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ST_A_R_19

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<strong>ST</strong>/A/R s<br />

Zeitung für Hochkultur, Mittelmaß und Schund<br />

Nr. <strong>19</strong>/ Herbst 2008<br />

Wiener Kulturzeitung<br />

jetzt auch in Berlin!*<br />

* in der G.A.S-station, Tempelherrenstr.22<br />

Jetzt auch im Haus der Architektur in Graz erhältlich!<br />

Peter Falk will meet<br />

S.Widl at Cafe Korb and<br />

van Gogh at Albertina.<br />

04Z035665M – P.b.b. Verlagspostamt 1060 Wien • Adresse: 1060 Wien Capistrangasse 2/8 • office@star-wien.at • Europa € 3,00 • Nr. <strong>19</strong>/08<br />

ARCHITEKTUR:<br />

BORIS PODRECCA<br />

WIENER WOHNBAU<br />

MINI<strong>ST</strong>ER FAYMANN<br />

KUN<strong>ST</strong><br />

Irene Andessner<br />

HannaH Feigl<br />

Sue Sellinger<br />

LITERATUR<br />

Elisabeth von Samsonow<br />

Manfred Stangl – Ganzheitliche<br />

Kunst/Ästhetik<br />

AUTO-<strong>ST</strong>/A/R<br />

David Staretz<br />

w/w/w : widl / weibel / wien<br />

Städteplanung / Architektur / Religion<br />

DU<br />

3,– Euro<br />

<br />

Foto: Gabriela Brandenstein


2 <strong>ST</strong>/A/R<br />

Buch I Nr. <strong>19</strong>/2008<br />

EDITORIAL :<br />

Heidulf Gerngross<br />

Ernest erfährt die Welt aus der<br />

Archiquantenwiegenperspektive<br />

Österreichs Biennale Komissärin<br />

Prof.Bettina Götz am 12.09.08<br />

(ARTEC-Architekten) vor dem<br />

Hoffmann-Pavillon in Venedig.<br />

Bericht im nächsten <strong>ST</strong>/A/R<br />

Bettina<br />

28 Mai 2008 – A <strong>ST</strong>AR is born. Ernest Denker-Bercoff,<br />

Sohn von Dr. lit. Brigitte und Dr. art. Christian werden<br />

nach der Geburt ihres <strong>ST</strong>/A/R-Sohnes <strong>ST</strong>/A/R-Ehren<br />

Professorin und <strong>ST</strong>/A/R-Ehren Professor.<br />

Chou<br />

Choupi<br />

Choupa?<br />

Chais pas<br />

Choupichou<br />

Choupicha<br />

Chaipucha<br />

Chaipachi<br />

Choupachu<br />

Choupichu<br />

Chouchouchoupichou<br />

Weiss nich<br />

Ob die Halbmondgondeln,<br />

die Streifschaum<br />

schlagenden,<br />

die Zeit umgeben<br />

oder<br />

ob<br />

Du<br />

mich kennst,<br />

Du, meine Sonnengeburt,<br />

verliebter Natur.<br />

Für *<strong>ST</strong>/A/R*<br />

Von Brigitte und Christian<br />

WIR TRAUERN UM WALTER OBHOLZER<br />

The Making of<br />

Architecture<br />

Ausstellungseröffnung<br />

15.10.2008, <strong>19</strong> Uhr<br />

Az W<br />

Architektur<br />

beginnt im Kopf<br />

im Architekturzentrum Wien<br />

Museumsplatz 1 im 1070 Wien<br />

T++43 -1- 522 31 15, www.azw.at<br />

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12.09.2008 14:18:58 Uhr


Buch I<br />

Nr. <strong>19</strong>/2008 <strong>ST</strong>/A/R 3<br />

Inhaltsangabe<br />

Buch I - Seite 1–8 Buch II - Seite 9–16 Buch III - Seite 17–24 Buch IV - Seite 25–32 Buch V - Seite 33–36 Buch VI - Seite 37–40 Buch VII - Seite 41–48<br />

Wiener Wohnbau Podrecca<br />

Werner Faymann NAPOLEON<br />

IRENE<br />

LITERATUR<br />

Buch VIII-Seite 49–52<br />

AUTO-<strong>ST</strong>/A/R<br />

Buch IX - Seite 53–56<br />

WARAN<br />

Buch X - Seite 57–64<br />

GOTTLOB<br />

Impressum<br />

<strong>ST</strong>/A/R Printmedium Wien-Berlin<br />

Europäische Zeitung für den direkten kulturellen Diskurs<br />

Erscheint 4 x jährlich, Nr. <strong>19</strong>/2008,<br />

Erscheinungsort Wien-Berlin<br />

Erscheinungsdatum: 25. September 2008<br />

Medieninhaber:<br />

<strong>ST</strong>/A/R, Verein für Städteplanung/Architektur/Religion<br />

A–1060 Wien, Capistrangasse 2/8<br />

Herausgeber: Heidulf Gerngross<br />

Redaktionelle Mitarbeit: Heidulf Gerngross (Tutti), Wladimir<br />

Jaremenko-Tolstoj (Frutti), Boris Podrecca (Architektur), Elisabeth<br />

von Samsonow (Kunst und Philosophie), Georg Gottlob (Informatik),<br />

Susanne Widl (Gesellschaft), Sue Sellinger (Kunst), Manfred Stangl<br />

(Ganzheitliche Ästhetik),<br />

Hannah Feigl (Kunst), Irene Andessner (Kunst), Rudolf Gerngroß<br />

(Waran), David Staretz (Auto),<br />

Dr. Christian Denker und Brigitte Bercoff (Paris-Brüssel-Wien),<br />

Oxana Filippova (Theater), Valie Airport (Russland), Angelo Roventa<br />

(Rumänien), Christian Schreibmüller (Literatur), Philipp Konzett<br />

(Galerie), Andreas Lindermayr (Gesellschaftsphilosoph)<br />

Organisation: <strong>ST</strong>/A/R-Team<br />

Artdirektion & Produktion: Mathias Hentz<br />

Druckproduktion: Michael Rosenkranz<br />

Druck: Herold Druck und Verlags AG, Wien<br />

Vertrieb: <strong>ST</strong>/A/R, Morawa GmbH.<br />

Aboservice: starabo@morawa.com<br />

oder: starabo@morawa.com<br />

Bezugspreis: 3,- Euro (inkl. Mwst.)<br />

Kontakt: grafik@star-wien.at” grafik@star-wien.at<br />

Redaktion: editors@star-wien.at” editors@star-wien.at<br />

Adresse: Capistrangasse 2/8, 1060 Wien<br />

0043-1-89-024-56, 0043-664-521-3307 Österreich<br />

Cover: Susanne Widl und Peter Weibl<br />

<strong>ST</strong>/A/R wird gefördert von: Bundeskanzleramt und Stadt Wien.<br />

<strong>ST</strong>/A/R ist ein Gesamtkunstwerk und unterliegt dem Urheberrecht.<br />

<strong>ST</strong>/A/R dankt allen BeitragslieferantInnen, MitarbeiterInnen,<br />

KünstlerInnen,<br />

Kunst + Politik<br />

Aus der Sammlung der Stadt Wien<br />

noch bis 10. Oktober 2008<br />

Florentina Pakosta, »Faust«, <strong>19</strong>82<br />

Carlos Scliar, »Uniao pela Paz«, <strong>19</strong>51<br />

Kann Kunst ein wirksames Mittel zur Veränderung der Verhältnisse, auch der Politik sein?<br />

MUSA – MUSEUM AUF ABRUF<br />

Felderstraße 6-8, Wien 1<br />

Neben dem Rathaus<br />

Eintritt frei<br />

Di–Fr 11.00–18.00, Do 11.00–20.00<br />

Sa 11.00–16.00<br />

www.musa.at<br />

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Feldenkrais und wir – Selbstverständlich!<br />

26.08.2008 17:26:02 Uhr<br />

wenn nicht irgendwas anderes dazwischen kommt, bin ich sonntags immer bei Fips und Helga,<br />

neuerdings in der Stiegengasse, feldenkraisen. Dieses eminent sinnvolle Ritual besteht für<br />

mich schon seit mehr als drei Jahren. Angefangen hat es 2005, damals noch im Sitzungssaal der<br />

Agentur Goldfish am Stubenring. Wo üblicherweise werktags Köpfe rauchen, um irgendwelche<br />

Werbestrategien auszuhecken, fing ich endlich an, nach Möglichkeit Sonntag abends immer, den<br />

Anweisungen von Fips (Philipp Ruthner) zufolge, am Boden liegend, in schöner Regelmäßigkeit<br />

mein Körperschema durchzugehen. Der Mensch ist schließlich nicht nur Hirn!<br />

Meist augenzwinkernd mit dabei, mein Freund und Gegenspieler M. Du Schu, dem ich diesen<br />

wertvollen Tip verdanke.<br />

Damals bei Goldfish, erinnere ich mich, saß Fips in der Regel immer auf einem an die Wand gerückten<br />

Sitzungstisch, wo der junge Skater, Füsse baumelnd, seine Anleitungen gab.<br />

Man nahm sich eine von den übereinander getürmten Decken in einem Eck des Sitzungszimmers,<br />

so man nicht, stets gut gerüstet wie ManfreDu, im Besitz einer eigenen Matte war, breitete diese<br />

über das Parkett und legte sich flach auf den Rücken. Man schloss die Augen und machte sich<br />

zunächst bewusst, wie man da liegt, wie die linke Körperhälfte, die rechte Körperhälfte organisiert<br />

ist, ortete die Punkte wo und wie die Wirbelsäule aufliegt usw.<br />

Ab dem das Körperschema durchgegangen und in psychomentaler Hinsicht eine gewisse Ruhe<br />

eingetreten war, konnte die eigentliche Stunde beginnen, die sich in der Regel auf eine reduzierte<br />

Wechselbeziehung von Muskel-an und -entspannung, Körperhaltung, Atmung und Vorstellung<br />

dessen, was man tut, beziehungsweise zu tun beabsichtigt, belief.<br />

So versetzten wir uns eines Tages in das Säuglingsstadium und nuckelten in der Imagination an<br />

Mutters Brust, ganz auf taktile Empfindungen gerichtet, wie sie diesem frühen Stadium entsprechen<br />

und eigentlich noch immer irgendwie wirksam sind. Und seltsam, was plötzlich für Erinnerungen<br />

dämmerten! Ein anderes mal machten wir uns erst im Uhrzeigersinn, dann gegenläufig,<br />

den Bereich um das Steißbein herum bewusst, beziehungsweise viel bewusster, als das normalerweise<br />

der Fall ist. Fips machte mich gerade am Beginn meines regelmäßigen Feldenkraisens<br />

immer wieder darauf aufmerksam, dass weniger mehr ist, dass es darum geht, quasi mühelos das<br />

Beabsichtigte auszuführen. Dass es darum geht, Qualität in alle Bewegungen hineinzubringen,<br />

indem man sich diese bewusst macht. Und immer wieder: “meide parasitäre Bewegungen!”<br />

Das ist in etwa das diametral Entgegengesetzte zu dem, was mir in meiner Kindheit durch Lehrer<br />

und Erzieher eingetrichtert und oft eingebläut wurde. Als zu beaufsichtigendes Individuum hatte<br />

man vor allen Dingen einmal zu gehorchen und dann, sich gefälligst anzustrengen. Man sollte<br />

unter Furcht und Zittern in Schweiß ausbrechen: nur so war es gut. So wurden brave, willfährige<br />

Untertanen herangezogen. Ein solcher war ich durchaus. Wäre nicht ein schwerer Unfall, in dessen<br />

Folge viel Zeit zur Muße und eine zur Gewohnheit gewordene Beschäftigung mit philosophischen<br />

Gegenständen dazwischen gekommen, ich würde noch immer diesen fragwürdigen Grundsätzen<br />

folgen und darauf schwören, wie auf das in Aussicht gestellte Strafgericht Gottes. Typisch für diesen<br />

Untertanen-Kontext war, dass man uns bei jeder Gelegenheit einschärfte: “Brust heraus, Bauch<br />

hinein!”<br />

Moshe Feldenkrais lehrte kurioser Weise genau das Gegenteil. Es sollte der Bauch herauskommen!<br />

Der junge Physiker, der in den Dreißigerjahren in Paris lebte, machte zu dieser Zeit Bekanntschaft<br />

mit dem japanischen Judo-Meister Kano und popularisierte dessen Kampfkunst in Frankreich. Wer<br />

sich je mit Judo befasste, weiß, wie wichtig die Fallschule ist. Wie bei allen fernöstlichen Kampfkünsten,<br />

die dem Taoismus, Chan- oder Zen-Buddhismus<br />

entspringen, geht es vor allem darum, seine Bewegungen<br />

aus der Körpermitte, aus Hara, steuern zu lernen - man verbündet<br />

sich gleichsam mit der Schwerkraft. Das wurde zu<br />

einem soliden Ansatz für eine originelle Physio-Therapie.<br />

Wichtige Anregungen verdankte Feldenkrais weiters dem<br />

amerikanischen Hypnotherapeuthen Milton Erikson und<br />

dem griechisch-armenischen Philosophen Georg I. Gurdjieff,<br />

der in den Dreißigerjahren in Fontainebleau, nähe<br />

Paris, sein Institut und so manchen gut zahlenden Erben<br />

begüterteter Bourgois, an der Nase herum führte. Denn mit<br />

irgendeinem Mode-Trend hatte Gurdjieff partout nichts am<br />

Hut. Unter seiner Leitung galt es zunächst einmal den Verfänglichkeiten<br />

persönlicher Eitelkeit den Kampf anzusagen,<br />

den Staub von den Schuhen zu schütteln und zu erkennen,<br />

welcher Kategorie von Idiotie man zugehört. “Was für ein Idiot bist du? Ein rechteckiger, quadratischer,<br />

runder oder gar zick-zackiger?” Denn man sollte sich nicht zu wichtig nehmen. Grudjieff<br />

ließ seine Schüler die verrücktesten Bewegungen durchführen, da der Panzer fragwürdiger Verhaltensmuster<br />

schwer aufzubrechen und der Weg für ein spielerisches Lernen meist verschlossen ist.<br />

Feldenkrais kehrte diesen etwas gewalttätigen therapeutischen Ansatz um. Seit mittlerweile drei<br />

Jahren profitiere ich davon. Seit Fips und Helga in die Stiegengasse gezogen sind, halte ich dort,<br />

nach Möglichkeit jeden Sonntag, das Feldenkrais-Ritual ab.<br />

Man trifft sich erst in der geräumigen Küche, trinkt Tee, begrüßt die Neuankommenden, stellt fest,<br />

dass der eine oder die andere nach längerem Aussetzen doch wieder dabei ist, bemerkt ein neues<br />

Gesicht und widmet sich wieder dem kleinen Skelett, einer eindeutig zweideutigen Anatomie-Lernhilfe<br />

für Fips.<br />

Nach einer Viertelstunde entspannter Plauderei, ab in den Therapie-Raum!, der durch Helga’s<br />

Schwangerschaft eingeweiht wurde. - Das Ergebnis dieses organischen Prozesses, klein Kolo,<br />

bringt sich seit einem Jährchen mitunter durch Lallen und Schreien im Nebenraum in Erinnerung,<br />

analog zu den Bewegungen, die wir, meist auf dem Rücken liegend, aber auch stehend, manchmal<br />

kniend, manchmal dicht an dicht, dann wieder, wegen geringerer Teilnehmerzahl als aufgelockertes<br />

Grüppchen, aber immer im Bewusstsein dessen, was man tut, durchexerzieren. Was wir da so<br />

tun, erinnert mich an einen Begriff von Lacan. Um auf sein verborgenes Wesen zu kommen, reicht<br />

es nicht hin, dass man es analysiert, es erfordert, dass es aus dem Unbewußten evoziert werde,<br />

manchmal in langen Prozessen, manchmal ad hoc. Es bleibt einem jedoch nicht erspart, sich<br />

darum zeitlebens auf adäquate Weise zu bemühen, wie Feldenkrais es nahelegt. Derartige Bemühungen<br />

sind in etwa das, was die vorsokratischen Philosophen Ethos nannten. Das Ziel all dieser<br />

Bemühungen ist es, die Wahrheit ans Licht zu bringen, jene Wahrheit, die im Spannungsfeld von<br />

Physis und Logos gleichsam geboren wird: Unschuld des Werdens, Alitheia. Aristoteles nannte die<br />

sogenannten Vorsokratiker, Physiologoi. Genau das, denke ich, trifft auch auf Feldenkrais zu.“-<br />

Hegel - um einen Philosophen der neueren Zeit zu nennen - bezeichnet die Philosophie als die<br />

verkehrte Welt “, sagt Heidegger in seiner berühmten Metaphysik-Einführung. Wir sind zwar noch<br />

nie in unseren sonntäglichen Therapie-Stunden so weit gekommen, dass wir auf den Kopf standen,<br />

es scheint aber alles darauf hinaus zu drängen. Und jedes mal nach so einer Therapie-Stunde stelle<br />

ich erstaunt wieder an mir fest, dass ich mich wie neugeboren fühle.


Städteplanung / Architektur / Religion Buch I <strong>ST</strong>/A/R 5<br />

WIDL’S<br />

CAFE KORB<br />

AKTIVE KULTURSZENE –<br />

BE<strong>ST</strong>E WIENER KÜCHE –<br />

WIENER CAFE<br />

Cafe Korb, 1010 Wien, Brandtstätte. 9<br />

Tel.: 533 72 15 – www.cafekorb.at – suewidl@aon.at<br />

Das Cafe Korb ist<br />

meine Heimat und mein<br />

Exil, meine Lust und<br />

meine Last.<br />

Fotos: Heidorf Gerngross<br />

Widl<br />

Weibel<br />

Ralph schilcher<br />

Skulptur Gundi Dietz<br />

Ein Wurf ein Lebenswurf<br />

Peter Sloterdijk sagt:<br />

Nie konnte ich die glänzenden Bilder von<br />

Susanne Widl aus ihren heroischen Tagen sehen,<br />

ohne an die Zeile aus Charles Baudelaires Gedicht<br />

„An eine, die vorüberging“<br />

zu denken:<br />

„enteilende Schönheit, die mich mit einem Schlage<br />

wieder zum Leben erweckte.“<br />

Weibel<br />

Widl<br />

Elfriede Jelinek sagt:<br />

Über die Seele des Café Korb, Susanne<br />

Widl, Model und Performancekünstlerin,<br />

schrieb Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek:<br />

„Ein Fels auf Schlittschuhen, eine<br />

dämonische Schönheit, so etwas habe<br />

ich noch nicht gesehen.“ Was kann man<br />

mehr einem Kaffeehaus preisen.<br />

Susanne Widl:<br />

Gelebter Eigensinn<br />

ist wichtiger<br />

als Eigentum.<br />

G.Jonke<br />

Buchpräsentation im Cafe Korb<br />

von ZENITA KOMAD<br />

Korb News:<br />

Ω Die Artlounge wird zur neuen Broadwaybar.<br />

Ω Im Herbst 2009 gibt es einen Film der heißt:<br />

“Cafe Korb – die klassischen Wiener Ober mit der<br />

kunstsinnigen extravaganten Susanne Widl”<br />

Ω Im Residenzverlag erscheint eine Autobiographie:<br />

“Susanne Widl - Ein Wurf ein Lebenswurf<br />

markus<br />

mittringer<br />

Franz Graf<br />

Peter Sloterdijk<br />

Widl


6 <strong>ST</strong>/A/R<br />

Buch I Nr. <strong>19</strong>/2008<br />

Kunsthalle Wien<br />

immer aktiv<br />

Spencer<br />

Tunick<br />

Matt


Nr. <strong>19</strong>/2008 Buch I<br />

<strong>ST</strong>/A/R 7<br />

Für das Leben in der Stadt ...<br />

ist die Wohnung „Ihr Kulturgut“.<br />

Dieser Philosophie setzen wir seit Jahrzehnten mit<br />

unseren Wohnhausanlagen in ganz Wien Denkmäler;<br />

als Mittelpunkt pulsierenden Lebens, entspannter<br />

Erholung und des Wohlfühlens.<br />

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Gemeinnützige Siedlungs- und Bauaktiengesellschaft,<br />

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Wohnungsgesellschaft<br />

Heimstätte Gesellschaft m.b.H.<br />

Emil-Kralik-Gasse 3, 1050 Wien<br />

Telefon +43 / 1 / 545 15 67 - 0<br />

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8 <strong>ST</strong>/A/R<br />

Buch I Nr. <strong>19</strong>/2008<br />

Galerie Konzett | Contemporary Art<br />

DU<br />

Galerie Konzett | Spiegelgasse 21 | A-1010 Wien<br />

T +43 1 513 01 03 | F +43 1 513 01 04 | gallery@artkonzett.com | www.artkonzett.com<br />

Öffnungszeiten: Di – Fr 11-18 Uhr, Sa 11-17 Uhr


Städteplanung / Architektur / Religion<br />

Buch II - Wiener Wohnbau <strong>ST</strong>/A/R 9<br />

GEFÖRDERTES WOHNEN IN WIEN<br />

DR. MICHAEL LUDWIG<br />

DR. MICHAEL LUDWIG<br />

WIENER WOHNBAU<strong>ST</strong>ADTRAT


10 <strong>ST</strong>/A/R<br />

Buch II - Wiener Wohnbau Nr. <strong>19</strong>/2008<br />

<strong>ST</strong>ADTRAT LUDWIG<br />

„INNOVATION UND SOZIALE VERANTWORTUNG BE<strong>ST</strong>IMMEN DEN WOHNBAU DES 21. JAHRHUNDERTS“<br />

Wiener Wohnbaustadtrat unterstreicht bei<br />

den Architekturgesprächen im Rahmen des<br />

Forum Alpbach die Bedeutung des geförderten<br />

Wohnbaus<br />

„Neue Familienformen, höhere Lebenserwartung, verstärkte<br />

Mobilität und Flexibilität in der Arbeitswelt stellen zunehmend<br />

neue Herausforderungen für den geförderten Wohnbau<br />

dar. Es geht heute – mehr denn je – um maßgeschneiderte<br />

Wohnlösungen, die den soziodemographischen<br />

Veränderungen und den unterschiedlichen Bedürfnissen<br />

der Menschen in allen Lebenslagen entsprechen, und es<br />

geht vor allem darum, weiterhin leistbares Wohnen für<br />

alle Menschen sicher zu stellen. Die laufende Entwicklung<br />

innovativer Konzepte für Bau- und Wohnkulturen ist das<br />

Gebot der Stunde“, erklärte der Wiener Wohnbaustadtrat<br />

Dr. Michael Ludwig im Rahmen der Architekturgespräche<br />

beim Forum Alpbach im August 2008. „Neue Grundrisse,<br />

flexible Innenraumgestaltung, Multifunktionalität und<br />

Mehrfachnutzung von Wohnflächen, neuartige Übergänge<br />

vom privaten in den öffentlichen Raum sowie soziale<br />

Grünraumgestaltung sind dabei nur einige der wesentlichen<br />

Aspekte, die im geförderten Wohnbau in Wien bereits<br />

heute eine zentrale Rolle spielen. Durch viel Kreativität<br />

und Innovationskraft wird Wien auch im 21. Jahrhundert<br />

seiner sozialen Verantwortung und seiner jahrzehntelangen<br />

internationalen Vorreiterrolle im geförderten Wohnbau<br />

gerecht werden.“****<br />

Soziale Verantwortung und leistbares Wohnen<br />

Kaum eine andere Großstadt kann, was insbesondere den<br />

geförderten Wohnbau betrifft, mit mehr Recht von einer<br />

vorbildlichen Baukultur sprechen, als Wien. Der soziale<br />

Wohnbau in Wien mit seiner jahrzehntelangen Tradition<br />

und seiner Modernität gilt weltweit als Musterbeispiel. In der<br />

aktuellen Mercer-Studie, die international die Lebensqualität<br />

in 215 Städten vergleicht, nimmt Wien weltweit den 2. Rang,<br />

und innerhalb der EU sogar den 1. Platz ein – wobei gerade<br />

der Bereich Wohnen, der mit 10 von 10 möglichen Punkten<br />

bewertet wird, einen ganz wesentlichen Anteil daran hat.<br />

Der geförderte Wohnbau in Wien ist Instrument und<br />

Ergebnis einer jahrzehntelangen Politik des sozialen<br />

Ausgleichs und der sozialen Durchmischung in der<br />

Stadt. Sensible Wohnbau- und Sanierungspolitik und<br />

der erfolgreiche Weg der Sanften Stadterneuerungen<br />

zeichnen dafür verantwortlich. Leistbares Wohnen für alle<br />

Bevölkerungsschichten steht dabei im Mittelpunkt. 60% der<br />

WienerInnen leben in geförderten Wohnungen.<br />

Wohnen im 21. Jahrhundert – neue Innovation in Planung<br />

und Architektur<br />

Schon die Anfänge des geförderten Wohnbaus in Wien waren<br />

von höchster architektonischer Qualität gekennzeichnet,<br />

und diese Tradition setzt sich bis heute fort. „Namhafte<br />

ArchitektInnen zeichneten für geförderte Wohnbauten<br />

in Wien verantwortlich. Architektonische Qualität und<br />

Innovation ist – neben Ökonomie und Ökologie – eine der<br />

drei Säulen des geförderten Wiener Wohnbaus“, betonte<br />

Wohnbaustadtrat Dr. Michael Ludwig.<br />

Neue Familienformen, höhere Lebenserwartung, verstärkte<br />

Mobilität und Flexibilität in der Arbeitswelt stellen neue<br />

Herausforderungen für den geförderten Wohnbau dar.<br />

Es gehe heute um maßgeschneiderte Wohnlösungen,<br />

die den soziodemographischen Veränderungen und<br />

den unterschiedlichen Bedürfnissen der Menschen in<br />

allen Lebenslagen entsprechen, und weiterhin leistbares<br />

Wohnen für alle Wienerinnen und Wiener sicherstellen.<br />

„Neue Grundrisse, flexible Innenraumgestaltung,<br />

Multifunktionalität und Mehrfachnutzung von<br />

Wohnflächen, neuartige Übergänge vom privaten in den<br />

öffentlichen Raum, soziale Grünraumgestaltung sind<br />

dabei nur einige Aspekte, die im geförderten Wohnbau in<br />

Wien bereits heute eine zentrale Rolle spielen. Darüber<br />

hinaus setzen wir ab 2009 über das Instrument der<br />

Bauträgerwettbewerbe einen besonderen Schwerpunkt<br />

für die Entwicklung und Realisierung neuer Wohnformen<br />

setzen, die noch stärker Innovation mit hohem<br />

Kostenbewusstsein verbinden“, erklärte Stadtrat Ludwig.<br />

„Zudem werde ich auch den Meinungsaustausch und die<br />

gemeinsame Ideenfindung über Diskussionsplattformen<br />

forcieren. Neben ArchitektInnen und VertreterInnen von<br />

Bauträgern und der Bauwirtschaft lade ich dazu auch<br />

ExpertInnen, die nicht aus der Wohnbaubranche kommen,<br />

ein.“ Damit werde nicht nur interdisziplinäres Wissen<br />

zusammengeführt, sondern sollten auch ganz bewusst<br />

neue Zugänge eröffnet werden.<br />

„Die laufende Entwicklung innovativer Konzepte für<br />

Bau- und Wohnkulturen ist das Gebot der Stunde“,<br />

so Ludwig. „So arbeiten wir in Wien – in Fortführung<br />

der erfolgreichen Wohnbaupolitik – bereits heute an<br />

den Lösungen für morgen. Durch viel Kreativität und<br />

Innovationskraft wird Wien auch im 21. Jahrhundert seiner<br />

sozialen Verantwortung und seiner jahrzehntelangen<br />

internationalen Vorreiterrolle im geförderten Wohnbau<br />

gerecht werden.“<br />

csi<br />

KABELWERK – EIN <strong>ST</strong>ÜCK <strong>ST</strong>ADT<br />

ARCHITEKTUR: WERK<strong>ST</strong>ATT WIEN


Nr. <strong>19</strong>/2008 Buch II - Wiener Wohnbau<br />

<strong>ST</strong>/A/R 11<br />

Das Wohnen als kulturelle<br />

Ausdrucksform unseres Lebens<br />

du<br />

Zur Zeit der letzten Jahrhundertwende war die Wohnsituation in den europäischen Städten fürchterlich.<br />

Ein Ergebnis der industriellen Revolution, die Millionen von Arbeitern in die Städte trieb. Wien,<br />

Reichshauptstadt der österreichisch-ungarischen Monarchie hatte gerade die Gründerzeit bewältigt, die<br />

Schleifung der mittelalterlichen Basteien öffnete die alte Stadt zu den Vororten, und die alte kleinteilig<br />

barocke Struktur der Stadt wurde von rationalen Zinskasernen verdrängt. Eine Struktur der Stadt, die bis heute<br />

besteht.<br />

Dagegen etablierte sich der soziale Wohnbau in ganz Europa und in Wien ganz besonders, um die miserablen<br />

Wohnverhältnisse zu bekämpfen. Sozialer Wohnbau bedeutet, dass der Staat eine öffentliche Verantwortung und<br />

Kontrolle über die Höhe der Mieten und die Qualität des Wohnbaus übernimmt. Der Wohnbau ist damit dem freien<br />

Markt entzogen, dafür ermöglichen niedrige Mieten auch niedrige Löhne und folglich eine höhere Produktivität<br />

der Wirtschaft. Der Wohnbau als System wird als wesentliches Steuerungsinstrument verstanden, das innerhalb der<br />

Stadt einen sozialen Ausgleich ermöglicht, das Gentrification und Verslumung verhindert. Zudem ermöglicht die<br />

öffentliche Kontrolle des Wohnbaus auch die Sicherung einer architektonischen Qualität.<br />

Weltweite Aufmerksamkeit erlangt das “Rote Wien” mit seinen “Superblocks”, deren Architekten zum großen<br />

Teil von Otto Wagner ausgebildet waren. Folgten diese noch einer traditionellen Architektursprache, so wurde die<br />

Moderne in neuen Siedlungen realisiert.<br />

Nach der Nazizeit und dem Wiederaufbau nach dem 2. Weltkrieg wurde in den achtziger Jahren das System des<br />

Wiener Wohnbaus verfeinert, den heutigen Bedürfnissen angepasst. Mit hoher architektonischer Qualität wird auf<br />

die verschiedenen städtebaulichen Situationen reagiert. Beispielhafte Lösungen wurden realisiert. Die öffentlichen<br />

Förderungen, die politische Verantwortung, die engagierten Bauträger und hervorragenden Architekten - sie<br />

garantieren auch heute leistbare Wohnungen für alle Bevölkerungsgruppen mit einer architektonischen Haltung,<br />

die den Wohnbau als wesentlichen kulturellen Ausdruck des Lebens proklamiert.<br />

Vorwort von Dietmar Steiner, Direktor Architekturzentrum Wien,<br />

aus dem Ausstellungskatalog „Wiener Wohnbau – Innovativ. Sozial. Ökologisch“<br />

FRAUEN-WERK-<strong>ST</strong>ADT UND KULTURPALAIS<br />

EINGANG OSWALDGASSE


Städteplanung / Architektur / Religion Buch II - Wiener Wohnbau <strong>ST</strong>/A/R 13<br />

02., VORGARTEN<strong>ST</strong>RASSE<br />

21., ORA<strong>ST</strong>EIG Grünes Wohnen, umweltfreundliches Bauen<br />

22., RENNBAHNWEG 52 – Bauteil B und C<br />

Bauträger:<br />

- Wien Süd Gemn. Bau- und Wohnungsgenossenschaft<br />

- Gesiba Gemn. Siedlungs- und Bauaktiengesellschaft<br />

- EGW Heimstätte Gesellschaft m.b.H.<br />

- Bauträger Heimat Österreich gemn. Wohnungsund<br />

Siedlungsgesellschaft<br />

,<br />

ORAG<strong>ST</strong>EIG, ARCHITEKTEN: PPAG<br />

VORGARTEN<strong>ST</strong>RASSE, ARCHITEKTEN: PPAG<br />

Paul (4 1/2 ), Constantin (8), Vinzenz (4)<br />

RENNBAHNWEG, ARCH. WERNER KRAKORA – ARCH. FRANZ WAFLER<br />

Bauen wir für unsere Kinder?


