ST:A:R_16
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ST/A/R PRINTMEDIUM WIEN Nr.16
ST/A/R
/ /R
Winter 2007/08
Mounty R. P. Zentara
Weltkulturerbe*
Mounty R. P. Zentara
Nikon-Fotoshooting: Tolstoj & Gerngross
04Z035665M – P.b.b. Verlagspostamt 1060 Wien • Adresse: 1060 Wien Capistrangasse 2/8 • office@star-wien.at • Europa € 3,00
Star-Architekt Jiffy
CoopHimmelb(l)au
AUTO-ST/A/R
David Staretz
Die Möwe
Jonathan Meese
KLO-Kapelle
Waran
FRANCE-ST/A/R
Chris & Brigitte berichten
Manfred Stangl
Ganzheitliche Ästhetik
NEUE WIENZEILE
Christian Schreibmüller
ST/A/R-VERKÄUFER
Thomas Frechberger
Städteplanung / Architektur / Religion
*Idee: Stani Bachofen
Kunstsammler
2 ST/A/R Buch I - Weltkulturerbe
Nr. 15/2007
EDITORIAL: Die ST/A/R-Herausgeber
DIpl.Ing.Heidulf Gerngross MS & Dr.Phil.Wladimir Jaremenko-Tolstoj…
ST/A/R
Kult ist
abonnierbar
www.star-wien.at
…arbeiten an der 1000-seitigen ST/A/R-Zeitung – ein Architekturmonument
NCCA (Nashional Centre for Contemporary Arts)from Moskow in Wien in
CEC in Burgasse 21
from 24 janvar bis 24 februar from 14.00 -19.00 opening event
24.01.08 19.00
kurator Vitalii Pazukov,
Elena Mildner,Maxim Smirnov,
DU
Heidulf Gerngross
russian video art artists:
Sinii Sup
Vladimir Logutov
Sinie Nosy
Leonid Tishkov
Vladimir Tarasov
Vladimir Tarasov “Inside-out”,
2006, «First river», 2007
Blue soup “Way out” 2005
PROVMYZA (Galina Mzynikova,
Sergey Provorov)“The Fugue”,
2006
Vladimir Logutov “ The Park”,
2005
Nr. 15/2007
Buch I - Weltkulturerbe ST/A/R 3
Nach dem Ausscheiden von ST/A/R-Mitbegründer Thomas Redl als Herausgeber stellen wir ihm
!
als unsere Anerkennung seiner tatkräftigen Mitwirkung auch in Zukunft die Seite 3 zu seiner frei-
¡en Meinungs- und Gestaltungsäußerung zur Verfügung – lebenslänglich. Heidulf Gerngross
Bildende Kunst, Wien und Apfelstrudel
„Vincents verschenktes Ohr ist am Ziel.“
Wiener Walzer, Stephansdom, Fiaker und Gründerstil - unser geliebtes historisches Wien.
In Wien blüht der Tourismus und mit ihm die Klischees - die K & K Tradition, die Sissi Tradition, die Schönbrunn
Tradition, die Mozart Tradition, die Johann Strauß Tradition, die Wien um die Jahrhundertwende
Tradition ... - die Stadt ist eine vermarktbare Gesamtmuseums-Erlebniswelt.
Diese Bilderwelten sind mediale Erfindungen, die erfunden wurden und laufend erfunden werden. Es stellt
sich die Frage: Was ist mit der Gegenwart, was mit dem Jetzt? Wohin ist uns das Jetzt verloren gegangen?
Und was ist in den letzten 40 Jahren passiert? Schläft Wien den Dornröschenschlaf, aus dem es endlich wach
geküsst werden sollte?
Betrachtet man das Feld der Architektur, so hat die Stadt die letzten 50 Jahre verschlafen. Es wurde größter
Wert darauf gelegt, die historische Substanz hochglänzend zu polieren, doch es wurden kaum zeitgenössische
Architekturprojekte an neuralgischen Punkten der Stadt gebaut. Wenn etwas realisiert wurde, wurde
es mitunter so zusammengestutzt, dass nur mehr ein kraftloser Stumpf als Relikt übrig geblieben ist. Es ist
bemerkenswert, dass „Weltarchitekten“ wie Coop Himmelb(l)au in den letzten 20 Jahren ihres Schaffens nur
marginale Bauten in Wien realisierten, obwohl sie sonst international zentrale und städtebaulich wesentliche
Projekte schufen. (1)
Paul Celan
Um in dem verstaubten und konservativen Humus dieser Stadt zu überleben und Luft zum Atmen zu bekommen,
muss man als Kreativer, als Künstler, als Architekt eine radikale und fast autistische Position einnehmen.
Nur so kann man hier überleben.
Wolf Guenter Thiel beschreibt dieses Phänomen in seinem Essay „Ornamentlosigkeit als Zeichen geistiger
Kraft“ und erläutert die beherrschenden Matrixsysteme der Stadt und die von Künstlern und Kreativen hierzu
eingenommene Haltung anhand der aktuellen abstrakten Gegenpositionen in der Bildenden Kunst.
In den Wiener Museen sitzen unsere Direktoren und verkaufen das traditionelle Bild der Stadt. Sie sind selbst
ein Teil des Inventars und sie residieren und nehmen gönnerhaft mittlerweile die Position von „Museumsfürsten“
ein. Sie sehen ihre Aufgabe in der des gnädigen Feudalherren mit angeschlossenem Hofstaat. Abgebildet
auf den Covers von Lifestylemagazinen haben sie noch nicht wahrgenommen, dass sie selbst nicht der Anlass
des Ganzen sein sollten, sondern die Kultur und die Künste. Bei Ausstellungen in diesen Häusern wird die
Elite der Gesellschaft zu Vor-Vorführungen (Pre-Openings) geladen. Diese Audienzen werden den Führungsschichten
aus Wirtschaft und Kultur und den dazugehörigen erfolgreichen Künstlern gewährt. Man ist unter
sich und genießt die angenehme Klassenteilung. Dies alles ist das Gegenteil von Demokratisierung und hat
nichts mit der offenen Gesellschaft zu tun, für die die Kunst immer wieder eingetreten ist.
Es bedarf aber dieser Kunst, die nicht mit einem Auge opportunistisch sympathisierend auf die Potentaten
der Kunstszene schielt, sondern - mit Theodor Adorno gesprochen - es schafft den Menschen ein befreiendes
Primärerlebnis zu ermöglichen und die restaurative Reaktion in ihrer gesellschaftlichen Enge zu überwinden.
(1) derzeit ist eine umfassende Schau von Coop Himmelb(l)au im MAK zu sehen.
Thomas Redl, Dezember 2007
Die Skulptur „Türkish Delight“ von Olav Metzel, temporär installtiert im öffentlichen Raum des Karlsplatz durch die Kunsthalle Wien (geplant war von Oktober bis April),
war ein punktgenaues Statement zur aktuellen gesellschaftlichen Problematik. Das Werk ist zweimal beschädigt worden und wurde daher aus dem öffentlichen Raum
entfernt. Derzeit befi ndet sich dort der leere Sockel und eine Umzäunung mit Plakaten, die den aktuellen Verlauf dokumentieren. Die Skulptur hätte eine öffentliche
Auseinandersetzung herbeiführen können, leider sind bestimmte Teile unserer Gesellschaft nicht dazu bereit.
Städteplanung / Architektur / Religion Buch I - Weltkulturerbe
ST/A/R 5
K
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THLLE
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17.12.2007 10:10:07 Uhr
6 ST/A/R Buch I - Weltkulturerbe
Nr. 15/2007
Mazda
Nr. 15/2007
Buch I - Weltkulturerbe ST/A/R 7
Fotos: martin.hesz@gmail.com
Walls & Floor
(without the Ceiling)
bis 03.02.2008
Walls & Floor (without the Ceiling) – Diese Ausstellung entsteht als gemeinsames Projekt mit Kulturkontakt Austria.
Dan Perjovschi und Nedko Solakov operieren mit Bild und Text. Mit wenigen Strichen, humorvoll, subversiv und mit zuweilen beißender Ironie kommentieren
sie den gesellschaftlichen und kulturpolitischen Status quo: Dan Perjovschi und Nedko Solakov. Von Bukarest und Sofia aus haben sie in den letzten 15 Jahren die
internationale Kunstwelt erobert – zuletzt waren sie auf der 52. Biennale in Venedig, auf der documenta 12 in Kassel (Solakov) und im MoMA in New York (Perjovschi)
vertreten. Walls & Floor ist im Zeitraum von einerWoche in situ im Tresor des BA-CA-Kunstforums entstanden. Mit Edding und Bleistift ausgestattet haben
sie die Ausstellungswände und -böden sowie den architektonischen Umraum erobert.
8 ST/A/R Buch I - Weltkulturerbe
Nr. 15/2007
Inhaltsangabe
Buch 01 -
Weltkulturerbe
Seite 1–8
Buch 02 -
Brandl
Seite 9–16
Buch 03 -
Jiffy
Seite 17–24
Buch 04 -
Kunst
Seite 25–32
Buch 05 - Wiener
Kunst ST/A/R
Seite 33–40
Buch 06 -
Literatur
Seite 41–48
Buch 07 -
FRANCE-ST/A/R,
Seite 49–56
Buch 08 -
Grausam,
Seite 57–64
Buch 09 -
STAR-book
Seite 65–72
Buch 10 -
Back from Egypt
Seite 73–80
Buch 11 -
Auto-ST/A/R
Seite 81–88
Buch 12 -
KONZETT
Seite 89–96
Thomas Frechberger der Neue ST/A/R-Verkäufer
Interview mit Thomas
Frechberger 05. 12. 2007, Café Kafka
T. R.: Du hast die Wienzeile mit begründet.
T. F.: 1990.
T. R.: 1990. Was waren da die Beweggründe, was war
die Intention?
T. F.: Das ist ganz klar, das habe ich auch immer
gesagt. Nachdem ich Germanistik und Publizistik
studiert habe und mir einfach dieser akademische
Betrieb vollkommen auf den Geist gegangen ist, wollte
ich etwas Neues gründen, etwas Eigenständiges, ein
eigenes Publikationsorgan. Das habe ich mit Günther
Geiger gemacht unter anderen, und das habe ich aus
dem Boden gestampft.
T. R.: Wie lange hast du dann mitgewirkt?
T. F.: Von Anfang an und ich halte sie noch immer im
Zaum.
T. R.: Jetzt bis du ja neben dem, dass du Gründer der
Wienzeile warst, sehr lange schon schriftstellerisch
tätig.
T. F.: Als Lyriker.
T. R.: Als Lyriker, und was sind deine Schwerpunkte,
oder was willst du als Lyriker vermitteln?
T. F.: Vermitteln?
T. R.: Anders gefragt, willst du deine Lebenssituation,
deine Lebenserfahrung umsetzen?
T. F.: Nein, es ist die Liebe zur Schönheit der Sprache,
die man bei meinen Texten finden kann.
T. R.: Wie viele Bände hast du herausgebracht?
T. F.: Drei, und der vierte ist jetzt in Arbeit.
T. R.: Jetzt bringen wir ein Gedicht aus einem Band
von dir in der nächsten ST/A/R-Zeitung. Du hast die
ST/A/R-Zeitung gesehen und auch ein paar verkauft.
Was hältst du von der ST/A/R-Zeitung?
