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„ICH KÖNNTE NIE

EINEN ANDEREN JOB

MACHEN.“

Nora macht ihren Job aus Leidenschaft,

das merkt man im

Gespräch mit der quirligen Eisenstädterin

sehr schnell. „Die Fensterleisten

zu putzen macht einen

wirklich großen Unterschied, da

schaut der ganze Raum gleich

besser aus“, erzählt sie mir. Jeder

Fleck, wie klein und wo auch

immer er ist, muss entfernt werden.

„Und mit Essig und Wasser

lassen sich Fenster am besten

putzen“, ist sich Nora sicher. Sie sieht in ihrem Beruf eine erfüllende

Tätigkeit, die sie auch noch fit halte und sinnstiftend sei.

„Ich könnte einfach nie einen Job machen, wo ich nur sitze.

Ich muss mich bewegen. Außerdem sieht man beim Putzen am

Ende des Tages genau, was man gemacht hat“, betont Nora,

die 30-40 Stunden wöchentlich putzt, um grinsend hinzuzufügen:

„Schlecht verdient man auch nicht.“

Durch die Corona-Krise bekam ihre Firma sogar noch mehr

Aufträge. „Während des Lockdowns merkten viele, wie wichtig

ihnen doch ein sauberes Zuhause ist. Auch kam hinzu, dass

viele Putzfrauen aus Ländern wie der Slowakei oder Polen nicht

mehr einreisen konnten“, macht mich Nora auf den Personalengpass

aufmerksam. Sie bräuchte eigentlich jemanden, der

bei ihr mithilft. Aber es sei schwer – trotz ihrer persönlichen

Begeisterung fürs Putzen – jemanden aus der österreichischen

Bevölkerung zu finden. „Die Menschen vertrauen uns

doch sehr Privates an. Deshalb bin ich sehr vorsichtig, wen

ich einstelle. Aber irgendwann ist es schon mein Ziel, mehrere

Mitarbeiter zu haben“, so Nora.

„ICH BIN NUR EINE PUTZFRAU, MEHR

KANN ICH NICHT.“

Für Emina war das Putzen Mittel zum Zweck. Die 24-jährige

Bosniakin finanzierte sich dadurch ihr Studium. Als geringfügig

Angestellte war sie für die Reinigung eines Kindergartens

zuständig. Eine Stelle, die zuvor ihre Mutter innehatte. Als

Emina öffentlich genau darüber twittert, tritt sie regelrecht

eine Welle der Solidarität los: „Ich rede eigentlich nie öffentlich

darüber, aber ich arbeite derzeit als Reinigungskraft und jedes

Mal, wenn ich es jemanden erzähle, kommt zuerst ein gesenkter

Blick und ein ‚ah ok‘. Und

ich habe das Gefühl, ich muss

mich dafür schämen?“ Mit diesen

Zeilen beginnt die Publizistikstudentin

ihre öffentliche Kritik

daran, dass der Putzberuf nach

wie vor so geringgeschätzt wird.

Die wenigen Sätze liefern einen

Eindruck über das Leben und den

sozialen Status der vorwiegend

weiblichen Putzkräfte. Sie erzählen

von der harten Arbeit, die die

Saubermacher*innen verrichten,

von den Vorurteilen und Herabwürdigungen,

mit denen sie zu

kämpfen haben und davon, was eine Arbeit, die von der Gesellschaft

nicht gewürdigt wird, mit einem Menschen macht. „So

ein Job schwächt wirklich das Selbstbewusstsein. Man glaubt

dann sehr schnell, was die anderen drüber sagen und ist dann

selbst irgendwann der Meinung: ‚Ich bin nur eine Putzfrau,

mehr kann ich nicht‘“, sagt Emina mit einem Kopfschütteln.

„Die Peer-Group, also mit welchem Umfeld man sich vergleicht,

ist hier entscheidend“, kommentiert Güngör. In Eminas

Fall waren das ihre Studienkolleg*innen, von denen die meisten

in ganz anderen Jobs arbeiteten. „Besonders schlimm treffen

es Menschen, die vorher gesellschaftlich höhergestellt waren,

also zum Beispiel Akademiker, und die dann putzen müssen.

Diesen ‘Abstieg‘ sehe ich oft bei Menschen, die aus dem ehemaligen

Jugoslawien nach Österreich gekommen sind“, fügt

Güngör noch hinzu.

„Ja, ist so“, stimmt Ulaş ein, als ich ihm Eminas Tweets zu

lesen gebe. Und von Nora kommt nach jedem runterscrollen

ein: „Das trifft es komplett.“ Emina beschreibt in ihren Tweets

das Leben, das gerade viele Migrantenkinder gut kennen und

berührt damit einen wunden Punkt. Ulaş, Nora und Emina kennen

alle die Momente, wenn die Mutter erschöpft nach Hause

kommt. Die eigene Mutter, der man eigentlich einen nicht so

anstrengenden Job wünschen würde, aber man weiß genau,

sie traut sich nicht mehr zu oder macht es nur für „uns“, für

ihre Kinder, die erfolgreich ihren Weg beschritten haben und

keine Schamgefühle empfinden, wenn sie selber den Besen

oder Staubsauger in die Hand nehmen. ●

24 / POLITIKA /

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