Städteplanung / Architektur / Religion
Buch VII - Forum Frohner ST/A/R 49
Adolf Frohner
Adolf Frohner, Natürliche Verformung, 1990
© Archiv Adolf Frohner
50 ST/A/R Buch VII - Forum Frohner
Nr. 15/2007
zur architektur
des forum frohner
Das Forum Frohner hat seinen Anfang bereits am Steiner Minoritenplatz. Das alte
Haupttor wurde durch eine moderne, transparente Konstruktion ersetzt, durch die man
in einen barocken Zentralraum – das Foyer des Forum Frohner – schreitet; sie fungiert
auch als Verteiler zu den verschiedensten Teilbereichen des Kulturzentrum Minoritenplatz.
An diesen Verteiler sind auch die Frohner-Lounge, das Depot und die Ausstellungshalle
angegliedert. Der Neubauteil, die Ausstellungshalle des Forum Frohner, ist im Klostergarten
im Anschluss an das Foyer situiert. Ein Glasgang verbindet und kontrastiert die
beiden massiven Bauteile (Alt und Neu). Im Zwischenraum von Alt und Neu sind zwei
Patios konzipiert.
Die Ausstellungshalle selbst orientiert sich klima- sowie lichttechnisch an internationalen
Standards und bildet für Kunstwerke einen starken, aber gleichzeitig auch zurückhaltenden
Rahmen. Es werden keine Farben eingesetzt. Die verwendeten Materialien sprechen ihre
eigene Sprache und nehmen Bezug auf die Kunst Adolf Frohners und auf die puristische
Lehre des Bettelordens der Minoriten.
Die Wände sind in Ortbeton ausgeführt, wobei in Anlehnung an die „Rohheit“ und „subtile
Brutalität“ der Werke Adolf Frohners auf teure Sichtbetonausführungen verzichtet wurde
und der Beton in seiner Einfachheit und Unperfektheit zur Wirkung kommen soll. Eine
den Betonwänden vorgesetzte Schale ist für die Hängung und Montage der Bilder ausgeführt,
sie kann variabel gestaltet werden und sichert eine maximale Flexibilität im Ausstellungsbetrieb.
Die Wände sind nur an drei Seiten und nicht raumhoch ausgeführt, um
den Charakter des Betonbaus im Innenraum zur Geltung kommen zu lassen. Weiters ist
ein Kontrast zwischen der weißen „reinen“ Schale und der grauen „dreckigen“ Betonwand
inszeniert. In Abstand zur Betonrückwand und in der Hauptachse des Forums ist eine
Prellwand in gleicher Weise wie die Vorsatzschale realisiert. Diese Prellwand bietet den
prominentesten Platz zur Bilderhängung in der Ausstellungshalle.
Die Decke der Halle wurde mit Heradesign-Platten ausgeführt. Diese normalerweise eher
im Industrie- und Tiefbau eingesetzten Platten zeichnen sich durch ihre formale Nähe zu
den frühen Werken Frohners (Matratzenbilder) aus. Sie harmonieren mit der Rohheit des
Ortbetons der Wände und verfügen weiters über hervorragende Schallabsorptionswerte. In
der Mitte ist eine Lichtdecke vorgesehen. Diese Decke ist als „white cube“ gestaltet, sucht
die formale Nähe zu den vorgesetzten Schalen der Wände und stellt einen Kontrast zu den
„rohen“ Elementen des Raumes her.
Der Fußboden ist, in Ahnlehnung an die bereits renovierte Minoritenkirche, als grauer
Magnesiaterrazzo ausgeführt. Dieser Boden erhält ein ähnliches Grau wie jenes der Betonwände,
die Oberfläche des Terrazzos jedoch wird ungemein glatter und bildet somit die
Differenz zu den Wänden.
Die puristische Philosophie des Bettelordens der Minoriten wurde in eine adäquate Architektursprache
übersetzt, welche mit einfachen und authentischen Materialien und Formen
operiert. Die Räume sollen weder selbstbewusst noch selbstbestimmt wirken, sie sollen
selbstverständlich wirken.
Im Garten des Klosters soll wieder der historische Gesamteindruck eines außerordentlich
ruhigen, in der Geschlossenheit mit vielfältigen Blickbeziehungen aufwartender, geborgener
Gartenraum entstehen, aufgewertet durch zeitgenössische Elemente.
Über Jahrhunderte wurden die Bauwerke und Landschaften den ständigen Veränderungen
der kulturellen Bedürfnisse der Menschen angepasst. Diese Tradition wurde hier exemplarisch
weitergeführt mit dem Ziel, eine Synthese zwischen Alt und Neu anzustreben, um
formal und inhaltlich die verschiedenen Epochen zu einer neuen Einheit zu verschmelzen.
Lukas O. Goebl; Wien, Juni 2007
Grundriß Forum Frohner
FORUM ADOLF FROHNER
Schnitt Forum Frohner
Nr. 15/2007
Buch VII - Forum Frohner ST/A/R 51
forum frohner
Ein Forum der kulturellen Toleranz
Das forum frohner versteht sich als ein Teil der Kunsthalle Krems. Es war die Absicht
von Adolf Frohner, dass sich zur Kunsthalle Krems ein nach ihm benanntes Forum
reiht, in dem nationale wie internationale Aktivitäten stattfinden können. Es geht
also nicht um eine regionale Kultur, sondern um nationale und internationale Fragen der
Kultur. Im Zentrum der Aktivitäten steht natürlich das Werk von Adolf Frohner. Dieses
wird kontrastiert mit Werken internationaler Künstler, das heißt auch ausländischer Künstler
oder wichtigen internationalen Positionen aus Österreich.
In zahlreichen Gesprächen mit dem Künstler wurde deutlich, dass das forum frohner nicht
als ein Ort für Realismusprobleme der Künste erdacht wurde, sondern darüber hinausgehend
– und das Œuvre von Frohner selbst verlassend – ein Ort für Ausstellungen, für
kulturelle, gesellschaftliche und soziale Veranstaltungen sein soll.
Adolf Frohner wollte bewusst kein Museum Frohner, sondern einen Ort der lebendigen
Auseinandersetzung. Richtig bespielt wird es zwangsläufig die Vielschichtigkeit des Œuvres
seines „spiritus rector“ widerspiegeln.
In den geplanten Ausstellungen spielen selbstverständlich die Werke von Adolf Frohner
eine große Rolle. Über die Jahre hinweg werden immer wieder neue der zahlreichen Facetten
seines Œuvres gezeigt. Das können Einzelausstellungen sein, aber auch Präsentationen
in Zusammenarbeit mit anderen Künstlern – zum Beispiel über einen thematischen
Zusammenhang oder Einzelausstellungen anderer Künstler – bis zu Arbeiten von internationalen
Künstlern mit einem völlig verschiedenen Kunstwollen als Adolf Frohner.
Da die Kunstmeile Krems verschiedene kulturelle Voraussetzungen bietet – Musik im
ernst krenek forum und dem Klangraum Krems Minoritenkirche ebenso wie die Ausstellungen
in der Kunsthalle Krems – wäre es wünschenswert, Lösungen zu finden, die ein
Zusammenspiel der Institutionen möglich machen. Ein besonderer Wunsch Frohners war
zum Beispiel, Joseph Beuys nach der Erstpräsentation gemeinsam mit den Werken von
Adolf Frohner auszustellen.
Diese Gedankenspiele zeigen auf, mit welcher Bandbreite und großen kulturellen Toleranz
Adolf Frohner gedacht hat. So bieten sich nach einer Beuys-Ausstellung, die, wenn möglich,
mit einer weiteren in der Kunsthalle Krems koordiniert werden sollte, viele andere
Ausstellungen an: über die Schönheit des Hässlichen (vielleicht in Zusammenarbeit mit
Peter Turrini), über die Normalität, die Femme fatale, über Adalbert Stifter im Sinne von
Kunst und Natur (vielleicht in Zusammenarbeit mit dem Naturhistorischen Museum in
Wien) etc. Da Picasso, van Gogh, Politik, Esoterik, auch das Problem von Original und
Fälschung, „l’art“ generell, zustandsgebundene Kunst wie im Künstlerpavillon in Gugging
usw. im Kunstwollen Frohners eine große Rolle spielen, aber auch Künstlerfreundschaften
wie beispielsweise zu Alfred Hrdlicka und Georg Eisler, ist ein weiter Horizont vorgegeben,
der leicht ein künstlerisches Programm für die nächsten zwanzig bis dreißig Jahre bietet.
Es sollen drei bis maximal vier Ausstellungen pro Jahr stattfinden, begleitet von Veranstaltungen
wie Konferenzen, Symposien, Vorträgen, Musik, sozialen Aktivitäten etc.
Die Architektur des Ausstellungsraums wurde vom Architektenteam mit dem bildenden
Künstler abgesprochen. Es ist eine einfache, überzeugende räumliche Setzung, die auf alles
verzichtet, was störend sein könnte. Fenster sind in einem Museum immer ein Verlust an
Hängefläche, also unökonomisch. Oberlichter bringen klimatischen Einfluss von außen,
der in das Haus hineindringt. Frohner hat sich nicht für die dunkle Kammer entschieden,
sondern für den „White Cube“, den hohen weißen Raum, der von steuerbarem Kunstlicht
beleuchtet wird. Hier kann optimal und in einfachster und somit auch ökonomischster
Form Kultur stattfinden. Es ist auch deutlich, dass diese Kultur sich nach innen wendet,
das Innere des Menschen treffen soll. Frohner weiß um Auswege und Ausblicke, die sich
auch im gärtnerischen Umraum des Ausstellungsraums widerspiegeln, aber er wollte in
der Diskussion die Kultur der menschlichen Existenz in das Zentrum stellen: deswegen
gewährt das forum frohner Einblicke – und nicht Ausblicke.
Dieter Ronte; Bonn, Juni 2007
„Mit diesem Projekt wird die erfolgreiche niederösterreichische Kulturpolitik
konsequent weitergeführt: Für das Publikum, für die Künstler und in
enger Kooperation mit der Wirtschaft. Jeder in die Kultur investierte Euro
kommt dem Land vielfach zugute: wirtschaftlich, aber auch als langfristige
Investition in Mentalität und Geist“.
Landeshauptmann Dr. Erwin Pröll
Natürliche Verformung, 1990, © Archiv Adolf Frohner
Visualisierung: Explicit Architecture
Städteplanung / Architektur / Religion Buch VII - Forum Frohner
ST/A/R 53
for
An der Realisierung beteiligte Unternehmen (Auswahl):
Foto: Andrea Baczynski, © 2007
54 ST/A/R Buch VII - Forum Frohner
Nr. 15/2007
Kulturprojekt Minoritenkloster Krems-Stein
Das Forum Frohner ist Teil der Gesamtrevitalisierung des Minoritenklosters Krems-Stein, bestehend
aus Ernst-Krenek-Dokumentationszentrum, Museum Stein, Klangraum Krems, NÖ-Festival Ges.
m.b.H und dem Forum Frohner.
Das Kloster öffnet seine Tore, symbolisch wie auch inhaltlich und architektonisch. Durch moderne
Eingriffe behauptet sich die ehemalige Klosteranlage im Stadtbild und verweist gleichzeitig auch auf
ihre lange Tradition, geprägt durch verschiedene Stile und Epochen. Der historischen Schichtung
wird eine weitere hinzugefügt.
Typologisch handelt es sich beim Minoritenkloster Krems-Stein um eine zweigeschossige Vierflügelanlage,
die an der Nordseite der Minoritenkirche angebaut ist. Die Bausubstanz reicht bis in das
Mittelalter zurück, das heutige Erscheinungsbild wurde allerdings vor allem durch die Umbauten des
Barocks geprägt. Die erste urkundliche Erwähnung des Klosters stammt aus 1253.
Die puristische Philosophie des Bettelordens der Minoriten wird in eine adäquate Architektursprache
übersetzt, welche mit einfachen und authentischen Materialien und Formen operiert.
Fotos: Andrea Baczynski, © 2007
Material und Licht
Eingangssituation Forum Frohner
Foto: Andrea Baczynski, © 2007
Grundriss Minoritenklosters Krems-Stein
Visualisierung: Explicit Architecture
Projektdaten:
Architektur und Bauleitung:
Architekt Friedrich Göbl Ziviltechniker Ges.m.b.H.
Entwurf: Friedrich Göbl, Lukas Göbl, Alex Bolecek
Bauherren:
Kunstmeile Krems BetriebsgesmbH
NÖ Festival-Ges.m.b.H.
Ernst Krenek-Dokumantation BetriebsgesmbH
Projektmanagement:
Hypo Bauplanungs- und Bauträgergesellschaft m.b.H.
Planung und ÖBA,
HKLS-Elektro-Sicherheitstechnik:
KWI Consultants and Engineers AG
Statik:
D.I. Anton Harrer Ziviltechniker Ges.m.b.H.
Landschaftsgestaltung:
land.schafft © DIDr. Alfred R. Benesch
Baufirma:
SCHUBRIG Gesellschaft m.b.H.
Nr. 15/2007
Buch VII - Forum Frohner ST/A/R 55
Interview
Adolf Frohner im Interview mit Heidulf Gerngross und Lukas Goebl (Dezember 2006)
Lukas Goebl (L.G.): Hast du noch ein Kammerl auf der
Universität?
Adolf Frohner (A.F.): Nein, ich bin kein Künstler, der auf Kammerl
reflektiert, wenn, dann auf Hallen, so wie die Frohner-
Forum-Halle.
Heidulf Gerngross (H.G.): Wie ist es zu der Halle in Krems
gekommen?
A.F.: Alle großen Sachen passieren nebenbei. Es gibt keine große
ideologische Vorkämpferei, es ist auch nicht mein Wunsch
gewesen, sondern es war eine Spontanreaktion nach einer
Ausstellungseröffnung, die ich in Langenlois hatte und die von
Herrn Landeshauptmann Pröll eröffnet wurde, den ich vorher
schon kannte und zu dem ich ein recht gutes Verhältnis habe.
Wir sind nachher, wie soll es sonst sein, in Langenlois bei
gutem Wein gesessen und haben getrunken und geredet und
haben die Welt auseinandergenommen und sie auf unsere Art
wieder zusammengesetzt. Und dann habe ich gesagt: „Jetzt
bringe ich etwas ins Spiel, was möglicherweise von euch weggeschnitten
wird. Wie sieht es aus, in Weißenkirchen gibt es
den Teisenhoferhof, der ist sehr schön und steht ohnehin leer.
Könnten wir da nicht eine Art Frohner-Museum errichten? Pröll
meinte: „Das würde ich dir nicht raten. Der Hof ist denkmalgeschützt
und besteht aus lauter kleinen Kammerln. Ich kenne
deine Bilder, das sind ja sehr große Bilder. Die haben ein bestimmtes
Pathos und brauchen Platz.“ Es wurde nichts daraus.
Er rief aber dann einen Landesbeamten an und beauftragte ihn,
sich darum zu kümmern. „Macht mir einmal Vorschläge und
redet mit dem Frohner, was man da machen kann.“
Und das muss schön langsam, so wie es durch den Melitta-
Filter tropft, zu dem geworden sein, was es jetzt ist. Das war
also sehr undramatisch. Dann war es ein Antrag. Aber ich
muss noch sagen, dass das Landesmuseum in St. Pölten von
mir ungefähr hundert Arbeiten besitzt, sehr viel grafische. Das
klingt nach irrsinnig viel, aber sie haben den Zyklus Metamorphosen
gekauft, das sind 49 Plakatübermalungen, sie haben den
Adalbert Stifter-Zyklus gekauft, das sind zehn große Arbeiten auf
Papier, damit ist man allein schon auf 60. Und der Dr. Rössl
hat, als das Landesmuseum noch in der Herrengasse in Wien
war, immer Sachen von mir gekauft, nicht nur für das Museum,
sondern auch privat, sein Vater auch. Es war also nicht nur
Interesse an einem Landeskünstler, sondern auch an einem
Künstler. Da ist mir auch viel lieber, als wenn er jetzt einen Auftrag
erledigt und sagt: „Wir haben etwas gekauft.“ Es ist schon
eine sehr lange Freundschaft.
H.G.: Wie ist es dazu gekommen, dass das Büro Göbl den Auftrag
für das Museum erhielt?
A.F.: Das ist ziemlich einfach erklärbar. Architekt Fritz Göbl
hat die Minoritenkirche zu einer Mehrzweck-Musikhalle, dem
Klangraum Krems umgebaut. Diese Halle, jetzt Forum Frohner,
die man mir angeboten hat, befindet sich in der Nähe der
Minoritenkirche, genauer gesagt: im Garten des ehemaligen
Minoritenklosters.
H.G.: War das ein Wettbewerb, den dein Vater (Architekt Fritz
Göbl, Anm.) gewonnen hat?
L.G.: Vor drei Jahren hat mein Vater, damals war ich noch nicht
dabei, da habe ich noch auf der Angewandten herumgekasperlt,
gemeinsam mit meinem Kollegen Alex Bolecek, der auch
Co-Entwerfer des Frohner-Museums ist, den Wettbewerb zum
Umbau der Minoritenkirche gewonnen.
A.F.: Am Minoritenplatz wird das Museum stehen. Wenn du
willst, kannst du das Bild haben. Das ist die Vorderfront, durch
die man hineingeht. Ein Glasgang führt in die Räume, die auch
dann zu mir gehören. Hier, in diese Patios, kann man Fontainen
platzieren …
L.G.: Das Büro Göbl hat also den Wettbewerb zum Umbau der
Kirche gewonnen. Es war zu diesem Zeitpunkt noch nicht so
klar, was man mit dem Kloster macht. Dann war die Idee, die
Niederösterreichische Festival-Ges.m.b.H., ein Museum über
die Handelsstadt Stein und eine Ernst-Krenek-Dokumentation
im Kloster unterzubringen. Das ist passiert. Und irgendwann
kam dann noch die Anfrage vom Dr. Rössl: „Habt ihr keinen
Platz für den Frohner in dem ganzen Museumsverband?“ Im
Teisenhoferhof wäre dies ja nicht möglich gewesen, denn, wie
du schon gesagt hast, in den alten kleinen Kammerln kommen
diese großen Werke nicht zur Geltung. Dann haben wir das
Ganze nochmals untersucht und im Klostergarten im Anschluss
an das zentrale Foyer einen Platz gefunden. Der Neubau
der Frohner-Halle ist nun axial zum Minoritenplatz und fügt
sich wunderbar in das alte Kloster ein.
H.G.: Wie wird dieses Museum aussehen? Wird das auch so eine
Ego-Architektur?
L.G.: Nein, sicherlich nicht. An dieser Stelle, in diesem Kontext,
geistig und historisch haben wir keinen Sinn in einer formalen
Überformulierung gesehen. Das Kloster ist ein sehr puristisches,
das haben ja die Minoriten erbaut, also ein Bettelorden.
Alles ist sehr einfach dort, um nicht zu sagen primitiv.
In diesem Sinne haben wir weitergedacht und gebaut. Die
Frohner-Halle ist eine Betonkiste, ein richtiger Bunker … Im
Innenraum haben wir großen Wert darauf gelegt, dass die Materialen
eine Nähe zu den Werken Adolf Frohners aufweisen.
Außerdem kommen eher primitive, im Museumsbau unorthodoxe
Materialien zum Einsatz. Zum Beispiel ist die Decke aus
Heraklithplatten, welche normalerweise im Tief- und Garagenbau
eingesetzt werden und sich durch ihre formale Nähe zu den
frühen Matratzenbildern vom Frohner auszeichnen. Der Beton
hat auch keine Sichtbetonqualität, der „schiache“ Beton passt
einfach besser zum Adi …
H.G.: Wann wird es fertig?
L.G.: Für Ende September ist die Eröffnung des Forum Frohner
geplant, weitere Teile des Projekts werden dann später eröffnet.
H.G.: Die Eröffnung ist schon 2007?
A.F.: Ja, aber das muss sein! Ich fahre nachher weg, ich habe
meinen Urlaub geplant.
H.G.: Wohin?
A.F.: Nach Sylt.
L.G.: Das kann an dieser Stelle festgehalten werden. Das wird
fertig!
H.G.: Wie ist die Auswahl der Bilder dort? Ist das eine Essl-Sache
oder eine Art Landesmuseum?
A.F.: Ich habe mich geweigert, das Wort Museum zu verwenden.
Museum ist ein Begriff der Spätbürgerlichkeit des 19.
Jahrhunderts. Da hat man halt immer wieder was Schönes, was
Statisches gesammelt und es in Räume gegeben und dann die
Tür zugemacht. Man konnte es besichtigen – und dann war es
tot. Ich will das Tote nicht, sondern ich möchte ein Museum,
das lebendig ist. Ein Museum hat man früher bekommen, wenn
man tot war. Nun versuche ich, das möglichst weit hinauszuschieben,
das Sterben. Und ich möchte, solange ich lebe, in
diesem Forum agieren. Ein Forum ist ein Platz, da kann man
alles machen – ich möchte zum Beispiel die Erstausstellung
sein. Grob ausgedrückt, aus jedem Dorf ein Hund, denn ungefähr
so viele Sachen haben sie. Dann stellt man vor: die Phase
des österreichischen Aktionismus, die Ablöse vom Aktionismus
zur Präfiguration, dann zur extremen Figuration, zur extremen
Kontaktaufnahme mit der Werbung. Wenn man früher einen
Kühlschrank verkaufen wollte, musste eine nackte Frau darauf
Ich will das Tote nicht, sondern ich möchte
ein Museum, das lebendig ist.
sitzen. Und ich habe gesagt: „Von meiner nackten Frau, die
darauf sitzt, wird nie jemand einen Kühlschrank kaufen“, also
sozusagen das Gegenmodell des Ganzen, weil ich gemerkt
habe, dass sich die Werbung eigentlich nach der Brieftasche des
Mannes richtet. Und dann habe ich gesagt: „Jetzt mache ich das
so, wie ich eben das verstehe.“ Das heißt, es ist Warenpornografie,
was da vorgeht. Alle diese Phasen in meiner Kunst, wie die
zu einer Art religiösen Mythologie kommen, werden am Anfang
vorgestellt. Und dann möchte ich etwa alle vier Monate das
wieder verändern, zum Beispiel die Nachfolgeausstellung, das
habe ich bereits ausgemacht. Wenn das im September anfängt,
dann gehen wir vielleicht im Februar eine Frühjahrsausstellung
an, die heißt Aktionismus und das Rundherum, informell
der Expressionismus, das informellste, das derzeit war, der
in Österreich nur kurze Zeit war, eine reine Ausstellung über
Aktionismus. Dann mache ich vielleicht etwas. Ich fotografiere
seit 50 Jahren Hauswände. Auf den Hauswänden findest du alle
Botschaften der Welt. Heute noch findest du am Stephansdom
„05“. Wer weiß, was „05“ bedeutet, weißt es du?
L.G.: Widerstand.
Foto: Wladimir Jeremenko-Tolstoj
A.F.: Ja, aber 0, das ist O, und 5 steht für E, also OE ist gleich Ö,
also Österreich. Wenn sie den erwischt hätten, der das hingeschrieben
hat, hätten sie ihn aufgehängt. Dann ist auch noch
das Maß eines Brotlaibes dort. Also die Botschaften der Welt
wurden immer auf die Hauswände geschrieben.
H.G.: Ja, überhaupt. Die Botschaften sind ja auch in der Architektur
gelegen, bis die Gutenberg-Bibel gekommen ist, die
das dann in Schrift übersetzt hat, der Architektur hat dies das
genommen …
A.F.: Wie die russische Besatzung, ich habe gefunden, auf
einmal kommt in unser lateinisches Weltbild das kyrillische
Schriftbild, und die Häuserzeichnungen waren ganz anders.
Ich wollte einmal ein Buch machen, wo ich sage: In Simmering
in der Hauptstraße Nummer 35 beim linken Kellerfenster gibt
es einen Léger zu sehen; wenn Sie einen Picasso sehen wollen,
fahren Sie nach Währing, den gibt es in der Gasse soundso. Ich
wollte so etwas aufbereiten: Dass es die Kunst jeder Zeit, wenn
man schauen kann, jederzeit zu sehen gab und gibt.
H.G.: Was ich noch sagen will, dieser Kontakt zur Architektur.
Ich bin heute am Westbahnhof gewesen und habe diese Arbeit
von dir mit meinem Handy fotografiert. Kannst du vielleicht
etwas zum Westbahnhof sagen?
A.F.: Schau, das habe ich in Russland fotografiert, das war einmal
ein Bild einer Kirche.
H.G.: Genau das waren die Inspirationen in meiner Jugend, von
den kleinen Kapellen in Kärnten, wo es genauso ausgeschaut
hat.
A.F.: Und davon habe ich viele. Ich würde gern einmal 100
Fotos, aber 100 ist eine blöde Zahl, also 99 Fotos in der Halle
ausstellen. Ein Maler betrachtet die Wand.
H.G.: Schön, es ist ja so, dass du wahrscheinlich dein Spektrum,
das in viele Epochen aufgeteilt ist, sozusagen hintereinander
zeigen kannst.
A.F.: Nachdem ich nicht so viel reden will, weil ich doch faul
bin…
H.G.: Dann rennt dir nichts weg, das habe ich schon gemerkt…
A.F.: Dann will ich euch zeigen, dass das, was du verlangt hast,
von mir jetzt gerade – schau, die verschiedenen Objekte, die
ich gemacht habe. Dinge, die nebenbei entstehen: das ist das
Haus für den Max Ernst, das ist Venedig im Waldviertel, das ist
die Annatant’ als Ikone, das ist ein weggeworfenes Bild, das ist
der Sessel für Joseph Beuys – all diese Dinge will ich auch als
Objekte zeigen. Aber du willst etwas anderes wissen. Schau, da
hast du den Westbahnhof und das, was ich dazu geschrieben
habe.
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Nr. 15/2007
H.G.: Aha, das ist beim Westbahnhof. Wer hat diese Stelen vorn
gemacht?
A.F.: Das weiß ich nicht, aber das ist ganz was anderes. Aber
das ist meine Arbeit, das gehört auch präsentiert. Dazu hat die
Spiegler was geschrieben, das hat sie blöd geschrieben, sie hat
geglaubt, es wird verglast, dabei wurde nur eine Glasbarriere
errichtet, damit nicht alle stinkenden Hunde und die Windeln
hinten liegen. Die Spiegler hat einen guten Artikel über die
Biennale geschrieben. Sie war einmal ein Liebling von mir. Ich
hatte eine Ausstellung im Kunstforum der BA-CA. Ich kannte
sie nicht, aber sie hat eine himmlische Kritik geschrieben. Und
dann habe ich mich bedankt und sie eingeladen, oder sie hat
mich eingeladen in ihr Elternhaus, und dann waren wir sehr
gut. Danach hatte ich eine Ausstellung in der Galerie am Stein.