T. F.: Die ST/A/R-Zeitung ist eine wichtige Zeitung.
Ich habe gestern in der Handelsakademie in Rohrbach
im Mühlviertel eine Lesung gehalten und habe sie dem
Direktor gegeben, der hat sie nicht gekannt. Er hat gesagt,
ST/A/R, interessant, Architektur, Städteplanung
Aus dem Buch „Fantasien” von Thomas Frechberger
erschienen bei VIZA, ISBN: 3-900 7992-03-8
und Religion,
er hat das nicht
gekannt. Er hat
gesagt: „Was verlangst
du dafür?“
Ich hätte sagen
können, was weiß
ich: „10 Euro.“
Aber ich habe sie
ihm geschenkt.
T. R.: Kannst du
mit dem Inhalt
und der Art
der Publikation
etwas anfangen?
Findet du eine Art
Thomas Frechberger
Identifikation, ein
bisschen ...
T. F.: Identifikation,
nicht unbedingt, weil ich bin ein Lyriker. Aber wenn
man das so betrachtet, zum Beispiel Friedrich Achleitner,
der aus der Architektur kommt, da gibt es eine
Querverbindung zur Literatur, das ist natürlich wichtig.
Oder wenn ich mir die Kathedralen anschaue und die
Architektur im Allgemeinen, dann weiß ich einfach
– wie zum Beispiel bei meinem dritten Buch, ein palindromatisches
Buch, das Reversat - dass die Architektur
und die Literatur und die Musik und die Malerei, dass
das irgendwie zusammengehört.
T. R.: Das finde ich auch. Das sind verschiedene Medien,
die aber doch ineinander fließen und sich bestenfalls
gegenseitig befruchten und ergänzen. Jetzt hätte
ich eine Frage. Du hast gesagt, es kommt demnächst
ein neuer Band von dir. Kannst du darüber schon etwas
sagen, wie es heißt, was es für einen Inhalt hat?
T. F.: Ja, das werden die Lyrikalien sein, den Band nenne
ich Lyrikalien. Da fragen sie mich natürlich schon,
das klingt so nach Fäkalien. Ich sage dann darauf: „Das
kommt aber eher von den Mineralien“, und Steine gibt
es ja viele schöne, viele schöne Steine, und so werde ich
wieder einmal einen Gedichteband hinlegen, und das
wird dann mein vierter sein.
Impressum
ST/A/R Printmedium Wien
Europäische Zeitung für den direkten kulturellen Diskurs
Erscheint 4 x jährlich, Nr. 16/2007, Erscheinungsort Wien.
Medieninhaber:
ST/A/R, Verein für Städteplanung/Architektur/Religion
A–1060 Wien, Capistrangasse 2/8
Herausgeber: Heidulf Gerngross
Chefredakteur: Wladimir Jaremenko-Tolstoj
Vertriebsdirektor: Dr. Christian Denker
Redaktion: Heidulf Gerngross, Wladimir Jaremenko-Tolstoj, Elisabeth Gschaider,
Will Alsop, Bischof Arsenik (Religion), Andrea Baczynski (Fotos), Rudolf Gerngross (Waran),
David Staretz (Auto-ST/A/R), Christian Denker, Thomas Redl (Kunst), Oxana Filippova
(Performance Art), Sarah Kolb & Rouven Dürr, Herbert Wulz (Neue Medien),
Sergej Volgin (Philosophie), Ismael Basaran (Wien-Türkei)
Auslandskorrespondenz: Angelo Roventa (Rumänien), Valie Airport (Russland),
Ivor Stodolsky (Finnland), Alex Alexeev-Popov (Ukraine), Wolf Günther Thiel (Berlin),
Brigitte Bercoff (Paris), Mirjana Rukavina (Slovenien)
Organisation: ST/A/R-Team
Artdirektion & Produktion: Mathias Hentz
Druckproduktion: Michael Rosenkranz
Interviewtranskription: Michaela Mair, Valie Airport
Druck: Herold Druck und Verlags AG, Wien
Vertrieb: ST/A/R, Morawa GmbH.
Aboservice: starabo@morawa.com
Bezugspreis: 3,- Euro (inkl. Mwst.)
Kontakt: grafik@star-wien.at
Cover: Mounty R.P. Zentara; Foto-shooting: Gerngross/Tolstoj
ABO
GEHEN,
SCHAUEN,
KAUFEN
ST/A/R ist ein Gesamtkunstwerk und unterliegt dem Urheberrecht.
ST/A/R wird gefördert von: Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur.
ST/A/R dankt allen BeitragslieferantInnen, MitarbeiterInnen, KünstlerInnen,
UnterstützerInnen und FreundInnen.
Städteplanung / Architektur / Religion
Buch II - Brandl ST/A/R 9
Foto: Andrea Baczynsky
GLÜCKSPILZ
FOREVER
FÜR DIE GALAKTISCHE ST/A/R-COLLECTION: 76 X 56, ÖL AUF LEINWAND, HERBERT BRANDL
10 ST/A/R
Buch II - Brandl
Nr. 16/2007
„Ornamentloosigkeit als Zeichen
geistiger Kraft“ von Wolf Günter Thiel
Als wir begannen zu glauben, es gäbe eine spezifische
Abstraktion in Wien, haben uns selbst befreundete
Kollegen abgeraten. Erstens sei der Begriff „Abstraktion“
völlig tradiert und unbrauchbar und dann sei Abstraktion
kein Phänomen, das sich auf einen spezifischen Ort wie Wien
applizieren ließe. Überhaupt sei nach den Simulationstheorien
von Jean Baudrillard die Realität ein einziges Simulakrum und
als solches per se abstrakt. Hier hätten wir aufhören können!
Motiviert hat uns die große Anzahl von auffälligen abstrakten
Phänomenen im Gesichtsfeld der zeitgenössischen Kunst,
die wir sahen und verstehen wollten und die es deshalb zu
bezeichnen galt. Also fuhren wir fort zu recherchieren und
nannten das Vorhaben „Abstraktion Wien“.
Es gibt eine sehr große Anzahl von Künstlern in Wien,
die in ihrer Arbeit, seien es Experimentalfilme, Malerei,
Zeichnung, bis hin zur Musik und Poetik Phänomene der
nichtfigurativen oder konkreten Abstraktion verarbeiten. Nun
können wir mit Markus Brüderlin einen hervorragenden
einen Kunsthistoriker und Kurator nennen, der ein in
den 90er Jahren künstlerisches Aktionsfeld im Bereich
der Abstrakten Kunst mit Neo Geo bezeichnet hat. Wir
glauben aber nicht, dass die Phänomene, die uns in unserer
Recherche beschäftigen, mit den Theorien zur Postmoderne
gänzlich erklärbar sind. Diese von Brüderlin identifizierte
formalistische und geometrische Bildsprache hat man
auch als postmoderne Malerei verstanden. Für uns ist
diese Theorie und Beschreibung nicht ausreichend und
greift wesentlich zu kurz. Die Bildsprache, die wir meinen,
zeichnet sich nicht wie bei Brüderlin durch Homogenität
und Vergleichbarkeit aus, sondern durch eine künstlerische
Haltung zur Abstraktion. Gleichfalls geht es uns nicht um
die Gruppe von Künstlern, die unter dem Ausstellungstitel
oder Stielbegriff Neo Geo zusammengefasst wurden. Diese
Künstler bestätigen unsere These, hätten uns aber nicht
dazu geführt diese aufzustellen. Wir glauben es gibt eine
Generationen übergreifende Überzeugung und Haltung sich
durch eine konkrete Abstraktion der Vereinnahmung durch
ein architektonisches sowie urbanes Gestaltungssystem und
einem kulturindustriellen Vermarktungssystem zu entziehen.
Künstler, die wir meinen, setzen sich bewusst und überzeugt
ins Oppositionsverhältnis zu diesen Systemen. Diese Haltung
glauben wir ist durch die spezifische Ausformung der
Gestaltungs- und Vermarktungssysteme vor dem historischen
Prospekt Wiens und seiner zeitgenössischen, abgeleiteten,
kulturindustriellen Erlebniswelt Wien spezifisch. Deshalb
nennen wir das Phänomen „Wiener Abstraktion“.
Als Adolf Loos 1908 in seiner Polemik „Ornament und
Verbrechen“ seinen Unmut über die Ornamente seiner Zeit
niederschrieb, war dies bestimmt durch die durchdachte und
überzeugte Haltung eines Modernisten im Selbstverständnis,
in Wien mithin wahrscheinlich eines Avantgardisten. Loos
1870 in Brünn geboren und 1933 in Wien gestorben bezieht
sich in dieser Polemik auf Louis H. Sullivan, dessen Wirken
und Werk er zwischen 1893 und 96 in den Vereinigten
Staaten kennen gelernt hatte. Seine eigene Idee bestand darin,
dass man bei der Gestaltung von Gebrauchsgegenständen
wie auch von architektonischen Baukörpern ganz auf das
Ornament verzichten solle. In seiner Polemik drückt sich Loos
folgendermaßen aus:
„Traurig gingen die Menschen dann zwischen den Vitrinen
umher und schämten sich ihrer Impotenz. Jede Zeit hatte
ihren Stil, und nur unserer Zeit soll ein Stil versagt bleiben?
Mit Stil meinte man das Ornament. Da sagte ich: Weinet
nicht! Seht, das macht ja die Größe unserer Zeit aus, dass sie
nicht imstande ist, ein neues Ornament hervorzubringen.
Wir haben das Ornament überwunden, wir haben uns zur
Ornamentlosigkeit durchgerungen.“ Mit wir meint Loos
sich und seine modernistischen Kollegen. Er bemerkt dann
sarkastisch, die Ornamentsuche sei staatlich anerkannt
und durch Staatsgelder subventioniert, Staatsgelder der
Doppelmonarchie am Anfang des 20 Jahrhunderts; einige
Jahre vor dem verlorenen 1. Weltkrieg und dem Untergang
dieser Doppelmonarchie am 31. Oktober 1918. Die Vertreter
der letzten Generation imperialer Macht wollten sich wie
viele vor ihnen durch ihre eigenen Ornamente ablesbar in die
Stil - und Architekturgeschichte einschreiben. Loos kritisiert
dies und zwar nicht nur für die imperialen architektonischen
und gestalterischen Ansprüche, sondern im Allgemeinen.
Insbesondere der Satz „wenn aber das Ornament schön
ist“, den Loos polemisch als Gegenargument gegen seine
eigene Ansicht einsetzt, wird uns in den Schlussfolgerungen
beschäftigen. So schreibt er, Loos, „allen kultivierten
Menschen, erhöht das Ornament die Lebensfreude nicht“.
Wenn er schon 1908 schreibt „ Da das Ornament nicht
mehr organisch mit unserer Kultur zusammenhängt, ist
es auch nicht mehr der Ausdruck unserer Kultur. Das
Ornament, das heute geschaffen wird, [gemeint, ist der
Zusammenhang des Bauens und Gestaltens im Allgemeinen]
hat keinen Zusammenhang mit uns, hat überhaupt keine
menschlichen Zusammenhänge, keinen Zusammenhang
mit der Weltordnung. Es ist nicht entwicklungsfähig.“
Diese Beobachtung, die Loos 1908 beschreibt, wird vom
Erklärungsgehalt, bezogen auf unsere heutige Welt, erheblich
deutlicher. Wenn schon 1908 die Menschen keinen Bezug
zu den Ornamenten hatten, wie sieht dies heute aus. Eine
Ornamentik verschiedener Stile, die die Stadt wie eine
Gestaltungsordnung durchdringt. Sie kann uns heute nichts
bedeuten außer einem Gefallen an den architektonisch
historischen Charakteristiken, einer Reihe von Zeitstilen,
die mit dem 1. Weltkrieg ihre eigentliche Bedeutung, die
Repräsentanz imperialer Macht, vollständig einbüßten. Die
Bedeutung der Ornamentik war schon während der Bauphase
den normalen Menschen, wie Loos sagt, unzugänglich, um
wie viel mehr muss dies heute auf die Menschen zutreffen.