14 <strong>ST</strong>/A/R<br />

Buch II - Wiener Wohnbau Nr. <strong>19</strong>/2008<br />

WIENER WOHNBAU INTERNATIONAL GEFRAGT<br />

Auf der diesjährigen Architektur-Biennale in<br />

Venedig steht eine bemerkenswerte Ausstellung<br />

im Programm: „Housing in Vienna – Wiener<br />

Wohnbau. Innovativ. Sozial. Ökologisch“. Diese<br />

Ausstellung, konzipiert von der Stadt Wien und dem<br />

Architekturzentrum Wien, und gestaltet vom Wiener<br />

Team SPAN-Architekten wurde am 12.9.2008 durch<br />

Wohnbaustadtrat Dr. Michael Ludwig eröffnet und wird<br />

bis 3.10.2008 im Palazzo der Fakultät für Raumplanung<br />

und Abteilung für Planung (Facoltà di Pianificazione<br />

del territorio and Dipartimento di Pianificazione) der<br />

Universität Venedig (Università di Venezia, IUAV) zu<br />

sehen sein und internationalem Publikum einen Überblick<br />

über die Geschichte des sozialen Wohnbaus Wiens von<br />

den Anfängen in den <strong>19</strong>20er Jahren bis hinauf in die<br />

Gegenwart bieten.<br />

Während für Wiener und Wienerinnen die hohen<br />

Standards des Wohnen zu den selbstverständlichen<br />

Merkmalen ihrer Stadt gehören, pilgern seit Jahrzehnten<br />

Jahr für Jahr zahlreiche ausländische Wohnbauexperten<br />

in unsere Stadt um vor Ort die Errungenschaften des<br />

geförderten Wohnbaus zu bewundern, die weltweit<br />

einzigartig sind.<br />

Allein schon die Zahlen liefern ein eindrucksvolles<br />

Bild. Fast 60 Prozent aller Wiener Haushalte befinden<br />

sich in geförderten Wohnungen, 220.000 davon in<br />

Gemeindebauten. Jährlich investiert die Stadt in den Bau<br />

weiterer 7.000 geförderter Wohnungen, das sind rund 80<br />

– 90 Prozent des gesamten Neubauvolumens. Rund 600<br />

Mio. Euro Wohnbauförderungsmittel fließen jährlich in<br />

den Neubau, in großzügige Sanierungsvorhaben und in die<br />

Wohnbeihilfe. Im Gegensatz zu anderen Bundesländern<br />

verwendet Wien die gesamte Wohnbauförderung des<br />

Bundes tatsächlich für Wohnen, und legt als Stadt noch<br />

beträchtliche Mittel drauf. Das Ergebnis kann sich sehen<br />

lassen. Der Spitzenplatz, den Wien im Mercer-Survey,<br />

einem weltweiten Vergleich der Lebensqualität in Städten,<br />

regelmäßig einnimmt, ist nicht nur der Kultur, der hohen<br />

sozialen Sicherheit und dem engagierten Umweltschutz<br />

Wiens geschuldet, sondern vor allem der Wiener<br />

Wohnpolitik, die dort stets 10 von 10 möglichen Punkten<br />

erreicht.<br />

Doch nicht nur die Zahlen beeindrucken. Seit seinen<br />

Anfängen zeichnet sich der soziale Wohnbau auch<br />

durch hervorragende Architektur aus. Namhafte<br />

Architekten unterstützten im Auftrag der Stadt bereits die<br />

Siedlerbewegung, die Anfang der <strong>19</strong>20er Jahre, als in Wien<br />

höchste Wohnungsnot herrschte, zur Selbsthilfe schritt um<br />

sich vor den Toren der Stadt mittels Eigenbau Wohnraum<br />

zu schaffen. An den eindrucksvollen Bauten des Roten<br />

Wien der <strong>19</strong>20er und Beginn <strong>19</strong>30er Jahre waren führende<br />

Architekten wie z.B. Peter Behrens, Josef Frank, Hubert<br />

Gessner, Clemens Holzmeister und Adolf Loos beteiligt.<br />

Die Tradition hochwertiger Architektur setzt sich im<br />

geförderten Wohnbau Wiens bis heute fort.<br />

<strong>19</strong>23 führte die sozialdemokratische Wiener Stadtregierung<br />

Wiens die Wohnbausteuer ein und baute mit den<br />

Mitteln dieser Abgabe bis <strong>19</strong>34 61.175 Wohnungen in<br />

348 Wohnhausanlagen. Um soziale Durchmischung<br />

zu sicher zu stellen, wurden die Gemeindebauten die<br />

ganze Stadt verstreut errichtet, auch in den so genannten<br />

„Nobelbezirken“. Zum Symbol des Roten Wien wurde<br />

der Karl-Marx-Hof mit seinen – für die damalige Zeit<br />

fast luxuriös ausgestatteten – 1.200 Wohnungen,<br />

zahlreichen Gemeinschaftseinrichtungen und großzügig<br />

begrünten Innenhöfen. Der Errichtung dieser Bauten<br />

und ihrer Architektur lag ein sozialdemokratisches<br />

Gesellschaftskonzept zugrunde, das auf die Emanzipation<br />

der arbeitenden Menschen und insbesondere der Frauen<br />

zielte.<br />

Während des Ständestaats und des nationalsozialistischen<br />

Regimes wurden Tausende Sozialisten, Gewerkschafter<br />

und Juden aus den Gemeindebauten vertrieben. Der<br />

Weltkrieg führte schließlich zur Zerstörung von 87.000<br />

Wohnungen, mehr als im Roten Wien gebaut worden<br />

waren.<br />

Nach <strong>19</strong>45 wurde mit dem Wiederaufbau begonnen.<br />

Das erste große Bauprojekt der Gemeinde war die Per-<br />

Albin-Hansson-Siedlung, deren Realisierung durch ein<br />

Hilfsprogramm der schwedischen Regierung möglich<br />

wurde. Die wohnpolitischen Schwerpunkte der Stadt<br />

umfassten damals die Auflockerung des dicht bebauten<br />

Stadtgebiets, eine Verdichtung der Randgebiete<br />

durch Gartensiedlungen und die Durchführung von<br />

Architekturwettbewerben.<br />

Ab den <strong>19</strong>60er Jahren begann die großflächige<br />

Stadterweiterung mit jährlich mehr als 10.000<br />

geförderten Neubauwohnungen. In den <strong>19</strong>70er Jahren<br />

standen großzügige Grünraumgestaltung, Schutz vor<br />

Umweltbelastungen, ausreichende Nahversorgung und<br />

Infrastruktur im Mittelpunkt der Bauvorhaben, zu denen<br />

die Terrassensiedlung Alt Erlaa zählte, die eine besonders<br />

aufwändige Ausstattung, u.a. Dachschwimmbäder,<br />

aufwies. Auch die Errichtung der Siedlung Am Schöpfwerk<br />

fällt in diese Zeit. Dort haben unter der Federführung von<br />

Architekt Viktor Hufnagl eine Reihe junger ArchitektInnen<br />

ihre Visionen umgesetzt.<br />

In den <strong>19</strong>80er Jahren wurde neben dem Neubau<br />

die „sanfte“ Stadterneuerung zum wichtigsten<br />

wohnbaupolitischen Aktionsfeld. Bei diesem international<br />

viel beachteten Modell, das bis heute praktiziert wird,<br />

bezuschusst die Stadt großzügig die Sanierung und sorgt<br />

gleichzeitig dafür, dass die Mieten erschwinglich bleiben.<br />

Die BewohnerInnen werden nach der Aufwertung ihres<br />

Viertels nicht in billigere Gegenden abgedrängt, sondern<br />

können in ihren Häusern wohnen bleiben. Auf diese<br />

fast_LIVINGUNIT<br />

designed and copyright© 2008 by: Angelo Roventa,<br />

Carmen Hernandez-Arcas<br />

BEWOHNE DEINE ZEIT<br />

Full function house<br />

with modular mobile furniture (bathroom, bedroom,<br />

living room, study room, kitchen, all including their<br />

necessary storage spaces), for a complete housing unit.<br />

content:<br />

The mobile furniture within the housing unit, with its<br />

multiple spatial arrangements, provides all the function and<br />

comfort of a regular house. The mobile furniture within<br />

the housing unit can be activated simultaneously, fig. 1.01,<br />

or in sequence, fig.1.02-bathroom, 1.03-bedroom,1.04-living<br />

room/study, 1.05-kitchen. Thanks to the mobility of these<br />

elements, those rooms/modules that are not in use at a<br />

specific time can be closed, providing more space for the<br />

rooms/modules that are actually in use. This is a way to<br />

multiply up to 4 times the net usable area of the housing<br />

element.<br />

VORSCHLÄGE FÜR EINEN WIRKLICH SOZIALEN WOHNBAU • VORSCHLÄGE FÜR EINEN WIRKLICH SO


Nr. <strong>19</strong>/2008 Buch II - Wiener Wohnbau<br />

<strong>ST</strong>/A/R 15<br />

Weise bleibt die soziale Durchmischung bestehen, und der<br />

Ghettobildung wird wirkungsvoll vorgebeugt.<br />

Seit Anfang des 21. Jahrhunderts errichtet die Stadt Wien<br />

die geförderten Wohnanlagen nicht mehr selbst. Die<br />

Abwicklung der Neubauvorhaben findet vielmehr durch<br />

gemeinnützige Wohnbauunternehmen statt, und die<br />

Entscheidungen werden im Grundstücksbeirat bzw. im<br />

Rahmen von Bauträgerwettbewerben getroffen – eine<br />

Vorgangsweise, die dem fairen Wettbewerb verpflichtet<br />

und im Vergleich kostenneutral ist. Inhaltlich steht der<br />

geförderte Wohnbau auf den drei Säulen Ökonomie –<br />

Ökologie – Architektur. Ziel der Wettbewerbe ist somit, für<br />

eine ausreichende Anzahl bedarfsgerechter Wohnungen<br />

zu sorgen, innovative architektonische Lösungen zu<br />

fördern und den Klimaschutz zu forcieren. Seit gut einem<br />

Jahrzehnt ist die Niedrigenergiebauweise Standard. Einen<br />

noch geringeren Energieverbrauch weisen die Passivhäuser<br />

auf. Auf den Aspanggründen entsteht gerade Eurogate, die<br />

größte Passivhaussiedlung Europas.<br />

Den aktuellen gesellschaftspolitischen und<br />

soziodemographischen Herausforderungen begegnet<br />

der geförderte Wohnbau in Wien mit Bauprojekten,<br />

die speziell auf die Lebensbedürfnisse bestimmter<br />

Bevölkerungsgruppen zugeschnitten sind.<br />

Angesichts weltweit gestiegener Bau- und Energiekosten<br />

wird die Stadt in naher Zukunft ihr Hauptaugenmerk auf<br />

die Schaffung leistbaren Wohnraums legen, und für die<br />

Entwicklung neuer Wohnkonzepte verstärkt auf junge,<br />

innovative ArchitektInnen setzen.<br />

Obwohl Wien zunehmend zu einer Metropole<br />

heranwächst, gibt es keine „Hot Spots“ sozialer Konflikte<br />

und auch keine „No Go Areas“ wie in vielen anderen<br />

Städten. Dies ist keineswegs Zufall. Es ist vielmehr<br />

das Ergebnis einer langen Tradition umsichtiger<br />

sozialdemokratischer Wohnungspolitik.<br />

Die Ausstellung „Wiener Wohnbau“ wird ab Jänner 2009<br />

im Ringturm gezeigt und danach auch in mehreren<br />

Bezirken zu sehen sein.<br />

Liebe Leserinnen und Leser,<br />

Wien, die Bundeshauptstadt Österreichs, ist auf der ganzen Welt für ihre Kultur und<br />

Gastfreundlichkeit, aber auch für ihren engagierten Umweltschutz, ihre hohe soziale Sicherheit<br />

und ihre herausragende Lebensqualität bekannt. So belegt unsere Stadt bei renommierten<br />

internationalen Untersuchungen über die Lebensqualität in Metropolen regelmäßig Spitzenplätze.<br />

In der Mercer-Studie 2007 rangiert Wien weltweit an dritter und in der Europäischen Union<br />

an erster Stelle. Zu diesen ausgezeichneten Ergebnissen hat auch die Wiener Wohnpolitik<br />

maßgeblich beigetragen, denn Wohnzufriedenheit und Lebensqualität sind eng miteinander<br />

verknüpft.<br />

In unserer Stadt hat nicht nur der soziale Wohnbau eine lange und erfolgreiche Tradition. Auch<br />

die Stadterneuerung wird auf sozial verträgliche Weise durchgeführt. Mit den Mitteln der Wiener<br />

Wohnbauförderung werden Jahr für Jahr tausende erschwingliche und qualitätsvolle Wohnungen<br />

errichtet, die den Wienerinnen und Wienern zur Verfügung stehen. Die Errichtung geförderter<br />

Neubauten ist an strenge ökonomische, ökologische und architektonische Kriterien gebunden.<br />

Damit stellt die Stadt sicher, dass leistbare Wohnungen gebaut werden, die jedoch hohen Klimaund<br />

Umweltschutzstandards entsprechen und viel Wohnqualität und Komfort bieten. Durch<br />

den international anerkannten Weg der „sanften Stadterneuerung“ bleiben die Mieten auch<br />

nach umfassenden Sanierungen moderat, und die betroffenen Bewohnerinnen und Bewohner<br />

werden nicht in andere Stadtgebiete verdrängt. Daher gibt es in Wien keine Ghettos, und die<br />

österreichische Bundeshauptstadt zählt zu den sichersten und sozialsten Metropolen der Welt.<br />

Dieser einzigartige Weg, den die Wiener Wohnpolitik eingeschlagen hat, und der international<br />

als vorbildlich gilt, wird in der Ausstellung „Wiener Wohnbau. Innovativ, sozial und ökologisch“<br />

dokumentiert.<br />

Ich wünsche Ihnen viel Freude beim Lesen dieses Ausstellungskatalogs und hoffe, dass<br />

Sie daraus viele interessante und spannende Informationen über die Wiener Wohnpolitik<br />

gewinnen. Es würde mich sehr freuen, wenn diese Publikation Ihr Interesse weckt, nicht nur die<br />

Wohnbauausstellung zu besuchen, sondern vielleicht auch den einen oder anderen der zahlreichen<br />

bedeutsamen historischen und zeitgenössischen Wohnbauten in unserer Stadt persönlich zu<br />

besichtigen.<br />

Vorwort von Dr. Michael Ludwig aus dem Ausstellungskatalog<br />

„Wiener Wohnbau – Innovativ. Sozial. Ökologisch“<br />

Wiener Wohnbau – innovativ. sozial. ökologisch<br />

13.09.2008 – 3.10.2008<br />

Vernissage: Freitag, 12.09.2008, 14.30 Uhr<br />

Öffnungszeiten: Mo – Fr 9.00 – <strong>19</strong>.00 Uhr<br />

Finissage: Freitag, 03.10.2008, <strong>19</strong>.00 Uhr<br />

Facoltà di Pianificazione del territorio and Dipartimento di Pianificazione<br />

(Fakultät für Raumplanung und Abteilung für Planung)<br />

Università di Venezia, IUAV<br />

Ca’ Tron<br />

S. Croce <strong>19</strong>57<br />

30135 Venedig<br />

Wiens Fertigkeit, funktionale und lebenswerte Wohnbauten zu errichten,<br />

geht auf das “rote Wien” in den <strong>19</strong>20er und <strong>19</strong>30er Jahren zurück, als die<br />

Sozialdemokratische Partei erstmals damit begann, sozialen Wohnbau im<br />

großem Maßstab zu realisieren. Seither entwickelte die Stadt stufenweise<br />

eine Wohnbaupolitik, die wesentlich zur Steigerung der Lebensqualität<br />

beiträgt.<br />

Die Ausstellung<br />

„Wiener Wohnbau – Innovativ. Sozial. Ökologisch“ gibt einen<br />

umfassenden Einblick in den Wohnbau Wiens – von den Anfängen<br />

bis in die Gegenwart. Präsentiert werden realisierte Anlagen des<br />

öffentlich geförderten Wohnbau und deren Einbettung in aktuelle<br />

Stadtentwicklungsprojekte unter besonderer Berücksichtigung sozialer<br />

und ökologischer Aspekte.<br />

Kuratiert vom Architekturzentrum Wien<br />

Eröffnung und Finissage: Dr. Michael Ludwig, Amtsführender Stadtrat für<br />

Wohnen, Wohnbau und Stadterneuerung; Prof. Liliana Padovani. IUAV<br />

Ausstellungskonzept: Wolfgang Förster, Gabriele Kaiser, Dietmar Steiner,<br />

Alexandra Viehhauser<br />

Ausstellungsgestaltung: SPAN-architects (Matias del Campo, Sandra<br />

Manninger)<br />

Die Ausstellung wurde durch die freundliche Unterstützung der Stadt Wien -<br />

Geschäftsgruppe Wohnen, Wohnbau und Stadterneuerung - ermöglicht.<br />

PROTOTYPEN FÜR KARL/MARX/HOF 2<br />

NIEDERENERGIEHÄUSER<br />

EIGENENERGIEHÄUSER<br />

KARL/MARX/HOF 2<br />

ROVENTA/GERNGROSS/WERK<strong>ST</strong>ATT WIEN<br />

ZIALEN WOHNBAU • VORSCHLÄGE FÜR EINEN WIRKLICH SOZIALEN WOHNBAU • VORSCHLÄGE FÜR


16 <strong>ST</strong>/A/R<br />

Buch II - Wiener Wohnbau<br />

Nr. <strong>19</strong>/2008<br />

21., DONAUFELDER <strong>ST</strong>RASSE 91<br />

Eckdaten<br />

π Neubau<br />

π 269 geförderte Mietwohnungen (§12 WWFSG89-Neu >10.000m2)<br />

π Bauträger: FAMILIENHILFE Gemn. Bau- und Siedlungsges.m.b.H.<br />

π Planung: ARGE Architekten CUUBUUS architects ZT GesmbH,<br />

Arch. Prof. Schempp<br />

π Baubeginn: Herbst 2007<br />

π Bezugstermin: voraussichtlich Sommer 2009<br />

Innovative und ökologische Wohnanlage<br />

Der Bauträger Familienhilfe errichtet auf dem ehemaligen Areal der<br />

Porsche KG 269 geförderte Mietwohnungen. Die neue Wohnhausanlage<br />

in Wien-Floridsdorf erfüllt den Niedrigenergie- Standard, erreicht die<br />

Wärmeschutzklasse A und gilt als ökologisches Musterprojekt.<br />

So wird ein optimierter Anteil des Energiebedarfs durch die Nutzung<br />

von Sonneneinstrahlung erreicht.<br />

22., SAIKOGASSE/<br />

ULLREICHGASSE<br />

Eckdaten<br />

π Neubau<br />

π 113 geförderte Mietwohnungen (§12 WWFSG89-Neu


Städteplanung / Architektur / Religion<br />

Buch III - Podrecca <strong>ST</strong>/A/R 17<br />

CONGRATULAZIONI<br />

<strong>ST</strong>/A/R-ARCHITEKT international<br />

SPRICHT SIEBEN SPRACHEN<br />

BORIS<br />

MANTUA:<br />

BORIS PODRECCA ERHÄLT<br />

ZUSAMMEN MIT DAVID<br />

CHIPPERFIELD DEN<br />

GROSSEN ITALIENISCHEN<br />

ARCHITEKTURPREIS<br />

“VERGILIUS<br />

D’ORO 2008”<br />

BORIS PODRECCA


18 <strong>ST</strong>/A/R<br />

VIENNA BIO CENTER 1<br />

Buch III - Podrecca Nr. <strong>19</strong>/2008<br />

Wien, Österreich, 2003-05; Fotos: Gerald Zugmann, Pez Hejduk, Robert Herbst<br />

IMBA – Institut für Molekulare<br />

Biotechnologie GmbH<br />

GMI – Gregor-Mendel-Institut für<br />

Molekulare Pflanzenbiologie GmbH<br />

VIENNA BIO CENTER 2<br />

Wien, Österreich, 2001-03; Fotos: Gerald Zugmann


Nr. <strong>19</strong>/2008 Buch III - Podrecca<br />

<strong>ST</strong>/A/R <strong>19</strong><br />

LINZ DONAUPARK URFAHR<br />

Donaupark Urfahr<br />

Sarnierung eines Terrain Vague<br />

Linz, Österreich, 2003-<br />

Wettbewerb, 1. Preis<br />

Gutachterverfahren, 2003<br />

zur Realisierung empfohlen<br />

Auslober: Stadt Linz<br />

Künstlerin Kathryn Miller, Los Angeles<br />

Von der zentralen Linzer Donaubrücke abwärts erstreckt sich auf der Urfahraner Seite gegenüber der Innenstadt entlang des Flussufers ein ausgedehntes, undefi niertes, aber<br />

in bester innenstädtischer Lage befi ndliches Roh-Gelände. Hier fi ndet alljährlich der Urfahraner Markt statt und große Teile des nicht merkantilisierten Schwemmlandes werden<br />

auch sonst als Parkplatz genutzt. Die wiederkehrenden Nutzungen Parkplatz, Markt und Zirkus bilden den Anlass der Gestaltungsmaßnahmen. Das Parkplatzgelände für ca. 1000<br />

Autos wird mit einer unregelmäßigen Kleinvegetation überzogen, die sich in Entwässerungsrinnen nach und nach festsetzt. Sonst wird am Gelände ein Oberboden mit einem<br />

Kalk-Schotter-Gemisch aufgetragen, das von der Künstlerin Katryn Miller mit „seedbombs“ (Samenbomben) gestaltet wird: Das Ausstreuen der Samen bewirkt eine regellose<br />

Hintergrundvegetation. An dem der Brücke und der Innenstadt nächst gelegenen Westende dieses „terrain vague“ entsteht eine kleinteiligere Struktur: Holzpritschen, saisonal<br />

wechselnde Bepfl anzungen und eine Wassersäule bilden hier die gestalterischen Akzente. Lichtstelen mit eingebauter Beschallung sorgen für Beleuchtung des Gesamtgeländes.<br />

Hölzerne Sitzstufen, zusätzlich am Flussufer anlegende schwimmende Hotels und andere Interventionen verleihen dem Gebiet neues Leben, das seinen hier traditionell<br />

regellosen Charakter beibehalten soll.


Städteplanung / Architektur / Religion Buch III - Podrecca <strong>ST</strong>/A/R 21<br />

SPLIT<br />

SPLIT<br />

CORMONS<br />

PIAZZA XXIV MAGGIO, Cormons,<br />

Italien, <strong>19</strong>89-<strong>19</strong>90<br />

Platzgestaltung im historischen Zentrum<br />

Zwischen Udine und Görz gelegen, repräsentiert Cormons als<br />

Hauptstadt des Collio-Gebiets den charakteristischen Typ einer<br />

friaulisch- venezianischen Kleinstadt. Der Hauptplatz mit dem<br />

Rathaus war stets auch Verkehrsknotenpunkt, welcher der Klärung,<br />

Organisation und Neugestaltung bedurfte. Ein wesentliches Element<br />

dabei ist die Entfl echtung von Versammlungs- und Verkehrsfl ächen,<br />

sowie di räumliche Akzentuierung mittels einer Brunnenanlage und<br />

einer Reihe von Beleuchtungsmasten. Der Steinbelag greift die<br />

Silhouetten mehrerer Bauten am Platz auf, die Texturen zeichnen<br />

die Volumina nach. Glasplatten über den beim Aushub gefundenen<br />

römischen Stadtmauerresten weisen auf die frühere Geschichte<br />

des Orts hin. Das Brunnenobjekt dient auch als Sockel für die Figur<br />

eines steinwerfenden Knaben des In Wien ausgebildeten Bildhauers<br />

Anfonso Canciani. Implantate aus Rosso-Verona-Stein transportieren<br />

sanguinische Stimmungen, eine monolithische Pergola bildet einen<br />

Auftakt des monumentalen Campanile.<br />

DU<br />

RATHAUSPLATZ, St. Pölten,<br />

Östereich, <strong>19</strong>94-<strong>19</strong>96<br />

Fotos: Damjan Gale<br />

St. Pölten hat durch die Entscheidung im Jahre <strong>19</strong>87, Landtag<br />

und Regierung des größten Österreichischen Bundeslandes,<br />

Niederösterreich, aus Wien hierher zu verlegen, einen großen<br />

baulichen Entwicklungsschub erlebt. Parallel zu den Neubauten<br />

der Landesregierung am Rande der Altstadt wurde die Kernstadt<br />

revitalisiert. St. Pölten zeigte die typischen Probleme österreichischer<br />

Kleinstädte am Ende des 20. Jahrhunderts: Strukturwandel,<br />

Suburbanisierung, Abwertung des historischen Bestandes im<br />

Kerngebiet und Gebrauch der Stadtplätze vorwiegend als Parkfl ächen.<br />

Typisch ist aber auch die hohe Qualität der Barockarchitektur:<br />

hier lebten und wirkten bedeutende Baumeister wie Jakob<br />

Prandtauer und Joseph Munggenast sowie der Maler Bartolomeo<br />

Altomonte. 1785 wurde St. Pölten Bischofs- und Garnisonsstadt.<br />

Die Rückführung des Hauptplatzes zu einem öffentlich genutzten<br />

Veranstaltungsraum griff die gegebene Gliederung mit der barocken<br />

Pestsäule und den gegenüberliegenden Hauptgebäuden von Rathaus<br />

und Franziskanerkirche auf. Steinerne Teppiche verbinden diese<br />

traditionellen Zentren des bürgerlichen und religiösen Lebens. Der<br />

Platz selbst ist „dreischiffi g“ strukturiert, mit einer freien Mitte<br />

und zwei seitlichen Funktionsbereichen. Hier wurden Stadtmöbel,<br />

Brunnenanlage, Garagenabgänge und Beleuchtungsmasten<br />

positioniert. Die Lichtregie des Platzes akzentuiert nicht nur<br />

verschiedene Stimmungen, sondern gibt dem Freiraum auch eine<br />

quasi-bauliche Gliederung verschiedener Höhenzonen.<br />

<strong>ST</strong>ROSSMAYER PARK, Split, Kroatien<br />

Baubeginn: 2000<br />

Fertigstellung: 2002<br />

Bauherr: Stadt Split<br />

<strong>ST</strong>.PÖLTEN<br />

Der Palast des römischen Kaisers Diokletian ist eines der bekanntesten<br />

Schulbeispiele für Adaption und Transformierung einer historischen Struktur<br />

durch spätere Nutzergenerationen. So wurde aus dem Palast ein Stadtteil,<br />

aus den Räumen Häuser. Entlang der Nordmauer wurde im <strong>19</strong>. Jahrhundert<br />

ein Stadtpark angelegt, der zunehmend verkam und von Randgruppen<br />

okkupiert wurde. Ein steinernes Passpartout rahmt ihn neu. Darin ist<br />

ein großes Kiesfeld angelegt, in dem Grüninseln den erhaltenswerten<br />

Baumbestand säumen. Diese Inseln „restituieren“ die von den Venezianern<br />

gefällten Wälder des damaltinischen Archipels. Die Terrassierung kann auch<br />

als Zuschauertribüne für Festivals genutzt werden, neue Angebote wie die<br />

steinernen Bänke sowie verbesserte und neugestaltete Funktionen wie<br />

Brunnen und Lichtmasten werten den Platz zusätzlich auf.<br />

Fotos: Damir Fabijani<br />

Strossmayer Park<br />

Split, Kroatien, <strong>19</strong>98-2002<br />

Fotos: Margherita Spiluttini


22 <strong>ST</strong>/A/R<br />

Buch III - Podrecca Nr. <strong>19</strong>/2008<br />

NEAPEL<br />

NEAPEL<br />

Peter Kogler, Seitenwände Michelangelo Pistoletto, 1. Ebene Boris Podrecca Platztextur<br />

LINIE6<strong>ST</strong>ATIONSANPASQUALE,KINO,SHOPPING –UNTERWASSERARCHITEKTUR


Nr. <strong>19</strong>/2008 Buch III - Podrecca<br />

<strong>ST</strong>/A/R 23<br />

PRIMORJE CON<strong>ST</strong>RUCTION COMPANY, HEADQUARTERS, AJDOVSCINA, SLOVENIA<br />

Fotos: Miran Kambi<br />

Ville urbane<br />

Ljubljana,<br />

Slowenien, 2004-2008<br />

Wettbewerb, 1. Preis


24 <strong>ST</strong>/A/R<br />

Buch III - Podrecca Nr. <strong>19</strong>/2008<br />

PRATER<strong>ST</strong>ERN, BAHNHOF WIEN NORD<br />

2002-mit B. Edelmüller


Buch IV - Werner Faymann <strong>ST</strong>/A/R / /R 25<br />

Städteplanung / Architektur / Religion Buch IV - Werner Faymann <strong>ST</strong>/<br />

DAS BUNDES-<br />

MINI<strong>ST</strong>ERIUM<br />

FÜR VERKEHR<br />

INNOVATION UND<br />

TECHNOLOGIE<br />

ARBEITET AN DER<br />

EUROPÄISCHEN<br />

VERNETZUNG


26 <strong>ST</strong>/A/R<br />

Buch IV - Werner Faymann Nr. <strong>19</strong>/2008<br />

LAINZER TUNNEL<br />

Durch den Lainzer Tunnel – die Verbindungsstrecke zwischen West-,<br />

Süd- und Donauländebahn in Wien – werden Güter- und Personenzüge Wien<br />

schneller und umweltschonender als bisher durchqueren beziehungsweise<br />

an ihre innerstädtischen Ziele, die Güterterminals und Bahnhöfe, gelangen.<br />

Freiwerdende Kapazitäten auf der West- und Südbahn können dann für die<br />

Verbesserung des lokalen Personenverkehrs genutzt werden.<br />

Der Lainzer Tunnel liegt auf der Achse Paris-Bratislava (TEN Korridor 17) und<br />

bildet den wesentlichen Bestandteil bei der Durchbindung durch Wien von West<br />

nach Ost.<br />

Projektlänge: ca. 12,8 km<br />

davon Länge des Verbindungstunnels: ca. 6,6 km<br />

Gesamtlänge der Gleisum- und -neubauten: ca. 25,3 km<br />

Entwurfsgeschwindigkeit:<br />

120 km/h für den Güterverkehr<br />

160 km/h für den Personenverkehr<br />

Baubeginn: <strong>19</strong>99<br />

Gesamtfertigstellung: Ende 2012<br />

Gesamtinvestitionen: rd. 1,289 Mrd Euro (gem. Rahmenplan 2008-2013)<br />

Euro 730 Mio. bisher verbaut (Stand: 12/2007)<br />

Mit der Inbetriebnahme des Lainzer Tunnels wird<br />

folgendes erreicht:<br />

π Zeitgemäße und leistungsfähige Verbindung der Westbahn mit der Süd- und<br />

Donauländebahn<br />

π Entlastung der Verbindungsbahn von schweren Güterzügen<br />

π Nutzung der an der Oberfläche frei werdenden Streckenkapazitäten für einen<br />

verdichteten Personennahverkehr - S-Bahn<br />

π Verbindung der Westbahn mit dem neuen Hauptbahnhof Wien<br />

π Eine Entlastung der Verbindungsbahn vom Güter- und Personenfernverkehr<br />

im 12. und 13. Bezirk und damit eine wesentliche Verbesserung der Lärmsituation<br />

für die Anrainer<br />

π Eine Entlastung der Westbahn vom Güterverkehr im 14. Bezirk und damit eine<br />

wesentliche Verbesserung der Lärmsituation für die Anrainer<br />

Modernisierung der Haltestellen<br />

π Wien Hadersdorf<br />

π Wien Weidlingau<br />

π Purkersdorf Sanatorium<br />

Neubau der Haltestelle Wien – Wolf in der Au<br />

Durch die Verbreiterung des sogenannten Meidlinger Einschnitts von vier auf<br />

acht bzw. neun Gleise ist die niveaufreie Einbindung der S-Bahn in die Südbahn<br />

möglich und somit eine erhebliche Leistungssteigerung im Bahnhof Wien<br />

Meidling - dem am stärksten frequentierten Bahnhof Österreichs - gegeben


Nr. <strong>19</strong>/2008 Buch IV - Werner Faymann<br />

<strong>ST</strong>/A/R 27<br />

Verbesserungen für Anrainer<br />

π Bessere Nahverkehrsanbindung<br />

π wesentliche Reduktion des Zuglärms<br />

π Steigerung des Kundenkomforts durch Haltestellenmodernisierung<br />

π Mögliche Verkürzung der Schrankenschließzeiten durch den verdichteten S-<br />

Bahnverkehr entlang der Verbindungsbahn<br />

Die Errichtung des Lainzer Tunnels erfolgt in vier<br />

Teilabschnitten:<br />

1. Teilabschnitt „Verknüpfung Westbahn“<br />

Der Teilabschnitt im Westen, die „Verknüpfung Westbahn“, verbindet die<br />

beiden bestehenden Fernverkehrsgleise der Westbahn mit der bereits im Bau<br />

befindlichen Neubaustrecke zwischen Wien und St. Pölten (Bestandteil der<br />

Baumaßnahmen zur viergleisigen Westbahn).<br />

Die Rohbauarbeiten in diesem Teilabschnitt wurden 2007 abgeschlossen.<br />

Der nächste große Meilenstein auf dem Weg zur Fertigstellung des gesamten<br />

Projekts 2012 erfolgt im Dezember 2008 mit der Teilinbetriebnahme der so<br />

genannten „Weichenhalle“ in diesem Projektabschnitt. Erstmals seit dem Jahr<br />

2000 steht dann die Westbahn im Bereich zwischen Bahnhof Hütteldorf und<br />

dem Bahnhof Unterpurkersdorf wieder viergleisig zur Verfügung.<br />

2. Teilabschnitt „Verbindungstunnel“<br />

Der Kernbereich des Projekts Lainzer Tunnel ist der Teilabschnitt<br />

„Verbindungstunnel“, welcher zweigleisig auf einer Länge von ca. 6,6 km<br />

ausgeführt wird. Er verbindet den Teilabschnitt „Verknüpfung Westbahn“ mit<br />

den Abschnitten „Anbindung Donauländebahn“ und „Einbindung Südbahn“.<br />

3. Teilabschnitt „Einbindung Südbahn“<br />

Der rund 1.550 m lange Teilabschnitt „Einbindung Südbahn“ beinhaltet die<br />

Einbindung der Gleise des Lainzer Tunnels in die Südbahnstrecke zwischen<br />

dem Bahnhof Wien-Meidling und der Haltestelle Hetzendorf. Mit der<br />

niveaufreien Einbindung der S-Bahn in den Bahnhof Wien Meidling wird die<br />

Einfahrtssituation des Schnellbahnverkehrs aus dem Süden nach Meidling<br />

verbessert.<br />

4. Teilabschnitt „Anbindung Donauländebahn“<br />

Der etwa 2.250 m lange Teilabschnitt „Anbindung Donauländebahn“ beinhaltet<br />

die Verbindung des Lainzer Tunnels mit der Donauländebahn, die Strecke zum<br />

Zentralverschiebebahnhof Wien Kledering und zur Ostbahn.<br />

Stand 16.09.2008


Städteplanung / Architektur / Religion Buch IV - Werner Faymann <strong>ST</strong>/A/R 29<br />

HAUPTBAHNHOF WIENStation<br />

Gesamtprojekt Hauptbahnhof Wien:<br />

Die Bauarbeiten beginnen<br />

Häupl, Faymann und Huber starten Jahrhundertprojekt – Neuer<br />

Verkehrsknoten für 145.000 Kunden pro Tag – Auftakt am Südtiroler<br />

Platz<br />

Ein großer Tag für Österreich: in wenigen Jahren werden über 1.000<br />

Züge und 145.000 Menschen pro Tag den neuen Hauptbahnhof<br />

Wien frequentieren. Heute, Dienstag, beginnen die Bauarbeiten<br />

für das Projekt Südtiroler Platz mit dem Spatenstich durch Wiens<br />

Bürgermeister Michael Häupl, Bundesminister Werner Faymann, ÖBB-<br />

Chef Martin Huber und den EU-Koordinator für die TEN-Achse 17, Péter<br />

Balázs. Der Umbau der Station Südtiroler Platz ist das erste Projekt, das im<br />