Ich habe sie gezwungen, dort die Ausstellungseröffnung zu
machen – das hat sie gemacht. Warum sie jetzt so auf mich
hingehauen hat? Vielleicht hat ihr das der Herr Fleischhacker
befohlen? Was ich noch sagen möchte: Meine Lehrtätigkeit, die
sich doch über Jahre hingezogen hat …
H.G.: Es sind doch einige Leute aus deiner Tätigkeit als Professor
herausgekommen. Kannst du vielleicht ein paar Maler nennen,
die aus deiner Schule gekommen sind?
A.F.: Das werde ich nicht, ich werde niemanden bevorzugen. Ich
habe ungefähr 100 oder 150 Schüler gehabt. Ich muss ja nicht,
ich liefere Informationen – und ihr schreibt einen Blödsinn …
H.G.: Wir können keinen Blödsinn schreiben, denn es ist ja
authentisch. Was du sagst, ist drinnen. Das ist ja das Wesen
der Zeitung, dass wir nicht kritisieren und über dich schreiben,
sondern das festhalten, was ist.
A.F.: Diese Präservative in den Büchern sind ärgerlich.
A.F.: Da sind Texte über mich, da gibt es vorne Bilder von mir zu
sehen. Die Klasse, Tätigkeit des Lehrens …
H.G.: Das Bild ist schön.
A.F.: Nero hat da einen Text über die Lehrtätigkeit geschrieben,
das Lehren selbst, der hat mir ziemlich getaugt. Da ist der Text
Zeichen an der Wand, der ist wichtig. Da sind Bilder aus dem
Aktionismus.
L.G.: Wann war das?
A.F.: Was weiß ich, 1962.
H.G.: Was bist du für ein Jahrgang?
A.F.: 34er. Das geht bis zu den Kreuzigungsbildern, und hinten
gibt es auch noch ein paar Fotos. Das berühmte Foto, wo ein
schlimmer Bub an die Wand FUT schreibt – und dann kommt
der brave und macht AUTO daraus. Meine ganze Lehrtätigkeit
mit allen Gastprofessuren und Studenten sind drinnen. Von
den 150, die ich zum Diplom gebracht habe … Ich will nicht sagen,
dass ich allen 150 eine Chance gebe, aber ich nenne sicher
keine sechs, von denen ich sage, die schaffen es sowieso. Man
weiß nie.
L.G.: Seit wann bist du nicht mehr auf der Angewandten? Und
warum? Wie ich dort studiert habe, also noch vor zwei Jahren,
bin ich mit dir hin und wieder im Lift gefahren.
Diese Figur zu befreien von dieser historischromantischen
Vorstellung, dass Akt eine
schöne Frau, ein schöner Mensch ist – das
ist alles ein Blödsinn. Ein Mensch ist schön
oder nicht schön, aber wer das bestimmt, bin
sicher nicht ich.
A.F.: Seit 2005 im Grunde. Emeritiert habe ich natürlich schon
früher, musste ich ja, denn das geht ja bei uns gesetzlich.
Wenn ein Maler 68 ist, gehört er weg, ein Wissenschaftler
auch. Die wissen dann nichts mehr, die werden deppert, was
ein Schwachsinn ist. Bei den Medizinern ist das anders. Ich
kann mir vorstellen, dass ein Chirurg mit 82 nicht mehr so gut
operiert wie in jüngeren Jahren. Ich habe mich dann um meine
Klasse, die dann ausgeschrieben wurde, als Vertragsprofessor
beworben und habe die noch mal für drei Jahre bekommen.
Ich bin 2005 vollkommen ausgestiegen und habe kein Kammerl
dort. Ich verweigere auch jede Zusammenarbeit mit der
Schule, wenn mich Studenten fragen, denn ich dürfte ja noch
Diplome abnehmen – aber das mache ich nicht. Denn ich will
meine Nachfolgerin, Kandl heißt sie, nicht … Die hat jetzt zwei
Klassen und hat eigentlich gesagt, dass sie keinen Wert darauf
lege, dass die Studenten da wären, die sollen daheim arbeiten.
Ich will mich nicht in ihre Lehrmeinung einbringen. Ich weiß,
dass Kunst in der Form nicht lehrbar ist. Es gibt keinen Kanon,
von dem man sagen kann, das wird Kunst. Kunst kann auch
das Gegenteil werden von dem, was man glaubt. Aber ich sage
auch, dass die Lehrtätigkeit schon wichtig ist – und ich habe es
gern gemacht. Ja, ich habe es gern gemacht, erstens als Mensch,
der sich im 66/67er Jahr der reinen Körpermalerei zugewendet
hat. Ich wollte die Menschen darstellen, daher war für mich die
Herausforderung, Akte zu zeichnen, sehr wichtig. Denn ich
wollte sowohl das Aktzeichnen als auch das Museum aus dem
19. Jahrhundert rausreißen, dass man da in blöden Posen sitzt.
Und ich habe gesagt: „Ein Einbeiniger ist auch ein Akt, oder
einer mit einem Leistenbruch, der ihm bis zu den Knien hängt,
oder ganz dicke Frauen oder Frau und Kind.“ Wie interessant
ist es zum Beispiel, einen dicken Menschen auf eine Glasplatte
zu legen und von unten den Umriss zu machen? Das kann ein
Walfisch sein, das kann ein Seehund sein, das kann alles sein.
Diese Figur zu befreien von dieser historisch-romantischen
Vorstellung, dass Akt eine schöne Frau, ein schöner Mensch
ist – das ist alles ein Blödsinn. Ein Mensch ist schön oder nicht
schön, aber wer das bestimmt, bin sicher nicht ich.
Es geht eben in der Kunst darum,
sich selbst zu entdecken. Wer bin ich?
Ich weiß ja nicht, wer ich bin.
L.G.: Deine Palette ist sozusagen offen: Es gibt keine vorgefasste
Meinung, sondern die menschlichen Erscheinungen werden in
allen ihren Facetten dargestellt, egal, ob jemand schön ist oder
„schiach“ …
A.F.: Zum Beispiel die Frau vom Brus, wie er sie gemalt hat, das
Pelzchen, mit Krampfadern. Die hat Besenreißer, wie man sagt,
die hat alle Krankheiten … und ist schön. Und war die Maria
Theresia schön? Die hat 140 Kilo gehabt.
H.G.: Die hat wirklich 140 Kilo gehabt?
A.F.: Oder 130, aber jedenfalls konnte sie sich zum Schluss nur
mit einer Art Flaschenzug im Bett aufrichten, und war schön.
H.G.: Mich interessiert noch, wie du die Wien-Situation im Moment
siehst, in diesem neuen Europa, die Jetzt-Situation.
A.F.: Wie ist Europa zu sehen?
H.G.: Das ist ja die Frage.
A.F.: Die ist auch gar nicht so leicht zu beantworten. Ich weiß
eigentlich gar nicht, was das neue Europa ist.
H.G.: Dass du zum Beispiel nach Ungarn fahren kannst ohne
deinen Pass, dass du in Italien mit Euro bezahlen kannst. Es
gibt ein paar Bequemlichkeiten …
A.F.: Das ist mir zu blöd, zu simpel. Ich habe vor 20 Jahren in
Moskau eine Riesenausstellung gehabt. Und wie sie gesagt
haben, das sei nicht schön, das sei gar nicht schön, habe ich
gesagt: „Das ist die Antwort auf eine Art Kapitalismus, den ich
euch wünsche. Dann könnt ihr mich kritisieren, vorher wisst
ihr einen Dreck darüber.“ Das heißt: Ihr habt mein Werk nicht
zu kritisieren, sondern ihr könnt es als Ganzes ablehnen – oder
als Ganzes stehen lassen. Ich habe nur einen einzigen Einwand
gehabt. Da gibt es die Frau des Ikarus, die hat es nicht gegeben,
aber ich habe sie erdichtet. Der Ikarus ist runtergefallen, weil er
zu sehr an die Sonne gekommen ist und die Flügel geschmolzen
sind, die Frau ist auch hinuntergefallen. In der Zeit der
Sowjetunion ist niemand hinuntergefallen, sondern die haben
es verkehrt gehängt, die haben sie hinauffahren lassen. Ich
habe gesagt, dass ich gleich fahren würde, wenn sie zensurieren
würden. Dann haben sie es geändert.
H.G.: Das muss so um 1985 gewesen sein.
A.F.: Ja, vor Antonow, oder ich weiß nicht, wie der geheißen
hat, der Staatschef da. Und einer reiste aus Leningrad zu der
Ausstellung nach Moskau an, der sprach Deutsch und hat mir
erzählt, er habe noch den Lenin gekannt. Sage ich: „Na fein.“
Und da sagt er: „Aber was Sie machen, ist nicht schön.“ Ich
frage: „Was heißt ‚schön‘ auf Russisch?“ „Krasnoj“, sagt er. Sage
ich: „Ja, ‚rot‘ heißt das auch.“ Na, „krasnij“, die Rote Armee
ist auch zugleich die schöne Armee. Und da habe ich gesagt,
wir Revolutionäre würden immer rot malen. Es ist der gleiche
Wortstamm: „krasiwo“ – „krasnij“. Ich habe mich durchgesetzt,
bin dann auch eingeladen worden, drei Wochen mein Leben in
der Sowjetunion zu gestalten.
H.G.: Und hast du das gemacht?
A.F.: Mein Sohn hat zu der Zeit gerade Forstwirtschaft studiert
und hat gesagt, dass er gern nach Sibirien möchte und den Permafrostboden
studieren wolle. Die erste Reise, die genehmigt
wurde, war die nach Sibirien. Ich war in Irkutsk. Da war man
wieder sehr nett zu mir, man hat mir einen Irkutsker Maler
vorgestellt … Ich war dann 14 Tage auf einer Insel, da haben
sie mich ausgesetzt gehabt: mit einem Malerfreund, mit einer
Dolmetscherin, mit einem Koch, der alles mitgehabt hat, damit
wir kochen konnten, und mit einem Taiga-Führer. Wir sind mit
einem Boot auf eine kleine Insel gefahren. Sie sind draufgekommen,
dass sie den Schlüssel im Bus vergessen haben, dann
habe ich mal russisch aufgesperrt. Wir haben dort gelebt, es war
wunderschön. Wir sind jeden Tag in die Banja gegangen, haben
am Abend gesungen, gesoffen. Als wir dort weggefahren sind,
haben die Russen geweint und wir haben geweint. So war’s.
H.G.: Vielleicht können wir dein letztes Bild, was du jetzt
machst, den letzten Stand deiner malerischen Tätigkeit auch
noch ein bisschen beleuchten.
A.F.: Da müssen wir nach unten gehen, ich habe da auch noch
ein Atelier.
L.G.: Dann gehen wir runter und machen ein Foto von deinem
letzten Bild.
A.F.: Dann packt es ein und …
H.G.: Nein, wir wollen ja noch den Wein austrinken. Aber ich
glaube, wenn wir das jetzt so schreiben, bin ich zufrieden – es
ergibt ein Bild, das fließt so schön dahin.
A.F.: Hier, in diesem Buch, da steht alles drinnen, was Kunst
sein kann, aber ich definiere Kunst nicht. Ich habe es auch den
Studenten nicht gesagt. Ich habe ihnen schon etwas gesagt:
„Ihr müsst vorgehen wie Kriminologen. Wenn ein Kriminologe
irgendein Verbrechen entdecken muss, nimmt er zuerst Fingerabdrücke.
Denn der Fingerabdruck ist bei jedem Menschen
unterschiedlich, so viele es auch auf der Welt gibt und schon
gegeben hat. Das ist mein Fingerabdruck, der ist nicht übertragbar,
nicht übersetzbar, der gehört mir.“ Und ich habe den Studenten
gesagt: „Wenn ihr euch entdecken wollt, dann schaut,
dass ihr in der Kunst euren Fingerabdruck hinterlässt. Das ist
genug, das ist nicht das Hohe, Hehre, Schöne, Moralische oder
Unmoralische, das ist alles ein Blödsinn. Die Kunst war und
wird sich durch deinen Fingerabdruck äußern. Wenn du ein guter
Künstler wirst, hast du einen starken Fingerabdruck, wenn
du ein schwacher bist … Aber spekuliere nicht, schau nicht nach
bei anderen, was ist gerade in, was wird getragen, was ist kompatibel.
Spekulieren ist Scheiße in der Kunst.“
H.G.: Okay, das ist ein super Abschluss.
A.F.: Es geht eben in der Kunst darum, sich selbst zu entdecken.
Wer bin ich? Ich weiß ja nicht, wer ich bin. Ich wusste nichts,
als ich vom Land kam, als man mich durch alle möglichen
Stationen des Lebens geschleust hat. Ich war zuerst im Kloster
Stift Zwettl als Sängerknabe, ich war dann bei den Piaristen
in Krems, bin dann nach Wien gekommen, immer mit dem
Wunsch, Maler zu werden, nur was das ist, wusste ich ja nicht
wirklich. Ich weiß nur, dass ich die Nachbarskinder gut zeichnen
konnte, das prädestiniert mich nicht. Ich glaubte, das ist
es schon, aber das hat man dann sehr schnell gesehen an der
Kunstakademie. Ich wusste nicht einmal, was ein Passepartout
ist. Ich habe mich regelrecht disqualifiziert.
H.G.: Unsere Zeitung ST/A/R steht für Städtebau, Architektur
und Religion. Zur Religion hast du eh einiges zu sagen, das
sieht man.
A.F.: Natürlich, ich male ja nur religiöse Bilder. Das ist die hl.
Katharina von Siena. Weißt du was über sie? Ich kläre dich auf:
Die hl. Katharina von Siena war eine Nonne und hatte Epilepsie.
Sie hat in jungen Jahren, wie die Pest in der Gegend war,
aus Liebe zu Jesus den Pestkranken jeden Tag die Wunden
ausgeschleckt. Das ist eine rein sexualpathologische Geschichte.
Sie hat sich dann mit dem Papst angelegt und sich dann in
eine Zelle eingemauert und sich, grob ausgedrückt, zu Tode
geschissen in jungen Jahren. Das Bild heißt Katharina von Siena
in Ekstase. Natürlich nehme ich Themen aus dem religiösen
Bereich, dahinten habe ich zum Beispiel Maria Himmelfahrt
stehen, oder Maria Magdalena nimmt den toten Jesus vom Kreuz,
ihren Freund. Aber das ist natürlich meine Interpretation. Das
Bild zum Beispiel heißt Die Kopflust.
Wer bin ich?
Städteplanung / Architektur / Religion
Buch VIII - Forum Frohner ST/A/R 57
Adolf Frohner, Ohne Titel, 1961; © Niederösterreichisches Landesmuseum, St. Pölten; Schenkung Frohner
‘ Zufälle, die ich provoziere’
Adolf Frohner im forum frohner der Kunsthalle Krems
30. September 2007 – 24. Februar 2008
Die Erstausstellung „Zufälle, die ich provoziere. Adolf Frohner im forum frohner der
Kunsthalle Krems‘ zeigt Werke von Adolf Frohner, die er selbst als Schenkung eingebracht
hat. Es lag nahe, nach Durchsicht und Vergleich der Werke mit anderen Arbeiten des
Künstlers, genau diese Schenkung zu zeigen, da der Künstler offensichtlich mit seiner
Großzügigkeit gedacht hatte, die Werke seien ideal für eine Frohner-Präsentation im neu
gegründeten Forum, da sie den Künstler in seiner facettenreichen Entwicklung spiegeln.
Die Ausstellung folgt diesem „Wunsch“ des Künstlers und dokumentiert zugleich die
fruchtbare Zusammenarbeit zwischen der Privatinitiative des Künstlers und der öffentlichen
Hand zugunsten des Publikums. Der Kosmos Frohner spiegelt unser Leben auf
vielfältige Weise wider. Das Werk von Adolf Frohner spricht vom Individuum, seinen
Verführungen, seinen Vorurteilen, seinen Energien, seinen Begierden, seiner Gier, seiner
Verführbarkeit, seiner Politik und Politikabhängigkeit, seinem barocken Lebensgefühl,
seiner Sinnlichkeit und Geistigkeit, seiner Verwurzelung und Esoterik, seinem Handeln
und Hoffen.
Da Frohner nie eine Nische für seine Kunst gesucht hat, in der er sich ruhig ausruhen
konnte, garantiert sein Œuvre Reflektionen in der Zukunft, die immer wieder werkspezifisch
sind und sich zugleich von diesem Œuvre völlig abheben können.
Das Ausstellungsprogramm des forum frohner wird von Prof. Dieter Ronte, dem langjährigen
Freund und Wegbegleiter Adolf Frohners, geplant – 2007 als Kurator, ab dem Jahr
2008 als künstlerischer Direktor. Prof. Ronte ist in der glücklichen Situation, auf zahlreiche
Gespräche mit dem Künstler, die eine künftige Programmierung des Forums zum
Inhalt hatten, zurück zu blicken und diese Überlegungen nun realisieren zu können.
58 ST/A/R Buch VIII - Forum Frohner
Nr. 15/2007
Adolf Frohner, Amux, 1963
© Niederösterreichisches Landesmuseum, St. Pölten
Schenkung Frohner
Nr. 15/2007
Buch VIII - Forum Frohner ST/A/R 59
Adolf Frohner, Das Bildnis des Künstlers in jungen Jahren in der Manier des Piero della Francesca, 1976
© Niederösterreichisches Landesmuseum, St. Pölten
Schenkung Frohner
Städteplanung / Architektur / Religion Buch VIII - Forum Frohner
ST/A/R 61
Adolf Frohner, Nijinskys letzter Tanz, 1990
© Niederösterreichisches Landesmuseum, St. Pölten
Schenkung Frohner
ich bin ein anderer
“ich bin ein Anderer”
Arthur Rimbaud
Adolf Frohner, Posieren im Atelier, 1990,
© Archiv Adolf Frohner
62 ST/A/R Buch VIII - Forum Frohner
Nr. 15/2007
Adolf Frohner, Hommage für Hermann Nitsch, 1984
© Niederösterreichisches Landesmuseum, St. Pölten
Schenkung Frohner
Nr. 15/2007
Buch VIII - Forum Frohner ST/A/R 63
Adolf Frohner, Kybele, 1966
© Niederösterreichisches Landesmuseum, St. Pölten
Schenkung Frohner
64 ST/A/R Buch VIII - Forum Frohner
Nr. 15/2007
Biographie
12. März 1934 – 24. Jänner 2007
1934 12. März: Adolf Frohner wird in Groß-Inzersdorf in Niederösterreich geboren
1946 Besuch des Gymnasiums des Zisterzienserstifts Zwettl
1948 Besuch des Piaristengymnasiums in Krems (bis 1952)
1952 Übersiedlung nach Wien
1953 Frohner besucht eine Fachschule für Wirtschaftswerbung (bis 1955)
1954 Gasthörer an der Akademie der bildenden Künste in Wien, besucht den Abendakt
bei Herbert Boeckl; als Künstler ist Frohner Autodidakt
1955 Frohner arbeitet als Werbegrafiker beim Verband der Elektrizitätswerke (bis 1959);
nach autodidaktischen Malereien, orientiert an Paul Cézanne, Pablo Picasso, Juan
Gris, Fernand Léger, Oskar Schlemmer und Paul Klee, kommt Frohner zur frei
gestikulierenden Malerei, dem Tachismus sowie der Aktionsmalerei – nun so
genannt nach dem Aktionismus, in den sie später mündet
1999 Leiter des Instituts für bildende Kunst an der Universität für angewandte Kunst in
Wien (bis 2004)
2002 Emeritierung als Institutsvorstand am Institut für bildende Kunst an der Universität
für angewandte Kunst in Wien; Frohner ist als Emeritus weiterhin Teil
des Lehrkörpers und betreut die Meisterklasse für Malerei weitere drei Jahre (bis
2005)
2007 19. Jänner: Gemeinsam mit dem Niederösterreichischen Landeshauptmann Erwin
Pröll erfolgt der Spatenstich zum forum frohner, ein Neubau im Gebäudekomplex
des neu adaptierten ehemaligen Minoritenklosters Krems-Stein; 24. Jänner: Adolf
Frohner stirbt völlig unerwartet; 29. September: Eröffnung forum frohner
1959 Frohner ist als Kunstkritiker für zwei ideologisch gegensätzliche Zeitungen tätig:
Volksblatt und Volksstimme, in der Volksstimme unter dem Pseudonym Georg
Hart
1961 Frohner arbeitet als freier Maler und Grafiker; UNESCO-Stipendium für Paris,
veranlasst durch Herbert Boeckl; Frohner knüpft dort Kontakte zur Gruppe „Nouveaux
Réalistes“ um Pierre Restany
Adolf Frohner mit Park Seo Bo am Grab
von Vincent van Gogh, Auvers-sur-Oise, 1961;
© Archiv Adolf Frohner
1962 Dreitägige Einmauerung
zusammen mit Otto Muehl und Hermann
Nitsch; diese führt zu Schwierigkeiten
mit den Behörden sowie mit
Zivilpersonen; ab diesem Zeitpunkt
spricht man vom „Wiener Aktionismus“;
nach der Einmauerung verweigert
Frohner jede Art eines bürgerlichen
Berufs
1964 Auftrag der Gemeinde Wien
für 16 Sgraffitoflächen für eine städtische
Wohnhausanlage in Wien
1967 Teilnahme an der Biennale
des Jeunes Artistes in Paris (gemeinsam
mit Walter Pichler und Richard
Kriesche); nachdem Frohner das Bild
„Die Flucht“ Jean Dubuffet widmet,
kommt es zur ersten Begegnung der
beiden; ein reger Briefwechsel und
zahlreiche Besuche sind die Folge
1969 Frohner nimmt an der Biennale
von São Paulo teil, die ihm große
internationale Beachtung bringt
1970 Personale auf der Biennale
von Venedig (21 großformatige Ölbilder);
ab diesem Zeitpunkt kommt es
zur Zusammenarbeit mit renommierten
Galerien
1972 Berufung als außerordentlicher Hochschulprofessor für Aktzeichnen an die Hochschule
für angewandte Kunst in Wien; Austritt aus der Künstlervereinigung Secession
und Präsident der neu gegründeten Gegensecession, die von der Vereinspolizei
wieder aufgelöst wird, da sie völlig untätig ist und nicht einmal „Amtsbriefe“
beantwortet
Adolf Frohner mit Peter Handke im Atelier, Wien, 1992,
© Photozentralwerkstätte, Hochschule für angewandte Kunst, Wien
ars longa vita brevis
ars longa vita brevis
Ausstellungen (Auswahl)
1997 Galerie Raab, Berlin; Halle K, Hamburg; Frauenburg, Baden bei Wien;
Max-Planck-Institut, München
1998 Galerie Sikoronja, Rosegg; Cselley-Mühle, Oslip; Kleiner Kunstpalast,
Meran
1999 Schloss Ulmerfeld, Niederösterreich; Galerie Medium, Bratislava
2000 Puppentheatertage, Mistelbach
2001 Kunstforum, Wien; Von der Heydt-Museum, Wuppertal; Landesmuseum
Schleswig-Holstein; ORF-Landesstudio Niederösterreich; Galerie
Weilinger, Salzburg; Galerie am Stein, Schärding; Galerie Hofstätter,
Wien
2002 Schloss Gabelhofen, Fohnsdorf; Galerie Eberstaller, Gols
2003 Galerie Glacis, Graz; Galerie 12, Innsbruck; Galerie Fichtegasse 1, Wien;
Kulturkreis Burgenland, Rust
2004 NÖ Landesmuseum, St. Pölten
2007 forum frohner der Kunsthalle Krems
1976 Frohner wird Ordentlicher Hochschulprofessor an der Hochschule für angewandte
Kunst in Wien; Mitglied der Hörer- und Sehervertretung und des Kuratoriums
im ORF für die Sparte Kunst (bis 1980); Auftrag für zwei Wandbilder für das
Internationale Zentrum (UNO-City) in Wien; Besuch bei Guyla Halász Brassaï in
Paris
1979 Leiter der Abteilung Allgemeine Kunstlehre und Kunsterziehung an der Hochschule
für angewandte Kunst in Wien (bis 1981)
1985 Frohner wird Leiter der Meisterklasse für Malerei an der Hochschule für angewandte
Kunst in Wien
1987 Leiter der Abteilung Bildende Kunst an der Hochschule für angewandte Kunst in
Wien (bis 1999)
1989 Stellvertretender Rektor an der Hochschule für angewandte Kunst in Wien (bis
1991)
1990 Öffentlicher Auftrag für den Brunnen vor dem Bundesamtsgebäude im 19. Wiener
Gemeindebezirk
1993 Auftrag der Wiener Linien zur Gestaltung einer 40 Meter langen Wand in der U-
Bahnpassage am Wiener Westbahnhof: „55 Schritte durch Europa“
1995 Wandbild am Flughafen Wien-Schwechat: „Der ewige Traum vom Menschen“
1996 Prorektor an der Hochschule für angewandte Kunst in Wien
1998 Ordentlicher Universitätsprofessor für Malerei an der Universität für angewandte
Kunst in Wien
Adolf Frohner mit Heinz Fischer
© Foto Mayr, Wien
Buch IX - Literatur ST/A/R 65
LITER
Städteplanung / Architektur / Religion
Anselm Glücks Sterne, die kaum Platz einnehmen, eine Märchenbearbeitung von Lisa Spalt,
ein bisschen virtuelle Gymnastik von Gerhard Rühm, ein paraontologischer Zwischenfall
von Michael Arenz, weitere Pariser Passagen von Bettina Galvagni, eine Stadt im Konjunktiv
ATUR
von Reinhard Kaiser-Mühlecker & permanentes Blauzeug von Angelika Reitzer & Horst Stein.
Venezianische Skizze
Dieter Sperl
Schon die ganze Zeit über habe ich das
Gefühl, mich in einem Traum oder gar in
einem anderen Bewusstsein zu befinden,
obwohl alles, was passiert, meinen
Alltagserwartungen entspricht. Auch hier in
Venedig: die engen Gassen, der scheinbar
nicht enden wollende, Sprachfetzen und
Lachsalven ausspeiende Strom von Touristen,
auf der Piazza San Marco die beliebten
Tauben auf den ausgestreckten Händen
der von überall her angereisten Besucher.