„Wien bleibt Wien“ – und das ist wohl das Schlimmste, was
man über diese Stadt sagen kann, so schreibt Alfred Polgar.
„Wenn aber das Ornament schön ist?“ Jenseits der Polemik:
Wir sprechen hier nicht über Bauten der Renaissance,
des Barock oder des Klassizismus, sondern über die
seit Mitte des 19. Jahrhunderts markant einsetzenden
architektonischen Neo-Stile, wie sie sich in den Bauten der
Ringstrasse zeigen. Wer findet denn eigentlich Bauten wie
das „Kriegsministerium“ mit dem Monumentaladler, oder
das Kunsthistorische -und das Naturhistorische Museum mit
ihren Legionen an auf den Rändern der Dächer angeordneten
Skulpturen schön? Bei einer Straßenumfrage jedenfalls
konnten Passanten, Wiener wie Touristen auf diese Frage
keine genauen Angaben machen. Die Touristen sprachen
über die alten Palais, die Pracht der Bälle, Sissi, die sie sich
immer noch wie Romy Schneider vorstellen und viele andere
von der Stadt Wien und ihren Tourismusstrategen erdachten
Erlebniswelten. Diese Erlebniswelten des Stadtmarketings
oder mit Theodor Adorno der Kulturindustrie füllen die
imperiale Architektur in den Köpfen der Touristen mit
Phantasievorstellungen auf. Sie stellen sich vor wie Romy
Schneider als Sissi durch die Flure der Hofburg stürmt, mit
Frühlingsduft und Marschmusik. Allein, sehen wir genauer
hin, sehen wir die Möbel dieses Filmes im Hofmobiliendepot,
übrigens die originalen Ausstattungselemente der Sissi
Filme, und sehen uns wie Franz Kafka mit dem „Schloss“
konfrontiert, das sich auch im Verlauf nicht erschließen will.
Wenn wir die imperiale, bis heute repräsentativ
herausgehobene Architektur Wiens betrachten und uns
vorstellen, dass nach dem Verlust des ersten Weltkriegs
aus der Weltmacht Wien ein Kleinstaat geworden war, so
bekommt die Polemik „keinen Zusammenhang mit der
Weltordnung“ und „nicht entwicklungsfähig“ eine tiefere
und nachhaltige Bedeutung. Die Architektur der Ringstrasse
zeugt bis heute vom imperialen Machtanspruch des 19.
Jahrhunderts. Sie repräsentiert nach wie vor diese verlorene
Pracht der Macht. Sie unterscheidet sich trotz ähnlicher
Architektur erheblich von anderen imperialen Städten wie
London oder Paris, vergleichbar nur mit St. Petersburg, das
während des Stalinismus, in Leningrad umbenannt, mit
einer ähnlichen imperialen Bedeutungslosigkeit konfrontiert
wurde. London und Paris hingegen behielten durch
ihre Kolonialmacht, den Commonwealth und heute als
Wirtschaftszentren einer globalen Wirtschaft den imperialen
Gestus bei und füllen ihre Imperialarchitektur seither aus.
In Wien wird die imperiale Architektur bis heute gehegt
und gepflegt und als eines der herausragenden touristischen
Sensationen vermarktet.
Wie erreicht die Kulturindustrie die imperiale Architektur
und die Ornamentik nicht nur imaginativ im Inneren zu
beleben, sondern sogar, dass diese Neo-Stile (Jugendstil?) von
Bildungsreisenden und anderen Kultur beflissenen Touristen
als schön empfunden werden? Es liegt an einer Matrix aus
Symbolen und Bedeutungsträgern, die die Kulturindustrie
gezielt einsetzt, um die Erlebniswelt Wien mit großer
Strahlkraft zu vermarkten und so das Bedürfnis nach Konsum
zu wecken. Jean Beaudrillard untersucht in seinen frühen
Schriften der 60er und 70er Jahre die symbolische Funktion
von Gebrauchsgegenständen, die „reine Zeichen“ seien.
So werden die Gebrauchsgegenstände, die Loos meint und
„Der dialektische Kritiker an der Kultur
muss an dieser teilhaben und nicht
teilhaben. Nur dann lässt er der Sache und
sich selber Gerechtigkeit widerfahren“.
(Theodor Adorno)
für die er eine Ornamentlosigkeit fordert, von Beaudrillard
nicht als Gegenstände des Gebrauchs angesehen, sondern
in ihrer ideellen Dimension als konsumierbare Zeichen
oder Bedeutungsträger bezeichnet. Der Mensch lagert in
seinem privaten Umfeld viele solcher Bedeutungsträger an
und indiziert hierdurch seine eigene Persönlichkeit nach
außen und konstruiert seine Identität wunschgemäß. Hierzu
gehört moderne Kunst genauso wie die Devotionalien einer
Pilgerreise oder Reisesouvenirs. In seiner Rezeption wird der
Mensch insbesondere anhand solcher attributiv eingesetzter
Bedeutungsgegenstände erkannt und in ein gesellschaftliches
Umfeld eingeordnet. So wird dem „traditionellen
Geschäftsmann“ gerne eine bestimmte Kleidung, ein
bestimmtes Benehmen und ein bestimmter Lebensstandard,
der sich durch sein Auto, sein Haus oder eine exklusive
Sammelleidenschaft ausdrückt, zugeordnet, während der
Künstler im Bewusstsein der Menschen immer noch der
idealistische, mittellose und versponnene Grenzgänger
und Außenseiter ist. Der Konsum, so schloss Beaudrillard
damals, ist eine ‘’absolut idealistische Praxis’’. Dies können
wir anhand der schon beschriebenen Auskünfte der Touristen
nur bestätigen. Übertragen auf das Phänomen der imperialen
Architektur und der Funktion der Kulturindustrie bedeutet
dies, dass die Donaumonarchie genauso vorging und ihre
architektonischen Vorstellungen dementsprechend anordnete.
Was ist aber, wenn diese Bedeutungsträger wie sie
Beaudrillard beschreibt, in der dritten Generation vererbt
werden? Was bedeutet dies für das einzelne Objekt? Stellen
sie sich vor sie erben einen Aschenbecher, den ihr Ur-Ur-
Ur-Großvater bei einem Opernball hat mitgehen lassen, als
eine Erinnerung an den ersten Ball mit seiner zukünftigen
Ehefrau, ihrer Ur-Ur-Ur-Großmutter. Dieser Aschenbecher
wird ihnen jetzt mit einer unüberschaubar großen Anzahl
anderer Gegenstände aus über drei Generationen vererbt.
Können sie ihm die gleiche Bedeutung beimessen, wie ihr
Vorfahr, wobei ihre Ur-Großmutter diese Bedeutung schon
nicht mehr kannte. Wohl kaum. Er hätte für sie vielleicht
die Bedeutung eines wertvollen historischen Stück Augarten
Porzellans , aber wohl kaum den ideellen Wert, den es für
ihren Vorfahr gehabt hat. Ein möglicher Gebrauchswert wäre
vor dem Hintergrund der Kostbarkeit des Porzellans eigentlich
ungewöhnlich. Wenn wir also diese beiden Sachverhalte
des privaten, persönlichen und des öffentlichen Raumes
vergleichen, muss diese Sichtweise übertragbar sein. Die
ursprüngliche Bedeutung der Ornamente im öffentlichen
Raum, jenseits aller Loosschen Polemik sind schlichtweg nicht
mehr verstehbar, es sei denn Sie sind Architekturhistoriker,
Denkmalpfleger oder geschulter Stadtführer. Dies bedeutet
wir können auf sie maximal unter kunsthistorischen
oder architekturhistorischen Gesichtspunkten schauen
und dann stellen sich völlig andere nämlich akademische
Fragen und zwar vermutlich für nicht einmal 1% der
kulturellen Bildungselite. Beaudrillard unterscheidet
verschiedene historische Formen von Simulacren (Imitation,
Produktion, Simulation) und beschäftigt sich besonders
mit dem Simulacrum der Simulation als dem dominanten
Simulacrum der durch Massenmedien bestimmten
Gegenwartsgesellschaft. Das Kennzeichen dieses modernen
Simulacrums besteht nach Baudrillard darin, dass die
Unterscheidung zwischen Original und Kopie, Vorbild und
Abbild, Realität und Imagination unmöglich geworden und
einer allgemeinen „Referenzlosigkeit“ der Zeichen und Bilder
gewichen sei. Dass diese Ornamente durch die Kulturindustrie
verblendet und überblendet als schön wahrgenommen
werden, ist auf die Simulationstiefe der kulturindustriellen
Matrix zurückzuführen: Ergebnis ist ein massenmedial
vermitteltes Simulakrum Wien.
Was eigentlich ist eine Kulturindustrie, was tut sie und
wie dekonstruiert die Kunst mit der wir uns eigentlich
beschäftigen wollen, dieses Bild. Was ist eine Matrix und
wie können sich zwei unterschiedliche Matrixsysteme auf
das Wienbild von Künstlern auswirken und wieso führt dies
zu einer spezifischen Art und Haltung zur Abstraktion?
Kulturindustrie, so Theodor Adorno sei die “willentliche
Integration ihrer Abnehmer von oben”. Der Begriff wie
wir ihn für uns annehmen wollen bezieht sich auf die
Beschreibung, die Adorno in der „Dialektik der Aufklärung“
(Adorno/Horkheimer 1948) vornimmt, nämlich auf die
industrielle Fertigung und Vermarktung von „Kulturgütern“.
Uns interessiert im Folgenden die Gegenüberstellung von
kultureller Ware und authentischer Kunst. Der Begriff
Kulturindustrie ist erst einmal so weit gefasst, dass er die
Nr. 16/2007
Buch II - Brandl ST/A/R 11
kulturellen Institutionen , sowie die architektonischen und
kulturellen Attraktionen Wiens im weiteren mit einbezieht,
vom Burgtheater bis zum Heurigen, von den Lippizanern über
das Mozartjahr, bis hin zu den Wiener Sängerknaben und
dem Opernball.
„Mit Kulturindustrie meint Adorno später die gesellschaftliche
Implikation von kulturellen Ereignissen und Erzeugnissen.
Adorno erhoffte, aus den Thesen zur Kulturindustrie eine
Antwort auf die Frage zu finden, weshalb die antagonistische,
aus kulturmarxistischer Sicht in sich widersprüchliche,
kapitalistische Gesellschaft, stabil ist. Dieser soziale Kitt, wie
ihn Erich Fromm nannte, sollte die Kulturindustrie sein,
welche als Mittel von Herrschaft und Integration agiert.“
Betrachten wir das Phänomen noch einmal mit Beaudrillard.
Die Simulation besteht aus einer Modellfindung oder
Modellerfindung. Das heißt die Kulturindustrie entwickelt
aus Wien ein neues Modell, ein verkaufbares Produkt.
