Taxi Times Berlin - 3. Quartal 2020
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
<strong>3.</strong> QUARTAL <strong>2020</strong> 3,50€<br />
www.taxi-times.taxi<br />
BERLIN<br />
ECKPUNKTE ZUR PBEFG-NOVELLE<br />
DAS TAXIGEWERBE<br />
ALS SPIELBALL<br />
CORONA<br />
Wie <strong>Taxi</strong>betriebe mit<br />
der Krise umgehen<br />
FLUGHAFEN BER<br />
Nur kleiner Erfolg<br />
im Streit um Laderecht<br />
INTERVIEW<br />
Oliver Friederici kritisiert<br />
Eckpunkte und Senat
Advertorial<br />
INKLUSIONSTAXIUNTERNEHMERIN<br />
ANKE HÜBNER IM INTERVIEW<br />
LAGeSo: Seit November 2018 fördert das Land <strong>Berlin</strong>, betreut<br />
durch das LAGeSo, Inklusionstaxen. Was hat Sie dazu bewegt,<br />
sich am SoVD-Projekt Inklusionstaxi zu beteiligen und gleich<br />
zwei barrierefreie Taxen anzuschaffen?<br />
Anke Hübner: Die Aussicht auf mehr Umsatz sowie die Möglichkeit,<br />
Menschen mit Behinderung Spontanfahrten anzubieten.<br />
Wie sind Ihre bisherigen Erfahrungen?<br />
Grundsätzlich gut, die Kunden waren glücklich. Wir hatten fast<br />
jeden Tag 1-2 Aufträge mit Tendenz nach oben. Jetzt mit<br />
Corona sind es wegen fehlender Freizeitangebote noch 4-5<br />
Fahrgäste pro Woche zusätzlich zum „normalen“ Geschäft.<br />
Fand das Inklusionstaxi Akzeptanz bei Ihren Mitarbeitenden?<br />
Vom Umstieg mussten wir die Fahrer erst überzeugen. Jetzt<br />
fahren sie gerne Caddy, zumal sie mehr Aufträge haben.<br />
Was sagen Sie unentschlossenen Unternehmenden?<br />
Das Inklusionstaxi bietet einfach eine erweiterte Option. Man<br />
kann im Grunde fast alle Fahrtwünsche erfüllen – und der<br />
Senat fördert die Rampe.<br />
Woher erhalten Sie die Fahraufträge?<br />
Die Kunden nutzen Internetseiten mit Telefonnummern der<br />
Unternehmer. So entsteht eine persönliche Bindung, und die<br />
zufriedenen Kunden empfehlen uns weiter.<br />
Hat ein Inklusionstaxi auch Nachteile?<br />
Nicht wirklich, nur manchmal steigen Kunden am <strong>Taxi</strong>halteplatz<br />
lieber in ein anderes <strong>Taxi</strong>.<br />
Was wünschen Sie sich in Bezug auf das Inklusionstaxi?<br />
Das müssen viel mehr Unternehmer anbieten! <strong>Berlin</strong> braucht<br />
einen großen Pool dieser Fahrzeuge, die über Funk vermittelt<br />
werden. Das würde dem Gedanken an Spontanfahrten sehr<br />
nahekommen. Und mit dem <strong>Taxi</strong>konto des Sonderfahrdienstes<br />
(SFD) kann ein Nutzer, der viele Kurzfahrten unternimmt,<br />
preiswerter fahren. Und ganz wichtig: Wir müssen Krankenkassenfahrten<br />
bekommen! Ich habe meine Dienste mit Fokus<br />
auf Beförderung nicht umsetzbarer Patienten diversen Kassen<br />
angeboten. Antwort: „Wir würden Sie mit Kusshand nehmen,<br />
dürfen solche Verträge aber leider nur mit Mietwagenunternehmen<br />
abschließen.“ Das ist völlig unverständlich, da Mietwagen<br />
nicht preiswerter sind als <strong>Taxi</strong>s.<br />
Wir fördern auch Ihr<br />
<strong>Taxi</strong>-Unternehmen mit bis zu<br />
15.000 Euro, wenn . . .<br />
. . . Sie folgende Voraussetzungen erfüllen:<br />
Sie verfügen über eine gültige <strong>Taxi</strong>-Konzession für <strong>Berlin</strong><br />
Sie haben eine bevorstehende Investitionsentscheidung für den Kauf eines neuen<br />
Fahrzeugs oder den Umbau eines vorhandenen Fahrzeugs getroffen<br />
Das <strong>Taxi</strong> ist max. 24 Monate zugelassen und hat max. 100.000 km Laufleistung<br />
Was wird für den Umbau zum barrierefreien <strong>Taxi</strong> gefördert?<br />
Ausschwenkbare Beifahrersitze<br />
Ertastbare Eingabegeräte für bargeldlose Zahlungen<br />
Nach innen klappbare „<strong>Taxi</strong>rampen“<br />
Einklappbare Rücken-/Nackenstützen<br />
Luft- bzw. Hydraulikfederung zur Absenkung<br />
des Fahrzeugs<br />
Und weitere Ausstattungsmerkmale<br />
Antrag stellen<br />
Wir unterstützen Sie gern und<br />
beantworten Ihre Fragen.<br />
TITEL: stock.adobe.com<br />
Kontakt: 030 90229-1916<br />
inklusionstaxi@lageso.berlin.de<br />
www.berlin.de/inklusionstaxi
www.taxi-times.taxi<br />
TVM INFORMIERT<br />
Ab sofort leichtere<br />
Ortskundeprüfung<br />
ISARFUNK INFORMIERT<br />
Re-Start am Flughafen mit<br />
digitalen Chancen<br />
<strong>3.</strong> QUARTAL <strong>2020</strong> 3,50 €<br />
VERKEHRSPLANUNG<br />
Münchens Pop-up-<br />
Radspuren<br />
RÜCKFALL IN DIE KLIENTELPOLITIK?<br />
Würde das <strong>Taxi</strong>gewerbe ein eigenes Unwort des Jahres wählen,<br />
so hätte 2019 sicherlich der Begriff „Eckpunkte“ das Rennen<br />
gemacht. Nachdem dann im März dieses Jahres die Corona-Krise<br />
den Fokus zwischenzeitlich veränderte,<br />
11 ECKPUNKTE FÜR<br />
EINE PBEFG-NOVELLE<br />
TAXI IM<br />
ABSEITS<br />
10<br />
8<br />
MÜNCHEN<br />
11<br />
Unsere Münchener<br />
Redaktion hat das<br />
gleiche Titelthema als<br />
Fußball mit „Playern“<br />
auf Rädern illustriert.<br />
4<br />
können nach der Überarbeitung der<br />
Eckpunkte durch die Findungskommission<br />
nun beide Themen als die zwei<br />
Hauptprobleme des deutschen <strong>Taxi</strong>gewerbes<br />
bezeichnet werden: Corona<br />
und die geplante PBefG-Novelle. Das<br />
Personenbeförderungsgesetz (PBefG),<br />
dessen letzte große Änderung in der<br />
Liberalisierung des Fernbusmarktes<br />
vor acht Jahren bestand, wird von vielen<br />
für erneuerungsbedürftig gehalten,<br />
auch vom <strong>Taxi</strong>gewerbe. Doch was darin<br />
in welche Richtung zu verändern ist,<br />
darüber herrscht bittere Uneinigkeit<br />
(Seite 6).<br />
Zur Zeit des Lockdowns hat das <strong>Taxi</strong>gewerbe bewiesen, dass es<br />
trotz allem weiterhin Mobilität garantiert und somit einen mobilen<br />
Teil der Daseinsvorsorge sicherstellt. Was Bundesverkehrsminister<br />
Andreas Scheuer jetzt plant, deklassiert das <strong>Taxi</strong>gewerbe<br />
zu einem Spielball, den man mal eben im Interesse geldgieriger<br />
Aktionäre von Großkonzernen versenken kann. Das Ausmaß an<br />
sozialer Verantwortungslosigkeit hat unseren Redakteur, der in<br />
unregelmäßigen Abständen auch Radiosendungen produziert und<br />
moderiert, dazu veranlasst, in seiner Sendung am 20. August (die<br />
Sie auf unserem Online-Portal www.taxi-times.com nachhören<br />
können) den Amtseid in Erinnerung zu rufen, den unsere Minister<br />
bei Amtsantritt schwören, und angesichts der Zusammensetzung<br />
der Findungskommission mahnend zu fragen:<br />
Wo ist die SPD geblieben, die immer für soziale Gerechtigkeit<br />
und fair bezahlte Arbeit kämpfte?<br />
Wo ist die FDP geblieben, die sich einst zur sozialen Marktwirtschaft<br />
mit einer staatlichen Ordnungspolitik bekannte?<br />
Wo sind die Grünen geblieben, die einmal für Umweltschutz<br />
und gegen Ausbeutung aufstanden?<br />
Wo ist die Union geblieben, die sich für einen gesunden Mittelstand,<br />
eine funktionierende Volkswirtschaft und für Vollbeschäftigung<br />
stark machte?<br />
INHALT<br />
MELDUNGEN<br />
4 News<br />
NACHRUF<br />
5 Gewerbe trauert um Detlev Freutel<br />
PBEFG-NOVELLE<br />
6 Spielball <strong>Taxi</strong>gewerbe<br />
10 Die unwirksame Rückkehrpflicht<br />
12 „Pooling“ als neue<br />
Beförderungsform?<br />
14 Tarifpflicht nur noch bei Winker-<br />
Fahrten?<br />
CORONA-KRISE<br />
16 Einwagenbetriebe<br />
17 Mehrwagenbetriebe<br />
FLUGHAFEN TEGEL<br />
19 Wehmut um TXL<br />
TAXI BERLIN<br />
20 Neues vom <strong>Taxi</strong>zentrum<br />
21 Dringender Appell<br />
POLITIK<br />
22 Interview mit Oliver Friederici<br />
26 BER: Regine Günthers Dilemma<br />
WETTBEWERB<br />
28 Free Now eifert Uber nach<br />
30 Uber in Falkensee<br />
GEWERBE<br />
32 Kahlschlag bei der Ortskunde<br />
TIPPS<br />
34 Lektüre zum 100. Geburtstag<br />
<strong>Berlin</strong>s<br />
TITELBILD (FOTOMONTAGE): Axel Rühle / <strong>Taxi</strong> <strong>Times</strong><br />
Während an der Corona-Krise wohl wenig zu beeinflussen ist,<br />
außer sich zu schützen und zu informieren, gilt es in der Verkehrspolitik<br />
einen Kampf auszufechten. Zwar sah es nach den großen<br />
Protestaktionen im letzten Jahr zunächst nach einem Teilsieg<br />
für das <strong>Taxi</strong>gewerbe aus, da durch fleißige Aufklärungsarbeit<br />
in Teilen der deutschen Politik ein Bewusstsein für das Problem<br />
geschaffen und etliche Politiker zu einer skeptischen Haltung<br />
gegenüber Scheuers Eckpunkten gebracht werden konnten. Sogar<br />
die <strong>Berlin</strong>er CDU ist gegen die „Modernisierungspläne“, wie ihr<br />
verkehrspolitischer Sprecher uns in einem Interview erläutert<br />
(Seite 22).<br />
Doch jetzt könnte angesichts der geplanten Novelle des Personenbeförderungsgesetzes<br />
in wenigen Monaten ein noch größerer<br />
Kampf bevorstehen, bei dem es um nicht weniger als die Existenz<br />
des <strong>Taxi</strong>gewerbes mit seinen vielen tausend Arbeitsplätzen geht.<br />
Auf in den Kampf!<br />
– die Redaktion –<br />
TAXI <strong>3.</strong> QUARTAL <strong>2020</strong><br />
3
MELDUNGEN<br />
NEWSTICKER<br />
WIEDER LEITSTELLE<br />
AM MESSEGELÄNDE<br />
Dem <strong>Taxi</strong>gewerbe fehlt noch immer ein<br />
wichtiger Teil der Kundschaft aufgrund<br />
fehlender Großveranstaltungen. Folglich<br />
ist auch das Messegelände noch weitgehend<br />
verwaist, doch jetzt gab es einen kleinen<br />
Lichtblick: Die diesjährige IFA fand als<br />
Fachmesse mit immerhin 6.000 Besuchern<br />
statt. Wie Boto Töpfer vom <strong>Taxi</strong>verband<br />
<strong>Berlin</strong>, Brandenburg e. V. (TVB) berichtet,<br />
hatte die Messe <strong>Berlin</strong> GmbH, die seit Jahren<br />
sehr professionell und kooperativ mit<br />
dem <strong>Taxi</strong>gewerbe zusammenarbeitet, mit<br />
<strong>Taxi</strong> <strong>Berlin</strong> die Präsenz einer Leitstelle am<br />
Standort Messe Süd (Jafféstraße) vom <strong>3.</strong> bis<br />
zum 5. September vereinbart. ar<br />
EICHAMT MIT<br />
FREUNDLICHEREN RÄUMEN<br />
Die <strong>Berlin</strong>er Außenstelle des Landesamtes für Mess- und Eichwesen<br />
<strong>Berlin</strong>-Brandenburg hat die Räume für <strong>Taxi</strong>- und Mietwagenfahrer<br />
bereits im Februar in einen frisch renovierten Gebäudeteil verlegt.<br />
Der Eingang befindet sich jetzt gleich rechts hinter der Einfahrt Lentzeallee.<br />
Hier betritt man nun einen angenehmen Wartebereich. Die technische<br />
Ausstattung ist zeitgemäß mit Digitalanzeige usw.<br />
Die Öffnungszeiten sind, anders als bei Google angegeben, Mo, Di, Do und Fr<br />
je nach Termin sowie für Kunden mit neuen Taxen, neuen Konzessionen oder<br />
Konformitätsbewertung mittwochs von 7:20 bis 12:30 Uhr und von 13:00 bis<br />
15:00 Uhr. Termine können nur online gebucht werden, gelten jeweils nur für<br />
ein Auto und sind nicht übertragbar. Sprechzeiten für allgemeine Anfragen<br />
vor Ort sind Mo, Mi und Fr von 8:00 Uhr bis 10:00 Uhr. <br />
ar<br />
TAXI TIMES<br />
WIEDER IM RADIO<br />
Zum dritten Mal präsentierte <strong>Taxi</strong> <strong>Times</strong><br />
am 20. August eine Radiosendung, die der<br />
<strong>Berlin</strong>er Redakteur Axel Rühle wie gehabt<br />
in Vertretung für den <strong>Taxi</strong> fahrenden<br />
Moderator Rumen Milkow, der neuerdings<br />
auch freier <strong>Taxi</strong>-<strong>Times</strong>-Kolumnist ist, vorproduzierte.<br />
Hauptthema waren auch dort<br />
die Eckpunkte der Findungskommission.<br />
Der Schwerpunkt lag dabei auf den gesellschaftlichen<br />
Auswirkungen des Plattform-<br />
Kapitalismus, ausführlich erklärt und in<br />
hörspiel-ähnlicher Weise mit drei verschiedenen<br />
Stimmen aufgenommen unter der<br />
Regie des <strong>Berlin</strong>er <strong>Taxi</strong>unternehmers und<br />
Radio-Profis Hilmar Werner.<br />
Weitere Beiträge waren ein ausführliches<br />
Interview mit Hermann Waldner, dem<br />
Vizepräsidenten des Bundesverbandes <strong>Taxi</strong><br />
und Mietwagen, sowie ein Kurzinterview<br />
mit dem <strong>Berlin</strong>er Mehrwagen-Unternehmer<br />
und <strong>Taxi</strong>-<strong>Times</strong>-Redakteur Stephan Berndt<br />
zum Umgang mit der Corona-Krise und<br />
dem Unverständnis über die Arroganz<br />
des <strong>Berlin</strong>er <strong>Taxi</strong>gewerbes gegenüber der<br />
Inklusion. <br />
tt<br />
Pop-up-Fußgängerzone Friedrichstraße<br />
FLANIERMEILE<br />
FRIEDRICHSTRASSE<br />
Die Friedrichstraße soll teilweise zur Fußgängerzone umgebaut werden.<br />
Testweise hat die Verkehrsverwaltung im August den Abschnitt<br />
zwischen der Französischen Straße und der Leipziger Straße für den<br />
Kraftverkehr gesperrt, um bis Ende Januar die verkehrlichen Auswirkungen,<br />
Luftqualität und Lärmbelastung zu untersuchen.<br />
Mittelfristig soll die Aufenthaltsqualität für Fußgänger und Radfahrer erhöht<br />
werden. Die Einschätzung, dass das den ansässigen Gewerbetreibenden zugute<br />
kommt, wird nicht von allen geteilt. Einige Politiker und Gewerbetreibende<br />
schließen nicht aus, dass durch die „Vertreibung“ des motorisierten Verkehrs<br />
mehr Kundschaft fernbleibt als hinzukommt. Zudem wird im <strong>Taxi</strong>gewerbe mit<br />
einem schlechteren Durchkommen auf den Ausweichrouten wie Charlottenstraße,<br />
Markgrafenstraße und Wilhelmstraße gerechnet. <br />
ar<br />
FOTOS: Axel Rühle / <strong>Taxi</strong> <strong>Times</strong> (2), Simi<br />
4 <strong>3.</strong> QUARTAL <strong>2020</strong> TAXI
NACHRUF<br />
GERADE HERAUS<br />
UND OFT<br />
EIN BISSCHEN<br />
UNBEQUEM<br />
Detlev Freutel war einer, dem das Wort „engagiert“ kaum<br />
gerecht wird. Als Vorstandschef des TVB bewegte er vieles –<br />
meist zum großen Nutzen für das Gewerbe.<br />
Am 5. September ist Detlev Freutel mit 69 Jahren gestorben.<br />
FOTO: <strong>Taxi</strong> <strong>Berlin</strong><br />
Der Name Detlev Freutel ist<br />
einer, der neben wenigen<br />
weiteren auch außerhalb des<br />
<strong>Taxi</strong>gewerbes regelmäßig wahrgenommen<br />
wurde, wenn es Themen gab, die<br />
der Presse eine Berichterstattung wert<br />
waren. Mal waren das Proteste gegen<br />
die Schrankengebühr am Flughafen<br />
Tegel, mal eine Qualitätsoffensive, und<br />
oft auch die schwarzen Schafe in den<br />
eigenen Reihen, gegen die Detlev Freutel<br />
immer wieder die Stimme erhob –<br />
womit er sich sowohl Freunde als auch<br />
Feinde machte.<br />
Fast vergessen in Zeiten von Corona<br />
und Uber ist sein Engagement gegen die<br />
Schwarzarbeit im Gewerbe, gegen die<br />
unseriösen Großbetriebe, die wundersam<br />
hohe Provisionen an ihre Fahrer<br />
bezahlen. Dass er sich vom LABO im<br />
Stich gelassen fühlte, egal, ob es um<br />
Kriminelle im Gewerbe oder um mafiöse<br />
Strukturen bei den Mietwagenfirmen<br />
ging, brachte ihn manchmal zur<br />
Verzweiflung, doch er ließ sich nicht<br />
entmutigen.<br />
Als Verbandsfunktionär hatte Detlev<br />
Freutel, ähnlich wie Politiker, Befürworter<br />
und Gegner. Im <strong>Berlin</strong>er <strong>Taxi</strong>gewerbe<br />
der letzten 30, 40 Jahre hatte einer, der<br />
etwas bewegte, Partner und Feinde.<br />
Dafür braucht es nicht viel. Leute finden<br />
sich zusammen, ziehen Geschäfte<br />
auf, Wege trennen sich, einer hat mehr<br />
Erfolg als der andere, es gibt Missgunst,<br />
und über jeden wird auf der einen Seite<br />
gut geredet und auf der anderen Seite<br />
schlecht. Im <strong>Taxi</strong>gewerbe ist solche<br />
Missgunst mitunter tiefgehend.<br />
Davon ließ Detlev Freutel sich nicht<br />
schrecken. Mancher hatte Probleme mit<br />
seiner direkten Art, seiner Offenheit<br />
beim Ansprechen von Problemen, seinem<br />
trockenen und oft bissigen Humor,<br />
oder einfach damit, dass Detlev Freutel<br />
einen langen Atem hatte, Diskussionen<br />
mit Ausdauer und Sachlichkeit führte,<br />
ohne laut zu werden. Dass er es verstand,<br />
Mehrheiten zu organisieren, um<br />
Vorstandswahlen zu gewinnen, dass er<br />
nicht um den heißen Brei redete, sondern<br />
es auch offen zugab, wenn sich an einer<br />
Stelle einmal nichts bewegen ließ.<br />
VIEL FEIND, VIEL EHR‘<br />
Spricht man mit Menschen, die ihn<br />
besser kannten, ergibt sich das Bild<br />
eines konzilianten Machers, der mit<br />
allen reden wollte und am großen<br />
Gemeinsamen interessiert war. Detlev<br />
Freutel wollte raus aus dem Kleinkrieg<br />
in den Verbänden, wollte den großen<br />
Dachverband, der mit einer einzigen,<br />
starken Stimme für das Gewerbe spricht<br />
und Dinge durchsetzen kann, so wie<br />
früher in West-<strong>Berlin</strong>, im Sinne aller<br />
ehrlich wirtschaftenden <strong>Taxi</strong>unternehmer,<br />
politisch immer entschlossen, den<br />
Rechtsstaat vor kriminellen Machenschaften<br />
zu bewahren.<br />
Detlev Freutel war kein Selbstdarsteller,<br />
wollte nicht beeindrucken. Er hielt<br />
auch nichts von Klüngeleien. Als er für<br />
die Verbände die Ortskundeprüfung<br />
leitete, ärgerte sich so mancher über<br />
seine geradezu sture Neutralität und<br />
Unbestechlichkeit. Wo andere redeten<br />
und Politiker zögerten, (ver)handelte er<br />
bereits und erreichte etwas, wie etwa<br />
die Einführung des Fiskaltaxameters<br />
nach Hamburger Vorbild, womit er<br />
einmal mehr der seriösen Mehrheit im<br />
Gewerbe einen Dienst erwies und von<br />
Schwarzarbeiterbetrieben angefeindet<br />
wurde. Oft bekam man von seinen<br />
Erfolgen wenig mit, denn statt sich zu<br />
feiern, knüpfte er bereits neue Kontakte,<br />
um etwas für das Gewerbe erreichen zu<br />
können, auch weit über <strong>Berlin</strong> hinaus.<br />
DER UNBESTECHLICHE<br />
Privates trennte Detlev Freutel strikt<br />
von Beruflichem. In sein Privatleben<br />
erhielt kaum jemand Einblick. Er lebte<br />
für das <strong>Taxi</strong>gewerbe. Seinen Verbandsmitgliedern<br />
gegenüber war Detlev Freutel<br />
ein zugewandter und hilfsbereiter<br />
Ansprechpartner. Dafür forderte er seinerseits<br />
Solidarität und Unterstützung<br />
ein. Er wollte immer, dass <strong>Taxi</strong>fahrer<br />
mehr beherrschen als Ortskunde. Sie<br />
sollten auch Bescheid wissen über Personenbeförderungsrecht<br />
und Dienstleistungswesen,<br />
sollten über den Tellerrand<br />
hinausblicken, sollten Dienstleister<br />
sein, die mehr können als Auto zu fahren<br />
und ein Navigationsgerät zu bedienen,<br />
ein würdiges Aushängeschild der<br />
Stadt. Dafür hielt er immer wieder Schulungen<br />
und Vorträge, oft ehrenamtlich,<br />
weil es ihm immer um die Sache ging.<br />
Mit Detlev Freutel verliert das deutsche<br />
<strong>Taxi</strong>gewerbe einen großen, streitbaren<br />
Streiter, dem es viel zu verdanken<br />
hat. Das Gewerbe ist gut beraten, sein<br />
Andenken in Ehren zu halten und sein<br />
Lebenswerk fortzuführen. ar<br />
TAXI <strong>3.</strong> QUARTAL <strong>2020</strong><br />
5
PBEFG-NOVELLE<br />
Treffer, versenkt! Minister Scheuer scheint das <strong>Taxi</strong>gewerbe als Spielball zu betrachten.<br />
SPIELBALL TAXIGEWERBE<br />
Die Findungskommission des Bundesverkehrsministeriums hat ihre<br />
Arbeit abgeschlossen. <strong>Taxi</strong> und Daseinsvorsorge scheinen bei den<br />
beteiligten Politikern als sentimentale Spinnerei von gestern zu gelten.<br />
Zuletzt wurde das deutsche Personenbeförderungsgesetz<br />
(PBefG)<br />
2012 umfangreich geändert,<br />
wodurch das staatliche Reisebus-Monopol<br />
fiel. Der Rückblick ist aufschlussreich und<br />
muss als Warnung beim Umgang mit dem<br />
<strong>Taxi</strong>gewerbe dienen: Bundesverkehrsminister<br />
damals war Peter Ramsauer (CSU),<br />
doch maßgeblich ausgearbeitet wurde die<br />
Reform vom Staatssekretär, seinem damals<br />
37-jährigen Parteifreund Andreas Franz<br />
Scheuer. Damals gab keine Milliarden-<br />
Lobby den direkten Impuls, sondern die<br />
Bundesregierung hatte eine EU-Richtlinie<br />
umzusetzen.<br />
Die Folge der Reform ist heute zu<br />
sehen: Flixbus beherrscht nicht nur den<br />
deutschen, sondern große Teile des europäischen<br />
Marktes, Tendenz Weltmarktführerschaft.<br />
Konkurrenten wurden<br />
entweder geschluckt oder durch extreme<br />
Billigpreise vom Markt verdrängt und gingen<br />
in Konkurs (<strong>Taxi</strong> <strong>Times</strong> berichtete im<br />
April 2019), Arbeitsplätze verschwanden,<br />
und die grellgrünen Busse werden nicht<br />
von Flixmobility selbst betrieben, sondern<br />
mit mickriger Gewinnspanne von Partnerfirmen<br />
– vorzugsweise in Osteuropa,<br />
wo man den Fahrern nicht den sündhaft<br />
teuren deutschen Mindestlohn bezahlen<br />
muss, der fünfmal so hoch liegt wie der in<br />
Bulgarien. Der Trend hin zu Plattformbetreibern,<br />
die Dienstleistungen nur noch an<br />
„Partner“ vermitteln und von unterbezahlten<br />
Arbeitern ausführen lassen, die von der<br />
Tätigkeit nicht mehr leben können, wird<br />
von Wirtschaftswissenschaftlern „Uberisierung“<br />
bzw. „Uberisation“ genannt.<br />
Was mit auskömmlichen Arbeitsplätzen<br />
passieren kann, wenn Andreas Scheuer das<br />
PBefG modernisiert, ist also bekannt. Das<br />
Bundesgesetz dient der Daseinsvorsorge,<br />
wobei viele sich unter diesem Begriff wenig<br />
vorstellen können.<br />
Laut Wikipedia umschreibt Daseinsvorsorge<br />
„die staatliche Aufgabe zur Bereitstellung<br />
der für ein menschliches Dasein<br />
als notwendig erachteten Güter und Dienstleistungen<br />
– die Grundversorgung.<br />
WAS IST DASEINSVORSORGE?<br />
Dazu zählt ... die Bereitstellung von<br />
öffentlichen Einrichtungen für die Allgemeinheit,<br />
also Verkehrs- und Beförderungswesen,<br />
Gas-, Wasser- und Elektrizitätsversorgung,<br />
..., Bildungs- und<br />
Kultureinrichtungen, Krankenhäuser, ...,<br />
Feuerwehr usw. (In frastruktur)“, wahrgenommen<br />
meist von kommunalwirtschaftlichen<br />
Betrieben. Personenverkehr ist<br />
demnach notwendig für das menschliche<br />
Dasein und muss von der öffentlichen Hand<br />
ermöglicht werden.<br />
FOTOMONTAGE: Axel Rühle / <strong>Taxi</strong> <strong>Times</strong><br />