Rahmen des Gesamtprojekts Hauptbahnhof Wien realisiert wird. In sechs<br />

Jahren wird der Hauptbahnhof in Betrieb gehen und den Bahnverkehr<br />

weit über die Grenzen Wiens hinaus neu ordnen. Bahnreisende werden<br />

eine neue Qualität erleben, die Region einen wirtschaftlichen Impuls.<br />

Der Hauptbahnhof Wien wird neue Märkte ansprechen und Menschen<br />

verbinden.<br />

Bürgermeister Michael Häupl über die Bedeutung des Hauptbahnhofs<br />

für Wien: „Der Hauptbahnhof macht Wien zu einem europäischen<br />

Schienenverkehrsknoten ersten Ranges. Damit legen wir die Basis für einen<br />

weiteren Ausbau Wiens zum multifunktionalen Wirtschaftszentrum für<br />

den zentral- und osteuropäischen Raum. Der zweite positive Effekt ist die<br />

massive Aufwertung des gesamten Erweiterungsareals. Dort wo europäische<br />

Verkehrslinien an das städtische Netz angeknüpft werden, entsteht ein<br />

neuer hochwertiger Stadtteil mit Platz für Arbeiten und Leben.“<br />

Infrastrukturminister Werner Faymann streicht die strategische Bedeutung<br />

des neuen Bahnhofs hervor: “Der Hauptbahnhof Wien ist eines der<br />

wichtigsten Ausbauprojekte für die ÖBB. Das Ziel ist es, die Bahn zu einer<br />

wirklich attraktiven Alternative zum Auto und zum Flugzeug zu machen.<br />

Mit dem neuen Hauptbahnhof gibt es erstmals einen Durchgangsbahnhof<br />

in Wien. Das verkürzt die Fahrzeiten und schafft eine Verbindung der<br />

beiden wichtigsten Bahnachsen in Österreich.“<br />

In erster Linie ist der Hauptbahnhof Wien ein Bahnhof für Kunden. Dazu<br />

ÖBB-Chef Martin Huber: „Wir machen Wien von der Endstation zur<br />

Drehscheibe und den Hauptbahnhof zum Zentrum des Taktverkehrs.<br />

Reisen wird einfacher und schneller. Wir werden z. B. die Anreise von Linz<br />

zum Flughafen Wien in 1 Stunde und 15 Minuten anbieten – heute dauert<br />

dies noch mehr als zweieinhalb Stunden. Damit sind wir schneller als alle<br />

anderen Verkehrsmittel.“<br />

Drehscheibe für Wien, Österreich und Europa<br />

Derzeit befinden sich auf dem Gelände des heutigen Südbahnhofes<br />

zwei Kopfbahnhöfe: der Südbahnhof und der Ostbahnhof; sie liegen<br />

unmittelbar nebeneinander und werden getrennt betrieben. Anstelle<br />

dieser zwei Kopfbahnhöfe schaffen die ÖBB bis 2013 einen zentralen<br />

Durchgangsbahnhof - einen Knotenpunkt im transeuropäischen<br />

Schienenverkehr und die wichtigste Drehscheibe für den internationalen<br />

und nationalen Personenverkehr.<br />

Erstmals werden die Züge aus allen Richtungen in einem Bahnhof<br />

verbunden. Neue Bahnverbindungen werden möglich – beispielsweise von<br />

Linz direkt zum Flughafen Wien Schwechat. Bahn fahren wird dadurch<br />

rascher und bequemer. Bereits heute arbeiten die ÖBB am Fahrplan für<br />

2013: der Hauptbahnhof wird dann zum Taktknoten für Österreich.<br />

Innerhalb der Stadt werden Reisende bequem in andere öffentliche<br />

Verkehrsmittel umsteigen können: S-Bahnen, Straßenbahnen, regionale<br />

und internationale Autobuslinien und nicht zuletzt zur U-Bahnlinie<br />

U1 – sie alle werden mit dem Hauptbahnhof Wien zu einer großen<br />

Verkehrsdrehscheibe vereint. Rund 1.000 Abstellplätze für Fahrräder,<br />

Plätze für Kiss&Ride und Taxis sowie eine Tiefgarage binden den<br />

Individualverkehr an den Bahnhof an.<br />

Der Hauptbahnhof selbst wird aus fünf Doppelbahnsteigen bestehen. Zu<br />

diesen führen die Gleise der Südbahn, der Pottendorferlinie, der Ostbahn<br />

und der Schnellbahnlinie S 80. Eine moderne Dachkonstruktion wird<br />

für ein markantes Erscheinungsbild und für optimalen Witterungsschutz<br />

sorgen. Die Reisenden werden über Leitsysteme geführt. Alle Bereiche<br />

werden barrierefrei erreichbar sein. Das UVP-Verfahren für dieses Projekt<br />

soll noch heuer starten.<br />

denkmalgeschützt<br />

Südtiroler Platz macht Auftakt<br />

Das Gesamtprojekt Hauptbahnhof Wien beginnt dort, wo künftig der<br />

Haupteingang des Bahnhofs sein wird: am Südtirolerplatz. Hier wird<br />

zunächst die Schnellbahnstation umgebaut; sie ist heute bereits an ihre<br />

Kapazitätsgrenze gestoßen und nicht barrierefrei.<br />

Wiener Linien und ÖBB errichten nun eine Verbindungspassage von der<br />

U-Bahn- bzw. S-Bahnstation Südtirolerplatz zum nördlichen Vorplatz<br />

des Hauptbahnhofes. U-Bahn, Straßenbahn und S-Bahn bekommen<br />

barrierefreie Zugänge, die Bahnsteige der S-Bahn werden auf 210 m<br />

verlängert. Der Umbau wird bis 2009 fertig gestellt und 44 Mio. Euro<br />

kosten.<br />

BahnhofCity: wenn der Bahnhof zur Stadt wird<br />

Der Hauptbahnhof Wien wird nicht nur Verkehrsstation sein: hier wird<br />

erstmals eine „Bahnhof-City“ in völlig neuer Dimension errichtet – und<br />

zwar bereits ab 2009. Unter den künftigen Gleisanlagen und in der<br />

Bahnhofshalle entstehen ein Einkaufszentrum mit einer Verkaufsfläche<br />

von 20.000 qm und eine Garage mit einer Kapazität von mehr als 600<br />

Stellplätzen. Das heutige Parkdeck am Wiedner Gürtel wird, wie auch der<br />

Südbahnhof, abgerissen. Im neuen Hauptbahnhof wird ein breites Angebot<br />

an Handel, Dienstleistungen und Gastronomie mit der Verkehrsstation<br />

verbunden sein und die bestehende Infrastruktur der Umgebung ergänzen.<br />

Zusätzlich zu seiner Reisefunktion wird der Hauptbahnhof damit zum<br />

attraktiven Zentrum für Arbeiten, Ausgehen und Einkaufen.<br />

Wohnen und Arbeiten: ein neues Stadtviertel entsteht<br />

Auf dem Gelände zwischen Gürtel, Arsenalstraße, Gudrunstraße und<br />

Sonnwendgasse wird ein neues Stadtviertel entstehen – mit Büroflächen<br />

im Ausmaß von 550.000 qm Bruttogeschoßfläche und 5.500 neuen<br />

Wohnungen für rund 13.000 Menschen. Mit einem acht Hektar großen<br />

Park wird auch ein Erholungsgebiet 0geschaffen. Ein Kindergarten und<br />

zwei Schulen sorgen für die soziale Infrastruktur. Insgesamt werden 59 ha<br />

städtebaulich entwickelt – und das nur 2,5 km vom Stephansdom entfernt.<br />

Rund 20.000 Menschen werden hier insgesamt arbeiten. Die ersten<br />

Einheiten sollen 2012 fertig sein.<br />

Mit dem Hauptbahnhof Wien wird auch die Barrierewirkung der heutigen<br />

Schieneninfrastruktur deutlich reduziert. Die angrenzenden Bezirke werden<br />

durch neue Straßen und Fußwege an mehreren Stellen verbunden.<br />

Standortkonzentration Matzleinsdorf: Bahnbetrieb im Hintergrund<br />

Zusätzlich zum Hauptbahnhof Wien setzen die ÖBB zeitgleich ein weiteres<br />

Projekt um, das die Weichen für den Bahnverkehr in diesem Bereich neu<br />

stellt: die Konzentration der Serviceeinrichtungen für die Wartung und<br />

Pflege der Züge. Bis 2009 werden sie am früheren Frachtenbahnhof<br />

Matzleinsdorf zentral zusammengeführt – samt aller notwendigen Zuund<br />

Nachlaufgleise. Bisher sind diese Einrichtungen auf sieben Standorte<br />

in Wien verteilt. Mit dieser Standortkonzentration schaffen die ÖBB eine<br />

moderne Infrastruktur für die Abläufe im Hintergrund.<br />

Abseits der direkten Wahrnehmung durch die Kunden der Bahn bauen<br />

die ÖBB außendem Abstell- und Wendeanlagen, eine Verladestelle für<br />

Autoreisezüge, Anlagen für die Außenreinigung und neue Tragwerke<br />

über die Laxenburgerstrasse, die Landgutgasse und die Triesterstrasse. Die<br />

Logistik im Hintergrund wird völlig neu geordnet.<br />

Über zwei Milliarden Euro Investition<br />

In die Errichtung der neuen Bahninfrastruktur einschließlich<br />

der Verkehrsstation fließen rund 886 Mio. Euro; hier ist die<br />

Inflationsanpassung der nächsten Jahre bereits berücksichtigt. Dieser<br />

Betrag wird größtenteils über den ÖBB-Rahmenplan aufgebracht – dem<br />

Instrument zur Abwicklung der Infrastrukturinvestitionen der ÖBB.<br />

Wesentliche Kostenbeiträge werden aber auch die Gemeinde Wien, TEN-<br />

Förderungen und die Erlöse aus der Immobilienentwicklung liefern. Das<br />

Einkaufszentrum und die Standortkonzentration Matzleinsdorf werden<br />

durch die ÖBB komplett eigenfinanziert. Die Gemeinde Wien wiederum<br />

wird die Kosten für die technische und soziale Erschließung des neuen<br />

Stadtviertels tragen; hier wird mit einem Aufwand von über 100 Mio.<br />

Euro gerechnet. Im gesamten Areal werden in den nächsten neun Jahren<br />

in Summe – von der Schieneninfrastruktur bis zu neuen Wohnungen<br />

– voraussichtlich über zwei Mrd. Euro investiert.<br />

Parallel zu den Bauarbeiten am Südtiroler Platz werden nun auch die UVP-<br />

Verfahren für das Schieneninfrastruktur-Projekt, den neuen Stadtteil und<br />

die neuen Straßen weiter vorbereitet. Die Verfahren sollen noch heuer<br />

beginnen.<br />

Bürgerbeteiligung<br />

Bereits bisher wurden die Bürger in unmittelbarer Umgebung des<br />

Entwicklungsgebietes in die Vorbereitung des Projekts eingebunden. Im Juni und<br />

Juli 2006 sorgte eine Ausstellung für reges Interesse; zum Projekt wurden dabei<br />

zahlreiche Stellungnahmen abgegeben und bestmöglich berücksichtigt. Bewährt<br />

haben sich auch Informationsveranstaltungen in den Bezirken; sie soll es weiterhin<br />

geben. Auch eine eigene Homepage für das Projekt wird vorbereitet.


30 <strong>ST</strong>/A/R<br />

Buch IV - Werner Faymann Nr. <strong>19</strong>/2008<br />

Der Westbahnhof ist, neben dem Südbahnhof, einer der beiden großen Wiener Bahnhöfe<br />

und als solcher Ausgangspunkt des Bahnfernverkehrs u.a. nach Deutschland, in die Schweiz und<br />

weiter nach Frankreich und Belgien. Daneben besteht über die Speisinger Verbindungsbahn eine<br />

Verbindung nach Ungarn, Serbien und Rumänien im Osten und Südosten.<br />

In beiden Ebenen der Bahnhofshalle sind verschiedene Geschäfte zur Versorgung der Reisenden<br />

(Supermarkt, Tabak- und Zeitschriftenläden, Internetcafé, Postamt, Kopiergeschäft, Imbissstuben,<br />

Blumenladen, Frisör etc.) angeordnet.<br />

Ende August 2008 wird die denkmalgeschützte Halle samt Vorplatz für drei Jahre gesperrt<br />

und der Bahnhof zur “BahnhofCity Wien West” umgebaut bzw. erweitert. Das Großprojekt<br />

Westbahnhof hat nach ÖBB-Angaben inklusive Schieneninfrastruktur ein Investitionsvolumen<br />

von 130 Mio. Euro. Vorgesehen ist ein zusätzliches Geschoß unter der bestehenden Halle sowie<br />

neue Gebäudekomplexe südlich und nördlich davon. Die Pläne stammen von den Architekten<br />

Heinz Neumann und Eric Steiner, die Ende 2002 einen internationalen Planungswettbewerb für<br />

das Bahnhofsumfeld gewonnen haben.<br />

WE<strong>ST</strong>


Nr. <strong>19</strong>/2008 Buch IV - Werner Faymann<br />

<strong>ST</strong>/A/R 31<br />

WE<strong>ST</strong>BAHNHOF<br />

Geplante Maßnahmen:<br />

• Attraktivierung der unter Denkmalschutz<br />

stehenden Bahnhofshalle<br />

• Verbesserung des Einzelhandels-, Gastronomieund<br />

Dienstleistungsangebotes<br />

• Errichtung eines neuen ÖBB-Reisezentrums<br />

• Neue Vorplatzgestaltung und Verbesserung der<br />

Zufahrten<br />

• Forcierung der Liegenschaftsentwicklung<br />

entlang des Gürtels für Hotel- und Büronutzung<br />

• Schaffung einer Bahnhof City (Finanzierung mit<br />

Partner)


32 <strong>ST</strong>/A/R<br />

Buch IV - Werner Faymann Nr. <strong>19</strong>/2008<br />

EUROPÄISCHE VERNETZUNG<br />

EUROPÄISCHE VERNETZUNG


Städteplanung / Architektur / Religion<br />

Buch V- NAPOLEON <strong>ST</strong>/A/R 33<br />

Napoleonstadl - Haus der Architektur Kärnten<br />

Eröffnung der Kärntner Landesausstellung 08<br />

im Museum moderner Kunst am 6. Juni 2008<br />

Neben der Dokumentation regionaler Schwerpunkte etablierte<br />

sich Kärntens Haus der Architektur auch als Zentrum für<br />

einen überregionalen und internationalen Austausch der<br />

Architekturszene.<br />

Diesen Aspekt greift die Ausstellung unter dem Titel<br />

architekturTRANSFER auf. Gezeigt wird eine Auswahl an Projekten<br />

internationaler Architekturbüros, die durch ihre Bautätigkeit seit <strong>19</strong>90<br />

wichtige Landmarks in Kärnten gesetzt haben sowie komplementär dazu<br />

erstmals auch einen Überblick über Kärntner ArchitektInnen, die ihren<br />

Arbeitsmittelpunkt außerhalb des Landes gefunden haben. Die Vielzahl an<br />

internationalen Einzelprojekten dokumentiert die Bedeutung des Transfers<br />

avancierter eitgenössischer Architektur in alle Richtungen: von außen<br />

nach innen sowie von einer im Land selbst agierenden Architekturszene<br />

nach außen. Für die 21 vorgestellten ArchitektInnenteams haben SHARE<br />

architects eine unkonventionelle, spielerische Präsentation gestaltet.<br />

Darüber hinaus begleitet die Ausstellung als Zusatztool ein grafisch<br />

aufbereiteter »Reality Check« in die verschiedenen Strukturen und<br />

Arbeitsweisen junger Architekturbüros im europäischen Raum.<br />

Napoleon<br />

Haus der Architektur<br />

Dauer<br />

07.07 bis 02.11.2008<br />

Öffnungszeiten<br />

Mo bis Do 7 bis 17 Uhr<br />

Fr 7 bis 12 Uhr


Städteplanung / Architektur / Religion Buch V- NAPOLEON <strong>ST</strong>/A/R 35<br />

Aus der Serie:<br />

Erfolgreiche Architekten stehen voll hinter<br />

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Nahezu jedes Dekor<br />

ist möglich.<br />

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Visualisierung: www.schreinerkastler.at<br />

Infos: „Wien-Süd“<br />

1230 Wien, Untere Aquäduktgasse 7<br />

Frau Brigitte Kitzwögerer<br />

E-Mail: b.kitzwoegerer@wiensued.at<br />

01 866 95-432<br />

INSEL NR. 2<br />

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13. – 25. Oktober<br />

INSEL NR. 3<br />

Its Our Pleasure<br />

20. – 29. November<br />

INSEL NR. 4<br />

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15. – <strong>19</strong>. Dezember<br />

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FunderMax GmbH<br />

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Wenn Fassaden heute schöner denn je anzusehen sind, liegt das immer öfter<br />

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unzähligen Gestaltungsmöglichkeiten nutzen, sondern auch eine Entscheidung<br />

für Langlebigkeit und Wirtschaftlichkeit treffen.


36 <strong>ST</strong>/A/R<br />

Buch V- NAPOLEON Nr. <strong>19</strong>/2008<br />

GANZHEITLICHE KUN<strong>ST</strong> UND ICH-SPALTEREIEN<br />

über beziehungsvolle Kunst und eine, die mittels Codes sich selbst darstellt<br />