Dieses Modell umfasst alle kulturellen Attraktionen und
Auffälligkeiten und wird zur Erlebniswelt Wien stilisiert
und so vermarktet. Es wird also ein Modell von Wien
und nicht der reale Ist-Zustand Wien vermarktet. Dies ist
marktwirtschaftlich oder kulturindustriell nachvollziehbar
und verstehbar, allein die Kunst wie sie Adorno fordert,
folgt anderen Prinzipien. Sie ist aufgefordert sich genau
von diesem Simulakrum Wien abzusetzen und ihm etwas
entgegenzusetzen, die Authentizität der Kunst und die
Primärerfahrbarkeit von Kunst.
Verschiedentlich wurde schon der Begriff der Matrix
benutzt. Hierbei verstehen wir den Begriff der Matrix als ein
gestalterisches und gestaltendes Ordnungssystem nach dem
der öffentliche, insbesondere der urbane und architektonisch
umbaute Raum zuerst nach imperialen, später nach
ökonomisierbaren, repräsentativen Gesichtspunkten geordnet
wird. Diese Ordnung dominiert bis heute das Stadtbild; sie
reicht von den frühen Neo-Stilen, über Gründerzeitstil bis hin
zum Jugendstil. Der hier forcierte Canon an Ornamenten,
Symbolen, Plastiken und Reliefs dominiert das Stadtbild
bis heute, ohne dass der Wiener den Schlüssel zu diesem
Codesystem besitzt.
Die Kulturindustrie als zweites Ordnungssystem vermarktet
den architektonischen und urbanen Raum und füllt ihn an mit
der virtuellen Erlebniswelt Wien. Diese virtuelle Erlebniswelt
Wien ist zu großen Teilen künstlich wie zum Beispiel der
historisch überlieferte Klatsch und die Sissi Filme bis heute
bezeugen. Darüber hinaus werden Veranstaltungen wie der
Wiener Opernball und das Neujahrskonzert zu weltweit
ausgestrahlten Belegen dieser Erlebniswelt Wien. Diese
virtuelle Welt ist eine reine Konsumwelt, wie Adorno sagen
würde, eine die keine authentischen Kunsterlebnisse zulässt,
sondern Kulturgüter verkaufen muss und will.
Diese beiden Matrixsysteme sind fest miteinander verwoben,
sind aber trotz allem zu unterscheiden in eine historisch
geprägte reale architektonische, urbane Gestaltungsmatrix und
eine kulturindustrielle Vermarktungsmatrix. Beide Welten
durchdringen sich ständig und überall und stabilisieren
sich gegenseitig. Sie treffen an zwei Orten in jedem Jahr
weltweit wahrnehmbar aufeinander: beim Operball und
beim Neujahrskonzert und bei beiden genau im Moment des
Abspielens des Walzers „An der schönen blauen Donau“ (1867
komponiert) von Johann Strauß (Sohn).
Mirjana Rukavina
1
2
3
Präornamentale Rotation 1,2,3
Präornamentale Rotation 1,2,3
http://www.mirjanarukavina.net
1 Wir sind Thomas Redl, Hofstetter Kurt, Lucas Gehrmann und Barbara Doser.
2 Vgl. http://www.prestel-kuenstlerlexikon.de/search.php?type=detail&id=890&sear
chkey= am 20.11.07
3 gemeint sind Künstler, wie Ernst Caramelle, Hemut Dorner oder Helmut Federle
bis hin zu Gerwald Rockenschaub ... Vgl.z.B. Brüderlin, Markus (ed.). Postmoderne
Seele und Geometrie. Perspektive eines neuen Kunstphänomens. Trendsetting oder
Paradigmenwechsel, Kunstforum International, no. 86 (1986); Neo-Geo, 1986: Geometria
nova (Ausst.-Kat.), Kunstverein München 1986; Neo-Geo, 1995: Monochromie,
Geometrie (Ausst.-Kat.), Sammlung Goetz, München 1995; Wiehager, Renate
(ed.). Minimalism and After. Traditionen und Tendenzen minimalistischer Kunst in
Europa und den USA von 1950 bis heute. DaimlerChrysler Collection. Neuerwerbungen
für die Sammlung 2000 bis 2006, Berlin, 2007
4 Loos bezieht sich auf den Satz von Louis H. Sullivan: „Es könnte uns nur zum
Besten gereichen, wenn wir für eine Zeitlang das Ornament beiseite ließen und
uns ganz und gar auf die Errichtung von in ihrer Nüchternheit schön geformten
und anmutigen Bauwerken konzentrierten.“ Hierauf bezieht sich Loos in seiner
Fundamentalkritik am Jugendstil und der Prachtarchitektur der Jahrhundertwende.
Ein weiterer Text von Sullivan, der für die Diskussion von großer Bedeutung ist:
„The Tall Office Building Artistically Considered in Lippincott‘s Magazine aus dem Jahr
1896 (form follows function). In diesem Text geht es jedoch in erster Linien darum
wie sich die Form eines Gebäudes oder eines Gegenstandes sich von seiner Funktion
ableitet. Als Architekt wurde Sullivan zum Begründer des Architekturbüros Sullivan
& Adler, welches prägend für die so genannte Chicagoer Schule war. Die in den knapp
20 Jahren bis zur Jahrhundertwende errichteten Gebäude von Sullivan erlangten
Bekanntheit und schrieben Architekturgeschichte.
5 Zitiert nach Ulrich Conrads. Programme und Manifeste zur Architektur des 20.
Jahrhunderts. Vieweg: Braunschweig/Wiesbaden, 1981, S. 15ff.
6 Wir meinen insbesondere die repräsentativen Bauten, die Wiener Ringstrasse und
die Stadterweiterungen die seit Mitte des 19. Jahrhunderts entstanden sind. Am 1.
Mai 1865 wurde die 6,5 Kilometer lange und 57 Meter breite Ringstrasse feierlich
eröffnet. An ihr entstand eine Reihe monumentaler Bauwerke, wie sie noch heute
auf der Welt einzigartig ist. Neben staatlichen Repräsentationsbauten, großzügigen
Plätzen und Parkanlagen ließen sich zahlreiche vermögende Persönlichkeiten aus
Wirtschaft und Adel einen Platz an der Ringstrasse sichern und ein Palais erbauen.
Entlang dieser Straße, der Wiener Ringstraße auch der Erweiterungsbau der kaiserlichen
Hofburg, große Museen, die die kaiserlichen Kunst- und Natursammlungen
beherbergten, ein Parlamentsgebäude für den Reichsrat, die Neue Universität, das
Neue Rathaus, das Hofburgtheater und eine zum Andenken an die Errettung des
Kaisers vor einem Attentäter im Jahre 1853 gestiftete Votivkirche. Der Grossteil der
Ringstrassenbebauung wurde in der Zeit zwischen 1869 und 1888 erbaut, wobei
der dominierende Baustil der Historismus ist, also eine zeitgenössische Anlehnung
an Renaissance, Gotik und Barock. Das Schönheitsprinzip folgte Heraklit, der die
Schönheit in einer zu harmonischer Einheit gefassten Mannigfaltigkeit sah. Der
Abschluss der Bautätigkeit am Ring wurde erst 1913 mit der Fertigstellung des
Kriegsministeriums erreicht, als der Ringstraßenstil schon ein wenig unmodern
geworden war, wie das etwa gleichzeitig von Otto Wagner im Jugendstil gebaute
Postsparkassengebäude zeigt. Der größte Teil der (äußeren) Bausubstanz hat sich bis
heute erhalten und die Innere Stadt Wien ist seit 2001 Unesco Weltkulturerbe..
Vgl. z.B. http://www.planet-vienna.com/spots/ringstrasse/ringstrasse.htm
7 ibid.
8 Die Zurückhaltung des Kaisers erlaubte es Adolf Loos, genau gegenüber dem
barocken inneren Burgtor der kaiserlichen Hofburg im Jahre 1910 sein umstrittenes
erstes schmuck- und ornamentloses Wohnhaus zu bauen. Franz Joseph soll die Hofburg
seit damals stets durch andere Tore verlassen haben im Gegensatz zu seinem
Sohn Kronprinz Rudolf – nahm er nie selbst aktiv an den neuen kulturellen und
intellektuellen Strömungen Anteil; sie berührten ihn nicht.
9 Diese Befragung ist keine soziologische Studie und folgt keinen empirischen Forderungen,
sondern entsprach einem spontanen Wissensdrang und umfasste nicht
mehr als 15 Passanten. Sie ist weder aufgezeichnet noch dokumentiert, sondern verstand
sich als künstlerische Intervention im öffentlichen Raum. Es wäre jedoch von
hohem Interesse eine wirkliche Befragung in diesem inhaltlichen Zusammenhang
vorzunehmen und sich den realen Ist-Zustand vor Augen zu führen. Hier gibt es ein
erhebliches Erklärungsdefizit.
10 Als Bestätigung meiner Vermutung bezüglich der Kulturindustrie kann ein
Besuch im Hofmobildepot genügen, in denen man auf allen Erklärungsbildschirmen
immer wieder eben diesen Sissi Film sieht. Erstaunlicherweise zu einem Drittel für
chinesische Gäste auf Mandarin.
10 Mit einer Fläche von 676.615 km 2 und 52,8 Mio. Menschen (1914) war Österreich-
Ungarn, flächenmäßig nach Russland, der zweitgrößte und von seiner Bevölkerungszahl,
nach Russland und dem Deutschen Reich, der drittgrößte Staat Europas. Heute
leben auf einer Fläche von 88.871 km 2 8.316.000 Menschen Vgl. http://www.
statistik.at .
12 Als Gast in Wien könnte man vorschnell der Meinung sein, die Melancholie in
Wien sei durch den Verlust des Weltmachtstatus bei gleichzeitiger Konservierung
der Imperialarchitektur entstanden. Barbara Doser schrieb mir in einer Korrektur
einen Hinweis zu Sigmund Freud: „In seinem Aufsatz Trauer und Melancholie von
1917 schreibt Sigmund Freud, die Melancholie sei dadurch gekennzeichnet „dass
die Herabsetzung des Selbstgefühls nicht durch die positive Trauerarbeit behoben
wird. Die Melancholie ist seelisch ausgezeichnet durch eine tief schmerzliche
Verstimmung, eine Aufhebung des Interesses für die Außenwelt, durch den Verlust
der Liebesfähigkeit, durch die Hemmung jeder Leistung und die Herabsetzung des
Selbstgefühls, die sich in Selbstvorwürfen und Selbstbeschimpfungen äußert und bis
zur wahnhaften Erwartung der Strafe steigert. Diese selbstzerstörerischen Aspekte
sieht Freud als Ursache für die Suizidgefährdung der Melancholiker. Loos jedenfalls
behauptet diese überkommenen Ornamente, die Zeichen dieser ehemaligen Macht,
machen krank. Als er diese Polemik schrieb waren dies Ornamente und Symbole
noch durch die Macht des Staates bedeutend und repräsentierten die Macht, hatten
also eine Funktion und eine Bedeutung, die sich vermittelte und vermittelt wurde,
auch wenn Loos dies bestreitet. Um wie viel mehr müssten die Ornamente nach
Loos krank machen, wenn die Legitimierung und Bedeutung der Ornamente durch
die dahinter stehende Staats- und Weltmacht wegfällt. Was macht ein Staat, der eine
Weltmacht war, mit den Symbolen der Macht, wenn diese abhanden gekommen
ist, was bedeuten diese Symbole die für Macht stehen, wenn die Macht abhanden
gekommen ist? Ein übergroßes Mahnmal, Denkmal? Wohl eher eine Denkmal-Matrix,
die im Falle von Wien die ganzen Innenstadtbezirke überzieht. „Wenn aber das
Ornament schön ist?“ Wie wir wissen ist dies reine Geschmackssache.