6 <strong>3.</strong> QUARTAL <strong>2020</strong> TAXI
PBEFG-NOVELLE<br />
FOTOS: Axel Rühle / <strong>Taxi</strong> <strong>Times</strong><br />
Veranschaulicht wird dies gerne mit<br />
dem berühmten Beispiel der kurzen<br />
Fahrt einer „Oma zum Arzt“, die mangels<br />
Linienverkehr auf das <strong>Taxi</strong> angewiesen<br />
ist und sich wegen dessen Betriebs-,<br />
Beförderungs- und Tarifpflicht stets darauf<br />
verlassen kann, zu jeder Zeit zum immer<br />
gleichen Preis gefahren zu werden.<br />
Bisher genießt das <strong>Taxi</strong>gewerbe mit seinen<br />
Pflichten zumindest auf dem Papier<br />
den Schutz vor Konkurrenz, indem man<br />
Mietwagen, die die Pflichten des <strong>Taxi</strong>gewerbes<br />
nicht haben, zum Ausgleich Nachteile<br />
auferlegt hat, etwa die Pflicht, nach<br />
jedem erfüllten Fahrauftrag zum Betriebssitz<br />
zurückzukehren, um dem <strong>Taxi</strong>gewerbe<br />
nicht das Geschäft wegzunehmen und<br />
nicht durch Herumfahren auf der Suche<br />
nach Kunden die Luft zu verschmutzen,<br />
außerdem werden von der Kommune keine<br />
Aufstellflächen bereitgestellt. Dafür kann<br />
der Mietwagenanbieter selbst entscheiden,<br />
wann und wie oft er fährt, welche Aufträge<br />
er annimmt und welche nicht. Die Oma<br />
zum Arzt zu fahren wird ihm meist nicht<br />
Immer dreistere Rechtsverstöße: Mietwagen<br />
am Flughafen Tegel in der <strong>Taxi</strong>spur<br />
das PBefG unternommen, der zeigt, dass<br />
Scheuer das <strong>Taxi</strong>gewerbe als Spielball<br />
betrachtet. Darüber, dass das Gesetz dem<br />
Zeitalter der Digitalisierung angepasst werden<br />
müsse, besteht weitgehend Einigkeit,<br />
doch verstehen bestimmte Interessensgruppen<br />
darunter offenbar hauptsächlich,<br />
dass das Personenbeförderungswesen den<br />
Kapitalinteressen großer Konzerne geöffnet<br />
werden soll.<br />
DIE UNENDLICH GROSSE<br />
MARKTNISCHE<br />
Wie kommt es, dass hier ein Markt zu<br />
erschließen ist? Öffentlicher Liniennahverkehr<br />
ist für die Kunden preisgünstig, da<br />
er in der Regel kommunal subventioniert<br />
wird, außerdem unflexibel, und die Verfügbarkeit<br />
sinkt regional mit der Bevölkerungsdichte.<br />
<strong>Taxi</strong>verkehr ist teuer, da er<br />
wirtschaftlich arbeiten muss, dafür jedoch<br />
absolut flexibel (fährt vor die Haustür) und<br />
in hohem Maße verfügbar.<br />
Da der Wohlstandsmensch einerseits<br />
zu Bequemlichkeit und Luxus tendiert,<br />
andererseits alles immer billiger haben<br />
möchte, ist in den letzten Jahren ein Markt<br />
gewachsen, der eine Nachfrage nach Personenbeförderung<br />
zwischen <strong>Taxi</strong> und<br />
Linienverkehr bedient und einen Mietwagen-Boom<br />
und<br />
das Pooling<br />
hervorbrachte:<br />
teurer und flexibler<br />
als der<br />
Bus, aber billiger,<br />
weniger<br />
verfügbar und<br />
weniger flexibel<br />
als das<br />
<strong>Taxi</strong>. Darin sehen einerseits Kommunen<br />
Einsparmöglichkeiten bei der Subventionierung<br />
des ÖPNV (Beispiel Berlkönig<br />
BC), andererseits sehen hier Konzerne wie<br />
Uber, Free Now, Moia usw. das große Geld,<br />
wobei zum Erzielen von Gewinn erst das<br />
lukrativ genug sein, so dass er es ablehnt.<br />
Die medizinische Versorgung der Oma ist<br />
also nur mit dem <strong>Taxi</strong> sichergestellt, womit<br />
verlässlich für ihr Dasein vorgesorgt ist.<br />
Diese Verlässlichkeit der Daseinsvorsorge<br />
ist seit letztem Jahr in Gefahr, denn<br />
Andreas Scheuer, seit 2018 Minister, hat<br />
einen erneuten Modernisierungsangriff auf <strong>Taxi</strong> vom Markt konkurriert werden muss<br />
Hico_04-2016.qxp_Layout 1 06.04.16 10:04 Seite 1<br />
Die berühmte Oma, die zum Arzt muss,<br />
hätte bei Uber kaum eine Chance.<br />
«Das <strong>Taxi</strong>gewerbe bereitet<br />
sich bereits auf erneute<br />
Großproteste vor.»<br />
Hermann Waldner, Vizepräsident des<br />
Bundesverbandes <strong>Taxi</strong> und Mietwagen<br />
– so wie damals beim Flixbus die vielen<br />
Mitbewerber.<br />
Mit den Milliarden der gewinnhungrigen<br />
Investoren etwa bei Uber kann man aber<br />
mit Leichtigkeit in den ersten Jahren die<br />
<strong>Taxi</strong>preise teilweise unterbieten (und so<br />
tun, als täte man es immer) und die guten<br />
Anwälte für die Gerichtsverfahren bezahlen,<br />
die aufgrund der erforderlichen massenhaften<br />
Rechtsverstöße weltweit unausweichlich<br />
sind, denn ohne permanente<br />
Verstöße gegen<br />
Rückkehrpflicht<br />
und<br />
Straßenverkehrsordnung<br />
wären Uber-<br />
Partner in null<br />
Komma nichts<br />
pleite.<br />
Nachhaltiger<br />
und langfristig sicherer ist es für Uber &<br />
Co. aber, in Lobbyisten zu investieren,<br />
um den zuständigen Minister von einer<br />
Gesetzesänderung zu überzeugen, die<br />
aus Rechtsverstößen legales Verhalten<br />
macht. Und siehe da: Bundesverkehrsminister<br />
Scheuer will die Rückkehrpflicht für<br />
Jetzt<br />
– nur 1x in <strong>Berlin</strong> –<br />
HICO Kraftfahrzeug-Kontrollgeräte GmbH · Ullsteinstraße 53–55 · 12109 <strong>Berlin</strong><br />
Vertretung:<br />
FISKALTAXAMETER<br />
• Montage fiskalfähiger Taxameter<br />
• Umrüstung vorhandener Taxameteranlagen<br />
• Aktualisierung der Taxameteranlage nach neuesten Anforderungen<br />
Der Kundendienst:<br />
Beratung und Termine:<br />
HICO-Service anerkannt, zuverlässig, Tel.: 030 /752 07 74<br />
fachmännisch und flexibel Fax: 030 /752 09 44<br />
E-mail: info@hico-berlin.de<br />
TAXI <strong>3.</strong> QUARTAL <strong>2020</strong><br />
7
PBEFG-NOVELLE<br />
Das Präsidium des Bundesverbandes sprach mit dem Minister: Thomas Grätz, Hermann<br />
Waldner, Andreas Scheuer, Michael Müller, Peter Zander (v.l.n.r.) am 1<strong>3.</strong> Dezember 2018<br />
Mietwagen abschaffen, den Mietwagen die<br />
Einzelplatzvermietung erlauben und durch<br />
weitere Regelungen die Trennung zwischen<br />
<strong>Taxi</strong>- und Mietwagenmarkt so weit aufweichen,<br />
dass das <strong>Taxi</strong>gewerbe sich in seiner<br />
Existenz bedroht sieht. Im Februar 2019<br />
legte er sein erstes Eckpunktepapier vor, in<br />
dem all dies explizit stand, und das <strong>Taxi</strong>gewerbe<br />
ging auf die Barrikaden.<br />
WER NICHT WEITER WEISS,<br />
DER BILDET EINEN ARBEITSKREIS<br />
Gleichzeitig mit bundesweiten Protestaktionen<br />
informierten Gewerbevertreter die<br />
Öffentlichkeit und die Politik. Es zeigte sich<br />
ein großes Informationsdefizit zu diesem<br />
speziellen Thema, doch die zähe Aufklärungsarbeit<br />
hatte Erfolg: Im Spätsommer<br />
hatte das <strong>Taxi</strong>gewerbe eine Mehrheit der<br />
Landes- und Bundesparlamentarier auf<br />
seiner Seite, zumindest bei SPD, Linken,<br />
CDU und Teilen der Grünen.<br />
Scheuer aber blieb stur, selbst wenn die<br />
Führungsriege des Bundesverbandes <strong>Taxi</strong><br />
und Mietwagen (BVTM) ihm die Problematik<br />
persönlich erklärte, als Höhepunkt<br />
sogar im direkten Schlagabtausch mit dem<br />
BVTM-Präsidenten auf einer Bühne vor<br />
Tausenden von pfeifenden Demonstranten.<br />
Er setzte eine sogenannte Findungskommission<br />
ein – in der Politik kein offiziell<br />
definierter Begriff, aber ein in vielen Bereichen<br />
wie etwa dem Vereinswesen häufig<br />
eingesetztes informelles Gremium, wenn<br />
eine Problematik mit speziellem Fachwissen<br />
erörtert werden muss – und besetzte<br />
seine „Findungskommission zur Herstellung<br />
eines übergreifenden Konsenses zur<br />
Änderung des PBefG“, die kein politisches<br />
Mandat besitzt, mit zwölf Politikern (hauptsächlich<br />
Bundestagsabgeordnete und<br />
Landesminister) aus allen im Bundestag<br />
vertretenen Parteien außer AfD und Die<br />
Linke (Seite 9).<br />
Nach dem zweiten Treffen der Kommission<br />
zeichnete sich ab, dass sich nicht viel<br />
bewegte. Daraufhin<br />
organisierte<br />
die <strong>Berlin</strong>er <strong>Taxi</strong>-<br />
„Innung“ zum<br />
dritten und letzten<br />
Treffen im Juni eine<br />
Mahnwache wie<br />
schon am 10. Mai<br />
vor dem Portal des<br />
Ministeriums in der<br />
Invalidenstraße, bei<br />
der diesmal rund 50<br />
<strong>Taxi</strong>unternehmer<br />
ihre Standpunkte<br />
der Findungskommission<br />
und der<br />
Öffentlichkeit kundtaten. Gefordert wurden<br />
unter anderem „fairer Wettbewerb für<br />
<strong>Taxi</strong>s“ und eine Karenzzeit für Mietwagen,<br />
also eine Vorbestellfrist.<br />
Arbeitsergebnis der Findungskommission<br />
ist der Entwurf für ein neues Eckpunktepapier,<br />
der sich im Juni wie ein Lauffeuer<br />
im <strong>Taxi</strong>gewerbe verbreitete. Vordergründig<br />
ist nun von einer Beibehaltung der Rückkehrpflicht<br />
die Rede. Warum die Karenzzeit<br />
für Mietwagen so ausdrücklich und<br />
zugleich ohne Begründung abgelehnt wird,<br />
ohne eine Alternative anzubieten, erscheint<br />
besonders fragwürdig, wenn man sieht,<br />
dass die Einhaltung der Rückkehrpflicht<br />
beispielsweise in <strong>Berlin</strong> nicht ansatzweise<br />
kontrolliert wird – was den Kommissionsmitgliedern<br />
bekannt sein dürfte.<br />
Was eine Umsetzung des Eckpunkte-<br />
Entwurfs unter dem Strich für das <strong>Taxi</strong>gewerbe<br />
bedeuten würde, haben Gewerbevertreter<br />
genauer unter die Lupe genommen<br />
und sind alarmiert. Dazu mehr auf den<br />
nächsten drei Doppelseiten.<br />
Aus dem noch nicht offiziellen Papier<br />
wird nun ein Referentenentwurf erarbeitet.<br />
Das <strong>Taxi</strong>gewerbe bereitet sich laut BVTM-<br />
Vizepräsident Hermann Waldner bereits<br />
auf erneute Großproteste vor, da es immer<br />
mehr zum Spielball wirtschaftlicher Interessen<br />
wird und bald nicht mehr viel zu<br />
verlieren hat. <br />
ar<br />
Mahnwache in der Invalidenstraße beim dritten Treffen<br />
der Findungskommission am 19. Juni <strong>2020</strong><br />
DIE 11 ECKPUNKTE IM EINZELNEN<br />
Die Punkte 3 bis 5 der insgesamt elf<br />
Eckpunkte betrachten wir auf den Seiten<br />
10 bis 15 näher. Sie könnten – sofern<br />
sie in ihrer endgültigen Ausformulierung<br />
den dort genannten Vorgaben entsprechen<br />
– dem <strong>Taxi</strong>gewerbe den Dolchstoß<br />
versetzen.<br />
Die übrigen Punkte sind im Vergleich<br />
dazu weniger explosiv. Sie beschäftigen<br />
sich mit einer leichten Modifizierung des<br />
§ 1 PBefG, definieren die Einordnung<br />
bedarfsgesteuerter Pooling-Dienste des<br />
ÖPNV als Linienverkehr und räumen<br />
die Möglichkeit ein, bisher definierte<br />
Formen der Mischkonzessionen künftig<br />
auch auf die neue Beförderungsform<br />
„Pooling“ zu erweitern.<br />
Zudem sollen Mietwagen und Pooling-<br />
Dienste mit einheitlichen Ordnungsnummern<br />
gekennzeichnet werden und<br />
sämtliche Anbieter von Beförderungsdiensten<br />
ihre Mobilitätsdaten verpflichtend<br />
bereitstellen.<br />
Die Punkte 9 und 10 definieren kommunale<br />
Regulierungsoptionen bei den<br />
Fahrzeuggenehmigungen hinsichtlich<br />
Barrierefreiheit und Klimaschutz.<br />
Punkt 11 sieht schließlich noch eine Klarstellung<br />
der Genehmigungspflicht der<br />
digitalen Vermittlung im PBefG vor. jh<br />
FOTOS: BVTM, Simi / <strong>Taxi</strong> <strong>Times</strong><br />
8 <strong>3.</strong> QUARTAL <strong>2020</strong> TAXI
PBEFG-NOVELLE<br />
DIE FINDUNGSKOMMISSION DES BUNDESVERKEHRSMINISTERS<br />
FOTOS: Landtag Hessen, Simi (4), Olaf Kosinsky, Axel Rühle (3), Oliver Dietze, daniela-ludwig.de, Harald Krichel, Mark Keppler<br />
Tarek Al-Wazir (49,<br />
Diplom-Politologe aus<br />
Hessen) ist hessisches<br />
Grünen-Urgestein<br />
und Minister für<br />
Wirtschaft, Energie,<br />
Verkehr und Wohnen und stellvertretender<br />
Ministerpräsident in Hessen und setzt<br />
sich erfolgreich für Anruf-Sammeltaxen<br />
im ländlichen Raum ein.<br />
Im Mai 2019 sagte er im Wiesbadener<br />
Landtag, es bestehe ein Konsens beim<br />
Änderungsbedarf des PBefG, ebenso<br />
wichtig sei aber, das jetzt geltende Personenbeförderungsrecht<br />
durchzusetzen.<br />
Scheuers Eckpunkte stellte er nur wenig<br />
in Frage. Seine Aussage, Car-Sharing veranlasse<br />
Menschen, ihr Auto abzuschaffen,<br />
gilt als widerlegt.<br />
Sören Bartol (46,<br />
Diplom-Politologe aus<br />
Nordrhein-Westfalen),<br />
stellvertretender<br />
Vorsitzender der SPD-<br />
Bundestagsfraktion<br />
für den Bereich Verkehr, Bau und digitale<br />
Infrastruktur sowie Digitale Agenda. „Die<br />
SPD-Bundestagsfraktion wird dafür sorgen,<br />
dass durch die Modernisierung der<br />
gesetzlichen Spielregeln niemand aus der<br />
Kurve fliegt.“ (2019 auf ntv.de)<br />
Bernd Buchholz (58,<br />
Jurist aus <strong>Berlin</strong>),<br />
Schleswig-Holsteinischer<br />
Wirtschaftsund<br />
Verkehrsminister<br />
der FDP, bezeichnet<br />
die Rückkehrpflicht für Mietwagen als<br />
anachronistisch und ökologisch fragwürdig,<br />
obwohl wissenschaftliche Studien<br />
aus den USA längst das Gegenteil bewiesen<br />
haben.<br />
Stefan Gelbhaar (44,<br />
Jurist aus <strong>Berlin</strong>), Verkehrsexperte<br />
der Bundestagsfraktion<br />
von<br />
Bündnis 90/Grüne,<br />
hatte sich schon bei<br />
diversen Gelegenheiten als Freund des<br />
<strong>Taxi</strong>gewerbes präsentiert.<br />
Als der Fahrdienst Clever Shuttle im<br />
Mai seinen Rückzug aus drei Städten<br />
bekanntgab, bedauerte Gelbhaar den<br />
Wegfall von Arbeitsplätzen, wobei das<br />
<strong>Taxi</strong>gewerbe besser für die Verkehrswende<br />
geeignet ist als neue (auch<br />
abgasarme) Fahrzeugflotten, die von<br />
Pseudo-<strong>Taxi</strong>-Anbietern umweltschädlich<br />
aus dem Boden gestampft werden und<br />
Arbeitsplätze im <strong>Taxi</strong>gewerbe kosten.<br />
Gelbhaar hat umfassendes Detailwissen<br />
über das <strong>Taxi</strong>gewerbe, wie er in einem<br />
<strong>Taxi</strong>-<strong>Times</strong>-Interview 2016 unter Beweis<br />
stellte.<br />
Michael Donth (53,<br />
Ex-Bürgermeister aus<br />
Baden-Württemberg),<br />
seit eh und je in Verwaltung<br />
und Politik<br />
tätig, im Verkehrsausschuss<br />
des Bundestages vornehmlich für<br />
den ÖPNV, Taxen und Fernbusse zuständig,<br />
nahm als PBefG-Experte der CDU<br />
bereits häufig an <strong>Taxi</strong>-Veranstaltungen teil.<br />
Cem Özdemir (54,<br />
Diplom-Sozialpädagoge<br />
aus Baden-<br />
Württemberg), grünes<br />
Urgestein und Vorsitzender<br />
des Verkehrsausschusses<br />
im Deutschen Bundestag.<br />
Er gab in Gesprächen mit <strong>Taxi</strong>verbänden<br />
vor, die Bedenken des Gewerbes immer<br />
im Hinterkopf zu halten, seine Partei<br />
Bündnis 90/Grüne stimmte dann aber<br />
dem Anfang Juni verabschiedeten Positionspapier<br />
der Großen Koalition zu.<br />
Anke Rehlinger<br />
(44, Rechtsanwältin<br />
aus Saarland)<br />
ist Ministerin für<br />
Wirtschaft, Arbeit,<br />
Energie und Verkehr,<br />
stellvertretende Ministerpräsidentin<br />
und SPD-Vorsitzende im Saarland mit<br />
landespolitischer Erfahrung in vielen<br />
unterschiedlichen Bereichen, auch als<br />
Ministerin.<br />
Unfreiwillige Komik: Fachkunde auch für<br />
beratungsresistente Kommissionsmitglieder<br />
Daniela Kluckert (39, Diplom-Volkswirtin<br />
aus Niedersachsen bzw. <strong>Berlin</strong>), FDP-<br />
Bundestagsabgeordnete und Uber-Befürworterin,<br />
stellvertretende Vorsitzende des<br />
Verkehrsausschusses, die – wie die anderen<br />
– von zahlreichen Vertretern des <strong>Taxi</strong>gewerbes<br />
ausreichend informiert wurde<br />
und dennoch wieder und wieder durch<br />
Ignoranz und widersprüchliche Aussagen<br />
auffällt, wenn sie beispielsweise wider<br />
besseres Wissen behauptet, die Rückkehrpflicht<br />
erhöhe die Luftverschmutzung,<br />
Pooling stärke öffentliche Verkehrsanbieter,<br />
Taxen müssten über fünf Türen<br />
verfügen oder Uber sei kein Rosinenpicker<br />
– oder es als Frechheit bezeichnet, wenn<br />
ein <strong>Taxi</strong>fahrer sie fragt, ob ihr der schnellere<br />
Weg über die Autobahn lieber sei oder<br />
der preisgünstigere durch die Stadt.<br />
Kirsten Lühmann<br />
(56, Polizeioberkommissarin<br />
aus Niedersachsen),<br />
Sprecherin<br />
der Arbeitsgruppe<br />
Verkehr und digitale<br />
Infrastruktur der SPD-Bundestagsfraktion<br />
und Mitglied im Verkehrsausschuss<br />
sowie in den Untersuchungsausschüssen<br />
zum VW-Abgasskandal und zur Pkw-<br />
Maut, ärgert sich darüber, dass Uber<br />
„so tut, als hätten sie die Digitalisierung<br />
erfunden“. Tatsächlich würden unter<br />
diesem Deckmäntelchen „Beschäftigte<br />
ausgenutzt“. Lühmann hat sich mehrfach<br />
klar pro <strong>Taxi</strong>gewerbe positioniert.<br />
Daniela Ludwig (45,<br />
Diplom-Juristin aus<br />
Bayern), Bundesdrogenbeauftragte,<br />
wird<br />
laut Wikipedia laufend<br />
als inkompetent für<br />
Drogen- und Gesundheitspolitik kritisiert,<br />
sogar von einem Ministeriumssprecher.<br />
Ihre bisherige verkehrspolitische<br />
Erfahrung beschränkt sich auf regionale<br />
Themen. Dass ihre konservative Einstellung<br />
den neoliberalen Aktionismus bei<br />
der PBefG-Novelle bremsen kann, gilt als<br />
unwahrscheinlich, da sie ihrem Parteifreund<br />
Scheuer politisch nahesteht.<br />
Jürgen Barke (57,<br />
Verwaltungswirt<br />
aus dem Saarland),<br />
Staatssekretär mit<br />
Kabinettsrang im<br />
saarländischen Ministerium<br />
für Wirtschaft, Arbeit, Energie und<br />
Verkehr und dort stellvertretender SPD-<br />
Vorsitzender, ist langjähriger Immobilien-,<br />
Bau- und Wirtschaftsfachmann.<br />
Hendrik Wüst (45,<br />
Rechtsanwalt<br />
aus Nordrhein-<br />
Westfalen) ist<br />
Verkehrsminister der<br />
CDU-Landesregierung<br />
in Düsseldorf und Wirtschaftsexperte. ar<br />
TAXI <strong>3.</strong> QUARTAL <strong>2020</strong><br />
9
PBEFG-NOVELLE<br />
Rückkehrpflicht: künftig zum Supermarkt-<br />
Parkplatz statt zum Betriebssitz?<br />
DIE UNWIRKSAME<br />
RÜCKKEHRPFLICHT<br />
Mietwagenunternehmen sollen laut Eckpunkte-Papier künftig zusätzliche<br />
Abstellorte anmieten dürfen, um die Rückkehrpflicht zum Betriebssitz<br />
legal zu umgehen. Eine geforderte Vorbestellfrist wird abgelehnt.<br />
An der Rückkehrpflicht für auftragslose<br />
Mietwagen wird festgehalten.“<br />
Dieser Satz im nun<br />
veröffentlichten Eckpunktepapier könnte<br />
im <strong>Taxi</strong>gewerbe für kollektives Aufatmen<br />
sorgen, hatte man doch dank einer schlagkräftig<br />
organisierten „Scheuerwehr“ die<br />
Pläne des Bundesverkehrsministers über<br />
eine Abschaffung der Rückkehrpfl icht<br />
abwehren können.<br />
Doch schon im nächsten Satz soll den<br />
Kommunen die Möglichkeit eingeräumt<br />
werden, die Ausgestaltung der Rückkehrpflicht<br />
zu „regeln“, indem man beispielsweise<br />
„weitere geeignete Abstellorte“<br />
genehmigt. Damit wäre in der Praxis<br />
laut Dieter Schlenker von <strong>Taxi</strong> Deutschland<br />
„noch weniger Kontrolle möglich.<br />
Da werden dann Hotelparkplätze, Stellflächen<br />
in Parkhäusern und Aldi- und Lidl-<br />
Parkplätze angemietet – somit ist dann<br />
die Rückkehrpflicht faktisch ausgesetzt.“<br />
Hermann Waldner, Vizepräsident des Bundesverbandes<br />
<strong>Taxi</strong> und Mietwagen e. V.<br />
(BVTM), sprach im Radio-Interview von<br />
einer „durchlöcherten Form“ der Rückkehrpflicht,<br />
die er „katastrophal“ nannte, da sie<br />
„einer Fast-Abschaffung gleichkäme“.<br />
Schlenker sieht im kontinuierlichen Verstoß<br />
gegen die Rückkehrpflicht eine erhebliche<br />
Wettbewerbsverzerrung auf Kosten<br />
der <strong>Taxi</strong>betriebe. Michael Oppermann,<br />
BVTM-Geschäftsführer, spricht gegenüber<br />
<strong>Taxi</strong> <strong>Times</strong> zudem von einer Aufweichung<br />
der gesetzlich klar definierten Abgrenzung<br />
zwischen <strong>Taxi</strong>s und Mietwagen. „Wenn<br />
jemand heute in diesem Markt Unternehmer<br />
werden möchte und wählen muss, ob er<br />
nach links geht und <strong>Taxi</strong> macht oder nach<br />
rechts geht und Mietwagen macht, dann<br />
muss es gute Gründe für beide Verkehrsformen<br />
geben. Wenn es einen einseitigen<br />
Ausschlag gibt, dass der Mietwagen viel<br />
mehr Vorteile bietet als Nachteile, dann<br />
werden alle Unternehmer in den Bereich<br />
Mietwagen gehen, weil sie ja rational handelnde<br />
Unternehmer sind.“<br />
Die Konsequenz wäre laut Oppermann<br />
ein völliges Kollabieren der Daseinsvorsorge<br />
und der Mobilität für jedermann, weil<br />
am Markt nur noch Mietwagen existieren<br />
würden – ohne Betriebs-, Beförderungsund<br />
Tarifpflicht. „Dann fährt eben keiner<br />
mehr die Oma zur Arztpraxis um die Ecke“,<br />
warnt Oppermann. Waldner ergänzte, auf<br />
die Idee, die öffentlichen Nahverkehrsbetriebe<br />
zu verzocken, komme schließlich<br />
auch niemand.<br />
Der BVTM hatte zuletzt unter dem<br />
Begriff „Vorbestellfrist“ gefordert, dass<br />
Mietwagen in Großstädten nicht zur Adhoc-Beförderung<br />
bestellt werden dürfen,<br />
sondern zwischen Bestellung und Abho-<br />
DIE ECKPUNKTE, ZIFFER 5: MIETWAGENVERKEHR<br />
An der Rückkehrpflicht für auftragslose<br />
Mietwagen wird festgehalten. Kommunen<br />
erhalten jedoch die Möglichkeit, bei<br />
weiten Entfernungen (in flächenmäßig<br />
großen Kommunen) die Ausgestaltung<br />
der Rückkehrpflicht zu regeln (z. B.<br />
Zulassung weiterer geeigneter Abstellorte<br />
ab einer bestimmten Distanz vom<br />
Hauptsitz).<br />
Diese Beschränkung der Rückkehrpflicht<br />
auftragsloser Mietwagen gilt nur im<br />
Gebiet des jeweiligen Aufgabenträgers.<br />
5.1. Um Rechtsunsicherheiten in Bezug<br />
auf die Interpretation der Norm zu<br />
vermeiden, wird die in § 49 Abs. 4 S. 4<br />
PBefG enthaltene buchmäßige Erfassung<br />
um die Möglichkeit einer elektronischen<br />
Erfassung von Auftragseingängen<br />
beim Unternehmer (nicht unmittelbar<br />