Es drängt mich manchmal förmlich dazu,
einen der Fremden zu berühren, nur um
herauszufinden, was in einem solchen
Fall passiert. Denn die Menschen wirken
unheimlich mit ihren mitgebrachten und
an den Gesichtern leuchtenden Sorgen,
ihren verhüllten Plänen und flammenden
Begeisterungen in den Augenwinkeln. Je
näher sie mir körperlich kommen, desto
deutlicher kann ich diese sehen. Zugleich
bin ich enttäuscht, weil ich den gewaltigen
Aufwand, der nötig gewesen sein musste,
diese Stadt zu erbauen, überhaupt nicht
spüren oder teilen kann und nur ein
betretener Tourist bin, der sich an den
hervorspringenden und gleichzeitig
zurückhaltenden Attraktionen betört.
Manchmal, wenn eine Möwe ganz knapp über
dem Canale Grande fliegt, um sodann in die
Lüfte abzuheben, frage ich mich, ob diese
Tatsache von der selben energetischen Art ist,
wie wenn jemand bei der Rialto Brücke, in
der dortigen Bar, einen Espresso trinkt, wenn
ein Kind am Lido mit seiner Plastikschaufel
eine Sandburg baut oder ich einen Satz
forme. Zuweilen scheint es mir, als ob ich
selber ununterbrochen diese fast exzentrisch
geisterhafte Welt hervorrufen würde. Und
dies alles begann damit, dass ich, an einem
Junimorgen vor beinahe zwanzig Jahren, mit
dem Vaporetto numero uno zum Lido fuhr
und, obwohl allein reisend, mich beschwingt
im Glitzern des Meeres aufgehoben fühlte.
Aber von einem Augenblick auf den anderen
sah ich mich plötzlich als Ertrinkenden. Es
war dies eine heftige und schonungslose
Impression. Ich versank immer tiefer und
tiefer in der unbeschränkten Stille des
Meeres, dabei mit aller Kraft um mein Leben
kämpfend. Mitten in diese für mich jetzt
noch sichtbare Empfindung hinein - eine
Mischung aus zunehmender Dunkelheit
und hektischer, aber grenzenlos langsamer
Bewegung - erkannte ich absolut klar, dass
Glück und Grausamkeit nicht voneinander
trennbar waren (und auch ich war ein Teil
davon), zugleich jedoch waren sie auch völlig
eigenständige, ihren selbst erzeugten Regeln
entsprechende Wesenheiten. Diese Erkenntnis
hatte nichts Beseligendes an sich. Sie war
kalt und warm, und ich fühlte mich in der
Tat universell einsam und aufgehoben: Als
ob sämtliche Motivationen, die mein Leben
zuvor beherrscht und vorangetrieben hatten
mit einem Male innehielten. Ein Gefühl
absichtsloser Freude stellte sich ein und
machte mich weinen. Ich weiß nicht mehr,
wie lange ich so auf dem Vaporetto saß.
>> sperl@star-wien.at
Schriftwechsel
66 ST/A/R
Buch IX - Literatur
Nr. 15/2007
Sterne, die kaum Platz einnehmen
Anselm Glück
DU
Man befindet sich auf Urlaub und fährt mit einem Schiff auf eine
Insel. Man zieht sich aus und geht zu Bett und denkt, zu Hause ist
jetzt Mittagszeit. Im Schlaf grübelt der Kopf noch lange darüber
nach, und gleich nach dem Frühstück wartet man auf den ersten
Einfall und führt ihn fehlerfrei aus. Man sitzt am Strand. Die Insel
ist in der Mitte zu einem Hügel gewölbt, und wir gleiten auf Rädern
den Abhang hinunter. Erst ganz unten bremst uns das Meer. Den
Kopf vorgebeugt, in die Tiefe, beginnen unsere instinktgeleiteten
Arme zu rudern, und wir tauchen im Nu mit nur leichten
Schürfwunden auf
Ein Hund hat viele Eigenschaften und wird uns im Lauf der Zeit
zugunsten mehrerer Merkmale bekannt. Bald erfüllt er eine
praktische Funktion. Er wird Teil unseres Alltags, steht vor dem
Haus und hält Wache. Wenn er bellt, scheint etwas nicht zu
stimmen, und wenn er beißt, hat er sich nur gewehrt. Wir treten
nach draußen, und im allgemeinen Durcheinander entwickelt sich
ein Streitgespräch, das sich bald auf Schimpfworte und dann nur
noch auf Tritte beschränkt. Die Rettung kommt, und um genau zu
sein, kommt auch die Polizei. Der Verletzte liegt anschaulich in
seinem Blut. Er röchelt und bringt übersichtlich den gewährleisteten
Tathergang zu Protokoll. Wir stopfen ihm noch einmal das
Maul, aber die Uniformierten schränken zunächst unsere
Handlungsfähigkeit ein, dann führen sie uns ab und schießen
darüberhinaus auch noch den Köter über den Haufen
Auf einer Bahnfahrt stieg einmal eine Frau zu. Sie wurde von allen
besichtigt, und zwei Stunden später entwickelte ich im Speisewagen
unser erstes Gespräch. Ich konnte vor Schmerzen kaum sitzen
und obendrein war es mir lästig, daß der gesamte Nachbartisch
mithörte, also war es kein Wunder, daß mein erster Eindruck
mäßigem Gefallen nicht wirklich nahekam. Schließlich stand sie
auf und verschwand. Sie verpatzte sich dadurch endgültig mein
Gesamturteil, und einwandfrei negativ beglich ich kurzangebunden
die Rechnung
Völlig überraschend rief der Kuckuck schon wieder. Wir konnten
ihn deutlich hören. Er hing direkt über uns und versetzte uns
einmalmehr in Staunen. Die verfertigten Stunden wurden als
künstliches Maß in den Tag gestopft, und wir begriffen, wie
schnell alles geht. Zum Beispiel bleibt auf einmal die Uhr stehen.
Etwas klemmt im Kasten. Die Zeiger verharren, und der Kuckuck
verstummt. Endlich kommt ein Fachmann. Die ganze Uhr wird
bedeutsam auseinandergenommen, und er schaut sich alles in Ruhe
an. Es heißt, die Zeit enthält ihre Meßbarkeit, der Kuckuck aber
wird ihr von uns aufgezwungen
Der Schnee versucht die Fenster einzudrücken, der Hund kommt
hinter dem Ofen nicht mehr hervor, und ich bin auch schon so gut
wie nicht mehr vorhanden. Die Dämmerstunden gehen ineinander
über. Der Mond steht still über im Eis verwurzelten Bäumen.
Die Stubentür geht auf, und das Gesicht des Nikolo leuchtet. Der
Krampus streckt die Zunge heraus. In schöne Gedanken vertieft
sitzt die Schwester bei Tisch und tut nüsseknacken. Am Morgen
ragen Eisschollen ins Zimmer, und die Landschaft taut erst zu
Ostern wieder auf
Mitten auf der Rudolfinaredoute warf sie sich kopfüber in den
Klang der Musik, um im Tanz ihr Leid zu vergessen, doch schon
nach kurzer Zeit ekelten sie fröhliche Gäste aus dem Saal. Unter
einer Eisdecke rollte die Donau dem Schwarzen Meer zu, und
Schneeflocken legten leicht den Weg zwischen Himmel und Erde
zurück
Draußen wurde die Erde hart, und Schnee bedeckte die Pflanzen.
Im Schutz des Vordachs hielt ich Ausschau und rauchte und
trank. Im Schnee stand ein Hund herum. Er wälzte sich und
war schrecklich einsam. Er beschnüffelte einen Baum, und ich
schlüpfte im Zimmer unter die Decke zurück
Die Stadt erstreckt sich von Haus zu Haus, und durch alle Gassen
schallt ein Jubel. Der Menschenstrom grüßt seine Herrn. Manche
schrecken empor und erkennen sich im Vorübergehen nicht wieder.
Mühsam erscheint auf der Tribüne der Landeshauptmann. Wir
brüllen ohne Unterlaß. Das Volk bettelt, und die Führer winken
Später breitete ich meine goldenen Flügel aus und flog umher.
Unter mir lag die ganze Welt. Ich zog sie zum Fenster herein und
ging mit ihr durch die Stube. Meine Werktagskleider nahmen sich
auf einmal ungemein schmuck aus, und schon kam eine Dame des
Weges und nahm ungeniert Platz. Im Nu verrutschte ihr Höschen,
aber aus Empfindsamkeit rückte ich es ihr wieder zurecht
Unmittelbar vor dem Haus stand ich in der Dunkelheit und nach
alter Sitte rief ich gegen die Berge und lauschte dann verzückt dem
über mich hereinbrechenden Echo
Sterne, die kaum Platz einnehmen und sich mit einem Handgriff
falten lassen, werden durch eine Seitenwand in den Himmel
geschoben und später von auf- und untergehenden Zivilisationen
entdeckt und wiederentdeckt, etwa als Gruß, oder auch als Trost,
oder als Andenken, zum Anschauen, oder auch zum Aufziehen
Glitzernde Ringe, jungen Damen auf die Finger gesteckt,
sollten geordnet und stilvoll von unserer Liebe künden, und
zusammengefügt gleiten wir dann durch die Wunderländer unserer
Träume, an beiden Seiten mit bunten Einkaufstüten versehen
Zum Jahreswechsel ist man gern zusammen. Man freut sich
auf allerlei Überraschungen und hofft, daß es klappt. Manche
Begleiterin seufzt, muß schließlich aber anerkennen, daß das
Trinken den Hauptteil der Unterhaltung ausmacht. Ein paar andere
Vorschläge haben dadurch bestenfalls für nur ein paar Sekunden
Wichtigkeit. Immerhin, ein kleines Geschenk, gerne bereitgehalten,
verrät von unserem Überfluß und von der herzlichen Bereitschaft,
etwas davon abzugeben. Allerlei magische Zeichen deuten darauf
hin, daß auch das neue Jahr spannend wird, mit einem Blick auf
die Uhr, in nicht ganz zwei Stunden begonnen werden kann.
Nach einem gemeinsamen Pfänderspiel bekommen alle einen
Lachkrampf. Aus dem Radio dringt Tanzmusik
Was für einen vergnügten Anblick ich heute wieder im Spiegel
vorfinde. Auf meinen breiten Schultern sitzt ein markanter Kopf
und bohrt zwei harte Blicke in sein Gegenüber. Der mächtige Bart
reicht von der Stelle, wo das Gesicht aufhört, bis tief über den
Brustkorb hinunter, und dort, wo die Arme sein könnten, hängt an
je einer Schlinge gut sichtbar je ein Gipsverband, auf den, wenn
es ihnen Spaß macht, gute Freundinnen ihre Telefonnummern
schreiben können. Mit Krepppapier umwickelt reckt der Hals
geschickt das Gesicht vor, und darunter ist mein cremefarbener
Frisierumhang zu sehen
Seht, da kommen die Berge. Sie laufen eilig zum Fluß, und hinter
der Tür lauschen wir still, während die Fenster als Spiegel durchs
Haus rollen. Sie hechten sich auf den Tisch. Im Kochtopf liegt das
Abendbrot, aber in dem Moment kippt die Tischplatte hoch und mit
den Händen nachgeahmt, erleben wir einen riesen Schreck
Es heißt, der Kaiser habe schon wieder einen Smaragd verschluckt,
das ist aber sicher übertrieben. Außerdem sind wir davon überzeugt,
dass er ein Genie ist, und viele halten ihn obendrein auch noch für
einen passablen Erfinder. Singt er selbstgedichtete Balladen, was,
unter uns gesagt, zum Glück nicht mehr oft vorkommt, werden
Tribünen aufgebaut, damit wir Platz nehmen und applaudieren. Zu
später Stunde werden am Kaiser diverse Orden befestigt. Tröge, an
Ketten mit gegenläufigem Gewicht, überschütten ihn mit Gold
Der Mann auf dem Dach ist ausgerutscht und fällt im Moment noch
immer
Anselm Glück, geboren 1950 in Linz. Lebt in Wien.
Nr. 15/2007
Buch IX - Literatur ST/A/R 67
Die Märchenwelt der Gebrüder Grimm hat längst Einzug
gehalten in die Märchenproduktion der Managementund
Marketingseminare. Vom „Mehrwert“ der Märchen
profitieren jenseits der Forschung und Liebhaberei all
jene, die sie als potenziell wahr zu machende Lifestyles
perfekt zu inszenieren verstehen: als Karotte vor der
Nase dauerknabbernder Konsumierenden. Lisa Spalts
Aneignung bekannter Märchen – Rapunzel, Froschkönig,
Schneewittchen, Märchen vom Machandelbaum
– versteht sich als Planspiel, in dessen Verlauf ein
Gedankengang sich an der Materialität von Second-
Mouth-and-Hand-Sprache ebenso reibt und entzündet
wie an realen Gegebenheiten und der Suche nach
Lebens-Anweisungen. Das verwendete Sprachmaterial
stammt vor allem aus der Werbung, ist oftmals
Wegwerfsprache, manchmal nur für einen TV-Clip
geschaffen.
GRIMMS
Ca. 112 Seiten, brosch. ISBN 978-3-85415-413-6
Euro 13,90; erscheint bei Ritter im Herbst 2007
aus:
Sinn und Bettbezug
Lisa Spalt
nach dem Märchen Rapunzel
Was für eine vollendete Anfängerliebe, dieses Gefühl, das ich
auf Sie beziehe! Das Gefühl, das ich auf Sie beziehe in diesem
Übergangsbewusstsein hier, diesem Zopfwort, von dem eine
Vorstellung zu haben ich mir gar nicht erst erlauben will:
Denn vollendet sich nicht im haarigen Bild für die im Knoten
(aufgehoben) wirkende Faser jene, bisher nicht gewusste Phase,
über welche Zeit hinweg wir einander versprochen waren? Waren
wir nicht, nichts ahnend, liiert durch das Zeitstrecken-Synonym
der Lunte hindurch, verschweißt zum – an s Nirwana des Happy
End – sich verlierenden roten Faden? Verwendeten wir nicht,
uns versprechend, dieselbe Wendung vom signalroten Glühen
heiß gelaufener Kabel, stehen (auf Draht) in Verbindung, zwei
Boten des Glücks in ein und demselben, stets zur Begrenzung
tendierenden Begriff? Sind wir nicht verbunden in der, Ihnen
hier vorgetragenen Rede vom ewigen Feuer unserer auf ganz
andere Weise ebenso ewigen Liebe, in der Infra-Brater-Thematik
zum Beispiel, die sich als ein Funken aus diesem sich-Verzehren
unseres flammenden Texts erst bildet?
Knister-knacks-funk machen wir Prinzessin Barbara und Königssohn
Ken. Zwischen Pascadozzia und Roger knistert s, meint: das
Feuer der Liebe brennt. Der kühle Edle und die heiße Wilde,
Kamin und Bärenfell: Nichts fehlt uns in Ihnen zum Glückspilz-
Begriff am Ende der gespielten Turmfigur. Kuppen befingert
s gute Partie. Und die Welt ist schwarz-weiß, wenn Kokos-
Protein auf gebräunter Haut noch etwas meint. Nein, es bleibt
uns nichts zu wünschen übrig. Ja, es bleibt uns kein Wunsch
unerfüllt, wo der Zweck des Einsseins in der, uns gemeinsamen
Liebesgeschichte steckt. Leben perfekt! Und doch: Welch
anziehendes Signal-Rot zeitigt diese gut frequentierte Lippen-
Verbindung, wenn sie nur erst einmal abbricht! Um wieviel
stärker wird die Anziehung der Körper, wenn sie von einander
gelöst sind! Ist da nicht so etwas wie Frische-Bedeutung mit
Zell-regulierender Depotwirkung drin? Genau, es wird zu der
abgeschlossenen Menge der nicht enden wollenden Freuden jetzt
noch eine dazu gezählt: Totalität plus x. Ein Zusatztüpferl auf der
Perfektion (i) vulgo Paarungs-Harmonie. Seien Sie also bitte mit
Überglück erfüllt, wenn Pascadozzia, Rapunzels Mutterfigur,
mit ihrer Geschichte umgehend, endlich schwanger wird! Das
ist dann plus quam perfekt. Und wenn die Erzählung (die große)
zu Ende ist, lässt sich die Zukunft im Wortsinn der Sache
endlich begreifen: Ein Kind ist unterwegs, diese Verschmelzung
zu noch mehr Volumen und zertifizierter Organic Skin. Und
bedeutet dies nicht den Überfluss einer bereits abgeschlossenen,
genetischen Informierung? Eine kleine, feuchte und unerwartet
überschießende Nachricht? Da kommt doch die Schönheit aus
der Harmonie. Das ist doch eine Metashopper-Dingsbums-
Übertragung oder so etwas, da wird doch jede Logik zerstört. Ja,
das ist doch die Zerstörung der bestehenden Ordnung, dass sie
plötzlich mehr als alles strukturieren wird.
Derart also die Information, welche Pascadozzia zu integrieren
hat: Luxus! Ein sanft überspülter Postkartenstrand züngelt
nach der ersten Rapunzel-Nennung. Eine erste haarige Woge
– wohligen Schauderns vielleicht – welche das Liebespaar
beim Anblick eines antiken Leuchtturms überläuft: Venus-
Assoziation, Botticelli-Empfindung, oder das Flechten-Gen als
Entelechie in der Einheit von Ding und Programm! all diese
Schönheit, all dieser Mehrwert, welcher der Realität, die wir
sind, aus ihr heraus noch hinzugefügt wird! Ein Hochreißen
erfolgt der Arme des angehenden Vaters vor dem Lebensgefühl,
vor dem Anblick seines persönlichen Strandvergnügens, es
folgt unser zeitlich versetztes, dennoch gemeinsames Drücken
der identifikatorisch gereizten Tränendrüsen, krönt das Ende
der Informationsübertragung, das gemeinsame Weinen auf
der Basis von zweierlei Glücks-Begriff, vor dem Plus unsrer
Fortpflanzungs-Happyness: Pupille, mein Püppchen, man zeigt
s uns exklusiv, …
Pascadozzia fixiert die materialisierte Ausformung des Topos vom
verbotenen Garten. He, Figur vom Fenster zur Welt! Nur dein
Bypass bringt unsere Grün-Empfindung in die Herz ergreifende
Phantasmagorie. Ja, die berührende Figur der werdenden Mutter
bietet uns den extravagantesten Einblick, Exklusivität der intimen
Sicht. Nur, wo SIE uns rührt, werden WIR bewegt. Wir wünschen
uns mit ihr aus dem – in s Feldtheoretische verlängerten –
Grund der nur eingeschränkt erlaubten Zugänglichkeit die
Einverleibung des uns verbotenen Nachbar-Dings. Es entspannt
sich zwischen uns und dem besagten Objekt (meint hier: der
Trieb-Struktur im Rapunzelbeet) geradezu ein Attraktivitäts-
Vektorfeld, eine potenziell querbare Fußgängerzone des Rasens
zwischen uns und der verbotenen Frucht, weil sie einzigartig
und – eben – verboten ist. Rapunzelsucht! Was für ein Salat,
angerichtet nur, weil der Apfel der Erkenntnis die Figur zur
Ausnahme-Erscheinung lockte! Und die verdient natürlich nur
das mit Abstand Beste aus dem am weitesten entfernten Beete.
Ja, wie die Attraktivität (der Wert) des Raum-Punkts steigt, wenn
er uns die Distanz zum Unerreichbaren zeigt! Oder glaubt nicht
schon die Biene, dass die am schwersten zu erreichende Blüte
auch die ertragreichste wäre, weil sie so selten besucht wird?
(Und wenn ich über einen Knoblauch-Zopf zu diesem Blütenkopf
hochklettern muss!) Und so kommt s zur Tugend-Konnotation des
Kampfes und der Mühe. So schließt sich über den englischen
Begriff Labour Arbeit und Geburtswehe kurz, ein Ausdruck für
den gesammelten Wert im Wort vom sich-Zusammenreißen.
Was wir unter Kämpfen gewinnen, erhebt uns zu den Göttern.
Nektar und Ambrosia wäre, was wir damit verdienten, verborgene
Gründe zu finden. Das ist das Prinzip. Wir, natürliche
Personen und am Realitäten-Markt unbedarft Mitwirkende,
wir: Bevorzugen ebenfalls den gesuchten Topos, das, wovon es
nur wenig gibt. Wirken mit dieser, in uns wurzelnden Natur
über die Verzweigungen des Gehirns auf die süßesten Früchte
einer blühenden Kultur hin, als deren Würdenträger wir uns
gern allein sähen. – Ja, der einzige Flecken Märchen-Petersilie
aus den alten Schriften liegt, wissen wir, hier, bei uns, wo der
Pflanzenname Rapunzel daher endemisch ist. Davon also der
eminent hohe Informationsgehalt! Daher also diese Intensität,
mit der uns das poetische Oeuvre anzieht! Die Gesuchtheit des
Namens, der Taktilität, die spezifische Gestik – das ist es, was
uns in der Passion des geistigen Konsums zusammentreffen
lässt. Das exklusive Wissen zum Beispiel um die Beschaffenheit
des geheimen Mutter-Merkmals, das wir, wenn wir es entre nous
beschreiben, als Auszeichnung auf unserer Lippenhaut tragen.
Ach, wie man sich da einbezogen, in der Brust des Mitwissers
geborgen fühlt! Eliten-Krempel der Zuneigung! Diese nicht
bezahlbare Wärme! Dieses Schätzen hochgradigen Preisens! Wir
vermuten im schwer Erreichbaren des Scheines das Göttliche,
im Verbotenen, im nicht Benötigten den ultimativen Genuss.
Die Attraktivität der Rarität (der erschwerten Zugänglichkeit)
kennzeichnet jede publike Figur. – Sie fragen, wie diese entsteht?
Evozieren Sie die billigere Seite Ihrer literarischen Medaille,
den geheimnisvoll zwischen den Eingeweihten schwingenden
Fachbegriff, das verhangene Auge der Geistesperson, die Aura
der Intimität, der Askese und Dekadenz, alles, was vor den
Himmel der Beziehung die Notwendigkeit einer – in der Turm-
Eroberungsmetapher ausdrückbaren – Überwindung setzt …
(Zu debattierende Themen: Elstern-Mentalität der Dichtenden, der
Lesenden sowie die manipulierende Attraktivität jedes glänzenden
Schmucks der Rede.)
Unsere – sich um die Fülle der Lebensgeschichte herum –
rundende Figur rauft sich die Haare ob des Anhang-Begriffs, der
plötzlich sich wieder in s Bewusstsein drängt. Es ist wohl das so
genannte Rapunzel-Syndrom, welches sie ausbrüten wird! Jener
unverdauliche Zopf, welchen die, von ihr verschlungenen Kopf-
Fortwüchse bilden, alle diese dunklen, irgendwelchen Menschen
entwachsenen und von ihr verschluckten Definitionen …
LISA SPALT, Geb. 1970. Studium der Deutschen Philologie und der
Romanistik. Arbeiten zum Handeln in Sprache und Bild. Publikationen,
zuletzt: leichte reisen von einem ende der erde im Blattwerk Verlag 2001;
saschaident. saschaideal 2003 bei Das fröhliche Wohnzimmer Edition;
de chamälaeon bei herbstpresse 2005. Verstehen der Männer der Frauen,
Hörspiel, ORF 2005. Zahlreiche Zusammenarbeiten, derzeit gemeinsam
mit Clemens Gadenstätter Arbeit an Madrigale, einem Zyklus von
akustischen Beleuchtungen alltäglicher Ausdrucksgesten, UA durch die
Neuen Vocalsolisten Stuttgart. Verlegerin der kleinen idiomatischen
Reihe (kiR), http://members.aon.at/idiomat.
Städteplanung / Architektur / Religion Buch IX - Literatur
ST/A/R 69
KLIMAWANDEL
Gerhard Rühm
ein wachsender witz
trifft ein hitzetoter einen kältetoten. er hat eine frage, doch
keine luft. der kältetote gäbe vielleicht eine antwort, wäre sein
mund nicht vereist.
treffen zwei weitere hitzetote zwei weitere kältetote. die
beiden hitzetoten haben eine frage, doch keine luft. die beiden
kältetoten gäben vielleicht eine antwort, wären ihre münder
nicht vereist.
treffen drei neue hitzetote drei neue kältetote. auch sie haben
eine frage, doch keine luft. die drei kältetoten gäben vielleicht
eine antwort, wären ihre münder nicht vereist.
treffen zehn hitzetote zehn kältetote. sie haben eine frage,
doch keine luft. die drei kältetoten gäben vielleicht eine
antwort, wären ihre münder nicht vereist.
treffen hundert hitzetote hundert kältetote. sie haben eine
frage, doch keine luft. die hundert kältetoten gäben vielleicht
eine antwort, wären ihre münder nicht vereist.
tausend hitzetote treffen tausend kältetote. sie haben eine
frage, doch keine luft. die tausend kältetoten gäben vielleicht
eine antwort, wären ihre münder nicht vereist.
zehntausend hitzetote treffen zehntausend kältetote. sie haben
eine frage, doch keine luft. die zehntausend kältetoten gäben
vielleicht eine antwort, wären ihre münder nicht vereist.
hunderttausend hitzetote treffen hunderttausend kältetote.
sie haben eine frage, doch keine luft. die hunderttausend
kältetoten gäben vielleicht eine antwort, wären ihre münder
nicht vereist.
eine million hitzetote treffen eine million kältetote. sie haben
eine frage, doch keine luft. die million kältetoten gäben vielleicht
eine antwort, wären ihre münder nicht vereist.
und immer so weiter, mehr und mehr und mehr und mehr
und mehr..
(2006)
Gerhard Rühm, Geboren 1930 in Wien.
Experimenteller Lyriker, Dramatiker und Prosaautor,
ausgebildeter Musiker. Lebt in Köln und Wien.