13 Dieses Künstlerbild ändert sich gerade in den letzten zwei Jahrzehnten. Es wird
weniger und weniger über Kunst gesprochen und mehr und mehr über Auktionsergebnisse,
Preise und Geld. Dieser Trend bewegt sich auf seinen Zenit zu und wird
sich dann, wenn in einer wirtschaftlichen Krise die Lose für zeitgenössische Kunst
zurückgehen wieder neu ausdifferenzieren.
14 Die Geschichte des Wiener Porzellans beginnt 1718. Bereits acht Jahre nach der
Erfindung des „Weißen Goldes“ durch Johann Friedrich Böttger (1709) wurde die
Wiener Porzellanmanufaktur eröffnet. Seitdem genießt die Manufaktur großes Ansehen.
Ein Spezialprivilegium, am 25. Mai 1718 durch Kaiser Karl VI. unterzeichnet,
verlieh Claudius Innocentius du Paquier, dem k.u.k. Hofkriegsagenten, eine Monopolstellung:
er hatte die alleinigen Rechte Porzellan innerhalb der österreichischen
Kronländer zu erzeugen. In der heutigen Porzellangasse (im 9. Wiener Bezirk)
fertigte man das Wiener Porzellan, mit dem das Kaiserhaus und der höfischen Adel
ausgestattet wurden. Heute ist dieser spätbarocke Stil als die „Du-Paquier-Periode“
bekannt. Am 2. Mai 1923 wird die Porzellanmanufaktur im Schloss Augarten – dem
heutigen Standort – wieder eröffnet. Unter dem neuen Namen „Wiener Porzellanmanufaktur
Augarten“ soll die Tradition der ehemaligen kaiserlichen Manufaktur
fortgesetzt und um neue Impulse bereichert werden. Die Manufaktur öffnet sich
modernen Strömungen und realisiert Entwürfe von zeitgenössischen Künstlern wie
Josef Hoffmann, Michael Powolny, Franz von Zülow und anderen Vertretern der
Wiener Werkstätte. Vgl. hierzu http://www.augarten.at .
15 Besonders zu empfehlen die Fingerpuppen im Museumsshop der Albertina: von
Freud, Gandhi bis Frida Kahlo... sehr schön auch der Museumsshop im Belvedere
wo es einen Handgroßen Teddy mit Textildruck eines Klimt-sujets zu kaufen gibt...
16 http://de.wikipedia.org/wiki/Kulturindustrie am 19.11.2007
17 An dieser Stelle werden die Kritiker ansetzen und sehr zu Recht darauf hinweisen,
das sich selbstverständlich bei einem Besuch des Kunsthistorischen Museums vor
einem Bild von Carravaggio, der Albertina vor einer Dürerzeichnung oder des Operhauses
während einer Mozartoper eine Primär Erfahrung einstellt. Diese im Rahmen
einer Reiseplanung geplanten Erlebnisse sind terminiert und in einen Gesamtablauf
eingetaktet und deswegen vorgesehen. Ob eine Primär Erfahrung vorauszusehen
und zu planen und somit kalkuliert verkauft und konsumiert werden kann ist eine
Frage, der wir in diesem Kontext nicht weiter nachgehen können.
18 Der Walzer ist ein Drehtanz im 3/4 –Takt. Seine Blütezeit erlebte der Walzer als
Wiener Walzer im 19. Jahrhundert mit Johann Strauß Vater und Sohn. Das Wort
Walzer stammt von dem Begriff walze.
Städteplanung / Architektur / Religion Buch II - Brandl
ST/A/R 13
Mode von Oleg Feldman
Mode von Oleg Feldman
Foto: ST/A/R
DU
Prêt-à-porter in Odessa !!!
Ukrainische Modeschau,
Défilé März 2007
14 ST/A/R
Buch II - Brandl
Nr. 16/2007
ST/A/R-ARCHITEKT ANGELO ROVENT
Angelo Roventa
Architekt und Priester
„Soofil“ oder „a fute gaina in cur“
Pygmalion-Theater, Alserstrasse 43, plant Gastrollen im neuen Rum
Tolstoj „Der Hühnervögler“ wird von Tino Geirun und Ana Terzer in
Nr. 16/2007
Buch II - Brandl ST/A/R 15
A BAUT EIN THEATER IN RUMÄNIEN
Neubau Ateliertheater für 300 Personen als Erweiterung der
Nationaltheaters - Teatrul National „Vasile Alecsandri“ Iasi
Ort: Iasi - Hauptstadt des Bezirks Moldau - Rumänien
Architekt: Angelo Roventa
Theaterdirektor: Cristian Hadji - Culea
Zimmermann: Andreas Rabanser
Spengler: Arno Bereuter
Montage der Holzkonstruktion: 4 Wochen
18 LKW Transporte zwischen Vorarlberg und Iasi über die
Alpen und über die Karpaten (im Winter !)
Kosten: 250.000 e
änischen Theater. Das Theaterstück von Wladimir Jaremenkos
Rumänische übersetzt.
www.pygmaliontheater.at
16 ST/A/R
Buch II - Brandl
Nr. 16/2007
Coop Himmelb(l)au
webdesign_Caballero
Europameisterschaft
Heroen der Weltarchitektur
Wolf D. Prix, Helmut Swiczinsky
Bild aus dem Katalog „Beyond the Blue“
Ausstellung im MAK bis 11.05.2008 HINGEHEN!
Wolf D. Prix, telefoniert mit Gloria Gerngross
Städteplanung / Architektur / Religion
Buch III - Jiffy ST/A/R 17
Peter Zsivcsec
Star-Architekt
„Wir arbeiten mit der Tradition, mit
großer Ehrfurcht, bewegen uns im
Jetzt mit aller Selbstverständlichkeit,
und planen für die Zukunft die
Räume der guten Wünsche.“
Peter Zsivcsec
Star-Architekt
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18 ST/A/R
Buch III - Jiffy
Nr. 16/2007
Weg in die Freiheit
Bürogebäude
S‹D ANSICHT
NORD ANSICHT
GRUNDRISS
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3974
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210 317 130 350 400 400 320 130 350 400 400 317 130 353 400 213
826
W
S
N
O
OST ANSICHT
BEBAUTE FLƒCHE H‹HNERSTALL: = 500.04m2
BEBAUTE FLƒCHE EIERLAGER: = 169.50m2
BEBAUTE FLƒCHE ‹BERDACHTER AUSLAUF: = 319.52m2
BEBAUTE FLƒCHE GESAMT: = 989.06m2
BRUTTOGESCHOSSFLƒCHE: = 989.06m2
2052
400
256
270
158
270
256
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275
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270
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253
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PH100
PH100
AUSLAUFKL.INNEN
PH120
PH120
AUSLAUFKL.INNEN
1328
PH120
AUSLAUFKL.
1404
PH120
PH120
PH120
PH120
AUSLAUF
160.00 m2
+0.00
PH120
60
AUSLAUFKL.
1333
1260
AUSLAUF
160.00 m2
+0.00
100 AUSLAUFKL.INNEN
50
+0.00
PH120
SCHRAPPER
+0.25
SCHRAPPER
H‹HNERSTALL: 456.00 m2
+0.00
PH120
204 403 320 130 350 400 320 130 384 366 400 317 130 353 400 213
A A
PH120
PH120
PH120
PH120
1333
1330
AUSLAUFKL.INNEN
PH120
60
AUSLAUFKL.
AUSLAUFKL.INNEN
PH120
PH120
EIERLAGER
159.00 m2
+0.00
PH100
PH100
PH100
PH100
PH100 PH100
100
200
200
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250
200
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100
100
100
100
203
250
340
467
238
103
192
261
380
561
144
561
380
2040
2052
373
237 136
+2.22
-0.15
WEST ANSICHT
SCHNITT A-A
DN 7
1109
180 16
196
120 80 27 16
16
227 +0.00
296 16
+3.58
+0.25
+0.00
+2.22
-0.15
EINREICHPLAN M 1:100
BAUVORHABEN:
NEUBAU VON 2 H‹HNERSTƒLLEN
STALL D UND STALL E
BAUWERBER:
TONI`S HANDELS GmbH
GLEIN 14
8720 KNITTELFELD
BAUPLATZ:
GRUNDST‹CK:
271
GEMEINDE:
RACHAU
KG:
GLEIN
ORTSCHAFT:
GLEIN
BAUWERBER:
GEMEINDE:
GRUNDEIGENT‹MER:
PLANVERFASSER:
BAUF‹HRER:
7 400 400 400 400 400 400 400 400 400 400 400 400 7 6
14 6 3974 6 14 786 14 6
3994 826
4820
6
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270 15 256
400 6 256 15 270 400
2052
DATUM:
MƒRZ 2003
PAUSEN:
6x
STATIK LAUT BAUAUSF‹HRENDER FIRMA
KOTEN PR‹FEN
FUNDAMENTE AUF TRAGFƒHIGEM BODEN UND
FROSTFREIE TIEFE GR‹NDEN
Nr. 16/2007
Buch III - Jiffy ST/A/R 19
Wohnhaus Bernhard Schwaiger
„Man schmeckt den Unterschied…“
www.triobeef.at
Städteplanung / Architektur / Religion Buch III - Jiffy
ST/A/R 21
Inserat_WB_Dez_07 18.12.2007 18:22 Uhr Seite 1
Wienerberger
B u i l d i n g
Va l u e : e i n e
k l a re Vi s i o n
für Ziegel
Wienerberger hat als Hersteller keramischer Baumaterialien
eine klare Vision: Building Value. Wir wollen mit Hilfe unsere r
N a t u r p rodukte bleibende Werte schaffen. Innovation, Beständigkeit,
Verlässlichkeit, Sicherheit und Qualität haben für uns
höchste Bedeutung. Auf diese Weise tragen wir zur Lebensqualität
jedes Einzelnen bei. Unsere Produkte werden für
Menschen gemacht, unter strenger Bedachtnahme auf unsere
Umwelt. Wir sind überzeugt mit unseren keramischen Baus
t o ffen den höchsten ästhetischen und baulichen Ansprüchen
g e recht zu werd e n .
Wienerberger AG
T +43 (1) 60 192-0, www. w i e n e r b e r g e r. c o m
22 ST/A/R
Buch III - Jiffy
Nr. 16/2007
Jiffys Feuerschale
Lust am Leben. umgeben
von einer wundervollen
Landschaften
im Herzen Europas.
St. Margarethen b. Knittelfeld
homepark@belvida.at
Nr. 16/2007
Buch III - Jiffy ST/A/R 23
ST/A/R empfiehlt…
und grüßt
STEFAN SARES
Gönner und
Kulturfreund
Rouven Dürr
Austrian writer Gabriele Petricek
(Zimmerfluchten, 2005, Von den
Himmeln, demnächst) and american
actor Daniel Benzali (Murder One,
1995, Murder at 1600, 1997,
The Grey Zone, 2001) in front of
the Restaurant Match 65, 29 East
65th street, New York, NY, on a
sunny tuesday in November 2007.
Petricek writes on a new novel and
Benzali recently returned to Broadway
theatres.
