und schreite voran. Schließlich habe

ich ein Tagesziel, das ich mit Hilfe der vielen

Wegweiser erreichen will.

Foto © Roswitha Maderthaner

13 | SEPTEMBER 2020


information & gesellschaft

Rat auf Draht:

Tipps zum Schulstart im Herbst

DER ERSTE VERSUCH EINER RÜCKKEHR IN DIE „NORMALITÄT“ NACH DEM

CORONA-SEMESTER

Birgit Satke

Leiterin von Rat auf Draht

www.rataufdraht.at

www.sos-kinderdorf.at

INFO

Rat auf Draht wünscht allen

Für alle Schülerinnen und

Schülern die in Schwierigkeiten

kommen: Notrufnummer

147 rund um die

Uhr aus ganz Österreich

erreichbar.

Der Anruf kostet nichts und

ist anonym.

14 | SEPTEMBER 2020

Die Sommerferien gehen dem

Ende zu und der Schulstart im

Corona-Herbst steht bevor. Der

Bildungsminister verspricht

„Normalbetrieb“, doch „normal“ fühlt

sich der Schulbeginn für viele Kinder

und Jugendliche in diesem Jahr nicht

an. „Der diesjährige Schulbeginn ist mit

besonders vielen Unsicherheiten verbunden.

Nach dem turbulenten Corona-

Semester und neun Wochen Ferien gilt

es nun, den familiären Alltag neu zu

organisieren und zu einer neuen Stabilität

zu finden. Eine gute Vorbereitung

hilft, damit der Wiedereinstieg ins neue

Schuljahr reibungslos klappt.

ÄNGSTE NEHMEN

Die Verunsicherung bei Schülerinnen

und Schülern im Corona-Herbst ist groß:

Welche neuen Regeln gelten in der

Schule? Was, wenn es zu neuerlichen

Schulschließungen kommt? Reden Sie

mit Ihrem Kind und versuchen Sie so

weit wie möglich für Klarheit zu sorgen.

Verfolgen Sie gemeinsam die Nachrichten

und besprechen Sie die offiziellen

Regelungen und Hygienemaßnahmen an

der Schule. Machen Sie Ihrem Kind klar,

dass offizielle Stellen für die Sicherheit in

der Schule zuständig sind.

POSITIVES EINSTIMMEN

Stimmen Sie Ihr Kind positiv auf die

Schule ein, indem Sie den Fokus auf die

schönen Aspekte legen – zum Beispiel,

Freunde und Freundinnen wiederzusehen

und Interessantes zu lernen.

Die letzten Ferientage sollten dazu

genutzt werden, nochmal einen Blick in

die Hefte des vergangenen Schuljahres

zu werfen. Gerade nach dem teils cha-

otischen letzten Semester machen sich Kinder

Sorgen, nicht mehr mithalten zu können.

Wer sich die wichtigsten Schwerpunkte in

Erinnerung ruft, hat einen besseren Start und

verhindert, gleich am Anfang den Anschluss zu

verlieren oder sich überfordert zu fühlen.

TAGESRHYTHMUS FINDEN

Passen Sie den Tagesablauf Ihrer Familie

langsam wieder an das Schulleben an. Achten

Sie darauf, wie viel Schlaf Ihr Kind braucht,

um in der Früh ausgeschlafen zu sein, und

richten Sie die Bettgehenszeit danach aus. Für

den Morgen sollte ausreichend Zeit eingeplant

werden. Optimal ist ein gemeinsames

Frühstück, bei dem der neue Tag besprochen

werden kann.

LEISTUNGSDRUCK VERMEIDEN

Üben Sie keinen Erfolgsdruck auf Ihr Kind aus

und loben Sie positive Leistungen. Eine längere

Eingewöhnungsphase ist unter den gegebenen

Umständen normal. Sollten Sie Schwierigkeiten

bemerken, reden Sie mit Ihrem Kind darüber

und bieten Sie Hilfe an. Auch ein Gespräch mit

der Lehrerin oder dem Lehrer kann helfen, die

schulischen Probleme des Kindes besser zu

verstehen. Auf jeden Fall sollte Ihr Kind wissen,

dass Sie als Elternteil hinter ihm stehen, unabhängig

von Schulnoten.

ZEIT FÜR ERHOLUNG

Manche Kinder erledigen ihre Hausübung

sofort wenn sie nach Hause kommen, andere

brauchen erst eine Pause. Wichtig ist, dass

genügend Zeit für Erholung bleibt. Kinder brauchen

Zeit um die Geschehnisse in der Schule zu

verarbeiten und sich zu regenerieren. Achten

Sie darauf, ob Ihr Kind direkt nach der Schule

die nötige Energie und Konzentration für die

Hausübung hat. Wenn es zu unruhig ist, klappt

es nach ein bisschen Spielen und Abschalten

vielleicht besser.


Sie wissen selbst am besten, womit

Sie Ihr Wissen ergänzen wollen!

Ausbildung für Jung und Alt

• Sie lernen am Ort Ihrer Wahl.

• Sie lernen mit Ihrer eigenen Geschwindigkeit

• Sie wählen Ihre eigenen Lernzeiten

FERNLEHRGANG mit interaktiven Elementen

IMPROVE-Bildung mit Zukunft

www.improve.or.at


information & erziehung

Mag. a Maria Neuberger-

Schmidt

Autorin und Gründerin

Verein Elternwerkstatt

www.elternwerkstatt.at

Foto: Ingrid Perger

Elternwerkstatt

Foto: © Clker-Free-Vector-Images | pixabay.com

16 | SEPTEMBER 2020

Erziehung ist (k)ein Kinderspiel:

Dann mach‘ doch, was du willst!

MANCHE JUGENDLICHE SIND MENSCHEN, DIE IHRE PUBERTIERENDEN ELTERN

NUR MIT STRENGER ERZIEHUNG INS WAHRE LEBEN ENTLASSEN KÖNNEN

(Christa Schyboll)

Wenn die Unvernunft der

Jugendlichen mit einer guten

Portion Provokation und

Sturheit einhergeht und sie

auf keinen guten Rat mehr hören wollen,

wissen Eltern oft nur noch eins darauf zu

antworten: „Dann mach‘ doch, was du

willst!“ Scheinbar entlässt dieser Satz in

die Freiheit. In Wirklichkeit enthält er ein

Ultimatum, setzt unter Druck. Jahrelange,

bemühte Erziehungsarbeit endet

mit einem „Götz-Zitat“ – Das war’s!

Die Türen fallen zu, man hat einander

nichts mehr zu sagen. Ihre Mühe bleibt

unbedankt oder der Dank wird auf den

Pflichtanteil reduziert.

„Dann mach‘ doch, was du willst!“ Bei

diesem Satz kann folgendes zwischen

den Zeilen durchschwingen: Enttäuschung

(Sie meinen es gut, doch man

hört nicht auf

Sie),

gekränkte Eitelkeit

(Man stellt

Ihre Kompetenz

in Frage), Wut

(„Das tut sie/er

nur, um mich zu

ärgern!“), Verzweiflung

(„Ich weiß mir

nicht mehr anders zu

helfen!“), Erpressung

(„Entweder du richtest

dich nach meinen

Vorstellungen oder

du wirst sehen, wie

du zurecht kommst!“).

Durch den Widerstand

Ihres Kindes fühlen Sie

sich persönlich abgelehnt

und reagieren – verzeihen

Sie! – genauso

pubertär wie dieses.

KLARHEIT OHNE GESICHTSVERLUST

Stattdessen könnte es in etwa so lauten: „Ich

sehe, dass du momentan nicht bereit bist, auf

mich zu hören!“ (Sie sagen, welchen Eindruck

Ihr Kind momentan auf Sie macht.) Dann

senden Sie eine Ich-Botschaft ohne Machtwort,

Vorwurf: „Mir ist es wichtig, dass du weißt,

wie ich darüber denke... Vor allem möchte

ich, dass du weißt, was du mir bedeutest und

dass ich mir wünsche, dass du den richtigen

Weg für dich findest.“ Wenn Sie solchermaßen

loslassen, dann bleiben Sie Ihrem Kind Stütze

und Orientierungshilfe und geben ihm vor allem

die emotionale Sicherheit. Ins rechte Lot wird

Ihr Sohn/Ihre Tochter dann aus eigener Kraft

finden.

Wir können unsere Kinder nicht vor allem

bewahren und manchmal müssen sie anscheinend

auch schlechte Erfahrungen machen, aber

wir können und sollen die Türen offen halten.