beim Fahrer) ergänzt. Auch App-basierte<br />
Auftragseingänge werden hierdurch<br />
expressis verbis ermöglicht.<br />
5.2. Es soll keine Vorbestellfrist als<br />
zusätzliches Abgrenzungskriterium<br />
zu anderen Verkehrsarten eingeführt<br />
werden.<br />
5.<strong>3.</strong> Neben dem Wegstreckenzähler ist<br />
auch die Nutzung eines zugelassenen<br />
App-basierten Systems zulässig.<br />
5.4. Den Kommunen wird die Möglichkeit<br />
eingeräumt, Anti-Dumping-Regelungen<br />
(z. B. Mindestpreis) festzulegen.<br />
FOTOS: Axel Rühle / <strong>Taxi</strong> <strong>Times</strong><br />
10 <strong>3.</strong> QUARTAL <strong>2020</strong> TAXI
PBEFG-NOVELLE<br />
Hermann Waldner, Vizepräsident des<br />
Bundesverbandes <strong>Taxi</strong> und Mietwagen<br />
lung eine „Karenzzeit“ von 15-30 Minuten<br />
einhalten müssen. „Wir haben bei der<br />
Rückkehrpflicht ein klares Kontroll- und<br />
Vollzugsdefizit. Da wäre durch eine im<br />
Bundesgesetz definierte Vorbestellfrist<br />
ein Instrument an der Hand, das es den<br />
Kommunen viel leichter macht, zu kontrollieren<br />
und diejenigen, die sich nicht<br />
an geltende Regelungen halten, zu sanktionieren.“<br />
Waldner würde sich „gerne von<br />
den Verfassern des Eckpunktepapiers mal<br />
erklären lassen, wie sie sich denn ohne so<br />
eine Mindestvorbestellfrist die Einhaltung<br />
und Kontrolle einer Rückkehrpflicht überhaupt<br />
vorstellen.“<br />
Für das klassische Geschäft der Mietwagen<br />
sieht Oppermann bei einer solchen<br />
Regelung keine gravierenden Einschränkungen,<br />
„weil jene Unternehmen keinen<br />
taxiähnlichen Ad-hoc-Verkehr anbieten,<br />
sondern vorbestellte Fahrten fahren.“ Die<br />
Politik lehnt diesen Plan allerdings im<br />
Punkt 5.2. der<br />
Eckpunkte explizit<br />
ab.<br />
Fazit: Dank<br />
einer beispiellosen<br />
Aufklärungskampagne<br />
der <strong>Taxi</strong>branche<br />
schien die Politik<br />
tatsächlich verstanden<br />
zu haben,<br />
dass eine Aufhebung<br />
der Rückkehrpflicht<br />
zu<br />
einer unfairen und gesellschaftlich schädlichen<br />
Wettbewerbsverzerrung zwischen<br />
<strong>Taxi</strong> und Mietwagen führen würde. Die<br />
nun vorgelegten Ausführungen im Punkt<br />
5 beweisen jedoch, dass weder Andreas<br />
«Niemand würde auf<br />
die Idee kommen,<br />
die öffentlichen<br />
Nahverkehrsbetriebe<br />
zu verzocken.»<br />
Hermann Waldner<br />
Scheuer nebst Ministeriumsmitarbeitern<br />
noch die Mitglieder der Findungskommission<br />
ein ernsthaftes Interesse daran haben,<br />
für ausgeglichene Spielregeln zwischen<br />
<strong>Taxi</strong> und Mietwagen zu sorgen.<br />
Mit der gleichzeitigen Absage an eine<br />
Vorbestellfrist für Mietwagen verpasst man<br />
zudem die Chance, endlich durchsetzbare<br />
Voraussetzungen für eine digitale Kontrolle<br />
der Rückkehrpflicht zu schaffen. Einen<br />
wirkungsvolleren<br />
Faustschlag<br />
ins Gesicht der<br />
<strong>Taxi</strong>unternehmer<br />
kann man kaum<br />
setzen. Diese Ignoranz<br />
und Missachtung<br />
hat die<br />
<strong>Taxi</strong>branche nicht<br />
verdient – erst<br />
recht nicht, nachdem<br />
man während<br />
des Corona-Lockdowns<br />
eindrucksvoll<br />
bewiesen hat, dass in einem heruntergefahrenen<br />
System das <strong>Taxi</strong> und nicht der<br />
Mietwagen die notwendige – gesundheitsschützende<br />
– Mobilität aufrecht erhalten<br />
hat.<br />
jh<br />
Dorotheastr. 4 | 10318 <strong>Berlin</strong> – Karlshorst<br />
Websitewww.taxiversicherungen-deutschland.de<br />
E-Mail info@fvo-finanz.de<br />
Telefon 030 / 22 49 41 86<br />
TAXIVERSICHERUNG:<br />
GÜNSTIGE TARIFE<br />
VOM SPEZIALISTEN!<br />
Vergleichen Sie bis zum 30.11. Ihre <strong>Taxi</strong>- oder<br />
Mietwagenversicherung und profitieren Sie<br />
von unseren exklusiven Sondertarifen!<br />
UNTER<br />
STÜTZER<br />
DES TAXI<br />
GEWERBES<br />
TAXI <strong>3.</strong> QUARTAL <strong>2020</strong><br />
11<br />
Wir bieten Ihnen für Taxen und Mietwagen:<br />
Exklusive Sondertarife für Einzel- und<br />
Mehrwagenbetriebe<br />
Vergleich verschiedener Flottenversicherungen<br />
Sondereinstufungen für Neueinsteiger<br />
Rechtschutz- und Betriebshaftpflichtkonzepte<br />
Gerne erstellen wir Ihnen kostenlos und<br />
unverbindlich Ihr persönliches Angebot.<br />
030 / 22 49 41 86
PBEFG-NOVELLE<br />
«POOLING» ALS NEUE<br />
BEFÖRDERUNGSFORM?<br />
Neben <strong>Taxi</strong>s und Mietwagen will Scheuer die Beförderungsform<br />
„Pooling“ einführen und durch eine Quote regulieren. Hier wird es<br />
besonders darauf ankommen, wie man das im Detail definiert.<br />
Wenn der Gesetzgeber unterschiedliche<br />
Arten der individuellen<br />
Personenbeförderung<br />
– der Gesetzgeber spricht kurz von Verkehrsarten<br />
– definiert, steckt als Absicht<br />
dahinter, dass <strong>Taxi</strong> und Mietwagen sowie<br />
die geplante dritte Verkehrsart „Pooling“<br />
mit gesonderten Regelungen voneinander<br />
abgegrenzt sind – was der eine darf, darf<br />
der andere nicht. Die Pläne der Findungskommission<br />
sehen vor, dass die Pooling-<br />
Dienste einzelne Sitzplätze vermieten dürfen<br />
und grundsätzlich nach Ausführung<br />
des Beförderungsauftrags nicht zu ihrem<br />
Betriebssitz zurückkehren müssen. Der<br />
Unternehmer hätte keine Betriebs- und<br />
Beförderungspflicht und dürfte ausschließlich<br />
den Bestellmarkt bedienen, also keine<br />
Winker aufnehmen oder sich irgendwo<br />
bereitstellen.<br />
Weil sich bedarfsgesteuerte Sammelverkehre<br />
(Pooling-Dienste) außerhalb<br />
des ÖPNV weder in ein <strong>Taxi</strong>- noch in ein<br />
Mietwagenkorsett zwängen lassen, soll<br />
nun eine eigene, dritte Beförderungsform<br />
dafür geschaffen werden – ein Segment<br />
davon innerhalb des ÖPNV, eins außerhalb<br />
des ÖPNV. Letzteres ist für Anbieter wie<br />
Moia, CleverShuttle,<br />
Berlkönig und Co.<br />
gemeint, weshalb<br />
sie nachfolgend als<br />
privates Pooling<br />
bezeichnet wird.<br />
Damit Kommunen<br />
in erster Linie<br />
den meist von ihnen<br />
selbst betriebenen,<br />
klassischen ÖPNV<br />
schützen können,<br />
sollen Ihnen Möglichkeiten<br />
der Steuerung<br />
dieser Verkehrsdienste<br />
an die<br />
Hand gegeben werden.<br />
So könnten sie beispielsweise durch<br />
Festlegung im Nahverkehrsplan eine Rückkehr<br />
zu Betriebshöfen oder Abstellorten<br />
anordnen und Sozialstandards definieren.<br />
Sie sollen zudem dazu verpflichtet werden,<br />
eine Poolingquote zu definieren, die festlegt,<br />
wie viele Fahrgäste im Durchschnitt<br />
gleichzeitig zu befördern sind. Die Kontrolle<br />
wird dadurch erleichtert, dass künftig jeder<br />
Anbieter seine Mobilitätsdaten bereitstellen<br />
muss.<br />
WIRD DAS POOLING<br />
STEUERBAR SEIN?<br />
Ob sich das nun positiv oder kontraproduktiv<br />
für das <strong>Taxi</strong>gewerbe erweist, wird<br />
stark davon abhängen, wie die Vorgabe der<br />
Findungskommission vom Bundesverkehrsministerium<br />
im Referentenentwurf umgesetzt<br />
wird. Für Michael Oppermann vom<br />
Bundesverband <strong>Taxi</strong> und Mietwagen e. V.<br />
(BVTM) ist entscheidend, dass Pooling steuerbar<br />
ist und kein Wildwuchs entsteht. Vor<br />
allem dürfe die Poolingquote keine Mogelpackung<br />
werden, mahnt Oppermann im<br />
Gespräch mit <strong>Taxi</strong> <strong>Times</strong>. „Wenn im Schnitt<br />
nicht mindestens zwei Fahrgäste mitfahren,<br />
ist es aus meiner Sicht kein Pooling.“<br />
Entscheidend wäre darüber hinaus, dass<br />
die Kommunen die Poolingverkehre und<br />
deren vorgeschriebene Quote verlässlich kon-<br />
FOTO: Axel Rühle / <strong>Taxi</strong> <strong>Times</strong><br />
12 <strong>3.</strong> QUARTAL <strong>2020</strong> TAXI
PBEFG-NOVELLE<br />
Dieter Schlenker, Vorsitzender der <strong>Taxi</strong><br />
Deutschland eG<br />
trollieren. Daran zweifeln viele aus der <strong>Taxi</strong>branche.<br />
Sie fürchten, dass die Kommunen<br />
damit ebenso überfordert sind, wie das aktuell<br />
auch bei der Kontrolle der Rückkehrpflicht<br />
für Mietwagen der Fall ist. Oppermann hofft<br />
hier auf die vorgesehene Pflicht zur Bereitstellung<br />
der Mobilitätsdaten. Damit würde<br />
das PBefG als Bundesgesetz den Kommunen<br />
eine einfache Methode für wirkungsvolle<br />
Kontrollen an die Hand geben.<br />
Deutlich kritischer sieht die neue Beförderungsform<br />
Dieter Schlenker von <strong>Taxi</strong><br />
Deutschland. „Warum soll für das Pooling<br />
eine neue, zusätzliche Fahrzeugflotte aufgebaut<br />
werden, wenn es bereits 55.000<br />
Fahrzeuge auf deutschen Straßen gibt,<br />
die diese Beförderungsleistung erbringen<br />
können?“ Schlenker meint damit die <strong>Taxi</strong>s,<br />
doch diese sind im Eckpunkte-Entwurf<br />
explizit ausgenommen, was Schlenker als<br />
unsinnig bezeichnet.<br />
Oppermann verweist bei diesem Punkt<br />
auf die Kehrseite der Medaille. „Man kann<br />
das durchaus als interessantes Marktsegment<br />
[für das <strong>Taxi</strong>] sehen, wir wollen aber<br />
unbedingt erreichen, dass Pooling-Anbieter<br />
auf keinen Fall Einzelbeförderung machen.<br />
Wenn <strong>Taxi</strong>s allerdings das Recht erhalten<br />
sollen, zwischen ihrer klassischen Einzelbeförderung<br />
auch mal poolen zu dürfen, dann<br />
ist das regulatorisch nicht ganz einfach.“<br />
Würde man es beispielsweise als Mischkonzession<br />
genehmigen, bestünde die<br />
Gefahr, dass Wettbewerber wie Moia ihre<br />
Fahrzeuge als <strong>Taxi</strong>s zulassen könnten und<br />
damit irgendwelche Pooling-Quoten umgingen.<br />
„Das wollen wir natürlich auch nicht<br />
haben.“<br />
An dieser Stelle stellt sich die grundsätzliche<br />
Frage, ob seitens des Gesetzgebers<br />
eine Kontingentierung vorgesehen ist. Die<br />
Eckpunkte lassen das offen. Aus vielerlei<br />
Aspekten wäre es allerdings sinnvoll, wenn<br />
Kommunen eine Höchstgrenze an Pooling-<br />
Fahrzeugen definieren dürften. Steuern<br />
ließe es sich beispielsweise über die Poolingquote:<br />
Wer diese nicht erreicht, verliert<br />
die Genehmigung.<br />
KOMMUNEN MÜSSTEN<br />
HÖCHSTGRENZE FESTSETZEN<br />
Bleibt zu guter Letzt noch die Frage, ob<br />
Pooling die Hintertür für Anbieter wie Uber<br />
und Free Now ist, ihr bisheriges Geschäftsmodell<br />
zu legalisieren. Sollten die oben<br />
genannten Punkte tatsächlich so umgesetzt<br />
werden, wäre ein stark reglementiertes privates<br />
Pooling für Uber und Free Now nicht<br />
so attraktiv. Das bestätigt auch Alexander<br />
Mönch von Free Now, der gegenüber den<br />
Medien dafür plädiert, dass Pooling auch<br />
mit Mischkonzessionen betrieben werden<br />
kann.<br />
Fazit: Ob privates Pooling dem <strong>Taxi</strong> tatsächlich<br />
schadet, hängt von der konkreten<br />
Ausgestaltung im späteren Gesetzestext ab<br />
– und davon, ob die Einhaltung der Regeln<br />
von den Kommunen kontrolliert wird (in<br />
<strong>Berlin</strong> mit dem derzeitigen Senat wohl<br />
kaum). „Alles ist ein Einfallstor für Uber<br />
und Free Now, wenn nicht kontrolliert wird“,<br />
sagt Oppermann. <br />
jh<br />
DIE ECKPUNKTE, ZIFFER 3: GENEHMIGUNGSFÄHIGKEIT VON POOLING-DIENSTEN AUSSERHALB DES ÖPNV<br />
FOTO: <strong>Taxi</strong> Deutschland eG<br />
Bedarfsgesteuerte Pooling-Dienste<br />
brauchen als neue Form des Gelegenheitsverkehrs<br />
auch außerhalb des ÖPNV<br />
eine rechtssichere Grundlage für ihre<br />
Zulassung. Diese Pooling-Dienste sollen<br />
einzelne Sitzplätze vermieten dürfen<br />
und grundsätzlich nach Ausführung des<br />
Beförderungsauftrags nicht zu ihrem<br />
Betriebssitz zurückkehren müssen.<br />
Kommunen müssen, insbesondere auch<br />
zum Schutz des ÖPNV, die Möglichkeit<br />
der Steuerung dieser Verkehrsdienste<br />
erhalten.<br />
Um auch außerhalb des ÖPNV eine<br />
reguläre Genehmigungsfähigkeit neuartiger<br />
Pooling-Konzepte sicherzustellen,<br />
wird eine neue Gelegenheitsverkehrsform<br />
„Pooling“ eingeführt. Dieser neuen<br />
Verkehrsform wird die Einzelsitzplatzvermietung<br />
ermöglicht. Der Unternehmer<br />
darf ausschließlich den Bestellmarkt<br />
bedienen, er unterliegt nicht der<br />
Betriebs- und Beförderungspflicht.<br />
Für die neue Verkehrsform „Pooling“ gilt<br />
grundsätzlich keine Rückkehrpflicht. Die<br />
Kommunen erhalten jedoch die Möglichkeit,<br />
für auftragslose Pooling-Fahrzeuge<br />
eine Rückkehrpflicht und deren<br />
Ausgestaltung (etwa Rückkehr zu eigens<br />
eingerichteten Betriebshöfen, Abstellorten<br />
o. ä.) durch kommunale Satzung<br />
oder im Nahverkehrsplan zu regeln. Die<br />
Geltung dieser Regelungen beschränkt<br />
sich auf das Gebiet des jeweiligen<br />
Aufgabenträgers, in dem die Poolingverkehre<br />
durchgeführt werden sollen. Eine<br />
genehmigungsbehördenübergreifende<br />
Bedienung ist nur mit Genehmigung der<br />
angrenzenden Genehmigungsbehörde<br />
gestattet.<br />
Die Kommunen müssen eine zu erreichende<br />
Poolingquote festlegen, um die<br />
Verkehrseffizienz dieser Systeme für den<br />
städtischen Verkehrsraum sicherzustellen.<br />
Die für die Berechnung der Quote zu<br />
verwendende Methodik (Personenkilometer/Fahrzeugkilometer)<br />
gilt bundesweit,<br />
die Festsetzung der konkreten<br />
Höhe erfolgt durch die Kommune. Ein<br />
Monitoring erfolgt durch die jeweils<br />
zuständige Stelle.<br />
<strong>3.</strong>4. Den Kommunen werden abschließend<br />
folgende weitere Steuerungsmöglichkeiten<br />
eingeräumt:<br />
Festlegung eines Tarifkorridors, in<br />
dessen Rahmen der Unternehmer die<br />
Fahrpreise frei festlegen darf. Dabei<br />
muss die zuständige Genehmigungsbehörde<br />
nach Anhörung des kommunalen<br />
Aufgabenträgers verpflichtend einen<br />
Mindestpreis festlegen, der einen hinreichenden<br />
Abstand zu den ÖPNV-Tarifen<br />
sicherstellt / den jeweils geltenden<br />
ÖPNV-Tarif nicht unterschreiten darf.<br />
Darüber hinaus soll die Genehmigungsbehörde<br />
auch einen Höchstpreis für<br />
Poolingverkehre festlegen können.<br />
Möglichkeit einer Kontingentierung<br />
sowie zeitlicher/räumlicher Beschränkungen<br />
der neuen Poolingverkehre, um<br />
die notwendige Steuerung der neuen<br />
Verkehrsart zu erlauben.<br />
Die Kommunen können Vorgaben von<br />
Sozialstandards machen. Die Sozialstandards<br />
werden in der Liste der Steuerungsinstrumente<br />
aber nicht konkret<br />
benannt.<br />
TAXI <strong>3.</strong> QUARTAL <strong>2020</strong><br />
13
PBEFG-NOVELLE<br />
TARIFPFLICHT NUR NOCH<br />
BEI WINKER-FAHRTEN?<br />
Bei Bestellfahrten soll es keine Tarifpflicht mehr geben und die<br />
Ortskundeprüfung will Scheuer durch eine „Kleine Fachkunde“<br />
ersetzen. Für Mietwagenfahrer soll diese aber nicht gelten.<br />
Den künftigen Neuerungen für<br />
die „Verkehrsart“ <strong>Taxi</strong> sind im<br />
Eckpunkteentwurf der Findungskommission<br />
zwölf Sätze und sechs Unterpunkte<br />
gewidmet (siehe Kasten). Als wenig<br />
überraschend gilt dabei die Planung, dass<br />
<strong>Taxi</strong>fahrer künftig keine Ortskunde mehr<br />
nachweisen müssen, dafür muss<br />
jedes <strong>Taxi</strong> künftig ein „dem Stand<br />
der Technik entsprechenden Navigationsgerät“<br />
haben.<br />
Wirtschaftlich gesehen wäre der<br />
Wegfall für das <strong>Taxi</strong>gewerbe und<br />
damit der Verlust eines Alleinstellungsmerkmals<br />
(kompetenter Fahrer,<br />
der seine Fahrgäste über die<br />
sinnvollste Fahrtroute beraten kann) ein<br />
geringerer Nachteil als der jetzt bestehende<br />
Wettbewerbsnachteil gegenüber dem Mietwagengewerbe,<br />
denn seit 2017 die Ortskundeprüfung<br />
für Mietwagenfahrer aufgehoben<br />
wurde, leiden die <strong>Taxi</strong>betriebe unter<br />
massivem Personalmangel. Ein Bruchteil<br />
der früheren Zahl an Neueinsteigern ist<br />
heutzutage bereit, sich monatelang zum<br />
<strong>Taxi</strong>fahrer zu qualifizieren, kann man<br />
doch ohne Kenntnisse und Prüfung sofort<br />
bei einem Mietwagenunternehmen einsteigen,<br />
wenn auch oft miserabel bezahlt.<br />
Diese massive Wettbewerbsverzerrung<br />
«Die Versorgung mit <strong>Taxi</strong>s<br />
auf dem Land wäre<br />
damit akut gefährdet.»<br />
Michael Oppermann<br />
wäre mit dem generellen Wegfall der<br />
Ortskundeprüfung aber nicht wirklich<br />
aufgehoben, denn anstelle der Ortskundeprüfung<br />
will der Verkehrsminister eine<br />
„Kleine Fachkunde“ einführen – allerdings<br />
wieder nur für <strong>Taxi</strong>fahrer und nicht für<br />
Mietwagenfahrer.<br />
Die „Kleine Fachkunde“ ist eine 15 Jahre<br />
alte Forderung des <strong>Taxi</strong>gewerbes an die<br />
Politik, dass in einer schriftlichen Prüfung<br />
in deutscher Sprache bei den Genehmigungsbehörden<br />
ein Basiswissen über<br />
die Grundvorschriften zu belegen sind:<br />
Personenbeförderungsrecht, BOKraft,<br />
Quittungsausstellung, spezielles<br />
Straßenverkehrsrecht. Dass dies<br />
nun nur für <strong>Taxi</strong>s, aber nicht für<br />
Mietwagen eingeführt werden soll,<br />
können im <strong>Taxi</strong>gewerbe nur wenige<br />
nachvollziehen.<br />
Vielleicht stellt sich die Frage<br />
aber ohnehin nicht mehr, wenn<br />
tatsächlich die ebenfalls in der<br />
Ziffer vier der Eckpunkte geplante Aufhebung<br />
der Tarifpflicht für den Bestellmarkt<br />
umgesetzt wird. Es ist nur ein Satz, aber<br />
die Folgen wären systemzerstörend: „Auf<br />
dem Bestellmarkt darf der Unternehmer<br />
die Fahrpreise […] frei festlegen.“ Einschränkend<br />
und scheinbar regulierend soll<br />
DIE ECKPUNKTE, ZIFFER 4: TAXIVERKEHR<br />
Um das <strong>Taxi</strong>gewerbe regulatorisch<br />
zu entlasten, wird den zuständigen<br />
Genehmigungsbehörden die Möglichkeit<br />
eingeräumt, die <strong>Taxi</strong>tarifpflicht im<br />
Bestellmarkt zu lockern. Die Ortskundeprüfung<br />
für <strong>Taxi</strong>fahrer wird durch die<br />
Pflicht zur Vorhaltung eines dem Stand<br />
der Technik entsprechenden Navigationsgeräts<br />
ersetzt. Die für Taxen geltende<br />
Betriebs- und Beförderungspflicht<br />
soll beibehalten werden.<br />
4.1. Taxen dürfen weiterhin auf dem<br />
Wink-, Warte- und Bestellmarkt tätig<br />
sein. Dabei gilt auf dem Wink- und<br />
Wartemarkt der mithilfe des Fiskaltaxameters<br />
ortsübliche <strong>Taxi</strong>tarif. Neben dem<br />
klassischen Fiskaltaxameter ist auch<br />
die Nutzung eines zugelassenen Appbasierten<br />
Systems zulässig.<br />
Auf dem Bestellmarkt darf der Unternehmer<br />
die Fahrpreise hingegen frei<br />
festlegen. Kommunen können für den<br />
<strong>Taxi</strong>tarif im Bestellmarkt einen Tarifkorridor<br />
mit Mindest- und Höchstpreisen<br />
vorsehen; für Relationen zu häufig<br />
frequentierten Zielen (z. B. Flughafen,<br />
Bahnhof, Messegelände) können sie bei<br />
Bedarf Streckentarife festlegen.<br />
Taxen haben auch weiterhin die Möglichkeit,<br />
mehrere Personen bzw. Personengruppen<br />
zu transportieren. Lediglich die<br />
(auf Bestellung erfolgende) Einzelplatzvermietung<br />
soll der neuen Verkehrsform<br />
„Pooling“ vorbehalten bleiben.<br />
4.4. Die Ortskundeprüfung für <strong>Taxi</strong>fahrer<br />
wird durch die Pflicht zur Vorhaltung<br />
eines dem Stand der Technik entsprechenden<br />
Navigationsgeräts ersetzt. Als<br />
ein dem Stand der Technik entsprechendes<br />
Navigationsgerät gilt auch<br />
ein Software-basiertes System mit den<br />
oben genannten Funktionen auf einem<br />
Smartphone oder einem entsprechenden<br />
Endgerät.<br />
4.5. Ferner wird ein Kleiner Fachkundenachweis<br />
eingeführt (Regelung im<br />
Fahrerlaubnisrecht).<br />
4.6. Zur Sicherstellung eines flächendeckenden<br />
Angebots von <strong>Taxi</strong>verkehren<br />
auch in der Fläche wird im Gesetz die<br />
Möglichkeit geschaffen, dass die ÖPNV-<br />
Aufgabenträger in Räumen mit einer<br />
generellen oder tageszeitlichen Unterversorgung<br />
entsprechende <strong>Taxi</strong>verkehre<br />
aus öffentlichen Mitteln finanzieren<br />
können.<br />
14 <strong>3.</strong> QUARTAL <strong>2020</strong> TAXI
PBEFG-NOVELLE<br />
FOTO: Axel Rühle / <strong>Taxi</strong> <strong>Times</strong><br />
Michael Oppermann, Geschäftsführer des<br />
Bundesverbandes <strong>Taxi</strong> und Mietwagen e. V.<br />
den Kommunen noch die Möglichkeit gegeben<br />
werden, für den <strong>Taxi</strong>tarif im Bestellmarkt<br />
einen Tarifkorridor mit Mindest- und<br />
Höchstpreisen und für Relationen zu häufig<br />
frequentierten Zielen (z. B. Flughafen,<br />
Bahnhof, Messegelände) Streckentarife<br />
festzulegen.<br />
„Das bedeutet: Nur wenn die Kommune<br />
will, kann sie den Tarifkorridor mit Mindest-<br />
und Höchstpreisen versehen“, erläutert<br />
Michael Oppermann, Geschäftsführer<br />
des Bundesverbands <strong>Taxi</strong>- und Mietwagen<br />
e. V. (BVTM), gegenüber <strong>Taxi</strong> <strong>Times</strong>. „Der<br />
Tarifkorridor ist somit eine Kann-Lösung,<br />
falls eine Kommune davon abweicht, dass<br />
sie gar keine Tarifvorgabe gibt. Gar keine<br />
Tarifvorgabe zu machen, dürfte dann die<br />
Regel werden.“<br />
Das dürfe nicht passieren, warnt Oppermann,<br />
denn das löse das <strong>Taxi</strong> als Teil der<br />
Daseinsvorsorge zu einem verlässlichen<br />
Preisangebot auf. „Uns wäre ein anderes<br />
Modell deutlich lieber. Wir hätten gerne<br />
einen im Taxameter definierten Tarif, hätten<br />
aber gerne die Möglichkeit, abweichend<br />
davon schon vorher auf Basis der Entfernung<br />
Festpreise anbieten zu können. Aber<br />
nicht nur zu bestimmten Strecken, sondern<br />
auch von A nach B auf Basis von Kilometern<br />
und einer gemittelten Wartezeit. Wenn<br />
der Tarifkorridor so gestaltet wäre, dass<br />
sowas möglich wäre, wäre das ein sinnvolles<br />
Modell und was völlig anderes als das,<br />
was derzeit im Papier steht.“<br />
OMA ZUM ARZT: NUR BEI<br />