NEU! OPERNGASSE 20B, 1040 WIEN
24 ST/A/R
Buch III - Jiffy
Nr. 16/2007
LieberGotthilfmir
Vladimiro und Heidulfu Gerngross
wer mich kennt
kennt die welt
und wer die welt kennt,
kennt mich nicht. was ich weiß,
weiß nur die APA
und die APA weiß nichts
war is over- let’s fight
forever dead in the bead
peace for everybody
mein film wird vom
St/A/R TV erfilmt und hollywood geht pleite.
fernseheverbot für alle polizistinnen.
Städteplanung / Architektur / Religion
Buch IV - Kunst ST/A/R 25
RZ_inserat.qxd 06.11.2007 11:06 Uhr Seite 1
k/haus
exitus.
tod alltäglich
20. 10. 07 — 06. 01. 08
künstlerhaus
karlsplatz 5
1010 wien
künstlerhaus
100 Jahre Bestattung Wien
täglich
10 –18 uhr
donnerstag
10 – 21 uhr
www.k-haus.at
Anna Konik, „Disco Relaxation“
26 ST/A/R
Buch IV - Kunst
Nr. 16/2007
ROUTE DE LA MORT
Interview mit Wittigo Keller, Kurator der Ausstellung Exitus-Tod alltäglich
Thomas Redl: Wie ist die Ausstellung „Exitus - Tod alltäglich“
konzipiert?
Wittigo Keller: Generell muss man sich Gedanken machen,
wie es zu dem Thema und dem Ansatz der Ausstellung gekommen
ist. Das war die erste Stufe der Problematik: Wie zeigen
wir ein solches Thema und wo zeigen wir es. Wir wissen,
dass heuer 2007 die Bestattung Wien 100-jähriges Bestehen
feiert. Das war der erste Ansatzpunkt. Wir wissen, dass heuer
in den Geschäften, wo immer man hinblickt, der Totenkopf
von Pullovern, Hauben, Schals, Gürtelschnallen, Turnschuhen,
Taschen etc. auf uns einwirkt, dass es Kinderserien diesbezüglich
von Dior bis Lagerfeld gibt. Und wir wissen, dass
das Künstlerhaus innovative Thematiken neu aufbereitet sehr
schätzt. Das waren drei Elemente, die zusammen kamen und
es entstand ein Kooperationsprojekt zwischen Künstlerhaus
und Bestattung und so wurde die Möglichkeit geschaffen
dieses Thema hier im Haus an die Öffentlichkeit zu bringen.
Vom Konzept her haben sich verschiedene Ansatzpunkte
ergeben: Zum einen ist das Haus von der Architektur Grundriss
mäßig symmetrisch angelegt und genau diese Symmetrie
wurde bewusst als Gestaltungsebene eingesetzt. Wir haben
die drei Elemente des Ritualdesigns - Symmetrie, Frontalität
und Erhabenheit - ganz bewusst durchgezogen. Symmetrie
wie wir sie von Kultbauten wie Friedhöfen, Kirchen, Schlössern
und dergleichen kennen: die Räume teilweise diagonal
gestaltet und wir haben von jeder Öffnung, von jeder Raumfüllung
in den anderen Raum, die Möglichkeit ein ganz
prägnantes Objekt erkennen zu können. Wir haben vor allem
den großen Raum in einer exakten Diagonale gesetzt, wo wir
dann im Zentrum ähnlich einem Altar unser Trauerzentrum
errichtet haben, wo es möglich ist über Akustik die Themen
von Trauer in Form von Melodien, in Form von Trauertexten
und Gedichten auf sich einwirken zu lassen. Wir haben versucht,
diese Frontalität des Zuganges zu schaffen, damit ein
Dialog zwischen dem Ausstellungsexponat und dem Besucher
entstehen kann.
Vom inhaltlich Thematischen her, war es notwendig verschiedene
Ebenen und Themenbereiche zusammen zu bringen,
zu komponieren. Und so haben wir das Bestattungsservice
- jene Institution, die vielleicht am Intensivsten tagtäglich sich
mit diesem Thema auseinandersetzt -, die Kulturgeschichte,
die Kunst, die historische genauso wie die zeitgenössische,
und die Alltagskultur zusammengebracht und Raum übergreifend
präsentiert. Wir sind vollkommen von einer Raumthematik,
Raumbeschriftungen weggegangen und haben das
so genannte Raumprinzip des Insularen eingesetzt, wo wir
über die Farbe Rosa gewisse Flächen setzen, die sich durch
die ganze Ausstellung ziehen, nicht nur am Boden begehbar,
sondern auch erhaben in den einzelnen Vitrinen, die die
Vielfältigkeit der verschiedenen Themen in einem Raum wie
eine Perlenkette aneinander reiht und uns eine Chronologie
einer zeitlichen Abfolge, einer Reise, einer Route de la morte
ermöglicht.
T.R.: Auffällig an der Ausstellung ist, dass es eine Parallelität
zwischen sehr zeitgenössischen Arbeiten und alltagsrituellen
Bildern und Gegenständen bezogen auf den Tod gibt. Das ist
eine neue Zusammenstellung.
W.K.: Es ist zumindest eine relativ ungewohnte Möglichkeit
des Betrachtens wie es normalerweise in einer Ausstellung
noch nie gemacht worden ist, weil es eine gewisse Schwierigkeit
im Sinne des Präsentativen bedeutet. Man muss dem Betrachter
die Möglichkeit eines Zuganges geben, er muss eine
Art Leiter, einen Anhaltspunkt finden und das ist über das
thematische Konzept des Strukturellen, dieses insulären Prinzips
gemacht worden. Das ist genau dass Spannende: denn
die Alltäglichkeit des Todes, die wir dauernd erleben - in der
heutigen Zeit ist das Motiv und die Gefahr des Todes größer
denn je: zu falschen Zeit am falschen Ort zur falschen Stelle,
und schon hat es uns erwischt - ist unwahrscheinlich und
befremdlich geworden und gleichzeitig permanent präsent.
Dies thematisiert z. B. die junge polnische Künstlerin Anna
Konik in ihrer Installation: Es befindet sich ein drehender
Disko-Schädel „Disco Relaxation“ in einem Achteckraum mit
tausenden leicht in der Fläche sich ändernden facettierten
Spiegeln, die ihre Reflexionen an die Wand werfen in zwei
verschiedenen Richtungen gegeneinander. Die Dimension
des konkreten Todes, wie er aufblitzt in einer spaßigen Unterhaltungskultur,
um gleich wieder weg zu sein, weil wir
ihn nach hinten drängen wie in einem Screen, beginnt dort
zu wirken und gleichzeitig erfolgt damit die Auflösung der
konkreten Welt. Das ist eine spannende Geschichte, die wir
immer wieder in einzelnen Elementen zeigen, indem wir
vielleicht auch ganz leicht provokante Ebenen und Bereiche
zusammenstellen, damit dieser Reibungseffekt passiert.
Lucinda Devlin mit ihren gewaltigen Fotografien der Todeskammern
und Hinrichtungszellen wurden mit der Anatomie,
dem Inneren des Körpers und der psycho- und medizintherapeutischen
Auseinandersetzung kombiniert, genauso wie mit
Särgen, die im Bereich der Kunst und weniger im Sinne der
Funktion operieren, um gleich daneben den Leichenschmaus
zu präsentieren, eines der gewaltigsten Momente im Sinne
der psychischen Kompensation nach einem Begräbnis, um
diesen Erstschockszustand zu überwinden, um mit dieser
Übersteigerung des Theatralischen wieder einen kleinen Zugang
zur profanen Welt geben zu können.
T.R.: Wien und der Tod hat ja eine bestimmte Verwandtschaft.
Der Zentralfriedhof, dieses leicht Morbide ist auch
eine Tradition in dieser Stadt.
W.K.: Ich bin ganz glücklich, dass diese Tradition „Wien und
der Tod“ heißt und nicht „der Wiener und der Tod“, wobei
„Der Tod muss a Wiener sein“ ist, glaube ich, mittlerweile
schon urheberrechtlich geschützt. Wenn wir die ganzen
Nicht-Wiener Künstler durch die Epochen hindurch, egal ob
Maler, Schriftsteller, Bildhauer oder Musiker, betrachten,
fällt auf, wer länger in dieser Stadt gearbeitet hat, bei dem
tritt automatisch die Thematik des Todes sehr massiv in der
Arbeit auf, da muss die Stadt dieses Flair oder diesen Ansatzpunkt
haben. Mir selbst ist dies passiert, ich komme aus dem
Westen von Österreich an der Schweizer Grenze, bin zum
Studieren nach Wien gekommen und war nach einem dreiviertel
Jahr kannte ich jeden Friedhof und beschäftigte mich
mit der Thematik. Das ist eine spannende Geschichte und
nicht umsonst hat sich hier in Wien eine der grandiosesten
Funeralkulturen entwickelt, die z.B. 1867 begonnen hat, als
die erste private Bestattungsanstalt gegründet wurde, die die
Idee, die Vision hatte, den Bürger und seinen Letztabgang bis
zur Perfektion zu inszenieren. Der schöne Name war: ORTA
PRIESTL POMP FUNEBRE. Man kann sich fragen: Warum
das hochnäsige Französische in Wien?
Das ist ganz einfach, weil sch die bessere Gesellschaft vom
Proletariat unterscheiden wollte und genauso wie der Adel
in der Freizeit Französisch sprach. Daher kommt der gemütliche
Terminus „Pompfüneberer“, jene Symbolfigur des
Uniformierten mit der klassischen Zweispitz-Kopfbedeckung
als Prototyp der „schenen Leich“ schlechthin. Diese schene
Leich war für einen gehobenen Mittelstand einerseits vom
ideologischen Level andererseits von der Intensität des Geldtascherls
eine Möglichkeit, sich in der Ewigkeit zu manifestieren.
Diese schöne Leich als letztes Event und ein besonderes
Denkmal auf dem Zentralfriedhof in der Nähe der Ehrengräber
waren Highlights, für die es sich gelohnt hat zu leben.
T.R.: Ich weiß nicht, ob es ein Novum ist oder ob es so etwas
Wittigo: Sitzsarg, Hommage an René Magritte, 2001,
Installation © Wittigo
in anderen Städten auch gibt, in Wien gibt es das Bestattungsmuseum,
wo die Tradition des Bestattens musealisiert wurde.
W.K.: In diesem Zusammenhang hat in Wien natürlich ein
Museum gefehlt. Interessant ist, dass es das weltweit erste
über Totenkult und Bestattungswesen überhaupt war, 1967
an die Öffentlichkeit gegangen. Der Initialpunkt des Ganzen
war die Situation, dass diese frühen Bestattungsanstalten konzessionsfreie
Gewerbe waren, d.h. jeder Wiener ohne Ausbildung,
ohne Befähigungsnachweis konnte damals Bestatter
werden und ganz im Sinne der vielleicht etwas lakonischen
Aussage „Sterben tut jeder. Für Kunden ist gesorgt“ wundert
es uns nicht, dass innerhalb von nur fünf Jahren 87 Privatbestattungen
in Wien tätig waren, mit der unangenehmen
Nebenerscheinung eines aggressivsten Konkurrenzkampfes.
Da dies sehr unseriös ausgeartet ist, hat der damals waltende
Bürgermeister Karl Lueger 1907 entschieden, dass dem
ein Ende gesetzt werden muss und der Gemeinde Wien die
alleinige Zuerkennung der Genehmigung für Begräbnisse
gegeben wurde. Die Problematik damals war, dass diese 87
bestehenden Bestattungsunternehmen zurück übernommen
werden mussten, sie wurden käuflich zurück erworben und
es dauerte Jahrzehnte, bis die letzte 1951 in die Gemeinde
übergegangen ist. Ab dann war die Bestattung ein allein tätiges,
Monopol orientiertes Unternehmen mit einer Frequenz
von etwa 22.000 Begräbnissen pro Jahr. Das hat sich wieder
im Jahr 2002 durch neue Regelungen abrupt geändert, wo
liberalisiert wurde und wodurch wir heute wieder die privaten
Bestattungen haben.