v. Manfred Stangl<br />

od dem Ich-Mörder!“ tönt ’s aus versteinerten<br />

Köpfen, „den Platanen, dem Lachen, den Tulpen<br />

den Tod; allem, was wächst, ans Sterben<br />

„T<br />

gemahnt und die Hautgrenzen uns zerrt, sei verdammt<br />

und in den Boden gerammt – Tod so dem Frühjahr, dem<br />

Herbst und dem schwülstig-süßen Apfel-Rot“.<br />

Also marschieren Kameraden der Linearität und der logischen<br />

Kolonnen über Sonnenblumenfelder und treten<br />

die Erde mit inbrünstigen Wonnen – und sie singen<br />

Lieder der Disharmonie und pfeifen auf alles, was nicht<br />

lauthals sich selbst schreit, denn nur Nichts zählt, jedenfalls<br />

nichts, was liebt und verzeiht.<br />

Der Kunstmarkt boomt. Edelkunst ist ausgebucht. Events<br />

sind gut besucht, aber sonst interessiert sich kaum wer<br />

für Kunst, wozu auch, abgeschottet und weggespalten<br />

vom Leben kann heut Kunst keinem wirklich was geben<br />

– es geht nur um Codes, die zudem den Reichen imponieren,<br />

so wie dauerndes Selbststilisieren: Besonderheit,<br />

Genialität, Einzigartigkeit, Kreativität und Dynamik zeigen<br />

die Kunstwerke her. Das sind die Werte, mit denen<br />

Manager sich gerne ummänteln, um mit ihren Millionen<br />

Gehältern von Gewissensbissen befreit to handln;<br />

sie seien besonders und originell, und sie sind das ja<br />

wirklich in ihren Ausreden Geld zu scheffeln. Kaum zu<br />

übertreffen wie radikal und schnell mit kreativem Schaffen<br />

sie Geld an der Finanz verstehen vorbeizuraffen<br />

– wir können nur gaffen.<br />

Jedenfalls umsirrt sie die superbesondere Kunst mit<br />

dem Dunst des Besonderen und Feinen, des Grandiosen,<br />

Großen und Reinen, so fühlen sie sich in ihrem<br />

Image bestärkt; Kunst dient der Ich-Ideologie: „Ich“ ist<br />

alles, wir aber zählen nichts, außer als Konsumentenund<br />

Stimmvieh.<br />

Wir aber gingen mit den Igeln ins Laub oder saßen mit<br />

den Finken in den Himbeersträuchern und sangen den<br />

Sommerwind herbei. Er küsst den Mund bis auf den<br />

Grund und wunderbar trägt er den Sommermond, der<br />

in lauen Nächten wohnt, wie eine Blume im Haar. Sein<br />

Lächeln weht uns warm ums Herz und sonnenklar<br />

erkennen wir Schmerz und Leid, die verlorene Jahreszeit<br />

und sonderbar zieht uns die Erde hinab und plötzlich<br />

sitze ich - die Schultern frei, die Wirbelsäule grad<br />

– zwischen Himmel und Mond. Energie quillt aus dem<br />

All, in mir überall spür’ ich mich mit Glück belohnt.<br />

Schönheit strömt aus mir, Lilien erblüh’n auf Papier;<br />

die Libellen sirren vor Freude schier; melancholische<br />

Melodien spielt die Nacht am Klavier, ein Baum malt ein<br />

Bild von dir; Leben sprießt unentwegt hier: es ist Kunst<br />

vollbracht zwischen Dämmerung und Nacht, die Sterne<br />

schreiben ein Gedicht, der Himmel malt rote Wolken<br />

mit Abendlicht, die Erde formt aus Lehm ein lächelndes<br />

Menschengesicht und endlich verweigerst du dich nicht<br />

und mit Kopf, Hand und Fuß nickst du einen Gruß ins<br />

Himmelszelt. Mit ihren schönsten Wörtern und Farben<br />

grüßt zurück die Welt: du hast sie empfunden, sie endlich<br />

gefunden – hab Freude an ihr.<br />

Die Mondin mit ihren Moschus dampfenden sieben silbergrauen<br />

Hündinnen schritt durch den Wald. Sie traf<br />

sich mit Schwester Nacht. Auch die Engelin der Stille<br />

- die mehr einem Baum gleicht denn einem Menschen -<br />

fand sich am geheimen Ort. Die Wipfel der Fichten und<br />

die Zweige der Eiben wiegten sich im auffrischenden<br />

Wind. Die sieben Hündinnen – die aus der Ferne wie<br />

Wölfinnen wirkten – tollten auf einer Lichtung beim<br />

Tanz der heimlichen Melodie. Wild sprangen sie, wild<br />

sang der Mond; am Blut und in den Brüsten zerrt das geheimnisvolle<br />

Lied der Nacht. „Komm“, haucht das Lied,<br />

„kehr heim“, singt die Nacht, „in den dunklen Hain meiner<br />

Küsse; schließe die Augen, sei mein.“<br />

Das unreife Ich der Moderne beklagte Friedrich Schlegel<br />

vor über 2oo Jahren schon. Er befürchtete, würde das Ich<br />

in den Mittelpunkt rücken, verbreiteten sich der interessante,<br />

absonderliche, hässliche und monströse Ton. Er<br />

unterschied zwischen objektiver und interessanter Poesie.<br />

Freilich sei die interessante künstlich und pikant,<br />

schön indessen nie. Er glaubte aber an eine Zeit nach<br />

der Moderne, in der das Interessante sich selbst abschaffen<br />

und das Übermaß des Individuellen zu Harmonie<br />

finden und zu Schönheit reifen würde.<br />

Für Wackenroder und Tieck - den Initiatoren der Frühromantik<br />

- gelten Gefühl und göttliche Inspiration als<br />

Wesen künstlerischen Schaffens; Verstand und pure<br />

Wissenschaftlichkeit seien demnach eine sinnwidrige<br />

Hürde.<br />

Doch die Romantik ist dem Fortschritt eitle Bürde. Um<br />

18oo erhebt Schelling die Vernunft zum absoluten Ausdruck<br />

des Göttlichen und dem Logos widerfährt höchste<br />

Würde. Gegen <strong>19</strong>oo dreht der Verstand dann völlig<br />

durch. Die Mathematik erobert die Welt. Janes Joyce will<br />

die Literatur aufwerten, indem er dieser mathematische<br />

Gesetzmäßigkeiten unterstellt. Schönberg zerstückelt<br />

Musik bis in seiner Nachfolge der serielle „Komponist“<br />

Töne ohne innere Zusammenhänge aufeinander hetzt.<br />

Kandinsky sucht das Wesen der Erscheinungen hinter<br />

der Natur. Er erklärt das Abstrakte zum Geistigen der<br />

Kunst und mit Malewitsch und Mondrian sind die Linearität<br />

und die Geometrie Richtschnur und hat sich die<br />

mathematisierte Sichtweise der Welt endgültig durchgesetzt.<br />

Dann wurden noch alle Werte verkehrt: mit Nietzsche<br />

– dem Propheten der Narzissten - hieß es, Mitleid zu<br />

verpönen; pubertäre Machtphantasien aber als Befreiung<br />

zu verschönen. Schließlich galt es, sich an die intellektuellen<br />

und wissenschaftlichen Modelle der Weltbeschreibung<br />

zu gewöhnen.<br />

Natürlich war die Aufklärung wichtig. Aber ihre Vertreter<br />

irrten, wenn sie meinten, allein der Katholizismus<br />

mit der Unterdrückung der Sinne sei pur verantwortlich<br />

für die Lebensunlust, aber das Ich mache alles richtig.<br />

Das Modell des Individuums in der Moderne bleibt auf<br />

das Hierarchische, Lineare, letztlich Männliche fixiert<br />

und führt so zu Frust. Die Betonung äußeren bzw. materiellen<br />

Wachstums höhlt das Ich aus; zugleich macht<br />

der Verstand der Emotion und der Intuition den Garaus.<br />

Zensurbehörden sind überflüssig, weil der an Karriere,<br />

Erfolg und Glanz Glaubende allem wird überdrüssig,<br />

das nicht ins Bild passt von Grandiosität, Besonderheit,<br />

coolem Style und dem Selbstbetrug, dass man selber nie<br />

verliert. Die Leere hinter den brillanten Fassaden, Empfindungen<br />

von Ohnmacht und Leid, von abgrundtiefer<br />

verdrängter Wut auf die, welche Leben und Seele umbrachten<br />

werden mit schönen Bildern kaschiert und mit<br />

Drogen, Alkohol und dem täglich herunter gebeteten<br />

Glaubensbekenntnis „Erfolg“ sediert.<br />

Mit dem Rest an Hass reißen wir Schleier vom Leib,<br />

entblößen das süße fremde Weib; auch westliche Künstlerinnen<br />

stellen sich gern nackt dar, oder geben hübsche<br />

Studentinnen preis voyeuristischem Nass: nur das<br />

macht uns noch Spaß. Intimität darf nicht sein, es zählt<br />

die Verkonsumierung allein, bedeckte Körper gelten als<br />

unfein, Pornographie und Sexualisierung sollen Grundund<br />

Menschenrecht sein.<br />

Wir leben inmitten der Welt generierter Bilder des<br />

Glücks. Glauben an die freie Verfügbarkeit der Sexualität<br />

und die prompte Befriedigung aller Sinne als Lebenssinn.<br />

Zeigen Fotos vom erfolgreichen Urlaub oder versenden<br />

sie per MMS, hoffen es, bzw. glauben fest daran,<br />

dass man uns erkennt als zukünftige Superstars und<br />

schau’n uns alle die blödsinnigen Sendungen zur Verbreitung<br />

der Selbstinszenierungen an. Selbst der „kleine<br />

Mann“ glaubt an Karriere und Erfolg oder wenigstens<br />

den Lotto Gewinn. Dann ab vierzig nimmt die Zufriedenheit<br />

am Arbeitsplatz ab, ergaben unlängst Studien<br />

der AK – der Traum von Karriere und einem Leben 1A<br />

ist geplatzt und auch sonst ist von den gesteuerten Illusionen<br />

nicht mehr viel da. Die enttäuschte Frage: „was<br />

hat das alles für einen Sinn?“ bleibt rein statistische Klage<br />

– wer ist zu hören erpicht, was ein Vierzigjähriger in<br />

seinem Frust spricht, allen über 25 traut und glaubt man<br />

ohnehin nicht.<br />

„Umwertung der Werte“: Liebt wer das Sein, fließt es<br />

in seine Lyrik, seine Malerei mit ein, scheint es durch<br />

die Konturen der Natur, oder manifestiert es sich als<br />

Glückseligkeit pur, hört man die Ich-Propagandisten<br />

schrein: „Das ist ja krank und unecht und verrückt ist es<br />

erst recht.“ Sicherlich: vom Standpunkt der modernen<br />

Kultur aus, die sich auf einen Freud beruft, staunt man<br />

nicht schlecht, denn jede Vision erscheint als Zeichen<br />

psychischer Krankheit und Not; der „umgewerteten“<br />

Weltanschauung gilt spirituelle Reife als Erkrankung<br />

und Tod. Deshalb wehklagen die Ich-Anbeter und<br />

stöhnen, wie sehr sie die Liebe, das Mitgefühl und die<br />

Schönheit hassen – denn solche Werte können sie mit<br />

ihren verzerrten Wahrnehmungsweisen nicht fassen.<br />

Das Schöne erscheint ihnen als Hohn, weil sie nur die<br />

Hässlichkeit kennen, der Begriff „Wahrheit“ gilt als Affront<br />

und „Mitgefühl“ klingt dem als Abwertung, der<br />

sich ganz oben sieht auf einem Thron: eben als wichtiger<br />

Ich-Gott jenseits der Massen. Und die Liebe bleibt denen<br />

bloß ein Wort, die mittels Liebesentzugs-Manipulation<br />

und geistigen Schlägen innerlich verwüstet wurden<br />

schon als Kinder. Ich verstehe sie, sie tun mir auch Leid,<br />

aber jetzt geben sie ihre Ödnis für die einzige Wahrheit<br />

aus aller Zeit und betreiben das Zerschlagen der Wälder<br />

und das Abholzen der Himmel und Verbrennen der<br />

Erde in ihrem Schmerz zunehmend geschwinder.<br />

Pointiert formuliert: Aus Mitgefühl sieht jemand, der<br />

ganzheitlich fühlt, davon ab, dem Modernen Menschen<br />

dessen beschädigte Seele vorzuhalten. Er kann ja letztlich<br />

nichts dafür: kritisiert sei nicht der Leidende, sondern<br />

das Leid auslösende System: die Moderne Zivilisation<br />

und Abendländische Kultur. Der sich hinter Masken<br />

der Grandiosität Schützende und Verbergende erkennt<br />

allerdings die Analyse als Attacke nur. Schlägt wild um<br />

sich und verteidigt groteskerweise gerade jene Kultur,<br />

die ihn entfremdet und aussaugt, gegen eine bergende,<br />

ihn mit Lebendigkeit erfüllende Natur.<br />

Dem lebensleeren Imagedichter gilt abgehoben, wer die<br />

Welt liebt, weil diese in Wirklichkeit schlecht sei und<br />

bös; gar nicht generös, was sie doch zu sein hätt’, wo<br />

er doch sein Bestes gibt. Die Welt erkennt seine wahre<br />

Bedeutung nicht an, folglich ist sie nicht nett und der<br />

Krokos liebende Idealist ist naiv und um Hunderte Jahre<br />

zu spät dran.<br />

Die Sonne, der Derwisch, tanzt wirbelnd im Kreis, ein<br />

Arm abgewinkelt zum Himmel, zum All, ein Arm voll<br />

Sonnenstrahlen zur Erde – aus Respekt und weil überall<br />

es Bestimmung des Derwisches ist, die Energien des Kosmos<br />

mit denen der Erde zu einen. Und siehe: der Tanz<br />

ist das Schreiten der Götter, sind die Planetenbahnen, ist<br />

das Singen von Steinen bevor die Zeit vergeht und zur<br />

Stille, zur Meditation der Ewigkeit die Götter sich setzen,<br />

die Zeitlosigkeit heranweht und die Leere sich auftut mit<br />

ihren mystischen Schätzen..<br />

Der Gesang der Götter ist das Zwitschern der Amseln<br />

am Morgen, ist das hüpfende Reh, ist der Freude erwachender<br />

Laut, ist das Trommeln des Regens auf dem<br />

See, ist die Stille in der Abenddämmerung, wenn ein<br />

Suchender ohne Eile in den Himmel schaut – drei Stunden<br />

und drei Jahre, bis aus der Fülle der Schau ein Gedicht<br />

bricht, eine Melodie fließt, lebendige Farben, oder<br />

die Vision, wie ein Baum ein Haus baut – oder es passiert<br />

gar nichts Spezielles; ein kleines Lächeln vielleicht<br />

um die Mundwinkel und in den Augen das Licht eines<br />

Monds, ein sonnenhelles.<br />

Versteht man „ganzheitlich“ in Analogie zu den Erkenntnissen<br />

in Medizin und gar zu naturwissenschaftlichen<br />

Strömen – wo uns das „Tao der Physik“ Capras und<br />

Sheldrakes Evolutionstheorie des Bewusstseins sollte zu<br />

denken geben – fließen die naturnahen, archetypischen<br />

Zugänge nativer Völker ein in die Kunst. Ebenfalls bereicherte<br />

uns die Weisheit des Taoismus: Feng Shui und<br />

die Harmonie zwischen dem Yin und dem Yang – dem<br />

weiblichen und dem männlichen Prinzip – vergessen<br />

in der westlichen Philosophie. Ganz zu schweigen von<br />

der Weisheit in der Zen-Buddhistischen Kunst, welche<br />

die innere Leere der Dinge nicht mit der Abstraktheit<br />

des Männlichen gleichsetzt. Kommt Natur vor schreit<br />

der Modernist gleich entsetzt: „epigonal“, und „das war<br />

schon da“, oder „das ist ja nichts“. Wenn hundert Jahre<br />

nach James Joyces „Ulysses“ - dessen letztes Kapitel<br />

ohne Interpunktionen bleibt – jemand ein Buch ohne<br />

Satzzeichen schreibt, hält man das für modern oder<br />

gar Avantgarde. Bei Joyce schon könnte die Moderne<br />

enden – wozu mit noch mehr Zerstückelung die Zeit<br />

verschwenden? Und der postmoderne Dekonstruktivismus?<br />

Der verkauft sich als die Überwindung moderner<br />

Verstandesüberbewertung und dualistischen Wertetribunals.<br />

Dabei lockt er bloß alles Logische und Lineare<br />

in die Abstraktheit des Zentrifugals. Dekonstruierende<br />

Relativierung lässt zuletzt nichts anderes herrschen als<br />

das allmächtige „Ich“, das keine Kritik oder Grenze hinnimmt<br />

und großmächtig bestimmt, was sein darf, was<br />

nicht. Verbindliches etwa dürfte nicht sein, auf Begriffe,<br />

die das Ich zwängen, lässt es sich nicht ein; debattiert<br />

wird ein Abschaffen aller Definitionen, selbst das Wort<br />

„Moderne“ will Ich nicht hören, damit jegliche Spur<br />

verwischt wird hin zur Allmächtigsetzung des Ich und<br />

dessen Epigonen.<br />

Den Ich-Jüngern gilt jedes Urteil über Kunst als Geschmacksurteil<br />

höchst persönlicher Ausprägung. Jedem<br />

wird eine Meinung zugestanden, diese gilt als individuelle<br />

Überlegung. Jedoch bleibt sie ohne allgemein gültige<br />

Erwägung. So kann nicht über ästhetische Fragen<br />

diskutiert werden, nicht einmal verbindlich nachgefragt.<br />

Nichts Objektives existiert. nur subjektiver Geschmack.<br />

Selbst der Begriff Ästhetik wird anrüchig. Dem, der<br />

ästhetische Prinzipien auszusprechen wagt, wird böse<br />

Absicht nachgesagt. Wer will uns Vorschriften machen?<br />

Wer spricht von Prinzipien in der Kunst, verbindlicher<br />

Kritik und all den anderen unanständigen Sachen? Alles<br />

nur Einzelmeinung und ohne Gewicht. Wer anderes<br />

spricht, dem gilt selbstverständlich unser höhnischtes<br />

Lachen.<br />

Paradoxerweise ist das Ich Inbegriff aller Bewertung –<br />

hat jedoch jede Bedeutung verloren, weil mehr als seine<br />

Einzelmeinung dem Einzelnen nicht zusteht. Für jeglichen<br />

Disput ist’s damit zu spät. Diskussion über Kunst<br />

abgedreht.<br />

Allein die Tatsache, dass wer dennoch auf (s)eine (verbindliche)<br />

Meinung besteht, ist demnach unerhörte<br />

Anmaßung und bereits Beweis für Fanatismus, Verstocktheit,<br />

Schuld und inhaltlichem Scheiß. Zensur<br />

wird radikal ausgeübt, indem der Ich-Ideologe von vornherein<br />

weiß, dass es inhaltlich nichts zu diskutieren gibt<br />

– versucht es trotzdem wer, dann weil der sich wichtig<br />

machen will und den Krawall liebt.<br />

Wer gar eine „Ästhetik der Ganzheit“ verfasst, hat den<br />

Zug der Zeit verpasst und will wohl kriminalisieren oder<br />

ist zumindest durchgedreht. Er ist ein Krimineller, der<br />

das Ich bedrängt: Er ist ein Nazi. Ein Romantiker, von<br />

den Sekten gelenkt. Dem wird ordentlich was eingeschenkt.<br />

Ich entgegne, dass die Postmoderne die Spaltung und<br />

Trennung durch die Moderne – durch die Abendländische<br />

Kultur – verabsolutierend durchsetzt. Die Annahme,<br />

dass kein Begriff ein Ding vollständig benennt,<br />

heißt zuletzt: die Trennung ist komplett. Und wo wer<br />

nichts Verbindliches sagen kann, hat er gefälligst zu<br />

schweigen und soll nicken ganz nett. Keinesfalls jedoch<br />

stören den Ich-Götterreigen.<br />

Für mich bedeutet „Freiheit“ nicht die Allmacht des Ich<br />

mit dessen Obsession andere Menschen, Kulturen und<br />

die Natur auszubeuten, indem Zeitgeister geschickt alles<br />

Wertvolle in undiskutierbare, „sinnbefreite“ Begriffe<br />

verwandeln; mir heißt Freiheit: erkennen, dass wir die<br />

Kinder des Ewigen sind und im Glück dieser Schau voll<br />

Mitgefühl, Solidarität und Liebe zu handeln.<br />

Elegante Mauern errichtet heute die Kunst. Mir ist eine<br />

Zeit vorstellbar, in der Becketts Absurdes Theater nur<br />

müdes Kopfschütteln hervorriefe und die Lektüre der<br />

aktuellen Land- Hand- und Augenvermesser verzichtbar<br />

erschiene - lieber läsen junge Künstler Rilkes Briefe an<br />

den jungen Dichter, in der ein weiser Mensch Verbindlichkeit<br />

spricht: Rilke erinnert an die Sinne, mit denen<br />

wir Unlogisches begreifen; statt darauf uns zu versteifen,<br />

die sensitiven Fähigkeiten zu zertrümmern und<br />

damit menschliche Beziehungen und individuelle Tiefe<br />

verkommen zu lassen und verkümmern. Bald vielleicht<br />

könnte eine Kunst sein, in der Intuition, Verständnis für<br />

das Transzendente und lebensbejahende Gefühle flössen<br />

froh ein.<br />

Wie blind erweisen sich doch jetzige Künstler, wenn sie<br />

stets am „Neuen“ sind hinten dran. Ihre Vorväter und<br />

Mütter kämpften noch gegen die Moderne an, indem sei<br />

als Surrealisten gegen den Logos das Banner der Phantasie<br />

hissten. Oder als Fauvisten die Farbenpracht eines<br />

utopischen Seins über die grauen Industrieschlote kippten<br />

oder pissten. Heute erinnert sich keiner gerne an die<br />

Alten. Sie malten – das allein ist schon schlecht; heutzutage<br />

kreiert man Ideen – materielle Umsetzung schon<br />

ist nicht recht. Und flackerte kurz ein Besinnen nach Gegenständlichkeit<br />

auf, setzte der Kunstmarkt schnell eines<br />

drauf. Abstraktes malt sich schneller, und verhindert die<br />

Gefahr, Kritisches gar zu deutlich sichtbar zu machen,<br />

vehement origineller. Und die indischen, chinesischen<br />

und russischen Manager zeigen mit ihrem Gusto halt<br />

gern ihre Abstammung aus der europäisch aufgeklärten,<br />

liberalen Tradition - wie man die eigenen Leute am apartesten<br />

ausbeutet lernten sie von uns ja schon.<br />

Kunst verweist auf sich selbst vermittels der Codes.<br />

Aus einer Idee etwa blase ein gewaltiges Trumm auf,<br />

das sich die Atelierbalken nur so biegen, aus viel Müll<br />

bastle einen fetten, schmutzigen, öligen oder sonst wie<br />

als Fanal der Konsumwelt dienenden Turm: davon können<br />

die Manager und sonstigen Eliten gar nicht genug<br />

kriegen. Diese sind ja selber aufgeklärt und kritisch und<br />

wollen eh Armut, Hunger und Energieverschwendung<br />

besiegen.<br />

Als das Ominöse, Unerklärliche kommt Kunst ebenfalls<br />

gern daher: etwa ein hellblaues, unförmiges Ding<br />

– documenta-Kuratoren schwärmten gar sehr; wie auch<br />

nicht: das Trumm steht für die unsinnliche, abstrakte<br />

Kultur die unwuchtig und folgenschwer in den Kosmos<br />

hinausknallt und beim Fall in den Abgrund laut scheppert<br />

und hallt.<br />

Unsinniges tauscht seinen Tauschwertschein gegen<br />

Tausende Scheine ein. Je weniger etwas praktischen<br />

Wert besitzt, desto eher gilt es als Kunst; damit steigt<br />

Unsinn in des Käufers Gunst. Ja, schlimmer noch: der<br />

Tauschwert selber erscheint manifestiert in der Kunst,<br />

sodass diese sich willig prostituiert und hörig auf einen<br />

Aspekt des Kapitals reduziert.<br />

Für mich ist Kunst, die das Ich verherrlicht und das<br />

Geld, weder Horizont erweiternd noch „neu“ – sie repräsentiert<br />

eine simpel gestrickte Lebensauffassung und<br />

eine höchst banale und billige Welt.<br />

Gern ferner verweist „Kunst“ auf anderes, das geltungsschwer<br />

im Raum herumsteht – damit zeigt sie sich als<br />

wichtig her, weil sie kolossalen Zusammenhängen auf<br />

den Grund geht. Doch sie stückelt nur Teile mit mehr<br />

oder weniger kulturellen Wert zusammen zur idealen<br />

Hülle: nichts drin, aber mit Bedeutung verpackt und<br />

angedeuteter Fülle; Unsinn zwar, aber der edel gelackt.<br />

Heiße Luft mit viel Gewicht: das Credo Selbstherrlichkeit<br />

als künstlerischer Akt.<br />

Ein besonders schönes Beispiel für die Verbindung von<br />

Codes und Ich-Kult Manifestation liegt in der Selbst-Darstellung<br />

des Künstlers als Original, als Personifikation<br />

der Künste und deren lebendes Denkmal. Alle Stilmittel<br />

der Kunst werden inszeniert auf die eigene Person projiziert:<br />

so stellt man sich als Großer dar: wenngleich das<br />

Werk hinter der Kunstfigur zunehmend erscheint sonder-<br />

und vernachlässigbar.<br />

Dramatisch wird `s, wenn ein halbwegs talentierter Autor<br />

oder Künstler sich in den Klischees der Künstlichkeit<br />

verliert, wenn er permanent sich über seine Rolle<br />

definiert; als Dichter und/oder Genie durch die Gegend<br />

läuft, dabei recht viel schwätzt und noch mehr säuft und<br />

vor allem sich ein normales Leben vorenthält – durchschaut<br />

er den Trug, ist’s vielleicht zu spät: jede Religion<br />

braucht ihre Märtyrer, auch die Kunstreligion – die<br />

Vita des verkannten Genies, das Vorbild der großen<br />

Kunstheiligen zerstörte viele Existenzen schon. Nicht<br />

viel besser endet `s oft, hat wer tatsächlich Erfolg. Das<br />

eigene Image frisst einen schnell auf, gerade weil es für<br />

den Mega-Erfolg notwendig scheint: damit ist man zur<br />

Selbststilisierung quasi verpflichtet, sodass die gekünstelte<br />

Kunst das normale, einfache Leben überhaupt nicht<br />

gewichtet.<br />

Selbstinszenierung und -darstellung übrigens geht bloß<br />

deshalb als Kunst durch, bzw. ist einer ihrer gängigsten<br />

Codes – weil die Moderne ein Ich-Bild propagiert, das<br />

pubertär, narzisstisch, egoistisch und grenzenlos grandios<br />

sich präsentiert. Wobei die Kunst heute - neben dem<br />

allmächtigen Gesetz des Marktes - als mächtige Verbündete<br />

der Ich-Ideologie deren Ideen vorexerziert und sogar<br />

fetischiert.<br />

Die erdigste Hündin der Mondin lief schnüffelnd um<br />

mich, als ich mit abgedeckten Augen im Zimmer lag,<br />

um in den Himmel zu schauen und zu reisen. Dann<br />

sprang sie in mich, um Aromen zu weisen. Der Name<br />

dieser Hündin ist Instinkt: sie blieb bei mir und schenkte<br />

Inspiration: verband die geistigen Welten mit den unterirdischsten<br />

Schichten, wo das Mark die Erde trinkt.<br />

Am Morgen hernach witterte ich die Frühlingsluft und<br />

- als wäre ein siebter Sinn mir erwachsen - war ich fähig<br />

zu erkennen: dieses Gedicht ist als Abbild nihilistischer<br />

Leere zu benennen und dieses andere stammt aus dem<br />

Meer, beheimatet Flut und Glut, hinterlässt mich nicht<br />

leer, sondern tut mir gut. Und einst stieg der Himmel<br />

zu mir herab – ich verging vor Glück, tanzte, sang und<br />

sprang wie verrückt: Glückseligkeit durchströmte die<br />

Welt, als sich das Halschakra öffnete. Nun bin ich Teil<br />

der Schönheit und teilte diese freudig mit jedem, der ihr<br />

gefällt.<br />

Ganzheitliche Malerei mag einerseits mit neosymbolistischen<br />

Formen und Motiven gestalten – wichtiger<br />

aber ist, dass sie auf lebendige Farben sich besinnt, zu<br />

ehrlichem, einfachem und wahrhaftem Malen rinnt, das<br />

in den Pinselstrichen Lebendigkeit führt, nicht das Leben<br />

verschüttet oder in abstrakte Räume einspinnt. Was<br />

nicht heißt, stets sei abstrakte Malerei kontra das Leben:<br />

bei seiner Entwicklung wird es für den Maler Phasen<br />

der Abstraktion geben, um Erstarrtes in ihm aufzulösen.<br />

Doch als Richtschnur kann nicht der abstrakte, nihilistische<br />

halbe Raum dienen der abendländischen dualistischen<br />

Männerkultur. „Ganzheit“ läuft weder auf Schienen,<br />

noch ist ihr Raum ausschließlich das gefürchtete<br />

Dunkel der Irrationalität, der angeblich so bösen.<br />

Das ganzheitliche Theater stellt sich nicht selbst dar.<br />

Verweist nicht auf die grandiose Bühnentechnik, spielt<br />

nicht mit überbordenden Bilderwelten. Überschwemmt<br />

den Zuschauer nicht mit Phantasmagorien an Bilderfluten,<br />

mit der Sucht zu gelten: diese klont die besessene<br />

Welt der Images und Konsumrangabzeichen – „ganzes<br />

Theater“ wird davon in Einfachheit, Stille, Natürlichkeit<br />

und Schönheit zurückweichen, wird mit archetypisch<br />

Verbindlichem unsere Ichheit ausgleichen.<br />

Gemäß den Prinzipien einer Ästhetik der Ganzheit ist<br />

Kritik nicht verpönt – nichts wird verschwiegen, nichts<br />

wird beschönt: aber dem Leben wird Vorzug gegeben vor<br />

einer sich selbst genügenden Darstellung von Gewalt,<br />

Zerstörung und einem dekonstruktiv versickerndem<br />

Streben. Dabei sei an das ästhetische Prinzip „Ausgewogenheit“<br />

gedacht: es meint die Balance zu finden<br />

zwischen Kritik/Ironie/Provokation und Bekenntnis zur<br />

Schönheit – auch jener der Nacht: sonst leistet Kunst<br />

nur Vorarbeit für Zynismus und der Abwendung vom<br />

Sein; damit fiele Kunst weiterhin herein auf den eigenen<br />

Schein: als Ersatzreligion seit der Aufklärung wirkend,<br />

rätselt sie an der Sinnhaftigkeit des Lebens herum,<br />

hält die Natur und das bloße Sein für dumm und<br />

prinzipiell die Welt für schlecht: die Kunst - gottgleich<br />

sich gebärdend – ist nur sich selber Recht und erklärt<br />

sich zur einzigen Erlöserin und verführt die Menschen<br />

dazu, tiefer in die generierten Welten der Illusionen und<br />

des Scheins einzutauchen und sich mit dem Image des<br />

Künstlers/Dichters abzustauchen, der über dem Leben<br />

steht, wenngleich es in Wahrheit ihm fürchterlich dreckig<br />

geht.<br />

Ich weiß, wovon ich spreche, deshalb darf ich auch meine<br />

Kritik sagen: ich beabsichtige nicht anzuklagen, sondern<br />

davor zu warnen, für gar nichts kaputt zu gehen.<br />

Ich war selber dem Spiel der Bilder elend verfallen – nun<br />

stehe ich nicht über allen, sondern helfe aus Liebe Illusionen<br />

zu durchschauen und Blockaden der Lebendigkeit<br />

abzubauen<br />

Ganzheitlicher Tanz wird die Zerrissenheiten des individuellen<br />

Lebens mit dem Ausdruck von Bleibendem<br />

heilen: wie ja bereits Ausdruckstanz asiatischer Weisheit<br />

hilft westliche Opfer des kaltherzigen Kriegs zu<br />

entstylen. Knöcherne Körper könnten voll Anmut den<br />

schwarzen Frauen erliegen, die wie das Wasser tanzen,<br />

dessen Schultern sich im ewigen Wechsel der Gezeiten<br />

und Jahreszeiten wiegen. Gemeint sind nicht die Spiegelbildfrauen<br />

der weißen Kultur, die ihre Körper wie in<br />

Werbeclips an die Bildschirme schmiegen, um für ihre<br />

oberflächenglatte Musik viel Geld zu kriegen.<br />

Literatur, die nicht ausschließlich destruktiv, dekonstruktiv<br />

oder unterhaltungsleicht seicht daherkommt,<br />

öffnet das ästhetische Prinzip Mitgefühl Räume jenseits<br />

des Absurden, der bitteren Ironie und was sonst so dem<br />

Anschein hoher Kunst frommt. Der kritischste Text wirkt<br />

lebensspendet, spürt man ihm seine mitfühlende Orientierung<br />

an, wenn er nicht hasserfüllt, kalt sezierend oder<br />

resignativ sich verstrickt im alles zersetzenden Bann.<br />

Zudem würde Lyrik als Mittlerin zwischen den Verstandes-<br />

und den Archetypenwelten mehr gelten.<br />

Ich lehne nicht prinzipiell die vorhandenen Kunstauffassungen<br />

ab; es sei kritisiert, es sei dekonstruiert, es sei die<br />

Welt in Frage gestellt: aber lassen wir offen, ob da nicht<br />

wirkt eine Kraft, die uns anhält zu hoffen und die all das<br />

Schlechte nur scheinbar triumphieren lässt, doch durch<br />

der Geläuterten Lernen aus den Fehlern – und seien unzählige<br />

Generationen betroffen - letztendlich das Gute<br />

erschafft.<br />

Zusammenfassung der „Ästhetik der Ganzheit“, Informationen<br />

zu „Sonne und Mond - Verein zur Förderung<br />

ganzheitlicher Kunst und Ästhetik“ sowie von Manfred<br />

Stangl erhältliche Bücher unter:<br />

www.sonneundmond.at


Städteplanung / Architektur / Religion<br />

Buch VI - IRENE <strong>ST</strong>/A/R 37<br />

BERLIN<br />

BERLIN<br />

Frischer Wind für die Kunst<br />

„G.A.S-station - Tankstelle für Kunst und Impuls.“<br />

Wiener Künstler schaffen einen neuen Kunst-<br />

Projekt-Raum in Berlin-Kreuzberg<br />

Auch wenn es der Name vielleicht suggeriert, aber hier<br />

gibt es garantiert keinen billigen Treibstoff zu kaufen.<br />

Hinter dem Schild „G.A.S-station – Tankstelle für<br />

Kunst und Impuls.“ verbirgt sich ein neuer Kunst-<br />

Projekt-Raum in Berlin–Kreuzberg. Die Initiatoren und<br />

Leiter des Projektes, Elisa Asenbaum und Thomas<br />

Stuck, sind schon seit <strong>19</strong>87 in den Bereichen Video,<br />

Sound und Malerei unter dem Label G.A.S (Grafic, Art<br />

& Sound) künstlerisch tätig. Mit der „G.A.S-station –<br />

Tankstelle für Kunst und Impuls.“ haben sich die<br />

beiden Wiener Künstler im multikulturellen Stadtbezirk<br />

Kreuzberg in Berlin einen lang gehegten Traum<br />

erfüllt.<br />

Sechs Monate lang hatten Anwohner, Nachbarn und<br />

Passanten in der Tempelherrenstraße neugierige<br />

Blicke durch die Glasscheibe oder Eingangstür des<br />

ehemaligen Schusterladens geworfen, um zu sehen,<br />

was dahinter so eifrig gewerkelt und gearbeitet wird.<br />

Da wurden Wände weggerissen und Fenster neu<br />

gesetzt, alte Mauerbögen freigelegt, Stromleitungen<br />

gezogen und der Fußboden mit alten Holzbohlen neu<br />

verlegt. Auf 150 Quadratmetern Gesamtfläche ist ein<br />

neuer Kunst-Projekt-Raum entstanden: großzügig,<br />

hell, modern und trotzdem die alte Substanz in seiner<br />

Schönheit erhaltend. Am 21. Juni 2008 konnten sich<br />

Anwohner, Künstler und Kunstinteressierte dann von<br />

ihren neuen Nachbarn und den Möglichkeiten des<br />

neuen Konzeptraumes überzeugen und inspirieren<br />

lassen. „Bon Voyage! Mit vollem Tank einen guten<br />

Start in die Zukunft!“, schreibt die Berliner Autorin<br />

und Filmemacherin Claudia Schmidt, mit einem<br />

holländischen Maler eine der Eröffnungsbesucher, den<br />

beiden Künstlern ins Gästebuch.<br />

Schon der Name des Kunstplatzes macht deutlich, dass<br />

es den Initiatoren Elisa Asenbaum und Thomas Stuck<br />

um neue Impulse und Ansätze für die künstlerische<br />

Arbeit, Inspirationen und das Anstoßen gesellschaftlicher<br />

Debatten geht. Dem traditionellen<br />

Leitsatz „Der Kunst ihre Freiheit“ sehen sich die beiden<br />

Künstler verpflichtet. „Wenn es uns gelingt, den<br />

interdisziplinären Austausch voranzutreiben und eine<br />

Brücke zwischen Kunst und anderen Wissenschaften<br />

zu schlagen, dann wären wir unserem Ziel einen guten<br />

Schritt näher“, umschreibt Elisa Asenbaum ihre<br />

Intentionen. An der Gleichsetzung von künstlerischem<br />

Wert und Marktwert sind die Initiatoren nicht in<br />

erster Linie interessiert, sondern vielmehr an einem<br />

freien, inspirierendem Austausch über aktuelle,<br />

gesellschaftlich relevante Themen mit einer kunstinteressierten<br />

Öffentlichkeit, intellektuellen Kräften<br />

aus allen Bereichen von Kunst und Wissenschaft sowie<br />

Vertretern der Medien.<br />

Im Unterschied zu einer klassischen Galerie versteht<br />

sich G.A.S-station als Kunst-Projekt-Raum, der von<br />

Künstlern selbst geleitet und organisiert wird. „Solche<br />

Projekträume sind informelle Netze, die Künstlern die<br />

Möglichkeit bieten, zu eigenen Bedingungen am<br />

Kunstbetrieb teilzunehmen“, sagt Thomas Stuck.<br />

Allerdings sei auch zusätzliche Förderung und<br />

Unterstützung nötig. „Wir schaffen einen Ort zum<br />

Austausch, eine geeignete Plattform.“ Diese bietet<br />

eine Kooperation mit <strong>ST</strong>/A/R, auch dies eine gute<br />

Möglichkeit, damit die neu geschaffene künstlerische<br />

Achse zwischen Wien und Berlin immer besser in<br />

Schwingung kommt. Jetzt muss die Plattform mit<br />

vielfältigen Kontakten, Ideen und kreativen Impulsen<br />

gefestigt werden.<br />

Am 21.Oktober 2008 startet das erste Ausstellungsprojekt<br />

in der G.A.S-station unter dem Titel<br />

„eMOTION“ - Auseinandersetzungen rund um das<br />

Thema Bewegung und Bewegung im Gefühl. In der<br />

Ausschreibung wurden kreative Köpfe, Künstler,<br />

Theoretiker und Autoren aufgefordert, Ideen und<br />

Vorstellungen aus den Bereichen neue Medien,<br />

bildende Kunst, Literatur oder Wissenschaft<br />

einzureichen. Das Angebot war umfänglich. Aus<br />

Videoarbeiten, Fotoserien, Werken der bildenden<br />

Kunst, Installationen und theoretischen Arbeiten<br />

wurde die Auswahl für diese Ausstellung getroffen.<br />

Mit Hilfe ganz unterschiedlicher künstlerischer und<br />

theoretischer Herangehensweisen ermöglichen die<br />

Objekte ein weit gefächertes Assoziationsfeld aus Bild,<br />

Text und Klang rund um BEWEGUNG & EMOTION.<br />

Ina Krauß (Freie Journalistin, Berlin)<br />

Ausstellungsdauer:<br />

21.Oktober 2008 bis 12. Jänner 2009<br />

Öffnungszeiten: Di-Fr 14-<strong>19</strong> Uhr, Sa 14-17 Uhr oder<br />

nach telefonischer Vereinbarung<br />

Raumkonzept:<br />

Die Räumlichkeiten der G.A.S-station bieten Platz für<br />

kulturelle Veranstaltungen. Sie können als Studio,<br />

Veranstaltungsort, Labor, Entwicklungsplattform für<br />

Projekte, Ausstellungsplatz, Diskussions-, Seminarund<br />

Präsentationsraum oder auch für private<br />

Veranstaltungen gemietet werden.<br />

G.A.S-station<br />

Tempelherrenstraße 22<br />

10961 Berlin/Kreuzberg<br />

fon: +49 30 221 609 312 mob. +49 (0)160 995 78 158<br />

e-mail: info@2gas-station.net<br />

Anfahrt:<br />

G.A.S-station befindet sich im Bezirk Kreuzberg in der<br />

Tempelherrenstraße 22, Ecke Blücher-/Urbanstraße<br />

und ist sehr gut an den öffentlichen Nahverkehr<br />

angebunden. Bus: M41 direkt ab Hauptbahnhof, hält<br />

unmittelbar vor der Tempelherrenstraße. U-Bahn-<br />

Stationen: U1 Prinzenstraße, U6 Hallesches Tor und<br />

U7 Gneisenaustraße sind ca. 7 min. zu Fuß entfernt.<br />

Auto/Fahrrad: Zufahrt über das Carl-Herz-Ufer,<br />

Johanniterstraße oder Wilmsstraße, die<br />

Tempelherrenstraße ist eine Sackgasse.<br />

Netzwerk:<br />

Wer an Informationen interessiert ist, sendet bitte<br />

eine e-mail an: info@2gas-station.net mit dem Betreff<br />

„newsletter“.<br />

Weitere Infos unter: www.2gas-station.net


Städteplanung / Architektur / Religion Buch VI - IRENE <strong>ST</strong>/A/R 39<br />

ÎRENE ANDESSNER


40 <strong>ST</strong>/A/R<br />

Buch VI - IRENE Nr. <strong>19</strong>/2008<br />

WIEN


Städteplanung / Architektur / Religion<br />

Buch VII - LITERATUR <strong>ST</strong>/A/R 41<br />

DRAMA SLAM<br />

DAS SCHLACHTEN GEHT WEITER.<br />

von Jimmy Elend<br />

Die Drama Slam, die neueste Form des Dichterwettstreits, die<br />

unter der Obhut der Vitamines Of Society erst im November<br />

2007 das Bühnenlicht der Welt erblickt hatte, zieht ihre Kreise<br />

durch ganz Europa.<br />

Nach der 2. Wiener Drama Slam vom 7. April, welche Sabine<br />

Edith Braun mit ihrem POLIZEISCHLAMPENREPORT über<br />

den Alltag in der Redaktion der Tageszeitung Österreich,<br />

knapp vor dem abermals sehr starken Titelverteidiger Karsten<br />

Rühl für sich entscheiden konnte, fand vom 2. bis zum 4.<br />

Mai 2008 die erste dreitägige Drama Slam im russischen<br />

<strong>ST</strong>/A/R Theater am Prenzlauer Berg in der bundesdeutschen<br />

Hauptstadt Berlin statt. Sie lieferte den Beweis, dass das<br />

Wiener Format auch außerhalb seiner Geburtsstadt Wien zur<br />

Unterhaltung und basisdemokratischen Anregung der Massen<br />

taugen kann.<br />

An der ersten beiden Tagen kamen prima vista performed von<br />

ortsansässigen Schauspielern, mit bewährt geschickter Hand<br />

ausgewählt von Showmaster Jimi ‘River’ Lend, der es sich<br />

nicht nehmen lies auch die erste Berliner Drama Slam selbst<br />

zu leiten, jeweils 6 brandneue Theaterstücke, eingesendet<br />

aus ganz Deutschland zur Aufführung und Bewertung durch<br />

das Publikum im bis auf den letzten Platz gefüllten <strong>ST</strong>/A/R<br />

Theater. Den Freitag entschied der Dinnertheatermann und<br />

Lautperformer Reinhard Schmidt mit seiner Bundeswehrkritik<br />

„Musterung“ für sich. Der Samstag gehörte knapp aber doch<br />

dem Poetry Slammer und Lebenskünstler Tilman Birr, der mit<br />

seinem Stück „Manfred heisst Freiheit“ tiefe Einblicke in den<br />

gegenwärtigen Zustand des deutschen Staates gewährte: Ganz<br />

Deutschland und seine Administration ist vom VW-Konzern<br />

beherrscht. Ganz Deutschland? Nein. Im Teutoburger Wald<br />

hat ein einsamer Widerstandskämpfer die freie Republik<br />

Manfredonia ausgerufen und setzt sich gegen die Agenden<br />

und Agenten des Peter Harz erfolgreich zur Wehr.<br />

Am Sonntag standen sich dann Reinhard Schmidt und Tilman<br />

Birr im direkten Duell im ebenfalls von Jimi ‘River’ Lend<br />

ersonnenen Format des Beschleunigungslam gegenüber. In<br />

5 sich zeitlich stetig verkürzenden Runden traten die Autoren<br />

mit allen Texten, die sie je geschrieben hatten, unter Einbezug<br />

der Schauspieler und auch ihrer eigenen Darstellungskraft<br />

gegeneinander an.<br />

Die erste Runde á 6 Minuten ging eindeutig an Reinhard<br />

Schmidt der mit technisch ausgefeilten Requisiten ein Stück<br />

Zukunft im russischen Theater materialisieren konnte.<br />

Das war aber auch schon der einzige Punkt der an den<br />

kulinarischen Dichter ging, in den weiteren Runden war<br />

Tilman Birr nicht mehr zu stoppen und steigerte sich mit<br />

jedem kürzer werdenden Intervall noch in literarische Höhen,<br />

bis er mit dem letzten alles entscheidenden ‘Satz des Abends’<br />

alles klar machen konnte:<br />

„Vom Poeten sind es nur mehr 2 Mitlaute zum Proleten“<br />

So wurde Tilman Birr zum Champion der ersten Berliner<br />

Drama Slam und sein Text, wird wie auch der Text von Sabine<br />

Edith Braun in der Übersetzung von UHCR* Wladimir<br />

Jaremenkon Tolstoj an der ersten russischen Drama Slam<br />

am 28. & 29. August in der Ostseemetropole St.Petersburg<br />

teilnehmen. Schon läuft die Ausschreibung und Dichter von<br />

Wladiwostok bis Jekatarinenburg von Sotchi bis zum Franz-<br />

Josefsland sind aufgerufen ihre Texte einzusenden und sich<br />

im Theater des Dostojevski Museums in den russischen<br />

Dramenhimmel zu schreiben.<br />

Das deutschsprachige Publikum wird die besten russischen<br />

Texte im Zuge der jetzt vierteljährlichen Drama Slam im<br />

Wiener Ensembletheater in der Übersetzung der Drama-Slam-<br />

Organisatorin Valie Airport zu hören und sehen bekommen.<br />

Und auch die Berliner werden sich ab Herbst auf 2 neue<br />

Drama Slams freuen können.<br />

*UHCR= Unser Herr Chef Redakteur<br />

by Oskar Krauss<br />

Russland berichtet<br />

über Heidulf<br />

Gerngross.<br />

„KUBI<strong>ST</strong>EN<br />

MACHT EUCH<br />

RUNDER!“<br />

Rechts im Bild<br />

mit Rafaela Tengg


42 <strong>ST</strong>/A/R<br />

Buch VII - LITERATUR Nr. <strong>19</strong>/2008<br />

KUBI<strong>ST</strong>EN, MACHT EUCH RUNDER!<br />

aus dem Russischen von Vallie Göschel<br />

Einen der Schlüsselmomente der „Langen Nacht der<br />

Museen“ im St. Petersburger Dostojewski-Museum<br />

stellte der feierliche Übergabeakt der vom bekannten<br />

österreichischen Architekten Heidulf Gerngross gestalteten<br />

Fassadentafel dar. Das ganze begann im Jänner, als Gerngross<br />

und Wladimir Jaremenko-Tolstoj die österreichische<br />

Zeitung <strong>ST</strong>/A/R im Dostojewski-Museum präsentierten.<br />

Zu diesem Zeitpunkt existierte das Dostojewski-Museum<br />

ohne Fassadentafel, da diese mehrmals von Fans des<br />

Dostojewski-Museums entwendet worden war. Gerngross<br />

erbot sich, dem Museum eine Archiquanten-Tafel, einer von<br />

Heidulf Gerngross eigens entwickelten Form, zu schenken.<br />

Wir nahmen dieses bemerkenswerte Angebot mit Freuden<br />

an, da wir der Auffassung sind, dass der große russische<br />

Schriftsteller Dostojewski der gesamten Welt gehört. An der<br />

Renovierung des Theatersaales des Museums beteiligte sich<br />

die norwegische Regierung. Nun besitzt es eine Fassadentafel<br />

von einem österreichischen Architekten. Das Museum leitet<br />

ein Projekt zur Schaffung eines Raumes der „Kulturen ohne<br />

Grenzen“. Gerngross’ Fassadentafel ist der Beginn eines<br />

neuen Projektes: „Dostojewski ohne Grenzen“.<br />

Heidulf Gerngross brachte sechs Tafeln aus unterschiedlichen<br />

Materialien: Marmor, Kupfer, Email, Kunststein etc., von<br />

denen nun erstere den Weg ins Museum weist. Wir hoffen,<br />

dass sie trotz ihrer zum Mitnehmen verlockenden Originalität,<br />

lange den Eingang des Dostojewski-Museums schmücken<br />

wird.<br />

Vera Biron<br />

P.S. Kurios mag die Tatsache anmuten, dass Dostojewski seinerzeit<br />

den Oberst und späteren General der Pioniertruppen Alexander<br />

Gerngross in Sibirien traf, mit dem er den Kontakt auch in St.<br />

Petersburg aufrecht erhielt.<br />

____________________________<br />

Am 25. und 26. August wird mit Unterstützung des Österreichischen<br />

Kulturforums Moskau der I. Drama-Slam im Dostojewski-Theater<br />

stattfinden. Der Drama Slam ist eine neue, von Wien ausgehende<br />

Form des Dichterwettstreits, in der szenische und dramatische Texte<br />

verschiedener Autoren von Schauspielern prima vista szenisch gelesen<br />

werden und das Publikum demokratisch über das gelungenste Drama des<br />

Abends entscheidet.<br />

St. Petersburg<br />

Nähere Informationen:<br />

http://www.myspace.com/theatertotal<br />

und: http://www.litafisha.ru/forum/viewtopic.php?t=1633&si<br />

d=1b0d65591347ece0f99c22f4829694f2<br />

Musik gibt es bereits auf einigen CDs, Bragofonie-Konzerte<br />

fanden in St.Petersburg und in Westeuropa statt.<br />

Seit ungefähr zwei Jahren gesellen sich Internet-Übersetzungen<br />

zu den „traditionellen“ Kulturprodukten der GG.<br />

Videokunstarbeiten von Aufführungen des „Alchemietheaters<br />

des rituellen Konstruktivismus“ und Vorträge speziell<br />

eingeladener Star-Künstler/innen aus St. Petersburg und<br />

Moskau.<br />

Für Webcasts wurde der „Internet-Lehrstuhl der Grjasnaja<br />

Galereja“ mit Hilfe des Medienkünstlers Sergey Teterin aus<br />

Perm eingerichtet, der nicht nur die technische Seite der<br />

Internet-Verlautbarungen aus dem großen Saal der Grjasnaja<br />

Galereja bestreitet, sondern wesentlich zur Popularisierung<br />

der GG im russischen Internet beigetragen hat.<br />

Die Pläne der privaten nicht-kommerziellen Galerie sind<br />

ehrgeizig. Ihre Internet-Aktivität und Gewagtheit der Vorhaben<br />

können sich bereits mit der Mehrheit der Petersburger<br />

Museen und Kulturzentren messen. Das Interesse an der<br />

GG als Ausstellungsfläche sowie als professionelles Kollektiv<br />

von Künstler/innen und Kulturoperatoren und nicht zuletzt<br />

als Künstlerresidenz im Herzen von St. Petersburg wächst<br />

täglich.<br />

Neben gemeinsamen Aktionen auf dem Territorium der GG<br />

wird im Gegenzug das „Bragofon“ im Sommer 2008 in die<br />

USA reisen und an der groß angelegten internationalen Sound-<br />

Art-Ausstellung „The sonic self“ in New York teilnehmen.<br />

Grjasnaja Galereja<br />

(von Gerald Kofler)<br />

Die Grjasnaja Galereja, kurz GG, ist ein hot Spot der<br />

gelebten Kreativität und von St. Petersburg. Eine<br />

experimentelle Plattform für phantastische Ideen und<br />

Versuchsgelände für die unterschiedlichsten künstlerischen<br />

Vorhaben. Das Epitheton „Grjasnaja“ (dreckig) im Namen<br />

der Galerie zielt nicht in Richtung Punk, sondern beinhaltet<br />

den direkten Verweis auf den alten Namen (und damit die<br />

Geschichte) der Straße, in der sie sich befindet,– so hieß die<br />

heutige „Uliza Marata“ vor der Revolution: Uliza Grjasnaja<br />

(Dreckige Straße).<br />

Als Schlüsselpersonen haben die beiden Künstler Valie Airport<br />

(Wien/St. Petersburg) und der Mikhail A Crest (St. Petersburg/<br />

Wien) eine Künstlergemeinschaft, Ausstellungsplattform,<br />

Museum der modernen Alchemie, Kammertheater,<br />

Laboratorium für Gastkünstler/innen und einen „Internet-<br />

Lehrstuhl“ ins Leben gerufen.<br />

Valie Airport widmet sich seit mehr als einem Jahrzehnt<br />

auf vielen Ebenen dem Gemeinsamen der Kulturen und im<br />

speziellen der russischen Kultur in ihren offiziellen, sowie<br />

versteckten und bisweilen geheimnisvollen Erscheinungen.<br />

Vor vielen Jahren erwarb sie eine groß dimensionierte<br />

Wohnung in der Marata-Straße im Zentrum von St. Petersburg<br />

Du<br />

und initiierte und betreibt seitdem die Grjasnaja Galereja.<br />

Mikhail A Crest hat sich und sein künstlerisches Schaffen den<br />

Höhen der hermetischen Kunst und der inneren Alchemie<br />

gewidmet. Durch sein Handanlegen verwandelte sich die alte<br />

Petersburger Wohnung in die Grasnaja Galereja, einen mehr<br />

als ungewöhnlichen Ort, der mit jedem Quadratzentimeter<br />

beeindruckt. Selbst bekannte Petersburger Kunstkritiker<br />

können beim ersten Besuch der GG ihr Staunen und ihre<br />

Begeisterung nicht verbergen.<br />

Die GG ist zum Magnet geworden, der auch<br />

Künstlerpersönlichkeiten aus Europa anzieht, um ein-zweidrei<br />

Monate hier zu leben und sich in die stürmischen<br />

künstlerischen Aktivitäten zu stürzen. Jeder Gast der<br />

Grjasnaja Galereja, der sich als Artist-in-residence hierher<br />

begibt, wird unmittelbarer Teil des schöpferischen Kreises der<br />

phantastischen Experimente der GG.<br />

An der Oberfläche bestehen diese in der symbolischen,<br />

vielfachen Destillation von Alkohol auf der Grundlage<br />

komplexer kombinatorischer Zahlensysteme.<br />

Ein Nebenprodukt dessen ist eine spezifische „Sound-<br />

Kunst“; das eigens dafür konstruierte „Bragofon“ fängt die<br />

Gärungsgeräusche ein und hält sie fest. Diese ungewöhnliche<br />

Zu den „strategischen Partnern der<br />

Grjasnaja Galereja gehören:<br />

NCCA <strong>ST</strong>. PETERSBURG (NATIONAL CENTER FOR CONTEMPORARY ART)<br />