Wenn sie

wieder-

dann klein und angeschlagen

kommen, ist es wichtig,

dass Sie ihm die Wiedereingliederung

ohne

Gesichtsverlust ermöglichen.

Kein belehrendes,

süffisantes „Ich hab’s ja

gleich gewusst!“, sondern

ehrlich: „Ich freue mich,

dass du wieder da bist“,

„..dass du das einsiehst!“

Eine ehrliche Aussprache

muss in Ruhe erfolgen.

Jugendliche wissen diese

Haltung zu schätzen, wenn

sie es auch nicht immer gleich

zugeben. Aber so kann er/sie

aus Fehlern lernen und Ihre

Beziehung wird immer mehr

zu einer tragfähigen Basis für

die Zukunft.


information & freiheit

Kostbarste Ressource:

Kreativität

WAHRE KREATIVITÄT ENTSTEHT IMMER AUS EINEM MANGEL

(Wolfgang Joop, Designer)

Corona hat bei vielen Vieles

verändert; bei manchen ALLES.

Ich gehöre zu den Manchen.

35 Jahre war ich nicht mehr so

lange in meinem Heimatort gewesen

wie jetzt. Über ein halbes Jahr. Denn

mein Job hat sich aufgelöst: Seminare,

Vorträge, Lesungen – alles vorbei. Keine

Nachfrage mehr. Keine Möglichkeit der

Umsetzung. Die Erinnerung bleibt: Wie

schön waren doch Keynotes vor

300 Menschen. Wie genial war

das Erfolgskriterium: Bis zum

letzten Platz gefüllter Saal … Es

war einmal – und es war einmal

schön.

Und jetzt kommt das nächste

Kapitel: Geboren aus dem Mangel.

Aus einem Engpass. Kreativität

will sich verströmen, will

Neues gebären, will umsetzen.

Nein, bitte keine Analysen, bis

von der Idee nichts mehr übrig

bleibt. Wir könnten doch – gerade unter

Corona-Bedingungen – ein „Kulturfest“

gestalten. Unsere Talente aufleben

lassen. Miteinander.

fen, das ist die Magie, die Kraft der

Kreativität. Goethe brachte es auf den

Punkt: „Auch aus Steinen, die Dir in den

Weg gelegt werden, kannst Du etwas

Schönes bauen.“

Wer hat uns die Kreativität genommen?

Zweifellos achten viele Menschen mehr

auf Gebote/Verbote/Verordnungen als

auf die FREIHEIT, Ideen in die Welt zu

setzen. Jeff Bezos, den

Amazon zum reichsten

„Als Kind ist jeder

ein Künstler.

Die Schwierigkeit

liegt darin,

als Erwachsener

einer zu bleiben.“

Mann der Welt werden

ließ, meinte: „Das Leben

ist zu kurz, um mit Leuten

rumzuhängen, die nicht

erfinderisch sind.“

Kinder spielen, experimentieren,

bauen Wolkentürme.

Niemand kann sie

bremsen. Als Erwachsene

wurden sie, wurden wir

kleinmütig. Idee? Wer

weiß, was da alles schief

gehen kann. Wer zahlt mir das? Und ob

wir dafür überhaupt eine Genehmigung

erhalten? Wofür der Aufwand?

Pablo Picasso.

Dr. Manfred Greisinger

Autor, Trainer

Buch-Projekt-Begleiter

Vortragender

Selfness-Coach

ICH-Marke-Pionier

25 Bücher bisher –

aktuell: „Heimkehr –

Liebesgeschichte Leben“

www.stoareich.at

Foto: © Gernot Blieberger

Ja, in den letzten drei Monaten habe ich

drei Kulturfeste organisiert, mit Sponsoren

finanziert, moderiert. Für 100, 200

und zuletzt 300 Gäste. Ganz nach Albert

Einsteins Motto: „Kreativität ist die

Intelligenz, die Spaß hat.“

FREIHEIT, IDEEN IN DIE WELT ZU

SETZEN

Aus Barrieren, Einschränkungen, aus

einem NEIN eine Möglichkeit zu schaf-

Foto: © Gerd Altmann | pixabay.com

17 | SEPTEMBER 2020


e

r

aber

lig.

istiker

information & pädagogik

Lernen & Motivation:

(k)ein Widerspruch in sich?

GANZ EHRLICH – WÜRDEN SIE SICH TÄGLICH AUF´S NEUE IN BRENNNESSEL

SETZEN?

sche

war

kt, aber

alig.

horistiker

Susanne ZeiLer

Lerne.Lieber.Leichter!

Legasthenietherapie &

Dyskalkulietraining

Lerncoaching

Workshops

Familienberatung

Der Herbst ist da und auch wenn

der Frühling 2020 alles bisher

Vertraute auf den Kopf gestellt

hat – eines bleibt gleich: Schülerinnen

und Schüler sowie Eltern starten

in ein neues Schuljahr mit vielen guten

Vorsätzen. Heuer werde ich wirklich jeden

Tag meine Hausübungen erledigen,

von Anfang an mitlernen. Eltern sind

wild entschlossen, die Bemühungen der

Kinder zu unterstützen.

WAS KÖNNEN ELTERN TUN, DAMIT

ES HEUER WIRKLICH ANDERS WIRD?

Denken wir zunächst nach, was die Lernmotivation

fördert bzw. hemmt. Zweifelsfrei

steigt diese, wenn das grundlegende

Bedürfnis nach Anerkennung

und Selbstwert befriedigt wird. Und die

Motivation sinkt, wenn Lernen mit Frustration

und Abwertung gekoppelt ist.

In der Praxis erlebe ich häufig Resignation

bei Kindern und Jugendlichen verbunden

mit Überzeugungen wie zB. „Lernen

ist fad“ oder „Mathe kapier ich nie“

usw. Es ist zu beobachten, dass Kinder

drei Stadien durchlaufen,

bevor sich solche

Gedanken festigen.

Am Beginn der Schulzeit

ist Lernen spannend,

es herrscht Interesse

und Neugier. Nach einigen Erfahrungen,

die den Selbstwert bedrohen, zeigt sich

Angst. „Lachen morgen wieder alle,

wenn ich so langsam lese?“ In dieser

Phase verstärkt das Kind seine Bemühungen

um sich vor weiteren Frustrationen

zu retten. Nehmen diese aber

Wer mit Anerkennung

knausert, spart am falschen

Ort.

Dale Carnegie

weiter zu, wird das Bedürfnis nach Selbstwertschutz

stärker und das Kind reagiert

mit Ärger, Ablehnungen und Rückzug. Die

Spirale dreht sich nach unten.

Nun die gute Nachricht: Studien haben

gezeigt, dass das Kompetenzgefühl

und Selbstvertrauen der Kinder steigt,

wenn ihnen eine hohe, aber realistische

Erwartungshaltung entgegen gebracht

wird. Dies wirkt sich unmittelbar auf die

Leistungsbereitschaft aus. Dabei ist der

Einfluss der Eltern größer als der der Lehrkraft.

Was bedeutet das für Sie als Mutter

oder Vater?

UNTERSTÜTZEN SIE IHR KIND POSITIV,

INDEM SIE

• die Erwartungen an die Fähigkeiten

des Kindes anpassen

• die Aufmerksamkeit auf die Stärken

lenken

• dem Kind mit Wertschätzung und

Anerkennung begegnen

Das ist, zugegeben, nicht

leicht. Die Aufmerksamkeit

der Eltern ist gefordert, um

dem Kind für die nächsten

Schritte die Hand zu reichen.

Dabei darf durchaus

vermittelt werden, dass

von ihm Kooperation erwartet wird. Die

Bemühungen des Kindes zu sehen und

anerkennend zum Ausdruck zu bringen,

stärkt das Selbstvertrauen und somit seine

zukünftige Selbstbestimmung.

Foto: © Gerd Altmann | pixabay.com

18 | SEPTEMBER 2020


information & & pädagogik forschung

Leopoldstädter LenZ:

Familien- und Lernzentrum

Das Interview führte Jakob Schott, MA BA | CONCORDIA Sozialprojekte

Gemeinnützige Privatstiftung mit Burhan Makiya

CONCORDIA Sozialprojekte ist

durch die Vielzahl an sozialen

Dienstleistungen in Osteuropa

bekannt, wo die Organisation

mittlerweile schon dreißig Jahre aktiv

ist. Weniger bekannt sind hingegen die

Angebote der Organisation in Österreich

für Kinder, Jugendliche und Familien mit

Migrations- und Fluchthintergrund. Seit

2016 bietet die Organisation in Wien

unter anderem außerschulische Lernbetreuung

an. Die Kinder und Jugendlichen

mit Migrations- und Fluchthintergrund

werden nachmittags von ausgebildeten

SozialarbeiterInnen und PädagogInnen

individuell betreut. Wir arbeiten auch

mit den Schulen aus dem direkten Einzugsbereich

zusammen.