VIRTUELLE GYMNASTIK
während des liegens hat man zu stehen
wehe, du gehst, wenn du fliegst
auch hast du nur unter wasser zu sprechen
singen ist erlaubt im falle des fallens
rückenschwimmen ist der gipfel der kochkunst
schweigen spart zeit
während des essen haben sich die hälse mehrfach um die eigene
achse zu drehen
um die augen in weitem bogen hungernden kindern vorzuwerfen
sodann ist der kreis ersatzlos zu schliessen
der ertrag wird nicht gross sein
doch allgemein glücklich verwunden
(2006)
RUEHM
Abschied
Vielleicht dachte ich damals:
was dir der Liebe Gott doch
für eine edel geschwungene
Stirn gebaut hatte, hinter der du
wohnen durftest, wie ich annahm,
und hinter der du dich versteckt
hieltest bei geschlossenen Augen,
wenn es nicht mehr anders ging.
Von dort, konnte ich im Laufe
der Zeit beobachten, änderte
sich dein Blick auf all diese Tage,
langsam und stet, nach den
quecksilbrigen Jahren voreiliger
Schlüsse, bis auch deine Stirn sich
allmählich auf zurückhaltende
Weise zu verabschieden begann,
was du klaglos hinnahmst,
so mein Empfinden, und was
auch ich nicht bedauerte, und wie
sich, wie ich meinte, unsere
Erinnerungen, eingehüllt in warme
Decken, noch einmal Mühe gaben,
daß wir den Reim endlich
fänden bei all den ungezählten
Versen, und wie dann deine Stirn
zu sprechen begann, wenige Sätze
in wohlgewählten Worten, die
ich hörte, aber nicht verstand;
sicher war ich mir nicht, ob dies
tatsächlich so geschah.
Und wie du dann fortgegangen
bist, grußlos, aber nicht
unfreundlich, und deine Stirn,
die ich immer so gerne angeschaut,
mit dir forttrugst, ein für alle Mal,
vielleicht enttäuscht über meine
Begriffsstutzigkeit, daß ich nicht
verstand, wo ich doch hätte
verstehen müssen; vielleicht war
es dein Wunsch, daß ich dir ein
Lied sänge allein zu deinem
Vergnügen, nach meinem bequemen
Schweigen, in dem ich es mir von
jeher gemütlich eingerichtet hatte,
und das du mich ein Mal, nur ein
einziges Mal zu brechen batest,
gutmütig, nicht fordernd, in mein
taubes Ohr, wer weiß? Du ließest
keine Trauer zurück in mir, nahmst
sie gleich mit, und für kurze Zeit
begann etwas anderes, für das ich
mich nicht mehr erwärmte, soviel
steht fest, und alles was war,
suchte jetzt Unterschlupf, woanders,
und wie ich dem mehr und mehr
nachgab.
Paraontologischer
Zwischenfall
Michael Arenz
Im Bett liegen,
ausgestreckt,
die Füße verschmolzen
zu einem einzigen,
doch auch der macht sich
auf und davon.
Mit verschränkten Händen,
wie Probeliegen
für die Ewigkeit.
Im Kopf fliegt alles
mit dir fort,
während du da liegenbleibst,
mit dem Gefühl,
dich von dir loszulösen,
dich aufzuspalten in zwei Wesen,
die ohneeinander nicht können.
Auch die Schulterblätter
weichen auf, verflüssigen sich,
streben fort, deine Nerven
verlassen dich schlängelnd
durch die Matratze.
Geh nicht zu weit!
Selbst flüchtigste Vorstellungen
könnten jetzt helfen, sogar
ein Unterwassertraum,
in dem du zu Gast bist.
Von da ist es nicht weit
bis zum ersten Gedanken.
Eine Heimat ist das nicht,
die dich so ohne weiteres fahren
läßt, wenn du nicht aufpaßt
und nicht rasch wieder aufspringst
in den Zug auf den unsichtbaren
Gleisen, über denen
die Himmelsrichtungen
heimlich entfernt wurden.
Die Augen öffnen:
Das Zimmer aus dem
gestrigen Leben ist noch da,
und du schlüpfst hinein,
behutsam, ungläubig,
immer noch Materie,
die sich staunend
in die Augen sieht.
Michael Arenz
1954 in Berlin geboren. In Düsseldorf aufgewachsen. Magister-Studium
Germanistik/Philosophie in Düsseldorf/Brüssel. Lebt als freier Autor in
Bochum und Düsseldorf. Prosa, Lyrik, journalistische Arbeiten, Beiträge
für den Hörfunk. Dezemberblüten (Gedichte), Düsseldorf, 1994. Gibt seit
1994 die Literatur- und Kunstzeitschrift „Der Mongole wartet“ (Zenon
Verlag, Düsseldorf) heraus.
Ulrich Schlotmann: Die Freuden der Jagd
(CD im Digipack)
Mit je einer Lesung aus der DAAD-Wohnung in der Berliner
Wielandstraße und aus dem Literaturverein Perspektive in
der Körtestraße ist der Autor, der 2001 zum Bachmannpreis
eingeladen war, auf dieser CD zu hören. Ulrich Schlotmanns
umfassendes Projekt „Die Freuden der Jagd“ dokumentiert
in Kaskaden von komplex verwobenen Satzgefügen den
jägerischen Charakter des so genannten Menschen. Was
ist Menschlichkeit? Im Gegensatz zum Animalischen? Die
gesammelten Sprachmaterialien stellen die Frage in der
Häufung, im Zusammenprall ganz von selbst. Die Begriffe
lösen sich auf. Wie sich hier durch die multiple Verknüpfung
der unzähligen „Jäger“-Aussagen jeder Anschein von
Argumentierbarkeit derselben auflöst. Regelwerke und
Rituale werden als verharmlosende Verkleidungen des
Jägerischen im Menschen entlarvt. Das pietätvoll auf dem
erlegten Tier platzierte Grünzeug beginnt eine perfide
Färbung anzunehmen …
Florian Neuner: China Daily
„Die Chinesen stehen früh auf.“ – Florian Neuner beschäftigt
sich in „China Daily“ mit Sprachbildern von China und
seiner Bevölkerung. Sprachbildern aus Zeitungen, die
in Peking nur für westliche Lesende produziert werden.
Aus Reiseführern etc. Durch seine Montage legt er die
Gemachtheit und Gelenktheit der getroffenen Aussagen
offen, macht die Spuren ihrer Instrumentalisierung sichtbar.
Unterschiedlichstes Bildmaterial illustriert dieses Buch. Im
Mittelpunkt: Jede Bezugnahme weist die Spur einer Absicht
auf. Will einordnen in die ersten Kategorien von „gut“ und
„böse“. Wie geschieht das? Wie wird mit Hilfe der Optik
chinesischer Erzeugnisse heute der Eindruck von „in“ oder
„out“ erweckt? Wie wird eine Politik, die das Leben von über
einer Milliarde Menschen betrifft, zum coolen Accessoire?
kleine idiomatische Reihe • herausgegeben von
Lisa Spalt • Große Sperlgasse 32-34/17 • 1020 Wien
idiomat@inode.at • 0043-(0)1-2141521
Birgit Schwaner: Mördermaschine
Die Deleuze/Guattari’sche Mördermaschine: Einmal auf ein Ziel
eingestellt, überwindet sie jedes Hindernis. Ihre – hier wienerischsprachlichen
– Koppelungen und Schaltungen greifen mechanisch
ineinander. Überwältigen den Körper, der dem eigenen Konzept von
Glück im Weg steht. Und die Chandler’sche Mördermaschine: Eine
Text-, eine Gattungsmechanik. Situation, Motiv, Gelegenheit, Tat,
Aufdeckung des Hergangs. Täglich geübtes Muster. Zum dritten:
Sprachmechanik, eingefahrene Denkgeleise. Am Ende das logische
Produkt der Gesamt-Maschinerie: der spontane Mord als die kürzeste
aller Beziehungen. Schließlich parallelisierend: den spontanen
Mord und die Prostitution – zwei (vergleichbare?) Weisen, einem
Menschen sehr plötzlich zu nahe zu treten …
70 ST/A/R
Buch IX - Literatur
Nr. 15/2007
Pariser Passagen
(Chroniken, Teil 3: 2006)
Bettina Galvagni
vive paris
Elizabeth Brachs Katze
Ich erinnere mich an den Salon der Brachs, an den Kamin mit
den kleinen Feenwesen aus Porzellan und der Orchidee.
Elizabeth kommt herein und sagt zu Gérard:
„Philippe Sarde ist am Telephon.“
Gérard: „Was will er?“
Elizabeth: „Sich umbringen.“
Gérard schüttelt den Kopf und verdreht die Augen, Elizabeth geht
hinaus.
Wenn ich anrufe, sagt Elizabeth vielleicht: „Du weißt schon, es
war wieder die Kleine, il gatto, die mich so liebt.“ – und kümmert
sich dann um ihre Blumen, um il gatto und i gatti zu vergessen.
Micòl Finzi-Contini
Wenn ich im Jardin du Luxembourg war, gehe ich anschließend
manchmal in die Buchhandlung „Tschann“ am Boulevard
Montparnasse; Bücher beruhigen mich - ich sehe mir vor allem
Briefausgaben und „Conversations“ an (Pasternak, Zwetajewa
wie immer, Brodskij, Simone Breton, Lili Brik, Elsa Triolet, alles
Briefe, die mit „ma chérie“, „ma petite“ beginnen, ich kann es
manchmal nicht ertragen und auch keines dieser Bücher kaufen).
Diesmal sehe ich mir die Quarto-Gallimard-Gesamtausgabe von
Giorgio Bassanis Ferrara-Romanen an, die auch Photos seiner
Frau Valeria enthält (sie hat ein interessantes Gesicht) – und
ein Photo von Dominique Sanda als Micòl Finzi-Contini, die
eben bei Marie Dépussé wiederaufgetaucht war, über die ich in
„Le Monde“ mit einem gewissen étonnement gelesen hatte - eine
Professorin für Literatur, die in diese berühmte psychiatrische
Klinik außerhalb von Paris ging und nun dort „unterrichtet“ und
Marguerite Duras mit den Verrückten liest. Dépussé erzählt von
ihrem Schicksal als „Halbjüdin“, über die „fous“ und über ihre
Schwester und ihre Mutter und darüber, wie sie an ihrem ersten
Schultag Pipi in die Hosen machte, in der Klasse - und plötzlich
spricht sie von der „libération des camps“ und von Micòl Finzi-
Contini, der schönen blonden Micòl. Dépussé schreibt, da, in
dem Augenblick, als sie („les Allemands“) gekommen sind, sie
zu holen, als Micòl sich vor die Großmutter stellte, damit diese
nicht über die Treppe hinunterfiel, in diesem Augenblick sei
ihr bewußt geworden, daß sie jüdisch sei – und sie nahm dieses
jüdische Schicksal an und sagte: „prendo le ombre“... Ich glaube,
es hätte mir gefallen, mit Madame Dépussé über Micòl Finzi-
Contini zu sprechen.
Sara und Polly
Das neue Buch von Katharina Hacker brachte mich am Ende
beinahe um... Eine Katze ist immer Symbol für das Leben, und
also war Polly, Saras Katze (Sara ist das kleine Mädchen...), ein
Symbol für das Leben, und Jim hat sie getötet - und alles Folgende
ist Alptraum, Tod! Und ich bin so sehr die arme kleine Sara mit
den unerbittlichen Augen! Mein Gott, das Delirium der kleinen
Sara, im Garten, als sie in ihrer Hilflosigkeit mit einem Stock die
Katze schlägt, die dann von Jim an die Mauer geschlagen wird (er
wollte sie drüberwerfen)! Ich konnte es nicht aushalten, ich starrte
hilflos Bluma (meine Katze) an, und Bluma schaute mit ihren
klugen Augen zurück... Ich wollte sterben, ich, die kleine Sara!
Und Katharina Hacker! Was für eine flirrende, pflanzenhafte,
märchenhafte Sprache sie für die Sara-Geschichte erfunden hat
- dieses Märchen, das immer mit Schmutz und Verzweiflung
vermischt ist. Wie konnte sie selbst nur diese Geschichte
aushalten, sie schreiben? Am liebsten möchte ich sie schluchzend
umarmen, Katharina Hacker! Ich glaubte, ich müsse sterben,
wirklich, wegen Polly und Sara. Polly, wie die Heldin in Charlotte
Brontës „La Villette“, und Sara mit dem strähnigen blonden Haar,
Sara, die nicht wachsen kann...
Auf der Straße, in dieser Vorsommer-Zeit, sieht man auch
immer wieder Katzen auf dem Schoß der Clochards... Und kleine
Tierpuppen vor den Freßnäpfen (in den Mäulern der Tierpuppen
hängen „Bitte-helft-mir“-Zettel) – wir sollen also beides sehen,
das Tier und das künstliche Tier... Manchmal spreche ich einen
der Clochards an, sie nennen mir dann lächelnd die Namen
ihrer Katzen (einer hatte zwölf Katzen, sie lagen alle neben ihm
auf einer Decke). Über all diesen Katzen wacht, auf einer toten
Fassade, letzter Stock, rue de Rennes, die aufgemalte grinsende
schwarze Katze! Wir armen Menschen da unten. Die Clochards
sind – neben ihren Katzen - aufgedunsen von Hitze und Alkohol,
und wir, die französischen Frauen, spazieren während der
„soldes“ durch die überfüllten Geschäfte, als ob es Parks wären
und die Kleider exotische Pflanzen. Aber nein, die Kleider sind
keine Pflanzen, und ich denke an Polly und Sara!
Katzenfriedhof
Es gibt in Paris einen Katzenfriedhof, in dem Leute ihre geliebten
Katzen kunstvoll begraben (so wie Peggy Guggenheim ihre
Hunde in Venedig). Oft sind es alte und kranke Menschen, die
ihre letzte Energie dafür verwenden, jeden Tag an diesen Ort zu
kommen. Der Katzenfriedhof ist aber nicht nur ein Mausoleum,
sondern auch ein Obdachlosenheim für streunende Katzen,
dessen Direktorin eine zweiundzwanzig Jahre alte fette Katze ist.
Mit ihr, heißt es, ist nicht gut Kirschen essen. Und das wissen
die Neuankömmlinge nur zu gut. Selbst wenn die kranken alten
Damen Futter bringen – im städtischen Katzenfriedhof wird
einem das Überleben nicht geschenkt.
Martine Grinberg
Meine Freundin Danielle ist Schauspielerin in einer
Amateurtheatergruppe, die von einer Schauspielerin geleitet
wird, die mit Marguerite Duras gearbeitet hatte. Im wirklichen
Leben sind die Schauspieler und Schaupielerinnen zum Beispiel
Professoren oder Pensionisten (bei den Frauen sind es vor
allem Psychoanalytikerinnen, und der Psychoanalytiker Gérard
Haddad sitzt manchmal unter den Zuschauern)... Martine
Grinberg, eine Historikerin, spielte Clara in Thomas Bernhards
„Avant la retraite“... Sie saß auf ihrem Stuhl, las scheinbar
teilnahmslos in einer Biographie über Walter Benjamin, die
dunklen Augen wie Scheinwerfer - es war, als wäre sie, in ihrer
außerordentlich aufmerksamen und zugleich schizophrenen
Stummheit (und auch später, in ihren Schreien) eine... ja...
herausfordernde verrückte Katze! Die unbewegten Locken, die
kontrollierte Haltung der Arme, der Beine, und die Hände, die die
Scheinwerfer der Augen spiegeln. Mir war, als müßte ich auf die
Bühne stürzen, um dieses Bild-von-Clara für immer festzuhalten.
Carmit, die Hebräischlehrerin
Zufällig traf ich auf dem Boulevard Montparnasse Carmit, die
Hebräischlehrerin. Das heißt, plötzlich rief jemand meinen
Namen mit einem israelischen Akzent – ich drehte mich um,
und es war Carmit, meine Hebräischlehrerin, die eigentlich
Regisseurin ist. Sie stand neben einem großen, dünnen Mann,
der einen sanften Blick hatte. „Zot Bettina, talmida!“ stellte sie
mich vor, und der junge Mann gab mir die Hand. „Ze Yosef!“
Carmit lächelte geheimnisvoll, und ich dachte – wie auch im Kurs
immer: Harold Brodkey hätte bestimmt eine Geschichte über
sie geschrieben. Ich fühlte mich etwas eigenartig: ich trug mein
weißes Sommerkleid von Marc Jacobs und sah darin aus wie eine
schlechte Kopie einer Marc-Jacobs-Werbung. „Wir sehen uns
im Kurs“, rief Carmit mir nach. Ihre laute, synkopische Stimme
und der sanfte Blick des jungen Mannes folgten mir nach wie
ein Hündchen, während ich zum Bus ging, und ich genoß die
Anwesenheit dieses Hündchens...
Sabrina van Tassel und Carmit,
die Hebräischlehrerin, die eigentlich
Regisseurin ist
Nach unserer letzten Hebräischstunde bekommen wir ein
Diplom, auf dessen Kopf drei jüdische Institutionen stehen:
Agence Juive pour Israël/Centre National de l‘Hébreu/Fonds Social
Juif Unifié! Mit unseren Namen auf Hebräisch, eingerahmt von
einer puristischen Verzierung aus architektonischen Symbolen.
Die ganze Stunde bestand aus Enthüllungen tiefliegender
Geheimnisse. „Miein ha mischpacha schelach?“ „Bat kama
schelcha?“ undsoweiter. Carmit, die Hebräischlehrerin, ist
sechsunddreißig, ihre Eltern stammen aus Irak, hatten dort
ein schönes Haus, das sie in Israel mit einem Zelt und einer
Fabrik tauschen mußten. In Irak aber hatte man ihr Haus mit
Steinen beworfen... Carmit, mit ihren rötlich gefärbten dunklen
Locken-Locken-Locken und dieser sehr eigenartigen Frisur (ein
hoher Schwanz, und alle die Haare fallen nach vorn!)... Die
anderen stammen aus Algerien, Spanien, Tunesien, Livorno, und
schließlich Sabrina, die Schauspielerin und Regisseurin, halb aus
New York.
Nach der Stunde sitzen wir in einer Brasserie an der Bus-Métro-
Station Porte de Champerret, Carmit, Alexi, Sabrina und ich. Aber
ich habe mich bereits in eine Fliege verwandelt. Daß ich rauche,
erscheint allen seltsam, schließlich bin ich eine Fliege! Das erste
„Thema“ ist gossip aus dem Fernsehmilieu. Ich kenne niemanden
von den neuen „couples“, über die gesprochen wird... Es war
Carmit, die damit angefangen hatte: „Savez-vous!!!! Avec qui... est
ensemble, maintenant??“
Sabrina spielte sogar in dem jüdisch-französischen Kultfilm
„La vérité si je mens“ eine kleine Rolle (entsprechend ihrem
Bekanntheitsgrad gibt es ungefähr 15000 „google“-Einträge
über sie, wie ich später herausfinden sollte), und nach ihrem
Dokumentarfilm über Israelis-nach-der-Armee-in-Indien ist sie
dabei, die unglaubliche Geschichte der Familie ihres ursprünglich
aus Polen stammenden Ehemannes zu verfilmen, dessen
Großvater seine ganze Familie (die Eltern und fünf oder sechs
Geschwister) gerettet hatte, als er gerade fünfzehn war. Sie fand
archiviertes Filmmaterial, das sie mit Aufnahmen aus dem
heutigen Leben der Familie verknüpft... Sabrina van Tassel. Ihr
eigener Großvater - dessen Vorfahren aus Holland nach Amerika
immigriert waren - war in Idaho aufgewachsen, irgendwo, wo
es nur Hühner gab und man nicht wußte, was ein Jude sei,
und hatte in Berkeley ihre aus New York stammende jüdische
Großmutter kennengelernt, „un choc de culture total!“ Ihre
Mutter stammt aus dem Elsaß, der „zone des horreurs“. Sabrina
van Tassel ist einunddreißig und im dritten Monat schwanger.
Sie trägt einen Jeans-Minirock und ein tief ausgeschnittenes
schwarzes Top – ehrlich gesagt, hatte sie mich bereits am
Anfang des Kurses an die Mädchen aus „La vérité si je mens“
erinnert... Aber sie hat auch in eigenenartigen Kurzfilmen
gespielt, wie zum Beispiel in „Therapine“, der Geschichte eines
Mädchens, das sexuell blockiert ist und dem der Psychiater
einen Rollentausch-während-einer-Séance vorschlägt, und sie
hat selbst eigenartige Kurzfilme gedreht, wie „Oya Isola“, in
dem zwei kleine Geschwister vor familiären Schwierigkeiten auf
eine Insel fliehen... Carmit dagegen hat einen kleinen Film über
palästinensische und israelische Künstler in Paris gedreht, mit
einem Titel wie „Dans le cercle de l’exil“ oder so ähnlich.
Sabrina und Carmit fangen an, über israelische Literatur zu
sprechen. Oz finden alle langweilig, Agnon, meint Carmit, sei
allzu schlecht ins Französische übersetzt, Appelfeld sei „lourd“,
bei Zeruya Shalev rümpft Carmit die Nase, denn sie ertrage nur
die „allerhöchste Literatur“, Gogol und Proust! Ob wir denn
alle wüßten, was im zweiten Teil von „À côté de chez Swann“
passiere? (Sabrina, noch bevor Carmit weiterspricht: „Ich werde
mir sofort den ganzen Proust kaufen!“) Proust erkläre die Liebe!
„Qu‘est-ce que l‘amour?“ - und Proust gebe die Antwort! Man
sieht Carmits Herz vor Passion schneller schlagen. Sabrina
dagegen erzählt davon, wie sehr sie Isaac Bashevis Singer liebe,
den sie gerade entdeckt habe, und Carmit verfällt in einen Rausch
von Begeisterung... „Moi“, sagt sie, „je ne peux lire que les génies!
Seulement les génies peuvent enflammer nos âmes! On ne vit
que dans les livres de génies.“ Sabrina sagt, daß sie neben den
„scénarios“ auch „fiction“ schreiben möchte, daß man dazu aber
so-tief-so-tief-so-tief in diese Sache eindringen müßte... Alexi
ist zu diesem Zeitpunkt des Gesprächs im übrigen nicht mehr
da, Alexi ist mit einer jungen blondgefärbten Medizinstudentin
namens Yaël zusammen (Yaël, sagte Carmit, sei ein hebräischer
Name für ein Tier, „pas une biche“, aber sie wisse leider nicht
mehr, welches Tier); er war natürlich in Carmit verliebt, auf
eine schüchtern-herausfordernde Schüler-Lehrerin-Art, und
immer unendlich beeindruckt von Sabrina, weil sie ashkenasisch
und beim Film ist... Ich starre auf den kleinen Teller Pommes
frites, der vor uns auf dem Tisch steht und von dem Alexi nicht
gegessen hat, weil er nur-koscher-ißt, und ich beginne zu frieren.
Ich ziehe das mauvefarbene T-Shirt, das ich vor dem Kurs in den
„Galeries Lafayette“ gekauft hatte, über die blaue petite-fille-vieilledame-seule-Bluse.
Niemand weiß, wie sehr ich vorher, in den
„Galeries Lafayette“, gelitten hatte, weil ich mich für keine Farbe
entscheiden konnte – als ob die Farben entweder Gift oder ein
Medikament wären. Ich war den Tränen nahe.
Als ich schließlich mit Carmit in der Métro stand und gerade
bemerkte, daß mein alter Rock voller Flecken vom sandigen
Boden der Tuilerien war, wo eine Freundin nach der Ausstellung
von Cindy Sherman noch spazieren gehen wollte, begann Carmit,
von ihren ersten Monaten in Paris zu erzählen und davon, daß
sie vor der Abreise in Israel den Film „Le Locataire“ von Polanski
gesehen hatte... „Quelles catastrophes... mais à la fin il comprend
que le problème était dans lui et pas dans les lieux.“ Sie schaute
mich freundlich an, so wie man ein Kind anschaut, das gerade
hingefallen ist (oder eine Fliege, die gerade von einer Katze
aufgefressen wird). Der einzige Satz, den ich am ganzen Abend
herausgebracht hatte, war, daß ich ebenfalls „Literatur liebte“,
mehr war mir nicht eingefallen, schon gar nicht „eine Passion“.
Die letzte Métrostrecke fuhr ich allein. Ich dachte an die „génies
de la littérature“...
BETTINA GALVAGNI, geboren 1976 in Bozen. Derzeitiger Wohnort:
Paris. Veröffentlichungen: Melancholia, Residenz Verlag, Salzburg, Wien
1997 (Roman); Persona, Luchterhand Literaturverlag, München 2002
(Roman). Beiträge in Anthologien, Zeitschriften und Zeitungen (Italien,
Österreich, Deutschland, Schweiz, Kroatien, Polen, USA).
Österreichisches Staatsstipendium für Literatur 1987/88,
Ernst-Willner-Preis 1997, Rauriser Literaturpreis 1998.
Nr. 15/2007
Buch IX - Literatur ST/A/R 71
R., die Stadt im Konjunktiv
Reinhard Kaiser-Mühlecker
für M.
Es sei eine Stadt, die Rom heiße,
gleich dem Punkt auf der Landkarte.
Im „wirklichen“ Leben, mit „echten“ Menschen.
Es sei diese Stadt, und die Sonne gehe auf über ihr...
Sie hat Leid mir gebracht, Leid getan, damals (wann war es?)
Vor so und soviel Zeit:
Vor zwei Jahren, oder: zweieinhalb gelebten Jahren –
Wenn ich an sie denke, sehe ich gerade so viel:
Enge Gassen, Liebespaare in Ecken gedrängt,
geheimnisvoll; flüsternd in der Sprache, die ich nur
halb halb verstehe, nur gebrochen.
Sehr viel Pflasterstein, „Kopfsteinpflaster“, und Motorroller,
die darüber brausen, holpernd, hupend;
Hügel, aber nicht ringsum, sondern Hügel die Stadt selbst.
Sie sei, das heißt: Sie ist.
Schmetterlinge, die es hier („bei uns“) nicht gibt, mit anderen
Farben,
und unzählige Katzen.
Namen, die fremd sind und vertraut zugleich: Gedanken an die
Schulzeit:
Die immergleichen Namen der Römer. Das mag sich geändert
haben
in „Wirklichkeit“. Die Katzen sind auch wirklich.
Ihr Urin, ihr Kot sind nicht zu leugnen.
Ohne je einmal dort gewesen zu sein, weiß
ich alles über diese Stadt.
Ich weiß es auch von ihr selbst.
Deshalb kenne ich vor allem das Schlechte, und
deshalb sehne ich mich nach dem Guten
der Stadt, und erhebe sie zum Ideal, in flehender Hoffnung,
sie möge nicht so sein,
wie ich sie von einst, von den Worten her kenne.