MEDIENKUN<strong>ST</strong>LABOR CYLAND IN KRON<strong>ST</strong>ADT<br />

KULTURFONDS “SAINT PETERSBURG ART PROJECT”, NEW YORK<br />

<strong>ST</strong>/A/R – ART MAGAZINE, WIEN<br />

SHIFZ – SYNTHARTURALI<strong>ST</strong>ISCHE KUN<strong>ST</strong>VEREINIGUNG, WIEN<br />

FARCE VIVENDI – PLATTFORM FÜR LITERATUR UND KUN<strong>ST</strong>, WIEN<br />

Kontakt der Grjasnaja Galereja: TEL. +7-812-7133056<br />

VALIE GÖSCHL, SKYPE: VALIEAIRPORT,<br />

MAIL:KAOSPILOT@MONOCHROM.AT,<br />

MOB: +7-921-5544134 ODER MOB: +43-699-<strong>19</strong>717491<br />

MIKHAIL A CRE<strong>ST</strong>: SKYPE/YAHOO: ARXENEKROHEN,<br />

MOB: +7-921-3304805<br />

SERGEY TETERIN: SKYPE: SERGEY_TETERIN, MOB: +7-902-8353069<br />

Links:<br />

Audio/Video-Ressourcen von Mikhail A Crest:<br />

http://www.imeem.com/people/U4wk5B3<br />

Blogpublikationen über die GG:<br />

http://teterin.livejournal.com/tag/gg<br />

TV über die GG, Jänner 2008: http:<br />

//www.youtube.com/watch?v=Cfq_P-PDPEI<br />

Fotoreportage aus der GG: http://fotki.yandex.ru/users/<br />

sergeyteterin/album/32868/<br />

Valie Göschl im Magazin „Na Nevkom“: http://teterin.<br />

livejournal.com/<strong>19</strong>7456.html


WWW.TOL<strong>ST</strong>OI.RU<br />

Nr. <strong>19</strong>/2008 Buch VII - LITERATUR<br />

<strong>ST</strong>/A/R 43<br />

ELISABETH VON SAMSONOW (WIEN)<br />

ALOIS DEMPF – FOUCAULT AUF BAYERISCH<br />

MEINEM LEHRER <strong>ST</strong>EPHAN OTTO GEWIDMET<br />

A Zur Person<br />

B Dempfs Konzept der „langen Geschichte“ und der<br />

„historischen Vernunft“<br />

C Dempfs Entwurf der Theoretischen Anthropologie<br />

A Zur Person<br />

Nach Ernesto Grassi trat Stephan Otto als Institutsvorstand<br />

die Leitung des Instituts für Philosophie und<br />

Geistesgeschichte der Renaissance an der Universität<br />

München an. Ich habe von <strong>19</strong>77 bis <strong>19</strong>86, nach zwei<br />

Orientierungsjahren an der Philosophischen Fakultät<br />

(während derer ich Spaemann, Krings, Kuhn, Annemarie<br />

Pieper und Höffe gehört hatte) an diesem Institut studiert,<br />

zunächst bei Eckhart Kessler, dann bei Stephan Otto selbst,<br />

der mich dann auch mit einer Arbeit über Johannes Kepler<br />

promovierte. In Anschluß an die Promotion war ich mit<br />

Lehraufträgen zu den artes mechanicae und zum Verhältnis<br />

zwischen Astronomie und Philosophie in der Renaissance<br />

betraut, war also auch noch einige Zeit über den Abschluß<br />

meines Doktorats hinaus mit diesem Institut verbunden.<br />

Ich habe Stephan Otto in dieser Zeit mehrmals bewundernd<br />

über seinen Lehrer Alois Dempf sprechen hören. Was mir<br />

als Studentin nicht bewusst gewesen war, war der Umstand,<br />

dass Dempf zur Zeit meines Studiums in unmittelbarer<br />

Nähe zum Haus meiner Tante in Eggstätt seinen<br />

Lebensabend verbrachte und sich in so guter Verfassung<br />

befand, dass er in der Lage war, <strong>19</strong>81 „hochaufgerichtet“ zu<br />

seinem 90.Geburtstag die Glückwünsche der Kollegen und<br />

einer großen Öffentlichkeit entgegen zu nehmen, dabei<br />

überaus kräftig die Hände der Gratulierenden drückend 1 .<br />

Ich muß nachträglich sagen, dass ich ihm gerne persönlich<br />

begegnet wäre, zumal ihm eine Fama vorauslief, die ihn<br />

mir als nahen Verwandten erscheinen ließ, insofern er<br />

nämlich durch eine Verbindung zwischen Philosophie<br />

als Passion und seiner bäuerlicher Herkunft, wie man<br />

berichtet, charakterisiert ist. Wenn ich jetzt in Wien,<br />

nach vielen Umwegen, auf eine hellsichtige Einladung<br />

des hochgeschätzten Michael Benedikt hin, der in mir<br />

so etwas wie eine „geistige Enkelin“ Dempfs erblickte,<br />

mich mit den Schriften Dempfs beschäftige, kommt es<br />

mir vor, als würde der Geist meines Studiums, der Geist<br />

der Münchner Zeit lebendig. Ich fange an zu verstehen,<br />

in welch grundsätzlicher Weise mein eigener Lehrer<br />

wiederum von seinem Lehrer geprägt war, was dann auch<br />

ein Licht auf meine eigene intellektuelle Herkunft wirft,<br />

das mir so vorher noch nicht aufgegangen war. Es ist<br />

natürlich merkwürdig, wenn man als feministische Autorin<br />

plötzlich eine Eloge oder kritische Würdigung der eigenen<br />

Abstammungslinie von sehr patriarchalischen Philosophen<br />

verfasst, in der frau, wie sie endlich zugibt, steht oder<br />

gestanden hat. Ich will diese Gedächtnisarbeit aber auch<br />

in dem Sinne verstehen und vollenden, dass ein Teil der<br />

Befreiung von DenkerInnen meiner Generation hinsichtlich<br />

institutioneller und struktureller Diktate darin besteht, die<br />

Position der Lehrer zu erkennen und zu durchdringen, um<br />

sie dann in positiver Hinsicht, gewissermaßen durch- und<br />

abgearbeitet, anzuerkennen und schließlich zu lassen.<br />

Es ist mir schließlich nicht bewusst gewesen, dass ich als<br />

Kunstanthropologin an der Wiener Akademie der bildenden<br />

Künste in die Nähe eines theoretischen Programms geraten<br />

war, das von Dempf in mehrfachen Anläufen skizziert<br />

und entworfen worden war, nämlich in die Sphäre einer<br />

sich über sich selbst aufklärenden Philosophie, die die<br />

Trauer über die Unmöglichkeit ihrer eigenen Positivität<br />

durch die Konjunktion mit Disziplinen zu heilen versucht,<br />

welche über die Spezifikation „des Menschen“ verstreute<br />

Antworten zu bieten haben.<br />

Daß es ausgerechnet der berühmte Pater Wilhelm Schmidt,<br />

neben Wilhelm Koppers, gewesen sein sollte, der Dempf zu<br />

einem Ruf als Ordinarius für Philosophie an die Universität<br />

Wien verhalf, ist, scheint mir, aus heutiger Sicht eine<br />

folgerichtige und sprechende Tatsache. Schmidt hat sich<br />

als Ethnologe um den Beweis bemüht, dass die „Wilden“<br />

allzumal fromm seien und an einen Himmelvater glaubten.<br />

Auch wenn seine einseitige Lektüre der ethnographischen<br />

Aufzeichnungen heute als radikal überholt gilt, so findet<br />

man doch in den umfangreichen Schriften interessante<br />

Quellen. Seine Deutungsabsichten wirken auf uns heute<br />

naiv und es fällt nicht leicht, sie in ihrem, wenn auch<br />

begrenzten Wert, für die damalige Perspektive auf das<br />

Fremde zu würdigen. Jedenfalls war Schmidt betört vom<br />

1 Vincent Berning und Hans Maier (Hg.): Alois Dempf. Philosoph, Kulturtheoretiker,<br />

Prophet gegen den Nationalsozialismus, Weissenhorn <strong>19</strong>92, S.5<br />

(Vorwort der Herausgeber)<br />

Elisabeth von Samsonow in Jerusalem<br />

Studium des Fremden und damit in gewisser Hinsicht<br />

wahrer Kollege Dempfs, dessen anthropologische<br />

Skizzen immer auf die Vereinigung der bruchstückhaften<br />

Kenntnisse menschlicher Selbst - und Fremdbeschreibung 2<br />

ausgehen. Die Erträge, die die Ethnologie den<br />

substanziellen historischen Kenntnissen Dempfs zur<br />

Seite zu stellen hätte können, sind von ihm bestimmt in<br />

ihrem Wert erkannt worden. Schmidt war es auch, der<br />

sich bemüht hatte, „dank seiner vielen internationalen<br />

Beziehungen(,) verschiedene Rufe ins Ausland (zu)<br />

vermitteln, auch mit dem Angebot der amerikanischen<br />

Staaatsbürgerschaft“ 3 .<br />

Daß Dempf die Mehrheit der Stimmen der<br />

Fakultätsmitglieder für seine Berufung nach Wien erhielt,<br />

hängt kurioserweise auch damit zusammen, dass etwa der<br />

Historiker Heinrich von Srbik aus Unkenntnis des Textes<br />

das Hauptwerk des Kandidaten („Sacrum Imperium“) für<br />

eine „großdeutsche“ Schrift hielt. Dempf selber gab an,<br />

nach dem biographischen Zeugnis seiner Tochter , von<br />

dem „philofaschistischen“ Klima im Kulturleben Wiens<br />

überrascht gewesen zu sein. Für sein Zwangspensionierung<br />

im März <strong>19</strong>38 war wohl Dempfs Mitarbeit bei der<br />

faschismuskritischen Untersuchung „Studien zum Mythos“<br />

Rosenbergs verantwortlich, die dann von einem Gestapo-<br />

Agent eben nicht missverstanden worden war. Nach<br />

Kriegsende wird Dempf wieder nach Wien geholt, liest dort<br />

bis zu seinem Umzug nach München bis <strong>19</strong>50. Ab <strong>19</strong>49<br />

ist er Ordinarius an der Ludwig-Maximilians-Universität;<br />

er beginnt, regen Austausch mit Kollegen und Forschern<br />

zu pflegen, darunter die „Junge(n) Freunde(n), die seine<br />

Forschungsarbeit fortsetzten“ 4 , namentlich Stephan Otto - ,<br />

mein späterer Lehrer - , Rainer Specht, Hermann Krings.<br />

2 s. Alois Dempf: Theoretische Anthropologie, Bern <strong>19</strong>50, S. <strong>19</strong>2-201 (Kap.V<br />

Fremderkenntnislehre und Charakterologie)<br />

3 Felicitas Hagen-Dempf: Alois Dempf – ein Lebensbild, in: Vincent Berning<br />

und Hans Maier (Hg.): Alois Dempf, a.a.O., S.17<br />

4 Alois Dempf: Theoretische Anthropologie, a.a.O., S.20<br />

B die lange Geschichte<br />

Der Schlüssel zu Dempfs Philosophie ist sein Konzept der<br />

Geschichte. Seine Idee einer „langen Geschichte“, über<br />

welche er sich profunde Kenntnis anzueignen trachtete,<br />

rückt auch seinen Katholizismus in einem neuen Licht.<br />

„Goethe verlangte, dass man sich von 3000 Jahren<br />

Geschichte müsse Rechenschaft geben können, jetzt sind<br />

es 5000 Jahre!“ 5 Selbst in einem seiner späteren Beiträge,<br />

nämlich zu einer Festgabe für Eric Vögelin zu dessen<br />

60.Geburtstag, fordert er in einem gerade dreieinhalb<br />

Seiten langen Beitrag, dass man endlich die Frage zu<br />

beantworten habe, „was für Stämme in den ersten Staaten<br />

zusammengefasst werden sollten und wer dies konnte.“ 6<br />

Diese Frage “wer dies konnte“ spiegelt das Motiv von<br />

Dempfs Hauptinteresse an der Geschichte wider. Als<br />

Gegenbewegung zu einer Dialektik der Geschichte oder<br />

zu Modellen evolutionärer Geschichtslogik setzt er die<br />

„universale Personalität“, das sich mit der Welt verbindende<br />

Selbstbewusstsein in der Vielzahl seiner Schichtungen,<br />

welche sich am Leitfaden der Selbsterkenntnis und der<br />

anwachsenden Fülle der Aspekte und Potenzen derselben<br />

selbstbestimmt als Geschichte hat 7 . Diese universale<br />

Personalität ist wohl auch in einer Auseinandersetzung<br />

der Geistes begriffen, deshalb auch reagierend und<br />

eben in systembildenden Prozessen auf dem Wege<br />

zu seiner Entfaltung, aber doch immer vollständig<br />

selbstverantwortlich und frei. Dempf antwortet mit seinen<br />

Entwürfen auf die, wie er selbst schreibt, 150 Jahre des<br />

heroischen Versuchs, eine kritische Geschichtsphilosophie<br />

5 Alois Dempf: Die unsichtbare Bilderwelt. Eine Geistesgeschichte der Kunst,<br />

Einsiedeln-Zürich-Köln <strong>19</strong>60, S.7<br />

6 Alois Dempf: Probleme der Genesis der Hochkulturen, in: Politische Ordnung<br />

und menschliche Existenz. Festgabe für Eric Vögelin zum 60.Geburtstag,,<br />

hg. von Alois Dempf, Hannah Arendt und Friedrich Engel-Janosi,, München<br />

<strong>19</strong>62, S.144<br />

7 „Der Mensch ist das höchstorganisierte, selbstbewusste Wesen, das sich<br />

charakteristisch entfaltet, also frei gesellschaftlich und geschichtlich lebt“ Alois<br />

Dempf: Theoretische Anthropologie, a.a.O., S.10<br />

S.46 >


Städteplanung / Architektur / Religion Buch VII - LITERATUR <strong>ST</strong>/A/R 45<br />

Elisabeth von Samsonow:<br />

Mary Magdalene’s Re-Immigration Center, Jerusalem<br />

Wunderbare Reise einer Statue<br />

Zu einer Reise aufbrechen, im Sommer, am besten dorthin, von woher einem die<br />

interessantesten Nachrichten entgegenkommen. Es wird ein großer Reisekoffer<br />

hergestellt, eigentlich ein Sarkophag oder eine Couchette: ausgepolstert,<br />

verziert, mit Satinbettwäsche in leuchtendem Rot und Gelb. Es gibt auch Kleingepäck,<br />

ein Kosmetiktäschchen, Parfumflakons. Eigentlich handelt es sich im Falle der Reise<br />

meiner Statue um eine „Heimkehr“. Denn wenn man es im Licht ihrer Geschichte<br />

betrachtet, ist Maria Magdalena, geboren in Magdala am See Genesareth, keine „natürliche<br />

Französin“. Auch wenn sie bei Marseille mit ihrem Schiffchen gelandet und dann viele<br />

Jahre in einer Grotte im Massiv La Sainte Baume verbracht hat, schließlich ihre Gebeine<br />

in St-Maximin-La Sainte Baume bzw. in Vézélay gelassen haben soll, war sie vielleicht<br />

Frankreichs prominenteste Immigrantin. Die Geschichten wandern mit den Leuten,<br />

Maria Magdalenas Geschichte hatte von da an ihr Zentrum nicht mehr zwischen See<br />

Genesareth und Jerusalem, sondern in „Europa“. Das Exil Maria Magdalenas entspricht<br />

dem Exil des Weiblichen in der Geschichte. Die Reise nach Jerusalem meiner Statue dreht<br />

diese Geschichte symbolisch um. Gibt ihr eine neue Drehung. Markiert einen neuen<br />

Punkt Null. Von hier aus, von diesem bestimmten Ort aus an der Stadtmauer Jerusalems<br />

zwischen dem Damaskustor und dem Herodestor, kommt jetzt ein neuer Impuls. An diese<br />

Stelle wurde die Statue in einer feierlichen Prozession getragen, mit Musik begleitet, von<br />

einer Gruppe von Leuten umgeben, die in den Händen weiße Lilien und Teppichklopfer<br />

hielten. Hier, an dieser ausgesuchten Stelle, wurde der „Sendemasten“ aufgestellt, die<br />

Statue, der Apparat, der Echo-Emitter, die Informationskonserve, die unsterbliche Mumie.<br />

Eine Heimkehr nach ungefähr <strong>19</strong>56 Jahren (wenn man dem Kalender Glauben schenken<br />

will). Eine späte, aber angemessene Ehrung und Feier.<br />

Die Skulptur, die in der zeitgenössischen Kunsttheorie auf Grund mangelnder Kriterien<br />

und und Kategorien ausgelassen wird, um nicht zu sagen: gesnobbt, besitzt für solche<br />

Operationen, wie ich sie im Sinn hatte, unüberbietbare Vorteile. Insofern sie einer<br />

transhumanen Chronik angehört (Dendrochronie oder Geschichte der Bäume) haftet<br />

ihrem „Fleisch“ etwas Objektivierendes an. Der Geschichte der Bäume zuzugehören heißt,<br />

reine Genealogie zu sein, reine Evolution, reine Erdlogik, Aufgehen im Metabolismus.<br />

Jede Skulptur ist im eigentlichen Sinne „Transplantation“, Ortswechsel der Pflanze.<br />

In dieser Transplantation bleibt aber die Pflanze bzw. ihre Gedächtnisbatterie (der<br />

Stamm) innerhalb der Echosphäre der Erde (biotopisch). Das Lindenholz nimmt die<br />

Information und hält sie zurück, anders und langsamer als Wasser. Holz ist daher der<br />

vornehmste Operator einer Tiefengeschichte, einer longue durée, die menschliches,<br />

nicht mehr nur geologisches (wie beim Stein) Geschichtsformat besitzt. Die Bedingung<br />

der Möglichkeit von Gedächtnis ist die elektromagnetische Interferenz des Erdfeldes<br />

mit ihren „Kleinkörpern“. Der Lindenstamm, der von uns verschickt und in Jerusalem<br />

herumgetragen wurde, wechselt (als Transpflanze im Transport) das Echofeld und<br />

hält seine Maria-Magdalena-Information (eine Form haben heißt: einen Zweck haben,<br />

griech. Entelechie) in das Feld hinein. Das ergibt eine neue Interferenz, eine neue<br />

Gedächtniskonstellation.<br />

Maria Magdalena taucht auf, um einen neuen Nullpunkt zu generieren. Die<br />

Gedächtniskonstellation zu verändern heißt eine neue Geschichte zu erzählen. Die<br />

neue Geschichte ist die des Ausgleichs. Es ist die der Balance zwischen Männlich und<br />

Weiblich, nicht weniger als die Verkündigung der Gleichwertigkeit des Verschiedenen:<br />

zwei Hälften (Teppichklopfer/Lilie), die kybernetisch aufeinander reagieren. Es gibt<br />

auch ein Evangelium der Maria Magdalena. Der Teppichklopfer, ein unmittelbar an den<br />

Haushalt verweisendes Instrument, steht für das Weibliche, sofern damit Innerlich,<br />

Intimes, Häusliches, Privates gemeint ist. Ein in einer Prozession im öffentlichen<br />

Raum mitgeführter Teppichklopfer ist, wie Lacan sagen würde, nicht an seinem Ort.<br />

Der Teppichklopfer erhebt also eine Forderung, erstens die Disjunktion zwischen<br />

Weiblichkeit und Häuslichkeit, und zweitens die Konjunktion zwischen Weiblichkeit und<br />

Öffentlichkeit. Der Teppichklopfer ist der provisorische Signifikant. Der Teppichklopfer<br />

ist meistens als schöner Knoten ausgebildet, was ihm einen einzigartigen ästhetischen<br />

Reiz gibt. Ferner steht er als Knotendarstellung mit anspruchsvoller Knotenmathematik in<br />

Beziehung. Und diese Mathematik verweist natürlich auf eine komplexen Diagrammatik<br />

des Raumes, die unweigerlich sowohl BildhauerInnen wie ArchitektInnen in ihren Bann<br />

zieht wie ein „Traktor“.<br />

Die Form der Statue der Maria Magdalena ist selbst aus zwei sich ineinander schlingenden<br />

langen Linien entwickelt. Die gesamte Figur wird von sich schlängelnden Linien wie<br />

von hölzernen Oszillogrammen bedeckt. Damit drückt sie ein „Erdwissen“ aus oder die<br />

Technologie des Lebendigen, das sich im Schlängeln der Kräfte und Informationen, in der<br />

Integration des Bipolaren realisiert. Maria Magdalena verkörpert den idealen Moment, den<br />

Drehmoment, der die Bewegung (wieder) anstößt. Sie wird nicht ohne Grund als Apostola<br />

Apostolorum bezeichnet. Stellvertretend bewegt wieder sie die „weibliche Angelegenheit“.<br />

Jetzt, wo sie wieder zurückgekommen ist und öffentlich in Jerusalem gezeigt wurde, ist<br />

das Exil des Weiblichen beendet.<br />

SAMSONOW


46 <strong>ST</strong>/A/R<br />

Buch VII - LITERATUR Nr. <strong>19</strong>/2008<br />

> S.43<br />

deduktiv und induktiv zu begründen 8 . Man erkennt sehr<br />

schnell, wie tief und effizient die Schulung Dempfs an Kant<br />

und Hegel gewesen ist, insofern sich in dem gesamten<br />

Werk ein gewisser Überdruck mitteilt, zum System zu<br />

kommen bzw. die Elemente oder Begriffe systematisch<br />

zusammenzustellen . Dempf bleibt in dieser Hinsicht<br />

ein Kind des späten neunzehnten und beginnenden<br />

20.Jahrhunderts, radikalisiert aber seine Fragestellungen<br />

zunehmend. Seine Verbindung zu Eric Vögelin tritt<br />

zunehmend deutlich hervor. Was als Geschichtstheologie<br />

oder Geschichtsmetaphysik im Sinne Hegels als Problem<br />

gestellt war, wird zur Geschichtsphilosophie und und<br />

zur politischen Theorie umgestaltet. Dempfs frühe<br />

Arbeit „Weltgeschichte als Tat und Gemeinschaft. Eine<br />

vergleichende Kulturphilosophie“ kündigt bereits einen<br />

Ansatz an, der sich nicht mehr aus der Perspektive der<br />

Sicherung von Heilsgeschichte versteht. Die Einsicht in<br />

die Dynamik von Gruppen- und Staatenbildung, stets<br />

auf dem Hintergrund der „universalen Persönlichkeit“<br />

überwiegt längst die Tendenz, geschichtsteleologisch<br />

eine bestimmte Gruppe zu privilegieren. Das relativiert<br />

seinen Katholizismus noch einmal, abgesehen davon,<br />

dass überhaupt das Beste mit ihm getan hat, was sich<br />

aus ihm ableiten lässt, nämlich ihn als anti-ideologische,<br />

anti-dogmatische, antifaschistische Bastion in Anspruch<br />

zu nehmen. Über die Zusammenhänge der Linien<br />

und Strukturen der Religionen untereinander, die ihn<br />

außerordentlich interessieren, schreibt er bisweilen<br />

Überraschendes: „Das wichtigste Hindernis, daß man<br />

solange die seit zwei Jahrhunderten, seit Vico, in der<br />

Luft liegenden Entwicklungsgeschichte der einzelnen<br />

Kulturkreise nicht systematisch durchgeführt hat, ist<br />

die Eigenart des altchristlich-islamischen Kulturkreises,<br />

den man nicht in seiner Einheit erkannte, weil man<br />

Christentum und Islam als zwei völlig getrennte Religionen<br />

auffaßt, statt den Islam als eine allerdings schroff<br />

differenzierte Konfession des Christentums anzusehen, die<br />

sich von ihm nicht wesentlicher unterscheidet als etwa der<br />

Kalvinismus vom Katholizismus.“ 9 Derlei Überlegungen<br />

lassen zumindest das klare Bewusstsein der historischen<br />

Kontingenz der Religionsentwicklung im institutionellen<br />

und anthropologischen Sinne sehen. Die Prozesse, in<br />

denen sich ein, wiederum in sich gespaltenes und um<br />

Glaubenssätze ringendes (Monophysiten, Arianer etc.)<br />

Christentum herausbildete, werden von Dempf in einer<br />

ausgereiften Schrift aus dem Jahr <strong>19</strong>72 wieder thematisiert<br />

und in umfangreichen bzw. weitreichenden Überlegungen<br />

dargestellt 10 . In der Einleitung legt der Autor Rechenschaft<br />

über die Geschichte dieser Disziplin, über ihre Methoden<br />

und ihre Ziele ab 11 . Wiederum tritt deutlich sein Interesse<br />

an einer Systematisierung und Schematisierung der<br />

organisierenden Kräfte zutage 12 . Die Religionssoziologie<br />

verfolgt ihm dabei einen ähnlichen Zweck wie die<br />

Wissenssoziologie, mit dem Unterschied, dass in der<br />

Religionssoziologie die die Gruppe konstitutierenden und<br />

verpflichtenden Erkenntnisse unmittelbar ethisch und<br />

politisch relevant werden. Die Wissenssoziologie hingegen<br />

wird Dempf in ihrer „außerordentliche Bedeutung (…..)<br />

für das Verständnis der steigenden Freiheit des Menschen<br />

und seiner eigenen Verantwortung für die Lenkung der<br />

Geschichte“ 13 heraussstreichen.<br />

C ANTHROPOLOGIE<br />

Dempfs „Achsenzeit“ ist die Aufklärung, die er als letztes,<br />

sich naiv selbst deutendes Stadium der Geschichte versteht.<br />

„Die ganze Philosophie war ja neben dem seit der<br />

späten Aufklärung sich durchsetzenden Positivismus<br />

der mechanistischen Naturauffassung nur mehr ein<br />

‚Reich der Phantasie’, das als ein zweites Stadium der<br />

Geistesentwicklung nach der Religion und mit ihr als<br />

überholt galt. Nun hat das gewaltige Wachstum des Baumes<br />

der exakten Wissenschaften zu einer neuen Gesamtlage des<br />

geistigen Lebens geführt.“ 14<br />

Dempf hat, wie man dem Zeugnis der Biographen<br />

entnehmen kann, zunächst auf Drängen seines Vaters<br />

hin Medizin studiert, immerhin einige Semester<br />

(die ihn dann zum „Unterarzt“ während des Zweiten<br />

Weltkrieges qualifizieren sollten). Seine Empfänglichkeit<br />

für die Bedeutung des Biologischen ist auch auf diesem<br />

Hintergrund begreiflich 15 , ganz abgesehen von der<br />

8 Alois Dempf: Theoretische Anthropologie, a.a.O., S.42<br />

9 Alois Dempf: Weltgeschichte als Tat und Gemeinschaft. Eine vergleichende<br />

Kulturphilosophie, Halle (Saale) <strong>19</strong>24=Forschungen zur Philosophie und ihrer<br />

Geschichte, hg. von Hans Meyer, Band I<br />

10 Alois Dempf: Religionssoziologie der Christenheit. Zur Typologie christlicher<br />

Gemeinschaftsbildungen, München-Wien <strong>19</strong>72<br />

11 ebda., S.7-14<br />

12 s. Schema S.13, ebda.<br />

13 Alois Dempf: Theoretische Anthropologie,a.a.O., S.45<br />

14 Alois Dempf: Die Weltidee, Einsiedeln <strong>19</strong>55, S.60f<br />

15 „(…)mit dem genetischen Verstehen der geheimnisvollen Menschennatur<br />

(ist) eine Einbruchsstelle in das uralte Menschenrätsel zu finden“, Alois Dempf:<br />

Kierkegaards Folgen, Leipzig <strong>19</strong>35, S.<strong>19</strong>3.Um diese „Einbruchsstelle“ habe sich<br />

vor allem as <strong>19</strong>.Jahrhundert bemüht.<br />

Bedeutung, die Dempf in historischer und theoretischer<br />

Hinsicht besonders dem französischen Vitalismus in seiner<br />

Funktion als nostalgische Reaktion auf das Scheitern der<br />

Aufklärung und des Systems in der Philosophie zuweist.<br />

Neben der Erkenntnis des historischen Bewusstseins<br />

bzw. als Korrelat zu ihr, ist also nach Dempf die neue<br />

philosophische Aufgabe in der Synthese zweier bisher<br />

disparat gebliebener Linien des Denkens zu sehen,<br />

nämlich in der Verbindung von Individuation und<br />

Spezifikation 16 . In der Lösung dieser Aufgabe hat Dempf<br />

einen bemerkenswert originellen Schreibstil „erfunden“,<br />

der ähnliche Lösungsansätze, wie beispielsweise diejenigen<br />

von Gehlen, Plessner oder auch Spengler, Toynbee oder des<br />

von ihm geschätzten Borkenau poetisch überbietet:<br />

„..der Stehfuß, die Arbeitshand und der Redemund sind<br />

Organe der Geistseele. Der innere Organisationsgrund<br />

ist nicht eine selbständige zweite Natur, auch er steht<br />

nur als Organisationszentrum im Dienste der Geistseele.<br />

Der Gemeinsinn ist das Auszeugemittel als plastisches<br />

Funktionszentrum.“ 17 . In seiner Schrift „Theoretische<br />

Anthropologie“ entwirft die Koordinaten für eine<br />

zukünftige Wissenschaft vom Menschen, zu denen er<br />

sinnenfällige Figuren zeichnet, wie beispielsweise die<br />

Figur I, die „Umwelt“, „Innenwelt“ und „Organisation“ in<br />

einer Zusammenschau von Üxküll und Haecker vereinigt,<br />

wobei unter „Organisation“ die merkwürdige Begriffsreihe:<br />

Werkzeuge Merkzeuge Lebzeuge 18 zu finden ist. Diese<br />

Zeug-Klassen lassen durchaus an Heidegger denken. Aus<br />

den Zuweisungen höherer Kompetenzen an die Zellnatur,<br />

die Dempf, nach Johannes Müller und Joseph von<br />

Görres, als „Autonom“, als „ein selbständiges Zentrum“<br />

anerkennt <strong>19</strong> , folgert er eine Reihe von Forderungen an<br />

die Philosophie. „Der biologische Organisationsbegriff<br />

ist vertieft worden durch die Lebensplanforschung. Die<br />

Menschenart ist bestimmt durch die Zusammengehörigkeit<br />

von Denkvermögen, Ichbewusstsein und Welthaben. 20<br />

Etwas ernüchtert allerdings durch die Vorstellung, wie und<br />

ob denn in der institutionellen und gemeinschaftlichen<br />

Produktion von Wissen diese Synthese durchgeführt<br />

werden könnte, setzt Dempf hinzu: „(..) aber der<br />

Monstrekongreß der Philosophen kann nicht noch durch<br />

einen Übermonstrekongreß aller Forscher überboten<br />

werden.“ 21 Die Entwicklung des historischen Bewusstseins<br />

legt Dempf also parallel zum Scheitern der Aufklärung<br />

an, gewissermaßen als ihren eigenen Trauer- oder auch<br />

Bereinigungsaspekt, welcher zugleich die schwerste<br />

Krise der Philosophie auf Dauer gestellt habe 22 . Wo die<br />

Gewißheit der philosophischen reinen Prinzipien verloren<br />

war, wucherte sozusagen der Baum des historischen<br />

Bewusstseins in seinen vielfältigen Verzweigungen, welches<br />

Geäst erst in der „morphologischen Anthropologie“ 23 zur<br />

Erkenntnispflege kommt. Es war also für Dempf dieses<br />

überdifferenzierte Wachstum, die „spezialwissenschaftliche<br />

Krisis der Menschenlehre im <strong>19</strong>.Jahrhundert“ 24 ,<br />

deren Folgen zu tragen und durch die Philosophische<br />

Anthropologie zu kompensieren sind. Die geforderte<br />

Vereinigung der Philosophie mit der Biologie und der<br />

Wissenschaft der sinnlichen Organisation, die ihn in Gestalt<br />

der Lehren von Helmholtz und Wundt großen Eindruck<br />

gemacht haben 25 , lässt er also erst in dem Moment zu, in<br />

dem der „dogmatische Schlummer“ bereits beendet ist,<br />

d.h. in dem Augenblick, der dann genau die Geburtstunde<br />

der Philosophie als Theoretische Anthropologie ist, und<br />

zwar aus dem Grunde, daß die immer nur impliziten<br />

Erstannahmen der Metaphysik als Weltanschauung<br />

kritisch durchforstet und durchschaut werden müssen.<br />

Das bedeutet, dass die Philosophie des historischen<br />

Bewusstseins sich nicht nur mit den „Naturwissenschaften<br />

vom Menschen“ zu hybridisieren, sondern über die<br />

Integration dessen, was im weitesten Sinne Mythos<br />

und Religion heißt, über die impliziten Menschenbilder<br />

(„transzendentale Poetik“ 26 ) zu verständigen hat.<br />

„Das ist also die entscheidende erkenntnistheoretische<br />

Vorfrage einer jeden Wissenschaftstheorie überhaupt.<br />

Wie weit ist…unser vermeintlich rein positives,<br />

mathematisch-physikalisches Denken anthropomorph?<br />

Können wir unseren Schatten überspringen? Können wir<br />

unsere eigene Sinnes- und Geistorganisation verstehen,<br />

unsere biologisch bedingte Orientierung in der Welt<br />

und unter den Mitmenschen und Lebewesen, unter<br />

Gebrauchsgegenständen und unbelebten Dingen vielleicht<br />

16 Alois Dempf: Die Einheit der Wissenschaft=Urban-Bücher, hg.von Fritz<br />

Ernst und Karl Gutbrod, Nr.18, Stuttgart <strong>19</strong>55, S.38, siehe auch S.39-42<br />