Burhan Makiya ist für diese Kooperationen

zuständig.

MIT WELCHEN SCHULEN STEHST DU

IN KONTAKT?

Mit den Volksschulen und Mittelschulen

in unserer Umgebung im 2. Bezirk aber

auch aus dem Brigittenau.

WIE SIEHT DIE ZUSAMMENARBEIT

MIT DEN LEHRERINNEN AUS?

Wir haben engen Kontakt zu den Direktorinnen

und sind bei Vernetzungen im

Bezirk dabei. Wir kontaktieren LehrerInnen

nur in besonderen Fällen. Einmal

hegten wir bei einer Schülerin den Verdacht,

dass eine gravierende Lernschwäche

vorliegen könnte. Wir stellten dann

aber fest, dass das Problem nicht an den

Deutschkenntnissen lag und haben mit

ihrer Lehrerin gesprochen. So können wir

anhand der individuellen Betreuung feststellen,

wo Schwächen bei den Kindern

liegen und die Schule ist dankbar, dass sie

so kein Kind unbeabsichtigt zurücklässt.

WIE PROFITIEREN DIE KINDER UND

JUGENDLICHEN IN DER LERNBETREU-

UNG VON DEN ANGEBOTEN?

Durch die kleinen Betreuungsgruppen und

durch die Unterstützung unserer Freiwilligen

haben die Kinder und Jugendlichen

mehr Zeit, sich mit dem Stoff auseinanderzusetzen.

Wir können auch individuell

auf die Kinder eingehen. Unsere Arbeit

mit den Eltern stellt sicher, dass wir auch

Einfluss auf die Familien haben und bei

Bedarf intervenieren können. Außerdem

profitieren die Kinder und Jugendlichen

auch von der Vielfältigkeit der Freiwilligen.

Sie müssen sich immer wieder auf

neue Bezugspersonen einstellen, was sie

sehr freut und ihnen bei der Orientierung

in Österreich weiterhilft.

BIST DU WÄHREND DES LOCKDOWNS

AUCH MIT DEN SCHULEN IN KONTAKT

GESTANDEN?

Wir haben Mitte Mai unser Angebot

wieder gestartet und haben auch wieder

Kontakt mit den Schulen gehabt. Während

des Lockdowns stand bei uns eher

die Organisation des homeschooling im

Vordergrund. Wir organisierten Laptops

und Schulmaterialien. Wir kümmerten

uns darum, dass die VolksschülerInnen zu

ihren Unterlagen kamen und SchülerInnen

aus der Sekundarstufe einen Mailaccount

anlegen konnten, um ihre Aufgaben zu

erledigen. Auch haben wir jedes unserer

Kinder und Jugendlichen individuell bei

den Hausaufgaben und dem Verständnis

des Lernstoffes unterstützt. Es war viel

Arbeit, aber viele Freiwillige haben uns

geholfen.

Foto: © Concordia

19 | SEPTEMBER 2020


information & wissenschaft

Simulation versus Realität:

Leben wir alle in derselben Welt?

UNSER GEHIRN KONSTRUIERT FÜR JEDEN SEINE ODER IHRE GANZ INDIVIDUELLE

WELT

Thomas Kolbe

Fachwissenschaftler

für Versuchstierkunde,

Ao. Prof. für die

Service-Plattform

Biomodels Austria

Veterinärmedizinische

Universität Wien

Schon in der Antike rätselten Philosophen

wie Platon darüber, wie

real die von uns erlebte Welt wirklich

ist (siehe Höhlengleichnis).

Neurophysiologen sind heute mit modernsten

Methoden der Lösung auf der

Spur, haben aber noch keine endgültige

Erklärung. Wenn wir einen Gegenstand

wahrnehmen und die Farbe als ›rot‹ bezeichnen,

dann wird eine andere Person

das vermutlich bestätigen können. Aber

nur aufgrund der Konvention, dass wir

beide damit aufgewachsen sind, dass

alle genau diese Farbe als ›rot‹ bezeichnet

haben. Ich weiß überhaupt nicht, wie

mein Gegenüber diese Farbe wirklich

wahrnimmt. Wir haben uns nur beide

darauf geeinigt, diese Farbe mit ›rot‹ zu

bezeichnen.

Tatsächlich fängt mein Auge elektromagnetische

Wellen einer bestimmten

Wellenlänge auf und mein Gehirn stellt

diese Wahrnehmung mit einer Farbe dar.

Dabei kann mein Auge – im Unterschied

zu manchen Tieren - nur einen sehr

kleinen Bereich des elektromagnetischen

Spektrums wahrnehmen. Alles andere

meiner Umwelt bleibt mir verschlossen.

Im hinteren Teil meines Großhirns

bastelt mein Bewusstsein aus allem

sensorischen Input nun ein Abbild

meiner Welt zusammen. Mit optischen

Täuschungen können wir es dabei

leicht überlisten. Wenn wir jedem Auge

ein unterschiedliches Bild anbieten

(verschiedene Personen oder Gegenstände),

bekommt unser Bewusstsein

verschiedenen Input, kann sich nicht für

eine Variante entscheiden und wechselt

ständig zwischen den beiden Bildern hin

und her. Aufgrund dieser ›binokularen

Rivalität‹ sehen wir abwechselnd mal

das eine Bild, dann das andere.

Unser Gehirn kann auch andere Szenerien

für uns entwerfen. Wenn wir

schlafen ist das Bewusstsein ausgeschaltet,

aber das Gehirn ist hochgradig

aktiv. Wir nennen das ›Träumen‹. Dabei

simuliert das Gehirn ausgehend von

früheren Erfahrungen und Erlebnissen

ganz eigene Szenen und Begebenheiten,

teilweise ausgesprochen realistisch, teilweise

ausgesprochen phantastisch. Die

Psychologen erklären das damit, dass

das Gehirn frisch erlebte Dinge zuordnen

und verarbeiten muss.

Es gibt sogar noch einen dritten Zustand,

in dem das Gehirn Umwelt darstellt. Bei

Halluzinationen, bedingt durch Drogen,

Medikamente oder Beschädigungen des

Gehirns, stellt uns das Gehirn eine Welt

dar, wie es sie in der Realität so nicht

gibt. So wird aus einem Autobus z.B.

plötzlich ein rosa Elefant. Für das Gehirn,

für diese Person ist diese Wahrnehmung

in dem Augenblick real. Für alle anderen

Personen bleibt das Objekt dagegen ein

Autobus.

Natürlich sind diese Bewusstseinszustände

kein entweder - oder, sondern es gibt

fließende Übergänge von leicht unterschiedlicher

selektiver Wahrnehmung

(„so habe ich das nicht ausgedrückt“)

bis zu als eindeutig abweichend wahrge-

Foto: © galaxy-610663 | pixabay.com

20 | SEPTEMBER 2020


information & wissenschaft

nommenen Beobachtungen („das habe

ich nie und nimmer gesagt“).

Der Philosoph Nick Bostrom geht

angesichts der Unzuverlässigkeit der

Projektion der Welt in unserem Gehirn

sogar so weit zu vermuten, alle unsere

Wahrnehmungen wären nur Teil einer

gigantischen Simulation wie in dem

Kinofilm Matrix.

LINKS:

https://www.tagesspiegel.de/gesellschaft/panorama/dressgateim-februar-2015-weiss-und-goldoder-blau-und-schwarz-welchefarbe-hat-das-kleid/11435330.

html#

https://www.spiegel.de/

wissenschaft/mensch/

dressgate-ist-das-kleid-blauschwarz-oder-weiss-goldenschlafvorlieben-entscheiden-a-1142502.html

https://youtu.be/GA7V8Z533FI

Wenn wir nicht so extremen Theorien

folgen wollen, welchen Nutzen können

wir aus dem Stand der Bewusstseinsforschung

ziehen?

Zum einen mehr Verständnis aufbringen

für Menschen, die unsere Welt nicht

genauso wie wir erleben.