Man spreche von ihr nur mehr im Konjunktiv:
was alles möglich wäre!
Zwei Männer auf der Piazza di Spagna,
ihre Hände tanzen in der Morgenluft, teilen sie,
brausen sie auf. Einer mit dem Bündel Geldscheine
in der Rocktasche, die ausgebeult ist.
Was noch trägt er darin? Die Luft ist auch in diesem hässlichen
Stoff.
Der Tiber indes zieht schweigend sein schmutzig-trübes Wasser
weiter,
und zögert dabei. Beim Castel Sant’Angelo hält er inne,
wartet auf den Sprung
der Frau, die nicht springen wird – zu weit ist sie entfernt.
Es seien keine Fische in diesem Flusse, das Wasser sei zu giftig.
Oder: Es seien die schönsten Fische in dem Gewässer...
Der Blick vom Gianiccolo auf die Stadt sei atemberaubend,
man könne sogar das Kolosseum sehen, durch zugekniffene
Augen noch.
Dort würde eine große Wasserschlacht nachgestellt, das Oval
voller Nass.
Die Spiele würden via Satellit übertragen...
Eine Katze streicht um meine Beine; sie stinkt.
Café Danelli: Hier ist es, wo ich einen ersten Kaffee probiere,
die Morgenluft und mein Beobachten der Geldwechsler.
(Ich muss nicht dort sein, um zu sehen;
ich brauche nicht dort zu sein, um zu leiden.
Denn damals war sie sehr weit weg, und
plötzlich war sie zu nahe, so nahe, dass es zu schmerzen begann.
Ich schreibe einzelne Wörter mir aus dem Leib, aus dem Kopf.
Die Schmerzen bleiben innen, ohne Worte bald.)
Die Menschen auf der piazza werden mehr, sie vermehren sich:
Das sei es, was mich störe: Das allzu Normale.
Warum nicht auch hier?
Das Ideal sei übermächtig geworden, höre ich aus mir heraus.
Auch eine schäbige Stadt hat Liebreiz und manche Bögen aus
Gold.
Und der Tiber fließe wie Musik, denn Verdi habe hier gebadet
an einem seiner letzten Lebenstage.
Aus einem offenen Fenster dringen Kinderstimmen:
wie wird man, hier wohnend? Fröhlich, ja.
Oberflächlich? Nicht mehr als anderswo.
Aber ich wohne nicht hier, sondern im Norden, in der Kälte.
Wohne, lebe aber nur selten.
Lebe kaum, doch versuche ich es Stunde um Stunde.
Das Heute sei hier kein Fluch...
Die Wölfin habe aufgehört zu heulen,
es sei jetzt friedlicher als früher.
Die Stufen der Spanischen Treppe leuchten stärker mit
der zunehmend aufsteigenden, anwachsenden Sonne,
und meine Pupillen verengen sich, aus Schutz vor der Blendung.
Kleine Münzen blinken auf dem Marmor, und der Kaffee kühlt
aus.
Sie sei ruhiger als vorderhand angenommen,
man müsse es nur verstehen,
hinter den Tumult zu blicken, hinter das Chaos.
Sie sei, das heißt auch: Sie ist es.
Städte gegeneinander aufwiegen: nur eine weitere
Unmöglichkeit.
Es bringe keinen Gewinn von Erkenntnis solche Dinge zu
vergleichen,
auch Menschen würde man nicht vergleichen dürfen.
Hier in der Stadt, wo die Luft zu flirren beginnt, tritt Schweiß
aus meinen Poren
und sammelt sich zu kleinen Bächen.
Die Männer fuchteln immer noch, die Ausbeulung ist größer
geworden,
scheint es. Sie trinken jetzt, nach dem Kaffee im Stehen, Wein;
das Gespräch
(oder sind es zwei Monologe, immer wieder unterbrochen um
Atem zu schöpfen?)
wird nur für Minuten ruhiger.
Die verkommenen Außenbezirke könne ich nur erahnen, mit
geschlossenen Augen,
sie seien ansonsten zu weit entfernt.
Ein Freund sagt: „Du brauchst die Sonne.“
Und ich antworte: „Ja, ich brauche sie.“
Die Sonne, ein paar Münzen in der Tasche
für einen Kaffee irgendwo, für Tabak.
Sie sei, sagen sie, die Stadt im Konjunktiv,
aber die Vögel sängen noch schöner hier als vor den Toren.
Die Blätter der Bäume im Herbst bewegen sich kaum mehr,
selbst hier gibt es Apoptose, Zelltod. Noch am Boden strahlen
ihre Farben.
Ostia sei Hafenstadt gewesen, aber die Häfen seien versandet,
verlandet.
Rom hingegen sei nie am Meer gelegen, immer nur am Tiber.
Seit ich hier sitze hat mich noch niemand beobachtet; manche
haben mich beachtet,
eine Sekunde länger vielleicht als andere. Ein leises Gefühl
des Schwebens stelle sich hier ein.
Auch die Marmorplatte leuchtet heller.
Pupillen werden winzig klein, weiten sich erst wieder hinter der
Sonnenbrille.
Große Augen sähen nicht mehr als kleine, das sei erwiesen.
Das Schlechte der Stadt habe ich gelernt vor der Zeit,
das Gute muss ich jetzt suchen, alleine, aus der Ferne.
Ich suche das Gute, und werde fündig:
Im Rauch, der sich aus dem Mund des Geldwechsler spült (und
noch im Mund selbst),
in dem jungen Mädchen, das mir zulächelt und rot wird dabei,
in den Touristen auf der Spanischen Treppe, die immer mehr
werden,
den Vögeln, die den blauen Himmel schneiden,
in deren Flug ich meine Zukunft lese,
in einem abgesteckten Bezirk (templum).
Die Vorstellung sei an diesem Ort endlich schwächer
als die „Wirklichkeit“, die „eine Möglichkeit“.
Dies sei es, was sie unterscheide, sagt der Kellner im
Vorbeigehen,
der meine Münzen vom Tisch wischt: wie versehentlich.
In Gedanken durchfahre ich einen dunklen Tunnel, und am
Ende angelangt,
nämlich dort, wo das Licht ist, stehe ich vor den gleißenden
Toren
der Stadt Rom,
es ist wie im Traum, nur erlebter.
Sie sei die strahlende Stadt, aber sie wisse es nicht, und das erst
mache sie dazu,
und das alles hat mir keiner je gesagt.
Das SPQR heute noch auf jedem Kanaldeckel, durch den es übel
riecht im Sommer,
aber sogar das gehöre dazu, drücke die anderen Stempel tiefer,
wie die Sonne aufleuchtet im Wirbeln der Münzen vom Tisch.
Die Geldwechsler machen Geschäfte mit den Touristen, und
dabei ist das Geschäft nicht das Wichtigste. Es bleibt das Reden,
die singende Betonung
der Silben in der Brise.
Ein Mann auf einem Roller pfeift im Fahren einer jungen Frau
mit Reiserucksack nach,
fast fährt er gegen eines der Tischchen, und lacht dabei
sein natürlichstes Lächeln, wie ich denke.
Die Gäste seien oft verwirrt in der Nachmittagshitze,
und die Blätter würden vom Wind bewegt.
Es fehlt nicht, dass kein Salz in der Luft klebt, man fühlt das
Meer auch so
sehr stark, mit der Kunst, gegenwärtig, aber nicht da zu sein.
Kunst ohne Künstlichkeit, dass sei es, was es ausmache,
das süße Leben,
und dass die Gegenwart mächtiger sei als die Zukunft.
Die Sage von der Frau, die jede Nacht schlafwandelnd
ins Wasser gehen wollte,
und als sie aufwachte jedes Mal wieder an einem anderen Rand
der Stadt aufwachte,
und das Wasser nie fand,
und fürchterlich zu weinen begann,
habe ich aus keinem dieser Münder gehört.
Auch das sei Teil des Schönen, wie die Katze, die jetzt wieder um
mich schleicht,
um meine dunkeln und heißen Hosenbeine, Haare lassend.
Monte Testaccio, wo Scherben aufgehäuft sind, ich weiß auch,
warum,
und ich kann mir vorstellen, wie sie sich ausmachen.
Wie die Luft schmeckt dort oben, ob sie nicht doch ein wenig an
Salz erinnert?
Die Sträucher würden dicht gedrückt werden bei Sturm,
ihre Äste aneinander, Verminderung des üblichen Abstands.
Mein Betrachten von weit weg, und doch sehe ich klar:
Die Wolken wie Lammfell, kaum gegerbt,
schwimmen im Blau, nur das Blöken ist nicht mehr vernehmbar
(aber es ist). Es sind dies Archetypen, die ich durch mein Glas,
das schon glänzende meiner Augen, sehe, und sie tauchen unter
im Äther,
und fallen zu Boden, sehr sanft, und sie sind in der Stadt.
Ich denke an diese eine Stimme, Erzählungen der Ewigkeit dort,
handflächig bedecke ich meine Ohren, mit dem Laut innen
drinnen.
Mein Geständnis lautet: Es lässt mich nicht los.
Das Reich sei kleiner geworden, aber der Stolz bewahrt worden.
Ob er deshalb nicht ebenso gerechtfertigt sei?
Eine einsame Zypresse am östlichen Stadtrand,
sie allein rechtfertigt alles.
Vor mir der Aschenbecher ist randvoll, der Tag geht zur Neige.
Eine Rauchsäule steigt hinter der Trinitá dei Monti auf,
später ist für Sekunden Sirenengeheul zu vernehmen.
Alles sei unaufgeregt, man könne das beobachten,
und ich schreibe é vero auf die Serviette, auf dem das cornetto
Stunden zuvor gelegen sein muss.
Die Rauchsäule verlängert gleichsam den Obelisken
und stellt die Verbindung her,
die göttliche.
Viele Pilger würden kniend die Stufen zur Kirche bezwingen.
Die Blätter würden am Abend wieder vom Wind bewegt.
Eine Idee sei hier weniger wert als das Leben,
wenn man es nur zu leben versteht, sagt der Kellner, und dann,
wir schließen bald.
Auf den leeren Tischchen liegen verstreut abgezählte Geldstücke,
in der sinkenden Sonne blinken sie ein letztes Mal.
Die Stimmen aber der Stadt, summt es aus den engen Gassen,
würden noch lange nicht verstummen. (Juli 05)
Reinhard Kaiser-Mühlecker, geboren am 10. Dezember 1982 in
Kirchdorf an der Krems. Aufgewachsen am elterlichen Hof in
Eberstalzell, OÖ. AHS-Matura in Wels, OÖ. Zivilersatzdienst
in San Ignacio de Velasco, Bolivien. Seit 2003 Studium der
Landwirtschaft, Geschichte und der Internationalen Entwicklung
in Wien. Schreibt Prosa, Lyrik, Theaterstücke.
72 ST/A/R
Buch IX - Literatur
Nr. 15/2007
blauzeug permanent
Angelika Reitzer (Text), Horst Stein (Fotos)
es führen womöglich diese Routen in die Unendlichkeit
(dieser ausgebleichte Blick oder zerstückelt)
dann erzählt einer eine Geschichte :
RÖMERINNEN/das sind Baugerüste Kabel Leitungen
auf der Straße (Pflastersteine & es regnet ja auch : das ist der Monat
Dezember
das ist ein Monat vor einem neueren Jahr, diese Tage vor dem
Beginn)
huschen Farben vorbei oder bleiben
RÖMERINNEN/das ist der ALTE MANN gebückt : seine Wollmütze
behütet ihn kein bisschen
vielleicht bleicht alles aus : der weiße wollene Mantel
wird von der Sonne beleuchtet
und von dem ganzen Glück, es hält der neue Mann
die neue Frau ganz dicht bei sich, sie wissen nun
den Kurs dieses Tages dieser Woche
abgegrenzt von Spiegeln & Elektrik-
Indigo : der letzte erkennbare Blauton, tief;
vielleicht sind die Brautleute Zaungäste
auf ihrem Fest : sind die Färbungen sehr echt, können sie
durch Luft nicht angegriffen oder verändert werden,
gleichzeitig schauen & zeigen, der Spiegel
ist lange nicht mehr außen (helle mittel- bis hochbunte
Blaus/Farben in Richtung eines blaustichigen Tages
vielleicht Ausmischungen, wahrscheinlich lasierendes Blau
auf weißem Kleid.)
wir wollen mit elektronischen Geräten jeden Augenblick festhalten
aber unser Blick bleibt unscharf : wir sind die TOURISTEN vom
Sonntagvormittag
streifen wie ausgewachsene Katzen am Testacchio herum –
Blauzeug, blau; die Sonne scheint auf die geduldigen GESCHÖPFE
(jedes Tier passt haargenau auf einen sonnenbestrahlten Fleck).
Der MANN MIT DER KAMERA & die DICHTERIN wollen die
KATZEN
die MOFAS & jeden Moment festhalten
Mopeds, Wohnzimmer, Möbel für STRASSENBEWOHNER
oder PASSANTEN für nachher
BLAUZEUG PERMANENT
dann : einen Winter weiter (in einem weißen Winter)
Zeit bleibt/hängt die Maxentiusbasilika im großen Zimmer an der
Grenze
es ist diesmal alles in Schneeschuhe gesteckt, die Landschaft
wartet auf einen gut geheizten Ofen
ich trage mein Kind durch die weißen Hügel oder Gassen
unter dem Schloss probieren wir Freundschaft : geht gut
& wir tauschen die Zimmer täglich, damit die Räume
immer noch größer werden/gehören alle uns;
ich wärme mein Kind mit grauer & schwarzer schwerer Wolle
abends in samtenen Sälen hört es, sieht es seine Eltern
(früher noch, im Kino ist es dunkel) reden, das ist eine Idee, ein
Plan
wenn wir ein Kind hätten, ein Kind!
Auf dem Fußballfeld der Villa Borghese
will ich meinem Kind Römisch beibringen, aber es regnet
an den meisten Tagen. Will ihm italienische Wörter sagen
nur die Gäste brüllen unter meinem Fenster durch die
vorbeiziehende Nacht
wir sind zu zweit (noch), wir sind natürlich
keine Touristen, wir sind keine Italiener, wir sind keine
Römerinnen
wir schlafen im Innern der ewigen Stadt auf einem schmalen Bett
wir gehen in Richtung Tiber in den Supermarkt
kein Wein im staatlichen Kühlschrank
das Koffein dosiert in diesen Tagen (das neuere Jahr
hat längst begonnen, in diesem Dezember).
Es geht alles in Richtung Staub Richtung Wolken
(Blauzeug; schon wieder) ich gehe immer
wieder über das Pflaster die Wege (Blauzeug; immer wieder)
schaue in Karten/diese Routen weiß ich
in den Kirchen der Stadt haben sie jetzt schon
an allen Montagen die blauen Tücher aufgehängt,
die arbeiten nicht/sie fasten. Bald ist
der große Tag.
Ein Taufkleid reicht für alle (Mütter Patinnen restl. Welt)
ragt das rotwangige Kleinstwesen als sein eigener Sockel
aus dem kalten Raum, der freurig strahlt
aus dem Kirchenschiff/ist wenigstes ein barockes
Gesicht in dunkler Behausung.
So kommen wir also an einem Dienstag
wieder/mein Kind & ich –
der DICHTER aber im Blauzeug im Centro
schiebt gewissenlos seine Schriften
durch die Stadt/marschiert Richtung Ostia
dort kippt er die Ideen von früher ins Meer (Papierfetzen
Plastikmusik
Schuhbänder vor allem) das ist harte Arbeit, aber
er will nicht mehr grundlos eine Handlung hochziehen
wie eine Mauer/Ziegelreihen oder aus Holz wie Mathematik oder
Physikübungen wie einen Anzug, der ihm zu groß ist
es haben die DICHTERINNEN eine schwierige Frage zu lösen;
die eine : hast du schon eine Verbindung aufgebaut/in die Tiefe,
ganz nach unten
die andere : wir könnten jedes Auto knacken/aber wozu
soll all das gut sein, wenn der Tag noch länger dauert?
die eine : wir stimmen ja in den meisten Fragen überein, aber was
hält dich heute bestimmt am Leben, können wir darüber
noch einmal uns unterhalten?
die andere : ja sicher, wenn du die Frage in aller Deutlichkeit
stellen kannst, und du endlich deine Phobien benennst ..
Die eine gibt der anderen sofort Bescheid, jetzt nur noch
die Schlüssel/den Kontakt nicht unterbrechen, hinunter
und frag
Horst Stein, 1970 in Schärding/Inn geboren, lebt in Wien.
Kunstprojekte, Ausstellungen, zuletzt Einzelausstellung im NewArtCenter
NewYork März/April 2007 – Fotoarbeiten. www.horststein.eu
Angelika Reitzer, 1971 in Graz geboren, lebt in Wien. Germanistik-
Studium in Salzburg und Berlin, diverse Arbeiten im Kunst- u.
Kulturbereich. Prosa u. Lyrik in Literaturzeitschriften, Anthologien.
Verschiedene Preise u. Stipendien, zuletzt Hermann-Lenz-Stipendium für
den »Taghelle Gegend« (Haymon Verlag 2007).
Städteplanung / Architektur / Religion
Buch X - Skarabäen ST/A/R 73
Filmvorschau
Der erste Film des österreichischen Fimemachvereins
Auf Spuren
von Beuys
Joseph Beuys war bei der
deutschen Luftwaffe als
Beiflieger und Funker auf der
Halbinsel Krim im Einsatz. Sein
Flugzeug Ju-87 ist am 16 März
1944 durch einen Rammstoß
der russichen Fliegerin Tatjana
Kostirina abgestürzt. Der
Pilot Hans Laurinck starb. Die
russische Fliegerin kam auch
ums Leben und wurde später
zur Heldin der Sowjetunion
erklärt. Joseph Beuys war
schwer verletzt aber er konnte
sich retten, er sprang mit seinem
Fallschirm aus der brennenden
Maschine über
dem russischen Gebiet und
wurde mit zersplittenem
Schädel in einem
Salzsumpf von tatarischen
Hirten gefunden.
Rajsa Tschtschinskaja
(Historikerin)
filmemach@gmx.at
ÖsterrEichischer FilmemachVerEin
1/2/3 ©
Ei
seit 2007
Neu!
Neu ¡
Ei
Beuys/Tolstoj/Gerngross
Unteroffizier Joseph Beuys 1944,
Foto: Wehrmachtarchiv Düsseldorf
Die Erscheinung der heiligen Josephina alias Kostirina, die Heldin der Sovjetunion. (Phantombild des KGB/Kiev)
74 ST/A/R
Buch X - Skarabäen
Nr. 15/2007
Oben: Das Wrack der JU87
Rechts: Urkunde über den Tod des Piloten Hans Laurink
Honig
Beuys erklärt dem toten Hasen
die Zeitgenössische Kunst bei
einer Performance in Düsseldorf
1964 (Sein Gesischt ist mit
Honig beschmiert)
Ein Jahr nach dem Tod von Joseph Beuys - Performance in
Memoriam von Beuys, Lemberg 24.09.1987:
Wladimir Jaremenko-Tolstoj erklärt dem lebendigen Hasen die
Zeitgenössische Kunst. (Seine Lippen sind mit Honig beschmiert)
Das Abschußgebiet
Fotos: Archiv Kiasma Museum für moderne Kunst Helsinki/Finnland
Der Flieger der Moderne
Heidulf Gerngross
im Anflug
Pilotin Tatjana Kostirina
in Bronze in dem nach
ihr benannten Dorf
Kostirina
Der Beuys Forscher Professor Samosvalov im Dorf Kostirina, Zeitzeugen
Nr. 15/2007
Buch X - Skarabäen ST/A/R 75
Sarah Kolb
Sarah Kolb
„Präzisionsmalerei und Indifferenzschönheit“:
Bergson, Duchamp und der Topos der Intuition
Im Sommer 1912 sucht Marcel Duchamp Abstand von
der Pariser Kunstszene, in der er seit mehreren Jahren
verkehrt, und verbringt längere Zeit in München. In
seinem Hotelzimmer verfertigt er eine Reihe von Skizzen
sowie zwei Gemälde zum Motiv der „Braut“, das für Duchamp
zum Ausgangspunkt einer langjährigen Auseinandersetzung
werden wird. Eines der beiden Gemälde trägt auch den Titel
La Mariée, die Braut, und wie der Kunsthistoriker Robert Lebel
in einer Fußnote seiner dem langjährigen Freund gewidmeten
Monographie berichtet, ist das Bild gerade in Entstehung
begriffen, als sich Duchamps Braut eines Nachts in einen
Alptraum verwandelt:
„Aus einer Wirtschaft zurückgekehrt, in der
er, wie er sagt, ziemlich viel Bier getrunken
hatte, träumte [Duchamp] in demjenigen
Hotelzimmer, in dem er die Braut zu Ende
malte, diese sei ein gewaltiges Insekt von der
Gattung der Skarabäen geworden und bearbeite
ihn heftig mit den Flügeln.“
Die Anekdote erscheint mir in Bezug auf Duchamps Werk
in zweifacher Hinsicht von Interesse: Nicht nur träumt
Duchamp diesen Traum zu einem Zeitpunkt, an dem er seine
Auffassung von Kunst gerade von Grund auf zu verändern
beginnt. Auch wird die Braut, dieses unberechenbar und
geradezu bedrohlich anmutende Wesen, den Künstler in
den unterschiedlichsten Erscheinungsformen noch bis an
sein Lebensende verfolgen. Anlässlich ihrer nächtlichen
Erscheinung, wie gesagt, bearbeitet die Braut Duchamp in
Gestalt eines Skarabäus (Abb. 1).
Der Skarabäus, auch Mistkäfer oder Pillendreher
genannt, ist ein Insekt von der Gattung der Koprophagen,
d.h. der Kotnascher. Nachdem sich Koprophagen von
Exkrementen ernähren und diese die Eigenschaft haben,
rasch auszutrocknen, rollt der Skarabäus den Kot und
Mist mit seinen Hinterbeinen kunstvoll zu Kugeln, die er
im Rückwärtsgang unter die Erde befördert und die ihm
einerseits als Nahrungsvorrat, andererseits zur Eiablage
dienen. Der Skarabäus fand daher bereits früh Eingang in die
kosmogonischen Mythen der Griechen, Inder, Chinesen und
Japaner, galten seine Kugeln doch als Symbol des Welteneis,
aus dem das Leben als organisierte Materie hervorgeht und
aus dessen zwei Hälften einst Himmel und Erde entstanden.
Vor allem aber im alten Ägypten wurde dem Skarabäus
wegen seines auffälligen Verhaltens große symbolische
Bedeutung beigemessen: So wurde er identifiziert mit dem
Sonnengott Cheper-Re, der oft in Gestalt Skarabäus dargestellt
wurde, welcher die Sonnenkugel vor sich herrollt. Verbreitet
war auch der Mythos, der Skarabäus hole die Sonne bei
Sonnenuntergang im Westen ab und rolle sie bei Nacht durch
die Unterwelt, damit sie im Osten erneut aufgehen könne.
Sein hohes Ansehen im alten Ägypten verdankt der Skarabäus
nicht zuletzt der Tatsache, dass er das Nilhochwasser
vorausahnen konnte und daher frühzeitig weg vom Wasser
in die Häuser wanderte, wodurch er den Ägyptern die
ersehnte Flut ankündigte. Die schnelle Vermehrung des
Käfers im Schlamm nach dem Rücktritt des Nils führte auch
zur Meinung, er entstehe ohne Fortpflanzung und bringe
sich selbst aus der Erde hervor, weswegen er als Symbol der
Schöpferkraft galt. Dementsprechend ist das Ideogramm für
Skarabäus im alten Ägypten nicht nur mit dem Sonnengott
identifiziert, sondern bezeichnet auch das Verb „werden, sich
entwickeln, (aus sich selbst) entstehen“.
Dieses Bedeutungsspektrum nimmt die erst viel später
erforschte, physiologische Ontogenese des Käfers gleichsam
symbolisch vorweg. Wie wir heute wissen, zählt der Skarabäus
zu den holometabolen Insekten, d.h. er macht in seiner
Entwicklung zwischen Ei und adulter Form eine vollständige
Metamorphose durch. Zunächst entwickelt sich das Ei,
das in der Mistkugel abgelegt wurde, zu einer Larve, die
während ihres gesamten Entwicklungsstadiums im Inneren
der Kugel verweilt, sich von dieser ernährt und sie so nach
und nach aushöhlt. Sobald der Nahrungsvorrat aufgebraucht
ist, kommt es – ebenfalls noch im Inneren der Kugel – zur
Komplettumwandlung oder vollständigen Metamorphose.
Diese findet während einer Phase der Verpuppung statt, in
der sich die voll ausdifferenzierten Organe der Larve zunächst
vollständig zersetzen. Übrig bleibt eine Art Brei, der als einzig
klar definierte Struktur die so genannten Imaginalscheiben
enthält (Abb. 2). Imaginalscheiben sind kleine Komplexe
epidermaler Zellen, die aus Einstülpungen der embryonalen
Oberhaut entstehen und bereits in der Larve angelegt sind.
Ihre hormongesteuerte Ausdifferenzierung beginnt jedoch
erst nach der Zersetzung der larvalen Organe während der
Phase der Verpuppung, in der schließlich die neuen Organe
nach außen gestülpt und entwickelt werden. Am Endpunkt
dieser vollständigen Metamorphose steht das adulte Tier, das
im Fachjargon auch als Imago bezeichnet wird, und das im
konkreten Fall in Gestalt eines Mistkäfers seine heimatliche
Sphäre verlässt.
Nicht nur auf symbolischer Ebene, auch im Hinblick auf seine
reale, physiologische Ontogenese verkörpert der Skarabäus
geradezu exemplarisch einen Begriff des Werdens und der
Entwicklung. Ein derartiger Begriff des Werdens steht nun
auch im Mittelpunkt jener Entwicklungsphilosophie, die
Henri Bergson seit den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts
propagiert und die sich im Paris des beginnenden 20.