17 ebda., S.122<br />

18 Alois Dempf: Theoretische Anthropologie, Bern <strong>19</strong>50, S.79<br />

<strong>19</strong> Alois Dempf: Die Weltidee, a.a.O., S.46<br />

20 Alois Dempf: Die Einheit der Wissenschaft, a.a.O., S.124<br />

21 ebda., S.117<br />

22 ebda., S.169<br />

23 ebda., S.175<br />

24 Alois Dempf: Theoretische Anthropologie, a.a.O., S.15<br />

25 Alois Dempf: Die Weltidee, a.a.O., S.17<br />

26 „Diese transzendentale Poetik zielt auf die Kulturheroen, wie Prometheus,<br />

und auf die Religionsstifter, nicht als Gesetzgeber, sondern als Schöpfer von<br />

Weltanschauungen.“ Alois Dempf: Die Weltidee, a.a.O., S.69<br />

vergleichsweise der lebensgesetzlichen Orientierung der<br />

Tiere in ihrer Umwelt unserer Forschung unterstellen?“ 27<br />

In der Beantwortung dieser Frage kam Dempf zu<br />

Formulierungen, die der nicht nur geneigte oder nicht<br />

kundige Leser ihm leicht als gläubige Naivität auszulegen<br />

könnte: „Die Religion ist viel philosophischer als die<br />

Philosophie. Sie allein hat ein Gesamtbild der ganzen<br />

Wirklichkeit und des ganzen Lebens und vermag vor allem<br />

den ganzen Menschen zu erfassen.“ 28 Die Weltbilder<br />

aber seien in ihrer Abhängigkeit von metaphysischen<br />

Vorentscheidungen zu erkennen, die ihrerseits die<br />

unausgesprochenen Menschenbilder verdecken 29 . Daher<br />

kommt der Religion gegenüber den lebensweltlich<br />

orientierten Disziplinen eine wichtige Funktion zu. Die<br />

integrative Verbindung, die die theoretische Anthropologie<br />

als philosophische Disziplin sowohl zur Biologie und zur<br />

Lehre von der Welthabe durch die Sinnesorganisation<br />

als auch zu den Religionen herstellt, sichert sie<br />

gewissermaßen vor der doppelten Gefahr in den Rückfall<br />

des „dogmatischen Schlummers“. Dem Thema dieser<br />

neuen Wissensorganisation ist Dempfs Schrift „Selbstkritik<br />

der Philosophie“ gewidmet. Die Philosophie verwandelt<br />

sich auf dem Boden einer doppelten, integrativen Kritik in<br />

eine Philosophiegeschichtsschreibung, die anthropologisch<br />

vergleichend verfährt.<br />

Dempf hat als junger Dozent nicht nur in Bonn Max<br />

Scheler gehört, sondern auch dessen Thesen zur<br />

Wissenssoziologie weiter zu entwickeln versucht. Er hat die<br />

Thesen Schelers mit denjenigen Webers zu vereinbaren<br />

beabsichtigt, welcher ihm auch als Religionssoziologe galt 30 .<br />

Wohl auch im Stil der Zeit hat er sich der Frage zugewandt,<br />

wie und mit welchen Mitteln sich unterschiedliche<br />

Gruppen („Werkgemeinschaft“) unterschiedlichen Zielen<br />

unterstellen. In diesem Sinne findet er wesentlich zu dem,<br />

was man als Ideologiekritik 31 und Weltanschauungskritik<br />

bezeichnet. Als Leitfaden der Untersuchung für die<br />

Orientierung historischer Epochen und politischer Gruppen<br />

dient ihm – darin sind seine Analysen wegweisend für<br />

die heute sich zunehmend ins Zentrum des Interesses<br />

schiebende Kunstanthropologie – die Auseinandersetzung<br />

mit künstlerischen Zeugnissen. Dempf schreibt: „So<br />

hat die Kunstgeschichte, in diesem philosophischen<br />

Sinn verstanden, die Hauptlast der Kulturgeschichte und<br />

der Geschichtsphilosophie zu tragen.“ 32 Auch wenn die<br />

Durchführung vollkommen anders ausfällt, so schwebt<br />

doch Dempf, darin Foucault ähnlich, eine Aufschlüsselung<br />

der Institutionen über die Mittel ihrer Repräsentation vor 33 ,<br />

die er allerdings als Ausdruck schöpferischer Intelligenzen,<br />

als Ausdruck der historischen Vernunft setzt. Die<br />

Institutionenlehre ist geknüpft an die Ikonologie, an die<br />

Bilderwelt, die „Bildungsmacht“ wird 34 .<br />

Dempf hat in hohem Alter noch an einer Synthese<br />

seines anthropologischen Konzeptes gearbeitet. Seiner<br />

Vorgabe, man habe sich in einen Horizont von mindestens<br />

fünftausend Jahren zu bewegen, hat er sich weiterhin<br />

verpflichtet, auch wenn die fortschreitende Zeit ihm neue<br />

Aufgaben, neue Autoren, neue Blickwinkel erschloß. Das<br />

Monument einer „Problemgeschichtlichen Synthese“<br />

unter dem einfachen Systemtitel „Metaphysik“ wurde<br />

erst posthum veröffentlicht, nach einer Redaktion und<br />

Ergänzung des Manuskripts durch seine Frau Christa<br />

Dempf-Dulckeit 35 . Es beginnt natürlich auch diese Schrift<br />

mit den antiken Weltlehren und bezieht, in der Krümmung<br />

extrem weiter argumentativer Bögen, schließlich etwa<br />

die neuesten Erkenntnisse der Physik – die Thesen Ilya<br />

Prigogines – ein. An diesem Werk lässt sich noch einmal<br />

ablesen, was es bedeutet, auf sich zu nehmen, das Feld der<br />

historischen Vernunft zu beackern. Es wird nämlich immer<br />

größer, während man noch ackert.<br />

27 Alois Dempf: Theoretische Anthropologie, a.a.O., S.17<br />

28 Alois Dempf: Religionsphilosophie, Wien <strong>19</strong>37, S. 9<br />

29 Alois Dempf: Theoretische Anthropologie, a.a.O., S.18<br />

30 „Wenn zu Anfang unseres Jahrhunderts dem historischen Materialismus<br />

eine höhere Auffassung gegenübergestellt werden sollte, musste sie selber<br />

von der Wirtschaftslehre ausgehen und Geist, Sittlichkeit und Religion mitten<br />

im Kampf der Lebensmächte zeigen. Nur ein Wirtschaftshistoriker konnte<br />

diese Aufgabe erfüllen, der zugleich den ganzen Stoff der Religionsgeschichte<br />

beherrschte und noch dazu die gewaltige zusammenschauende Kraft besaß,<br />

alle Konstellationen der Kulturgeschichte zu überblicken, Max Weber.“ Alois<br />

Dempf: Religionsphilosophie, a.a.O., S.26<br />

31 s. dazu : Alois Dempf: Staatsphilosophie in Spanien, Salzburg <strong>19</strong>37,<br />

besonders die Einleitung, in der er der Ideologiekritik die Methodenkritik zur<br />

Seite stellt, S.9f; ebenfalls: Theoretische Anthropologie, a.a.O., S.217-2<strong>19</strong><br />

32 Alois Dempf: Die unsichtbare Bilderwelt,a.a.O.,S.<strong>19</strong><br />

33 „Das ist die methodische Aufgabe, Verbindung von Institutionenlehre und<br />

Ikonologie. Das ist mehr als das, was man gewöhnlich Soziologie der Kunst<br />

nennt (…)“ Alois Dempf: Unsichtbare Bilderwelt, a.a.O., S.23<br />

34 ebda., S.22<br />

35 Alois Dempf: Metaphysik. Versuch einer problemgeschichtlichen Synthese,<br />

in Zusammenarbeit mit Christa Dempf-Dulckeit=Elementa .Schriften zur Philosophie<br />

und ihrer Problemgeschichte, hg.von Rudolph Berlinger und Wiebke<br />

Schrader, Band XXXVIII, Amsterdam <strong>19</strong>86


Nr. <strong>19</strong>/2008 Buch VII - LITERATUR<br />

<strong>ST</strong>/A/R 47<br />

Auszug aus:<br />

„AN DEM TAG, ALS ICH MEINE FRISEUSE<br />

KÜS<strong>ST</strong>E, SIND VIELE VÖGEL GE<strong>ST</strong>ORBEN“<br />

von Josef Kleindienst<br />

11556.<br />

Krieg war ausgebrochen.<br />

Ein ganzes Kommando Slowaken war in<br />

der Nacht über die Grenzen gekommen,<br />

hatte Dörfer niedergebrannt und war<br />

dann wieder nach Hause gegangen. Der<br />

slowakische Präsident entschuldigte sich für<br />

diesen bedauerlichen Vorfall und versprach<br />

Wiedergutmachung.<br />

Aber noch in derselben Stunde waren die<br />

Unsrigen ausgerückt und legten Bratislava in<br />

Schutt und Asche. Mir war das egal. Bratislava<br />

gefiel mir nicht sonderlich.<br />

11556<br />

Wieder nichts. Ich spucke aus dem Fenster<br />

und habe wieder nicht getroffen. Ich bin<br />

erschüttert.<br />

115559<br />

Ich gebe mir eine Spritze und verspüre eine<br />

angenehme Entspannung.<br />

11558<br />

Ich gebe mir noch eine Spritze und kratze<br />

mich am Ohr.<br />

115556<br />

Eine Kleine Nachtmusik erklingt aus dem<br />

Radio. Ich bin gerührt.<br />

2004<br />

Zwei Tage hat das Telefon nicht geläutet. Ich<br />

bin verzweifelt. Hat mich die Welt vergessen?<br />

22089<br />

Heute bin ich aufgewacht und habe mir<br />

gedacht, ich muss dieser Welt den Krieg<br />

erklären mit allen mir zur Verfügung<br />

stehenden Mittel. Ich schaue aus dem Fenster<br />

und spucke. Ergebnis egal.<br />

Ich ziehe mich zurück und warte noch zwei<br />

Tage auf einen Anruf.<br />

Dann klingelt das Telefon, ich gehe aber nicht<br />

ran.<br />

Erst nach weiteren zwei Anrufen hebe ich ab.<br />

„Hallo, wer da?“ „Ich bin es Santa Claus.“<br />

„Santa Claus, wie nett, dass du an mich<br />

denkst, du meine Santa Claus, du.“ Mit Santa<br />

Claus habe ich eine innige Verbundenheit.<br />

Ich hatte sie einmal getroffen und sofort<br />

gewusst, dass ich eine Seelenverwandte<br />

gefunden habe. Santa Claus hat das nicht<br />

so gesehen. Aber ich habe sie so lange<br />

terrorisiert, bis sie das eingesehen hat. Jetzt<br />

sind wir glücklich. Santa Claus ruft mich alle<br />

2 Monate einmal an. Und ich rufe sie einmal<br />

im Monat an und erkläre ihr immer, wie gern<br />

ich Sex mit ihr hätte.<br />

Aber sie hat genug Sex, klärt sie mich jedes<br />

Mal auf. Auch schön.<br />

114432<br />

Heute ist mein Tag. Ich laufe in die Trafik<br />

und kaufe mir ein Rubbellos.<br />

11232<br />

Ich brauche auch einen Job, einen verfluchten<br />

Job. U-Bahn-Fahrer dürfen den ganzen Tag<br />

im Kreis fahren und können Pornos lesen.<br />

11222<br />

Transformation. Eine E-Mail hat mich nach<br />

St. Petersburg geschleudert. Hier soll es<br />

Killer zum Saufüttern geben, für 300 Dollar<br />

ist man dabei, wie ich von Vlado erfahre.<br />

Vlado hat mich vom Flughafen abgeholt, mit<br />

einem alten museumsreifen Lada, dessen<br />

Sitze mit hellrotem Plüsch überzogen<br />

waren, und mich, nachdem ich mit seiner<br />

Unterkunft nicht zufrieden war, bei der<br />

Melonenmafia einquartiert. „You know<br />

what is a musserfucker?“ „No idea.“ „Ein<br />

Melonenficker“, hat er gelacht, als er mit<br />

mir den mit Müll überfrachteten Innenhof<br />

eines heruntergekommen Wohnhauses<br />

betrat. Danach stiegen wir das schmale<br />

Stiegenhaus hoch, er zeigte mir mein 7m 2<br />

Zimmer, drückte mir den Schlüssel in<br />

die Hand und meinte noch, ich soll mich<br />

vor der Wohnungseigentümerin, ihrem<br />

Liebhaber, ihrer Tochter, dem Liebhaber ihrer<br />

Tochter und den 8 aserbaidschanischen<br />

Melonenverkäufern, die hier ebenfalls<br />

Quartier bezogen haben, in Acht nehmen.<br />

112701<br />

Bald darauf bin ich von der Melonenmafia<br />

umzingelt. Ich komme mir vor, als hätte<br />

ich eine Kajüte in einem überfüllten<br />

Fischerboot bezogen. Immer wieder<br />

Stimmen, Handyläuten, Getrampel. Ich<br />

betrete die Küche und sehe eine brünette<br />

Frau um die vierzig, offensichtlich die<br />

Wohnungsbesitzerin. Sie lächelt mich<br />

an, als ob ich schon immer da gewohnt<br />

hätte. Sie spricht mit mir. Ich verstehe sie<br />

nicht. Sie spricht nochmals mit mir. Ich<br />

verstehe sie wieder nicht, sage immer nur<br />

„spassiba“ und nicke mit dem Kopf, zeige<br />

auf die Waschmaschine, weil ich meine<br />

Schmutzwäsche waschen möchte, aber sie<br />

zuckt nur mit den Achseln und verlässt den<br />

Raum.<br />

Ich ziehe mich ebenfalls in meinen Raum<br />

zurück und starre auf Putin, der als<br />

Schlüsselanhänger geliftet am Kleiderschrank<br />

baumelt. Bald darauf Getrampel, eine ganze<br />

Herde russischer Elefanten oder so was<br />

Ähnliches muss sich im Nachbarzimmer<br />

niedergelassen haben.<br />

Wände kahl, mein Notebook an die hiesige<br />

Telefonleitung angeschlossen, zwei<br />

Wodkaflaschen am Tisch und irgendwelche<br />

russischen Atommücken, die mich nachts<br />

halb um den Verstand bringen, surren im<br />

Raum umher. Wer hat mir bloß diese Viecher<br />

da geschickt? Der russische Geheimdienst<br />

möchte mich offenbar zermürben, sicherlich<br />

Oberst Scharimenko, dem ich keinen blasen<br />

konnte. Im Hof macht sich eine alte<br />

Frau am Müll zu schaffen, sucht<br />

wohl irgendeinen Computerchip,<br />

der ihr Hungerproblem lösen soll.<br />

Ich würde mir am liebsten Wodka<br />

reinziehen und sonst nichts.<br />

11309<br />

Keine E-Mail, kein Anruf in<br />

den letzten drei Stunden. Im<br />

Nachbarzimmer permanentes<br />

Handyläuten mit allen<br />

möglichen Melodien, ist sicher<br />

schon fünf am Morgen, wer will<br />

jetzt noch Melonen, ich bin am<br />

Ende, das geht jetzt schon die dritte Nacht so.<br />

Plötzlich ein Läuten, am Apparat ein Herr<br />

Dimitrie: „Puschkinskaya, bei den Kommis<br />

um acht“, pfaucht er ins Telefon und legt auf.<br />

12009<br />

Ich verstehe kein Russisch, er kein Deutsch.<br />

Als Erkennungsmerkmal zeigt er mir seine<br />

Narben an den Pulsadern, zweifacher<br />

Selbstmordversuch, und als Draufgabe noch<br />

eine Narbe, die sich über seinen ganzen<br />

rechten Arm erstreckt. Kaukasus. Ich bin<br />

beeindruckt, kann mit nichts Vergleichbarem<br />

entgegenhalten. „Macht nichts“, winkt er ab<br />

und blättert in seinem Wörterbuch.<br />

Ich bestelle Wodka. Er trinkt nur Bier, keinen<br />

Wodka, „no Wodka“, worauf er ausdrücklich<br />

hinweist.<br />

Er ist hinter einem Affen her, hinter einem<br />

Affen, den er kürzlich verloren hat, und<br />

um diesen Affen dreht sich alles, erklärt<br />

er mir. Ich starre ihn an. „Ein Affe hier<br />

in St. Petersburg, ist das nicht zu kalt?“<br />

„Ach was“, wiegelt er ab, „das Tier ist ganz<br />

wintertauglich.“ Er stößt auf mich an und<br />

ich auf seine aufgeschlitzten und nunmehr<br />

verheilten und vernarbten Pulsadern.<br />

„You want?”„No I stopped“, lehne ich sein<br />

Zigarettenangebot ab. „Nicht möglich, hier in<br />

Russland.“<br />

1288<br />

Okay, das Geschäft läuft, das Affengeschäft.<br />

Permanenter Autolärm begleitet mich auf<br />

meinem fünfzehnminütigen Heimweg. An<br />

der Kreuzung ein Kriegsinvalide, der auf<br />

einem Bein von einem Lada zum anderen<br />

hopst, in seinen Händen eine kleine rote<br />

Schüssel, in die von Zeit zu Zeit ein paar<br />

Rubel geworfen werden. In spätestens<br />

zwei Wochen ist er bestimmt an einer<br />

Abgasvergiftung krepiert. Wieder zurück,<br />

rasiert sich gerade ein Melonenverkäufer.<br />

Keine schlechte Idee, denke ich mir und lasse<br />

mich erschöpft auf mein Bett fallen.<br />

23232<br />

Die Melonenverkäufer umkreisen mich.<br />

Wenn ich die Küche betrete, sprechen sie<br />

allesamt gleichzeitig mit mir, offenbar eine<br />

Art Begrüßung. Ich erwidere ein verlegenes<br />

„Spassiba“ nicke aufgeregt und ziehe mich<br />

gleich wieder zurück.<br />

121212<br />

„Da, an dieser Stelle wurde der<br />

Vizebürgermeister von einem<br />

Heckenschützen erschossen. Und dort auf<br />

dem Dach wurde als Andenken an den Killer<br />

ein kleiner Baum gepflanzt.“<br />

1132<br />

Ich steige aus der U-Bahn aus, laufe das<br />

Huun-<br />

Hur-Tu<br />

LIEDER DES WEITEN ASIENS.<br />

Trio Dorchi begeisterte und bannte das Publikum in Berlin<br />

Drei Profis haben sich im Russischen Theater in Berlin mit burjatischen<br />

und mongolischen Lieder präsentiert. Musik und Tanz waren in einer guten<br />

Symbiose und haben viel Spaß und tiefe Erlebnisse für alle Besucher gebracht.<br />

Marina Dorchieva, Mark Gotye und Victor Maximov haben alte burjatische und<br />

mongolische Lieder gefühlvoll gestaltet.<br />

Für die Solistin Dorchieva ist es das erste Konzert in Deutschland. Bisher hat die Profi -<br />

Volksängerin aus Burjatien (Russland) große Erfahrungen in Ihrer Heimat und auch einige<br />

Nominierungen in Großbritannien und der Slowakei.<br />

Für die Besucher, die sich mit der russischen, beziehungsweise burjatischen Geschichte nicht<br />

auskannten, war die Präsentation von Gabriel Schötschel interessant. Er hat die Geschichte<br />

Burjatiens und seiner eigenen Erfahrungen in diesem magischen Land mitgeteilt.<br />

Frühe Zeitzeugen Burjatiens sind die im 13 Jahrhundert geschriebenen Texte in „der Geheimen<br />

Geschichte der Mongolen“. Zu dieser Zeit gab’s noch mehr andere Stämme in diesem Teil der<br />

Welt.<br />

Die Burjaten sind fest mit dem größten See der Welt - dem Baikal verbunden.<br />

Er war den Leuten heilig und keiner durfte in ihm baden.<br />

Die Bühne selber war nicht nur ein Hintergrund des Konzertes, sondern ein Teil exotischer Tradition<br />

der Burjaten. Mann konnte typische burjatische Kostüme genießen.<br />

Die Mitglieder des „Dorchi“ Ensembles waren traditionell kostümiert.<br />

Mimik, Gestik und Gesang waren die Stärken von M. Dorchieva, die mit ihrer schönen Stimme<br />

die Herzen des Publikums eroberte. Sie hat nicht nur mit ihren Liedern, sondern auch mit dem<br />

Tanz die Liebesgeschichte der Burjaten und Mongolen erzählt. Die beide Völker haben eine<br />

lange gemeinsame Tradition, die tiefe mit ihrer Naturwelt verwurzelt ist.<br />

Mit vielen verschiedenen Instrumenten hat der Schlagzeuger Mark Gotye in seinem schwungvollen<br />

Spiel den magischen Bezug zur Natur hergestellt. Es gabt nicht nur die üblichen Schlagzeuginstrumente,<br />

sondern er experimentierte gekonnt mit Klanginstallationen aus Wasser, Holz,<br />

Metall, Wind und anderen Elementen, was im Zuschauerraum zu einer konzentrierten Stille,<br />

selbst bei den Kindern, führte.<br />

Mit überzeugender Virtuosität spielte der Gitarist Victor Maximov, mit verführerischer Energie<br />

der die Lieder nicht nur begleitete, sondern auch einige Solos zum Besten gab.<br />

Dieses Programm ist wirklich ein gelungenes Erlebnis.<br />

Trio „Dorchi“ bereitet eine Reihe von Konzerten in Deutschland vor.<br />

Ich kann dieses Konzerterlebnis wärmstens empfehlen.<br />

Bald wird das Trio eine CD mit burjatischen und mongolischer Lieder auf dem Markt präsentieren.<br />

Evelina Awramowa<br />

Labyrinth entlang, Gänge, die nicht enden<br />

wollen und Menschenmassen, die mir<br />

meinen Atem nehmen und wo ist das Ziel<br />

und überhaupt: Was ist das jetzt für ein Spiel?<br />

Okay, Stopp, seid ihr jetzt alle verrückt, so<br />

wird das nichts.<br />

1556<br />

Agenten abgeschüttelt und St. Petersburg<br />

ohne Feindberührung verlassen.<br />

11009<br />

Wien.<br />

Keine Meldung. Ruhe. Absolute Ruhe.<br />

Ungewöhnlich.<br />

1130<br />

Ich beginne mich am Unterschenkel zu<br />

kratzen. Keine Ahnung, was das zu bedeuten<br />

hat. Draußen ist es dunkel. Ab und zu<br />

ein Blinken in der gegenüberliegenden<br />

Wohnung.<br />

1135<br />

Draußen regnet es. Herbst kommt und<br />

wieder acht Monate keine Sonne. Zehn Jahre<br />

in dieser Scheißstadt und nie Sonne. „Die<br />

Stadt hat mich kaputtgemacht“, sage ich zu<br />

meinem Gegenüber. Gegenüber: „Irrtum, du<br />

warst schon vorher fertig. Ein Wrack, als du<br />

die Stadt betreten hast.“ „Toll“, sage ich ihr,<br />

„toll, dass du mir immer solche Komplimente<br />

machen musst. I love you” Und sie zu mir:<br />

„Spinner.“


48 <strong>ST</strong>/A/R<br />

Buch VII - LITERATUR Nr. <strong>19</strong>/2008<br />

L.A. Potential<br />

ALTERNDE DICHTER<br />

Stetem Verebben von Leben<br />

müssen auch sie sich ergeben.<br />

Was sie tun, hat Hand und Fuß,<br />

doch kennt man es zum Überdruß.<br />

Man giert nach Leichtsinn junger Wesen,<br />

haßt, was einst Vernunft gewesen.<br />

Ihrem angespannten Geistesbogen<br />

werden Juxrevolver vorgezogen.<br />

Ihre ausgefeilten Reimereien<br />

müssen Unerprobte ja bespeien.<br />

Also donnert es an allen Fronten,<br />

deren Nahen sie nur ahnen konnten.<br />

Dichtung, Bildung, Lebensart<br />

und Aura, die sie schaffen konnten,<br />

zu vergessen, wäre hart.<br />

Doch unermesslich härter ist,<br />

daß alle Welt nun sie vergißt.<br />

Wen wundert´s, daß sie störrisch sind,<br />

KünstlerInnen:<br />

Allison Cortson<br />

David Deany<br />

Bart Exposito<br />

Elisa Johns<br />

Raffi Kalenderian<br />

Jasmine Little<br />

Allison Schulnik<br />

Jacob Tillman<br />

Eric Yahnker<br />

Kuratorin: Lioba Reddeker<br />

EDITION 11 · LOS ANGELES<br />

Ausstellung:<br />

20. September bis 9. November 2008 · täglich von 09.00 - 22.00 Uhr · Hangar-7 · Salzburg Airport · Wilhelm-Spazier-Str. 7A<br />

Weitere Informationen:<br />

www.hangar-7.com · hangart-7@hangar-7.com · T: +43/(0)662/2<strong>19</strong>7 · F: +43/(0)662/2<strong>19</strong>7-3709 · www.basis-wien.at<br />

aus Furcht, daß sie nun Abfall sind...<br />

Okay, sie zanken int´ressant,<br />

und mancher Schwärmer kommt gerannt,<br />

sie zu bewundern wie ein Kind.<br />

Doch meistens sind sie weder Vater<br />

noch ein günstiger Berater.<br />

Selbst die reifere Vernunft<br />

vermischt sich ewig noch mit Brunft,<br />

und diese wird die Jungen lehren,<br />

alte Dichter nicht zu ehren.<br />

Soviel nur zu „Hand und Fuß“.<br />

Man kennt das ja zum<br />

HÄSSLICHES ERWACHEN<br />

Ein versauter Morgen graut.<br />

Du drehst dich wie am Grill im Bett.<br />

Der schlimme Abend gestern haut<br />

dich heut erst richtig vom Parkett.<br />

Du rülpst ins dreckige WC,<br />

„Mich wirst du nicht verbraten, Welt.“<br />

Du pißt und denkst: „Wie wenig Menschen<br />

gibt es doch, auf die ich steh.“<br />

Man sieht dich in verhatschten Patschen<br />

struppig nach der Küche latschen.<br />

Monolog am Küchenhocker.<br />

Kotzen vor dem ersten Mokka.<br />

Ein paar Schlucke kriegst du runter.<br />

Igel tollen in den Eingeweiden.<br />

Doch das macht auch wieder munter.<br />

Leidend magst du dich ja leiden.<br />

Ißt du einen Gabelbissen,<br />

plustern diese Igel sich.<br />

Im Magen stechen dich Hornissen.<br />

Auch die Milch kriegt einen Stich.<br />

L.A. Potential<br />

Und doch: Es freut dich, nicht in einem<br />

unbekannten Zimmer zu erwachen.<br />

Im Spital, der Einzelzelle, deinem<br />

Auto oder neben einem Drachen.<br />

Du rülpst ins dreckige WC,<br />

„Nicht viele gibt´s, auf die ich steh.“<br />

Der Umkehrschluß entfällt bescheiden:<br />

Dich mag auch nur einer leiden.<br />

Christian Schreibmüller<br />

supported by<br />

W ien<br />

Kultur


Städteplanung / Architektur / Religion<br />

Buch VIII - AUTO<strong>ST</strong>AR <strong>ST</strong>/A/R 49<br />

David Staretz<br />

schreibt, redigiert und fotografiert den Auto-<strong>ST</strong>/A/R


50 <strong>ST</strong>/A/R Buch VIII - AUTO<strong>ST</strong>AR Nr. <strong>19</strong>/2008<br />