Zum anderen begreifen, dass echtes

Verständnis nur durch gemeinsames Erleben

zustande kommt. Eine nicht selber

erlebte Situation kann man versuchen

rational nachzuvollziehen. Emotional

wird man sie aber nie genauso erleben.

Foto: © Gerd Altmann | pixabay.com

21 | SEPTEMBER 2020


information & bewusstsein

Professor Abakus:

Eine Hand wäscht die andere

Hände waschen zählt definitiv nicht zu meiner Lieblingsbeschäftigung.

Aber da das eine der Voraussetzungen ist, dass ich meine Freunde in der

Schule wieder sehen und mit ihnen rumblödeln kann, schrubbe und desinfiziere

ich meine Hände und halte Abstand. Der hat vor allem zu Hause

den Vorteil, dass ich nicht immer die Zurufe höre, wenn ich zum Beispiel den Tisch

decken soll. Ehrlich, ich bin so programmiert, dass ich das wirklich nicht höre. Dass

das in meiner Familie trotzdem nicht akzeptiert wird habe ich dem Haushaltsmanagement

zu verdanken, das die Aufgaben der Koordination, Delegation und Kontrolle sehr

ernst nimmt.

Foto: © Mykola Velychko - Fotolia.com

Meiner Schätzung nach müsste ich jetzt ungefähr 1440 Jahre alt sein, so oft, wie ich beim

Einschäumen meiner Hände Happy Birthday angestimmt habe, um die empfohlenen 30 Sekunden

Waschdauer zu überbrücken. Glauben Sie nicht, dass ich vor Corona meine Hände nicht auch gewaschen

hätte. Vielleicht nicht so bewusst, eher automatisch und immer konnte ich mich auch nicht daran erinnern.

War ja auch nicht so ein Thema, außer vor dem Essen und klar, wenn ich woher auch immer nach Hause

gekommen bin.

Eine Hand wäscht die andere, steht aber nicht nur für Wasser und Seife, sondern für eine Redewendung.

Sozusagen für ein Geben und Nehmen, denn das soziale Miteinander beruht immer auf Gegenseitigkeit.

Tja, und genau da hapert es manchmal beim Nachwuchs, aber auch bei so manchem Erwachsenen. Für die

Kindererziehung gibt es ausreichend Bücher zum Nachlesen, Tipps und Analysen, wie die Sprösslinge zu

behandeln sind, wie man Grenzen aufzeigt, Werte und Verantwortung vermittelt und so weiter.

Erziehungsratgeber für Erwachsene geben,

lernen, die dann respektiert und eingehal-

pädagogische Einflussnahme

werde sicher nicht gefragt, wie

Wenn ich zu entscheiden hätte, würde es auch

denn auch Erwachsene können Regeln

ten werden müssen. Gewissermaßen eine

auf das Verhalten Erwachsener. Aber ich

immer.

Ghostwriter: Birgit Menke

Foto: © Виктория Бородинова| pixabay.com

22 | SEPTEMBER 2020


Symbolfoto © Daniel Gollner, Caritas Kärnten

Freude am Lernen

mit einer gesunden

Jause!

Schenken Sie eine gesunde Jause

Die Lerncafés der Caritas sind ein kostenloses Angebot für SchülerInnen. Österreichweit

gibt es 54 Lerncafés in denen vergangenes Jahr rund 2.100 Kinder auf

dem Weg zu einem positiven Schulabschluss unterstützt wurden. Mit Ihrer Spende

finanzieren Sie diesen Kindern eine gesunde Jause. Durch die Jause wird den

Kindern auch das Thema gesunde Ernährung mit auf den Weg gegeben.

schenkenmitsinn.at

Die Welt für

20 €

besser machen


information & bewusstsein

Nicht zu vergleichen:

Kindheit früher und heute

DIE EINDRÜCKE DER KINDHEIT WURZELN AM TIEFSTEN

(Karl Emil Franzos)

Babette Reineke

Hannover, Deutschland

1946 aus der russischen in die amerikanische

Besatzungszone geflohen. In einem Samtkleid

und Schuhen aus einem Care-Paket aus

Amerika.

Ich bin 1932 in Mühlhausen/Thüringen

geboren. Vater war Böttcher in

der alteingesessenen Brauerei unseres

Städtchens. Mutter war Hausfrau.

Politik spielte bei uns kaum eine

Rolle, hier spielte eher die Blasmusik.

Nämlich im “Bayernverein“, den mein

Vater, aus Bayern stammend, zusammen

mit Landsleuten gegründet

hatte. Dort wurde das bayrische

Brauchtum incl. Trachtentänze

und zünftigem Bauerntheater,

gepflegt. Auch eine Kindertanzgruppe

gab es, und ich war mit

meinen fünf Jahren, die Jüngste.

Unsere Veranstaltungen, die im

Sommer auch im Freien stattfanden,

waren in der thüringischen

Provinz echt exotisch und immer

ausverkauft. Irgendwie war es

eine wunderbare Welt für sich

und die glücklichste Zeit meiner

Kindheit.

Als der zweite Weltkrieg begann,

war ich sieben Jahre alt

und gerade ein Jahr lang “ABC

Schütze“. Da wehte ein anderer

Wind! Dennoch ging ich gern zur

Schule, nur die Rechenstunde

war mir höchst zuwider! Kam

das daher, weil Vater mit mir,

schon als Kleinkind, das kleine

Einmaleins übte? Schließlich

sollte mal was werden aus mir!

Kapierte ich, bekam ich einen

Groschen für ne Zuckerstange, wenn nicht,

gab es Schmisse. Damals nichts Besonderes,

auch in der Schule ging der Rohrstock

um. Wir Kinder, gingen damit, wie auch mit

anderen unangenehmen Gegebenheiten,

gelassen um und glaubten das müsse so

sein! Ebenso glaubten wir, was man uns

lehrte: Dass wir die Guten und die ganze

Welt schlecht sei! Wir glaubten an den

Weihnachtsmann, den Osterhasen und den

Klapperstorch. Dem musste man nur ein

Stückchen Zucker aufs Fensterbrett legen,

damit er ein Brüderchen oder Schwesterchen

brachte. Das Wie und Wo, tat nichts zur

Sache, das war tabu! Und die Sache mit der

Liebe? Trotz der hässlichen Kritzelein an den

Wänden unserer Plumpsklos, stellten wir

sie uns einfach himmlisch vor und träumten

davon, hinein zu tanzen, grad wie Marika

Rökk: In den “Siebenten Himmel der Liebe“!

Dabei waren wir noch viel zu jung und der

Hölle so viel näher! Die Angst ging um,

doch das Leben ging weiter und wir hatten

unseren Spaß, unsere Freude, an Kreis- und

Geländespielen in Wald und Flur, wo man

so herrlich Laubhütten bauen und “Indianer“

spielen konnte. Wir spielten “Kreiselpeitschen“

auf dem Fußweg und Bälle

fangen an der Hauswand. Nicht zu vergessen

“ Vater, Mutter, Kind“, oder “Kaspertheater“.

Wir hatten niemals Langeweile!

Später hatten wir die Aufgabe Heilkräuter zu

sammeln, sogar Lumpen Knochen Eisen und

Papier. Das fing mit dem zehnten Lebensjahr

an, wo man ganz automatisch “Jungmädel“

war! Nun ging es im Marschschritt, mit

fröhlichem Gesang durch die Straßen, und

wir hatten sogar Spaß daran! Heute erinnert

mich das stark an den “Rattenfänger

von Hameln“! Wir strickten Socken und

Fotos: © Babette Reineke

24 | SEPTEMBER 2020


information & bewusstsein

Ohrenschützer für die “Landser“ und wünschten

uns eine modische Zipfelmüt-ze mit “Karnickelfellbesatz“,

eine Puppenstube oder einen Wipproller

zu Weihnachten. Mehr und mehr aber wurde unser

Wünschen und Hoffen von der rauen Wirklichkeit

bestimmt: Hauptsache, es gab keinen Fliegeralarm

und unser Bauer entlohnte das Mithelfen bei der

Ernte, mit genug Milch, Mehl und dicken Speckschwarten.

Daraus zauberte Mutter die köstlichsten

Gerichte, grad so wie sie aus alten Tisch- oder

Bettdecken- Kleider, Hosen, Puppen, sogar Stoffbälle

machte! Aus Nichts etwas machen, das lernten

auch wir Kinder schnell und ebenso, achtsam mit

Allem umzugeh’n. Ganz einfach, weil es keinen

Nachschub gab!

