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279.TIROL - November 2021

Ausgabe 2, November 2020

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tirol.sportlich und gesund tirol.sportlich und gesund<br />

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Mein<br />

Leben als<br />

Radsportlerin<br />

ZUR AUTORIN<br />

JULIA SÖRGEL<br />

Julia Sörgel aus Reutte ist zweifache<br />

Österreichische Meisterin<br />

im Mountainbike Hillclimb und<br />

hat den Streckenrekord von Laura<br />

Stigger auf die Lanser Alm um<br />

knapp drei Minuten unterboten.<br />

Ich weiß nicht genau, wo ich beginnen soll.<br />

Einerseits fing ich erst in meiner Jugend<br />

an, das Radfahren als Sport zu betreiben.<br />

Andererseits aber begann meine Begeisterung<br />

für Mountainbikes schon sehr viel früher.<br />

Also fang ich doch ganz am Anfang an …<br />

Ich war vier Jahre alt, als ich das Radfahren daheim vor dem<br />

Haus erlernte. Mit einem pinken Kinderrad mit weißen Reifen,<br />

das mir überhaupt nicht gefiel. Denn als Kind wollte ich immer<br />

ein Bub sein und alles, was irgendwie mädchenhaft war, mochte<br />

ich einfach nicht.<br />

Leider war ich in meiner Kindheit der unsportlichste Mensch,<br />

den man sich vorstellen kann. Was auch immer mit Anstrengung<br />

verbunden war, ich versuchte es zu vermeiden. Mein<br />

Übergewicht machte es mir nicht einfacher, weswegen ich<br />

auch oft als „dicke Kuh“ beschimpft wurde. Im Kindergarten<br />

und in der Schule. Es war meine damalige Englischlehrerin, die<br />

mich aufs Radfahren brachte. Mein damaliges Fahrrad war ein<br />

Jugendmountainbike mit Gepäckträger und allem, was man so<br />

an Fahrradzubehör bekommen kann.<br />

Mein<br />

erstes<br />

Mountainbike<br />

Ich saß nun täglich am Rad und fuhr am<br />

Lech entlang, einen Schotterweg von Reutte<br />

nach Rieden und wieder retour, das sind<br />

ca. zehn Kilometer. Mitte Juni stand meine<br />

Firmung an, und meine Firmpatin fragte<br />

mich, was ich denn für ein Geschenk haben<br />

möchte. Dabei dachte sie an Schmuck. Ich<br />

meinte, dass ich lieber ein neues Fahrrad<br />

hätte, ein Mountainbike. Nach langem<br />

Überreden stimmte sie zu, und ich<br />

bekam ein neues Mountainbike im Wert<br />

von 450 Euro. Durch das viele Radfahren<br />

verlor ich auch Gewicht, aber es ging sehr<br />

langsam. Als ich mit meiner Mama bei<br />

der Sparkasse war, lag dort ein Flyer vom<br />

Ehrenberg-Burgrennen. Und daran wollte<br />

ich unbedingt teilnehmen.<br />

Zum ersten Mal am Schlosskopf<br />

Als ich das erste Mal auf den Schlosskopf<br />

radelte, bewaffnet mit meinem 15 Kilogramm<br />

schweren Fahrrad mit Vollausstattung,<br />

merkte ich erst, was es bedeutet,<br />

bergauf zu fahren. Es war eine Qual, mit<br />

meinem Übergewicht und diesem schweren<br />

Rad dort hoch zu kommen. Jeden Tag quälte<br />

ich mich den Schlosskopf hoch, den ganzen<br />

Sommer über. Dann kam der Renntag: Es<br />

regnete in Strömen, drei Grad Außentemperatur,<br />

grausamer hätte es nicht sein können.<br />

Ich wollte unbedingt mitfahren,<br />

denn sonst wären<br />

alle Qualen umsonst gewesen.<br />

Ausgestattet mit einer Baumwolljacke<br />

radelte ich also beim Rennen mit und benötigte<br />

30 Minuten und 30 Sekunden für ca.<br />

300 Höhenmeter. Keine gute Zeit, verglichen<br />

mit meinen heutigen Zeiten, aber es<br />

war mein erstes Rennen, und ich gewann<br />

sogar in meiner Altersklasse. Ich war einfach<br />

nur glücklich über diesen kleinen Erfolg<br />

und ahnte nicht, dass das erst der Beginn<br />

eines neuen Lebensabschnittes war.<br />

Mein neues Mountainbike<br />

Weil ich in der Schule ein sehr gutes<br />

Zeugnis hatte, bekam ich von meinen<br />

Eltern ein neues Rad. Ich entschied mich<br />