Jahrhunderts unter dem Schlagwort des „Bergsonismus“ zum
richtiggehenden Modephänomen entpuppt. Im Folgenden
möchte ich zunächst einige Grundbegriffe der Bergsonschen
Entwicklungsphilosophie umreißen, die nicht zuletzt
für die damalige Pariser Kunstszene einen wesentlichen
Einflussfaktor darstellen. Im Rahmen regelmäßiger
Gesprächszirkel kommt auch Marcel Duchamp mit Bergsons
Konzeption des Werdens in Berührung. Doch während seine
kubistischen Kollegen so weit gehen, 1912 ein explizit vom
„Bergsonismus“ inspiriertes Manifest zu publizieren, verfolgt
Duchamp zur selben Zeit bereits ein gänzlich anderes und
wesentlich radikaleres Konzept, mit dem er jeglicher Form
von Dogmatismus in der Kunst eine grundsätzliche Absage
erteilt. Im Anschluss an meine Ausführungen zu Bergson
möchte ich anhand dreier Werke Duchamps nachweisen,
dass Duchamp seit 1912 eine Konzeption von Werden ins Bild
setzt, die jener Bergsons um ein Vielfaches näher kommt, als
es ein auch noch so explizit am „Bergsonismus“ orientiertes
Manifest je vermöchte.
Ich komme zunächst zu Bergson. 1907 publiziert Bergson
L’Evolution Créatrice – Die Schöpferische Entwicklung – ein
vielgerühmtes Werk, zu dessen zentralem Gegenstand er
die Biologie und damit eine unendliche Mannigfaltigkeit
essentiell verschiedenartigen Werdens erklärt:
„Das Werden ist unendlich vielfältig. Ein
Werden, das vom Gelben zum Grünen geht,
ähnelt nicht dem vom Grünen zum Blauen: hier
haben wir qualitativ verschiedene Bewegungen.
Ein Werden, das von der Blüte zur Frucht geht,
hat keine Ähnlichkeit mit jenem von Larve zu
Nymphe und fertigem Insekt: hier haben wir
evolutiv verschiedene Bewegungen. Der Akt
des Essens oder Trinkens hat keine Ähnlichkeit
mit dem des Schlagens: hier haben wir extensiv
verschiedene Bewegungen.“
Wenn Bergson zwischen qualitativ, evolutiv und extensiv
verschiedenartigen Formen von Bewegung unterscheidet, so
nicht weil er glaubt, dem realen, biologischen Werden mit
einer auch noch so differenzierten Begrifflichkeit beikommen
zu können. Ganz im Gegenteil hebt Bergson hervor, dass sich
eine wirkliche Werdensbewegung niemals von Intellekt oder
Sprache wird einholen lassen: Ebenso wie der Zenonsche
Achill seiner Schildkröte bis in alle Ewigkeit wird nachhasten
müssen, solange er an einzelnen Punkten seines Weges
verweilt, anstatt sich auf die Kontinuität seines Fortschreitens
einzulassen, ebenso wird der Philosoph das reale Werden
einer Farbe, einer Form oder einer Bewegung nicht zu fassen
bekommen, solange er seine Aufmerksamkeit auf diskrete
Qualitäten, Entwicklungszustände oder Akte fokussiert. Das
wirkliche Werden, das ein Übergehen verschiedener Formen
ineinander bezeichnet, entgleitet dem Intellekt nach Bergson
prinzipiell zwischen den Fingern. Es ist das konkrete – und
damit essentiell unteilbare und unberechenbare – Werden
einer Blüte, eines Käfers, einer Schildkröte.
Bergson handelt seinen Begriff des Werdens exemplarisch
am Menschen ab. Unterteilt man die Entwicklung eines
Menschen in verschiedene Stadien – wie zum Beispiel
Kindheit, Jugend oder Reife – so sind das nach Bergson
Städteplanung / Architektur / Religion Buch X - Skarabäen
ST/A/R 77
ST/A/R-Collage
Duchamp
„bloße Gesichtspunkte des Geistes, von außen her ersonnene
mögliche Stillstände in der Kontinuität eines Fortschritts.“
Wenn sich Intellekt und Sprache von Gesichtspunkt zu
Gesichtspunkt bewegen, so zielen sie jedoch am wirklichen
Fortgang
der Entwicklung vorbei. Und würde sich die Sprache
nach der Wirklichkeit modeln, so Bergson, „dann wahrlich
würde sie nicht sagen, „das Kind wird zum Manne“, sondern
vielmehr, „zwischen Kind und Mann ist Werden“.“ Wenn wir
sagen, „das Kind wird zum Manne“, so begreifen wir Werden
als Verb, das zwei künstlich differenzierte Zustände in einer
abstrakten Bewegung verbindet. Sagen wir jedoch, „zwischen
Kind und Mann ist Werden“, so begreifen wir Werden als
Subjekt, was nach Bergson viel eher den Tatsachen einer
realen Entwicklung entspricht.
Nun kann sich aber die Sprache modeln so lange sie will,
sie wird stets auf einzelne Gesichtspunkte berufen müssen;
und der Intellekt kann sich noch so lange spielen, er wird
schwerlich davon absehen können, das wirkliche Werden
unter bestimmten Kategorien zusammenzufassen. Da
Intellekt und Sprache nun aber auch zentrale Instrumente
des Philosophen sind, sieht Bergson keinen anderen Weg, als
sein Steckenpferd von hinten aufzuzäumen. Nachdem er das
reale Werden nicht in einen positiven Begriff fassen kann,
entwickelt er als Negativfolie sein berühmtes Konzept der
„kinematographischen Illusion“.
Im gleichnamigen Abschnitt aus der Schöpferischen
Entwicklung
beschreibt Bergson die Vorgehensweise des
menschlichen Intellekts in Analogie zur Technik des Filme
Machens. Um den Fortgang einer Handlung erhellen zu
können, so Bergson, adaptiert unser Intellekt zunächst ihren
Rhythmus. Anstatt in das reale, unendlich mannigfaltige
Werden ein- und damit unterzutauchen, macht er Serien
von Momentaufnahmen, die das Unüberschaubare der
elementaren Veränderungen in diskreten Bildern –
Qualitäten, Formen oder Bewegungen – zusammenfassen.
Auf diese Art und Weise nimmt der Intellekt Unterschiede
des Zustandes zur Kenntnis, die direkt proportional mit
seinem Interesse der Handhabung korrespondieren. Die
Momentaufnahmen, die er vom wirklichen Werden gleichsam
abstrahiert und damit abzieht, fügt er nachträglich in einer
Gedankenbewegung wieder zusammen – so als nähme er den
Mechanismus eines inneren Kinematographen in Betrieb. Der
Film eines individuellen Werdens, den der Intellekt auf diese
Weise vor seinem inneren Auge ablaufen lässt, erzeugt nach
Bergson jedoch nur eine Illusion wirklicher Bewegtheit. In der
Tat bringt er nichts anderes als eine abstrakte Vorstellung zum
Ausdruck. Und Bergson schließt: „ϖD]er Mechanismus unseres
gewöhnlichen Denkens ist kinematographischen Wesens.“
Nachdem der Intellekt in erster Linie ein
Handlungsinstrument ist und sich von daher an Kategorien
des Räumlichen orientiert, korrespondiert ein diffus
mannigfaltiges Werden zunächst einmal nicht
mit seinem
Interesse. Vielmehr ist der Intellekt bemüht, jegliche Form
von Dauer oder Übergang auszublenden, um sich vermittels
einer Spannung seiner Aufmerksamkeit direkt an sein
jeweiliges Ziel zu versetzen. Wenn der Intellekt sozusagen
von einem Bild oder Raumpunkt zum nächsten springt,
so stellt sich jedoch die Frage, was eine derartige Form der
Anschauung zu tun hat mit der realen Operation, durch die
sich ein Körper von Position zu Position oder von Zustand
zu Zustand bewegt. Bergson argumentiert, dass eine reale
Operation wesentlich eben nicht Raum, sondern Dauer
beanspruche und sich von daher einer Fixierung auf einzelne
Bilder grundsätzlich entziehe:
„Wir haben es [bei der Operation] mit keiner
Sache, sondern mit einem Fortschritt zu tun:
die Bewegung, insofern sie als Übergang von
einem Punkt zum anderen angesehen wird, ist
eine geistige Synthese, ein psychischer Prozess
und folglich unausgedehnt. [...] Kurz, es gilt in
der Bewegung zwei Elemente zu unterscheiden,
den durchlaufenen Raum und den Akt, durch
den er durchlaufen wird, die sukzessiven Lagen
und ihre Synthese.“
Akt...
Im Januar 1912, ein halbes Jahr vor seiner traumhaften
nächtlichen Begegnung, vollendet Marcel Duchamp sein
Gemälde Akt eine Treppe herabsteigend Nr. 2 (Abb. 3). Wie er
durch den Vermerk des Bildtitels am linken unteren Bildrand
bekräftigt, suggeriert das Bild eine menschliche Figur in
Bewegung. Der hell vor dem Hintergrund sich abhebende
Körper, der einen Großteil der zentralen Bildfläche einnimmt,
ist in einzelne Linien, Positionen oder mögliche Stillstände
aufgelöst. Mehrere bogenförmig angelegte Pinselstriche
(besonders im Bereich der Beine) unterstützen einen Eindruck
der Bewegtheit. Am linken Bildrand und vor allem in der
linken unteren Ecke sehen wir die im Bildtitel angekündigte
– und in einzelne Formelemente fragmentierte – Treppe,
die von der rechten oberen Bildecke ihren Ausgang zu
nehmen scheint und in einen Treppenknauf am mittleren
rechten Bildrand mündet, indem sie einen Bogen über die
linke Bildhälfte beschreibt. Die suggerierte Bewegung bildet
dementsprechend eine Kurve ab. – Auf die Frage, ob der Akt
eine Frau darstelle, antwortet Duchamp in einem Interview
1936:
„Nun, wenn ich den Abflug eines Flugzeugs
zeige oder ein Linienschiff, das durch das Meer
stampft, dann versuche ich das zu zeigen, was
sie tun, nicht das, was sie sind. Als die Vision
des Aktes in mir aufblitzte, wusste ich, dass er
die versklavenden Ketten des Naturalismus für
immer zerschlagen würde.“
Für Duchamp stellt der Akt
eben
nicht
einen realen Körper
dar, der eine Treppe herabsteigt. Im Gegenteil begreift er ihn
als reine „Abstraktion der Bewegung“. Das Bild ist Ausdruck
von Duchamps zunehmender Aversion gegen die von ihm
so genannte „retinale Malerei“ oder „Netzhautkunst“, die
er seinen Künstlerkollegen aus Kreisen des Kubismus
und Futurismus unterstellt. Duchamp lokalisiert den Akt
jenseits eines rein visuellen Eindrucks. Angeregt von der
zeitgenössischen Chronophotographie beginnt sich Duchamp
vor allem für die Idee hinter dem Bild zu interessieren.
Besonders die Chronophotographien von Etienne-Jules
Marey inspirieren Duchamp, macht dieser doch als erster
nicht nur Serien von Momentaufnahmen, sondern fixiert
derlei Serien nach dem Prinzip der Mehrfachbelichtung auf
einer einzigen Platte (Abb. 4). Für Duchamp liefern Marey’s
Aufnahmen ein „Schema der Bewegung“, und er bekräftigt,
dass ein derartiges Schema in Wirklichkeit keineswegs eine
Illusion der Bewegung erzeuge: „[...] allerdings erzeugt es sie
nicht, aber es beschreibt sie. Schließlich ist ein Bild nichts
anderes als das Diagramm einer Idee.“ Die Bewegung, die
Duchamp im Akt zur Darstellung bringt, ergibt sich aus
einer Synthese einzelner, statischer Positionen und kann sich
dem Betrachter sozusagen allein im kinematographischen
Nachvollzug erschließen. Die resultierende Bewegung wäre
nach Duchamp zu denken als geistiger Fortschritt oder
Prozess, der eine Serie von Momentaufnahmen nicht nur
aneinanderreiht, sondern im Sinne einer Mehrfachbelichtung
simultan überlagert. Vom Betrachter fordert Duchamp eine
entsprechende Spannung der Konzentration, in anderen
Worten eine Gedächtnisleistung, die den Gegenstand jenseits
seiner Aktualität in einer Vielzahl von Schichten vernimmt.
Mit Bergson wäre der Akt
geradezu als Aufforderung zu
betrachten, sich als Betrachter bewusst jenseits des Bildes
zu verorten, „existiert [doch] die Möglichkeit, Bewegung und
durchlaufene Linie sich decken zu lassen, ausschließlich für
einen Beobachter, der, in jedem Moment die Möglichkeit
eines Stillstands ins Auge fassend, selbst außerhalb der
Bewegung verbleibt.“
Bewegung hin oder her, noch im Frühjahr 1912 wird
Duchamps Akt vom Pariser Salon des Indépendantes
abgelehnt. Anstoß erregt nicht nur der Titel, der noch dazu
in fetten Lettern auf der Bildfläche vermerkt ist, sondern
auch die Tatsache, dass Duchamp einen Akt jenseits der
traditionellen Pose zur Darstellung bringt. Für Duchamp löst
die Auseinandersetzung, wie er sagt, eine komplette Revision
seiner Werte aus. Den darauf folgenden Sommer verbringt
er – wie bereits erwähnt – in München, wo er vollkommen
neuartige Formen von Bewegung und Werden ins Bild zu
setzen beginnt.
Passage...
Noch ehe sich seine Braut eines Nachts in einen Skarabäus
verwandelt, vollendet Duchamp in seinem Hotelzimmer
in München das Gemälde Der Übergang von der Jungfrau
zur Braut (Abb. 5). Mit viel Phantasie lässt das Bild eine
menschliche Figur erkennen. In der Mitte oben ist
halbkreisförmig ein Kopf angedeutet, darunter eine Art
Speiseröhre, die in einen trichterförmigen Behälter mündet.
Am rechten Bildrand sind zwei unscharfe und tendenziell mit
dem Hintergrund verschwimmende Formelemente zu sehen,
die vage Bewegtheit suggerieren und sich als abgewinkelte
Gliedmaßen interpretieren lassen. Die linke, obere
Bildpartie ist von fragmentarisch ineinander verschachtelten
Formelementen dominiert. Links unten kommt eine
Art Greifarm ins Bild, der sich an einem torsoartigen
Formelement zu schaffen macht, welches das linke untere
Bilddrittel zum Großteil einnimmt. Mit Ausnahme des
Torsos, der einen relativ geschlossenen Körper bildet, sind
die verschiedenen Formelemente großteils nicht eindeutig
zuordenbar und lösen sich tendenziell ineinander auf.
Während Duchamp im Akt
noch ein stroboskopartiges Nebenbzw.
Nacheinander von Positionen dargestellt hatte, setzt er
mit dem Übergang von der Jungfrau zur Braut
eine vollkommen
neuartige Form von Bewegung ins Bild. Namentlich fasst er
Bewegung nicht mehr als Serie von Momentaufnahmen im
Sinne eines Fortschritts, sondern begreift sie als Passage von
einer Form zur anderen. Im Übergang sind die einzelnen
Zustände – „Jungfrau“ und „Braut“ – keineswegs klar zu
unterscheiden. Tatsächlich können wir weder
den einen
noch
den anderen Zustand eindeutig identifizieren. Nach
Jonathan Crary würde jeder Versuch einer Stabilisierung
der Figur sogar die essentielle Natur des Gemäldes stören.
Crary beschreibt den Übergang
als Ausdruck einer Form von
Bewegung, die wesentlich offen ist und sich – analog zur
Bergsonschen Lebensbewegung – eben nicht
in ein statisches
Bild fassen lässt:
„Wir können den Übergang als Vollzug
sehen, als ein Werden, welches kein Subjekt
hat [...]. Wir müssen berücksichtigen, dass
Begriffe wie Jungfrau
oder
Braut
diskrete, in
sich geschlossene und begrenzte Einheiten
bezeichnen, während der Übergang
etwas
Offenes, Prozessuales und Dynamisches
beschreibt. [...] Er hat weder ein Subjekt
noch ein Zentrum, ja deutet vielmehr ihre
Abwesenheit an. Stattdessen [...] öffnet er ein
Feld potentiell unendlicher Beziehungen und
schwebender Elemente, die sich nicht auf eine
78 ST/A/R
strukturelle Logik zurückführen lassen.“
Robert Lebel wiederum sieht im Übergang
eben nicht eine
Darstellung des Verlusts der Jungfräulichkeit, sondern den
Ausdruck einer kontinuierlichen Verwandlung, die auf
Duchamps lebhafte Auseinandersetzung mit Problemen
der Psyche und des Organischen verweise. Als wollte
Duchamp den Übergang ganz im Bergsonschen Sinn nach der
Wirklichkeit modeln, setzt er im Bildtitel – welcher wiederum
auf der Bildfläche (links unten) vermerkt ist – explizit das
Werden als Subjekt. Duchamps Bild sagt sozusagen nicht: „die
Jungfrau wird zur Braut“, sondern: „zwischen Jungfrau und
Braut ist Werden“.
In Gegenüberstellung mit der Braut
(Abb. 6) – die als nächstes
und vorerst letztes von Duchamps Gemälden entsteht – wird
deutlich, welche Bildelemente im Übergang
bereits auf die
Braut oder adulte Form verweisen. Auffallend ist zunächst,
dass der halbkreisförmige Kopf im oberen, mittleren Teil des
Bildes leicht verändert wiederkehrt sowie die Speiseröhre
und der Trichter, die vom Kopf aus schief nach rechts unten
verlaufen. Durch diese zentralen Elemente definiert, ähnelt
die Grundstruktur der Braut
derjenigen des Übergangs, wobei
die Braut deutlicher einen Bogen beschreibt, der in Richtung
rechten Bildrand gespannt ist. Unterschiede weisen vor allem
die unteren Bildhälften auf: Während das torsoartige Element
links unten im Übergang an eine Art Kleid oder Hülle denken
lässt, aus welcher sich die Braut nach einem Zustand der
Zersetzung gerade herauszuschälen scheint, gemahnt der
„Unterleib“ im Gemälde Braut
mehr an eine Maschine oder
einen Mechanismus. (Nur kurze Zeit später übrigens wird
Duchamp seine Braut in anderem Kontext tatsächlich mit
Beinamen wie „Explosionsmotor“ oder „Ackerbaumaschine“
versehen.) Während der Übergang
vom Formaspekt her eher
im Bodenlosen schwebt und dem Betrachter keine klaren
Anhaltspunkte bietet, nimmt die Braut
schärfere Konturen
an und wirkt gleichzeitig statischer. Duchamp realisiert hier
ein Neben- bzw. Miteinander von mechanisch-maschinellen
Elementen und amorph-organischen Formen, wobei letztere
in ihren fleischfarbenen Tönen nicht zuletzt die Assoziation
innerer Organe wecken. Sowohl vom Motiv als auch vom
Formaspekt her nimmt das Gemälde Braut
damit wesentliche
Komponenten eines weiteren Werkes vorweg, an dem
Duchamp 1912 bereits konzeptuell laboriert und dessen
Ausführung ihm noch so viel Geduld abverlangen wird,
dass er es 1923 nach achtjähriger „Präzisionsmalerei“ – wie
Duchamp sagt – „unvollendet vollendet“.
Mise a nu...
Mit Die Braut von ihren Junggesellen nackt entblößt, sogar
(Abb. 7) – bekannter unter dem Beititel Das Große Glas
– will Duchamp, wie er sagt, „ein Gemälde schaffen, das
die eigene Zeit in einem einzigen Bild zusammenfasst“.
Duchamp zielt auf eine Kontextualisierung der Malerei ab
und betreibt aus diesem Grund seit 1912 nicht nur zahlreiche
kunsthistorische, sondern auch geometrische, philosophische
und wissenschaftstheoretische Studien. Die Zettelwirtschaft
seiner gesammelten Notizen wird er 1934 in 300-facher
Auflage reproduzieren, in grüne Schachteln verpacken und
– quasi als Beipacktext zum Großen Glas (und ebenfalls
unter dem Titel La Mariée mise a nu par ces Célibataires,
même – oder kurz: die Grüne Schachtel) veröffentlichen.
Nachdem Duchamp seine gesammelten Notizen als
integralen Bestandteil des Großen Glases begreift, scheint es
in diesem Werk vor Mehrdeutigkeiten nur so zu wimmeln.
Damit aber wird Duchamps Braut von ihren Junggesellen
nackt entblößt, sogar alles in allem zu einer äußerst
undurchsichtigen Angelegenheit.
Zunächst einige Worte zur Technik und Struktur des
Großen Glases. Das Werk besteht aus zwei in einen
Metallrahmen gefassten, senkrecht übereinander
angeordneten Glaspaneelen und ist etwa zwei Meter
achtzig hoch, einen Meter achtzig breit und zehn
Zentimeter tief. Die zwei Paneele bestehen jeweils aus zwei
Schichten Glas, wobei das obere eine Spur kleiner ist. An
der Schnittstelle der beiden Paneele sind horizontal drei
Glasplatten eingesetzt, welche die dichotomische Struktur
des Werkes betonen. Die „Zeichnung“ ist auf der Rückseite
der „vorderen“ Scheibe angebracht und wird vorwiegend
aus Bleidraht gebildet, welcher von hinten mit Farbe
austamponiert oder mit diversen metallischen Beschichtungen
versehen ist. Teilweise kommen auch andere Materialien
zur Verwendung, wie zum Beispiel eine „Staubzucht“, die
Duchamp durch monatelanges Liegenlassen des Glases
zustande gebracht und anschließend mit einer Schicht Firnis
fixiert hatte. Infolge der teils vielschichtigen technischen
Prozeduren weisen die Vorder- und die Rückseite des Großen
Glases beträchtliche Unterschiede auf.
Als konzeptuelles Werk stellt das Große Glas ein komplexes
Gefüge dar, das sich ausschließlich über Duchamps
dazugehörige Notizen erschließt. Wie wir der Grünen Schachtel
von 1934 entnehmen, bildet die gesamte Struktur des Großen
Glases einen vielgliedrigen Mechanismus ab, welcher ähnlich
einem Perpetuum mobile um die Befehle der Braut kreist
Buch X - Skarabäen
– wir erkennen sie am linken oberen Bildrand wieder. Das
obere, von amorphen Elementen dominierte Paneel beschreibt
Duchamp als „Domäne der Braut“, das untere, perspektivisch
konstruierte als „Domäne der Junggesellen“ – wobei sich
letztere am linken unteren Bildrand zu einer so genannten
„Junggesellenmaschine“ formieren. Geschieden sind Braut
und Junggesellen durch die drei horizontalen Glasplatten, die
Duchamp auch als „Horizont“ bezeichnet und die das „Kleid
der Braut“ darstellen. Der Horizont bzw. das Kleid ist gedacht
als eine Art Scharnier, das die Sphären des Organischen und
des Mechanischen gleichzeitig trennt und verbindet. Das
wolkenförmige Gebilde mit dem Namen „Milchstraße“ oder
„Inschrift“ (am oberen Bildrand) zeigt die Braut im Zustand
ihrer – wie Duchamp sagt – „zweifachen kinematischen
Entfaltung“ – die er als „mechanische Entblößung“ durch die
Junggesellen einerseits, als „imaginäre Entblößung“ durch
die Braut selbst andererseits beschreibt. Diese „Milchstraße“
ist nach Duchamp auch die leitende Materie für die „Befehle“
der Braut, welche durch drei annähernd quadratische
„Durchzugskolben“ an die Junggesellen weitergeleitet werden.
Letztere sind in einen so genannten „Uhrwerk-Mechanismus“
eingebunden und dazu bestimmt, die Befehle der Braut
zu empfangen, weiterzuleiten und damit die Entblößung
oder kinematische Entfaltung der Braut voranzutreiben.
Das so genannte „Leuchtgas“, welches das Verlangen der
Junggesellen zum Ausdruck bringt und das nach Duchamp
„unbestimmten Ursprungs“ ist, vollzieht auf seinem
imaginären Weg zur Braut zahlreiche Metamorphosen.
Mit seinem Großen Glas rückt Duchamp also abermals
einen neuartigen Typ von Bewegung oder vielmehr Werden
ins Bild. Augenscheinlich wird dies zunächst anhand der
verschiedenartigen Prozesse, die zur Entstehung des Bildes
geführt und Duchamp nicht zuletzt den Ruf eines Alchimisten
eingebracht haben. Sowohl die diversen technischen
Verfahren – wie zum Beispiel das Züchten von Staub – als
auch Duchamps strategische Verwendung des Zufalls prägen
das Große Glas maßgeblich. So sind beispielsweise die Formen
der drei Durchzugskolben entstanden durch ein Gazetuch, das
in den Wind gehängt und drei Mal abfotografiert wurde. Aber
auch im Konzept zum Großen Glas spielen Werdensprozesse
eine tragende Rolle. Während die Junggesellenmaschine
(links unten) nach Duchamp eine rein mechanische und
abstrakte Bewegung vollzieht, fasst Duchamp den „Ausdruck“
der Maschine – das Leuchtgas – als einen Austragungsort
„zahlreicher Metamorphosen“, ebenso wie die er Braut
als Ausgangspunkt einer – wie er sagt – „zweifachen
kinematischen Entfaltung“ definiert.
Dass Duchamp seine Braut von ihren Junggesellen nackt
entblößt, sogar
auf einem Hintergrund aus Glas thronen
lässt, spielt für sein Konzept des Werdens eine mindestens
ebenso essentielle Rolle. Duchamp vollzieht eine Verkehrung
der traditionellen Glasmalerei: Während diese gefärbtes
Glas in Blei fasst und als strahlenden Filter einsetzt, fasst
Duchamp das Blei umgekehrt in transparentes Glas, wodurch
die Zeichnung vom Hintergrund teilweise richtiggehend
„überstrahlt“ wird (Abb. 8). Wenn Duchamp mehrfach betont,
das Glas habe ihn „ gerettet wegen seiner Transparenz“, so
bestätigt er die tragende Rolle, die der Hintergrund spielt,
indem er eben nicht vorgegeben ist, sondern je nach Standort
des Glases oder nach Position des Betrachters potentiell
unendlich viele Formen von Werden ins Bild rückt. Als
Konzept einer faktischen Gegebenheit stellt der Hintergrund
des Großen Glases gleichsam Duchamps erstes Ready-made
dar.
Wenn es Duchamp nun um die Entblößung
einer Braut geht,
welche in eine reale Umgebung sorgfältig eingebettet liegt,
so ist die Braut nicht zuletzt als eine Allegorie der Malerei zu
verstehen, welche Duchamp nicht länger mit einem reinen
Oberflächeneffekt identifiziert wissen will, weswegen er ihr
– anstatt einer Leinwand – ein durchsichtiges Kleid verpasst.