Dafür immer öfter Schulausfall und Fliegeralarm und

wir hofften, angstschlotternd im leeren Kohlenkeller

hockend, dass sie über uns hinwegzogen und wir

beim “Kohlenklau“ am Güterbahnhof, nicht erwischt

wurden! Vor Allem aber hofften wir, dass der

Krieg endlich aus ist und Vater heil zurückkommt!

Gott sei Dank, der erste Wunsch ging in Erfüllung.

Der Zweite für so Viele, auch für mich, leider nicht!

Heute ist das längst vergangen, doch niemals sollte

es vergessen sein, damit niemals mehr ein Kind um

seinen Vater weinen muss!

Es tut so gut, noch zu erleben, dass wir andere

Zeiten haben. Klar, sie haben auch ihre Gefahren,

doch wir leben im Wohlstand, vor Allem aber in

Frieden und Freiheit! Doch manchmal fürchte

ich, alles könnte überschwappen. Maßlosigkeit

und Egoismus machen sich breit, auf Kosten der

Menschlichkeit; der Schöpfung im Ganzen, von der

wir nur ein winziges Teilchen sind! Die Kinder von

heute erleben eine Welt, die Allen offensteht und

nichts scheint unmöglich! Tabus gibt es nicht mehr,

sie dürfen selbst bestimmen und Dinge erlernen,

von denen wir nur träumen konnten! Jedoch ist es

nicht zu viel, was auf sie einstürzt? Es ist so schwer,

“Schein“ und “Sein“ zu unterscheiden und Kinderseelen

sind so leicht verführbar! Doch sie sind

lernfähig und die Hoffnung bleibt, dass sie bei all

den Möglichkeiten nie das rechte Maß verlieren!

Mein Schuljahr 1938

Infos zur Person Babette Reineke

Die 1932 in Görmar/Mühlhausen in Thüringen geborene

Babette Reineke schreibt schon von Kindesbeinen an.

Sie verfaßt Märchen, Gedichte und Kurzgeschichten. Dabei

gelingt es ihr, die Begebenheiten des Alltags auf den Punkt

zu bringen ohne dass ihre Texte der Tiefe, manchmal auch der

Doppelbödigkeit entbehren.

Babette Reineke erlernte den Beruf einer Erzieherin und war

nach ihrer Verwitwung bis ins Rentenalter als Altenpflegerin

tätig


information & integration

Im Bürgerkriegsland:

AgentInnen der Veränderung

DIE VISION DES LEHRERINNENAUSBILDUNGSZENTRUMS IM SÜDSUDAN

Laura Oberhuber ˇ

Junior Program Officer

South Sudan

Caritas Austria

26 | SEPTEMBER 2020

Bildung ist der Schlüssel im

Kampf gegen Armut. Diesen Satz

würden viele von uns vermutlich

unterschreiben. Doch was tun,

wenn es in einem Land zwar zahlreiche

Kinder im Schulalter gibt, jedoch viel zu

wenig LehrerInnen?

Genau das ist im Südsudan, dem jüngsten

Staat der Welt, der Fall. Hier mangelt

es an mindestens 24.000 VolksschullehrerInnen.

Ein großer Teil der Bevölkerung

kann weder schreiben noch lesen,

besonders betroffen sind Frauen.

Seit Ausbruch des Bürgerkriegs

im Südsudan 2013

musste ein Drittel der Bevölkerung

fliehen. Der Konflikt

hat zahlreiche Menschenleben

gefordert und Lebensgrundlagen

zunichtegemacht.

Zahlreiche Schulen mussten

geschlossen werden oder

wurden sogar zerstört. Die

Ausbildung von LehrerInnen

ist durch die anhaltenden

Kriegswirren sowie Nahrungsmangel

fast gänzlich

zum Erliegen gekommen.

Das LehrerInnenausbildungszentrum

der Organisation `Solidarity with South

Sudan` hat es sich zum Ziel gesetzt,

dies zu ändern und dem Problem aktiv

entgegen zu steuern. Hier in Yambio,

im Südwesten des Landes, werden mit

Unterstützung der Caritas pro Jahr ca.

50 LehrerInnen im Solidarity Teacher

Training Center (STTC) ausgebildet.

Begabte junge Menschen aus dem

ganzen Land werden in einer 2-jährigen

Ausbildung zu GrundschullehrerInnen ausgebildet.

Viele der Studierenden haben bereits

Erfahrung als Lehrende, jedoch haben sie nie

eine professionelle Ausbildung erhalten. Im

LehrerInnenausbildungszentrum erlernen sie

daher u.a. pädagogische Unterrichtsmethoden

und Lerntechniken. Die Abschlüsse des Ausbildungszentrums

werden von den staatlichen

Behörden anerkannt und geschätzt.

Matthew* studiert am STTC und steht nun

kurz vor seinem Abschluss. Er kann es kaum

erwarten sein Wissen weiterzugeben: „Unser

Land braucht LehrerInnen, die eine Veränderung

herbeiführen.“ Matthew hat am STTC

Mitstudierende aus allen Ecken des Landes und

verschiedenster ethnischer Gruppen kennengelernt.

Viele davon sind gute FreundInnen

geworden. Ihm ist nun klar: „Wir sind alle SüdsudanesInnen,

egal welcher ethnischen Gruppe

wir angehören. Nur gemeinsam können wir

eine gemeinsame, friedvolle Nation aufbauen.“

Das weiß auch Schwester Margret, die Leiterin

des LehrerInnenausbildungszentrums. Gleichbehandlung

ist ihr ein großes Anliegen. Nicht

nur von unterschiedlichen ethnischen Gruppen,

sondern vor allem auch von Frauen und

Männern. „Über 90% der AnalphabetInnen

im Land sind Frauen. Frauen machen nur ca.

12% des gesamten Lehrpersonals aus“, erklärt

Schwester Margaret. Ein Großteil der Mädchen

bricht die Schule aufgrund von früher Schwangerschaft

oder Heirat vorzeitig ab. Ein besonderer

Schwerpunkt des STTC liegt daher auf

der Unterstützung und Förderung von jungen

Frauen.

Eine dieser jungen Frauen ist Nafisa*. Die angehende

Lehrerin kennt die Herausforderungen

der Frauen im Südsudan: „Meine Mutter hatte

nie die Möglichkeit eine Ausbildung zu machen


information & integration

und konnte nie einen Beruf erlernen.

Nach dem Tod meines Vaters musste

sie allein für die gesamte Familie

sorgen. Ich habe als erste Frau in der

Familie die Möglichkeit, eine Ausbildung

zu machen und Lehrerin zu

werden.“

INFO

https://shop.caritas.

at/lehrerinnen-ausbildung-fuer-eine-nachhaltige-perspektive

Vor ihrer ersten praktischen Einheit

an einer Volksschule war Nafisa sehr

nervös. Sie sollte in

einer Volksschulklasse

mit bis zu

100 Kindern im Alter

von 5 bis 10 Jahren

unterrichten - keine

leichte Aufgabe.

Schon gar nicht für

eine frisch gebackene

Lehrerin. Doch

Nafisa nahm die

Herausforderung an

und schaffte es dank

der guten Vorbereitung

und des erworbenen Selbstbewusstseins

einen guten Unterricht

abzuhalten.

In einigen Monaten werden die

Studierenden Nafisa und Matthew

ihren Abschluss feiern. Nafisa wird in

ihr Heimatdorf zurückkehren, um dort

an der Volksschule zu unterrichten.

Besonders die Mädchen möchte sie

unterstützten und als Vorbild wirken.

Matthew ist es ein großes Anliegen,

den Kindern, der nächsten Generation

des Landes, zu lehren, dass Gewalt

und Konflikt keine Lösung sind. Beide

wünschen sich Stabilität und Sicherheit

für den Südsudan und möchten

als gut ausgebildete LehrerInnen

dem jungen Land auf dem Weg zum

Frieden ein kleines bisschen unter die

Arme greifen.

* Der Südsudan ist ein Bürgerkriegsland.

Namen wurden geändert.

Fotos zeigen Gruppen von

Studierenden und keine individualisierten

Porträts.

Fotos: © Caritas Austria

27 | SEPTEMBER 2020


information & nachhaltigkeit

Trotz Corona-Krise:

Kinder brauchen den Kindergarten

DER BILDUNGSASPEKT VON KINDERGÄRTEN DARF NICHT IN DEN

HINTERGRUND RÜCKEN

Mag.a Alexandra Fischer

Pädagogische Leitung

der Wiener Kinderfreunde

Foto: © WKF | C. Edinger

Foto: © WKF | Lisi Specht

Der Kindergarten versteht sich als

familienergänzende Bildungseinrichtung.