für ein Stevens SMC ES, ein Carbonrad<br />

mit hydraulischen Scheibenbremsen und<br />

Shimano-XT-Schaltung. Für mich war<br />

das, als würde ich von einem Holzwagen<br />

in einen Porsche steigen, einfach nur<br />

unglaublich! Und ich trainierte noch eifriger.<br />

Mit diesem Mountainbike radelte ich<br />

dann zehn Jahre lang und 40.000 Kilometer,<br />

bis es letztes Jahr einen Rahmenbruch<br />

an der hinteren Strebe erlitt. In meiner<br />

Altersklasse gewann ich dann jedes Rennen,<br />

bis ich 18 Jahre alt war. Mit 15 wurde<br />

ich zum ersten Mal Tiroler Meisterin im<br />

MTB Hillclimb in Mieming, mit 16 das erste<br />

Mal Österreichische Meisterin im MTB<br />

Hillclimb in Möllbrücke in Kärnten, und es<br />

folgten noch weitere Tiroler Meistertitel.<br />

Matura, Studium, Staatsmeisterin<br />

Nach der Matura begann für mich ein neuer<br />

Lebensabschnitt. Ich startete ein Lehramtsstudium<br />

an der Universität Innsbruck<br />

in den Fächern Biologie und Geografie. Im<br />

Sommer vorm Studienbeginn wurde ich<br />

noch einmal Tiroler Meisterin in der U23-<br />

Klasse am Hahnenkamm in Kitzbühel, aber<br />

dann verlor ich die Lust am Rennfahren.<br />

Ich war 24 Jahre und hatte inzwischen 75<br />

Kilogramm. Im Dezember 2018 fragte mich<br />

ein Freund, ob ich Lust hätte, mit ihm eine<br />

Skitour auf den Hahnenkamm zu machen.<br />

Es war einfach eine Qual. Ich schleppte<br />

meine 75 Kilogramm die drei Kilometer<br />

lange und 1.000 Höhenmeter steile Abfahrt<br />

in 1,5 Stunden hinauf, wahrscheinlich mit<br />

200 Puls (aktuell benötige ich eine Stunde<br />

für diese Strecke). Das konnte es ja wohl<br />

nicht sein, und ich begann wieder, ganz<br />

wild zu trainieren. Innerhalb von sechs<br />

Monaten nahm ich 25 Kilogramm ab. Am<br />

Nassfeld in Kärnten fand im Sommer 2019<br />

die Österreichische Meisterschaft statt.<br />

Daran wollte ich unbedingt teilnehmen. Am<br />

Start wurde ich von meinen Kontrahentinnen<br />

und deren Trainern belächelt. Ich<br />

stand ohne Sponsor, ohne Trainer, ohne<br />

Team, ohne Physiotherapeuten da. Nur<br />

meine Eltern waren dabei, und die konnten<br />

mir auch nicht helfen. Bei der Startaufstellung<br />

musste ich ganz hinten starten. Um<br />

es kurz zu machen:<br />

Zur Überraschung aller,<br />

auch von mir, wurde ich in<br />

der Klasse Damen Elite tatsächlich<br />

Österreichische<br />

Staatsmeisterin. Nur einen<br />

Monat später wurde ich dann<br />

auch Tiroler Landesmeisterin.<br />

Schneller als die Weltmeisterin<br />

Leider gab es im Frühjahr 2020 wegen<br />

der Corona-Pandemie kein einziges Mountainbikerennen.<br />

Ich wollte mich aber gerne<br />

irgendwo beweisen, da ich das Gefühl<br />

hatte, dass meine Form noch ein Stück<br />

besser war als im Jahr zuvor. Bereits im<br />

Mai wurde ich auf die Laura Stigger Bike<br />

Challenge aufmerksam, die ja von der<br />

GemNova erfunden wurde und organisiert<br />

wird. Als es eines Tages bei uns im<br />

Außerfern regnete, im Inntal das Wetter<br />

aber deutlich besser war, fuhr ich spontan<br />

und ganz alleine nach Lans. Ich wollte<br />

mich an Lauras Zeit messen und war<br />

voll motiviert, mein Bestes zu geben. Wie<br />

eine Wilde radelte ich hinauf zur Lanser<br />

Alm, überholte dabei einige Leute, die über<br />

meine Geschwindigkeit ziemlich erstaunt<br />

waren, wie sie mir dann später erzählten.<br />

Oben angekommen, war ich nicht drei<br />

Minuten langsamer, sondern schneller als<br />

Laura. Das hätte ich vorher nie geglaubt.<br />

Es war auf alle Fälle ein Tag, den ich nicht<br />

so schnell vergessen werde.<br />

LINKS:Julia Sörgel auf der<br />

Lanser Alm. (© privat)

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