Das Begehren des Malers, eine Kunst jenseits statischer
Konzepte und mit Bezug zur Lebenswirklichkeit zu schaffen,
Nr. 15/2007
ist mit dem Großen Glas fürs erste anscheinend erfüllt,
sogar. Und für den Betrachter könnte sich das Große Glas in
letzter Konsequenz geradezu als eine Art Imaginalscheibe
entpuppen, welche die adulte Form – oder vielmehr noch das
Werden einer Braut – aus einem Zustand der Zersetzung
hervorbringt: Erschien das Große Glas zunächst als
disparate und nicht weiter zu differenzierende Struktur mit
eingeschriebenem Bauplan, so unterliegt es bei näherer oder
auch fernerer Betrachtung einer dauernden Metamorphose.
Sozusagen aber bildet es – ganz im Bergsonschen Sinne – ein
kontinuierliches „Werden von einer Form zur anderen“ ab,
und damit einen Prozess, der als ganzer auf die Entpuppung
eines Imago zielt.
Schluss...
Die drei horizontal eingefügten Glasscheiben, die im Großen
Glas das „Kleid der Braut“ markieren, trennen die Domäne
der Junggesellen – man könnte sie auch als Domäne der
Betrachter interpretieren – von der Domäne der Braut. Warum
aber realisiert Duchamp das „Kleid der Braut“ gerade in drei
Schichten?
In seinem Kino-Buch L’image-mouvement
unterscheidet Gilles
Deleuze am Beispiel von Bergsons Konzeption der Bewegung
zwischen drei Ebenen der Anschauung:
„1. die Ensembles oder geschlossenen
Systeme, die sich aus unterscheidbaren oder
unterschiedenen Teilen definieren; 2. die
Translationsbewegung, die sich zwischen den
Objekten herstellt und ihre Stellung zueinander
modifiziert; 3. die Dauer oder das Ganze,
eine sich fortwährend gemäß ihren eigenen
Relationen verändernde geistige Realität.“
Duchamps Großes Glas liefert für jede der drei Ebenen einen
Anhaltspunkt: Je nach Interesse des Betrachters kann es
als statische Struktur, als mechanistisches Konzept oder
als Fingerzeig auf ein im Hintergrund sich ereignendes
Ganzes aufgefasst werden. Damit aber nicht genug. Vor
dem Hintergrund des Großen Glases ergibt sich auch eine
neue Perspektive auf Duchamps eigentliche Ready-mades,
die Thomas Zaunschirm in einer so minuziösen wie
überzeugenden Analyse auf den englischen Ausdruck „ready
maid“ und damit auf das Konzept der Braut zurückgeführt hat.
Wie die Braut im Großen Glas ist der imaginäre Gehalt eines
beliebig gewählten Gegenstandes nur aus einem spezifischen
Kontext zu generieren. Und tatsächlich entwickelt Duchamp
sein Konzept des Ready-made parallel zu seiner Arbeit am
Großen Glas. Er verfolgt damit zur selben Zeit zwei höchst
unterschiedliche Strategien: Einerseits investiert er insgesamt
elf Jahre in die minuziöse Planung und Ausführung eines
einzelnen Werkkomplexes, anderseits erhebt er den spontanen
Akt der Wahl eines beliebigen Gegenstands – die so flüchtige
wie souveräne Geste – mit seinen disparaten Interventionen in
den Status eines künstlerischen Prozesses.
In einer Arbeitsnotiz aus der Grünen Schachtel bringt
Duchamp seine so unterschiedlichen Strategien auf den
Punkt: „Präzisionsmalerei und Indifferenzschönheit“
lautet die enigmatische Formel, zu der Duchamp inmitten
einer Aneinanderreihung höchst disparat anmutender
Assoziationen gelangt (Abb. 9). „Bier-Professor“ lesen
wir da zum Beispiel ganz links außen, in Erinnerung an
Duchamps nächtliche, und wie er sagt, von „ziemlich viel
Bier“ inspirierte Vision von der Braut. Oder auch, direkt
unter einer kleinen Skizze zum „Raum“: „die Zahl 3 als
Refrain in der Dauer“. Und gleich darauf: „Immer oder fast
immer angeben: das Warum der Auswahl zwischen 2 oder
mehrerer Lösungen“.
Ähnlich widersprüchlich wie Duchamps Formel
„Präzisionsmalerei und Indifferenzschönheit“ wirkt
schließlich die methodische Konsequenz, die Bergson aus
seiner Philosophie des Werdens zieht. In seiner Einführung
in die Metaphysik aus dem Jahr 1903 postuliert er –
gleichsam als Paradoxon par excellence – eine so genannte
„Methode der Intuition“, welche auf Duchamps strategische
Disparität geradezu zugeschrieben erscheint. Mit einer
vagen Andeutung Bergsons zu dieser „Methode“ möchte ich
zum Schluss kommen:
„Wir bezeichnen […] als Intuition die
Sympathie, durch die man sich in das Innere
eines Gegenstandes versetzt, um mit dem,
was er Einzigartiges und infolgedessen
Unaussprechliches an sich hat, zu koinzidieren.
[…] Kein Bild kann die unmittelbare Intuition
der Dauer ersetzen, aber viele verschiedenartige
Bilder, die den verschiedenartigsten Bereichen
der Dinge entlehnt werden, können durch die
Konvergenz ihrer Wirkung das Bewusstsein auf
den Punkt hinlenken, wo eine gewisse Intuition
möglich ist.“ 17
Nr. 15/2007
Buch X - Skarabäen ST/A/R 79
MARC ADRIAN
Dieter Sperl
Der in Zusammenarbeit der Neuen Galerie Graz und dem Ritter Verlag entstandene Katalog (der
zugleich Monografie ist) gewährt einen umfassenden Einblick in das Wirken und die Werkgeschichte
eines außergewöhnlichen österreichischen Künstlers. Darin enthalten sind Textbeiträge von Peter
Weibel, Dieter Bogner, Hans Petersen und Margit Rosen.
Im Nachkriegsösterreich zählt Adrian zu jenen Künstlern,
welche in der Tradition der Vielfalt der Begabungen und
der Reflexion stehen, schreibt Peter Weibel in seinem
Editorial. „1930 geboren, war für ihn wie für viele Künstler der
Neo-Avantgarde Europas der Terror des Nationalsozialismus
entscheidende Quelle für die Hinwendung zur Rationalität,
Analytik und Multimedialität. Der Aufstand gegen die
Autorität, gegen das Gesetz des Vaters und gegen die
Repression wird in vielfältigen Formen der Befreiung des
Bildes, des Körpers, der Erotik, der Sinne und des Subjekts
zelebriert.“
Und Adrian arbeitet von Anfang an mehrgleisig, als konzeptueller
Denker, Theoretiker, Filmemacher, Schriftsteller findet er sich für
seine Überlegungen die dazu passenden Ausdrucksformen. Als
einer der ersten Künstler überhaupt bezieht er den Betrachter in
das Kunstwerk mit ein und macht es auf diese Weise mobil. Bereits
1950 entstehen solche Beobachter-abhängigen Bilder. Bei diesen
Sprungperspektiven können sich die geometrischen Inhalte der
meist in den Primärfarben gehaltenen Bilder durch Veränderung
des Betrachterstandpunkts verändern, wodurch gleichzeitig
die Illusion von Bewegung erzeugt und der Faktor Zeit in den
Wahrnehmungsvorgang integriert wird.
Auch bei seinen einige Jahre danach entworfenen kinetischen
Objekten, den Rotations- und Schaukelplastiken wird der Betrachter
zum Mitschöpfer des Kunstwerkes. 1965 bei der Ausstellung The
Responsive Eye am New Yorker MoMA wird dieses Prinzip als “Op-
Art“ bezeichnet; das Time Magazine berichtet im Vorfeld dieser
Ausstellung darüber und prägt diesen Begriff. Zur gleichen Zeit
begann Adrian sein filmisches Schaffen. Wiederum reflektiert er
das eigene Sehen und das aufzeichnende Material und lässt seine
Reflexionsprozesse in das Werk einfließen. Für den Film BLACK
MOVIE I (1957) klebt er nach einem bestimmten metrischen
System vorgefundene farbige Filmvorspänne aneinander: Der
Film wird quasi ohne Kamera gezeugt und besteht aus Farben in
Raum und Zeit; der künstlerische Akt beschränkt sich auf die Wahl
der Mittel, Auswahl, Nacheinander und Dauer des Erscheinens der
Farbflächen.
Seine Gedanken zu einer vom Genie befreiten Literatur entstehen
im Umfeld der Wiener Gruppe. Dort hatte H.C. Artmann den
chilenischen Dichter und Anarchisten Ivan Contreras-Brunet
eingeführt, dessen proklamiertes Ziel es war, Dichtung auf ein
System weniger Regeln zurückzuführen. Existiert quasi ein
syntaktisch-semantisches Programm, kann man nach einem
bestimmten metrischen System (welches bei Adrian oft der
Goldene Schnitt ist) Dichtung entstehen lassen: Programm und
Zufall erwirken die Schöpfung und nicht Genialität, Schöpferkraft,
Bewusstheit oder die Unbewusstheit des Künstlers. Damit wird
die Erfindung methodischer Verfahren zur Produktion von Kunst
Konstruktionszeichnung für Mobile Nr. 8, 1957–59, Gouache,
Tusche, Bleistift / Papier, 71 x 91 cm
und die damit einhergehende Demokratisierung ästhetischer
Prozesse betont und nicht der individuelle oder überindividuelle
Bewusstseinsakt. Der aus diesen und ähnlichen Überlegungen
entstandene methodische Inventionismus (1954) führt bald dazu,
den Computer zur Textproduktion zu verwenden (1967). Weiters
entstanden Filme, in denen Schriftelemente (WO-VOR-DA-BEI,
1958) Hauptdarsteller waren ebenso umspringende Wortgruppen in
seinen Hinterglasmontagen (LIFE FORGET, 1966). Solcherart hatte
Marc Adrian seine künstlerischen Ausdrucksmöglichkeiten binnen
eines Jahrzehnts maximal erweitert und sein Hauptaugenmerk, die
Verbindung von Zufall und Gestaltungswille dabei immer besser
austrariert.
Mit diesen Leistungen hat Adrian in den 1960er Jahren an allen
wichtigen Ausstellungen dieser Kunstrichtungen teilgenommen:
von der Ausstellung der Neuen Tendenzen von 1961 bis 1969 in
Zagreb, an der legendären Schau Cybernetic Serendipity 1968 im
Institut of Contemporary Arts in London, an Computer und Visuelle
Forschung. Tendenzen 4 1968 in Zagreb, an Kinetika 1967 in Wien,
an der Trigon 67 in Graz und an The Responsive Eye 1965 im MoMA
in New York. Dennoch hat dieser vielschichtige, stets mehrgleisig
agierende Künstler bis heute in der offiziellen österreichischen
Kunstgeschichtsschreibung keine seiner Bedeutung entsprechende
Würdigung erfahren, obwohl gerade diese „multimediale
Mentalität, gepaart mit dem Willen zur genauen Analyse
Österreichs große Begabung und Beitrag zur Kulturgeschichte“
wie Peter Weibel schreibt, und Marc Adrian ein Vorreiter und
Prototyp dieser Mentalität ist. Höchtstwahrscheinlich existiert eine
Art Generalverdacht, den eine primär ökonomisch ausgerichtete
eingleisige (dem Gesetz des Vaters huldigende) Mentalität einer
mehrgleisigen, Freiheitsschübe forcierenden gegenüber darbringt,
Mobile Nr. 8, 1959, Stahl, Draht, Spannweite 275 cm
der in etwa besagt, dass es unmöglich sei, qualitativ Hochwertiges
zu leisten, ohne sich selbst zu beschränken, denn davon zeugen
doch der Großteil der Ergebnisse gegenwärtiger und vergangener
künstlerischer Versuche. Und natürlich auch, dass Qualität wichtiger
sei als ästhetische Demokratisierung. Der Katalog gewährt einen
ausführlichen und gewissenhaften Einblick in dieses umfangreiche
und beständig auf vielen Ebenen weiter wachsende Werk.
ROT-ORT, WV 146a, 1965, Hinterglasmontage, 75 x 75 cm
courtesy rittergallery
80 ST/A/R
Buch X - Skarabäen
Nr. 15/2007
Städteplanung / Architektur / Religion
Buch XI - Tolstojs Theaterbuch ST/A/R 81
Theaterbuch
Oxana Filippova,
Autorin von “Garage”
GARAGE
82 ST/A/R
Buch XI - Tolstojs Theaterbuch
Nr. 15/2007
Oxana Filippova/Deutsch von Valie Airport/Eingedeutscht von Georg Valerian
GARAGE
Personen:
Franz und Franz
Schneebedeckter Hof umgeben von mehrstöckigen DDR-Blockbauten. Mitten im Hof steht eine
Wellblechgarage nach alter Ostblock- Bauart.
Berlin-Ost. Eine Laterne. Stille.
Ruf, seitlich aus der Kulisse: Schei-i-i!!!
Zwei Franze betreten die Bühne, ziehen sich im Gehen eilig die Jacken über.
Franz I: Brüll nicht so rum Franz! Du weckst noch alle auf. Es ist spät, die Leute schlafen schon!
Franz II: Schei-i-i-be!!! So eine Kacke! Krepieren sollen sie alle!
Franz I: Egal, brüll nicht so, es ist schon Mitternacht! Sonst rufen die Prolls hier noch die Bullen, die
müssen morgens früh raus zur Arbeit.
Franz II: Sollen sie doch, ich bin stocknüchtern! Ich habe keinen Tropfen getrunken heute. Hat
nicht geklappt! Die Flasche haben wir umsonst gekauft. Und die Gummis auch, 12 Stück! (zieht eine
Flasche Schnaps und eine Packung Kondome aus der Tasche)
Franz I: Kalt ist es, minus zwanzig wahrscheinlich…
Franz II: Wenn nich noch mehr! So eine russische Kälte! Oh! Fort sind sie die Russen, aber die Kälte
bleibt…
Franz I: Nehmen wir einen Schluck? (greift nach der Flasche)
Franz II: Okay! (öffnet die Flasche)
Trinken nacheinander.
Franz I: Herrlich! Das wärmt.
Franz II: Ja, tut verdammt gut!
Franz I: Genau das, was der Doktor verschrieben hat!
Franz II: Warum, zum Teufel, sind wir bloß zu diesen Weibern gegangen?
Franz I: Wer konnte schon wissen, dass alles so endet? Ich dachte, die bewirten uns dort…
Franz II: Nicht mal was Ordentliches zu Trinken gab es! Mir ist beinahe die Blase geplatzt wegen
dem Tee mit der Erdbeermarmelade nach Großmutter-Art. Wir haben gemütlich dort gesessen,
haben geplaudert und wären hängengeblieben, hätten sie uns nicht zur U-Bahn geschickt: „Es ist
schon spät, Jungs, ihr werdet die letzte U-Bahn nicht mehr erwischen, und wir haben keinen Platz
für euch zum Übernachten, sorry, tut uns leid…“ (schneidet eine Grimasse) Hurenpack!
Franz I: Wir hätten hartnäckiger auftreten sollen!
Franz II: Was denn noch? Ich habe gebaggert was ging, aber…
Franz I: Egal, trinken wir den Schnaps aus und gehen zur U-Bahn, sonst versäumen wir sie wirklich
noch…
Trinken nacheinander aus der Flasche.
Franz II: Wo hast du dir nur diese Tussis aufgerissen, Franz?
Franz I: An der Uni hab ich sie aufgegabelt, wo denn sonst. Studentinnen aus Bayern. Frisches,
unschuldiges Blut! Nicht so wie die blassen Berliner Girls…
Franz II: Mit den Berliner Weibern ist es einfacher.
Franz I: Lass uns gehen, Franz!
Franz II: Wart ma noch n Moment, Franz! Ich muss pissen, nicht mal das hab ich bei denen!
Franz I: Warum nicht?
Franz II: War mir zu peinlich. Die sind so waschmittelweiß, dass ich mir auch gleich Komplexe
zugelegt habe. Den ganzen Abend hab ich durchgehalten. Gib mir den letzten Schluck! (leert die
Flasche, knöpft die Hose auf und schickt sich an, in die Flasche zu pinkeln)
Franz I: Spinnst du, Franz, du willst in die Flasche pinkeln?
Franz II: Na und?
Franz I: Du wirst dich vollschiffen!
Franz II: Werd ich nicht!
Franz I: Mann, geh lieber rüber zu der Garage da! Sonst stinkst du nach Pisse und ich kann so mit
dir durch die ganze Stadt gondeln!
Franz II: Is ja gut! (wirft die Flasche fort, geht zur Garage) Mann-o-mann! Bei dieser Schweinekälte
klirren einem sogar die Eier! Ah, tut das gut! … Herrlich … Es läuft und läuft…
Franz I: Weißt du was, Franz, du tust denen unrecht! Die wollen wahrscheinlich, dass wir uns um
sie bemühen und nicht gleich beim ersten Mal mit ihnen ins Bett steigen, und nicht besoffen …
Heike hat mir eigentlich gut gefallen, sie hat schöne Beine, glatte Knie, einen großen Busen. Und
die Elke kann sich auch sehen lassen …
Franz II: Arschloch! Noch ein Wort und ich piss dich an!
Franz I: Lass ma gut sein, Franz! (klopft dem Gefährten auf die Schulter)
Franz II: Ah-h-h!!! Sche-i-i …
Franz I: Was hast du, Franz?
Franz II: h-h-h… Meine Eichel hängt an der Garage fest! Schei-i-i…
Franz I: Lass ma sehn! (bückt sich, guckt)
Franz II: Schei-i-i…
Franz I: Ach, du Kacke! Da sitzt du schön fest!
Franz II: Was soll ich jetzt tun?
Franz I: Kannst du ihn losreißen?
Franz II: Aua, das tut weh! Nein, kann ich nicht, Mann!
Franz I: Probiers noch mal!
Franz II: Ich kann mir nur den ganzen Schwanz abreißen! Aber was sag ich dann meiner Freundin?
Dass mir n Hund den Schwanz abgebissen hat? Ein Leben ohne Schwanz? Nein, niemals!
Franz I: Verflucht, wir müssen uns was einfallen lassen!
Franz II: Was?
Franz I: Man muss ihn mit etwas Aufwärmen …
Franz II: Nur, wenn du von oben draufpisst.
Franz I: Kann ich nicht, ich war vorm Weggehen auf dem Klo, ich hatte da kein Problem mit.
Franz II: Vielleicht mit heißem Wasser oder Tee?
Franz I: Dann muss ich noch mal zurück und fragen. Nur, wie soll ich das erklären? Ich kann diesen
Gänsen doch nicht sagen, dass du mit dem Schwanz an der Garage festhängst! Und was soll ich
dann mit der Tasse tun? Zurücktragen? Und wenn sie erst gar nicht aufmachen? Nein, ich gehe
nicht!
Franz II: Verdammt, ich frier schon ein …
Franz I: Vielleicht hilft anhauchen? Warme Luft.
Franz II: Versuchs mal, ich komm nicht hin.
Franz I: (bückt sich, pustet heftig) Pfff-pfff-fff…
Franz II: Das funktioniert nicht. Besser mit der Zunge.
Franz I: Dann bleib ich auch kleben!
Franz II: Immerhin warst du es, der mich in diese Lage gebracht hat!
Franz I: Das war doch keine Absicht.
Franz II: Arsch, und dich hab ich für einen Freund gehalten …
Franz I: Geh scheißen!
Franz II: Geh selber!
Franz I: Die letzte U-Bahn fährt. Und ich hab kein Geld für ein Taxi… (blickt besorgt auf die Uhr)
Franz II: Lass mich hier nicht hängen, Franz!
Franz I: Vielleicht, sollten wir einen Rettungswagen rufen?
Franz II: Du bist wohl nicht ganz dicht?
Jetzt
Franz I: Reiß ihn ab!
Franz II: Ich kann nicht!
Franz I: Dann geh ich …
Franz II: Du kannst doch jetzt nich abhaun, Franz!
Franz I: Tut mir leid, Franz, die letzte U-Bahn fährt, und
Geld fürs Taxi hab ich auch keins…
Franz II: Geh nicht weg, Franz!
Franz I: Sorry, Franz…
Franz II: Geh nicht!
Franz I: Ich muss jetzt rennen! Sonst schaff ich es nicht
mehr nach Steglitz. Entschuldige, tut mir leid, Franz…
(blickt auf die Uhr, dreht sich um und läuft davon)
Schneebedeckter Hof umgeben von typischen mehrstöckigen DDR-Blockbauten. Inmitten des Hofes eine
Wellblechgarage nach alter Ostblock-Bauart. An der Garage hängt zusammengekauert ein Mensch.
Berlin-Ost. Eine Laterne. Stille.
Der Vorhang fällt.
Ein verzweifelter Schrei: Schei-i-i-i!!!
ENDE
Deutscher
Nr. 15/2007
Buch XI - Tolstojs Theaterbuch ST/A/R 83
Russische und türkischer
Schauspieler in Deutschland
Flyer für die Premiere
Kosmopolit
Theaterdirektor
Grischa Kofman
Kosmopolit
Theaterdirektor
Grischa Kofman
in Berlin!
Ab 1. Sept.
im Rusischen Theater
Berlin, Brenzlauer Berg -
Kulturbrauerei.
Co-Regie:
Wladimir Jaremenko-Tolstoj
Garagen in Ost-Berlin
Städteplanung / Architektur / Religion Buch XI - Tolstojs Theaterbuch
ST/A/R 85
Fotos von Diana Wiedra der ST/A/R 12 Performance im MAK Dez.06
ST/A/R-Gast & Valie Airport
Alex Alexeev-Popov
„Astigmatismus“
Roventa Angelo:
Priester & Architekt
Ismael -
ST/A/R Artist
Tolstoj
Dr. Chris Denker besprüht den
Pariser Performancekünstler
Stephane de Medeiros.
Links ST/A/R-Journalist
Gerald Kofler mit Bier
Preisverleihung: Nobert Sputnic
Steiner, Konrad Frey, H.G.
Weltkünstlerin
Barbara Doser
Microevenement
von Tsuniko Tanuchi
aus Paris
Michelangelo
Derwischtanz der
Unterdiakone der
apostolischen Kirche:
Wladimir Tolstoj & Heidulf
Gerngross, Herausgeber
der 1000seitigen ST/A/R-
Zeitung
Slowakische Mode
„Today“
Peter Korak für
ST/A/R & Krone
86 ST/A/R
Buch XI - Tolstojs Theaterbuch
Nr. 15/2007
Fotos: GERNGROSS, TOLSTOJJ
PRIESTERWEIHE IM MAK:
DER ARCHITEKT ANGELO
ROVENTA WIRD VON
BISCHOF ARSENIK ZUM
PRIESTER PATER ANGELO
GEWEIHT.
LINKS: IKONE GEMALT VON
WLADIMIR JAREMENKO-
TOLSTOJ ANLÄSSLICH DER
WEIHE ALS GESCHENK AN
DIE APOSTOLISCHE KIRCHE
ÖSTERREICH
Nr. 15/2007
Buch XI - Tolstojs Theaterbuch ST/A/R 87
Deutsch von Valie Airport
DER HÜHNERVÖGLER
(Theaterstück in einem Akt)
Wladimir Jaremenko-Tolstoj
Personen: Alexander und Alexandra
Alexander: (liest laut die Zeitung) „Das panische Krähen seines geliebten indischen Hahnes
riss vergangene Nacht Viktor Leonidowitsch Toporow, Pensionist, jäh aus dem Schlaf. Der
Hahnenschrei erfolgte zu ungewöhnlicher Zeit und klang mehr als seltsam. Viktor Leonidowitsch
wurde stutzig. Der Hahn schrie weiter wie am Spieß. Leonidowitsch begab sich in den Hof und
sah gerade noch die Silhouette eines Mannes in Richtung Wald verschwinden. Böse Vorahnungen
ließen dem Pensionisten das Herz stocken. Im Laufschritt eilte er zum Hühnerstall, wo sich
ihm ein Bild des Chaos bot. Die Hühner hatten sich in die Ecken verkrochen, der indische Hahn
schrie ununterbrochen weiter, wenn auch etwas weniger markerschütternd. Auf dem Erdboden
wälzte sich in unnatürlicher Pose Anjuta, die Bruthenne. Das Gefieder wild zersaust, mit weit
aufgerissenem Schnabel rang sie nach Luft. „Der Hühnervögler“ schoss es dem Pensionisten
Toporow durch den Kopf. Der Revierinspektor wurde informiert.“
Alexandra: (ungehalten) Schwachsinn! Ödes Schauermärchen der Boulevardpresse! Es gibt keinen
Hühnerficker!
Alexander: Stimmt nicht. Das ist bereits der achte Fall in den letzten paar Wochen. In der Zeitung
steht übrigens, dass die Henne Anjuta und der
indische Hahn danach krepiert sind. Hast du kein
Mitgefühl!?
Alexandra: Es ist mir unvorstellbar, wie man ein
Huhn ficken kann! Die haben nicht einmal eine
Fut! Völlig absurd!
Alexander: Wieso? Hast du noch nie einen
Hühnerarsch gesehen? … so rund, appetitlich,
muskulös … Ich glaube, den zu ficken kann ganz
angenehm sein…
Alexandra: Pfui! Wie kannst du nur solch
widerliches Zeug daherreden!
Alexander: Schon gut, tut mir Leid! Komm, gib
mir einen Kuss!
Alexandra: Geh weg! Mir graust vor dir.
Alexander: Sei nicht sauer! Es war ein Scherz
(versucht sie zu umarmen).
Alexandra: (wendet sich ab) Lass mich …
Alexander: Vielleicht sollten wir miteinander
schlafen?
Alexandra: Sicher nicht! Nachdem, was du gesagt
hast …
Alexander: Was habe ich schon gesagt?
Alexandra: Nichts! Nur werde ich mir jetzt als
Huhn vorkommen.
Alexander: So ein Blödsinn! Und überhaupt – der
Hühnervögler ist eine Erfindung der Presse. Ich gebe dir Recht. Gehen wir ins Bett…
Alexandra: Nein! Der Hühnerficker existiert! Du hast mich selbst gerade überzeugt.
Alexander: Zum Teufel mit ihm, diesem Hühnerficker! Es dreht sich so schon alles um ihn. Was
haben du und ich mit ihm zu tun? Er ist ja nicht mal hier in der Stadt, sondern irgendwo weit weg
im Süden.