HOHEM FAHRPREIS LUKRATIV<br />
Jenes Papier sieht übrigens vor, dass für<br />
<strong>Taxi</strong>fahrten im so genannten „Winke- und<br />
Wartemarkt“ weiterhin der kommunal festgelegte<br />
<strong>Taxi</strong>tarif gelten soll. Dies macht laut<br />
Berechnungen von <strong>Taxi</strong> Deutschland etwa<br />
30 Prozent aller <strong>Taxi</strong>fahrten aus. Somit<br />
ist der Bestellmarkt, also das Rufen eines<br />
<strong>Taxi</strong>s über Telefon, App oder Internet mit<br />
den verbliebenen 70 Prozent der wichtigste<br />
Bereich des <strong>Taxi</strong>gewerbes. Wären die Kommunen<br />
künftig nicht mehr verpflichtet, verbindliche<br />
Beförderungstarife festzulegen,<br />
träten in Deutschland ähnliche Regelungen<br />
in Kraft wie in Finnland und den Niederlanden.<br />
Dies habe dazu geführt, „dass es<br />
außerhalb der Großstädte kaum noch <strong>Taxi</strong>unternehmen<br />
gibt. Die Versorgung auf dem<br />
Land ist damit akut gefährdet“, warnt <strong>Taxi</strong><br />
Deutschland.<br />
Fazit: Über das Für und Wider einer<br />
Ortskundeprüfung darf man weiterhin ausgewogen<br />
diskutieren. Die Aufhebung der<br />
Tarifpflicht für Bestellfahrten ist dagegen<br />
ein absolutes No-Go. Die parallele Absichtserklärung<br />
aus den elf Eckpunkten, dass<br />
die für <strong>Taxi</strong>s geltende Betriebs- und Beförderungspflicht<br />
beibehalten werden soll,<br />
ist dann nur noch Wunschtraum. Wer zur<br />
Beförderung verpflichtet wird, dabei aber<br />
den Preis frei bestimmen darf, wird jenen<br />
Preis bei unbeliebten Fahrten (z. B. Kurzstrecken<br />
zur Arztpraxis) entsprechend<br />
hoch ansetzen. Den Tarif für den Bestellmarkt<br />
unreguliert freizugeben, wäre deshalb<br />
ein fataler Fehler der Politik – nicht<br />
nur am <strong>Taxi</strong>unternehmer, sondern vor<br />
allem an den Fahrgästen. <br />
jh<br />
NEUE WEBSITE + PREMIUM-PLUS-BEREICH<br />
Entdecken Sie unseren neuen Webauftritt und zahlreiche Features:<br />
• Optimierte Darstellung auf mobilen Geräten<br />
• Strukturierte Themenbereichsübersicht<br />
• Eigenständige Regionalseiten für <strong>Berlin</strong> und München *<br />
• Ausgewählte Beiträge in türkischer Sprache<br />
• Einfaches Teilen von Beiträgen auf<br />
UNTER<br />
STÜTZER<br />
DES TAXI<br />
GEWERBES<br />
Nutzen Sie jetzt die Vorteile des Premium-Plus-Bereiches:<br />
• Voller Zugriff auf alle Online-Inhalte unter<br />
www.taxi-times.com<br />
• Inkl. Jahresabonnement für eine <strong>Taxi</strong>-<strong>Times</strong>-Printausgabe<br />
• Kostenloser Kennenlern-Zugang für die ersten 30 Tage<br />
www.taxi-times.com * www.taxi-times.com/berlin * www.taxi-times.com/muenchen<br />
TAXI <strong>3.</strong> QUARTAL <strong>2020</strong><br />
15
CORONA-KRISE<br />
Hayrettin, Gökay, Cansu und Gül Şimşek<br />
<strong>Taxi</strong>-<strong>Times</strong>-Redakteur<br />
Simi alias<br />
Hayrettin Şimşek<br />
nutzte die Wartezeit<br />
in seinem <strong>Taxi</strong><br />
für diesen Text und<br />
dieses Selfie.<br />
KLEINER FAMILIENBETRIEB,<br />
KLEINERE PROBLEME<br />
<strong>Taxi</strong>-<strong>Times</strong>-Redakteur Simi, Unternehmer mit zwei Taxen, berichtet aus<br />
seiner persönlichen Sicht, wie die Corona-Krise über die Zeit des<br />
Lockdowns hinaus kleine <strong>Taxi</strong>betriebe in Atem hielt und verändert hat.<br />
Die ganze Wirtschaft ächzt unter<br />
den Folgen der Corona-Krise.<br />
Ohne die staatlichen Corona-Hilfen<br />
hätten die meisten Unternehmen schließen<br />
müssen, so auch mein <strong>Taxi</strong>betrieb mit<br />
zwei Konzessionen.<br />
Um die Corona-Pandemie einzudämmen,<br />
wurde das öffentliche Leben Mitte<br />
März heruntergefahren. Schulen mussten<br />
geschlossen werden. Meine Frau Gül,<br />
die bei mir als Angestellte arbeitet, war<br />
gezwungen, zu Hause zu bleiben und auf<br />
unseren Sohn Gökay (11) und Tochter Cansu<br />
(8) aufzupassen. Somit fiel sie ebenfalls<br />
aus, so dass ich jeden Tag ein bis<br />
zwei Stunden länger arbeiten musste.<br />
Wenigstens konnte mein Freund und<br />
Angestellter Kenan (53) mit meinem<br />
zweiten <strong>Taxi</strong> weiterhin arbeiten. Mir<br />
blieb als begeisterter Flughafenfahrer<br />
nichts anderes übrig, als woanders in<br />
der Stadt für meine Einnahmen zu sorgen.<br />
Leicht ist mir diese Veränderung nicht<br />
gefallen.<br />
Kleinunternehmer, die Soforthilfe bei<br />
der Investitionsbank <strong>Berlin</strong> (IBB) beantragt<br />
hatten, konnten sich wenige Tage später<br />
schon über Geld freuen. Immerhin konnten<br />
die Möglichkeiten mit Stundungen für Kreditraten,<br />
Sozialversicherungsbeiträge und<br />
Steuererleichterungen voll ausgeschöpft<br />
werden. Aufgeschoben heißt aber leider<br />
nicht aufgehoben.<br />
Um meine zwei Angestellten nicht<br />
entlassen zu müssen, war ich im April<br />
gezwungen, Kurzarbeitergeld zu beantragen,<br />
weil die Umsätze um mehr als 70<br />
Prozent zurückgegangen waren, obwohl<br />
immer mehr <strong>Taxi</strong>konzessionen vorübergehend<br />
stillgelegt worden waren – was wiederum<br />
dazu führte, dass für die aktiven<br />
Konzessionen ein bis zwei Touren mehr<br />
übrig blieben.<br />
Ein-Wagen-Betriebe ohne Kreditraten<br />
haben es deutlich einfacher als Betriebe<br />
mit Angestellten, aber trotz der staatlichen<br />
Unterstützung mit dem Kurzarbeitergeld<br />
wären Unternehmer nicht in der Lage, ihre<br />
Fahrer zu beschäftigen.<br />
«Wir sind immer noch<br />
weit vom Umsatz vor<br />
Corona entfernt.»<br />
Simi<br />
Das Leben stand still: Messen, Konferenzen<br />
und Veranstaltungen mussten<br />
abgesagt werden. Am Flughafen Tegel<br />
fielen mehr als 95 Prozent der Flüge aus.<br />
An den Bahnhöfen war es genauso leer,<br />
keine Touristen und Geschäftsleute. Doch<br />
auch, wenn nichts los ist: <strong>Taxi</strong>s sind systemrelevant<br />
und fahren trotzdem weiter.<br />
Als Teil des ÖPNV sind sie in Deutschland<br />
verpflichtet, Fahrgäste zu befördern, sofern<br />
nicht anders angeordnet. Um die Fahrer<br />
wie auch die Fahrgäste bestmöglich zu<br />
schützen, haben viele <strong>Taxi</strong>unternehmer,<br />
so auch ich, in ihre <strong>Taxi</strong>s Trennwände eingebaut.<br />
Die aktuell günstigsten Ausführungen<br />
sind aus Folie oder Acrylglas und<br />
kosten rund 20 bis 30 Euro. Die preisliche<br />
Obergrenze bilden feste Trennwände, die<br />
dann auch über den Segen der technischen<br />
Prüfstellen verfügen. Sie sind ab etwa 650<br />
Euro zu bekommen.<br />
Durch die Lockerungen bei den Corona-<br />
Auflagen ist es zwar seit Anfang Mai<br />
spürbar besser geworden, aber der massive<br />
Umsatzrückgang bleibt weiterhin das<br />
Hauptproblem dabei, die laufenden fixen<br />
Betriebskosten zu decken. Das einzige,<br />
was ich von den Lockerungen merke, ist,<br />
dass es mehr Verkehr gibt. Zwar gibt es<br />
mittlerweile mehr zu tun als noch vor<br />
ein paar Wochen, aber es ist weit vom<br />
den Zustand vor Corona entfernt. Statt<br />
fünf Fahrten haben wir jetzt vielleicht<br />
zwei Fahrten pro Schicht. Mein Umsatz<br />
von 25.000 Euro im ersten <strong>Quartal</strong> ist<br />
im zweiten <strong>Quartal</strong> um 17.000 Euro auf<br />
8.000 Euro zurückgegangen.<br />
Seit dem 1. Juli sind die Stundungen<br />
nicht mehr wirksam, und die Zahlungsverpflichtungen<br />
müssen wieder eingefahren<br />
und beglichen werden. Die Finanzierung<br />
für die Autos, die Versicherung,<br />
die Mieten fürs Büro, Steuern, Nebenkosten,<br />
Autoreparatur und -service, das<br />
alles muss bezahlt werden. Wenn sich die<br />
Lage in den nächsten Wochen nicht verbessert,<br />
dann könnte eine Insolvenzwelle<br />
unausweichlich sein. Ohnehin kämpft das<br />
<strong>Taxi</strong>gewerbe gegen eine Konkurrenz, die<br />
mit geltendem Recht und Gerichtsurteilen<br />
nichts am Hut hat. <br />
hs<br />
FOTOS: privat<br />
16 <strong>3.</strong> QUARTAL <strong>2020</strong> TAXI
CORONA-KRISE<br />
Stephan Berndt hat den Mut nicht verloren, obwohl Mehrwagenbetriebe es besonders schwer haben.<br />
WAS UNS NICHT UMBRINGT ...<br />
Vom steinigen Weg seines Mehrwagenbetriebes durch die<br />
Corona-Krise mit Stundungen, Staatshilfen und Stilllegungen<br />
berichtet uns <strong>Taxi</strong>-<strong>Times</strong>-Redakteur Stephan Berndt.<br />
FOTO: Axel Rühle / <strong>Taxi</strong> <strong>Times</strong><br />
Der unvorhersehbare Umsatzeinbruch<br />
hat das gesamte Gewerbe<br />
brutal erwischt. Da unsere<br />
Fusion gerade mal etwas mehr als ein<br />
Jahr zurück lag und wir kräftig in den<br />
Fuhrpark investiert hatten, traf uns die<br />
Krise besonders hart.<br />
Aber von Anfang: Nach meinem Studium,<br />
ich war 29, gründete ich 1991 den <strong>Taxi</strong>betrieb<br />
Space Cab. Ende 2018 übernahm ich<br />
dazu die noch zehn Jahre ältere Luisenstadt<br />
<strong>Taxi</strong> GmbH, besser bekannt als TiK (<strong>Taxi</strong>schule<br />
in Kreuzberg). Seitdem<br />
habe ich 30 Taxen und bin für 70<br />
Beschäftigte verantwortlich.<br />
Mit dem Austausch alter Limousinen<br />
gegen moderne Großraumtaxis<br />
hatten wir gerade den<br />
Umbruch eingeläutet. Ab Herbst<br />
2019 investierten wir in acht neue<br />
Taxen. <strong>2020</strong> sollten unsere Großraumtaxis<br />
alle rollstuhlgerecht werden, der<br />
Umbau zu einer inklusiven <strong>Taxi</strong>flotte sollte<br />
konsequent fortgesetzt werden. Dann kam<br />
Corona, und die bis dahin rundum gute<br />
Entwicklung kam zum Stillstand – und das<br />
mit acht neuen Fahrzeug-Finanzierungen.<br />
Zunächst suchten wir daraufhin nach<br />
Möglichkeiten, den Betrieb aufrecht zu<br />
erhalten. Intensive Bemühungen, Taxen mit<br />
Trennscheiben auszurüsten und damit vom<br />
Land <strong>Berlin</strong> im Rahmen von Hilfsmaßnahmen<br />
eingesetzt werden zu können, mussten<br />
wir schnell begraben. Wir wurden nicht<br />
als „systemrelevant“ gesehen, obwohl wir<br />
als ÖPNV Teil der Daseinsvorsorge sind.<br />
Medizinisches Personal beispielsweise<br />
fuhren andere.<br />
Ohne das trugen die Umsätze bei Weitem<br />
nicht alle Kosten für die Flotte oder den<br />
gesetzlichen Mindestlohn für das Personal.<br />
Die Fixkosten zwangen uns, den Betrieb<br />
«Wer sich die Förderung für das<br />
Inklusionstaxi entgehen lässt,<br />
braucht auch nicht zu jammern.»<br />
Stephan Berndt<br />
Ende März herunterzufahren. Wir legten<br />
29 von 30 Taxen still und schickten unsere<br />
knapp 70 Leute nach Hause, die etwa 60<br />
pflichtversichert Beschäftigten mit Kurzarbeitergeld<br />
(Kug). Das Kug und zusätzliche<br />
Hilfen durch die Arbeitsagentur sicherten<br />
unsere Mitarbeitenden ab. Die letzten<br />
beiden Märzwochen erhielten alle bereits<br />
zusätzlich zu ihrem Lohn anteilig Kug, am<br />
1. April gingen alle außer dem Geschäftsführer<br />
in Kurzarbeit null. Wir mussten niemanden<br />
entlassen. Nur ein einziges „Test-<br />
<strong>Taxi</strong>“ ließen wir auf der Straße, besetzt mit<br />
Rentnern, denen kein Kug zusteht.<br />
Um zu überleben, mieteten wir einen<br />
Stellplatz für die Taxen, versetzten die Kfz-<br />
Versicherung in eine beitragsfreie Ruheversicherung<br />
und beantragten die Stundung<br />
der Finanzierungen, der Sozialversicherungen,<br />
der Umsatz- und Gewerbesteuer und<br />
der betrieblichen Altersversorgungen. Wir<br />
beantragten die Entbindung<br />
von der Betriebspflicht und<br />
meldeten unsere Taxen bei<br />
der Funkvermittlung ab. Die<br />
BG Verkehr setzte auf Antrag<br />
die Vorauszahlungen für die<br />
Unfallversicherung deutlich<br />
herab. Das alles geht natürlich<br />
nur für eine begrenzte Zeit, da<br />
die Stundungen nur für ein paar Monate<br />
gewährt werden. Bis dahin musste eine<br />
Lösung her, wie es weiter gehen kann.<br />
Bund und Land hatten ja vorgesorgt und<br />
Hilfsprogramme angeboten. Unkompliziert<br />
und schnell zu bekommen war nur<br />
die Soforthilfe I für Solo-Selbstständige<br />
und Kleinstunternehmen. Da wurde so<br />
viel Geld verballert, dass offenbar für grö-<br />
TAXI <strong>3.</strong> QUARTAL <strong>2020</strong><br />
17
CORONA-KRISE<br />
ßere Betriebe wie uns nicht mehr genug<br />
zur Verfügung stand. Das unkomplizierte<br />
Verfahren wurde massenhaft zum Betrug<br />
ausgenutzt. Aufgrund des Levels an krimineller<br />
Energie in unserer Gesellschaft sind<br />
Verfahren, die einfach schnell Hilfe leisten<br />
wollen, kaum noch durchführbar.<br />
Stephan Berndt kam als „Trennschutz-<br />
Pionier“ am 20. März in die „Tagesthemen“.<br />
AUCH HILFEN FÜR<br />
GRÖSSERE BETRIEBE<br />
Es gibt aber auch Programme, die auf<br />
meine Betriebsgröße zugeschnitten sind.<br />
Den KfW-Schnellkredit bis zu 500.000<br />
Euro mit 20 Prozent Tilgungshilfe beantragten<br />
wir natürlich als erstes. Diese<br />
„Soforthilfe V“ ist voll über die Kreditanstalt<br />
für Wiederaufbau (KfW) abgesichert,<br />
also ein gutes Instrument, da es über zehn<br />
Jahre zurückzuzahlen ist und weil 20 Prozent<br />
der Darlehenssumme über die angebotene<br />
Tilgungshilfe letztlich eine direkte<br />
Hilfszahlung darstellen. Das Besondere:<br />
Sollte ein Betrieb das Darlehen nicht erhalten<br />
oder nachweisen können, dass es nicht<br />
ausreicht, kann er nachrangig 25.000 Euro<br />
nicht zurückzahlbare Soforthilfe abrufen.<br />
Monatelanger Stillstand und Umsatzeinbußen<br />
von nahezu 100 Prozent können nicht<br />
ausschließlich mit Darlehen finanziert werden,<br />
schon gar nicht in Branchen, die den<br />
Umsatz nicht „nachholen“ können.<br />
22,90€<br />
Zwei Haken hat die Sache. Der KfW-<br />
Schnellkredit ist über die Hausbank zu<br />
beantragen. Unser Konzept und unser Maßnahmenplan<br />
gefielen der Bank sehr gut,<br />
nicht aber unsere aktuellen Zahlen und die<br />
der letzten Jahre. Ich hatte die GmbH sicher<br />
nicht wegen der Zahlen gekauft, sondern<br />
wegen der Mitarbeitenden, in denen ich das<br />
Potential sah, eine Inklusionstaxi-Flotte zu<br />
entwickeln. Die Firma selbst war bis dato<br />
defizitär. Ich hatte gerade erst begonnen,<br />
das zu ändern. Ohne Corona hätte mich das<br />
nicht interessiert, für Fahrzeugfinanzierungen<br />
konnte ich notfalls selbst bürgen.<br />
Doch für den KfW-Kredit war das das K.O.-<br />
Kriterium. Das war der erste Haken.<br />
Nach der Ablehnung des Kreditantrages<br />
wollten wir schnell die nachrangige<br />
Soforthilfe von 25.000,- Euro abrufen.<br />
Doch wo war sie zu beantragen? Auf den<br />
Webseiten der Investitionsbank <strong>Berlin</strong><br />
(IBB) war davon nichts mehr zu finden.<br />
Auf telefonische Nachfrage hieß es, diese<br />
Mittel würden nicht mehr ausgezahlt. Das<br />
hätten im Senat die Ressorts Wirtschaft<br />
und Finanzen beschlossen, da es jetzt ja die<br />
Überbrückungshilfe gäbe. Das war Haken<br />
Nummer zwei. Wir standen noch immer<br />
ohne jede Hilfe da.<br />
Also blieb nur noch die „Soforthilfe VI“.<br />
Da unser Umsatz um weit über 70 Prozent<br />
zurückging, stehen uns für Juni, Juli und<br />
August <strong>2020</strong> Überbrückungshilfen zu.<br />
Erstattet werden bis zu 80 Prozent der fixen<br />
Betriebskosten. Der Antrag ist gestellt, zu<br />
erwarten sind etwa 20.000 Euro. Bis heute<br />
ist noch kein Geld geflossen. Zusätzlich gibt<br />
es ein Programm, über das 50 Prozent der<br />
Mietaufwendungen für April und Mai<br />
beantragt werden können. Auch das haben<br />
wir gerade getan.<br />
Drei Monate hielten uns die Stundungen<br />
über Wasser. Seit die Rückzahlungen laufen<br />
und auch die Fahrzeugfinanzierungen<br />
wieder bedient werden müssen, decken<br />
wir die Kosten durch den Verkauf von<br />
Taxen. Ein paar Fahrzeuge „Luft“ haben<br />
LERNBUCH UND APP<br />
Spezialatlas zum<br />
<strong>Taxi</strong>schein für <strong>Berlin</strong><br />
Das Standardwerk für P-Schein-Anwärter,<br />
Ausbilder und Prüfer zur Klärung von Fragen<br />
zur Ortskunde in <strong>Berlin</strong><br />
Mehr Infos: www.spezialatlas.de<br />
Die Trainings-App (Android; iOS) zur Vorbereitung auf<br />
die P-Schein-Prüfung für <strong>Taxi</strong>fahrer in <strong>Berlin</strong>.<br />
Neu: mit Prüfungssimulation<br />
wir noch. Allerdings sind die Erlöse derzeit<br />
weit unter dem eigentlichen Fahrzeugwert.<br />
Wir fressen uns zum Überleben sozusagen<br />
Stück für Stück selbst auf.<br />
Irgendwann müssen wir aber alle wieder<br />
hochfahren. Unsere Einnahmensituation<br />
normalisiert sich erst, wenn alles wieder<br />
eine Weile geöffnet hat, Großveranstaltungen<br />
stattfinden und Touristen und<br />
Geschäftsleute unterwegs sind, vielleicht<br />
im April 2021. Leider werden Uber, Free<br />
Now und andere, die uns unkontrolliert<br />
außerhalb des gesetzlichen Rahmens<br />
angreifen, immer mehr. Es wird also auch<br />
dann nicht einfach.<br />
TAXIS BESSER AUSLASTEN: KEIN<br />
NACHTEIL FÜR BESCHÄFTIGTE<br />
Die Überbrückungshilfen werden<br />
einige Kosten abdecken und müssen nicht<br />
zurückgezahlt werden. Aufgrund der<br />
endenden Stundungen können wir trotz<br />
eingeschränkter Umsatzerwartungen nicht<br />
länger warten und starten jetzt durch – mit<br />
16 statt 30 Taxen. Die restlichen Genehmigungen<br />
bleiben reaktivierbar. Um den<br />
Umsatz pro <strong>Taxi</strong> zu erhöhen, stellen wir<br />
vom bisherigen Zweischichtsystem auf ein<br />
System mit Früh-, Spät- und Nachtschichten<br />
um. Meine Belegschaft trägt das mit.<br />
Es wurde mit allen besprochen. Es ist zum<br />
Erhalt der Arbeitsplätze alternativlos.<br />
Zudem ermöglicht dieses Arbeitszeitmodell<br />
unseren Beschäftigten, ihren Lohn<br />
mit zusätzlichem Kurzarbeitergeld (Kug)<br />
aufzustocken.<br />
Grundsätzlich ist es im <strong>Taxi</strong>gewerbe<br />
etwas problematisch, mit Kurzarbeitergeld<br />
zu arbeiten. Lediglich Kug-null ist<br />
problemlos anwendbar, wenn alle komplett<br />
in Kurzarbeit sind und der Betrieb ruht.<br />
Sobald aber wieder gearbeitet wird, wird es<br />
schwierig, mit ergänzendem Kug zu arbeiten.<br />
Wenn aber den Mitarbeitenden wegen<br />
wirtschaftlich gebotener Umstrukturierungen<br />
des Betriebes, wie hier durch ein<br />
neues Arbeitszeitmodell, konkret Arbeitszeit<br />
genommen wird, ist das machbar: Alle<br />
arbeiten nachprüfbar weniger. Die Autos<br />
werden voll ausgelastet, unsere Mitarbeiter<br />
sind bestmöglich abgesichert und die Risiken<br />
der Firma werden minimiert. Sobald<br />
die Umsätze steigen, können die ersten Mitarbeiter<br />
aus der Kurzarbeit rausgenommen<br />
und wieder voll eingesetzt werden. Parallel<br />
müssen dann neue Fahrzeuge in Einsatz<br />
gebracht werden.<br />
Der Start mit einem Minimum an Kosten<br />
und mit einer preisgünstigen Flotte gibt<br />
uns die Chance, bei positiver Entwicklung<br />
des Marktes wieder zu expandieren – mit<br />
einer hundertprozentigen Förderung des<br />
Umbaus zum Inklusionstaxi durch das<br />
Land <strong>Berlin</strong>.<br />
sb<br />
FOTO: Axel Rühle / <strong>Taxi</strong> <strong>Times</strong><br />
18 <strong>3.</strong> QUARTAL <strong>2020</strong> TAXI
FLUGHAFEN TEGEL<br />
WEHMUT UM TXL<br />
Am 8. November soll der Flughafen Tegel für immer geschlossen<br />
werden. Damit fällt – neben einem liebgewonnenen Stück <strong>Berlin</strong> – eine<br />
wichtige Einnahmequelle für Tausende <strong>Berlin</strong>er <strong>Taxi</strong>fahrer weg.<br />
FOTOS: Axel Rühle / <strong>Taxi</strong> <strong>Times</strong>, Simi (3)<br />
Im Zuge der bevorstehenden Fertigstellung<br />
des Ausbaus des Flughafens<br />
Schönefeld zum Flughafen <strong>Berlin</strong> Brandenburg<br />
(BER) sollte der Flughafen Tegel<br />
als letzter <strong>Berlin</strong>er Verkehrsflughafen<br />
ursprünglich am Abend des 2. Juni 2012<br />
geschlossen werden. Nach zahlreichen Verschiebungen<br />
des Eröffnungstermins des<br />
BER musste er jedoch bis heute in Betrieb<br />
bleiben, und speziell die TXL-Kutscher<br />
sind über das Hinauszögern der Schließung<br />
alles andere als unglücklich, denn<br />
noch immer ist die Frage offen, ob es am<br />
zukünftigen Flughafen ein Laderecht für<br />
das <strong>Berlin</strong>er <strong>Taxi</strong>gewerbe geben wird oder<br />
nicht.<br />
Günter Clüver<br />
<strong>Taxi</strong> <strong>Times</strong> sprach mit „eingefleischten<br />
Tegel-Kutschern“ darüber, wie sie nach der<br />
Schließung ihre Brötchen weiter verdienen<br />
werden. <strong>Taxi</strong>unternehmer Günter Clüver<br />
(63) hat als betroffener „TXL-Kutscher“<br />
kaum noch Hoffnung, dass es wieder eine<br />
Verschiebung des BER-Termins geben<br />
wird. Vor der Corona-Krise konnte er in<br />
seiner Schicht bis zu acht Touren am Flughafen<br />
starten. Durch die Pandemie stürzte<br />
das Geschäft auf maximal vier Touren ab.<br />
„Wartezeiten bis zu fünf Stunden blieben<br />
unvermeidlich“, sagt er und spricht davon,<br />
neuerdings „auf die Heimspiele verzichten“<br />
und auswärts, also in der Stadt, sein Glück<br />
versuchen zu müssen. „Leicht ist mir das<br />
Arbeiten in der Stadt nicht gefallen, und<br />
das hat mir wieder gezeigt, dass das Stehen<br />
an den <strong>Taxi</strong>halteplätzen ungewohnt und<br />
langweiliger ist als auf der Palette“, also im<br />
Nachrückebereich am Flughafen Tegel. Er<br />
fürchtet die Zukunft nicht und hofft, dass<br />
schnell noch eine faire Lösung am „neuen<br />
Arbeitsplatz“ BER gefunden wird.<br />
BERLIN OHNE TXL –<br />
FÜR VIELE UNVORSTELLBAR<br />
So ähnlich ergeht es dem Kollegen Mehmet<br />
Demir (49), der bereits über zwanzig<br />
Jahre fast nur am Flughafen seinen Dienst<br />
anbietet. Er will sich ein <strong>Berlin</strong> ohne TXL<br />
gar nicht vorstellen. „Viele Hauptstädte<br />
wären froh über einen innerstädtischen<br />
Flughafen, nur in <strong>Berlin</strong> machen die Politiker<br />