Die großen Lernschritte,

die ein Kind in seinen ersten

sechs Lebensjahren macht, werden in

qualitativen Kindergärten kompetent und

liebevoll begleitet.

Tatsächlich werden hier viele Lebenskompetenzen

erworben und die Basis für das

spätere Lernen in der Schule gelegt, wie

Lernmotivation, Konzentration, Begeisterungsfähigkeit

usw.

Im bundesländerübergreifenden Elementaren

Bildungsplan des Unterrichtsministeriums

und den ergänzenden

Landesbildungsplänen werden die

Bildungsbereiche beschrieben, in denen

die Kinder im Kindergarten altersentsprechend

Fähigkeiten erwerben sollen.

Qualitative Kindergärten bieten den

Kindern optimale Bedingungen für die

Entwicklung dieser Fähigkeiten und ein

pädagogisches Konzept dazu. Die Kinderfreunde

haben darüber hinaus noch

eigene Bildungsniveaus festgeschrieben.

Die pädagogische Arbeit im Kindergarten

soll die Kinder dabei unterstützen - je

nach Entwicklungsstand - bestimmte

Lernziele zu erreichen, z.B. seinen Platz

in der Gruppe zu finden, seine Gefühle

auszudrücken, anderen zuzuhören, Wissen

zu erweitern, mit Sprachen, Schrift

und Zahlen zu spielen, etc. Jedem Kind

wird das in seinem individuellen Tempo

ermöglicht. Ganz wichtig ist auch die

Förderung der sprachlichen Entwicklung,

für die das sogenannte „Sprachbad“ im

Kindergarten und die vielen sprachlichen

Lernimpulse durch die pädagogische

Arbeit unabdingbar sind.

DER LOCKDOWN UND SEINE

FOLGEN

Während des Lockdowns im Frühjahr

waren unsere Kindergärten für alle

Eltern offen, die in systemrelevanten

Berufen arbeiten. Seit Mai sind sie

ohne Pause im neuen „Normalbetrieb“.

Damit waren – und sind! - auch unsere

KollegInnen systemrelevante HeldInnen

ohne Möglichkeit, sich vor Ansteckung

zu schützen, denn zu Kleinkindern kann

man weder Abstand halten noch ihnen

Masken aufsetzen.

Und sie sind qualifizierte ElementarpädagogInnen,

die Kinder liebevoll und

kompetent in den wichtigsten Entwicklungsjahren

begleiten und fördern.

Vertrauen und Beziehungsarbeit sind

hierbei wichtige Aspekte – ebenso wie

bei der Bildungspartnerschaft mit den

Eltern.

Für die Entwicklung eines Kindes im

Kindergartenalter sind drei Monate

eine enorme Zeit, in der – etwa im Vorschulalter

– große Entwicklungsschritte

gemacht werden.

KINDER BRAUCHEN DIE BEGLEI-

TUNG UND FÖRDERUNG

All das zeigt, wie bedeutend es ist,

dass in der medialen Diskussion um die

Corona-Krise die Elementaren Bildungseinrichtungen

und deren Bildungsarbeit

stärker berücksichtigt werden.

Denn Kinder brauchen die Begleitung

und Förderung, die sie hier erfahren

28 | SEPTEMBER 2020


information & nachhaltigkeit

wirklich dringend. Darüber hinaus sind der vertraute

Rahmen, die Rituale, die gemeinschaftlich erlebt

werden wichtig für die Kinder, um das Leben mit

der Pandemie zu bewältigen.

Die Leiterin des Kinderfreunde-Betriebskindergartens

der Generali-Versicherung, Sabrina Klippl

beschreibt das in einem Interview sehr eindringlich:

„Durch die Corona Krise hat sich auch im Kindergartenalltag

einiges geändert. Veränderungen sind für

jeden, sei es für groß oder klein, eine große Herausforderung.

Ganz besonders dann, wenn die Veränderungen

von heut auf morgen an die Türe klopfen.

Die Kinder unseres Kindergartens haben sich schon

sehr darauf gefreut, wieder zu uns in den Kindergarten

zu kommen und haben sich nicht von den

Veränderungen abschrecken lassen. Um die Kinder

emotional in ihrer Aufarbeitungsphase dieser

erlebten Krise zu unterstützen, erarbeiten wir in den

kommenden Monaten verschiedene Themen wie

Was ist der Corona Virus, Was ist der Unterschied

zwischen Bakterien und Viren, Ich und meine Gefühle,

Der Alltag Zuhause mit Mama und Papa und

Die Welt hat sich verändert spielerisch.

Unser Alltag ist nun von neuen Richtlinien, Maßnahmen

und Besonderheiten gekennzeichnet. Trotzdem

ermöglichen wir unseren Kindern in gewohnter,

liebevoller und kindorientierter Atmosphäre, neue

Rituale gut zu verinnerlichen und wieder ein Miteinander

erleben zu können.“

Fotos: Grinzinger Allee © WKF | Votova

29 | SEPTEMBER 2020


information & vision

Traum oder Wirklichkeit?

Wie könnte die Schule auch aussehen?

NICHTS TRÄGT IM GLEICHEN MASS WIE EIN TRAUM DAZU BEI, DIE ZUKUNFT ZU

GESTALTEN. HEUTE UTOPIA MORGEN FLEISCH UND BLUT (Victor Hugo)

Mag. Reinhard Winter

Lisa stürmt die Treppe zu ihrer Schule

hinauf. Vor der großen Glastür

warten schon ihre Freunde. Die

gesamte Projektgruppe ist bereits

versammelt. Theresa ist die Älteste von

ihnen. Sie wird bereits in einem Jahr,

nach Abschluss ihrer letzten Projekte

und Seminare, die Schule verlassen.

Thomas, zwei Jahre jünger als Lisa, ist

relativ neu dabei und benötigt hin und

wieder noch etwas Hilfe von seinen

Kolleginnen und Kollegen. Maria, gleich

alt wie Lisa, ist quasi die Schriftführerin

bei diesem Projekt. Sie erstellt eine

Zusammenfassung der Ergebnisse und

stellt sie allen online zur Verfügung.

Matthias ist der Zweitälteste. Er hat

dieses Mal federführend die Recherchearbeit

übernommen. Auch er macht

seine Ergebnisse allen Teammitgliedern

über die schuleigene Online-Plattform

zugänglich. Heute tritt das Projekt in

eine entscheidende Phase.

Es geht um Unabhängigkeit, speziell

um die Unabhängigkeit der ehemaligen

Kolonien in Amerika und ihre Bedeutung

für die betroffenen Menschen. Es geht

aber auch um die Auswirkungen der

Unabhängigkeit sowohl in sozialer und

wirtschaftlicher Sicht und die von diesem

Ereignis ausgehenden Entwicklungen. In

einer auf Englisch geführten Diskussion

wollen sie diese Themen ansprechen.

Lisa hat die Aufgabe der Diskussionsleitung

übernommen. Sie ist stolz darauf,

dass sie als Jüngere im Team mit dieser

Aufgabe betraut wurde, zumal die

Diskussion, zumindest die interessantesten

Beiträge, als Video auf der schuleigenen

Plattform veröffentlich werden. So hat sie

sich, so wie alle anderen Mitglieder des

Teams, gut auf den heutigen Tag vorbereitet.

Unterstützt wurden sie dabei vom Team ihrer

Professoren für Geschichte, Wirtschaftskunde,

Philosophie und Englisch.

Es würde ein anstrengender, aber sehr

interessanter Vormittag werden, davon ist

Lisa überzeugt. Als Ausgleich dafür steht

am Nachmittag Sport auf dem Programm.

Die schuleigenen Sportanlagen ermöglichen

es allen Schülerinnen und Schülern zwischen

den unterschiedlichsten Sportarten

zu wählen. Trainer helfen dabei, das jeweils

Richtige auszuwählen. Lisa ist eine gute

Langstreckenläuferin und hat in dieser Disziplin

schon mehrere Schulpreise gewonnen.

Das Mittagessen im Schulbuffet würde

gleichzeitig auch für die Manöverkritik zur

Diskussion am Vormittag genutzt werden

und etwas länger dauern. Dabei fürchtet

Lisa weniger das Urteil ihrer Professoren und

ihrer Teamkolleginnen und Teamkollegen.

Vor allem sie selbst ist oftmals viel kritischer,

was ihre Leistung betrifft.