Nr. <strong>19</strong>/2008 Buch VIII - AUTO<strong>ST</strong>AR<br />

<strong>ST</strong>/A/R 51<br />

Mit der Corvette bis ans Ende der Alten Welt<br />

GO WE<strong>ST</strong> ...<br />

ABER SETZ DIR WAS AUF!<br />

Wir richteten die Motorhaube der gelben Corvette Z06<br />

exakt nach Westen aus und ließen uns dreitausend<br />

Kilometer lang nicht davon abbringen. Dort, wo es nicht<br />

mehr weiterging, warfen wir neun Rosen in den Atlantik.<br />

Gruß nach Detroit!<br />

TEXT UND FOTOS: DAVID <strong>ST</strong>ARETZ<br />

Cabo da Roca, das ist die Nasenspitze der iberischen<br />

Halbinsel, also der utmost western point of Europe,<br />

der Amerika nächstliegende Punkt des Alten<br />

Kontinents – der etwa so weit entfernt ist, wie wir dort<br />

hin angereist sind: 3300 Kilometer.<br />

Wir fuhren eine Nacht, einen Tag, eine Nacht und noch<br />

einen halben Tag – mit Schlafpausen in den Sitzen, mit<br />

Kaffee zu Merinque-Pudeln aus einer Konditorei in Monte<br />

Carlo, mit (xy) Tankstopps, Kurzpausen und ein wenig<br />

Sightseeing am Rande der Route. Einmal ins salzige<br />

Meer gehüpft, klebrig empfunden. Dann drehten wir das<br />

Auto um und fuhren alles wieder zurück. Einen halben<br />

Tag und eine (unfreiwillige) Nacht verbrachten wir in Lissabon.<br />

Wir benötigten yx Liter Benzin, zahlten dafür yx Euro,<br />

und für sämtliche Mautgebühren von Wien über Udine,<br />

Mailand, Genua, Monte Carlo, Toulouse, Saragoza, Madrid<br />

und Lissabon bis Cabo de Roca und wieder zurück<br />

löhnten wir yx Euro. Nur das Parkhaus in Monte Carlo<br />

war generöserweise umsonst.<br />

Das Auto.<br />

Die Corvette Z06, General Motors schnellstes Serienmodell<br />

aller Zeiten, gilt als ziviler Ableger der Rennversion<br />

C6.R. Der Wagen ist verhältnismäßig leicht (dank Abräumen<br />

von 40 kg gegenüber der Normalversion mittels<br />

Einsatz von Aluminium und Carbon, sowie durch Verzicht<br />

auf elektrische Beifahrer-Sitzverstellung und massives<br />

Dichtmaterial), wiegt demnach 1420 kg, was ihm<br />

dank der 512 PS aus dem Siebenliter-V8 “Small Block”<br />

zu einem Leistungsgewicht von 2,77 kg pro PS verhilft,<br />

was zu einer möglichen Beschleunigung von unter vier<br />

Sekunden auf Tempo 100 und einer Höchstgeschwindigkeit<br />

jenseits der 300-km/h-Marke verhilft.<br />

Wir verachteten jegliche Verzärtelung durch E-Automatik<br />

und bestanden auf handfester Sechsgang-Schaltung.<br />

(Um dabei aufrichtig zu bleiben: Man kann erstaunlich<br />

lange schaltfaul im sechsten Gang fahren).<br />

Dem Verzicht auf mollige Schalldämmung kann man<br />

auch Positives abgewinnen, wie wir der Pressemappe entnehmen:<br />

“Das Schalldämmpaket wurde zur Gewichtsreduzierung<br />

überarbeitet und ermöglicht nun eine bessere<br />

Überwachung der Antriebsstranggeräusche”.<br />

Der Wagen besaß außer der speziellen, rennnahen Antriebskonfiguration,<br />

der hinten verbreiterten Karosserie<br />

mit Heckspoiler, den Luftauslässen plus markanter Lufthutze<br />

im Bug, noch die aufwendig hochglanzpolierten<br />

2.000-Euro-Zehn-Speichen-Felgen (vorne 18, hinten <strong>19</strong><br />

Zoll). Ideale Geschmeide, um die Goodyear Extended<br />

Mobility Runflat Reifen der Dimensionen 275/35ZR18<br />

bzw. 325/30ZR<strong>19</strong> aufzuziehen. Dazu gleich eine Kritik<br />

von unterwegs: Regenreifen sind dies gewiss nicht.<br />

Für die lange Fahrt gönnten wir uns noch das unverzichtbare<br />

Navigationssystem, dem wir die gute Note 2<br />

verleihen würden, sowie komplette Lederausstattung,<br />

samt Kopfstützen (bestickt mit gekreuzten Konföderierten-Flaggen,<br />

verzichtbar), sowie der eleganten Konsolenverkleidung<br />

um 3.890 Euro. Was sein muss, muss sein.<br />

Gesamtpreis demnach: 96.430 Euro.<br />

Die Beifahrerin.<br />

Eine heikle Wahl. Es sollte jemand sein, die keine zickigen<br />

Ansprüche stellt, wenn es darum geht, vierzig oder<br />

mehr Stunden im Auto zu verbringen, auch wenn sie ihre<br />

erstaunlichen Beine nie ganz ausstrecken würde können.<br />

Sie sollte immer gut gelaunt sein, sich dann und wann an<br />

den Fahrer schmiegen, so es Verkehrssituation und Mittelkonsole<br />

erlauben, sie sollte mit aktuellem Klatsch und<br />

ähnlich leichter Plauderei aufwarten können, von mir aus<br />

auch das Libretto von Boris Godunov oder Eugen Onegin<br />

nacherzählen, aber sie sollte keinesfalls in gefährliche<br />

Beziehungskillerphrasen wie “Sind wir bald da?” und<br />

“Es zieht, da kriege ich mein Kopfweh” oder “Fahr nicht<br />

immer so schnell” verfallen. Sie sollte schminkfest bis<br />

Tempo 180 sein. Erst da zeigt sich die wahre Kunst des<br />

Nagellackauftragens.<br />

Da blieb mir nur eine Wahl: Viktoriya, gebürtig aus Sibirien,<br />

ein Kind der Kälte, das die behaglich raunende Wärme<br />

der russischen Seele in sich birgt und doch deutlich<br />

mehr vorzuweisen hat als die Vorzüge innerer Schönheit.<br />

Stellen Sie sich vor: Eine junge Frau, die immer gut gelaunt<br />

ist und immer gut aussieht. Darunter sollte man es<br />

nicht geben. (Ihre einzige Extravaganz: Meringue-Pudel<br />

aus ihrer Lieblings-Confiserie in Monte Carlo.)<br />

Die Nacht.<br />

Fahren bei Nacht, weite Entfernungen im Lichtkegel zu<br />

schnüren, während die Kanzel von diesen grüngedimmten<br />

Instrumenten erwärmt ist, und ein kleiner Radiosender<br />

spielt eigenartige Orgelmusik oder jemand liest<br />

katalanische Gedichte oder es rauscht einfach nur dieses<br />

Grundklangmuster aus Fahrtwind, Reifenrollen, Motorklang<br />

und zu überwachenden Antriebsstranggeräuschen<br />

– in dieser Stimmung fühlt man sich im Reisen aufgehoben<br />

wie in einem gesicherten Aggregatszustand des<br />

Unterwegsseins als harmonisches Maß für Zwei. Wie<br />

bestätigende Werte schlagen die Querfugen durch, ruhig<br />

stehen die Instrumentennadeln, und die roten Lampen<br />

anderer Nachtpiloten wirken wie verlässliche Positionslichter<br />

auf der Ostfahrt, bis vor uns der Morgen dämmert<br />

in ungewissem Licht, fahle Sterne und ein lichter Mond<br />

versinken hinter scharfgeschnittenen Wolkenkanten,<br />

den verheißungsvollen Kartografien unbekannter Kontinente.<br />

Manchmal birgt die Nacht auch Schrecknisse von alptraumhafter<br />

Qualität: Zwischen Saragoza und Madrid<br />

führt die Strecke so lange so brutal und kurvenreich bergab,<br />

dass man meint, man müsse einen Kraterschlund<br />

unter Meeresspiegel ansteuern. Und alles, was Räder<br />

hatte, schien polternd in einen Malstrom zu Tale zu stürzen:<br />

Lastwägen, Lieferwägen, wildes Geschepper und<br />

Luftdruckgepfeife, unterfangen vom hohlen Dröhnen<br />

scheinbar entlaufener Tankwägen. Ich war so müde, so<br />

gelähmt, dass ich es etliche Kilometer lang nicht schaffte,<br />

an einem apokalyptischen Betonmischer vorbeizukommen,<br />

der unaufhaltsam mahlend zu Tal dröhnte mit<br />

gefährlich schwankendem Aufbau. Ich war so gebannt,<br />

konnte einfach nicht überholen, es war mir körperlich<br />

unmöglich. Es war auch undenkbar, dieses einsaugende<br />

Gefälle zu verlassen – wie gesagt, diese Etappe hatte alle<br />

wesentlichen Zutaten eines Alptraumes.<br />

Raststätten.<br />

Je weiter man nach Oste<br />

kommt, Italien, Frankreich,<br />

Spanien, Portugal, desto<br />

armseliger, desto einladender<br />

werden die<br />

Raststätten. Es geht<br />

nicht mehr um<br />

die organisierte<br />

Abzocke angeschwemmten<br />

Autofahrermülls,<br />

sondern<br />

um Labung, Trost<br />

und Ruhe für die<br />

weither gekommenen,<br />

auch wenn<br />

sie nur im nächsten<br />

Dorf beheimatet sind –<br />

von ungewisser Herkunft<br />

stammen wir alle, und einen<br />

starken Kaffee, ein kräftig<br />

befülltes Weißbrot benötigen wir.<br />

Manche Raststätten sind so liebevoll<br />

eingerichtet, mit Garten und Springbrunnen,<br />

mit Aquarien und Autoreifen-Schwingschaukeln, mit<br />

archaischen Tischfußballgeräten und scheppernden<br />

Musikboxen, dass man gleich ein paar Tage hier bleiben<br />

möchte.<br />

Nur mit dem Tanken bin ich unzufrieden: irgendeine<br />

Vorschrift, und offenbar steckt nicht einmal die EU dahinter,<br />

verbietet es, Zapfhähne mit Einrastvorrichtung<br />

zu versehen, so dass man genötigt ist, die ganze Zeit am<br />

Hebel zu drücken. Natürlich lässt sich gerade in diesen<br />

Fällen kein Tankwart blicken, der sich ein wenig Trinkgeld<br />

verdienen möchte. Aber das vertieft eben die Fahrer-<br />

Auto-Beziehung. Immerhin sind hier die Toiletten frei<br />

zur Benützung und gar nicht einmal so schmutzig wie<br />

einst.<br />

Das Fahren.<br />

Gleich vorangeschickt die Sensation: Wir benötigten<br />

nicht mehr als 10,2 Liter Superbenzin (98 Oktan) im<br />

Gesamtschnitt. Dies rührte von einer äußerst besonnene<br />

Fahrweise. Erst nach rund zweitausend Kilometern gepflegten<br />

Gleitens fiel mir ein, dass ich bisher noch nie die<br />

512 PS entfesselt hatte. Ein tritt aufs Pedal machte sofort<br />

klar: Hier werden die guten alten Hinterräder angetrieben,<br />

und sie wollen als erste durchs Ziel. Hochmoderne<br />

Fahrwerkselektronik legte dem einige Riegel vor, aber die<br />

Absicht kam deutlich durch bis ins Lenkrad. Der Wagen<br />

explodiert förmlich unter den Pedalen. Die berühmte auf<br />

das Dashboard geklebte Hundert-Dollar-Note (die der<br />

massenträg in den Sitz gedrückte Beifahrer natürlich nie<br />

erreicht) wäre hier erstmals in Gefahr: Sie könnte sich<br />

aus der Verklebung reißen und dem Beifahrer in den<br />

Schoß fallen.<br />

Die Sitzposition ist phantastisch, beide Ellbogen finden<br />

solide Auflage, aber die volle Lenkfreiheit ist bei Bedarf<br />

sofort gegeben. Anders als einst ist die Lenkung ziemlich<br />

direkt ausgelegt, der Straßenkontakt ist besser, als einem<br />

manchmal lieb ist, zumal schlechte Straßenqualität<br />

manchmal erstaunlich durchschlägt. Zum gut Aufgehobensein<br />

zählt auch das Exterieur: Die beiden Radkastenwammen<br />

stehen seitlich sichernd hoch wie Sofalehnen.<br />

(Niemand hat verlangt, dass der Wagen übersichtlich<br />

sein möge, wiewohl man schnelle lernt, kratzerfrei durch<br />

Monacos gefürchtete Parkhäuser zu manövrieren.)<br />

Das Verhältnis zwischen Drehzahlmesser und Tachometer<br />

ist einfach:<br />

1.000 Touren – Tempo 80.<br />

2.000 Touren – Tempo 160.<br />

3.000 Touren - ich habe es natürlich ausprobiert im<br />

Dienste der Wissenschaft – das Verhältnis stimmt abermals:<br />

240. Die 4.000er-Marke war allerdings nur mehr<br />

theoretisch zu schaffen – dort, wo sich die Parallelen<br />

schneiden.<br />

Die Klimaanlage ist ok, auch wenn Fahrer und Beifahrer<br />

ein paar Grade auseinanderliegen. Irgendwann findet<br />

man eine leidlich zugfreie Einstellung. Heiß wurde nur<br />

der Griff zum Kugelschreiber: Die Schatulle in der Mittelkonsole<br />

(zugleich Armablage) entwickelte erschreckende<br />

Temperaturen. Selbst die Cupholderböden erhitzten sich<br />

dramatisch. Gut für Kaffee, schlecht für Kaltgetränke und<br />

für unsere neun Rosen (“Belle de Salamanca”), die wir<br />

in einem Cocktailshaker mitführten. Aber sie hielten die<br />

Fahrt tapfer durch, dufteten in voller Pracht bis hin zu ihrem<br />

Bestimmungsort, wo wir die den Wellen des Atlantik<br />

übergaben: Roses to America.<br />

GO WE<strong>ST</strong><br />

Das Ohr am<br />

Lied der Straße.<br />

Manchmal sang<br />

der Asphalt<br />

so allerliebst,<br />

als<br />

wären<br />

die Sirenen<br />

hinter<br />

Weiter gings nicht mehr<br />

Odysseus her.<br />

Wesentlich harscher<br />

dagegen ist der Klang<br />

der weißen Begrenzungsstreifen, die<br />

klugerweise als akustische Marker ausgeführt sind. Ich<br />

konnte diesen Sound gut als Untermalung zu Enigma<br />

einsetzen, das wir versehentlich mitgenommen und einmal<br />

pflichtschuldig abgespielt hatten, um auch ein wenig<br />

Kitsch in die Reise zu bringen. Lieber hörten wir Regina<br />

Spektor, die junge Russin in New York, aber bloß nicht<br />

zu oft, um uns nicht zu übersättigen. Go West von den<br />

Pet Shop Boys hatte ich eher kuriositätshalber gekauft,<br />

nach zwei Nummern machten wir der Sache ein gnädiges<br />

Ende. Besser aber tödlich einschläfernd: Bruce Cockburn<br />

(The Charity of Night). Erhellend: Best of BB (Brigitte<br />

Bardot). Wie Marilyn Monroe ist sie als Sängerin völlig<br />

unterschätzt. Heute würde sie jedes Superstargesuche im<br />

aufblasbaren Saunaanzug gewinnen.<br />

Verkehrsteilnehmer.<br />

So lange man im schnelleren, kräftigeren Auto sitzt, ist<br />

alles leicht, Man kann sich jeglicher lästiger Situation,<br />

jeglichem Mittelklassegerangel im engen Kanaltal durch<br />

einen entschiedenen Gasstoß entziehen und sich angenehmere<br />

Gesellschaft suchen.<br />

Es stimmt, die gelbe Corvette holt niedrige Triebe aus<br />

harmlosen Verkehrsteilnehmern, selbst brave Familienväter<br />

in ihren mausgrauen Lagunas haben plötzlich ein<br />

Messer zwischen den Zähnen und von hinten sehe ich geschwollene<br />

Adern im Ausschnitt ihres Rückspiegels. Im<br />

Profil zeichnet sich das scharfzüngige Gezeter der Gattinnen<br />

ab, während die Kinder vor ungeschneuzter Begeisterung<br />

die Heckscheiben verschmieren. Mit schwankenden<br />

Manövern<br />

versuchen die Holiday-Nuvolaris,<br />

das<br />

unvermeidliche abzuwenden.<br />

Selbst<br />

nach dem Überholtwerden<br />

geben<br />

sie nicht auf, versuchen,<br />

angefeuert<br />

von den Kindern,<br />

niedergekreischt von<br />

den Frauen, sich im<br />

Verdienter<br />

Windschatten der<br />

Corvette zu verankern.<br />

Portugal<br />

Tischfussballer in<br />

Selbst in Monte Carlo<br />

erregten wir Interesse<br />

bei redlichen<br />

Familienvätern<br />

– vornehmlich bei<br />

Bauarbeitern und<br />

ähnlich unverbildeten<br />

Kennern wahren<br />

Machismos.<br />

Geflickte Bettwäsche<br />

Begeisterung kann<br />

auch anstrengend in Lissabon<br />

werden: Ein Opel<br />

Corsa fährt mir bei Autobahntempo<br />

fast hinten rein, weil der Fahrer durchs Handy<br />

linst, um eine formatfüllende Aufnahme vom Corvetteheck<br />

zu kriegen. Objects in camera are closer than they<br />

appear! Wohlmeinendes Horngetöse der Überlandtrucks<br />

bläst mich vor Schreck fast von der Straße.<br />

Lissabon<br />

Die Stadt der geflickten Leintücher. Immerhin ist das<br />

auch keine schlechtere Art, Lissabon zu charakterisieren,<br />

und wo in Hotels noch Leintücher kunstfertig gestickt<br />

und geflickt werden, dort steige man günstig, sauber und<br />

etwas scheel betrachtet ab. Zum Ausgleich funktioniert<br />

der Fernseher nicht und die Bücher sind im Auto, das<br />

wir vergessen haben, rechtzeitig aus der bewachten Parklücke<br />

zu holen. Jetzt ist das Gitter vor und deshalb haben<br />

wir überhaupt das Hotelzimmer genommen, allerdings<br />

ohne Gepäck, deshalb die misstrauischen Nachtportier-<br />

Blicke.<br />

Die Corvette hat sich ohnehin einen Ruhetag verdient.<br />

Eines der schönsten und sakralsten Bauwerke von Lissabon<br />

ist der Bahnhof, eine Kathedrale des Reisens, elegant,<br />

verheißungsvoll in seiner befreienden Perspektive,<br />

wohin der Zug das Häusliche der riesigen glasgedeckten<br />

Halle verlässt, hinaus zu fremden Zielen und gepflegten<br />

Abenteuern. Lissabon ist überhaupt eine Stadt in 3D, mit<br />

vielen Blickwinkeln und Niveauunterschieden, die auf<br />

verschiedenste Art bewältigt werden, durch Stadtaufzüge<br />

Patent Eiffel oder die Linie E28, die berühmte Straßenbahnstrecke<br />

durch Alfama und Barrio Alto.<br />

Auch das gehört zu einer Autoreise. Einmal bewußt darauf<br />

zu verzichten, um es dadurch frisch und begehrenswert<br />

zu erhalten.<br />

Portugals Autobahnen sind geradezu vereinsamt, manchmal<br />

freut man sich schon, einen Kleinlaster oder sonst<br />

ein Lebewesen wahrzunehmen. Selbst der Polizei dürfte<br />

der Sprit zu teuer kommen.<br />

Cabo da Roca.<br />

Wie so oft, zählt das Ziel einer Reise zu den uninteressanteren<br />

Darstellern. Der berühmte (so nenn ich ihn<br />

halt) Leuchtturm ist in Reparatur, das Steinkreuz ist mir<br />

zu steinkreuzig, aber diese Selbstmörderklippen, die haben<br />

schon was. Arme Rosen, sie werden sich ihre Köpfchen<br />

brechen. Doch wie von selbst erheben sie sich aus<br />

Viktoriyas Hand und streben, von einer Windbö erfasst,<br />

im hohen Flug nach Westen. Grüßt uns Amerika!<br />

Wir strollen noch eine Weile im Souvenirladen herum<br />

(tolle Kratzpullover um 65 Euro!), erlauschen die Kommentare<br />

leitender Touristenopas (“Seht, der neue Chevy<br />

Chrysler”, nehmen sie bisher undenkbare gewesene Fusionen<br />

vorweg) und spazieren durch den nahegelegenen<br />

Ort, der nicht recht weiß, ob sich aus der Lage nun touristisches<br />

kapital schlagen lässt oder ob man nicht eher eine<br />

Rückseite Europas darstellt. Eine Künstlerin produziert<br />

Leuchtturmmodelle aus Blech, immerhin.<br />

Zuletzt die branchenübliche Anmaßung: Das Restaurant<br />

O Campones in Malvera da Serra ist ein Geheimtipp für<br />

Bacalhau. Wie könnte ich das tatsächlich beurteilen? Der<br />

Nationalfisch war einfach gut und der billige weiße Hauswein<br />

in der Karaffe war genau das, wie man sich einen<br />

schlichten freundlichen unsüßen Weißwein vorstellt:<br />

Gut gekühlte Plauderzunge.<br />

Cabo da Roca, westlichster Punkt<br />

Europas – am Ziel<br />

Souvenirs.<br />

Wir packten ein, was sich (erstaunlicherweise) alles unterbringen<br />

ließ: Zwei Meringue-Hunde, fünf Hüte (rollbarer<br />

Knautschlack), eine Stoffkappe, eine ausgemusterte<br />

Kommode mit zwei Schubladen (Fundstück), ein Original-Stierkampfplakat,<br />

vier Paar Damenschuhe, zwei Paar<br />

Herrenschuhe, zwei gläserne, einen papierener Lampenschirm<br />

(zerknittert), ein Parfumflakon Silber (Gravur<br />

1829), zwei Sommerkleider, etlichen Modeschmuck,<br />

ein paar Damen-Kniestrümpfe im rot-weißen Tintin-<br />

Raketenmuster, einen rostigen Dosendeckel (irgendwie<br />

dekorativ), zwei grundierte, bespannte Malgründe, zwei<br />

Portemonnaies, zwei Mini-Fläschchen Martini rosso, einige<br />

modische Taschen, sechs Schachteln Zündhölzer,<br />

zwei Kerzen, eine Flasche Essig, Hartkäse, zwei Porzellanteller,<br />

drei T-Shirts und zwei dekorative Kugeln unbestimmter<br />

Verwendung.<br />

Nachtrag.<br />

Auszug aus dem PM online Magazin: “Eine 3439 Kilometer<br />

lange Brücke soll die Alte und Neue Welt miteinander<br />

verbinden. Sie steht nicht auf Pfeilern, sondern hängt an<br />

geostationären Satelliten. Auf dem gigantischen Bauwerk<br />

sollen Städte für acht Millionen Menschen entstehen.<br />

Die Transatlantic-Bridge ist eine Utopie, doch auch der<br />

Mondflug schien unerreichbar – und wurde hundert Jahre<br />

nach Jules Vernes visionärem Roman Von der Erde zum<br />

Mond Realität. Deshalb glauben die beiden Designer Michael<br />

Haas und Kai Zirz von der Staatlichen Hochschule<br />

für Gestaltung in Karlsruhe, dass ihre Idee eines Tages<br />

Wirklichkeit wird: eine 3439 Kilometer lange Brücke über<br />

den Atlantik, die Europa und Amerika miteinander verbindet.<br />

... Bei der Aufhängung ihres Megabaus orientieren<br />

sich die beiden Gestalter an US-Plänen für den Bau<br />

eines Fahrstuhls ins All: Dessen Laufseil soll an einem<br />

in 36.000 Kilometer Höhe stationierten Satelliten befestigt<br />

werden, der sozusagen ortsfest über der Erde steht;<br />

genauso könne man die transatlantische Brücke an Satelliten<br />

aufhängen. Nach den Vorstellungen der beiden Visionäre<br />

soll sie in 800 Meter Höhe vom französischen St.<br />

Nazaire nach Bridgeport im US-Staat Connecticut führen<br />

– und wäre das achte Weltwunder. Das Bauwerk erfüllt<br />

nicht nur die Funktion einer transkontinentalen Autoverbindung<br />

– es bildet gleichzeitig das Territorium des<br />

eigenständigen künstlichen Staates TransatlanticNation<br />

mit acht Millionen Bewohnern, deren soziales und politisches<br />

Leben nach ganz neuen Regeln organisiert ist.”<br />

Wenn es dann so weit ist, werden wir wieder die Corvette<br />

aus der Garage holen und diesmal nicht umkehren, nur<br />

weil uns ein Steilufer mit anschließendem Ozean bremst.<br />

Neun Rosen als Gruß nach Detroit


52 <strong>ST</strong>/A/R<br />

Buch VIII - AUTO<strong>ST</strong>AR Nr. <strong>19</strong>/2008<br />

CORVETTE


Städteplanung / Architektur / Religion<br />

Buch IX - WARAN <strong>ST</strong>/A/R 53


Städteplanung / Architektur / Religion Buch IX - WARAN <strong>ST</strong>/A/R 55<br />

du gibst nie Ruhe gut so<br />

werde gefragt ob und wann und wie und warum und<br />

wie geht´s waran mir gehn die Antworten aus<br />

Saufen wir uns ins Leben zurück<br />

wäre stolz auf dich<br />

sammle schöne Momente<br />

moment die Maschine brennt<br />

Gruzifix wieder nix Auf bald<br />

was Rudi nicht lernt lernt Rudolf immer noch hab keine lust<br />

ihr stellt mir nur meine Zeit das AMs hat mir ein Hausboot in<br />

Amsterdam zugesichert<br />

Heidulf wir wissen das du Strapse trägst<br />

zugedröhnt hat sie gestöhnt aus der Traum vom Fliegen<br />

ohne Strom gehts auch dann schaun wir halt bei Kerzenlicht fern<br />

mir egal denk doch was du willst Besser wichser Weichei<br />

Oberschlau ungenau<br />

der Anale der Analen die Stute unter den Hengsten das<br />

Traummännlein unter<br />

den Wachbirnen<br />

die Schlampen der Schlampen der AFFE der AFFen FBI<br />

DINNER OUT<br />

wir warn schon so knapp dran völlig durchzudrehn respect<br />

Hab sehnenscheidenentzündung im Lagerfeuer bekommen triffst<br />

du noch immer ins Braune<br />

dein Jokerface muss mal wieder polliert werdennnnnnnnnnnnnnn wer<br />

einmal lügt fladern für die 3. Welt RUDI-HOOD Ultrahools<br />

vs. FOOLS<br />

Doppelbett Bussi<br />

kleiner Prinz Peepmatz schleimer Saubermann<br />

Groteskumwerfend dein<br />

Gestank deine persönliche Note Schimmelpimmel grindfresser<br />

Lurchschlürfer<br />

Mogelpackung nix drinnen außen unscheinbar innen unendlich<br />

verzweifelt so wie der Rest der Mohaikanner<br />

Der Letzte Marokkaner<br />

Buch WARAN Nummer 3999 die Seiten kleben zusammen das<br />

ist Samenraub<br />

geistige Ergüße auf unschuldigem Papier wertvolles Altpapier bitte an alle weiterleiten<br />

bist ein Blitzableiter blitzgescheit blitzschnell beim fladdern Durchfall für alle<br />

Scheiß Laura Rudi Rudas verdient 8000 EURO pro Monat und kann sich keinen Frisör leisten die alte<br />

Plapperschlampe pfui dumm - dümmer - Rudas<br />

nichts als leere Worte<br />

da hör ich lieber dem Rudolf zu der gibt nie eine Ruh zuerst den Sportteil<br />

und dann ein Joint Frühstück im Grünen<br />

Buttersemmerl mit Schnittlauch Lurchcremesuppe mit gratinierten Hasenbemmerln<br />

MHHHHHHHHHMMMMMMMM Lecker schlecker schmecker<br />

Die Zeit vergeht schneller als geplant<br />

habe dir nie zugehört aber alles verstanden was du sagen wolltest es aber nicht<br />

getan hast<br />

vom hudeln kommen die Kinder wünsch dir schöne Ferien am Bauernhof<br />

bald gehts richtig los freu mich schon<br />

It`s hard to smile you have to hide do what you want also so wie immer<br />

die worte brennen auf der Zunge das Hirn löst sich langsam aber sicher im Alk auf<br />

scheiß drauf<br />

hört auf zu kriegen was denken schadet der Vernunft na und ?<br />

Dealer aller Länder vereinigt euch Schnäppchenjäger Allesspachtler Komakiffer<br />

Rußland nicht There will be party<br />

Danke Danke DanWke Wanke Schwanke Kippe Flippe Bin jezt das Nerverl das du<br />

einmal warst<br />

die Welt braucht dich so wie du Gras die Kuh gibt Milch


56 <strong>ST</strong>/A/R<br />

Buch IX - WARAN Nr. <strong>19</strong>/2008<br />

ES I<strong>ST</strong> VERDAMMT LEICHT DER<br />

BE<strong>ST</strong>E ZU SEIN.<br />

NACH ALLEN REGELN<br />

DER KUN<strong>ST</strong><br />

ICH MUSS MICH NOCH FERTIG MACHEN<br />

wo hängst grad ab auf um zu dir zu kommen über sieben nutten musst du gehn sieben dunkle nächte überstehn dann wirst du die<br />

asche sein aber sicher nicht allein<br />

Operation MINDFUCK Mummu .... ist die Göttin des Chaos muss dir auf die sprünge helfen u bahnfahren verboten<br />

chaos is confusion and i lick it Alles Gute zum Geburtstag Bulle Mi Mikey Jeckey Kerzi stecki<br />

Cyborgiastisches Saufgefaltenhardrock am See Bodenseh torkeln in Tokio where do you go<br />

could you remember the future Dauerlutscher gut dass auch du schon alles überrissen hast<br />

wie ein14jähriger Profikillerprofessor tresor geknackt alles liegen und stehn gelassen keine lust mehrgehabt<br />

bummeln in ‘Boston trödeln in Tansanian Ganjha aus Ghana let´s play weißrussisches Roulette<br />

mit weiß Würsten aus munich glückliche gleichgültigkeit bist die unruh in jeder uhr<br />

bleib dir treu die partei braucht dichbrauche unbedingt deine contonummer sonst geht gar nichts<br />

liegewagen nacht über bratislover nach triest fähre nach oslo danach saufen in kemnitz kurz rüber nach rotterdam und last minute to bronx<br />

attention antrax EWIGE BLUMENKRAFTtop secret: nur für autorisierte Personen bzw. zur sofortigen weitergabe an alle<br />

Hurray, Hurray it´s the first of May outdoor fucking starts today


Städteplanung / Architektur / Religion<br />

Das Portrait des Dichters Julian Schutting (1 x 1,35 cm), ist noch bis<br />

<strong>19</strong> Oktober im rahmen der Gemeinschaftsausstellung “<strong>ST</strong>.A.LL im SCHLOSS”<br />

im Schloss Ulmerfeld bei Amstetten zu sehen<br />

Hannah Feigl<br />

Wer ein Portrait, der Portraitmalerin<br />

Hannah Feigl, von sich oder einem<br />

seiner Lieben braucht…<br />

…meldet sich bei <strong>ST</strong>/A/R unter<br />

0664 521 33 07<br />

Foto: Nurith Wagner-Strauss<br />

Buch X - GOTTLOB <strong>ST</strong>/A/R 57<br />

Die Stadtgemeinde Amstetten und der Ver<br />

ein Schau-<strong>ST</strong>.A.LL<br />

laden zur Eröffnung und zum Besuch der Ausstellung ein.<br />

<strong>ST</strong>.A.LL im SCHLOSS 2<br />

DESIGN - GRAFIK - FOTOGRAFIE -<br />

MALEREI - OBJEKTE - VIDEO<br />

Samstag, 23. August 2008 - 14 Uhr<br />

Schloss Ulmerfeld<br />

Begrüßung :<br />

OV Egon Brandl<br />

Zur Ausstellung spricht :<br />

Univ. Pr<br />

of. Manfred Wagner<br />

Eröffnung :<br />

NR Uli Königsberger-Ludwig<br />

15 Uhr : „DU NIX ÄRGAN” im Schlosshof<br />

16:30 : Livemusik mit<br />

VORM VI : Golser, Küblböck...<br />

SCRAP LAP : Fuks, Kunzmann, Sinowatz<br />

SHINEFORM : Edlinger, Kagerer, er, Bruckmayer<br />

Öffnungszeiten:<br />

Fr. 15 - <strong>19</strong> Uhr<br />

Sa., So. und Feiertage: 10 - 12 Uhr & 14 - 17 Uhr<br />

Werner Maria Klein<br />

die Portraitmalerei von<br />

HannaH Feigl<br />

Paul Cézanne: ... ich habe die „Natur“ kopieren<br />

wollen, das jedoch nicht<br />

gelingen wollte – war aber sehr froh bemerkt<br />

zu haben, dass sich die Sonne nicht darstellen<br />

ließ, sondern nur durch Farbe als Äquivalent<br />

repräsentieren.<br />

Die Idee des Portraits wird durch die virtuos<br />

vorgetragene Malerei der Künstlerin, die nach<br />

den eigenen Gesetzmäßigkeiten des von Ihr<br />

gewählten Bildaugbaues, den überkommenen<br />

Vergleich zwischen Darstellung und Vorbild<br />

beziehungsweise Modell vergessen macht, ohne<br />

jedoch dabei eine altmeisterliche naturalistische<br />

Virtualität zu bedienen, wenngleich zuweilen<br />

die Sterilität der Photografie als ergänzendes<br />

Darstellungsmedium für den eigentlichen<br />

kreativen Gestaltungsprozess der Kunstgenese,<br />

wie schon seit Ende des <strong>19</strong>. Jh. bei allen<br />

wesentlichen Portraitmalern der europäischen<br />

Kunstgeschichte sehr rasch üblich, dienstbar<br />

gemacht.<br />

Die abgebildete Realität wird durch die<br />

künstlerisch verdichtete selbstrepräsentative<br />

Bildrealität erweitert, die bei Hannah Feigl<br />

der bloßen Abbildfunktion enthoben, obwohl<br />

die komplexe unverfremdete Wesenhaftigkeit<br />

der Dargestellten weiterhin im Mittelpunkt<br />

bleibt, in der Lage ist, die unqualifizierte<br />

Unterscheidung in „abstrakte“ oder<br />

„gegenständliche“ Kunst als nur irreführend<br />

und gleichsam lästig simplifizierende leere<br />

Rhetorik zu überwinden, um den immanenten<br />

Eigenwert der Malerei (Farben, Nichtfarben,<br />

Formen, Licht und Schatten - Linien und<br />

Flächen werden vom Darstellungsmittel<br />

zum Gestaltungsmittel ... ) wirklich<br />

begehbare philosophische Räume für beseelt<br />

gemalte Psychogramme der portraitierten<br />

Persönlichkeiten, ergo „Der ans Licht<br />

gebrachten“ (lat. pro-trahere „hervorziehen;<br />

ans Licht bringen“), zu eröffnen.<br />

Bedingt durch die in Mode gekommene<br />

„Auftragsmalerei“ im 17. Jh. haben sich<br />

beinahe alle Maler von Bedeutung der<br />

europäischen Kulturgeschichte mit den<br />

mannigfaltigsten Formen der überaus<br />

Hochdotierten Porträtmalerei befasst, wobei<br />

diese Tatsache dem Genre eine enorm<br />

innovative Darstellungsvielfalt eröffnete..<br />

Diese Darstellungsvielfalt fremdrepräsentativer<br />

Bildprogramme offenbarten jedoch der<br />

Künstlerin Hannah Feigl bereits in frühen<br />

Jugendtagen, einen gangbaren Weg zu<br />

Ihrer eigenen assoziativen und gleichsam<br />

lebensnahen Portraitinterpretation, die private<br />

und intime Wesenszüge der Porträtierten aus<br />

der trivialen Unbewusstheit des Alltages in den<br />

geschützten Raum der Kunst zu transponieren<br />

vermag (...).<br />

Hannah Feigl - immerzu „das wirkliche Leben“<br />

im Auge behaltend, gebiert die Künstlerin mit<br />

Ihrer feinmaschig vertexteten Formensprache,<br />

die jedoch nicht moralisierend eingreift, da<br />

Ihrer eigenen aparten Wirklichkeit verpflichtet,<br />

einen Lichterfüllten Farbenklangraum, in<br />

dem die „Freiheit der Kunst“ als Gastgeber<br />

versucht ist, der Würde des Menschen, also<br />

der Sinnerfüllung jeglichen künstlerischen<br />

Strebens, ein platonisches Gastmahl der Ideen<br />

auszurichten.<br />

Maurice Denis 1890: „Man erinnere sich<br />

daran, dass ein Bild, bevor es ein Schlachtross,<br />

eine nackte Frau oder irgendeine Anekdote<br />

ist, seinem Wesen nach eine ebene Fläche<br />

ist, bedeckt mit Farben in einer bestimmte<br />

Ordnung.