beide zu. Und von der Bürgerwahl<br />
spricht auch keiner mehr.“<br />
Mehmet Demir<br />
Die <strong>Berlin</strong>er hatten am 24. September<br />
2017 per Volksentscheid die Möglichkeit,<br />
ihren Wunsch über den Weiterbetrieb des<br />
Flughafens Tegel kundzutun. Nach dem<br />
offiziellen Ergebnis sprachen sich 56,1 Prozent<br />
der Teilnehmer für den Weiterbetrieb<br />
aus, 41,7 Prozent dagegen.<br />
Der Haken ist: Das Abstimmungsergebnis<br />
ist rechtlich nicht bindend. Deshalb<br />
entschied das Abgeordnetenhaus von <strong>Berlin</strong><br />
im Juni 2018, dass „der mit dem Volksentscheid<br />
,<strong>Berlin</strong> braucht Tegel‘ gefasste<br />
Beschluss vom Senat nicht umsetzbar ist.“<br />
Süleyman Atalay<br />
Die Meinungen der TXL-Kutscher sind<br />
eindeutig: <strong>Berlin</strong> braucht Tegel „Wo sollen<br />
bitteschön die <strong>Berlin</strong>er Taxen hin, wenn<br />
jetzt schon die Kapazität der <strong>Taxi</strong>halteplätze<br />
in <strong>Berlin</strong> ausgeschöpft ist?“, fragt<br />
<strong>Taxi</strong>fahrer Süleyman Atalay (40).<br />
Noch ist kein Ende des Corona-Tunnels<br />
abzusehen, und mit der Schließung kommt<br />
eine weitere Umgewöhnung auf die <strong>Berlin</strong>er<br />
zu – ebenso wie auf die Fahrer aus<br />
dem Landkreis Dahme-Spreewald (LDS),<br />
die künftig neben dem bisherigen Terminal<br />
auch das neue, viel größere bedienen<br />
dürfen – alleine oder doch mit den <strong>Berlin</strong>er<br />
Kutschern gemeinsam.<br />
hs<br />
TAXI <strong>3.</strong> QUARTAL <strong>2020</strong><br />
19
TAXI BERLIN<br />
NEUES SCHULUNGSZENTRUM<br />
VOR DER ERÖFFNUNG<br />
Der neue Schulungsraum für Fahrerschulungen<br />
und Informationsveranstaltungen<br />
steht kurz vor der Fertigstellung.<br />
Der geräumige, komplett<br />
sanierte Saal mit seiner Decke aus<br />
freigelegten Ziegelsteinbögen bietet<br />
viel Platz für Teilnehmer(innen) mit<br />
Corona-gerechtem Abstand zueinander<br />
und ist klimatisiert.<br />
Im selben Gebäude wie die Räume<br />
der Verbände befindet sich der neue<br />
Schulungsraum. Man erreicht ihn,<br />
indem man von der Zufahrt aus links<br />
am grünen Teppich vorbei den Hof<br />
quert, auf dem sich rechts das <strong>Taxi</strong>-<br />
Museum befindet. Der Schulungsraum<br />
liegt links. Über den Start der neuen<br />
Kurse werden Sie in Kürze von <strong>Taxi</strong><br />
<strong>Berlin</strong> informiert. <br />
ar<br />
MEHR FUNKAUFTRÄGE<br />
MIT TRENNSCHUTZ<br />
Für viele ist es sechs Monate nach<br />
Beginn der Krise selbstverständlich:<br />
Eine Trennscheibe oder -folie<br />
im <strong>Taxi</strong> gibt Fahrgästen und Fahrern<br />
das Gefühl hoher Sicherheit vor<br />
Ansteckung mit Corona-Viren. Die<br />
schnell aufkommende Nachfrage<br />
war der Anlass, den Trennschutz<br />
als Vermittlungsmerkmal in die<br />
Funkvermittlung aufzunehmen. In<br />
der <strong>Taxi</strong>-<strong>Berlin</strong>-App heißt die Option<br />
„Safe-<strong>Taxi</strong>“, und auch die taxi.eu-App<br />
folgte postwendend. Das gab in Folge<br />
wiederum einen Schub für die bargeldlose<br />
Zahlung – bei <strong>Taxi</strong> <strong>Berlin</strong><br />
eine Selbstverständlichkeit, die viele<br />
Kunden aber beim <strong>Taxi</strong>gewerbe bisher<br />
nicht vermuteten, weshalb es oft für<br />
altmodisch gehalten wird.<br />
Ausführliche Informationen über<br />
mögliche Trennschutz-Lösungen sind<br />
online auf www.taxi-times.com zu<br />
finden. <br />
ar<br />
GRÖSSERER PARKPLATZ,<br />
NEUER EINGANG, E-LADESÄULEN<br />
Das Kundencenter in der Persiusstraße ist momentan Dienstags und Donnerstags von<br />
10 bis 16 Uhr geöffnet. Der Eingang befindet sich jetzt an der Rückseite des gläsernen<br />
Flachbaus, noch näher am Parkplatz – der im Frühsommer vergrößert worden ist, und auf<br />
dem in den nächsten Monaten mehrere Ladesäulen für Elektro-Taxen entstehen sollen.<br />
Im Zuge der Corona-Krise wurden auch intern Dinge modernisiert und ermöglichen nun<br />
mehr bargeldlose Abrechnung und digitale Abwicklung.<br />
Unternehmer können bereits seit Längerem Coupons Tag und Nacht in den Briefkasten<br />
einwerfen. Das Personal für die Couponabrechnung ist verstärkt worden, so dass die<br />
Auszahlung schneller erfolgen kann.<br />
Geschäftsführer Hermann Waldner dankte in einem Newsletter den Unternehmern und<br />
Fahrern, „dass die Abgabe der Coupons über Briefkasten und Kundencenter so schnell und<br />
stressfrei funktioniert, dass Sie Verständnis für die Situation haben und die nötige Geduld<br />
aufbringen, dass sie Rücksicht nehmen und Abstand halten. Das wissen mein Team und ich<br />
sehr zu schätzen.“ <br />
ar<br />
DOPPELFUNK<br />
DEMNÄCHST<br />
AUF EINEM GERÄT<br />
Funkteilnehmer mit Doppelfunk-Verträgen, die derzeit<br />
noch zwei Geräte gleichzeitig in Benutzung haben – auf<br />
einem der WBT-Funk, auf dem zweiten Bärchen-, Würfel-,<br />
Quality- oder Cityfunk – können demnächst aufatmen: Voraussichtlich<br />
Anfang bis Mitte Oktober wird die technische<br />
Einigung vollzogen sein, so dass alle Vermittlungsarten<br />
mit ein- und demselben Android-Smartphone möglich sind.<br />
Ein Mitarbeiter der Fahrer- und Unternehmerbetreuung<br />
(FUB), den die letzten Monate der Zusammenführung<br />
neben seinen zahlreichen weiteren Aufgaben in Atem gehalten<br />
hat, will sich aber nur zu 90 Prozent festlegen: „Jeder<br />
weiß, dass die liebe Technik einem auch immer wieder mal<br />
einen Strich durch die Rechnung macht, wenn man bereits<br />
alle Probleme als so gut wie gelöst ansieht.“ <br />
ar<br />
VERMITTLUNG WIRD<br />
FÜR MORGEN FIT GEMACHT<br />
Die Vermittlungstechnik wird derzeit modernisiert und stärker auf die Fahrer-App<br />
ausgerichtet. Das soll für die Unternehmer einfacher und zeitsparender werden.<br />
Geschäftsführer Hermann Waldner erläuterte: „PDAs können bei Neuanmeldungen<br />
aufgrund der Einschränkung der alten Mobilfunkstandards nicht mehr zugelassen<br />
werden. Zudem wird die Software vom Anbieter nicht mehr aktualisiert, und den<br />
künftigen Sicherheitsanforderungen sind PDA und Touchgerät nicht mehr gewachsen,<br />
zum Beispiel können bargeldlose Zahlungen künftig mit Hilfe von QR-Codes oder<br />
NFC-Technik abgewickelt werden. Man biete deshalb nur noch die Fahrer-App an. „Wir<br />
wollen unseren Teilnehmern etwas Zukunftsträchtiges ermöglichen, Technologien,<br />
die woanders schon Gang und Gäbe sind, und für die wir als Gewerbe bereit sein<br />
müssen, damit wir nicht als altmodisch gelten – das können wir uns im Kampf gegen<br />
globale Anbieter nicht mehr erlauben. Wir empfehlen Endgeräte der Mittelklasse für<br />
etwa 180 Euro, die eine mehrjährige Perspektive bieten. Unsere Teilnehmer berichten<br />
von guten Erfahrungen mit Samsung, Motorola, LG und Nokia.“ <br />
ar<br />
FOTOS: Harald Reinke, Axel Rühle / <strong>Taxi</strong> <strong>Times</strong><br />
20 <strong>3.</strong> QUARTAL <strong>2020</strong> TAXI
TAXI BERLIN<br />
DRINGENDER<br />
APPELL!<br />
Sehr geehrte Unternehmerinnen und Unternehmer,<br />
bitte stellen Sie sich vor, Sie könnten nicht spontan von zu Hause zu<br />
ihrem Lieblingslokal oder Ihren Freunden fahren, sondern müssten jede<br />
einzelne Fahrt zwei Wochen im Voraus anmelden! Das ist für viele Menschen<br />
mit körperlicher Behinderung leider der normale Alltag, und das<br />
seit Jahren und Jahrzehnten. Der jetzige Senat hat beschlossen, diesen<br />
Missstand mit einem großen finanziellen Kraftakt anzupacken, und profitieren<br />
soll: das <strong>Taxi</strong>gewerbe.<br />
Wir haben Sie bereits darauf hingewiesen: Um den <strong>Taxi</strong>betrieben neue<br />
Einnahmequellen zu erschließen, haben wir gemeinsam mit den Gewerbevertretungen<br />
in den letzten Jahren in Verhandlungen erreicht, dass die<br />
Finanzierung des barrierefreien Umbaus von Taxen vom Senat komplett<br />
gefördert wird und somit für Sie kostenneutral ist. Dieses Geschenk ist<br />
bisher viel zu wenig abgerufen worden, so dass die <strong>Berlin</strong>er Sozialsenatorin,<br />
die ihrerseits viel Arbeit in das Projekt investiert und Geld von der<br />
Finanzverwaltung losgeeist hat, von unserem Gewerbe enttäuscht ist.<br />
Wir dürfen<br />
unseren Ruf<br />
nicht verspielen!<br />
FOTOS: Axel Rühle / <strong>Taxi</strong> <strong>Times</strong><br />
Natürlich ist mir klar, dass die meisten Unternehmen momentan existentielle<br />
Probleme haben. Doch auch und gerade deshalb möchte ich zu<br />
bedenken geben, dass die Beförderung behinderter Menschen nicht nur<br />
ein zukunftssicheres, sondern auch ein krisenfestes Marktsegment ist.<br />
Der Sonderfahrdienst hat durch die Corona-Krise sehr viel weniger Auftragsrückgang<br />
als das <strong>Taxi</strong>gewerbe, was zeigt, wie hoch und wie konstant<br />
die Nachfrage ist. Wenn man weiß, dass etwa die Hälfte der Aufträge des<br />
Sonderfahrdienstes auch durch barrierefreie Taxen abgewickelt werden<br />
könnten, wenn sie denn da wären, und dass der Senat den barrierefreien<br />
Umbau von Taxen zu 100 Prozent – bis zu 15.000 Euro – fördert, dann<br />
ist klar, dass dieses Marktsegment uns allen auch ein Stück weit aus der<br />
Krise heraushelfen kann.<br />
Es ist noch nicht ganz zu spät. Wir müssen diese wichtige Einnahmequelle<br />
für unser Gewerbe sichern. Der Antrag beim LAGeSo zahlt sich<br />
aus! Sie bekommen mit barrierefreien <strong>Taxi</strong>s mehr Aufträge. Wenn wir uns<br />
die Chance entgehen lassen, wird die Presse zurecht sagen, so schlecht<br />
könne es dem <strong>Taxi</strong>gewerbe offenbar gar nicht gehen. Und vor allem: Die<br />
Politik will uns das Geschäft geben! Auch die Vorzugsregelung für Inklusionstaxen<br />
am neuen Flughafen ist ein klares Signal in diese Richtung.<br />
Haben Sie Fragen? Wir helfen Ihnen gerne. Wir informieren Sie per<br />
Newsletter und werden zeitnah eine Veranstaltung organisieren, bei der<br />
Sie alles Wichtige von Experten erfahren, unter anderem von <strong>Taxi</strong>unternehmern,<br />
die es gemacht haben und dadurch bereits mehr Geld verdienen.<br />
Herzlichst, Ihr Hermann Waldner<br />
TAXI BERLIN TZB GMBH<br />
Persiusstraße 7, 10245 <strong>Berlin</strong><br />
Telefon: +49 (0)30 / 690 27 20<br />
Telefax: +49 (0)30 / 690 27 19<br />
E-Mail: info@taxi-berlin.de<br />
www.taxi-berlin.de<br />
Öffnungszeiten Kundencenter<br />
und Technikcenter<br />
momentan Di + Do 10 - 16 Uhr<br />
Geschäftsführer<br />
Hermann Waldner<br />
Presserechtlich verantwortlich für<br />
diese Seite: Hermann Waldner<br />
Redaktion: Axel Rühle (ar)<br />
Pressekontakt: presse@taxi-berlin.de<br />
TAXI <strong>3.</strong> QUARTAL <strong>2020</strong><br />
21
POLITIK<br />
VERKEHRSPOLITISCHER SPRECHER DER CDU-<br />
FRAKTION IM ABGEORDNETENHAUS VON<br />
BERLIN: OLIVER FRIEDERICI<br />
«ICH WÜRDE DIE<br />
GEPLANTE PBEFG-<br />
NOVELLE VERHINDERN.»<br />
<strong>Taxi</strong> <strong>Times</strong> sprach mit Oliver Friederici<br />
über <strong>Berlin</strong>er Verkehrspolitik,<br />
die Flughäfen und seine Ablehnung<br />
von Scheuers Eckpunkten.<br />
<strong>Taxi</strong> <strong>Times</strong>: Herr Friederici, die CDU<br />
in (West-)<strong>Berlin</strong> galt lange Zeit als „windschutzscheiben-fixiert“.<br />
Heute betrachten<br />
Sie ein gleichberechtigtes Nebeneinander<br />
der Verkehrsarten als Zukunftsmodell. In<br />
welchen Bereichen handelt Verkehrssenatorin<br />
Günther in Ihren Augen maßvoll, in<br />
welchen Bereichen nicht?<br />
Auch wir wollen den Ausbau der Verkehrsinfrastruktur,<br />
mehr Fahrzeuge bei<br />
Bus und Bahn haben. Da macht die Frau<br />
Senatorin eigentlich eine gute Arbeit. Nur<br />
bei den Nahverkehrsverbindungen wie<br />
dem Weiterbau der U-Bahn oder der Zweigleisigkeit<br />
der S-Bahn, da hakt es dann<br />
schon. Diese Senatorin kennt ansonsten<br />
nur den Ausbau des Fahrradverkehrs und<br />
des Straßenbahnverkehrs.<br />
Die neuen Tempo-30-Abschnitte kann ich<br />
nur kritisieren. Die Luft ist heutzutage besser<br />
als die, die ich aus dem alten West-<strong>Berlin</strong><br />
kenne. Fahrverbote hätte man mit einer<br />
Vielzahl von Einzelmaßnahmen umgehen<br />
können, um den Stau einfach aufzulösen:<br />
nicht ständig für Dauerbaustellen sorgen<br />
oder bewusst Verkehrsflächen verkleinern.<br />
Zum Lärmschutz kann man offenporigen<br />
Asphalt einsetzen. Fahrverbote und Tempo<br />
30 sind oft Kampfinstrumente, wie z. B.<br />
auch der Bau von Straßenbahnen in der<br />
Fahrbahnmitte, etwa in der Leipziger<br />
Straße.<br />
In <strong>Berlin</strong> wachsen alle Verkehrsarten:<br />
Am stärksten der Radverkehr, der öffentliche<br />
Nahverkehr auch, aber eben auch der<br />
Autoverkehr. Wir sind eine wachsende<br />
Stadt, und die Menschen sollen nicht stigmatisiert<br />
und bestraft werden, wenn sie<br />
nicht das Fahrrad oder den öffentlichen<br />
Nahverkehr benutzen, sondern mit dem<br />
Auto fahren. Man sollte ihnen Angebote<br />
machen, aber auch klar sagen: Das kostet<br />
auch mal Parkgebühren in der Innenstadt,<br />
und es gibt auch nicht mehr an jeder Ecke<br />
einen Parkplatz.<br />
Wir wollen aber alles ausbauen, auch den<br />
Radverkehr. Wir wollen Fahrradhighways<br />
und Fahrradparkhäuser, wir wollen die<br />
Mitnahme im öffentlichen Nahverkehr verbessern.<br />
Wir wollen den Ausbau des öffentlichen<br />
Nahverkehrs, mehr Fahrzeuge, mehr<br />
Linien bei allen Verkehrsmitteln – aber<br />
auch den Autoverkehr ausbauen. Wir wollen<br />
endlich den 17. Bauabschnitt der A 100,<br />
die TVO und die TV Nord beginnen – und<br />
bitte aufhören, Verkehrsflächen bewusst zu<br />
«Rot-Rot-<br />
Grün macht<br />
Verkehrspolitik<br />
gegen- statt<br />
miteinander.»<br />
Oliver Friederici<br />
verkleinern, um allen Verkehrsarten das<br />
Leben zu erschweren. Damit und durch<br />
Tempo 30 wird auch der Nahverkehr langsamer.<br />
Das ist nicht im Sinne einer modernen<br />
Verkehrspolitik.<br />
In der Kantstraße haben wir jetzt eine<br />
überbreite Radspur, die alle anderen Verkehrsarten<br />
blockiert, auch den Rettungswagen.<br />
In Steglitz in der Schloßstraße<br />
das gleiche – wie sollen denn dort die<br />
Geschäftsleute beliefert werden?<br />
Das passiert, wenn der Wahltermin<br />
näher rückt und die Grünen liefern müssen<br />
gegenüber ihren Wählern. Da werden jetzt<br />
panisch Straßen umgestaltet durch sogenannte<br />
Pop-up-Radwege,<br />
die natürlich ewig bleiben,<br />
falls niemand dagegen klagt.<br />
Oder die Sperrung der Friedrichstraße:<br />
Da wird eine Reihe von<br />
Firmen und Geschäften pleite gehen<br />
und Arbeitslosigkeit wird entstehen. So<br />
kann man nicht gegeneinander Verkehrspolitik<br />
machen.<br />
Das <strong>Taxi</strong>gewerbe leidet stark unter der<br />
unlauteren bis kriminellen Konkurrenz.<br />
Milliardenkonzerne wie Uber und Free<br />
Now bieten taxi-ähnlichen Verkehr an,<br />
was nur durch systematische Rechtsverstöße<br />
möglich ist. Die Behörden unter<br />
Frau Günther und Herrn Geisel sehen<br />
systematisch weg. Der „Berlkönig“ ist eine<br />
überflüssig aus dem Boden gestampfte<br />
Fahrzeugflotte, mit deren Aufgaben Frau<br />
Günther besser das übermäßig vorhandene<br />
<strong>Taxi</strong> betraut hätte. Als Folge stehen<br />
Taxen immer mehr herum, die Betriebe<br />
gehen pleite, während Tausende von Billig-Mietwagen<br />
die Straßen verstopfen und<br />
die Luft verschmutzen. Hinzu kommen<br />
das ungeklärte Laderecht am künftigen<br />
Flughafen, schwarze Schafe in den eigenen<br />
Reihen usw. Wie würden Sie diese<br />
Probleme angehen, wenn Sie im Senat<br />
säßen?<br />
Ich würde verhindern, dass die Novellierung<br />
des Personenbeförderungsgesetzes,<br />
so wie das Bundesverkehrsministerium<br />
es plant, in Kraft tritt, weil z. B. die Rückkehrpflicht<br />
etwas ganz Wesentliches ist,<br />
um rein formalrechtlich kriminelles Treiben<br />
zu unterbinden. Das muss gemeinsam<br />
mit Brandenburg kontrolliert werden. Auch<br />
dort muss Interesse bestehen, das kriminelle<br />
Treiben zu beenden.<br />
Das Modellprojekt Berlkönig funktioniert<br />
in der Innenstadt vielleicht noch, aber<br />
22 <strong>3.</strong> QUARTAL <strong>2020</strong> TAXI
POLITIK<br />
a m<br />
Stadtrand<br />
nicht, weil es<br />
sich für die BVG nicht trägt. Die Koalition<br />
erklärt immer, so lange wir den Berlkönig<br />
haben, könne Uber oder Free now in <strong>Berlin</strong><br />
nicht Fuß fassen. Das stimmt nicht, die<br />
sind ja bereits in der Stadt.<br />
Gegen kriminelle schwarze Schafe müssten<br />
drei Senatsverwaltungen – Inneres,<br />
Finanzen und Verkehr – konzertiert viel<br />
stärker vorgehen. Wenn man Rechtsnormen<br />
außer Kraft setzt, beginnen Delikte<br />
sich in einer Gesellschaft auszubreiten.<br />
Mietwagen sind inzwischen schon so<br />
dreist, dass sie mit Aufklebern durch<br />
die Stadt fahren. Ich wundere mich dann<br />
immer, wenn ein Polizeiwagen daneben<br />
steht, dass der einfach vorbei<br />
fährt.<br />
Im Mietwagengewerbe<br />
sehen wir<br />
außerdem zum Teil<br />
gut organisierte<br />
kriminelle Strukturen.<br />
Manche versuchen<br />
mit dieser<br />
Art des Gewerbes<br />
Geld zu waschen,<br />
das muss man<br />
deutlich intensiver<br />
verfolgen.<br />
Ich verweise auf<br />
die Zeit von [CDU-<br />
Innensenator] Frank<br />
Henkel, da gab es<br />
deutlich mehr Kontrollen<br />
im Mietwagengewerbe,<br />
auch konzertiert<br />
mit dem Land Brandenburg.<br />
Ich wünschte mir auch heute,<br />
dass es besser funktioniert, aber<br />
das funktioniert eben leider nicht.<br />
Zum neuen Flughafen: Wenn man<br />
als Land <strong>Berlin</strong> nicht in der Lage ist, sich<br />
mit dem Landkreis Dahme-Spreewald zu<br />
einigen, nicht nur auf einen gemeinsamen<br />
Tarif, sondern auf eine gemeinsame<br />
Regelung, dass der <strong>Berlin</strong>er <strong>Taxi</strong>fahrer die<br />
«Alle <strong>Berlin</strong>er Taxen<br />
müssen am BER<br />
laden dürfen.»<br />
Oliver Friederici<br />
Fahrgäste sowohl zum BER als auch wieder<br />
zurück fahren kann, dann ist das eine<br />
Vielzahl von Maßnahmen, die man verbessern<br />
muss. Vor allem die Menschen, die in<br />
<strong>Berlin</strong> wohnen, nutzen diesen Flughafen.<br />
Es wird eine ganz dramatisch bittere<br />
Zeit: Wir haben momentan 930 Abflüge<br />
pro Woche an beiden Standorten, Tegel<br />
und Schönefeld. Vor einem Jahr waren es<br />
4.500. Es gibt also auch nur ein Fünftel der<br />
Fluggäste. Das ist eine ganz dramatische<br />
Situation, und ich will nicht akzeptieren,<br />
dass der <strong>Taxi</strong>fahrer aus Lübben und Luckau<br />
die Fahrgäste nach <strong>Berlin</strong> transportiert und<br />
gegebenenfalls, weil ja nicht kontrolliert<br />
wird, hier auch noch Fahrgäste aufnimmt.<br />
Ich verstehe nicht, dass das Land <strong>Berlin</strong>,<br />
wenn der Landkreis Dahme-Spreewald<br />
sich nicht in diese Richtung bewegt, nicht<br />
Dampf macht beim Land Brandenburg und<br />
gegebenenfalls die Rechtsnormen für einen<br />
gemeinsamen Tarif direkt mit abschließt.<br />
Auch die Kunden wollen ja Klarheit.<br />
Noch ist ja der Flughafen Tegel offen,<br />
und der ist beliebt, praktisch, liegt zentral<br />
und ist zu normalen Zeiten für die<br />
beiden Länder und den Bund lukrativ.<br />
Die Mehrheit will ihn behalten. Und der<br />
rot-rot-grüne Senat schließt ihn. Was ist<br />
aus der Gegenkampagne der Opposition<br />
geworden?<br />
Das ist nicht so einfach ohne Mehrheit als<br />
Opposition. Wir haben alles versucht: Wir<br />
sind vor Gericht gezogen, wir haben parlamentarische<br />
Abstimmungen gemacht, wir<br />
haben Unterschriftenaktionen gemacht,<br />
aber alles das hat nichts gebracht. Rot-Rot-<br />
Grün ist hier völlig beratungsresistent. Ich<br />
bin sehr frustriert, denn es gibt alte Sozialdemokraten,<br />
die uns immer wieder erklärt<br />
haben, dass Tegel offen bleiben muss – auch<br />
Michael Müller war immer ein großer<br />
Freund von Tegel –, und kaum machen<br />
sie diese Regierung mit, geht das in die<br />
andere Richtung, nur, weil die SPD hier mit<br />
den Linken und Grünen im Boot sitzt. Sie<br />
sagen, Tegel hat momentan 400.000 Fluggäste<br />
im Monat, das lohnt sich nicht mehr.<br />
Das ist aber eine Milchmädchenrechnung.<br />
EIN HALBES LEBEN IM ABGEORDNETENHAUS<br />
FOTOS: Axel Rühle / <strong>Taxi</strong> <strong>Times</strong>, privat<br />
Oliver Friederici, 1970 in West-<strong>Berlin</strong><br />
geboren, ging in Lankwitz zur Schule.<br />
Mit 17 Jahren wurde er Mitglied der CDU<br />
und der Jungen Union. Nach dem Abitur<br />
1990 studierte er unter anderem an der<br />
FU <strong>Berlin</strong> Politologie und erlangte 1997<br />
sein Diplom. Schon während seiner<br />
Tätigkeit als Personalchef in einem mittelständischen<br />
Unternehmen zwischen<br />
1998 und 2011 führte seine politische<br />
Karriere über die Zwischenschritte<br />
Ortsvorsitzender, Stellvertretender<br />
Kreisvorsitzender und BVV-Mitglied<br />
ihn 1995 in das Abgeordnetenhaus, seit<br />
1999 sogar mit Direktmandat. Er gehörte<br />
dem BER-Untersuchungsausschuss an<br />
und ist derzeit Vorsitzender des Parlamentsausschusses<br />
für Umwelt, Verkehr<br />
und Klimaschutz und dort CDU-Fachsprecher<br />
für Verkehr und Agrarpolitik.<br />
Auch auf Urlaubsreisen sieht Friederici<br />
sich in jeder Stadt als erstes an, wie die<br />
<strong>Taxi</strong>vorfahrt am Flughafen oder Bahnhof<br />
funktioniert („meist deutlich besser als<br />
am <strong>Berlin</strong>er Hauptbahnhof“) und wie der<br />
ÖPNV organisiert ist.<br />
Oliver Friederici zu Beginn<br />
seiner politischen Laufbahn<br />
TAXI <strong>3.</strong> QUARTAL <strong>2020</strong><br />
23
POLITIK<br />
Streifall Flughafen Tegel: Schließung entgegen dem Willen der Mehrheit<br />