In diesem Spannungsfeld entstand das Bestattungsmuseum,
weil ganz am Anfang durch die Übernahme der Privaten auch
das Inventar mitgenommen wurde und den Mitarbeitern
der Bestattung einfach eine Sammlung vor Augen geführt
werden sollte, um einen kleinen Einblick in die Geschichte
zu geben. Klarerweise ist das Interesse der Öffentlichkeit
erwacht, darum wurde dieser Teil des Bestattungsunternehmens
1967 für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht.
20 Jahre später habe ich das Museum in einer vollkommen
neuen Art konzipiert und präsentiert. Wir führen auch dort
keine chronologische Zeitgeschichte vor Augen, sondern in
Form von Überblicksthemen schaffen wir rituelle Ecken und
Installationen, damit wird nicht nur die Thematik des Todes
und Totenkultes im Sinne einer intellektuellen Sichtweise
der Betrachtung vermittelt, sondern kann sehr stark über
das mentale Element von Seiten des Betrachters aufgenommen
werden. Es entsteht auch hier der Dialog zwischen
dem Artefact und dem Publikum. Das Spannende in diesem
Museum ist, dass es derzeit nur mit Führung besichtigbar
ist und in diesem Führungskonzept habe ich auch eine ganz
neue Dimension des sogenannten Edutainments entwickelt,
d.h. eine Mischung zwischen Education, Informationsträger,
Ausbildung – wir sind mit sehr vielen Fachinstitutionen und
Universitäten in laufender Verbindung - und des Entertainments,
um den Tod leicht satirisch angehaucht dem Publikum
näher zu bringen.
„Pompfüneberer“
und die „schöne Leich“, barocke Üppigkeit bis in den Tod
und von Sparsamkeit geprägte Kuriositäten wie der
„Klappsarg“ Kaiser Josephs II., der wieder verwendet werden
konnte: Das Bestattungsmuseum der Bestattung Wien gibt
mit rund 1.000 Ausstellungsstücken einen umfassenden
Einblick in Bestattungswesen, Begräbnisrituale und das
besondere Verhältnis der Wiener zum Tod.
1040 Wien, Goldeggasse 19 · Tel. (01) 501 95-0 ·Tel. Anmeldung erforderlich
www.bestattungwien.at
Nr. 15/2007
Buch IV - Kunst ST/A/R 27
Interview mit
Martin Rasp
Foto: Thomas Redl
Berchtesgaden
Ateliersituation Martin Rasp
Hinweise auf Vergehen und
Vergänglichkeit
Thomas Redl: Meine erste Frage an dich: Ein wesentlicher
Punkt deines künstlerischen Prozesses ist die Arbeitsmethode.
Kannst du etwas über deine Methodik erzählen?
Martin Rasp: Also, die Bilder dauern ihre Zeit, und es geht in
erster Linie einmal darum, Dinge zu finden, und dann daraus
etwas zu machen, wobei das Finden eine eigene Geschichte ist.
Wenn man etwas finden will, findet man nichts. Man muss also
oder soll absichtslos die Landschaften, die Gegenden durchstreifen,
dann findet man natürlich Dinge. Eine Schweizerin
die ich in Ischia getroffen habe, hat einmal gesagt: „Ich habe
den Eindruck, die Dinge finden mich.“ Und das trifft natürlich
auch auf mich zu, weil ich erlebe, dass wenn man zu viel
will, eigentlich gar nichts passiert. Das andere wären dann
noch die Orte, die ich aufsuche.
T. R.: Du suchst spezielle Orte auf, die für dich, man kann fast
sagen, eine bestimmte Aura haben, und dort hältst du dich
auf. Das ist ein Teil deines künstlerischen Arbeitsprozesses.
M. R.: Ich suche Orte auf die entleert sind oder wo Zeugnisse
von früheren Zeiten spürbar sind, aber auch natürliche Orte wie
zum Beispiel den Flusslauf des oberitalienischen Tagliamento
oder Strände und Inseln von Dalmatien. Verschwindende
Orte sind zum Beispiel Lubenice auf der Insel Cres oder auch
Industriebrachen in Großstädten, in Ostberlin etwa, oder
Randbezirke von Budapest oder auch ehemalige Arbeitslager
auf den Bergen, wie auf der Rudolfshütte. Es interessieren
mich nicht die Berge, sondern diese Zeugnisse einer versunkenen
Zeit, und jemand hat einmal geschrieben: „Orte der
Verlassenheit ziehen Martin Rasp magisch an.“ Ich glaube,
das hat er so richtig gesehen. Ich mache das natürlich nicht so
bewusst, sondern es zieht mich mit einem inneren Kompass
an so einen Ort hin, der mich einfach fasziniert, und dann
geht es eigentlich mit dem Suchen los.
T. R.: An diesen Orten findet eine Sichtung statt, und du
nimmst von diesen Orten Fundstücke mit, die du dann im
Atelier zu Materialcollagen, zu Objekten zusammenstellst.
M. R.: Ja, und hauptsächlich gehen mir Gegenstände nahe,
wo irgendwo Geschichte spürbar ist oder auch das Thema
des Scheiterns oder der Lauf der Zeit drinnen liegt. Also zum
Beispiel angeschwemmte Schiffsteile oder einfach Dinge,
die die Menschen zurückgelassen haben. Ich habe jetzt in
Tagliamento wieder ein großes Tuch mit einer interessanten
Aufschrift gefunden. Es sind eigentlich Gegenstände, die vom
Lauf der Zeit, ich will nicht sagen, gedemütigt, aber doch verändert
worden sind, von der Natur verändert worden sind, vom
Regen, von der Sonne, vom Wind, und die dann für mich noch
eine ganz eigene Aura haben, also Gegenstände, die eigentlich
so zwischen nicht mehr und noch nicht angesiedelt sind. Und
diese Dinge bringen mich einfach zum Nachdenken und sind
auch der Impuls, indem ich sie beachte und sie dann mitnehme.
Natürlich gibt es auch diese Ansicht, dass ein Stein, den
ein Kind aufgreift und mitnimmt und in eine Tasche steckt,
auch noch eine Bedeutung bekommt, weil dieses Kind den
Stein in die Tasche gesteckt hat. Das kann man bei meinen
Dingen vielleicht nicht ganz so stark sagen, aber indem ich
diese verlorenen und von unserer Gesellschaft nutzlos ausgespieenen
Dinge, die mich eigentlich faszinieren, mitnehme,
kriegen sie natürlich zusätzlich eine Bedeutung.
T. R.: Sie werden eigentlich so etwas wie rückgeführt in einen
Bedeutungszusammenhang.
M. R.: Ja, dieses Fließen und dieses Vergehende, das halte ich
ein bisschen auf, indem ich diesen Gegenständen auf Zeit
wieder eine neue Existenz gebe, kann man etwas pathetisch
vielleicht sagen. Also, sie sind nicht für ganz verloren, sondern
sie leben halt in meinen Arbeiten wieder ein Stück lang
weiter. Ich meine, ewig leben sie auch nicht weiter, weil meine
Arbeiten natürlich auch nicht ewig sind. Das ist ein riesiger
Irrtum, dass man meint die Künstlerinnen oder Künstler leben
in ihren Arbeiten weiter. Das ist sicher nicht der Fall, sie
verschwinden in Depots und in 30 Jahren spricht über dies
oder das kaum jemand mehr. Aber es geht eigentlich um das
Tun, das andere ist nebensächlich.
T. R.: Wenn man deine Objekte ansieht, tauchen bestimmte
Elemente, bestimmte vergängliche Fundstücke, immer wieder
auf. Das Boot, Flugzeuge und ähnliches und das Boot
ist natürlich ein sehr, auch mythologisch, belegtes Symbol
und Element. Es gibt in der ägyptischen Mythologie, im
ägyptischen Totenbuch die Barke, die Barke dient der Seele
als Gefährt durch die Unterwelt. Welche Bedeutungen und
Bezüglichkeiten hat das Boot für dich?
M. R.: Das Boot hat also mit Sicherheit nicht diese mythologische
Bedeutung, die du jetzt geschildert hast, sondern das
Boot ist einfach eine Metapher für Aufbruch, für Weite, für
Abenteuer, für Freiheit und ...
T. R.: Mit dem Boot findet auch immer eine Überfuhr statt.
M. R.: Richtig. Es gibt natürlich auch diesen Wunsch, dass
dort drüben am anderen Ufer die Welt besser ist, was natürlich
ein Irrtum ist. Es ist also auch diese Sehnsucht, dass man
einen Ort verlässt und einen besseren oder interessanteren
Ort findet. Aber ich meine, ein Boot beinhaltet natürlich auch
die Metapher, dass man am Wasser geborgen ist, relativ geborgen.
Man kann mit einem Boot also in gewisser Weise ein
anderes Element bewältigen. Natürlich ist ein Boot auch eine
Metapher für Scheitern und Schiffbruch usw. Wenn man an
die Segelschiffe von früher denkt, die waren am Wasser relativ
schnell, aber wenn sie in Strandnähe gekommen sind, dann
war es sehr gefährlich, besonders bei Sturm, weil sie dann
manövrierunfähig waren. Und natürlich gibt es auch diese
Geschichten, die von Schiffbrüchen und Scheitern erzählen.
Also es ist für mich ein Symbol der Bewegung und der Weite,
aber es kann natürlich auch ein Symbol des Scheiterns sein.
Es ja auch diese Philosophie, dass man sagt, ich mische mich
nicht ein, wenn das Schiff scheitert, dass man sagt, ich schaue
nur zu, ich schaue der Welt zu, wie etwas passiert. Aber ei-
Städteplanung / Architektur / Religion Buch IV - Kunst
ST/A/R 29
Ateliersituation
gentlich, denke ich, sollte man nicht Zuschauer sein, sondern
sich schon auch in die Welt einmischen. Wenn man nur bedenkt,
was aus der Schifffahrt auch in die Sprache eingeflossen
ist: „sich an einen Strohhalm klammern“ und, und, und.
Also, Schiffe finde ich einfach faszinierend, vielleicht auch
weil ich an der Donau aufgewachsen bin. Ich meine, heutzutage
in unserer globalisierten Welt spielt das nicht mehr
eine so große Rolle, es gibt die Containerschiffe, die auf Kurs
eingestellt werden. Vielleicht gibt es noch Segler, die dieses
Abenteuer haben. Aber trotzdem ist ein Schiff als Metapher
für mich unbedingt immer noch präsent und hat auch nach
wie vor eine Bedeutung.
T. R.: Wenn man dein Werk jetzt kunstgeschichtlich betrachtet,
kann man sagen, dass die Kunstströmungen aus den 60er
und 70er Jahren, also einerseits Arte Povera in Italien und
andererseits Bewegungen, die in Deutschland stattgefunden
haben, Joseph Beuys zum Beispiel, wesentliche Impulse für
Richtungen ändern sich
ja ständig, und sicher
denkt man einmal, dass
das vielleicht noch breiter
angelegt werden soll. Ich
fotografiere ja auch oder
habe schon Aktionen gemacht,
aber das bin halt
irgendwie ich, und ich soll
irgendwo auch nicht meine
Authentizität hergeben,
um auf irgendwelche
Züge aufzuspringen. Das
wäre ein Thema, über das
man lange reden kann, wie
man eigentlich doch strategisch
geplant wird, wie
man irgendwo ein breites
Betätigungsfeld findet oder
wie man Aufmerksamkeit
erregt. Ich glaube immer
noch daran, dass sich die
Qualität in erster Linie
über das Werk definiert.