Bevor Lisa am späteren Nachmittag die

Schule verlässt, wird sie noch an einer

Literaturstunde in der schuleigenen Bibliothek

teilnehmen. Trotz der in der Schule

allgegenwärtigen EDV kommen auch Bücher

nicht zu kurz. Und so ist die Schule mit einer

umfassenden Bibliothek zu den unterschiedlichsten

Themen ausgestattet. Lisa liebt

30 | SEPTEMBER 2020


Bücher und die Stunde dient ihr auch als

Vorbereitung für ihre nächste Projektarbeit.

Gemeinsam mit ihren gleichaltrigen

Freunden Klara und Klaus arbeiten sie

an einer umfassenden Präsentation

zum Thema „Der Roman im Wandel der

Zeit.“

Der Wecker klingelt. Unsanft reißt er Lisa

aus dem Schlaf. Sie greift nach ihrem

Handy auf dem Nachttisch und ruft den

Stundenplan für heute auf. Erste Stunde

Latein, zweite Geschichte, dritte Englisch,


Schon kurz darauf ist Lisas Traum fast

vollständig verblasst. Für immer?

Foto: © Engin Akyurt | pixabay.com

31 | SEPTEMBER 2020


information & zukunft

Perspektivenwechsel:

Home-learning an der Uni

EIN SEMESTER MIT VIDEOKONFERENZEN UND DIGITALEN KAFFEEPAUSEN

Tina Čakara

Studentin

Junge Autorin

Foto:

Fotostudio primephoto

Es kann nur schiefgehen!, dachte

ich und startete Skype. Ich

studiere Transkulturelle Kommunikation

an der Universität Wien

und hatte letztes Semester erstmals eine

Übung zum Thema Dolmetschen. Wie

sollte das bitte online funktionieren?

Ohne Dolmetschkabine und körperlicher

Anwesenheit? Doch nicht nur die

Studierenden mussten in diesem außergewöhnlichen

Semester anders und neu

denken. Auch die Lehrenden zeigten

überraschend viel Kreativität in der Umsetzung

ihrer Kurse.

DER VIRTUELLE KONFERENZRAUM

Ich sitze mit Kopfhörern vor dem Bildschirm und

höre meiner Studienkollegin genau zu, wie sie eine

kurze Präsentation auf Englisch hält. Ich soll ihre

Rede nach zwei Minuten ohne Notizen zu machen

ins Deutsche übersetzen. Konzentriert versuche

ich mir jedes der Worte zu merken, die durch das

Mikrofon in ihren Laptop dringen, um dann kilometerweit

bis zu meinem zu reisen und durch die

Kopfhörer wieder zu einer Stimme zu werden. Als

die Präsentation meiner Kollegin zu

Ende ist und mir ihr lächelndes

Gesicht vom Bildschirm aus

entgegenblickt, fange ich

auch schon an: anfangs unsicher, dann

aber mit überraschend viel Freude

dolmetsche ich die eben gehörte Rede

souverän ins Deutsche.

DAS VIRTUELLE FEEDBACK

Jede Woche üben meine Kollegin und

ich einen anderen Aspekt des Dolmetschens.

Einmal wiederholen wir die

Inhalte in der gleichen Sprache, das

nächste Mal dolmetschen wir vom Englischen

ins Deutsche, dann umgekehrt,

einmal mit und einmal ohne Notizen.

Alles zu zweit. Alles per Videochat.

Niemand außer ihr hört oder sieht

mich. Dennoch spüre ich während des

Dolmetschens Aufregung und Nervosität

und am Ende Erleichterung. Genau

die Gefühle, die wir in dieser Übung

zu bewältigen lernen sollen. Feedback

geben wir einander gegenseitig. Auch

das sollen wir lernen. Also: mission

accomplished!

DIE VIRTUELLE KAFFEEPAUSE

Nachdem wir alles erledigt haben,

plaudern meine Kollegin und ich jedes

Mal noch mindestens eine Stunde

weiter. Was frustriert uns an der Uni?

Was überfordert uns zu Hause? Was

gibt uns Hoffnung, trotz der vielen

Veränderungen? Mit welchem Gedanken

stehen wir morgens auf? Jeden

Montag um 17 Uhr haben wir eine

Videokonferenz zu zweit. Meist klicken

wir erst lange nach 19 Uhr auf den

Auflege-Button. Denn home-learning

bedeutet nicht nur virtuell Vorlesungen

zu besuchen und Prüfungen abzulegen,

sondern auch sich virtuell mit anderen

Studierenden einen Kaffee beim Automaten

holen gehen.

Foto: © Christian Dorn | pixabay.com

32 | SEPTEMBER 2020


information & bewusstsein

Hirnforschung und Sprache:

Macht unserer Sprache

SPRACHE HAT FAST IMMER EINE UNBEWUSSTE WIRKUNG

Die Sprache beeinflusst unser

Denken. Viele Metaphern,

die wir ständig benutzen und

welche unsere Alltagssprache

prägen, beeinflussen unbewusst unser

Denken. Neurolinguisten zeigen, dass

bei einem Großteil unserer Metaphern

die Areale im Gehirn aktiviert werden,

die auf der rechten Gehirnhälfte für

bildhafte Vorstellungen zuständig sind.

Die Wirkung sprachlicher Bilder reicht oft

zu einer körperlichen Reaktion.

Hören Menschen, dass sich eine Person

im sechsten Stock befindet, wandert ihr

Blick automatisch nach oben. Lesen sie

den Satz "Unser Kurs ist eine Treppe

zum Erfolg" geht der Blick der Leser

auch nach oben. Bei der Aussage „Die

Anforderungen stürzen auf ihn ein“

wird sich der Leser unbewusst ein wenig

zusammenziehen. Wer das Bild eines

Tigers zu sehen bekam, schätzte die Geschwindigkeit

eines Läufers schneller ein

als der, dem das Bild einer Schildkröte

gezeigt wurde.

Zugleich ist es auch, dass Metaphern

besser im Gedächtnis gespeichert werden

als abstrakte Formulierungen. Das

sollte man bedenken, wenn Texte für

den Schulunterricht formuliert werden.

Eine bildhafte Formulierung erhöht die

Wahrscheinlichkeit, dass der Nutzer sich

an eine Anweisung hält. Beispiel für

kleine Kinder: Bleib bei Rot stehen!

Viele Wörter lösen bei uns sofort Gefühle

aus.

Besonders im Produktmarketing werden

positive Worte gewählt.

Würden Sie als Hersteller von Bitterschokolade

ihr Produkt „Wiener Bitterschokolade“

nennen? Keine gute Idee, denn das Wort

Bitterschokolade ruft Gefühle wach, die

mit dem Begriff „bitter“ verbunden sind:

Bitterkeit, verbittert, bittere Enttäuschung,

bittere Kälte, bitteres Unrecht, das ist bitter

für mein Kind. Menschen sind evolutionsbedingt

konditioniert, bittere Nahrung zu

meiden, da sie oft giftig ist. In der Natur

sind sehr oft giftige Pflanzen und Früchte

geschmacklich bitter. Als Hersteller ist

es besser Ihr Produkt „edelbitter“ oder

„zartbitter“ zu nennen, um ihr den bitteren

Beigeschmack zu nehmen. Noch besser

ist es, Ihr Produkt als „dunkle Schokolade“

oder mit

„80 % Kakaoanteil“

zu beschreiben.

Dipl.-Ing. Alexander Ristic

Journalist

Neurowissenschaftler

sind sich sicher,

dass unsere Entscheidungen

immer einen

emotionalen Aspekt haben.

Manager erliegen

oft der Illusion, sie treffen ihre

Entscheidungen immer rational.

In Wirklichkeit erliegen sie vielfältigen unbewussten und emotionalen

Einflüssen.

Wörter, die eine hohe Erregung erzielen, werden besser im Gedächtnis

behalten, schneller wiedererkannt und lenken in höherem Maß die Aufmerksamkeit

auf sich.

Worte als Auslöser unangenehmer Gefühle: Besserwisser, Gegner, Nörgler,

Räuber, beschuldigen, bevormunden, vergessen, ängstlich, entsetzt, kalt,

nervös, sprunghaft, traurig …..

Worte als Auslöser angenehmer Gefühle: Bruder, Freund, Gastgeber, Professor,

Kind, Schwester, erzählen, teilen, freundlich, kultiviert, verlässlich,

verständnisvoll, weiblich, zufrieden …..