Wenn wir wieder 36 Millionen Fluggäste<br />
im Jahr haben, ist der BER trotz Erweiterung<br />
zu klein. Dann werden wir es bitter<br />
bereuen, dass Rot-Rot-Grün in <strong>Berlin</strong> den<br />
Flughafen Tegel geschlossen hat.<br />
Es gibt weitere Beispiele, bei denen die<br />
SPD heute andere Ziele verfolgt als vorher<br />
im rot-schwarzen Senat, z. B. die A<br />
100. Es wurde ja zunächst nur einer der<br />
zwei mit dem Bund vereinbarten Bauabschnitte<br />
begonnen, bis Alt-Treptow. Dann<br />
kamen die Grünen in den Senat, erklärten<br />
den Weiterbau nach Lichtenberg zum<br />
Teufelszeug, die SPD nickte und legte ihn<br />
auf Eis, und das Bundesverkehrsministerium<br />
will die bereits gezahlten Millionen<br />
zurück haben. Wie hoch ist der daraus<br />
resultierende Schaden für die <strong>Berlin</strong>er<br />
Steuerzahler und für den Verkehrsfluss?<br />
Kann man den Fehler noch beheben?<br />
Das Geld muss <strong>Berlin</strong> nicht zurückzahlen.<br />
Es ist beim Bund geparkt und steht<br />
zur Verfügung. Das hat die linke Landesregierung<br />
nicht abgerufen, weil sie den 17.<br />
Bauabschnitt einfach nicht bauen will – ein<br />
kardinaler Fehler, denn der Verkehr ist ja<br />
am Treptower Park, wenn er aus Neukölln<br />
kommt in nordöstliche Richtung, da, und<br />
er wird sich massiv stauen, wenn der 16.<br />
Bauabschnitt fertig ist und der 17. nicht<br />
begonnen wird. Wenn Rot-Rot-Grün weiter<br />
regiert, wird nichts weiter passieren.<br />
Es gibt aber jetzt eine Möglichkeit, diese<br />
Autobahn doch zu bauen. Die Koalition aus<br />
CDU, CSU und übrigens auch SPD im Bund<br />
hat ja, um die Länder zu entlasten, die Bundesbaugesellschaft<br />
zur Errichtung von Bauten<br />
des Autobahnbaus gegründet, so dass<br />
die Länder nicht mehr die Hoheit haben,<br />
Autobahnen zu planen und zu bauen. Darüber<br />
bin ich sehr froh. Man sieht ja hier, was<br />
Landesregierungen verhindern können. In<br />
<strong>Berlin</strong> kommen Linke und Ideologen zum<br />
Zuge, die die Menschen auf’s Fahrrad zwingen<br />
wollen. Wenn wir halbwegs unseren<br />
Wohlstand aufrecht erhalten wollen, wird<br />
es auch Autos geben, zumal wir diese Stadt<br />
auch beliefern müssen.<br />
Deswegen ist es ganz klar unser Plädoyer:<br />
Weiterbau der A 100 vom Treptower<br />
Park nicht nur bis zur Frankfurter Allee,<br />
sondern bis zur Storkower Straße. Das ist<br />
ganz entscheidend, damit es auch darüber<br />
hinaus weitergehen kann. Wenn der Senat<br />
sich hier weiter weigert, kann es durchaus<br />
passieren, dass Bundesverkehrsminister<br />
Scheuer – der ja für viele Sachen gescholten<br />
wird, aber in diesem Fall klar seine Position<br />
hat, die A 100 weiter zu bauen – in<br />
der Lage ist, dann zu planen und den 17.<br />
Bauabschnitt zu bauen ...<br />
... oder sein Nachfolger. Zurück zum<br />
PBefG: Das will Scheuer momentan<br />
„modernisieren“, was aber eher auf das<br />
Gegenteil hinausläuft, denn das wird zu<br />
einer Erosion der Daseinsvorsorge führen.<br />
Sie erklärten ja, dass Sie gegen die<br />
Novellierung des Gesetzes in der Form<br />
sind, wie Scheuer es jetzt plant. Sieht<br />
das der Rest der <strong>Berlin</strong>er CDU ähnlich?<br />
Und wie sehen es die anderen in Scheuers<br />
Bundestagsfraktion?<br />
Ich kann nur sagen, dass in der <strong>Berlin</strong>er<br />
CDU eine gegnerische Position herrscht,<br />
weil die Novellierung des PbefG nichts für<br />
den <strong>Taxi</strong>markt – und eigentlich auch für<br />
die Liberalisierung – bringt. Es ist allerdings<br />
ein Nebenthema.<br />
SENATORIN GÜNTHER WILL VERBRENNER AUSGRENZEN<br />
Noch ist es nicht<br />
durch: <strong>Berlin</strong> soll<br />
nach Vorstellungen<br />
der rot-rotgrünen<br />
Koalition<br />
„klimaneutral“<br />
werden. Verkehrssenatorin<br />
Regine Günther<br />
sorgte Anfang<br />
des Jahres mit der Ankündigung für<br />
Aufsehen, in zehn Jahren Fahrzeugen<br />
mit Benzin- oder Dieselmotoren das<br />
Fahren in der <strong>Berlin</strong>er Umweltzone,<br />
also innerhalb des S-Bahn-Rings, zu<br />
verbieten. Fünf Jahre später soll die<br />
„Zero emission zone“ auf das gesamte<br />
Stadtgebiet ausgeweitet werden.<br />
Der dazu nötige Angebotsausbau<br />
des Linienverkehrs könne durch eine<br />
„City-Maut“, durch eine Nahverkehrsabgabe<br />
für Autofahrer sowie durch<br />
eine Ausweitung und Verteuerung der<br />
Parkraumbewirtschaftung finanziert<br />
werden. Die Senatsvorlage ist allerdings<br />
schon innerhalb der Koalition<br />
umstritten: Der verkehrspolitische<br />
Sprecher der SPD-Fraktion Tino Schopf<br />
sagte, die „City-Maut“ sei „mit uns<br />
nicht zu machen“; der stellvertretende<br />
Fraktionsvorsitzende Jörg Stroedter<br />
nannte die Vorstellungen und Fristen<br />
„unrealistisch“. Linke-Politiker Kristian<br />
Ronneburg bemerkte: „Das ist auch<br />
eine sozialpolitische Frage. Menschen,<br />
die nicht die Möglichkeit haben, sich ein<br />
E-Auto zu kaufen, werden ausgeschlossen.“<br />
Noch schärfer fiel naturgemäß die<br />
Kritik der Opposition aus: Oliver Friederici<br />
von der CDU sagte, Fahrverbote<br />
ab 2030 könne nur jemand fordern,<br />
der die „<strong>Berlin</strong>er Wirklichkeit nur aus<br />
dem Dienstwagen kennt“, zumal der<br />
ÖPNV sich in drei Jahren Rot-Rot-<br />
Grün „zum Krisenfall entwickelt“ habe.<br />
Landesparteichef Kai Wegner nannte<br />
die geplanten Fahrverbote „unsozial,<br />
unrealistisch und unverantwortlich“.<br />
FDP-Fraktionschef Sebastian Czaja<br />
sprach von einem „einseitigen Kampf<br />
gegen das Auto“ durch die Grünen. „Die<br />
Autofahrer immer weiter zu bestrafen,<br />
wird nur noch mehr Zorn zwischen allen<br />
erzeugen.“<br />
ar<br />
FOTOS: Axel Rühle / <strong>Taxi</strong> <strong>Times</strong><br />
24 <strong>3.</strong> QUARTAL <strong>2020</strong> TAXI
POLITIK<br />
Ich kann nur aufrufen, dass der Minister<br />
von diesem Vorhaben ablässt. Ich höre<br />
auch aus einigen anderen Bundesländern,<br />
dass man da nicht begeistert ist. Sie müssen<br />
auch sehen: Ich bin ein Vertreter der<br />
CDU – das ist unsere Schwesterpartei CSU,<br />
mit der wir zu 95 Prozent der gleichen Meinung<br />
sind, aber es gibt eben auch mal fünf<br />
Prozent, wo wir nicht einer Meinung sind.<br />
Wir sehen diese sogenannte Liberalisierung<br />
skeptisch, weil sie in relativ kurzer<br />
Zeit ein ganzes Gewerbe vernichtet. In New<br />
York hat es eine ähnliche Liberalisierung<br />
gegeben.<br />
New York hatte früher 40.000 Taxen.<br />
Nach dem Einstieg von Uber und einigen<br />
anderen dubiosen Dienstleistern ist der<br />
<strong>Taxi</strong>markt zusammengebrochen. Es gibt<br />
nur noch zehn Prozent der berühmten<br />
Yellow Cabs. In bestimmte Stadtteile fahren<br />
die Fahranbieter gar nicht mehr, denn<br />
das lohnt sich für die nicht. Und genau<br />
das würde hier auch bei einer Liberalisierung<br />
passieren: Wenn sich das für private<br />
Dienstleister nicht lohnt, dann fahren die<br />
auch nicht dahin. Oder die sind so teuer,<br />
dass Sie drei Taxen bestellen könnten.<br />
Deswegen lehne ich dieses [geplante]<br />
PBefG ab und kann nur anheimstellen, dass<br />
das Land <strong>Berlin</strong> sich dagegen ausspricht.<br />
Soweit ich gehört habe, ist die jetzige Landesregierung<br />
der gleichen Meinung. Also<br />
hier lobe ich deren Position einmal, aber es<br />
ist so ziemlich das einzige, wo ich mit SPD,<br />
Linken und Grünen in der Verkehrspolitik<br />
übereinstimme.<br />
Das wird sicher viele im <strong>Taxi</strong>gewerbe<br />
freuen zu hören. Kommen wir zu einem<br />
sehr aktuellen Thema, das auch den<br />
Senat betrifft: Das Inklusionstaxi ist als<br />
Projekt noch nicht ins Rollen gekommen,<br />
obwohl das Land die Umrüstung eines<br />
Autos zu 100 Prozent fördert. Gewerbevertreter<br />
versuchen verzweifelt, Unternehmer<br />
dazu zu bewegen, sich so ein<br />
Streitfall 16. und 17. Bauabschnitt der A 100: bei Eröffnung unfertig.<br />
lukratives Geschäftsfeld nicht entgehen<br />
zu lassen. Eine Idee ist, dass das Land<br />
Inklusionstaxis anschafft und diese den<br />
<strong>Taxi</strong>unternehmen per Leasing anbietet.<br />
Sehen Sie darin eine Alternative, den<br />
Individualtransport für Rollstuhlfahrer<br />
zu fördern?<br />
Warum die <strong>Taxi</strong>fahrer das bislang nicht<br />
machen, kann ich nicht sagen. Ich finde es<br />
auch schade. Aber wenn es staatlicherseits<br />
gewünscht ist, wäre eine Leasing-Lösung<br />
denkbar. Es gibt eine Stadt, die das macht,<br />
nicht nur für Inklusionstaxis, sondern<br />
für alle <strong>Taxi</strong>s: Singapur. Deren 25.000 bis<br />
30.000 <strong>Taxi</strong>s sind in der Regel Eigentum<br />
der Stadt, und die verleast das <strong>Taxi</strong> und die<br />
Dienstleistung. Es wäre eine Möglichkeit,<br />
die Sorge vor dem Risiko aus dem Gewerbe<br />
zu nehmen. Eine solche Erweiterung des<br />
Serviceangebots im <strong>Taxi</strong> würde anderen<br />
Fahrdienstanbietern den Wind aus den<br />
Segeln nehmen.<br />
Wie man hört, soll Frau [Sozialsenatorin]<br />
Breitenbach vom <strong>Taxi</strong>gewerbe so<br />
enttäuscht sein, dass sie schon überlegt,<br />
ob sie den Berlkönig ins Boot zu holen<br />
versucht.<br />
Mit dem Berlkönig wird Inklusion für<br />
ganz <strong>Berlin</strong> nicht funktionieren. Die BVG<br />
hat den Berlkönig initialisiert, um von sich<br />
aus – so sagen sie es – die anderen Fahrdienstleister<br />
wie Uber aus dem Markt zu<br />
halten. Das ist sehr teuer. Wenn die BVG<br />
jetzt mit dem Berlkönig in ausgewählte<br />
Bereiche der Außenstadt geht, wird das<br />
noch teurer. Ich glaube nicht, dass die BVG<br />
und das Land das finanzieren können und<br />
wollen. Das, was Frau Breitenbach sagt,<br />
halte ich für unrealistisch. Da ist die Einführung<br />
eines Inklusionstaxis besser und<br />
auf Dauer günstiger.<br />
Das Modell Leasing-<strong>Taxi</strong> sollte man einfach<br />
modellhaft mal versuchen. Dieser Mut, mal<br />
Neues zu versuchen, geht leider in der Verkehrspolitik<br />
wie in vielen anderen Dingen<br />
verloren: auch endlich den großen Schritt in<br />
der Elektromobilität zu wagen. Es braucht<br />
noch Ladestellen. Hier fehlt der Mut auf der<br />
Koalitionsseite. Dazu rufe ich auf, dafür stehe<br />
ich, dass man das in der nächsten Wahlperiode<br />
deutlich verbessert. Wollen wir mal<br />
sehen, wie die Wähler wählen. <br />
Das Gespräch führte Axel Rühle Ende<br />
August. Zur aktuellen Vereinbarung betreffs<br />
Flughafen BER siehe Kasten auf Seite 26.<br />
SHK-Rechtsanwälte<br />
Martina Schweickhardt<br />
Rechtsanwältin & Notarin<br />
Notariat<br />
Verkehrsrecht<br />
Strafrecht<br />
Zivilrecht<br />
Daniel Herbst<br />
Rechtsanwalt<br />
Nachodstraße 19<br />
10779 <strong>Berlin</strong><br />
(im Erdgeschoss)<br />
Telefon: 030 / 210 023 40<br />
André Klemm<br />
Rechtsanwalt<br />
TAXI <strong>3.</strong> QUARTAL <strong>2020</strong><br />
25
POLITIK<br />
Flughafen <strong>Berlin</strong> Brandenburg (Wochen vor der Eröffnung)<br />
GÜNTHERS DILEMMA<br />
Am Flughafen BER dürfen zunächst nur 300 <strong>Berlin</strong>er Taxen und 300<br />
LDS-Taxen laden. Letztere dürfen sich künftig auch in <strong>Berlin</strong> bereithalten.<br />
Mehr hat LDS-Landrat Loge dem <strong>Berlin</strong>er Gewerbe nicht zugestanden.<br />
Seit <strong>Berlin</strong>er Taxen in Schönefeld nicht mehr laden dürfen,<br />
suchten die hiesigen Verbände immer wieder das<br />
Gespräch im Landkreis Dahme-Spreewald (LDS), mal mit<br />
dem <strong>Taxi</strong>gewerbe, mal mit der Politik.<br />
Sie wurden nicht an den Verhandlungstisch gebeten, als die<br />
<strong>Berlin</strong>er Verkehrsverwaltung auf den letzten Drücker am 19.<br />
September mit dem LDS-Landratsamt besiegelte, dass am BER<br />
zunächst je 300 Taxen aus <strong>Berlin</strong> und dem LDS „gleichberechtigt“<br />
laden dürfen – und letztere sich in <strong>Berlin</strong> an alle Halteplätze stellen<br />
dürfen. Oder anders betrachtet: Die LDS-Taxen werden knapp zwei<br />
Prozent des <strong>Berlin</strong>er Geschäftes abbekommen, die <strong>Berlin</strong>er Taxen<br />
dafür 50 Prozent des Flughafengeschäfts.<br />
Verkehrssenatorin Regine Günther bezeichnete das als „sehr gutes<br />
Ergebnis im Interesse beider Länder“, wovon auch die <strong>Taxi</strong>unternehmen<br />
und Kunden profitieren würden. Diese Meinung teilen<br />
nicht viele. Sowohl ihr vermeintlicher Alleingang als auch das<br />
Ergebnis haben in <strong>Berlin</strong> für Empörung gesorgt. Doch LDS-Landrat<br />
Stefan Loge sitzt am längeren Hebel. Er vertritt die Interessen des<br />
LDS und damit „seines“ <strong>Taxi</strong>gewerbes. Somit war ihm nicht mehr<br />
als dieser Kompromiss abzuringen.<br />
Nicht nur bei den <strong>Berlin</strong>er Gewerbeverbänden herrscht Ernüchterung.<br />
Für lebhaften Streit sorgte die die Vereinbarung auch<br />
im Abgeordnetenhaus. Der FDP-Abgeordnete Henner Schmidt<br />
kritisierte, die Regelung schaffe „<strong>Taxi</strong>s erster und zweiter Klasse“,<br />
WAS VEREINBART WURDE<br />
Die Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz<br />
(SenUVK) hat in einer Presseerklärung mitgeteilt, dass ab<br />
der Eröffnung 300 Taxen aus <strong>Berlin</strong> und 300 aus dem LDS<br />
„gleichberechtigt“ am BER laden dürfen – was bei Bedarf von<br />
2 x 300 auf 2 x 550 erhöht werden kann. LDS-Taxen dürfen<br />
sich an alle <strong>Berlin</strong>er Halteplätze stellen, jedoch nicht mit<br />
leuchtender Fackel fahren und Winker aufnehmen.<br />
Die Auswahl der <strong>Berlin</strong>er Taxen trifft das Landesamt für<br />
Bürger- und Ordnungsangelegenheiten (LABO) in einem<br />
„transparenten Verfahren“: Bis zehn Prozent werden Inklusionstaxen<br />
genommen, der Rest wird verlost. Die Lizenzen<br />
gelten befristet, um Wechsel zu ermöglichen.<br />
Beförderungspflicht vom BER aus besteht nach <strong>Berlin</strong> und in<br />
30 brandenburgische Kommunen von Potsdam über Zossen<br />
bis Grünheide (Mark). <strong>Berlin</strong>er Fahrer müssen ihre Ortskenntnisse<br />
nach Auskunft des Straßenverkehrsamtes nur für das<br />
BER-Pflichtfahrgebiet nachweisen. Von einer entsprechenden<br />
Prüfung wusste man aber beim Straßenverkehrsamt des LDS<br />
auf Nachfrage Ende September noch nichts.<br />
Die Adresse, an der <strong>Berlin</strong>er Fahrer sich dann anmelden müssen,<br />
liegt in Königs Wusterhausen, 2 km vom S-Bhf. entfernt<br />
an der Bushaltestelle „Fontane-Center“:<br />
LDS, Straßenverkehrsamt – Fahrerlaubnisbehörde,<br />
Fontaneplatz 10, 15711 KW, Tel.: 03375 26-2678 und -2679,<br />
strassenverkehrsamt@dahme-spreewald.de<br />
Den vollständigen Wortlaut der Vereinbarung wollte uns<br />
SenUVK nicht mitteilen. Dafür erfuhren wir, dass <strong>Taxi</strong>unternehmer<br />
sich bis zum 12. Oktober (Eingangsstempel) beim<br />
LABO bewerben können, wobei Name und Anschrift des<br />
Unternehmens sowie die Ordnungsnummer(n) und Kfz-Kennzeichen<br />
der Taxe(n) anzugeben sind. Bei Inklusionstaxen bitte<br />
außerdem Kopien der Fahrzeugscheine mitschicken.<br />
Adresse: post.fahrerlaubnis@labo.berlin.de oder<br />
LABO, III C 3, Puttkamerstr. 16-18, 10969 <strong>Berlin</strong><br />
FOTOS: Axel Rühle / <strong>Taxi</strong> <strong>Times</strong><br />
26 <strong>3.</strong> QUARTAL <strong>2020</strong> TAXI
POLITIK<br />
nämlich der vier von hundert, die nach dem Absetzen von Fahrgästen<br />
in Schönefeld anschließend auch laden dürften, und der<br />
96, die leer zurückfahren müssen. Er forderte ein Laderecht am<br />
BER für sämtliche <strong>Berlin</strong>er <strong>Taxi</strong>s und einen einheitlichen Tarif.<br />
Tino Schopf (SPD) begrüßte die Vereinbarung. Er hält 600<br />
Taxen für zunächst ausreichend, da der Flughafen an ÖPNV und<br />
Straße gut angeschlossen sei. Den „ganzen ökonomischen und<br />
ökologischen Unsinn der letzten Jahre“ nannte er „somit passé“.<br />
Die fehlende Tarifverständigung bezeichnete aber auch er als<br />
absurd, obwohl seine Partei als Koalitionspartner die Vereinbarung<br />
mitträgt.<br />
Oliver Fiederici (CDU) entgegnete, Günthers Vereinbarung sei<br />
weder ein Erfolg noch ein guter Kompromiss, sondern eine „ganz<br />
klare Nachteilsregelung für das <strong>Berlin</strong>er <strong>Taxi</strong>gewerbe“. Zudem<br />
dürften die <strong>Taxi</strong>s aus dem LDS mit der Vereinbarung nicht nur<br />
„überall nach <strong>Berlin</strong>“, sondern auch „in <strong>Berlin</strong> hin- und herfahren“,<br />
„denn Sie wissen, das wird überhaupt nicht kontrolliert.“<br />
Kristian Ronneburg (Die Linke) nannte das „Rumgemäkel“<br />
der CDU „durchschaubar“. Die Vereinbarung sei immerhin ein<br />
Schritt und gut für die Fluggäste und gut für die Metropolregion<br />
<strong>Berlin</strong>/Brandenburg. Das Laderecht der LDS’ler in <strong>Berlin</strong> sei eine<br />
„ordentliche Konkurrenz“, und natürlich müsse sichergestellt<br />
werden, dass <strong>Taxi</strong>s aus dem Landkreis „wirklich nur an den <strong>Taxi</strong>-<br />
Haltepunkten Fahrgäste<br />
aufnehmen. Wie wird<br />
das kontrolliert? Ist das<br />
LABO in der Lage?“ Aus<br />
dem Mund eines Oppositionspolitikers<br />
wären solche<br />
Fragen plausibel. Ein<br />
Koalitionsmitglied ist eher<br />
für Antworten zuständig.<br />
Paul Fresdorf (FDP)<br />
nannte die Worte Ronneburgs<br />
„an Hohn und Spott<br />
nicht zu überbieten“. Der<br />
Senat lasse sich vom LDS<br />
vorführen, komme „mit<br />
so einer Minimal-Lösung<br />
für die <strong>Berlin</strong>er <strong>Taxi</strong>s um<br />
die Ecke“ und wolle das<br />
Zwischen unvereinbaren Interessen: als Erfolg feiern. „Das ist<br />
Verkehrssenatorin Regine Günther lächerlich, Herr Ronneburg.<br />
... Sie haben keine<br />
Lösung für die <strong>Taxi</strong>fahrer dieser Stadt geschaffen, stattdessen<br />
verhöhnen Sie sie. Es ist wirklich peinlich.“ Ronneburg erwiderte,<br />
er lasse sich „von so einer klassischen Lobbyistenpartei wie der<br />
FDP für Uber & Co.“ nicht vorwerfen, mit dem <strong>Taxi</strong>gewerbe verächtlich<br />
umzugehen. „In welcher Welt leben Sie denn eigentlich?“<br />
Das sei „einfach nur wirklich Gezeter von der Opposition“.<br />
Frank Scholtysek (AfD) bezeichnete die Vereinbarung, die<br />
„immer nur für ein Jahr gültig“ sei, als gänzlich unausgegoren<br />
und fragte, wer eigentlich bestimme, welche <strong>Taxi</strong>s am BER laden<br />
dürfen: ob das ausgelost werde, ob es die bekämen, die die besten<br />
Kontakte in die <strong>Berlin</strong>er Senatsverwaltungen haben, oder ob<br />
die Erlaubnisse meistbietend versteigert würden. Die Zukunft<br />
der <strong>Taxi</strong>branche sei dem Senat nicht wichtig, was sich auch „im<br />
Bekenntnis zu immer neuen Mobilitätsexperimenten mit unterschiedlichsten<br />
Anbietern“ widerspiegele. Die Schließung des Flughafens<br />
Tegel sei ein weiterer Sargnagel des <strong>Taxi</strong>gewerbes, das<br />
„vom Senat ... ohnehin schon aufgegeben wurde“.<br />
Harald Moritz (Grüne) verteidigte die Vereinbarung. Man habe<br />
mit „ebenbürtigen“ Partnern verhandelt und solle sich an die<br />
eigene Nase fassen und nicht so überheblich sein; die Brandenburger<br />
hätten auch Rechte. „Von daher ist es eine faire Aushandlung,<br />
dass paritätisch aus LDS und <strong>Berlin</strong> Taxen da laden können.“<br />
Seinen Widersacher Friederici (CDU) fragte Moritz: „Was<br />
haben Sie denn 2012 getan, als die <strong>Berlin</strong>er Taxen nicht mehr<br />
am Flughafen Schönefeld laden konnten? Gar nichts! Hier große<br />
Töne spucken, aber ansonsten ist da nichts dahinter!“ Allerdings<br />
war 2012 Michael Müller (SPD) Verkehrssenator. An den in <strong>Berlin</strong><br />
ladeberechtigten LDS-Taxen werde es laut Moritz eine nicht<br />
ablösbare Kennzeichnung geben. Die Frage nach der Auswahl<br />
der ladeberechtigten <strong>Berlin</strong>er Taxen beantwortete Moritz so: Die<br />
Unternehmer könnten beim LABO Anträge stellen, „und wenn<br />
viel mehr Anträge reinkommen als Plätze da sind, ... wird das<br />
Los entscheiden.“<br />
Was die Tarife betrifft, sind Taxen aus dem LDS derzeit meist<br />
etwas preisgünstiger, außer nachts am Flughafen mit „sperrigem“<br />
Gepäck oder bei langen Fahrten. Das Problem der unterschiedlichen<br />
Tarife wollen Regine Günther und ihr Staatssekretär Ingmar<br />
Streese in den nächsten Monaten lösen. <br />
ar<br />
ZU WENIG HERAUSGEHOLT?<br />
Ein Kommentar von Axel Rühle<br />
Wir wissen nicht, ob Verkehrssenatorin Günther ausschließlich<br />
mit dem Landrat verhandelt hat, oder – wie ihr<br />
Parteifreund Stefan Gelbhaar vor Jahren riet – mit dem<br />
brandenburgischen Infrastrukturministerium, also auf<br />
Augenhöhe, Bundesland mit Bundesland. Oder mit beiden.<br />
Für ihre Verhandlungsposition hätte es vermutlich keinen<br />
Unterschied gemacht. Die BER-<strong>Taxi</strong>halteplätze liegen im<br />
LDS, und was das bedeutet, ist bekannt: Die dortige Aufsichtsbehörde<br />
bestimmt, welche Taxen laden dürfen.<br />
Da am BER konträre Interessen aufeinandertreffen und<br />
vorher keine Vereinbarung getroffen wurde, schieden auch<br />
Lösungen aus, wie sie für die Flughäfen Frankfurt am Main<br />
(Eingemeindung des Flughafengeländes in die Metropole)<br />
oder München (Einigung zwischen Landkreisen desselben<br />
Bundeslandes) gefunden wurden. So geriet <strong>Berlin</strong> in eine<br />
Bittstellerposition.<br />
Vielleicht hätte die Empörung über die Vereinbarung sich<br />
in Grenzen gehalten, wenn Regine Günther sie nicht als<br />
„großen Erfolg“ bezeichnet hätte, sondern als das, was sie<br />
ist: ein unbefriedigender, schmerzlicher Kompromiss – für<br />
den Klimaschutz wie für das <strong>Berlin</strong>er <strong>Taxi</strong>gewerbe, für<br />