Alexandra: Du, die Katja hat mich gestern angerufen und gemeint, sie hat Angst nachts allein auf
die Straße zu gehen.
Alexander: Was hat die Katja zu fürchten?
Alexandra: Nicht was, sondern wen – den Hühnerficker!
Alexander: Die ist eine solche Furie, dass sich nicht mal der Hühnerficker an sie ranmacht!
Alexandra: Du! Du bist der Hühnerficker!
Alexander: (empört) Ich bin der Hühnervögler?
Alexandra: Ja, der Hühnervergewaltiger!
Alexander: (schnappt nach Luft) Ich bin der Hühnerficker???
Alexandra: Ja, du!
Alexander: Und du, du … weißt du, was du bist?
Alexandra: Was?
Alexander: … ein Huhn!
Alexandra: Bist du dir bewusst, was du sagst?
Alexander: Ja!
Alexandra: Hühnervögler!
Alexander: Huhn!
Alexandra: Hühnerficker!
Alexander: Huhn!
Alexandra: Hühnervögler!
Alexander: Halt die Klappe!
Alexandra: Halt selber die Klappe!
Alexander: Lass uns lieber Abendessen.
Alexandra: Na gut.
Alexander: (schlägt die Zeitung auf) „Die Bevölkerung ist alarmiert. Täglich gehen zahllose Anrufe
in der Redaktion ein. Die Leute sind empört über die Untaten des Hühnervöglers, man verlangt
seine rasche Ergreifung und fordert eine öffentliche Gerichtsverhandlung. Auf die Fragen der Leser
antwortet der Staatsanwalt des Nowosibirsker Gebietes.“
Alexandra: Interessant …
Alexander: (liest weiter) „Die Handlungen des Hühnervöglers unterliegen keinem Paragraphen
des Strafgesetzbuches der Russischen Föderation. Im Falle der Ergreifung des Hühnervöglers
kann nicht einmal eine vermögensrechtliche Klage gegen ihn erhoben werden, da weder Diebstahl
noch Entwendung vorliegen. Eines Mutwillensdeliktes kann er aufgrund fehlender Zeugen nicht
angeklagt werden.“
Alexandra: Der entkommt doch nicht?
Alexander: Selbst wenn er gefasst wird, was dann?
Alexandra: Dieser Aussage des Staatsanwaltes zufolge kann er allem frech und frei nachgehen …
Alexander: Im Bewusstsein seiner Straffreiheit…
Alexandra: Genau!
Alexander: Mir wird ganz anders!
Alexandra: Hab keine Angst!
Alexander: Wenn man bedenkt, in welch grausamer Welt wir leben! Früher gab’s das nicht. Vielleicht
sollten wir nach Deutschland auswandern?
Alexandra: Du Naivling! Das deutsche Konsulat in Novosibirsk stellt schon lange keine
Emigrationsvisa mehr aus. Sie haben Angst, sich den Hühnervögler einzuhandeln. Die Deutschen
haben auch ohne ihn genug Probleme.
Alexander: Wir sind also zu spät! Was sollen wir tun, wie überleben? Gibt es denn gar keinen
Ausweg? Mir wird angst und bang!
Alexandra: Und mir erst!
Alexander: Sollen wir nicht das Licht aufdrehen? Es ist spät geworden, es wird schon dunkel …
Alexandra: Und wer geht zum Lichtschalter?
Alexander: Du!
Alexandra: Wieso ich?
Alexander: Du bist näher …
Alexandra: Oder bumsen wir miteinander?
Alexander: Ich kann nicht!
Alexandra: Warum? Wolltest du nicht gerade?
Alexander: Nein, ich kann nicht! Solange der Hühnervögler frei herumläuft, kann ich nicht! Ich werde
immer denken, ich vögle ein Huhn …
Alexandra: Und das Huhn bin ich?
Alexander: Entschuldige, aber es wird mir so
vorkommen!
Alexandra: Na gut, dann stell dir vor, ich habe
einen kleinen muskulösen Arsch …
Alexander: Was schlägst du vor?
Alexandra: Trottel!
Alexander: Ich habe noch niemanden in den Arsch
gefickt!
Alexandra: Nein, du bist der Hühnervögler!
Alexander: Ich bin der Hühnervögler?
Alexandra: Ja, genau. Du bist der Hühnerficker!
Der Hühnervögler in persona!
Alexander: Ach ja? Wenn das so ist, gehe ich.
Alexandra: Wohin?
Alexander: Raus.
Alexandra: (beunruhigt) Und wenn der
Hühnervögler da draußen ist?
Alexander: (zerstört) Na wenn schon!
Alexandra: Gut, dann hau ab! Aber komm nie
wieder! Und nimm deine Zeitung mit!
Alexander nimmt die Zeitung und tritt ab.
Vorhang.
88 ST/A/R
Buch XI - Tolstojs Theaterbuch
Nr. 15/2007
Vorankündigung!
CCCP
Lex Leopold
Ein Theaterstück von
Wladimir Jaremenko-
Tolstoj.
Erscheint unzensuriert im
1000seitigen ST/A/R.
Ein Nachkriegsdrama aus
dem Jahr 1945.
Die wahre Geschichte von
Major der Roten Armee
Andrej Gradusow in Melk
und Wien
Andrej Gradusow
1945 in Melk
CCCP
2007 in Novosibirsk
ST/A/R-Gäste: Russische Anarchisten (kommen nach Österreich)
HAUSBESUCHE
AUF BESTELLUNG.
HOTLINE: 0676/6214753
Städteplanung / Architektur / Religion
Buch XII - WARAN * back from Ohio ST/A/R 89
FOTOS: WWW.KORRAK.COM
ICH WAR ALS
KIND SCHON
SCHEISSE.
23
23
90 ST/A/R
Buch XII - WARAN * back from Ohio Nr. 15/2007
Nr. 15/2007 Buch XII - WARAN * back from Ohio
ST/A/R 91
Fotos:
STERNE SIND AUCH
NUR MENSCHEN.
92 ST/A/R Buch XII - WARAN * back from Ohio Nr. 15/2007
Nr. 15/2007 Buch XII - WARAN * back from Ohio
ST/A/R 93
Und wenn sie nicht erfrohren sind, dann frieren
sie noch heute. die antarktis bietet schutz
für tausende von eiswürfeln. eigentlich muß
das apfelmus kernlos sein, aber welche maschiene
bringt das übers herz, ohne daran zu verzweifeln?
er lebt in einer bibliothek mit zwei klavieren, aber
leider sind alle bücher auf russisch, nur die bilder von
dali sind zweisprachig, so wie seine aufzeichnungen die
er zu veröffentlichen gedenkt. selbst mir ist nicht klar
was aus mir werden sollte, wo ich doch nie fieberblasen
bekomme, aber ich könnte ihm einen blasen bis er
fieber bekommt ( jungle fever) ohne einen gedanken zu
verschwenden setzt er sich nach einer schlaflosen nacht,
in bewegung und findet sich von natur aus großartig.
mir war es wie ein blick, der mir zu verstehen gab, das
alles gut wird, wenn man nur am ball bleibt, genauso
wie er fußballspielt. eben wie ein gehirnaputierter bartträger,
dem es gleich ist was der rest der welt über ihn
denkt. den längsten zu haben war seine größte devise.
bankgeschäfte wickelte er nur übers telephon ab, und
ab und zu war er zu und offen für alles und jeden und
die stadt liebt ihn mit oder ohne kondom. am samstag
konnte er es fast nicht begreifen, daß ausgerechnet er
wiedereinmal bei seinem zehnten bier angelangt am
titelblatt der St/A/R zeitung war und so gut aussah, das
selbst die tauben dünnschiß bekamen. danke du blonder
engel des lichts am plumpsklo. seine bauchmuskeln
katapultierten ihn an die spitze der charts b.z.w an die
spitze seiner eichel b.z.w an die spitze seiner zunge was
aufs selbe hinausläuft wenn er ausläuft. in dieser stadt
gibt es wenige, die ihn nicht kennen und sein name
wird hinter vorgehaltener hand nur geflüßtert. blickkontakt
hatten nur wenige mit seinen weißen augen die
verzweifelt nach pupillen suchen. sein bester freund war
in bezug auf frrauen ein bodenloser draufgänger, ebeen
ein allesspachtler, der sein rohr nie unnötig herumhämgen
ließ, auch nannten sie ihn mister lover lover. seine
frünen blauen augen waren nur halb so schwul wie
meine, aber sein heißhunger beim schnitzelessen war
bis nach wördern vorgedrungen. Beruf: one hand -show
profikicker beim SCR. mit einer leichtigkeit konnte er
bier in sein ohr schütten, ohne auch nur einen tropfen
zu verschütten. gähnende lehre füllte sich mit dem
gerrstensaft, derr sein gehirn schon komplett zerstört
und vernichtet hat. meißt raucht er um wieder nüchtern
zu werden, was ihm aber noch nie geLungen ist. prost.
seit gestren weiß ich, ohne angeben zu wollen, daß ich
von ihm ein liede erwarte, welches er für mich komponiert
hat. im lendenbereich sind schon kleine lachfalten
zu erkennen, die seinen hüften etwas verleihen was die
alten griechen charisma nannten. nächte langer schlaafentzug
wirken sich gut auf seine haut aus, und verleihen
ihm ein lächen, wie bei einer alkoholvergiftung. er wollte
mit dem fahrrad nach griechenland fahren, aber in wirklichkeit
war er mit dem zug in berlin und ziemlich hin
und weg von den tollen graphittis dort. im schnellreden
war er ein wahrer meister. ziemlich schaade das er sein
maul gar nicht mehr zubekommt und man immer sein
pferdegebiss sieht. like i miss you no longer...
am heldenplatz und im burggarten war kein ball vor ihm
sicher, auch dann nicht wenn es regnete. zweifels ohne
kann ich mir eine welt ohne ihm gar nicht mehr vorstellen
wo doch geld keine rolle mehr spielt, da das glück
ein vogerl ist und mir seit jahren auf den kopf scheißt.
im polizeicomputer befindet sich ein foto, das ihn mit 16
jahren zeigt und auf das er richtig stolz war, so wie auf
alles wo er seine spuren( im schnee) hinterrlassen hat.
selbstverständlich werde ich ihm die stange halten, sollten
ihm mal die hände gebunden sein. seine arrogante
art wird ihn noch um den verstand bringenn, wo doch
noch so viel zu entdecken ist an seinem körper b.z.w unter
der gürtelrose. blond und blauäugig, ein blick wie ein
handschlag, ein geruch wie ein lemming mit blähungen
und ein schlechter geschmack wie richard lugner im
frack. wann werden sich unsere wege wieder kreuzen.
und niemand wird verstehen warum er für mich die
gräfin vom naschmarkt ist. bleib so fesch.
dreckige fingernägel sind sein markenzeichen, besonders
nach dem elektrischen stuhlgang, der ihm noch
bevorsteht, wenn er nicht endlich aufhört schwarz zu
fahren und blau zu sein. seine feuerzeuge bezieht er
ausschließlich von der FPÖ, um sich weiterzubilden im
spirituellem sinn. in der volksschule war sackhüpfen
seine große leidenschaft, da er jedesmal das kondom,
das er seit zehn jahren verwendet, über seine hoden
zieht ohne auch nur einmal zu jodeln. in sexueller
hinsicht kann man von ihm viel lernen, weil sein
schweißgeruch selbst kanalräumern ein dorn im auge
ist. nasenklammern können da wirklich wunder wirken.
alles wartett wie der robinson cruso auf freitag. selbst
mir wird schlecht wenn ich mir sein gehänge vorstelle.
er hat zähne wie sand am mehr, auch nach seinem wahn
umbedingt besitzer einer zahnspange zu sei. im großen
GÄNSEMARSCH
Foto: www.korrak.com
und ganzen hat er kein benehmen aber das fällt gar nicht
so auf da er sich immer mit schönen gitarrenspielerinnen
umgibt. selbst im schlaf gibt er sein bestes und macht nie
schlapp. worte können wie pfeile sein und dessen ist er
sich voll bewust, sonst würde er mich nicht lieben, wie
ein araber sein aufgeblasenes kamel von beate uhse mit
den drei öffnungen, die immer bis zum rand gefüllt sind.
amen. im umgang mit geld weiß er oft weder ein noch
aus, aber er macht kein drama draus. sehnsucht kennt er
als süchtiger nur zu genüge. sein zustand ist ein einziger
zustand. mit kindern kann man ihn hypnotisieren, kritisieren,
manipulieren und verzieren. wenn er nüchtern
ist ist er kaum zu ertragen und es knurrt der magenpfui
das klopapier hat nur drei lagen. nach dem dritten
bier trinkt er noch vier aus lauter gier. körperpflege ist
grundsätzlich für ihn ein fremdwort so wie empfängnissverhütung.
wenn sein bürzerl lacht, dann weiß er das er
am richtigen weg ist ( multimedienmultitalent) er ist so
ein schwammerltaucher, das ihn schon ganz burgenland
auf die watchlist gesetzt hat. nach einem platzverweis
im burggarten konnte er es gar nicht erwarten erneut
mit dem gesetz in konflikt zu geraten. auf mein anraten
streitet er aber jetzt immer alles ab und gibt sich immer
öfter als tourist aus. sollte er einmal in den letzten tagen
liegen, wird er sicher sich vor lachen biegen und dem sensenmann
gras verkaufen ( einen ganzen haufen) er ist ein
freund der guten laune, des schlechten nachgeschmacks,
der unerreichbaren mädchen und beliebter als er es
sich je erträumen hätte lassen. alle stehen auf ihn nur
ist er noch keiner bewußt, das ihr da eh nichts entgeht.
wortgewand bildet er sich seine meinung. nach unzähligen
seminaren der selbstfindung weiß er weder ein noch
aus, aber am schönsten ist es sowießo im vollrausch. sein
bester freund ist der alkohol und das macht seine birne
hohl. zu seinen traumberufen zählen noch immer traumfänger
und hohlraumforscher. bin ihm zu unendlichem
dank verpflichtet. ohne ihm wäre ich nicht da wo ich jetzt
bin nämlich ganz unten. sein spendenkonto ist bis oben
hin gefüllt auch wenn sich die summe nicht durch drei
dividieren läßt, kann er es kaum erwarten endlich auf den
putz zu hauen damit meint er wodka in großen gläsern.
so oft wie er war noch niemand auf der mariahilferstraße
unterwegs und hat überhaupt nichts erreicht ausser ch
ch ch ice cream - tatse the rainbow and catch the milky
way. don´t pray or stop the endless conversation. be like
him and pump it up. blow your mind, be his friend and
nothing can go wrong. forever stoned and drunken like
gozilla. er braucht nur seine rechte augenbraue heben
und schon bringt er kleine dicke frauen zum beben. er
spielt eben leben auf teufel komm raus( aus dem hosenstall).
he´s mister phalus. in seltenen momenten trifft
man ihn völlig gedanken verloren in einer ecke lehnend
an und denkt was für ein mann. kaum hat mann seine
aufmerksamkeit kann man sich nicht mehr halten vor
lauter spalten. er wirkt wie ein magnet auf die weiblichkeit
nur macht keine die beine breit. vom duschen hält
er nicht viel und ein vollbad nimmt er sich nicht einmal
im vollrausch. bewußtsein erweiternde drogen kennt er
nur vom hörensagen da er tief in seinem herzenn immer
noch pfadfinder und minitrant geblieben ist. weihrauch
verursacht bei ihm ein totales blackout, deswegen muß
er kirschen meiden, aber in der politik istt er zuhause
wie ein glühwürmchen im neonlicht. dreimal iust er aus
der kirche ausgetreten, weil er sich das vaterunser nicht
merken hat können. mit was auch zwischen seinen ohren
ist gähnende leere. er trägt die österreichische fahne
immer vor sich her- so ein patriot/vollidiot ist er. er kann
alle strophen der bundeshymne, aber nur auf griechisch,
französisch und russisch. seine inteligenz brachte ihm
schon manches eigentor. architektur beschränkt sich auf
sein zelt in der hose, mehr kann er sich darunter nicht
vorstellen. unrasiert maschiert er aufs sozialamt und wird
dort nur verkannt, wenn er auf dem boden dahinrutscht,
wie toni polster nach dem dritten eigentor. warte, rote
karte.
von religion hält er nicht viel, davür engagiert er sich für
die entwicklungshilfe bei kodak. ich trenne mich nur
unger von meiner vorhaut, aber für ihn würd ich mich
bescheneiden lassen, wenn ihn das glücklich macht,
diese pracht. auch er ist gut bestückt und immer und alle
zeit bereit oder breit. du kannst dich mit ihm nur sinvoll
unterhalten, aber nach dem zweiten satz beginnt er zu
sabbern und an seinen zehennägel zu knabbern verlegenheit
ist für ihn ein fremdwort. er verachtet pornofilme so
wie haider le pen. kurt krenn war sein großes vorbild trotz
des übergewichts und des gürtelrosenkranzes. selbstlos
geht er ganz im sport auf wie ein germteig nach einer
stunde. tagträume verschaffen ihm das gewisse etwas. es
kann nur eine geben. sein leben hat er den sushi essen
verschrieben darum beherscht er auch asiatische kampftechniken
in perfektion. am lagerfeuer hat er geistesblitz
in der arschritze. sogar ich kann mich in seiner aalglatten
haut spiegeln. bigger, better, rudl. er versäumt ständig
wichtige termine und seine zurückhaltung hat
schon manch feuchte träume beschert. grenzen
gibt es für ihn kaum und jetzt begreife ich auch
warum die berliner mauer wirklich viel. sein
engagement ist weltweit annerkannt. früher
wurden bücher verbrannt. heute verbrennt man
pässe und freistöße. seine weiblichen fans fallen
reihenweise in ohnmacht bei einem fallrückzieher.
fußball ist sein leben und davür würde
er auch seinen beruf an den nagel hängen. er
ist der messias und hoffentlich wird man ihn
nicht wieder ans kreuz nageln. meine unzulänglichkeit
gefühle in worrte zu fassen macht
ihm spaß. wie er feststellen wird stottere ich
sogar beim schreibenn, aberr das macht nichts,
ich bin eh stolz endlich einer vom andern ufer
zu sein. einfach ein analphabet zu sein. wenn
seine augen zu leuchten beginnen überlegt
sich die donnau weiterzurinnenn. im flex ist er
bereits zu lebzeiten eine legende, seine karriere
ist noch lange nicht zu ende. im übertragenem
sinn macht es überhaupt keinen sinn über ihn
zu schreiben da man seine erscheinung nicht in
worte fassen kann außer man ist ein richtiger
mann mit dem gewissen etwas, das ihm verdammt
nochmal so elendiglich fehlt. ich finde
er sollte heiraten, um endlich wieder zu ruhe zu
kommen. gratishängematte in jamaica. sein gehänge
ist in gold nicht aufzuwiegen, und geteert
und gefedert wird er nie werdenn, weil er sich
immer ein lorbeerblatt vor den mund nimmt.
mit befremdet zu sein bedeutet für mich ein
ziel! blatt vor augen zu haben. ich schätze ihn
auch als musiker imens. wenn etwas bestand
hat dann er. ein mann wie ein baum, sie nannten
ihn bonsai. das blau seiner augen erinnert
mich immer an ein neujahrskonzert ohne
instrumente. er ist und bleibt einer der besten
dirigenten des abendlandes. den führerschein
wird er zwar nie schafffen, aber was solls hauptsache
pavel hat mal´nen schlaffen. niemalsseine
familie weiß um seinen unterschätzten wert
und seinen mundgeruch, der oft an seine alten
socken erinnert. als bäuerin würde er sich sehr
gut machenn. ansonsten gibt es nicht viel über
ihn zu sagen. bei fragen wenden sie sich doch
bitte an seine homepage www.waran.at.
eins wäre noch zu sagen: er fragt sich:” warum
pinkeln frauen nicht im stehen?” grenzgennial.
damit wäre die emanzipation endgültig vom
tisch. rudi sei dank. rudi for president. rudi
nimmt kukident weil er niemals pennt.
platzverbot für hermes phettberg, der dauergeile
dumbozwerg.
der frauenschwarm
er braucht sie wie die luft zum atmen. er schläft
mit vielen liebt aber nur wenige. er macht
musik wie ein lustmolch und trozdem landet
er nur hits. seine lieder sind inn der ganzen
welt bekannt. er schwimmt in geld, glaubt
aber trozdem das nie über ihn geredet wird. er
sprüht nur so vor charme b.z.w schaamhaaren.
er schläft kaum, weil er nur arbeitet. seine zeit
verbringt er auf den bühnen dieser welt. freunde
hat er viel, aber nicht wegen seines kontostandes,
sondern wegen seines goldständer. alle
männer beneiden ihn wegen seinerpotenz. mädchen
werden reihenweise flachgelegt. aber kennt
er die kosmische liebe? trotz seinnes traumkörpers
weiß er genau wie schön er ist, besonders
seine muskeln unterhalb der gurtelrose. sein
buch war ein voller erfolg nur hat, außer ein
paar weniger analphbeten eigentlich kaum
etwas davon mitbekommen. wann lernenn die
medien endlich zu schätzen was für ein talent
sich hier verausgabt, vor allem sexuell. so potent
war nicht einmal casanova.
abgang, sicher nicht
mein titel manager des jahres, läßt mich total
kalt, so wie mich hunde kaum noch erregen.
nur manchmal werd ich schwach wenn ein blindenhund
mit dem schwanz wedelt, aber sonst
widme ich mich der mastrubation ( ohne hände)
mit dem ergeiz, den selbst rudi nicht aufbringen
kann, weil seine fantasie nicht ausreicht, um
sich die venus von willendorf nackt vorzustellen.
bin mit mir unheimlich zufrrieden. bin
nicht eitel oder selbstverliebt. weder gebioldet
noch arrogant. rudi´s mund- für das beste im
mann. spiele gibt´s zum spielen viele. meine
leidennschaft ist das verstecken spielen. bis zum
heutigen tag hat mich noch niemand gefunden,
aber wozu auch, bin eh eine schuldenfalle.
zwecks weltherrschaft verzichte ich sogar auf
mein frühstück und die peepshow. schwul sein
bedeutet mir: gut + viel essen, mittwochs tanzen,
dienstags kiffen, sonntags beichten/ blasen.
( ins rohr vom herrn inspektor). wann wird man
verstehen das alles anders bleibt? wozu noch
gute vorsätze, wenn die nachsätze doch viel interessanter
sind. das letzte wort hat immer noch
rudi. www.waran inside. com org high fidelity..
seltsam wie sich die kontinentalplatten von
einander entfernen. aber andererseits müßten
sie sich doch auf der anderen seite wieder
trefffen, sowie du und ich. so vergeht jahr um
jahr und es ist mir längst klar, daß nichts bleibt
wie es war. bleibt alles anders? gaynug ist nicht
gaynug. am anfang war das schimpfwort. wegen
zu geschlossen. suche aufgeschlossene, junge
und dynamische kellertüren für gelegentliche
kavaliersdelikte wie: schwarz fernsehen, schwarz
fahren und schwarz wählen. kaum einer kann
mir das wasser reichen, selbst rudi reicht mir
immer nur bier. selbstbräunnungscreme. selbstbefriedigungscreme-
creme fraiche. wunderbare
mangelware- liebe. wann werden wir uns wieder
sehen- zen. ihr könn mich alle wördern. kaum
zu glauben diese lügen, die die bibel weltweit
verbreitet und wer hat sie überhaupt geschrieben.
mir ist schlecht
alles nur noch weltraumschrott
HIKKADUWA
Foto: www.korrak.com
94 ST/A/R
Buch XII - WARAN * back from Ohio Nr. 15/2007
danke für die vielen amüsanten stunden und wir lieben dir, denn ohne du können wir nicht bin.
rudi du drecksau ohne bier wärst du ein nichts.
Foto: www.korrak.com
Fotos: www.korrak.com
hallo depperte, ich weiß ich bin nicht der schönste.
aber das ist kein grund mich wie einen patienten zu
behandeln. was glaubst du eigentlich wo wir hier sind?
seit vier tagen habe ich kaum geschlafen.
ich will dir keine schuld in die schuhe schieben. aber
du kannst einfach nichts dafür.
laut meinen berechnungen liege ich falsch, und kann
deshalb nicht einschlafen.
kannst du nicht, oder willst du mich verstehen? ich
zweifel an deinem verstand.
meine liebe ist zu stark für uns beide.
öffne dein herz, und das leben ist ein scherz.
feuer entfachen- aufhören zu lachen.
du machst kurzen prozess mit mir, das finde ich gut...
weiter so...
du hast ES verdient. ES spricht mit mir. aber ES hört
mir nicht zu. ES schmeckt nicht, und ES liebt dich...
ES war immer dabei.
ich verstehe gar nicht wie man dich nicht lieben kann.
dein wunsch ist mir befehl. ich wünsche zu dienen.
je nach be-lieben.
ich tue jetzt wieder rollenspielen. also melde dich,
bevor es zu spät ist.
es ist immer zu spät, aber nie zu früh.
legenden sterben nicht im bett.
ich dachte du haßt mich, aber ich habe mich täuschen
laßen.
habe einfach meinen schwerpunkt versetzt, und bin so
wieder im gleichgewicht gelandet. mega rede, mikro
sinn. an aple a day, keeps the doctor away.
schnee von morgen, vertreibt kummer und sorgen. ich
habe das ungute gefühl das es dir gut geht.
du machst gerade einen schwierigen prozess durch, ich
kann das nur vollstens unterstützen. du bist gold
wert, wenn´s um so was geht.
Nr. 15/2007 Buch XII - WARAN * back from Ohio
ST/A/R 95
Luck is fuck in a truck.
Should I remember
you, or should I forget
about tomorrow?O R
No sorrows and no problems.
I have no time for the
monkey buisness. There´s
no limit. The boarders are
wide open and acualy I feel
frree only in jail. Count the
stars and sell me the mars.
Cash keeps me fresh. Catch
that lubricated snatch. No
more words to say. Come on
let´s save the world. Ruined
in a day. You are my favorite
waste of time. I decided to
get away. How can I ever
reach you without traveling.
hey du alter pirat.
häuptling hosenschiß hat
wieder einmal die hosen
gestrichen voll? bitte
antworte so rasch als
möglich, und laß dir zeit
beim schreiben.
waran2705@yahoo.de
falls wir uns begegnen, wird es frösche regnen.
96 ST/A/R
Buch XII - WARAN * back from Ohio Nr. 15/2007