Foto: © Ralf Designs | pixabay.com

33 | SEPTEMBER 2020


information & erinnerung

Eva Goslar:

Eulalia

OKSBOEL, AN DER WESTKÜSTE JÜTLANDS, DÄNEMARK, 1945 – 1948

Als wir Räuber und

Gendarm spielten

Erinnerungen von Kindern

an ihre Spiele 1930-1968

Band 29 | Reihe Zeitgut

Geschichten und Berichte

von Zeitzeugen

256 Seiten

mit vielen Abbildungen

Ortsregister

Zeitgut Verlag, Berlin

www.zeitgut.de

ISBN: 3-86614-226-8

Fotos: © Zeitgut-Verlag

34 | SEPTEMBER 2020

Meine erste Puppe hieß Eulalia.

Eulalia Semmelkloß. Ich kann

mich nicht erinnern, wie sie zu

diesem skurrilen Namen kam,

vielleicht haben sich die Erwachsenen

bei der Namenssuche einen Spaß mit mir

gemacht. Auch könnte ihr Äußeres die

Assoziation Semmelkloß bewirkt haben.

Wie dem auch sei, ich liebte meine Puppe

sehr und verteidigte sie gegen jede Preisgabe

der Lächerlichkeit.

Eulalias weicher Körper bestand aus

einem weißen Baumwollstrumpf, Arme

und Beine waren mit einem Faden abgebunden

und so wie der Leib mit Wollresten

gefüllt. Das machte Eulalia warm

und kuschelig.

Genau genommen war meine Puppe

dänische Staatsbürgerin. Von Ostpreußen

aus waren wir im März 1945 nach

Dänemark geflüchtet. Mit einem Schiff

über die Ostsee. Wir wurden einem Lager

in der Nähe der Stadt Oksboel, unweit

der dänischen Westküste, zugeteilt. Eine

junge Lehrerin, die mit uns und vielen anderen

Flüchtlingen in einer Baracke lebte,

hatte Eulalia für mich genäht, zum Trost,

als ich einmal sehr krank war. Damals

war ich drei Jahre alt.

Eulalia hatte wunderbare Augen, aus

blauem Perlgarn gestickt, und einen

knallroten lachenden Mund. Ihr fröhliches

Gesicht sollte mich aufheitern.

Aber die grobe Sticknadel hatte Löcher

gestochen, daraus wurden Laufmaschen,

die aussahen wie Tränen. Tränen liefen

aus Eulalias wunderbaren blauen

Perlaugen bis hinunter zu dem roten

Mund. Also lächelte sie ständig unter Tränen

und entsprach so meiner kindlichen Gemütsverfassung.

Einerseits war ich glücklich,

mit meiner Familie einer mir unerklärlichen

Bedrohung, die den Namen Krieg hatte,

entkommen zu sein. Andrerseits war das

Leben in dem Lager für ein Kind mit neuen

Ängsten verbunden. Mutter und Großmutter

waren oft fort, mußten in der Wäscherei, der

Krankenstation, der Küche helfen. Wir Kinder

waren strengen Ordnungen unterworfen,

standen gehorsam und diszipliniert Schlange

beim morgendlichen Waschen, beim Essen

holen, beim Entlausen oder der unausweichlichen

Zuteilung des täglichen Löffel Lebertrans,

der schrecklich ölig im Hals würgte und

nach altem Fisch schmeckte. Nur das Zuhalten

der Nase half ein wenig, diese Prozedur

zu überstehen.

Abends auf der Strohmatratze auf dem

kalten Fußboden der muffigen Baracke hielt

ich meine Eulalia fest an mich gedrückt und

erzählte ihr, was mich beschäftigte. Von den

Männern in den Uniformen, mit den schwarzen

Stiefeln, vor denen ich mich schrecklich

fürchtete. Von dem Stacheldraht, an dem die

kleinen Ausflüge mit meinen Geschwistern

endeten, und von meinen Träumen, einmal

die Welt dahinter zu sehen. Aber niemand

durfte hinaus aus diesem Lager. Meine Mutter

sagte, die Leute auf der anderen Seite des

Zaunes hätten Angst vor uns.

Meine übergroße Liebe, meine zärtlich

drückenden Hände, ließen Eulalias weißen

Körper grau und grauer werden. Die nette

Lehrerin versuchte, sie vorsichtig mit etwas

Kernseife zu waschen. Aber das mochte

Eulalia überhaupt nicht, was ich sehr gut

verstand. Ihr flachsblondes Wollhaar verfilzte


information & erinnerung

und mußte zu einem Bubikopf geschnitten

werden. Ein neues Kleid aus einem

gepunkteten Stoffrest machte diesen

kleinen äußerlichen Mangel wieder wett.

Die Sommer im Lager waren schön.

Zwischen den Baracken liefen weiße

Sandwege, auf denen wir Kinder bis hin

zu den kleinen Hügeln mit Strandhafer

und dunklen Kiefern barfuß laufen konnten.

Dort sammelten wir Zapfen und

Kleinholz zum Heizen des Barackenofens

im Winter. Im September blühte die

Heide. Bäuchlings lagen wir Kinder auf

diesem dunkelroten duftenden Teppich

und beobachteten Käfer und Hummeln.

Eulalia war immer dabei.

Doch die Heide verblühte viel zu schnell,

und der Winter kam. Für uns Kinder

war das eine dunkle, traurige Zeit. Über

zwanzig Personen lebten eng nebeneinander

in den Baracken. Oft kam es

zwischen den Erwachsenen zu lauten

Streitereien. Wir Kinder wurden immer

wieder ermahnt, leise zu sein, aus

Rücksicht auf die Alten und Kranken.

Aber das schlimmste war die Kälte. Für

jede Baracke gab es nur einen Eimer

Torf täglich. Meist lagen wir, mit allem

Verfügbaren zugedeckt, auf der Strohmatratze.

Die nette Lehrerin hatte mir das Häkeln beigebracht, und so

war Eulalia im Besitz eines langen, warmen Schals aus bunten

Wollresten. Wir waren beide sehr stolz darauf. Der Schal wurde

zu warm, als der Frühling kam, und wieder ein Sommer ... Die

Zeit verging.

Irgendwann kam Unruhe unter die Menschen, und dann sahen

Eulalia und ich zu, wie die ersten Familien aus unserer Baracke

ihre paar Habseligkeiten zusammenpackten.

„Sie dürfen ausreisen“, sagte meine Mutter.

„Wohin ?“

„Nach Deutschland.“

„Und wir?“

Ich bekam keine Antwort. In dieser Nacht versprach ich Eulalia,

niemals ohne sie auszureisen. „Wir bleiben immer zusammen“,

flüsterte ich in ihr Wollhaar.

Als es dann im Oktober 1947 für uns so weit war, hielt ich

dieses Versprechen. Eulalia fest an mich gedrückt, fuhr ich mit

einem Zug nach Deutschland, wo immer das auch sein mochte.

Ich hatte davon keine Vorstellung. Die Lehrerin hatte meiner

Puppe zum Abschied ein neues Kleidchen genäht. Hellblau,

passend zu ihren Augen. Auch waren die schlimmsten Laufmaschen

gestopft, und so sah Eulalia doch recht manierlich

aus, als wir über die Grenze in eine neue Heimat fuhren. Der

Weihnachtsmann hat Eulalia übrigens am Heiligen Abend im

Jahr darauf mitgenommen. Er hat mir dafür Bärbel gebracht.

Sie war eine echte Schildkröt-Puppe mit sehr schönen Kleidern.

Trotzdem dauerte es seine Zeit, bis ich mich ihr gegenüber auf

meine Puppenmutterpflichten besann. Meine Eulalia werde ich

nie vergessen.

Foto links:

Kinderjahre hinter Stacheldraht.

1995 habe ich das

Lager Oksboel in Dänemark

besucht, in dem wir

zwei Jahre interniert waren.

Es gab noch ein paar

Baracken und ein sehr

interessantes Informationszentrum

über die Zeit

der „Flüchtlinge“. Ein Foto

aus der Ausstellung. Das

Flüchtlingslager Oksboel

beherbergte zwischen

1945 und 1949 bis zu

35.000 deutsche Flüchtlinge

und Vertriebene aus

dem Osten des Deutschen

Reiches. Es lag auf dem

Truppenübungsplatz bei

Oksboel (Varde Kommune)

und bestand bis 1949.

Foto oben: Drei Puppenmuttis 1952. Links sitze ich mit meiner

neuen Puppe Bärbel, einer echten Schildkrötpuppe.

35 | SEPTEMBER 2020


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