das zu wenig herausgesprungen ist – aber eben das, was<br />
herauszuholen war.<br />
Viele Fragen müssen noch kurzfristig beantwortet werden.<br />
Es kann nicht sein, dass <strong>Berlin</strong>er Fahrer ab dem 31.<br />
Oktober Ortskenntnisse nachweisen müssen, für die eine<br />
Prüfung noch nicht einmal konzipiert ist, und dass der<br />
Fahrpreis für Einsteiger am BER ein kleines Glücksspiel ist.<br />
Man kann der Verkehrssenatorin vieles vorwerfen. Man<br />
kann sie aber nicht dafür verurteilen, dass ihre Verhandlungsposition<br />
in diesem Fall nicht mehr hergegeben hat.<br />
Hätte sie die Vereinbarung abgelehnt, würden den Flughafen<br />
auf Jahre nur die LDS-Taxen bedienen. Dazu müssten<br />
es nur mal eben ein paar hundert mehr werden. Dafür würden<br />
sich ganz sicher sofort bestimmte <strong>Berlin</strong>er Unternehmer<br />
hergeben, die scharf darauf sind, ihre Taxen im LDS<br />
ohne Fiskaltaxameter zu betreiben. Wäre das besser? So<br />
hat das <strong>Berlin</strong>er Gewerbe wenigstens einen Fuß in der Tür<br />
und kann in weiteren Verhandlungen darauf aufbauen.<br />
TAXI <strong>3.</strong> QUARTAL <strong>2020</strong><br />
27
WETTBEWERB<br />
Plattform-Kapitalismus im Zeitraffer<br />
FREE NOW EIFERT UBER NACH<br />
Obwohl der Senat das <strong>Taxi</strong>gewerbe eigentlich vor Free Now, Uber und<br />
anderen fragwürdigen Anbietern schützen will, sind in <strong>Berlin</strong> offiziell<br />
bereits über 4.000 Mietwagen unterwegs. Ihre Anzahl steigt täglich.<br />
Heute, gut zehn Jahre nachdem<br />
„mytaxi“ mit seiner Bestell-App<br />
den Markt aufzumischen begann,<br />
haben sich alle damaligen Warnungen<br />
mehr als bewahrheitet. Der Wolf hat sich<br />
des Schafspelzes entledigt und „mytaxi“<br />
ist zu Free Now mutiert. BMW Group<br />
und Daimler AG haben ihre Kräfte in der<br />
gemeinsamen Plattform „Ride“ gebündelt.<br />
Mittlerweile wurden die Fahrdienst-Vermittler<br />
Beat (Griechenland, Peru, Chile,<br />
Kolumbien und Mexiko), Kapten (Frankreich,<br />
Großbritannien, Portugal und die<br />
Schweiz) und Clever (Rumänien) allesamt<br />
geschluckt.<br />
Damit ist Free Now alleine in Europa<br />
in bereits neun Ländern aktiv. Ziel ist es,<br />
weltweit der führende Ansprechpartner für<br />
alle wichtigen Mobilitätsdienste zu werden<br />
und sich – nach jüngsten Aussagen des<br />
Deutschlandchefs von Free Now, Alexander<br />
Mönch – auch verstärkt Drittanbietern<br />
zu öffnen. So können mittlerweile bereits<br />
E-Tretroller von Voi über die Free-Now-App<br />
gebucht werden.<br />
SIXT HILFT DEM TAXI<br />
AUF DEN WELTMARKT<br />
Allen im <strong>Taxi</strong>gewerbe, die die Zusammenarbeit<br />
mit Sixt bisher skeptisch<br />
betrachten, sei gesagt, dass diese vorausschauende<br />
Zusammenarbeit wahrscheinlich<br />
die momentan einzige Chance ist, <strong>Taxi</strong>s<br />
auf einer großen Mobilitätsplattform anzubieten,<br />
ohne Gefahr zu laufen, dass dort<br />
die eigenen Kunden abgeworben werden.<br />
Niemand kann mehr den Wert der klassischen<br />
Funkzentralen leugnen. Sie werben<br />
Herwig Kollar, Rechtsanwalt für die <strong>Taxi</strong><br />
Deutschland eG und Vizepräsident des<br />
Bundesverbandes <strong>Taxi</strong> und Mietwagen e. V.<br />
und wahren Kunden ausschließlich für das<br />
<strong>Taxi</strong>gewerbe. Free Now dagegen gibt <strong>Taxi</strong>kunden<br />
fleißig weiter in Mietwagen.<br />
Das Wort <strong>Taxi</strong> ist nicht nur aus dem Firmennamen<br />
verschwunden, das gesamte<br />
Geschäft des kleinteilig organisierten <strong>Taxi</strong>gewerbes<br />
soll übernommen und bestehende<br />
Strukturen vernichtet werden. Auch hier<br />
drängt sich der Vergleich mit Uber auf, und<br />
es ist offensichtlich, wie diese Konzerne um<br />
den Beförderungsmarkt kämpfen.<br />
Kollaborateure unter den <strong>Taxi</strong>unternehmern<br />
und -fahrern haben es dem Gegner<br />
leicht gemacht, im Personenbeförderungsmarkt<br />
Fuß zu fassen. Während viele dieser<br />
Kollegen heute ihren Seitensprung<br />
bereuen, bauen andere ihre ehemaligen<br />
<strong>Taxi</strong>flotten zu Mietwagenflotten um. Als<br />
das „Gesicht des Verrats“ dürfte der ehemalige<br />
<strong>Taxi</strong>-Großunternehmer Thomas<br />
Mohnke gesehen werden, der mit der Übernahme<br />
des <strong>Berlin</strong>er Fahrdienstes „RocVin“<br />
den Beginn einer engen Zusammenarbeit<br />
mit Uber startete. Schnell das kurze<br />
Schwarze übergestreift, lässt Mohnke mit<br />
der SafeDriver Group GmbH bundesweit<br />
Mietwagen für das US-Unternehmen Uber<br />
rollen.<br />
Vieles deutet allerdings mittlerweile<br />
darauf hin, dass mit Mietwagen, neben<br />
den Fahraufträgen des US-Konzerns, auch<br />
Fahrten für Free Now ausgeführt werden,<br />
was im Übrigen bei fast allen Subunternehmen<br />
gängige Praxis ist. Jobangebote von<br />
Mietwagenunternehmen, in denen Fahrer<br />
für Uber und Free Now gesucht werden,<br />
beweisen, dass Mietwagenunternehmen<br />
für beide Anbieter unterwegs sind.<br />
Ist es da nicht naheliegend zu fragen,<br />
ob Free Now die Rückkehrpflicht und<br />
Auftragsannahme am Betriebssitz des<br />
Mietwagenpartners ebenso handhabt wie<br />
Uber? Es gibt in der App jedenfalls keine<br />
klaren technischen Möglichkeiten, die<br />
entsprechende Verstöße durch die Mietwagenpartner<br />
rechtssicher ausschließen.<br />
Die <strong>Taxi</strong> Deutschland eG und deren Anwalt<br />
Herwig Kollar lassen das bereits intensiv<br />
beobachten und werden auch gegen Free<br />
Now gerichtlich vorgehen, sollten Verstöße<br />
nachgewiesen werden. Entsprechend der<br />
Feststellung des Landgerichts Frankfurt<br />
am Main im Fall Uber stellt sich zudem<br />
die Frage, ob nicht genauso Free Now<br />
eine eigene Mietwagenlizenz beantragen<br />
müsste.<br />
GRAFIK: Jérôme Kirschkowski; FOTO: Axel Rühle / <strong>Taxi</strong> <strong>Times</strong><br />
28 <strong>3.</strong> QUARTAL <strong>2020</strong> TAXI
WETTBEWERB<br />
Besonders brisant ist die Marke „Free Now<br />
Ride“, die gezielt Uber angreifen will und<br />
das <strong>Taxi</strong>gewerbe dafür ausbluten lassen<br />
könnte. Bisherige <strong>Taxi</strong>kunden werden<br />
durch umfangreiche und kostenintensive<br />
Marketingmaßnahmen und durch Preisdumping<br />
zur Bestellung eines Mietwagens<br />
geködert. Dem <strong>Taxi</strong>gewerbe gehen<br />
sie dadurch verloren.<br />
Beispiele dafür gibt es bereits genug.<br />
Bei der Markteinführung in Düsseldorf<br />
wurden Fahrten im gesamten Stadtgebiet<br />
für maximal 9,99 Euro angeboten, im September<br />
2019 wurde mit dem Slogan „Mit<br />
App und Ride für 5 Euro durch <strong>Berlin</strong>“<br />
geworben und im Februar <strong>2020</strong> in der<br />
„Bild“-Zeitung <strong>Berlin</strong> mit „Nutze unseren<br />
20 Euro Gutschein als Neukunde bei Free<br />
Now“, „Gutschein: die erste Fahrt gratis<br />
bei Free Now“ und mit „10 € Guthaben fürs<br />
Freunde werben bei Free Now“.<br />
Diese Angebote liegen allerdings preislich<br />
nicht nur unter dem <strong>Taxi</strong>fahrpreis,<br />
sondern auch unter der Wirtschaftlichkeitsgrenze.<br />
So etwas nennt sich „unfair<br />
advantage“, den Großkonzerne nun eben<br />
einmal gegenüber Familienbetrieben<br />
haben. Langfristig rechnet sich das aber<br />
nur dann, wenn es gelingt, die Konkurrenz<br />
auszuschalten um dann die Preise zu erhöhen.<br />
Letztlich werden die jetzt geköderten<br />
Kunden die Zeche eines Tages zahlen<br />
müssen, wenn ein Monopolist die Preise<br />
bestimmt – ohne staatliche Kontrolle wie<br />
bei den <strong>Taxi</strong>preisen.<br />
Auch die Subunternehmer werden die<br />
Dummen sein. Solange „Free Now Ride“<br />
diese Preise macht, haben sie gut zu tun<br />
und können die – im Vergleich zu den von<br />
<strong>Taxi</strong>unternehmen an ihre <strong>Taxi</strong>zentralen<br />
zu entrichtenden Vermittlungsgebühren –<br />
viel höheren Provisionen (25 Prozent vom<br />
Umsatz) gerade noch so bezahlen. Da die<br />
Anzahl konkurrierender Subunternehmen<br />
aber stetig wächst, wird die Auslastung der<br />
Fahrzeuge abnehmen und die Rechnung<br />
für die Mietwagenbetreiber nicht mehr<br />
aufgehen. Schon jetzt wird beim Personal<br />
gespart. Da es für Mietwagen, anders als<br />
bei <strong>Taxi</strong>s, kaum Kontrollmechanismen gibt,<br />
ist auch schwer zu kontrollieren, ob soziale<br />
Mindeststandards eingehalten werden.<br />
WORTE, WORTE, KEINE TATEN<br />
„Die Verkehrssenatorin will neue Fahrdienste<br />
ausbremsen“, schrieb der „Tagesspiegel“<br />
am 26. Februar. Dabei ging es nur<br />
um eine Vorlage der Verkehrssenatorin.<br />
Ihr ist das Thema schon vertraut, und ihr<br />
Haus verfügt über die nötige Expertise, die<br />
Vorlage auch durchzusetzen. „Wir wollen<br />
Regulierungsoptionen“, sagte der Sprecher<br />
der Verkehrssenatorin, Jan Thomsen dem<br />
„Tagesspiegel“. Das <strong>Taxi</strong>gewerbe sei ein<br />
„Teil der Daseinsvorsorge“, stehe in der<br />
Vorlage, die der Zeitung vorliegen soll.<br />
Taxen seien eine „sinnvolle Ergänzung<br />
des ÖPNV“, ergänzte Thomsen. Fahrdienste<br />
wie die digitale Plattform Uber, die nicht<br />
in den ÖPNV integriert sind, sollen „nicht<br />
uneingeschränkt genehmigungsfähig<br />
sein“, schreibt das Blatt weiter.<br />
Die Pläne des Senats sind ebenso<br />
begrüßenswert wie langwierig. Mit einer<br />
Umsetzung wären Verletzungen der Rückkehrpflicht,<br />
wie auch der Ort der Auftragsannahme,<br />
zweifelsfrei dokumentiert. Leider<br />
sind diesen Bekundungen aus der Zeit<br />
vor der Corona-Krise bisher keine spürbaren<br />
Taten gefolgt. Die unlautere Konkurrenz<br />
wuchert ungehindert weiter. Wie man<br />
hört, scheitert das Vorhaben, neu zugelassenen<br />
Mietwagen keine Ausnahmegenehmigung<br />
von der Wegstreckenzählerpflicht<br />
mehr zu erteilen, derzeit an den begrenzten<br />
Kapazitäten der Eichbehörde.<br />
Kleinanzeigen von Mietwagenunternehmen<br />
aus verschiedenen Städten, die Fahrer für<br />
Uber UND Free Now suchen<br />
Wird das <strong>Taxi</strong>gewerbe geschützt, geht<br />
es nicht um Partikularinteressen einer in<br />
die Jahre gekommenen Branche. Vielmehr<br />
steht die <strong>Taxi</strong>-Community nur an einer von<br />
vielen Fronten in unserer modernen Gesellschaft,<br />
sinnbildlich für den Kampf gegen<br />
den allgegenwärtigen Plattform-Kapitalismus<br />
und unersättliche Datenkraken. Gegen<br />
den Ausverkauf unseres Mittelstands,<br />
gegen die soziale Spaltung der Bevölkerung,<br />
gegen umwelt- und menschenschädliche<br />
Entwicklungen und letztlich gegen<br />
den Verlust unserer Freiheit – kurz gesagt<br />
gegen „Uberisation“.<br />
Wenn es altmodisch sein soll, Kunden<br />
Verlässlichkeit bei Preis und Qualität der<br />
Beförderung garantieren zu wollen und<br />
dem eigenen Fahrpersonal gute Arbeitsbedingungen,<br />
ehrliche Löhne und soziale<br />
Absicherung, dann sollte das <strong>Taxi</strong>gewerbe<br />
stolz auf seine Traditionen sein. sb<br />
TAXI <strong>3.</strong> QUARTAL <strong>2020</strong><br />
29
WETTBEWERB<br />
Keine Seltenheit am Abend: kaum Taxen am Bahnhof Falkensee<br />
ZU WENIG NACHT-TAXIFAHRER<br />
IN FALKENSEE – GEFUNDENES<br />
FRESSEN FÜR UBER?<br />
Uber-Autos in einer 44.000-Einwohner-Stadt, in der nachts nichts los<br />
ist, mit SPD-Bürgermeister, dichtem Linienbus-Netz und direkter<br />
Nachbarschaft zu <strong>Berlin</strong>-Spandau – wie konnte es dazu kommen?<br />
Für das <strong>Taxi</strong>gewerbe ist Falkensee<br />
undankbares Terrain. Nachts ist so<br />
gut wie nichts los, auch tagsüber<br />
hält es sich in Grenzen. Wer früh morgens<br />
nach Tegel oder Schönefeld muss, hat es oft<br />
schwer, ein örtliches <strong>Taxi</strong> zu bekommen,<br />
und verlässt sich lieber gleich auf <strong>Taxi</strong> <strong>Berlin</strong>,<br />
wenngleich eine Bahn- und Busfahrt<br />
vom Bahnhof Falkensee zum Flughafen<br />
Tegel nur eine halbe Stunde dauert und<br />
nach Schönefeld eine Stunde.<br />
Auch der Linienverkehr in Falkensee<br />
ist ein anderer als in <strong>Berlin</strong>. Falkensee hat<br />
drei Regionalbahnhaltepunkte und wird<br />
lokal von neun Buslinien erschlossen, auf<br />
denen zu schwachen Zeiten teilweise <strong>Taxi</strong>s<br />
eingesetzt werden. Der nächste Fernbahnhof<br />
ist <strong>Berlin</strong>-Spandau, acht Kilometer vom<br />
Falkenseer Stadtzentrum entfernt. Ein<br />
S-Bahn-Anschluss nach <strong>Berlin</strong> bestand<br />
vor dem Mauerbau schon einmal für zehn<br />
Jahre. Ein Wiederaufbau der stillgelegten<br />
Strecke, seit dem Mauerfall vielfach gefordert,<br />
ist noch nicht in Sicht.<br />
Für das <strong>Berlin</strong>er <strong>Taxi</strong>gewerbe sind<br />
abendliche Fahrten von Spandau nach<br />
Falkensee und Abholungen von dort keine<br />
Seltenheit, denn in Falkensee gibt es keinen<br />
Nachtlinienverkehr. Zwischen 23 und<br />
5 Uhr bleibt als Verkehrsmittel neben dem<br />
eigenen Fahrzeug hauptsächlich das <strong>Taxi</strong>.<br />
Das Gewerbe in Falkensee leidet allerdings<br />
seit weit über zehn Jahren unter<br />
Nachwuchsproblemen. Es fehlt an jungen,<br />
abenteuerlustigen Nachtfahrern, so dass es<br />
für Fahrgäste zwischen 20 Uhr und 9 Uhr<br />
ein Glücksspiel ist. Daran konnten auch<br />
Gespräche des Bürgermeisters mit der örtlichen<br />
<strong>Taxi</strong>-„Innung“ nichts ändern.<br />
2016 fragte die Stadtverwaltung deshalb<br />
bei <strong>Taxi</strong> <strong>Berlin</strong> an, ob man das Problem der<br />
Nichtverfügbarkeit von Taxen in Falkensee<br />
irgendwie lösen könne. Ein Vertreter von<br />
<strong>Taxi</strong> <strong>Berlin</strong> und einer des <strong>Taxi</strong>verbandes<br />
<strong>Berlin</strong>, Brandenburg e. V. (TVB) besuchten<br />
daraufhin in Falkensee eine Bürgerversammlung<br />
mit Mitgliedern des Stadtparlaments,<br />
der Falkenseer <strong>Taxi</strong>-„Innung“ und<br />
unter Anwesenheit der regionalen Presse.<br />
Laut TVB wurden Vorschläge unterbreitet,<br />
aber „mit jedem Vorschlag war immer<br />
jemand anders nicht einverstanden“, egal<br />
ob es um die kommunale Subventionierung<br />
eines Nachttaxis, die Zuhilfenahme von <strong>Berlin</strong>er<br />
Taxen mit Zuschlag oder eine nächtliche<br />
Rufumleitung von Falkenseer Betrieben<br />
in die <strong>Berlin</strong>er Funkzentrale ging.<br />
KEINER WILL NUR HERUMSTEHEN<br />
In einem sehr offenen Gespräch mit dem<br />
TVB habe der Betreiber des größten örtlichen<br />
<strong>Taxi</strong>unternehmens mit sechs Autos<br />
und eigener Telefonvermittlung verdeutlicht,<br />
dass es verständlicherweise unmöglich<br />
sei, seine zumeist älteren Fahrer zu<br />
Nachtschichten zu bewegen, in denen es<br />
„alle zwei, drei Stunden mal einen Auftrag“<br />
mit teils 15-minütigen Anfahrten gebe,<br />
geschweige denn, neues Personal für einen<br />
solch unlukrativen Job zu finden.<br />
Daraufhin suchte der TVB-Vertreter das<br />
persönliche Gespräch mit <strong>Taxi</strong>fahrern,<br />
FOTO: Axel Rühle / <strong>Taxi</strong> <strong>Times</strong><br />
30 <strong>3.</strong> QUARTAL <strong>2020</strong> TAXI
WETTBEWERB<br />
die am Bahnhof Falkensee am Halteplatz<br />
standen, darunter mehrere alleinfahrende<br />
Unternehmer. Als er sich als Gewerbevertreter<br />
aus <strong>Berlin</strong> vorstellte, strebte die<br />
Gesprächsbereitschaft allerdings augenblicklich<br />
gegen null. Bei einer <strong>Taxi</strong>-<strong>Times</strong>-<br />
Recherche an einem frühen Abend im<br />
August <strong>2020</strong> stand kein einziges <strong>Taxi</strong> am<br />
menschenleeren Bahnhofsvorplatz in der<br />
brütenden Hitze. Einem aus <strong>Berlin</strong> eintreffenden<br />
Regionalzug entsteig ein halbes<br />
Dutzend junger Menschen, die sich zu<br />
Fuß entfernten. Boto Töpfer vom Vorstand<br />
des TVB beschreibt die Misere in einem<br />
Satz: „Es fehlen einfach die Aufträge, um<br />
wenigstens ein einziges <strong>Taxi</strong> in Falkensee<br />
rund um die Uhr am Laufen zu halten.“<br />
UBERS LANDPARTIE<br />
GEHT WEITER<br />
Dann kam Uber. Nachdem im November<br />
2019 fünf Kleinstädte bzw. Ortschaften<br />
östlich von München zum Testgebiet<br />
erkoren worden waren, bietet Uber seine<br />
Vermittlung seit dem 11. Juni <strong>2020</strong> auch<br />
in Falkensee zu Festpreisen an. Man habe<br />
dort ein „Pilotprojekt gestartet“. Für „bessere<br />
Mobilität im ländlichen Raum“ wolle<br />
man „nun Brandenburg erobern“, zitiert<br />
die Märkische Oderzeitung den amerikanischen<br />
Fahrdienst. Mit dem Segen der<br />
Gemeinde bietet Uber nach eigenen Angaben<br />
Zubringer-Dienste zu Pauschalpreisen<br />
an, entweder von einer Adresse in Falkensee<br />
zu einem der drei Bahnhöfe oder (von<br />
22 bis 6 Uhr) zwischen Falkensee und dem<br />
Bahnhof <strong>Berlin</strong>-Spandau.<br />
Bürgermeister Heiko Müller, der offensichtlich<br />
kein Problem damit hat, sich mit<br />
einem Partner einzulassen, dessen gerichtlich<br />
untersagtes Geschäftsmodell auf<br />
systematischen Rechtsverstößen beruht,<br />
posierte zum Auftakt bereitwillig mit<br />
Uber-Deutschland-Chef Weigler vor einem<br />
weißen Elektroauto für die Fotografen<br />
von Uber und der<br />
regionalen Presse.<br />
Müller hofft, dass<br />
Falkensee durch<br />
das Uber-Projekt<br />
noch stärker von<br />
der Nähe zur Bundeshauptstadt<br />
profitieren<br />
kann. Das<br />
Angebot ist vorerst<br />
bis Jahresende<br />
angesetzt, Uber-<br />
Manager Weigler,<br />
der vollmundig von<br />
Wartezeiten von<br />
maximal zehn Minuten spricht, sieht darin<br />
jedoch bereits ein „langfristiges Projekt“.<br />
Auf Anfrage eines Pressevertreters nach<br />
der Einbindung des Stadtparlamentes in die<br />
Entscheidung antwortete die PR-Abteilung<br />
der Stadt, die Stadtverordnetenversammlung<br />
habe nicht gefragt werden müssen, da<br />
weder ein Vertrag noch eine andersartige<br />
Verpflichtung eingegangen worden noch<br />
eine Geldausgabe seitens der öffentlichen<br />
Hand erfolgt sei.<br />
SPD GEGEN AUSBEUTUNG?<br />
NICHT IN FALKENSEE<br />
Auf den Einwand des örtlichen <strong>Taxi</strong>gewerbes,<br />
dass Uber-Fahrer keinen Mindestlohn<br />
erhalten und gegen die Rückkehrpflicht<br />
verstoßen und Uber bereits<br />
von mehreren Gerichten wegen PBefG-<br />
Verstößen verurteilt worden ist, erwiderte<br />
Müller, dass selbstverständlich der Mindestlohn<br />
gezahlt werden müsse, und fügte<br />
beschwichtigend hinzu, über die Abschaffung<br />
der Rückkehrpflicht werde ja bereits<br />
diskutiert.<br />
Gewisse politische Brisanz verleiht<br />
Ubers neuem Projekt ein Unterschied<br />
zur vorangegangenen Aktion in Bayern,<br />
die bereits jede Menge Unmut hervorgerufen<br />
hatte: Während die Bürgermeister<br />
Bürgermeister Heiko Müller (l.) und Uber-Manager Christoph Weigler<br />
der bayerischen Städtchen überwiegend<br />
– wie Bundesverkehrsminister Scheuer<br />
– der CSU angehören, ist der Falkenseer<br />
Bürgermeister Müller wie sein <strong>Berlin</strong>er<br />
Amtskollege und Namensvetter Sozialdemokrat.<br />
Die SPD – und nicht nur sie – hatte<br />
sich aber im vergangenen Jahr sowohl auf<br />
Bundesebene als auch in zahlreichen Ländern<br />
und Städten, auch in Brandenburg<br />
und <strong>Berlin</strong>, klar auf Seiten des <strong>Taxi</strong>gewerbes<br />
und gegen Uber positioniert. Nach<br />
umfangreichen Aufklärungskampagnen<br />
des <strong>Taxi</strong>gewerbes sind vielen Politikern<br />
die Nachteile von Uber & Co. heutzutage<br />
bekannt: unterbezahlte, kaum ortskundige<br />
und häufig übermüdete Fahrer, die ohne<br />
Verstöße gegen die Rückkehrpflicht und<br />
weitere Vorschriften keine Chance auf ein<br />
Auskommen haben.<br />
Dass Uber in Falkensee auch nur ein<br />
halbwegs lohnendes Geschäft macht,<br />
kann sich im <strong>Taxi</strong>gewerbe kaum jemand<br />
vorstellen. Uber macht bislang nur Verlust,<br />
so lange das <strong>Taxi</strong>gewerbe nicht vom<br />
Markt konkurriert worden ist. Mit Bundesverkehrsminister<br />
Andreas Scheuer und<br />
Findungskommissions-Mitgliedern wie<br />
Daniela Kluckert von der FDP hat man aber<br />
zumindest hoffnungsvolle Mitstreiter – und<br />
mit Bürgermeister Heiko Müller. ar<br />
FALKENSEE, HVL<br />
FOTO: Tanja-M. :arotzke / Uber<br />
Das 34 Quadratkilometer große Städtchen Falkensee im<br />
Landkreis Havelland hat mehrere Kerne, denn es wurde 1923<br />
aus sechs Dörfern zusammengesetzt. Die beiden größten<br />
waren Falkenhagen und Seegefeld (daraus wurde der Name<br />
Falkensee gebildet). Hinzu kamen Finkenkrug, Falkenhöh, Falkenhain<br />
und Waldheim. Diese bilden heute zum Teil abgelegene<br />
Ortsteile, überwiegend mit Einfamilienhaus-Bebauung und<br />
viel Wald- und Wiesenfläche. Allein Seegefeld entwickelte sich<br />
seit Eröffnung der <strong>Berlin</strong>-Hamburger Bahn 1846 eher städtisch<br />
und ist heute beinahe mit dem <strong>Berlin</strong>er Ortsteil Falkenhagener<br />
Feld zusammengewachsen. Finkenkrug entwickelte sich<br />
überhaupt erst seit der Bahnhofseröffnung 1852. Die anderen<br />
Ortsteile blieben eher dörflich. Somit ist Falkensee für einige<br />
<strong>Berlin</strong>er ein ruhiger, grüner, attraktiver Wohnort.<br />
Manchen Großstadtbewohner zieht es an den Stadtrand oder<br />
ins Umland. Für West-<strong>Berlin</strong>er gab es ein Umland nur vor der<br />
Deutschen Teilung und erst wieder seit Anfang 1990. Sowohl<br />
während des Zweiten Weltkriegs als auch nach der Wende<br />
wuchsen viele <strong>Berlin</strong>er Umlandgemeinden erheblich, zum<br />
großen Teil durch Stadtflucht. Falkensees Bevölkerung wuchs<br />
während der Nazizeit von knapp 16.000 auf über 28.000 Einwohner.<br />