58 <strong>ST</strong>/A/R<br />

Buch X - GOTTLOB Nr. <strong>19</strong>/2008<br />

Bauunternehmung GRANIT Gesellschaft m.b.H. • A-8022 Graz, Feldgasse 14 • Tel.: +43 316 / 27 11 11 – <strong>19</strong> • www.granit-bau.at<br />

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Tel. 01 / 9 82 36 01 -632<br />

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Nr. <strong>19</strong>/2008 Buch X - GOTTLOB<br />

<strong>ST</strong>/A/R 59<br />

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03.09.2008 9:08:56 Uhr


Städteplanung / Architektur / Religion Buch X - GOTTLOB <strong>ST</strong>/A/R 61<br />

GEORG GOTTLOB WITTGEN<strong>ST</strong>EINPREI<strong>ST</strong>RÄGER<br />

Interview Heidulf Gerngross und Hofstetter Kurt mit Georg Gottlob<br />

HG: Die Verbindung Gottlob Georg und Gottlob Frege mag<br />

einen guten Einstieg für unser Gespräch geben. Kannst du<br />

deine Strategie, komplexe Probleme zu lösen, die du an<br />

einfachen Beispielen zeigst, erklären und kurz umreißen,<br />

wie du deine wissenschaftliche Arbeit ins Praktische<br />

umsetzt?<br />

GG: Meine allgemeine Strategie sowohl für die theoretischen<br />

Forschungen als auch für die Praxis besteht darin, Struktur<br />

in Unstrukturiertes und Unüberschaubares zu bringen,<br />

z.B. in schwierige kombinatorische Probleme, aber auch in<br />

in Webinhalte. Was im Web gezeigt wird, sind noch nicht<br />

strukturierte Daten, sondern einfach ein Layout. Wenn man<br />

diese Daten verarbeiten will, braucht man Struktur. Bei<br />

sehr komplexen und zeitaufwendigen Aufgaben, das sind<br />

Probleme, die eine sehr hohe computationale Komplexität<br />

besitzen, kann Strukturierung ebenfalls helfen. Das ist<br />

etwas anderes als Systemkomplexität. Die computationale<br />

Komplexität eines Problems beschreibt, welche Ressourcen,<br />

wie viel Speicherplatz und Zeit ein Computer braucht,<br />

um ein Problem zu lösen. Schwierige Probleme können<br />

dadurch gelöst werden, dass man Struktur findet, das muss<br />

allerdings auch automatisch geschehen, es bedarf spezieller<br />

Algorithmen zum Erkennen von Struktur. Insofern arbeite<br />

ich für verschiedenste Anwendungsbereiche daran, Struktur<br />

automatisch zu erkennen und für die Problemlösung zu<br />

verwenden.<br />

HG: Das beginnt bei so einfachen Dingen, wie der Färbung<br />

einer größeren Agglomeration von Ländern auf einer<br />

Landkarte mit nur drei Farben.<br />

GG: Richtig. Ein einfach zu erklärendes, in Wirklichkeit<br />

jedoch ein sehr schwieriges Problem ist zum Beispiel das<br />

Dreifärbbarkeitsproblem. Man hat eine noch nicht gefärbte<br />

Landkarte, die man mit drei Farben, z.B. Rot, Blau und<br />

Grün, oder Orange, Rosa und Grün, so färben will, dass<br />

zwei aneinander angrenzende Länder verschiedene Farben<br />

haben. Das ist mit drei Farben nicht immer möglich, mit<br />

vier hingegen schon. Dieses Färbungsproblem ist sehr<br />

kompliziert. Wenn man beginnt, ein Land orange zu färben,<br />

das nächste rosa, das übernächste grün usw. stößt man<br />

irgendwann an die Schwierigkeit, dass ein Land, das eine<br />

Grenze mit einem orangen, rosafarbenen und grünen hat<br />

und daher nicht mehr korrekt gefärbt werden kann. Wenn<br />

ich die Methode verwende, dass ich einfach beginne, ein<br />

Land zu färben und solange weiterfärbe, bis ich nichts mehr<br />

färben kann, muss ich Backtracking machen, d.h. ich muss<br />

zurückgehen und umfärben. Das kann sehr lange dauern,<br />

weil man alle Möglichkeiten, vor allem viele unnütze, die in<br />

der Praxis nicht zum Tragen kommen, durchspielen kann.<br />

Dieses Verfahren kann durch Problemzerlegung insofern<br />

verbessert werden, dass man zumindest für viele Fälle, für<br />

die eine Färbung zu finden ist, diese auch tatsächlich leicht<br />

finden kann. Das Schwierige an solchen Problemen sind die<br />

Zyklen und meine Beobachtung in der ganzen Informatik<br />

ist: das Böse im Sinne von hoher Komplexität liegt in den<br />

Zyklen. Immer wenn man etwas nicht berechnen kann,<br />

sind „teuflische“ Zyklen daran schuld.<br />

KH: Ist nicht der Zyklus, z.B. der Rotationszyklus der Erde<br />

oder der Tages- und Nachtzyklus, gerade das Moment jeder<br />

Struktur? D.h. dieser wiederholbare Zyklus einer Struktur,<br />

die man anwenden kann, ist auch in gewissem Maße ein<br />

Zyklus.<br />

GG: Das ist richtig, aber das ist ein überschaubarer und sehr<br />

einfacher Zyklus. Wenn Zyklen nicht mehr überschaubar<br />

sind, wenn es sehr viele Zyklen in einer Struktur gibt, ist die<br />

Struktur nicht mehr kognitiv erfassbar. Durch den Zyklus<br />

entwindet sich die Struktur unserer kognitiven Anschauung<br />

und ist auch für den Computer kaum kognitiv erfassbar. Zwar<br />

hat der Computer hat per definitionem keine Kognition, aber<br />

wenn die verschiedenen Lösungen oder Lösungskandidaten<br />

in einem Lösungsraum eines Problems vergleichbar sind<br />

und in vernünftiger Zeit miteinander verglichen werden<br />

können, kann man in Anlehnung an einen Menschen,<br />

der eine Situation erfasst, sagen, ein Computer erfasst<br />

ein Problem kognitiv. Durch die Zyklen gibt es jedoch<br />

exponentiell viele mögliche Lösungen, sodass ein Computer<br />

dies nicht mehr in vernünftiger Zeit schaffen kann alle zu<br />

betrachten. Man kann jedoch oft Probleme so zerlegen, dass<br />

nur mehr kleine Teile zyklisch sind und im Wesentlichen<br />

eine azyklische, baumartige Struktur herauskommt. Das<br />

nennt man eine Baumzerlegung oder tree decomposition<br />

auf Englisch. Diese Baumzerlegung ist die Zerlegung<br />

einer ursprünglich komplexen oder komplex anmutenden<br />

Struktur in eine einfachere, aufgrund derer man das Problem<br />

lösen kann. Nicht jedes Problem oder jede Instanz eines<br />

Problems lässt sich in das Korsett einer Baumzerlegung<br />

zwingen, es funktioniert aber für viele Probleme, die sich<br />

uns in der Realität darbieten und deren Lösung man nicht<br />

auf Anhieb erkennen kann. Die Baumzerlegung wurde in<br />

der Graphentheorie in der Mathematik eingeführt und wird<br />

intensiv in der Informatik zur Problemlösung eingesetzt. Es<br />

gibt jedoch viele Probleme, die nicht so leicht als Graphen<br />

darzustellen sind wie unser Färbbarkeitsproblem. Hier hatten<br />

wir zunächst eine Landkarte, die wir in eine mathematische<br />

Struktur, und zwar einen Graphen umgewandelt haben.<br />

Ein Graph besteht aus mehreren Punkten, die mit Strichen<br />

verbunden sind, ein Straßennetz kann ebenfalls als Graph<br />

dargestellt werden. Wir haben also unser ursprüngliches<br />

Problem in eine mathematische Struktur umgewandelt,<br />

diese weiter in einen Baum zerlegt und aufgrund dieser<br />

Baumzerlegung eine Lösung gefunden, die Lösung wieder<br />

auf die mathematische Struktur und von der mathematischen<br />

Struktur auf die Landkarte übertragen (Bild 1). Leider benötigt<br />

man manchmal kompliziertere mathematische Strukturen<br />

Bild 1<br />

X1 X2 X3 X4 X5<br />

X8<br />

X3<br />

X6<br />

X7<br />

X4<br />

X5<br />

X3 X4 X2<br />

X3 X2 X1<br />

X3 X5 X6 X8<br />

X5 X6 X7 X8<br />

tree decomposition<br />

als nur Graphen. Eine wichtige Struktur, die immer wieder<br />

in Erscheinung tritt, ist der Hypergraph. Ein Hypergraph<br />

besitzt nicht nur sogenannte Knoten - das sind die Punkte<br />

- und Kanten, die Linien zwischen den Punkten, sondern<br />

Knoten und Hyperkanten. Eine Hyperkante kann aus mehr<br />

als zwei Knoten bestehen. Es gibt zahlreiche Probleme,<br />

deren Struktur eher Hypergraphen ähnelt als Graphen, z.B.<br />

ein Kreuzworträtsel. Jedes Feld, in das ich einen Buchstaben<br />

eintragen kann, wäre ein Knoten und jedes Wort wäre<br />

eine Hyperkante, denn jedes Wort verbindet mehrere<br />

Knoten. Auch beim Kreuzworträtsel machen die Kreise<br />

die Komplexität aus. Wenn wir annehmen, dass jemand<br />

bereits über das Wissen verfügt, um ein Kreuzworträtsel<br />

zu lösen, oder wenn man ihm die möglichen Wörter, die<br />

man in die Felder eintragen kann, vorgibt - wobei es für<br />

jedes Feld natürlich verschiedene Möglichkeiten gibt - ist<br />

das Rätsel aufgrund der Kreise immer noch schwer lösbar.<br />

Circulus viciosus, der Kreis ist immer das Böse, das die<br />

Komplexität erhöht. Der Kreis im Kreuzworträtsel beginnt<br />

mit dem Ausfüllen eines Wortes, des nächsten usw., wenn<br />

man wieder zurückkommt, passt das Ganze möglicherweise<br />

nicht zusammen. Es ist ein teuflischer Kreis zur Wirkung<br />

gekommen. Bild 2 zeigt ein Kreuzworträtsel und den<br />

dazugehoerigen Hypergraphen.<br />

KH: Man ist immer versucht, den Kreis zu schließen.<br />

Bild 2<br />

ExampleofCSP:CrosswordPuzzle<br />

1h: P A R I S 1v: L I M B O<br />

P A N D A<br />

L I N G O<br />

L A U R A<br />

P E T R A<br />

A N I T A<br />

P A M P A<br />

P E T E R<br />

hyperedge<br />

and so on<br />

hypergraph<br />

GG: Aber dort, wo man versucht, ihn zu schließen, passt es<br />

oft nicht zusammen.<br />

KH: Durch tree decomposition sind solche Kreise dann doch<br />

lösbar.<br />

GG: Ja, wobei man beim Färbungsproblem zunächst eine<br />

tree decomposition oder Baumzerlegung vornimmt, jedoch<br />

etwas anderes braucht, weil es sich nicht um einen Graphen,<br />

sondern Hypergraphen mit Hyperkanten handelt. Wir haben<br />

eine neue Methode, die sogenannte Hyperbaumzerlegung<br />

eingeführt, die die Möglichkeit bietet, auch bei strukturell<br />

komplizierteren Probleme zu relativ schnellen und guten<br />

Lösungen in vernünftiger Zeit zu kommen. Das funktioniert<br />

nicht für jedes, aber für viele dieser Probleme.<br />

HG: Wofür kann man die Hyperbaumzerlegung noch<br />

brauchen?<br />

GG: Hypergraphen treten nicht nur bei Kreuzworträtseln,<br />

sondern auch bei vielen anderen Problemen auf, die in der<br />

nächsten Zeit für Anwendungen interessanter werden, z.B.<br />

für combinatorial auctions, kombinatorische Versteigerungen.<br />

Dies sind verbesserte Auktionen, bei denen ein Bieter über<br />

mehr Optionen verfügt. Er kann nicht nur auf Einzelobjekte<br />

ein Gebot abgeben, sondern gleichzeitig auf mehrere<br />

Objekte bieten. Er kann eine bestimmte Summe für mehrere<br />

Objekte bieten und bekommt dann entweder alle für diesen<br />

Betrag oder gar keines. Bild 3 zeigt einen Hypergraph einer<br />

Bild 3<br />

CombinatorialAuctions<br />

105<br />

50 57<br />

bid hypergraph<br />

h<br />

40<br />

35<br />

kombinatorischen Auktion, den sogenannten bid hypergraph,<br />

durch den die einzelnen Gebote, die sogennanten bids,<br />

dargestellt sind. Hier werden z.B. Tassen und Teekannen<br />

feilgeboten, eine Teekannen-Sammlerin möchte z.B. diese<br />

drei Teekannen haben und bietet 105 Euro dafür. Ein anderer<br />

potentieller Käufer möchte nur eine der Kannen plus einige<br />

Tassen haben und bietet nur 50 Euro. Wieder ein anderer<br />

möchte wieder eine andere Kanne mit einer anderen Tasse<br />

usw. So können verschiedenste Gebote formuliert werden.<br />

KH: Das heißt die Eindimensionalität wird verlassen. Es gibt<br />

bei einer Auktion nicht nur immer ein Ding, das mühsam<br />

ersteigert und dann kombiniert werden muss, sondern ich<br />

kann meinen Wunsch in einer Kombination, in einem Paket<br />

äußern.<br />

GG: Genau, in a package. Das ergibt nun die Schwierigkeit,<br />

dass diese Pakete überlappend sein können. Wenn sich zwei<br />

Pakete von verschiedenen Bietern überlappen, kann nur einer<br />

zu den Gewinnern gehören. Im Gegensatz zu klassischen<br />

Auktionen besteht hier das Problem, die Gewinner<br />

überhaupt zu eruieren. Es muss Optimalitätskriterien geben.<br />

Ein mögliches Kriterium wäre z.B., das Versteigerungshaus<br />

möchte den größtmöglichsten Gewinn machen. Dann<br />

müsste man eine Menge von Hyperkanten bestimmen, die<br />

nicht überlappend sind und die maximale Gesamtsumme<br />

gewähren. Dies ist ein sehr schwieriges Problem, das<br />

ebenfalls durch Hyperbaumzerlegung vereinfacht und<br />

gelöst werden kann. Wir können mit unserer Methode viele<br />

sogenannte NP-schwere Probleme relativ gut lösen, wie sie<br />

hier auf Bild 4 „Classification of decidable problems“ zu<br />

sehen sind. Es zeigt verschiedene Klassen von Problemen<br />

entsprechend ihres Schwierigkeitsgrades. Tractable<br />

Probleme sind solche, die in einer „vernünftigen“, d.h.<br />

polynomellen Zeit lösbar sind. Wenn das Problem bestimmt<br />

groß ist, werden „nur“ quadratisch viele Schritte für seine<br />

Lösung benötigt. Intractable Probleme dagegen sind nur in<br />

exponentieller Zeit zu lösen, man kann beweisen, dass diese<br />

Probleme nicht effizient lösbar sind. Dazwischen liegen die<br />

NP-vollständigen Probleme – NP t ist die Abkürzung von<br />

„nichtdeterministisch polynomell“. Diese Probleme wären<br />

gut lösbar, wenn man gut raten könnte. Nichtterminismus<br />

heißt raten. Leider können wir nicht alles erraten, da es<br />

exponentiell viele Möglichkeiten gibt.<br />

KH: Und was macht man, wenn ein Problem nicht zerlegbar<br />

ist?<br />

GG:Wenn die Hyperbaumzerlegung und ähnliche<br />

Methoden nicht ausreichen, um schwierige Probleme<br />

zu lösen, dann gibt es andere Lösungsmethoden, die in<br />

vielen Fällen zu einer optimalen Lösung führen können,<br />

sofern es eine solche überhaupt gibt. Diese Verfahren<br />

nennt man randomized local search methods, also Methoden<br />

der zufallsgesteuerten lokalen Suche. Ihre Anwendung<br />

erfordert bestimmte Voraussetzungen. Wenn ich einen<br />

Lösungsraum mit sehr vielen Lösungskandidaten - das<br />

sind mögliche Lösungen, die aber nicht notwendigerweise<br />

Lösungen sind - habe, muss ich diese bewerten, d.h. ich<br />

muss sagen können, wie gut oder wie schlecht ich bei einer<br />

Lösung bin und ob dies überhaupt schon eine Lösung ist.<br />

Man braucht eine Bewertungsfunktion. Soll z.B. ein Graph<br />

mit drei Farben gefärbt werden, wäre die Bestimmung, wie<br />

viele Kanten bereits richtig gefärbt sind, sodass an beiden<br />

Endpunkten verschiedene Farben sind, eine numerische<br />

Bewertungsfunktion. Wenn alle Kanten richtig gefärbt sind,<br />

ist es eine Lösung. Wenn ich bei einem Lösungskandidaten<br />

in einem Lösungsraum bin, kann ich möglicherweise<br />

zu einem besseren hingelangen, indem ich durch kleine<br />

Änderungen, durch kleine Umfärbungen möglicherweise<br />

38<br />

Winner determination is intractable (NP-hard)<br />

INTR<br />

RAC CTA ABLE<br />

Bild 4<br />

weighted set packing problem<br />

Classification of decidable problems<br />

INTRACTABLE PROBLEMS<br />

EPROVABLY<br />

• Theory of the Real Numbers<br />

• Many tasks in automated program verification<br />

PRESUMABLY INTRACTABLE PROBLEMS<br />

NP-complete<br />

• Packing<br />

1000s of practically<br />

relevant problems,<br />

• Traveling Salesperson<br />

many new challenges<br />

• Map coloring<br />

TRACTABLE PROBLEMS (polynomial time)<br />

• Matrix multiplication<br />

• Shortest path<br />

• Linear programming<br />

mehr Kanten richtig färbe und somit meine Lösung<br />

verbessert habe. Ich kann aber auch zu einem lokalen<br />

Optimum gelangen, das nicht mehr verbesserbar ist. In<br />

diesem Fall springt man völlig zufällig irgendwo anders im<br />

Lösungsraum hin. Das ist die chaotische Phase: Ich springe<br />

zu irgendeinem Punkt im Lösungsraum und gehe dann<br />

wieder zu einem systematischen Optimum, solange bis eine<br />

zufriedenstellende oder sogar optimale Lösung gefunden ist.<br />

Meine Theorie ist, dass diese Methode, die in der Informatik<br />

schon sehr lange und erfolgreich angewendet wird, schon<br />

vor langer Zeit durch die Evolution entwickelt wurde. Auf<br />

diesen Gedanken kam ich durch die Beobachtung von<br />

Fliegen. Ich beobachtete Fliegen bei dem Versuch aus<br />

einem Raum mit mehreren offenen und geschlossenen<br />

Fenstern hinauszufinden. Die Fliege versucht zunächst<br />

einmal lokal zu optimieren und fliegt zum nächstliegenden<br />

Fenster. Wenn dies geschlossen ist, wird sie einige Zeit das<br />

Fenster absuchen und sich überzeugen, dass sie über das<br />

lokale Optimum nicht hinaus kann. Nach einiger Zeit wird<br />

sie vom Fenster weg mitten in den Raum fliegen und wirre<br />

Flugrouten vollziehen. Dies nenne ich den chaotischen Teil<br />

der Suche, die meiner Meinung dieser zufallsgesteuerten<br />

Suche entspricht. Die Fliege beruhigt sich dann wieder<br />

und fliegt geradlinig das nächste Fenster an, dies kann das<br />

gleiche wie zuvor sein, denn die Suche ist ja zufallsgesteuert,<br />

aber nach einiger Zeit wird sie das richtige Fenster finden.<br />

So gelangen Fliegen aus einem Raum.<br />

Man könnte sagen, dieses Verhalten sei irrational, ist es<br />

aber nicht. Es ist genauso wenig irrational, wie ein Kind, das<br />

ein Haus aus Bierdeckeln oder Blöcken bauen möchte und,<br />

wenn es zu einem dead end kommt und ansteht, das Haus<br />

zusammenschmettert und von Neuem aufbaut. Dies ist viel<br />

vernünftiger als weiterzumachen, wenn man die Situation<br />

kognitiv nicht durchschaut. Ein Erwachsener würde dies<br />

kognitiv durchschauen und die Eltern werden schimpfen.<br />

Aber das Kind kommt viel schneller zu einer Lösung, wenn<br />

es das schlecht begonnene Haus zerstört und ein neues<br />

aufbaut. Durch diesen Prozess lernt man auch, wie man zu<br />

einer richtigen Lösung kommt. So wie die Evolution selbst<br />

immer den Zufall benötigt und durch Zufall die Kreaturen<br />

immer wieder verbessert.<br />

KH: Aber auch Distanz. Man muss sich auch immer wieder<br />

distanzieren von dem Lokalen.<br />

GG: Wenn ich nur das Lokale vor Augen habe, gelange ich<br />

zu einem lokalen Optimum und nicht weiter.<br />

GH: Kann man sagen, dass die Fliege einen Adrenalinstoß<br />

erfährt und wütend herumfliegt …<br />

GG: Wenn man dies anthropomorph so ausdrücken will,<br />

denn wir wissen nicht, ob Fliegen so etwas wie Wutempfinden<br />

haben können, wir müssen ja vom Menschen auf die<br />

Fliege schließen. Wir können dies mit einer bestimmten<br />

Berechtigung, weil vieleMechanismen ähnlich sind, z.B.<br />

hat man festgestellt, dass Fliegen genauso wie Menschen<br />

Adrenalin produzieren, in bestimmten Situationen mehr<br />

als in anderen. Meine Vermutung ist, das habe ich jedoch<br />

noch nicht bewiesen. Wir wollen in einem weiteren Projekt<br />

untersuchen, ob Adrenalin daran schuld ist. Wenn eine<br />

Fliege bei einem geschlossenen Fenster nicht weiterkommt,<br />

wird möglicherweise wie beim Menschen aus einem Ärger<br />

ähnlichen Mechanismus Adrenalin ausgeschüttet, und es ist<br />

bekannt, dass Adrenalin durch Bewegung abgebaut werden<br />

kann. D.h. die Fliege muss in eine Bewegungsphase treten,<br />

danach setzt wieder das „rationalere“ Verhalten ein, die<br />

Fliege sucht die nächste Route zum nächsten Fenster und<br />

fliegt dem größten Gradienten des Lichtes entgegen, und das<br />

kann zufällig das richtige Fenster sein. Dieser Mechanismus<br />

ist meiner Meinung im gesamten Leben vorhanden. Wenn<br />

wir z.B. einen Schlüsselbund ordnen wollen und das Ganze<br />

zu komplex ist, schütteln wir ihn durch und mit ein bisschen<br />

Glück sind die Schlüssel danach geordnet. Aber auch alles,<br />

was mit Astrologie, Orakel und Horoskop zusammenhängt,<br />

ist meiner Ansicht nach gar nicht so irrational, wie die<br />

meisten Leute deuten, sondern haben ihre Berechtigung,<br />

denn sie helfen. Sie haben zwar keinerlei Bedeutung, denn<br />

sie sind rein zufällig.<br />

HG: Aber es bringt jemanden auf eine andere Ebene.<br />

GG: Richtig, es bringt jemanden aus einer Sackgasse heraus.<br />

Wenn ein Mensch z.B. unglücklich verliebt ist, befindet er<br />

sich in einer Sackgasse, in der man bleiben könnte. Aber<br />

er oder sie wird aus Verzweiflung zu einem Wahrsager<br />

getrieben oder schaut sich das Horoskop an, wo irgendein<br />

Blödsinn drinnen steht, etwas völlig Absurdes, Zufälliges,<br />

Arbiträres, und dieses Arbiträre, z.B. „achten Sie morgen<br />

auf eine grün angezogene Person“, hilft einem, sich von<br />

seinem auswegslosen Target abzuwenden und Neues zu<br />

suchen, auch wenn u.U. das Neue sich wieder als nicht<br />

brauchbar herausstellt.<br />

KH: Das ist auch beim Arztbesuch so, manchmal genügt<br />

es, einmal an der Arzttür zu schnuppern und ein Placebo<br />

einzunehmen und eine andere Situation wie Zuhause zu<br />

haben. Die Abwendung von der persönlichen Umgebung,<br />

das Abstandgewinnen und Herauskommen aus dem<br />

eigenen Orbit genügt, um den Heilungsprozess anzuregen.<br />

GG: Generell wäre das auch eine zusätzliche Teilerklärung<br />

für Wut. Einige Formen der Wut im Menschen sind sehr<br />

positiv. Wut wird immer als etwas Schlechtes dargestellt.<br />

Hero<br />

Georg Gottlob ist Professor für „computing science“ an der Oxford University und an der TU Wien.<br />

Architekt Gerngross sagt, er kann sich über nichts mehr<br />

ärgern, aber da kann ich nur sagen, er ärgert sich nur deshalb<br />

über nichts, weil er bereits ein globales Optimum erreicht<br />

hat. Wer sozusagen einmal das Nirwana erreicht hat …<br />

GH: Du hast ja wirklich Versuche mit Fliegen gemacht …<br />

GG: Wir haben vor längerem Versuche mit Fliegen gemacht<br />

und wollen jetzt ein weiteres Projekt durchführen.<br />

KH: Wenn die Wut impliziert wegzugehen, aber es kann<br />

auch sein, dass die Wut impliziert, sich festzubeißen.<br />

GG: Ich glaube, wenn man sich festbeißt, ist man nicht<br />

wütend. Jemand ist nicht dauernd wütend, die Wut ist<br />

etwas Aufbrausendes, das dann wieder weggeht. Wenn ich<br />

verbissen bin, ist es nicht eine andauernde Wut, sondern ein<br />

Wahn. Zorn und Wut tauchen kurzfristig auf und müssen<br />

abgebaut werden, wenn sie nicht abgebaut werden können,<br />

kann es sich in etwas anderes Unangenehmes verwandeln.<br />

KH: Also kann man sagen, dass dieser emotionale Ausbruch,<br />

wie das Auf den Tisch Hauen, etwas ganz Wesentliches ist.<br />

HG: Es gibt Leute, die das sicher erkannt haben. Es gibt z.B.<br />

die strategische Wut. Ich glaube, sogar bei der Zaha Hadid,<br />

die kommt z.B.herein, fängt einmal wutig an, schreit alle<br />

zusammen und aus diesem Wutzustand gelangt sie auf eine<br />

neue Ebene.<br />

GG: Die strategische Wut ist ein wunderbarer Ausdruck, der<br />

soeben vom Heidulf kreiert wurde.<br />

HG: Ich habe dies einmal beim Herman Czech gesehen, der<br />

immer mir als ruhiger und besonnener Mensch erschienen<br />

ist, der einmal, weil ein kleines Ding nicht funktionierte,<br />

plötzlich die Wut rausgelassen hat, wo ich rückblickend<br />

dachte, dass er sie strategisch angewandt hat, um Ordnung<br />

zu schaffen.<br />

KH: So ein Ventil braucht jeder Mensch, es staut sich ja<br />

auch etwas auf.<br />

GG: Man kann nicht sagen, dass die Wut nur diese Funktion<br />

hat, zu einer besseren Lösung zu gelangen, aber ich denke,<br />

das ist eine der wesentlichen Funktionen.<br />

HG: Was mich interessiert, ist deine Arbeit, die über<br />

die Lösung komlexester Systeme wieder zum Menschen<br />

zurückgeht, um seine Gefühlswelt erklären zu können.<br />

Hier scheint mir ein Weg zu sein, der auch Gefühlswelten<br />

mathematisch erklären kann.<br />

KH: Und evolutionäre Messages, Knowledge.<br />

GG: Richtig, nur müssen wir dazu noch viele Versuche dazu<br />

machen, um dies wirklich zu beweisen.<br />

GH: Da brauchen wir noch eine Menge Fliegen. Dieser<br />

Tisch hier, auf dem lauter Wespen auf rotem Hintergrund<br />

abgebildet sind z.B., ist so entstanden, dass ein Künstler in St.<br />

Peterburg beim Anziehen seiner Tochter von einer Wespe in<br />

die Eier gestochen wurde. Seitdem malt er Wespenbilder.<br />

Aber ich möchte zu der Frage kommen, ob wir aus<br />

unseren Dingen, die der Hofstetter Kurt und ich und du<br />

als Wissenschaftler machen, ein gemeinsames Feld finden<br />

können, um unsere Kapazitäten zu nutzen und mit deinen<br />

zufälligen Strukturerklärungen zu etwas zu kommen, was<br />

vielleicht ein Feld ist, das etwas Neues kreiert. Ob es aus<br />

dem Raum, aus dem die ganzen Worte und Bilder auf uns<br />

einschießen, so etwas wie eine automatische mitteilenswerte<br />

Mitteilung aus dem Feld gibt, so etwas, wo wir den Begriff<br />

„Die vollautomatische Zeitung“ kreiert haben.<br />

GG: Ich möchte ein wenig ausholen, um dahin zu<br />

kommen. Wir haben uns ja auch mit der Strukturierung<br />

von Internetinhalten beschäftigt. Die Daten im Internet<br />

sind meistens in HTML oder Flash programmiert, es sind<br />

eigentlich keine Daten, sondern nur ein Layout. HTML<br />

ist eine Sprache des Layouts. Das Web selbst ist für den<br />

menschlichen Betrachter bestimmt und der Sinn dieser<br />

Daten wird erst durch das menschliche Gehirn erfasst,<br />

meaning is in the eye of the beholder. Ein Computerprogramm<br />

braucht jedoch strukturierte Daten, um zu arbeiten, d.h.<br />

Daten, wo bei jedem Datum dabei steht, was es ist. Wir haben<br />

ein Tool entwickelt, das mittlerweile von einer Startup-Firma<br />

weiterentwickelt und vermarktet wird. Die Firma heißt Lixto<br />

(www.lixto.com). Diesem Tool kann man beibringen, dass es<br />

von verschiedenen Webseiten – man muss natürlich wissen,<br />

welche Webseiten dies sind, es ist keine Suchmaschine, die<br />

ins ganze Web geht – Daten und Texte zusammenträgt<br />

und diese in ein strukturiertes Format umwandelt. Dieses<br />

Tool habe ichursprünglich mit einigen Mitarbeitern und<br />

Studenten an der TU Wien entwickelt. Die Kunden der<br />

Firma Lixto kommen einerseits aus dem Bereich der<br />

Automobilzulieferindustrie. Diese sind verpflichtet, täglich<br />

auf sehr vielen Webseiten zu nachzusehen, ob es etwas<br />

Neues gibt, denn die Automobilhersteller, die sogenannten<br />

OEMs, richten für jeden Zulieferer eine Seite ein, und es gibt<br />

zusätzlich Seiten, die für alle gemeinsam interessant sind, wo<br />

z.B. neue Anbote oder Ausschreibungen usw. stehen. Wenn<br />

ein Zulieferer 30-50 OEMs, große Automobilhersteller, als<br />

Kunden hat, müssen die Angestellten jeden Tag Hunderte<br />

von Webseiten besuchen. Sogar Reklamationen werden nur<br />

auf einer einzigen Webseite dargestellt. Wenn ein Fehler<br />

gemacht wird, kann dies viel Geld und Zeit kosten. Und es ist<br />

ein Fehler anfälliger Prozess, wenn jemand krank ist, kann<br />

oft einige Tage nicht auf die Webseite geschaut werden und<br />

man reagiert zu spät. Wir haben die Software Lixto entwickelt,<br />

die dies automatisch macht. Andere Kunden kommen aus<br />

der Tourismusbranche, z.B. große Internet-Reisebüros und<br />

Hotelvermittler (wie hotel.de), die ihren Onlinekunden eine<br />

Bestpreisgarantien geben. Diese Anbieter wollen natürlich<br />

wissen, ob sie wirklich den besten Preis haben und diesen<br />

gegebenfalls schnell anpassen können, falls jemand anderer<br />

das gleiche Hotel billiger verkauft. Das kann heute natürlich<br />

nur über das Web festgestellt werden, indem man alle<br />

anderen wesentlichen Anbieter und Konkurrenten abgrast,<br />

ihre Webseiten überwacht und automatisch jemanden<br />

notifiziert, der dann sein Angebot schnell ändern muss.<br />

KH: Vorausgesetzt, dass diese Webdaten als Preis identifiziert<br />

und in XML umgewandelt werden.<br />

GG: Genau. Wir bringen unserer Software bei, wie sie<br />

verschiedene Angebote von verschiedenen Webseiten<br />

identifizieren kann, was ist das Hotel, was der Preis, handelt<br />

es sich es überhaupt um dasselbe Hotel, usw. Sie vergleicht<br />

die Preise, und meldet sofort, wenn es eine Abweichung gibt,<br />

damit man rasch darauf reagieren kann und keine Pönale<br />

zahlen muss. Kommen wir nun zu unserer Idee zurück, ein<br />

gemeinsames Projekt zu starten. Wir wollen basierend auf<br />

der Lixto Software eine automatische Zeitung generieren,<br />

indem wir ein Programm entwickeln, das automatisch<br />

auf verschiedenste Webseiten navigiert , von dort Inhalte<br />

holt, diese miteinander kombiniert und verbindet, und<br />

ohne Zutun von Menschen eine Zeitung generiert. Die<br />

Kriterien, nach denen die Quellen ausgewählt werden, die<br />

Berwetungsfunktionen für Texte und Bilder, das Layout,<br />

sowie der Grad der Zufälligkeit werden wir gemeinsam<br />

festlegen, und dann so lange „tunen“, bis interessante<br />

Zeitungen generiert werden. Diese werdendann gedruckt.<br />

KH: Das heißt, dass du, Heidulf, bei deinen Ausgaben<br />

auf einen Knopf drückst und dieser Knopfdruck eine<br />

Momentaufnahme von dieser automatischen Zeitung<br />

generiert, und du hast ein Buch. Was mir schon sehr<br />

am Herzen liegt, ist, dass die qualitativen Inputs schon<br />

vertrauenswürdig sein müssen.<br />

HG: Du kannst ja Parameter reingeben, die das ganze Layout<br />

definieren.<br />

KH: Ich mache das mit meinen S/W Images, ich vertraue<br />

immer auf den Himmel, dass er keine bösen Daten gibt.<br />

GG: Der Dichand fürchtet sich schon mächtig vor diesem<br />

Projekt.<br />

Webseite: http://www.comlab.ox.ac.uk/people/Georg.Gottlob/


62 <strong>ST</strong>/A/R<br />

Buch X - GOTTLOB Nr. <strong>19</strong>/2008<br />

MARKO ZINK<br />

ES I<strong>ST</strong> SO<br />

analoge Fotografie<br />

12.9. bis 1.11.2008<br />

Einladung zur Vernissage<br />

Donnerstag, den 11.9.2008 um <strong>19</strong> Uhr<br />

Eröffnung der Ausstellung: Andrea Domesle<br />

Katalogpräsentation:<br />

Samstag, 11.10.2008 von 11 bis 14 Uhr<br />

Marko Zink, Andrea Domesle und<br />

Matthias Herrmann<br />

Die Ausstellung wurde Andrea Domesle<br />

und Matthias Herrmann kuratiert.<br />

Schleifmühlgasse 18, 1040 Wien/Vienna<br />

T: 0043 - 1 -920 77 78<br />

www.galerie-stock.net info@galerie-stock.net<br />

Öffnungszeiten Di - Fr 15 - <strong>19</strong> Uhr, Sa 11 - 15 Uhr<br />

Foto: © Max Lautenschläger<br />

Rz_plakat 2.qxd:Rz_plakat 14.07.2008 15:40 Uhr Seite 1<br />

HRDLICKA<br />

Der Titan und die Bühne des Lebens<br />

künstlerhaus<br />

karlsplatz 5<br />

1010 wien<br />

31. 7. – 21. 9. 2008<br />

täglich<br />

10 –18 uhr<br />

donnerstag<br />

10 – 21 uhr<br />

www.k-haus.at<br />

künstlerhaus<br />

Bruckberger<br />

the art of work


Nr. <strong>19</strong>/2008 Buch X - GOTTLOB<br />

<strong>ST</strong>/A/R 63<br />

Heidulf Sue<br />

H Y B R I D B E I N G S<br />

Analog/Digital Fotografie & Animation , Sue Sellinger<br />

Das Projekt ist ein<br />

kritischer Prozess der<br />

Auseinandersetzung mit<br />

bildgebenden und manipulativen<br />

Verfahren. Ausgehend von einer<br />

Serie analoger Portraits realer<br />

Personen entsteht eine Serie von<br />

digital konstruierten Gesichtern,<br />

welche als „gläserne Körper“ in<br />

Form von transparenten Bildern<br />

- weiterführend auch in einer<br />

surreal wirkenden Videoanimation<br />

- neuartige Gestalten annehmen.<br />

Lediglich ein einziges, digital<br />

optimiertes Portrait dient als<br />

Vorlage, das „Master-Face“.<br />

Portraitiert werden Personen<br />

unterschiedlichen Alters,<br />

Geschlechts und Hautfarbe.<br />

Die medial geprägte Umwelt<br />

unserer Zeit, fordert das „Ich“<br />

unweigerlich dazu auf, sich<br />

einer konstruierten Wirklichkeit<br />

zu stellen, die durch Vorgabe<br />

surrealer „Modelle von Ästhetik“<br />

maßgeblich den ästhetischen<br />

Zeitgeist mitbeinflusst. Der<br />

natürliche Akttraktor „Schönheit“<br />

ist Basis, um neue Modelle der<br />

ästhetischen Möglichkeiten zu<br />

kreieren.<br />

Heike Widl<br />

Die ästhetische Dimension einer<br />

durch digitale Bildmanipulation<br />

geprägten Bilderwelt lässt es<br />

dem Betrachter nicht mehr<br />

zu, ausschließlich der eigenen<br />

Antizipationskraft zu vertrauen.<br />

Die uns umschwärmende, mediale<br />

Bilderflut überlässt einem selbst<br />

nicht mehr ausschließlich die<br />

Entscheidung, ob eine Darstellung<br />

tatsächlich real ist oder nicht und<br />

schafft dadurch eine Illusionen von<br />

Wirklichkeit.<br />

Die Darstellung des menschlichen<br />

Körpers, im weitesten Sinne, ist<br />

davon massiv beeinflusst und<br />

schafft die Ausgangsbasis für das<br />

Projekt. Es ist der Versuch, die<br />

Grenzen der realen, ästhetischen<br />

Qualität zu überschreiten und<br />

die ästhetischen Dimensionen<br />

der menschlichen Abbildung zu<br />

erweitern.<br />

GALERIE <strong>ST</strong>RICKNER<br />

1060 Wien,<br />

Fillgradergasse 2/7<br />

T: +43-(0)680-201 44 52<br />

www.galeriestrickner.com<br />

Eröffnung:<br />

18. September 2008<br />

Ausstellungsdauer:<br />

<strong>19</strong>. September –<br />

31. Oktober 2008<br />

Öffnungszeiten:<br />

Di. - Fr. 16:00 – <strong>19</strong>:00,<br />

Sa. 11:00 – 13:00 und nach<br />

telefonischer Vereinbarung<br />

SUE<br />

Onlineportfolio Sue Sellinger<br />

www.highlighter.org


64 <strong>ST</strong>/A/R<br />

star_brus:Layout 1 <strong>19</strong>.09.2008 14:21 Uhr Seite 6<br />

Buch X - GOTTLOB Nr. <strong>19</strong>/2008<br />

GÜNTER<br />

BRUS<br />

Mitternachtsröte<br />

BRUS<br />

MAK-Kunstblättersaal<br />

10.9.2008–25.1.2009<br />

MAK Stubenring 5, Wien 1<br />

www.MAK.at<br />

Günter Brus, Eva, <strong>19</strong>76, Privatsammlung Graz

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