Erst wenige Wochen nach dem Mauerbau 1961 erhielt<br />
der Ort Stadtrecht. Zur Zeit des Mauerfalls hatte Falkensee,<br />
bis dato in Randlage, noch 22.100 Einwohner. Heute sind es<br />
fast doppelt so viele, auch weil viele aus dem Westen <strong>Berlin</strong>s<br />
zuzogen.<br />
TAXI <strong>3.</strong> QUARTAL <strong>2020</strong><br />
31
Savignyplatz<br />
Knese- beck- str.<br />
enstr.<br />
GEWERBE<br />
str. Kant- str. Kants<br />
str. Kant- str. Kant-<br />
Savignypl.<br />
Ca<br />
<br />
Kurfürstendamm<br />
Kurfürstendamm<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
str.<br />
(prüfungsrelevant<br />
bis Ende Juni <strong>2020</strong>)<br />
Uhland- str.<br />
Kurfürstendamm Kurfü<br />
Kurfürstendamm Kurfürst<br />
Fasanen- str. Fasan<br />
Die Joachimsthaler<br />
Str. hieß bis 2014<br />
„Joachimstaler“ Str.<br />
Meineke- str.<br />
Joachimsthaler<br />
thaler<br />
Savignyplatz<br />
Grolman-<br />
Str.<br />
Str.<br />
<br />
str.<br />
str.<br />
r.<br />
t<br />
str.<br />
Bud<br />
B<br />
rstendamm<br />
endamm<br />
apester<br />
udapester<br />
Augsburger Str.<br />
Eislebener<br />
Str.<br />
Tiergarten<br />
Charlottenburg<br />
(prüfungsrelevant<br />
bis<br />
Ende Juni<br />
<strong>2020</strong>)<br />
Los-Angeles-Pl.<br />
Ranke- str.<br />
Tauent<br />
Tauentz<br />
zien- str. Tau<br />
ien- str. Tauen<br />
Marburger Str.<br />
Ausschnitt aus dem „Spezialatlas zum <strong>Taxi</strong>schein für <strong>Berlin</strong>“: Drei Viertel der Hotels sind aus dem Prüfungsstoff gestrichen worden.<br />
<br />
<br />
(prüfungsrelevant<br />
bis Ende Juni <strong>2020</strong>)<br />
Nürnberger<br />
<br />
<br />
Breitscheid-<br />
platz<br />
(prüfungsrelevant<br />
bis Ende<br />
Juni<br />
<strong>2020</strong>)<br />
Charlottenburg<br />
Schöneberg<br />
Passau<br />
S<br />
KAHLSCHLAG BEI DER<br />
BERLINER ORTSKUNDE<br />
Ortskenntnis ist ein Qualitätsmerkmal des <strong>Taxi</strong>gewerbes. Doch den<br />
Unternehmen geht der Nachwuchs aus, seit Mietwagenfahrer ihren Schein<br />
ohne Prüfung bekommen. <strong>Berlin</strong> hat die Prüfung jetzt deutlich vereinfacht.<br />
Die Branche steckt im Dilemma.<br />
Einerseits ist ortskundiges Fahrpersonal<br />
ein Alleinstellungsmerkmal,<br />
doch in der öffentlichen Wahrnehmung<br />
reicht dieses Verkaufsargument<br />
offenbar nicht aus, wenn die unseriöse Konkurrenz<br />
millionenschwere Werbekampagnen<br />
aus der Portokasse bezahlen kann und<br />
neoliberale Fürsprecher hat. Andererseits<br />
leidet das <strong>Taxi</strong>gewerbe unter wachsendem<br />
Personalmangel. Wer Personen befördern<br />
möchte und die Wahl hat zwischen einer<br />
<strong>Taxi</strong>scheinprüfung, für die man Monate<br />
lang lernen muss, und einem Mietwagenschein,<br />
den jeder Nichtskönner hinterhergeworfen<br />
bekommt, entscheidet sich oft<br />
für den schnellen Weg. Dass er dabei mit<br />
einiger Wahrscheinlichkeit in ein prekäres<br />
Arbeitsverhältnis gerät, wird ihm meist<br />
erst später bewusst.<br />
Im Frühjahr 2017 schaffte der Bundesgesetzgeber<br />
die Ortskundeprüfung für<br />
Miet- und Krankenwagen ab. Der Grund<br />
war neben der mutmaßlichen Lobbyarbeit<br />
von Uber & Co. auch die Personalnot bei<br />
den Krankenwagenbetreibern, die plakativ<br />
Alarm geschlagen und davor gewarnt<br />
hatten, dass die Erstversorgung bei Unfällen<br />
akut gefährdet sei, weil die damalige<br />
Prüfung viele Bewerber abschreckte. Da in<br />
den Gesetzen und Verordnungen zur Personenbeförderung<br />
Mietwagen- und Krankenwagenfahrer<br />
in einem Atemzug genannt<br />
werden, musste mit der Ortskundeprüfung<br />
für die Krankenwagenfahrer auch die für<br />
die Mietwagenfahrer dran glauben – ein<br />
epochales Geschenk an Uber & Co. Über die<br />
verheerenden Folgen für das <strong>Taxi</strong>gewerbe<br />
hat man sich dabei wohl wenig Gedanken<br />
gemacht.<br />
DU KANNST NICHTS?<br />
WILLKOMMEN BEI UBER!<br />
Da trotz aller Kritik seitens der <strong>Taxi</strong>verbände<br />
eine Rücknahme der fatalen Entscheidung<br />
unwahrscheinlich ist, werden<br />
seitdem Stimmen lauter, die zur Not eine<br />
Abschaffung der Prüfung auch für <strong>Taxi</strong>fahrer<br />
fordern: besser mit unqualifiziertem<br />
Personal arbeiten als pleite gehen. Dem<br />
gegenüber stehen die Verfechter der Qualität,<br />
die einen wichtigen Vorteil gegenüber<br />
der Konkurrenz zerrinnen sehen, wenn<br />
auch <strong>Taxi</strong>schein-Anwärter immer weniger<br />
können müssen. Sie befürchten zudem bei<br />
Wegfall der <strong>Taxi</strong>fahrer-Prüfung eine Übernahme<br />
des Marktes durch Großinvestoren,<br />
die billige Arbeitskräfte aus armen Ländern<br />
wie Erntehelfer zu Dumpinglöhnen<br />
für sich fahren lassen.<br />
Den Senat bzw. das LABO erreichte letztes<br />
Jahr ein Hilferuf der Prüfstellen: Die<br />
mündliche Prüfung verursachte dem TÜV<br />
und dem DEKRA angesichts der schwindenden<br />
Teilnehmerzahl zunehmend einen<br />
zu hohen Verwaltungs- und Personalaufwand.<br />
Die beiden Institutionen holten sich<br />
deshalb bei der Verwaltung grünes Licht<br />
für die Ausarbeitung einer <strong>Taxi</strong>scheinprüfung,<br />
bei der möglichst das gleiche abgefragt<br />
wird wie im bisherigen mündlichen<br />
Teil, die jedoch – wie der erste, ehemals<br />
schriftliche Prüfungsteil – am Rechner<br />
abgelegt werden kann.<br />
Das Ergebnis ist eine weiterhin zweiteilige<br />
Prüfung, jedoch ohne mündlichen Teil.<br />
Nachdem der schriftliche Teil bereits mit<br />
dem Wechsel der Prüfung von den Verbän-<br />
GRAFIK: Axel Rühle / <strong>Taxi</strong> <strong>Times</strong><br />
32 <strong>3.</strong> QUARTAL <strong>2020</strong> TAXI
GEWERBE<br />
Neu im Ortskundekatalog:<br />
der Schöneberger EUREF-Campus mit dem Gasometer<br />
Aus dem Prüfungsstoff gestrichen:<br />
die Holiday-Inn-Hotels und zahlreiche weitere<br />
FOTOS: Peter Münzel, Axel Rühle / <strong>Taxi</strong> <strong>Times</strong><br />
den zu DEKRA und TÜV im November 2014<br />
durch eine Multiple-Choice-Prüfung am<br />
Rechner ersetzt wurde, geschieht dies nun<br />
in ähnlicher Weise mit dem mündlichen<br />
Teil. Dann sitzt der Prüfling auch beim<br />
zweiten Teil nicht mehr mit zwei Mann<br />
Prüfstellen-Personal am Tisch eine halbe<br />
Stunde in einem kleinen Raum, sondern<br />
gemeinsam mit weiteren Führerscheinund<br />
<strong>Taxi</strong>schein-Prüflingen an Tischen mit<br />
Tablet-Computern in einem größeren Raum<br />
mit einer Aufsichtsperson.<br />
KEINE MÜNDLICHE<br />
PRÜFUNG MEHR<br />
Musste jeder Prüfling bisher in der<br />
mündlichen Prüfung innerhalb von gut<br />
15 Minuten zwei von drei Zielfahrten von<br />
A nach B aus freien Stücken vollständig<br />
und fehlerfrei beschreiben, so bekommt<br />
er künftig am Rechner für jede Fahrt zehn<br />
Straßennamen vorgegeben, von denen nur<br />
ein Teil zur richtigen Fahrtroute gehört,<br />
und die er in die richtige Reihenfolge bringen<br />
muss, und das ebenfalls für zwei von<br />
drei Fahrten, allerdings mit 20 Minuten<br />
Zeit. Er muss weder wissen, in welchem<br />
Stadtteil sich eine Adresse befindet (außer<br />
bei mehrfach vorkommenden Straßennamen),<br />
noch muss er angeben, wo er links<br />
oder rechts abbiegt, noch überlegen, ob er<br />
auch keinen wichtigen Platz vergessen hat.<br />
Alles Wichtige wird ihm vorgegeben. Er<br />
muss nicht mehr grübeln, ob das Maritim-<br />
Hotel das in der Dorotheenstraße oder das<br />
in der Stauffenbergstraße war, denn wenn<br />
er darunter Straßennamen wie Reichpietschufer,<br />
Potsdamer Straße oder Schöneberger<br />
Ufer liest, weiß er Bescheid.<br />
Er muss sich auch nicht mehr den Kopf<br />
zerbrechen, ob das Hotel Centro City West<br />
in der Emser Straße, das Ibis City West in<br />
der Bundesallee und das nH City West in<br />
der Brandenburgischen Straße war oder<br />
doch genau anders, denn von den 110 Hoteleinträgen<br />
im bisherigen Prüfungsstoff sind<br />
ganze 29 übrig geblieben. Nicht ganz so<br />
rigoros fiel der Kahlschlag in der Straßenliste<br />
aus, die um ein Viertel gestutzt wurde.<br />
In den anderen Kategorien wurden nur<br />
moderate Ausdünnungen vorgenommen.<br />
Neben sämtlichen Landesvertretungen und<br />
zahlreichen Lokalen entfielen in den meisten<br />
Abschnitten einige Objekte. Ganze vier<br />
kamen insgesamt neu hinzu.<br />
Ursprünglich sollte die Umstellung zum<br />
1. Juli erfolgen, doch die Corona-Krise<br />
machte auch vor TÜV und DEKRA nicht<br />
Halt. Nicht nur, dass die Verwaltung ihnen<br />
über Monate – trotz anderslautender Formulierungen<br />
in den Corona-Verordnungen<br />
– explizit das Prüfen untersagte. Auch die<br />
Prüfinstitutionen sahen sich zu Kurzarbeit<br />
und weiteren Einsparungen gezwungen,<br />
was die technisch aufwändige Umstellung<br />
verzögerte. Das LABO informierte<br />
nur eine Woche vor dem Stichtag die Verbände<br />
und die Öffentlichkeit, dass die<br />
Prüfung noch für ein weiteres <strong>Quartal</strong> die<br />
alte bleibe – einschließlich dem bisherigen<br />
Prüfungsstoff.<br />
WIEDER NUR BIS STADTGRENZE<br />
Das wiederum löste Entrüstung bei den –<br />
noch stärker Corona-geplagten – <strong>Taxi</strong>schulen<br />
aus, die ihrem Nachwuchs seit Monaten<br />
den neuen, viel weniger umfangreichen<br />
Lehrstoff vermittelt hatten. Die Prüfstellen<br />
einigten sich deshalb kurzfristig<br />
intern auf eine Kulanzregelung mit Fokus<br />
auf den neuen Prüfungsstoff. In Standard-<br />
Schulungsmaterialien wie den „Spezialatlas“<br />
oder die „<strong>Taxi</strong>-Coach“-App waren die<br />
Änderungen bereits aufgenommen worden.<br />
Die <strong>Taxi</strong>schulen können nun vielleicht<br />
wieder auf etwas Zulauf hoffen. Mit der<br />
Praxis auf der Straße hat die Prüfung jetzt<br />
in mancherlei Hinsicht weniger zu tun als<br />
bisher, in anderen Bereichen ist sie praxisnäher<br />
geworden. Da bei der Aktualisierung<br />
des Ortskunde-Katalogs diesmal auch<br />
Forderungen aus derjenigen „Fraktion“<br />
berücksichtigt wurden, der die Vereinfachung<br />
gar nicht weit genug gehen kann,<br />
müssen Prüflinge künftig beispielsweise<br />
kaum noch Objekte am Kurfürstendamm<br />
kennen und auch nicht mehr wissen, wie<br />
man vom Süden Zehlendorfs nach Steglitz<br />
kommt.<br />
Auch endet der Horizont des <strong>Berlin</strong>er<br />
Kutschers laut Prüfung künftig wieder<br />
größtenteils an der Stadtgrenze, nachdem<br />
diese eingeschränkte Perspektive aus der<br />
Zeit des Kalten Krieges 2014 durch einen<br />
zeitgemäßeren Katalog mit ein wenig „Orientierung<br />
am Rand des Pflichtfahrgebietes“<br />
ersetzt worden war. Den einzigen Blick<br />
über diesen künstlichen und praxisfernen<br />
Tellerrand hinaus erfordert lediglich die<br />
neue Regelung, dass bei Fahrten, deren<br />
kürzeste Route durch das Umland führt,<br />
nicht mehr über einen Umweg innerhalb<br />
der Stadtgrenze „geschummelt“ werden<br />
darf, sondern tatsächlich die kürzeste<br />
Route gefragt ist. Straßen außerhalb des<br />
Pflichtfahrgebietes werden dabei aber<br />
nicht abgefragt, so dass diese technisch<br />
bedingte Neuerung eine Vereinfachung<br />
bedeutet, wenn Fahrtrouten wie etwa von<br />
Buch nach Neu-Hohenschönhausen oder<br />
von Friedrichshagen nach Hellersdorf zum<br />
Teil nur noch aus einer Handvoll <strong>Berlin</strong>er<br />
Straßennamen und zweimaliger Querung<br />
der Stadtgrenze bestehen.<br />
DENNOCH EINE<br />
MUTIGE ENTSCHEIDUNG<br />
Auch in anderen Städten und Landkreisen<br />
wie München oder Barnim geht der<br />
Trend zur einfacheren <strong>Taxi</strong>scheinprüfung.<br />
Insofern ist der Senat sehr weitgehend den<br />
Forderungen derer gefolgt, die eine klare<br />
Verringerung der Einstiegshürde in unsere<br />
Branche fordert: Besser eine ausreichende<br />
Zahl schlecht qualifizierter <strong>Taxi</strong>fahrer als<br />
immer mehr Uber-Fahrer. Dass man künftig<br />
häufiger an einen Fahrer geraten wird,<br />
der einen nicht mehr kompetent über die<br />
vernünftigste Route oder eine sinnvolle<br />
Reihenfolge von Zwischenstopps beraten<br />
kann – geschenkt. <br />
ar<br />
TAXI <strong>3.</strong> QUARTAL <strong>2020</strong><br />
33
BUCHTIPPS<br />
IMPRESSUM<br />
LEKTÜRE ZUM<br />
100. GEBURTSTAG<br />
BERLINS<br />
<strong>Berlin</strong> wird in diesem Herbst hundert Jahre alt – ein Zeitraum, der unendlich viele<br />
unentdeckte Dinge bereithält. Hier ein kleiner Blick in zwei Bücher, die sich mit<br />
der Vergangenheit befassen.<br />
Moment mal, wird der kenntnisreiche Leser einwenden, in <strong>Berlin</strong> ist doch schon vor<br />
vielen Jahren das 750-jährige Bestehen gefeiert worden, und dann ist in Mitte eine alte<br />
Bohle gefunden worden, die noch ein paar Jahre älter ist. Stimmt alles, nur war das ganz<br />
alte <strong>Berlin</strong> viel kleiner. Charlottenburg, Köpenick, Lichtenberg, Neukölln, Schöneberg,<br />
Spandau und Wilmersdorf waren bis Ende September 1920 noch selbstständige Städte.<br />
Erst mit Inkrafttreten des Gesetzes<br />
über die Bildung einer neuen Stadtgemeinde<br />
<strong>Berlin</strong> am 1. Oktober 1920, dem so<br />
genannten Groß-<strong>Berlin</strong>-Gesetz, wurde <strong>Berlin</strong><br />
zu dem, was wir heute kennen – damals<br />
die drittgrößte Stadt der Welt. Die ganze<br />
Gegend rund um das alte <strong>Berlin</strong> ist damit<br />
großflächig eingemeindet worden.<br />
Das Buch mit dem seltsamen Titel<br />
„Schmargendorfer Alpen, Rummels Burg<br />
und Blanke Hölle“ befasst sich mit gänzlich<br />
unbekannten Sehenswürdigkeiten aus der<br />
Vergangenheit eben dieses Groß-<strong>Berlin</strong>s.<br />
Bei der Fahrt um den Großen Stern kann<br />
sicher jeder <strong>Taxi</strong>fahrer etwas zur Siegessäule<br />
mit der Goldelse obendrauf erzählen,<br />
Andreas Hoffmann<br />
aber von der Schwerindustrie am Schlachtensee,<br />
dem Gaswerk in den <strong>Berlin</strong>er Alpen<br />
Schmargendorfer Alpen,<br />
Rummels Burg und Blanke Hölle,<br />
an der Forckenbeckstraße oder den Eisspeichern<br />
an der Rummelsburger Bucht wird<br />
Fundsachen aus Groß-<strong>Berlin</strong><br />
Transit<br />
selbst der belesenste Stadtführer unter den<br />
Kutschern noch nie etwas gehört haben.<br />
In kurzen Artikeln von zwei bis vier Seiten wird die Geschichte zu jeder „Sehenswürdigkeit“<br />
detailreich geschildert. Der Autor hat sich durch zahlreiche Archive gewühlt.<br />
Mit einer einfachen Computer-Recherche hätte man das alles nie herausgefunden. Lässt<br />
sich gut im <strong>Taxi</strong> lesen.<br />
Das zweite Buch heißt „Mensch, Technik!“<br />
und ist eigentlich ein Führer durch<br />
die Sammlung des Deutschen Technikmuseums<br />
<strong>Berlin</strong>. Auch hier sind es wieder<br />
kurze Artikel, die einzelne Exponate der<br />
Sammlung erklären und in den gesellschaftlichen<br />
Zusammenhang ihrer Zeit<br />
stellen. Es beginnt mit einem Bohlenweg<br />
aus vorchristlicher Zeit und endet mit<br />
dem iPhone. Außerdem wird die Entwicklung<br />
des Museums beschrieben. Das alte<br />
Gemäuer des Museums ist selbst ein Museumsstück.<br />
Erst lesen, dann hingehen. Nach<br />
der Lektüre sieht man die Dinge dort mit<br />
anderen Augen. Ähnliches Kaliber: „Netzdinge,<br />
30 Geschichten vom Telegrafenkabel<br />
bis zur Datenbrille“, be.bra verlag. wh<br />
Volker Koesling und Florian Schülke<br />
Mensch, Technik! Eine Entdeckungsreise<br />
durch die Kulturgeschichte der Technik<br />
Hrsg. Stiftung Deutsches Technikmuseum<br />
<strong>Berlin</strong>, Koehler & Amelang<br />
Verlag<br />
taxi-times Verlags GmbH<br />
Persiusstr. 7<br />
10245 <strong>Berlin</strong>, Deutschland<br />
Telefon: +49 (0)30 / 55 57 92 67-0<br />
E-Mail: info@taxi-times.com<br />
Internet: www.taxi-times.com<br />
Geschäftsführer und V. i. S. d. P.<br />
Jürgen Hartmann (jh)<br />
Bankverbindung<br />
Stadtsparkasse München<br />
IBAN: DE89701500001003173828<br />
BIC: SSKMDEMM<br />
UST-ID: DE293535109<br />
Handelsregister: Amtsgericht München<br />
HRB 209524<br />
Redaktion (tt)<br />
Stephan Berndt (sb), Jürgen Hartmann (jh),<br />
Wilfried Hochfeld (wh), Axel Rühle (ar),<br />
Hayrettin Şimşek (hs)<br />
E-Mail: tt-berlin@taxi-times.taxi<br />
Grafik & Layout<br />
Stanislav Statsenko, layout@inversi-design.de<br />
Anzeigen und Vertrieb<br />
anzeigen@taxi-times.com<br />
Telefon: +49 (0)30 / 55 57 92 67-0<br />
Druck<br />
Silber Druck oHG,<br />
Otto-Hahn-Straße 25<br />
D-34253 Lohfelden<br />
Erscheinungsweise: 4 x pro Jahr<br />
Heftpreis: 3,50 €<br />
(inkl. MwSt und Versand)<br />
ISSN-Nr.: 2367-3842<br />
Weitere Verlagsmagazine:<br />
<strong>Taxi</strong> <strong>Times</strong> DACH, <strong>Taxi</strong> <strong>Times</strong> München<br />
Die <strong>Taxi</strong> <strong>Berlin</strong> TZB GmbH bekommt in <strong>Taxi</strong> <strong>Times</strong><br />
<strong>Berlin</strong> eigens gekennzeichnete Mitteilungsseiten,<br />
für deren Inhalte die Genannte im Sinne des<br />
Presserechtes selbst verantwortlich ist.<br />
Veröffentlichung gemäß § 7a <strong>Berlin</strong>er<br />
Pressegesetzes bzw. § 8, Absatz 3 des Bayerischen<br />
Pressegesetzes.<br />
Gesellschafter (100 %) der taxi-times Verlags<br />
GmbH, <strong>Berlin</strong>, ist Jürgen Hartmann.<br />
34 <strong>3.</strong> QUARTAL <strong>2020</strong> TAXI
Neue<br />
Herausforderungen<br />
Neue Lösungen<br />
Die Corona-Krise hat das gesamte <strong>Taxi</strong>gewerbe<br />
hart getroffen. Umso mehr ist es uns ein Anliegen,<br />
mit technischen Lösungen die sichere Nutzung von<br />
<strong>Taxi</strong>dienstleistungen zu vereinfachen. Darum haben<br />
wir unsere App taxi.eu in kürzester Zeit an die neuen<br />
Anforderungen angepasst.<br />
taxi.eu erleben mit dem neuen<br />
Sicheres<br />
Fahren<br />
Mit dem neuen Fahrzeugmerkmal<br />
„Safe-<strong>Taxi</strong>“ können Kunden seit Mai<br />
<strong>2020</strong> auch <strong>Taxi</strong>s mit geeigneten<br />
Trennschutzwänden anfordern. *<br />
Einfaches<br />
Bestellen<br />
Für eine Einkaufsfahrt gibt der<br />
Kunde einfach ein, was er sich liefern<br />
lassen möchte, und der Auftrag kann<br />
ausgelöst werden. *<br />
Kontaktloses<br />
Bezahlen<br />
Für sicheres, bargeldloses Bezahlen<br />
können Kunden nun auch für<br />
Essenslieferungen Amazon Pay,<br />
Apple Pay oder PayPal nutzen. *<br />
* Diese Angebote gelten in koorperierenden Partnerstädten. Mehr dazu auf www.taxi.eu<br />
Jetzt auch<br />
verfügbar<br />
in der Huawei<br />
AppGallery<br />
Die <strong>Taxi</strong>-App
5.000 €<br />
TAXI-FÖRDERUNG 1<br />
Einer der komfortabelsten Arbeitsplätze<br />
der Stadt. Das neue E-Klasse <strong>Taxi</strong>.<br />
Der E 200 d der neuen E-Klasse – jetzt mit 5.000,– €<br />
<strong>Taxi</strong>-Förderung 1 sowie lukrativen Finanzierungskonditionen.<br />
Gleich sichern und entspannt wieder durchstarten.<br />
E 200 d Neuwagen der neuen E-Klasse<br />
Ein Finanzierungsbeispiel der Mercedes-Benz Bank AG 2<br />
Kaufpreis netto 3 3<strong>3.</strong>935,00 €<br />
Kaufpreis inkl. gesetzl. Umsatzsteuer (16 %) 39.364,60 €<br />
Abzüglich Anzahlung, 11.200,00 €<br />
davon entfallen auf Umsatzsteuer 5.429,60 €<br />
Darlehensbetrag 28.164,60 €<br />
Zinsen nominal 2,49 %<br />
Monatliche Gesamt-Finanzierungsrate<br />
über 60 Monate 499,– €<br />
Kraftstoffverbrauch innerorts / außerorts / kombiniert (Diesel l/100 km) 4 :<br />
5,4–5,2/4,3–4,0/4,7–4,4; CO₂-Emissionen kombiniert (g/km) 4 : 124–117.<br />
Hubraum (cm 3 ): 1.598. Leistung (kW/PS) 4 : 118/160.<br />
1<br />
5.000,– € Eintauschprämie bei Inzahlungnahme Ihres gebrauchten <strong>Taxi</strong>s/Mietwagens. Eintauschprämie<br />
gem. den Richtlinien der Mercedes-Benz Gebrauchtwagen-Inzahlungnahme. |<br />
2<br />
Ein Finanzierungsbeispiel der Mercedes-Benz Bank AG, Siemensstraße 7, 70469 Stuttgart,<br />
für alle gewerbetreibenden <strong>Taxi</strong>fahrer. Stand 09/<strong>2020</strong>. Ist der Darlehens-/Leasingnehmer<br />
Verbraucher, besteht nach Vertragsschluss ein gesetzliches Widerrufsrecht nach § 495 BGB.<br />
Das Angebot ist zeitlich begrenzt und gilt bei Bestellung und Übernahme des Fahrzeugs bis<br />
31.10.<strong>2020</strong> und nur, solange der Vorrat reicht. | 3 Unverbindliche Preisempfehlung des Herstellers,<br />
zuzüglich lokaler Überführungskosten. | 4 Die angegebenen Werte wurden nach<br />
dem vorgeschriebenen Messverfahren ermittelt. Es handelt sich um die „NEFZ-CO₂-Werte“<br />
i. S. v. Art. 2 Nr. 1 Durchführungsverordnung (EU) 2017/115<strong>3.</strong> Die Kraftstoffverbrauchswerte<br />
wurden auf Basis dieser Werte errechnet. Die Angaben beziehen sich nicht auf ein einzelnes<br />
Fahrzeug und sind nicht Bestandteil des Angebots, sondern dienen allein Vergleichszwecken<br />
zwischen verschiedenen Fahrzeugtypen. Die Werte variieren in Abhängigkeit von den gewählten<br />
Sonderausstattungen. Weitere Informationen zum offi ziellen Kraftstoffverbrauch und zu<br />
den offi ziellen spezifi schen CO₂-Emissionen neuer Personenkraftwagen können dem „Leitfaden<br />
über den Kraftstoffverbrauch und die CO₂-Emissionen neuer Personenkraftwagen“ entnommen<br />
werden, der an allen Verkaufsstellen und bei der Deutschen Automobil Treuhand<br />
GmbH unter www.dat.de unentgeltlich erhältlich ist. | Druckfehler und Irrtümer vorbehalten.<br />
| Abbildung entspricht nicht dem Angebot.<br />
Anbieter:<br />
Mercedes-Benz AG, Niederlassung <strong>Berlin</strong> | 11 x in und um <strong>Berlin</strong><br />
Salzufer 1, 10587 <strong>Berlin</strong>, Telefon +49 30 3901 2000, www.mercedes-benz-berlin.de<br />
<strong>Taxi</strong>-Kompetenzcenter: Prinzessinnenstraße 21–24 in Kreuzberg und Airport-Center <strong>Berlin</strong>-Brandenburg, Hans-Grade-Allee 61 in Schönefeld