Natürlich sollte man dann schauen, dass Leute, die in dem
Metier drinnen sind und die ein gutes Urteil abgeben können,
die Arbeiten sehen, da soll man schon Angeln auswerfen.
Wenn man keine Angeln auswirft, ist man total isoliert,
und Rückmeldungen braucht man schon. Angeln auswerfen
genügt, ob dann einer anbeißt, das ist ein anderes Thema,
aber wenn man keine Angeln auswirft, kann auch nichts anbeißen.
T. R.: Jetzt gibt es für mich noch einen interessanten philosophischen
Ansatz. Wir haben unsere menschliche Existenz
zwischen den zwei Feldern cultura und natura, zwischen der
Kultur des Menschen und dem zweiten Element, der Natur als
archaisches, ursprüngliches Element angesiedelt. Man könnte
behaupten, dass du in deiner Arbeit versuchst, die Trennung
zwischen diesen zwei Bereichen aufzuheben, dass dich vielleicht
eine Sehnsucht treibt, Zivilisation und Natur zusammenzuführen.
Kannst du damit etwas anfangen?
wo man, wenn man will, seine 35 Programme haben kann.
Möglichkeiten oder Zeichen unserer Zeit, die sind da einfach
weg, es stört, sage ich unter Anführungszeichen, niemand.
Man kann sich selbst einbringen und man sieht dann andere
Dinge oder wird auf etwas aufmerksam, was man vorher kaum
wahrgenommen hat, und das Wahrnehmen ist ja nach wie vor
eine entscheidende Sache. Es ist ein riesiger Unterschied, ob
ich mit einem Flugzeug über 5000 Kilometer von A nach B,
meinetwegen nach Indien, Südostasien oder nach Südafrika,
fliege oder ob ich jetzt mit einem Auto von A nach B reise,
da erlebe ich natürlich schon mehr, oder ob ich zum Beispiel
zu Fuß irgendwohin gehe oder mit dem Fahrrad fahre. Also
da sehe ich viel mehr, nehme ich viel mehr wahr als wenn
ich in einem Flugzeug von A nach B fliege. Dieses Reisen ist
ja jetzt wieder ganz anders geworden. Früher hat man sich
vorbereitet auf den Abschied, man hat Abschied genommen,
man hat ein Geschenk mitgenommen, man hat es den neuen
Leuten gegeben, und man hat nicht gewusst, wie es da wird.
Heutzutage beschwert man sich, dass der Wasserhahn im
Hotel nicht geht. Man hat nicht gewusst, wie das wird, man
hat sich also wirklich ausgesetzt, man hat denen ein Geschenk
zur Beruhigung gegeben. Dann hat man das neu erlebt und
war offen für die neue, unbekannte Gegend. Das mache ich
halt in kleiner Form noch so, indem ich Orte aufsuche, die
quasi nicht in der Wüste Gobi liegen, die in meiner weiteren
Umgebung sind, das ist für mich sehr wichtig.
T. R.: Jetzt haben wir ja über den Faktor Zeit gesprochen. Es
gibt einen Punkt im Arbeitsprozess, wo man definiert, das ein
Objekt fertig ist, das es ein fertiges Kunstwerk ist. Das definiert
man einerseits selbst, und andererseits wird das auch
durch Galeristen, durch Museumsleute, durch den ganzen
Betrieb, der das Kunstwerk dann teilweise auch in sehr abstrakter
Form in Preiskategorien festlegt, bestimmt. Jetzt
könnte man die Idee entwickeln und sagen: Okay, es ist etwas
von einem Rohmaterial zu einem informierten oder belegten
Material geworden, also zu einer Sache, die spricht – zu einem
Kunstwerk, wenn man will. Man könnte das ganze aber auch
wieder rückführen, indem man definiert, wann wandert ein
Objekt vom Museum wieder in die Natur zurück und wird
dem Kreislauf des Vergehens wieder einbezogen. Was hältst
du von dieser Idee?
Hauptsächlich gehen mir Gegenstände nahe, wo irgendwo Geschichte spürbar ist oder
auch das Thema des Scheiterns oder der Lauf der Zeit drinnen liegt. ... also Gegenstände,
die eigentlich so zwischen nicht mehr und noch nicht angesiedelt sind.
deine Arbeit waren?
M. R.: Ich meine, aus den 70ern eigentlich mehr, weil ich bin
ja erst Anfang der 70er Jahre zur Collage gestoßen, und ich
habe dann gemerkt, dass das mein Ding ist. Und man sieht
natürlich auch Ausstellungen und Werke, die ähnlich gelagert
sind. Man sagt, irgendwo ist das mein Ding auch, was die machen.
So ist dann schon ein gewisser Einfluss entstanden, aber
eigentlich hilft es einem nicht sehr viel, die Fläche ist nach wie
vor leer. Und wenn man bei der Documenta noch einen Beuys
erlebt hat, dann hilft das einem selbst eigentlich sehr wenig.
Man kann vielleicht Philosophien aufnehmen oder kann diese
Grenzüberschreitungen, die er ja doch gemacht hat, zur
Kenntnis nehmen, aber eigentlich geht es schon um einem
selbst, und wenn man selbst kein Naheverhältnis zu Dingen
herstellen kann, dann hilft das ganze Wissen über verschiedene
Künstler einfach nichts. Sicher in den 70er Jahren war
die Objektkunst auch sehr wichtig und es hat auch die Kunst
der Assemblage gegeben. Das kommt aus früherer Zeit, da
könnte man jetzt bei der Collage bei Picasso anfangen, dann
könnte man über Schwitters gehen, und Rauschenberg ist
wieder von Schwitters beeinflusst, so ist das alles verzahnt,
und Beuys hat natürlich auch seine Antennen ausgefahren
und hat geschaut, was da läuft. Da gibt es ja sehr verwandte
Arbeiten von Tapies zum Beispiel und Beuys und es gibt die
Fluxus- und Happeningbewegung dieser Zeit. Sicher komme
ich von der Collage her, die ich dann zum Objekt weiter entwickelt
habe. Das ist eigentlich mein Ding.
T. R.: Das hast du beibehalten in deinem Werkverlauf der
letzten 25, 30 Jahre. Das ist ein Kontinuum, ein wesentliches
Element deines Werks - die Collage und das Objekt. Jetzt bewegst
du dich in deiner Lebensweise eigentlich nicht in den
Zentren, wo die Kunst stattfindet. Siehst du dich selbst als
Autodidakt, als Einzelgänger, als Zurückgezogener?
M. R.: Das ist eigentlich nicht das Entscheidende, sondern entscheidend
ist, dass man einfach arbeitet. Sicher sind Kontakte
nicht schlecht, damit man Rückmeldungen bekommt oder
jemand die Arbeit schätzt. Aber eigentlich möchte ich gar
nicht in einer Stadt leben, obwohl ich Städte natürlich auch
kenne und sie schon bereist habe. Stile, Entwicklungen und
M. R.: Ich habe eigentlich keine kopfmäßig gesteuerte
Botschaft. Wenn da jemand irgendetwas erkennt, ist es schön.
Ich denke aber, dass ich vielleicht subjektiv gesehen doch
ein bisschen aus den Nachklängen der deutschen Romantik
schöpfe, wir haben ja, wie schon gesagt,
auch andere Künstler, die in der
Richtung weiter arbeiten. Es ist vielleicht
ein bisschen zu hoch gegriffen,
aber ich sehe durchaus Verwandtschaft
oder Parallelen zwischen einer
Ruinenlandschaft des Kaspar David
Friedrich und meinen vom Schicksal
gedemütigten Objekten die ich mache
und den Menschen zeige. Also dieser
Hinweis auf Vergänglichkeit, da sehe
ich schon eine gewisse Parallelität. Und
die Natur, sicher ich lebe in den Bergen
und bin am Flachland in Niederbayern
an der Donau aufgewachsen, also
da wird man irgendwo schon durch
Landschaften und Flüsse, durch Berge
geprägt, und die Sehnsucht ist ja natürlich
das Meer, wie sie die Deutschen
auch schon früher nach dem Süden gehabt
haben.
T. R.: Jetzt suchst du immer wieder
dort, wohin du dich hinbegibst, die
Einsamkeit und die bewusste Zeit, wo du dich aus dem alltäglichen,
sozialen Leben ausklinkst. Ist das ein wichtiger Schritt
für deine Arbeit und deine Reflexion?
M. R.: Ja, das ist natürlich schon sehr bedeutend, weil wir ja
wissen, dass das Leben auch aus Kontrasten besteht, und es
gibt da genügend Beispiele, die will ich gar nicht aufzählen, wo
man sagt: Jetzt will ich für mich sein, mich kasteien oder nachdenken,
dann bin ich wieder im Getriebe unserer Welt. Also
für mich sind diese Orte, wo wenig Menschen sind, einfach
auch wichtig, weil man da eher zu sich selber kommt. Man hat
keinen Geräuschpegel, man hat keine Einflüsse, man hat nicht
auf der Straße 500 Menschen, die an einem vorübereilen, und
man sieht die Reklame nicht, und man hat keinen Fernseher,
M. R.: Das ist eine wunderbare Frage, weil ich das nämlich
einmal ausgeführt habe. Ich habe zum Beispiel an der
Mündung des Tagliamento ein altes, kaputtes Schiff gefunden
und habe das dann nach Hause gefahren. Dann habe ich öffentlich
gesagt, wenn es jetzt von Ausstellung zu Ausstellung
transportiert wird – es war eine Ausstellung nur über das
Schiff, die Metapher Schiff – dann bringe ich als Abschluss
dieses Schiff wieder zurück, fahre wieder hinunter und lege
es wieder an den Strand hin, und es weiß niemand, dass es
schon in Ausstellungen oder im Museum war. So etwas gefällt
mir gut. Und ich habe einmal in Werfen ein Luftschiff
Ateliersituation
aus Schwemmholz von der Salzach gemacht, ich mache ja
auch viele Flugmodelle aus diesen Gegenständen, und dieses
Luftschiff haben wir innerhalb der Burgmauern in Werfen
aufgehängt und da ist es im Wind hin und her geschaukelt.
Dann habe ich es einmal in Salzburg ausgestellt, einmal in
Wien, und irgendwo wollte es mir ein Flieger dann abkaufen,
ich habe aber gesagt: Das gebe ich nicht her. Antizyklisch.
Und dann ist es immer weniger und weniger geworden, weil
es nicht so stabil gemacht war, es war aus Schwemmholz.
Ich habe dann dieses Schwemmholz genommen, bin nach
Werfen gefahren und habe es dort wieder an den Fluss gelegt.
Also solche Zyklen gefallen mir natürlich schon sehr gut.
T. R.: Das ist eigentlich genau der Gedanke, der mir in den
Kopf gekommen ist, den du wirklich vollzogen hast. Wir sind
heute in einer Zeit, in der wir einen permanenten Hang zur
Archivierung und Musealisierung haben, es sind in den letzten
20 Jahren enorm viele Museen gebaut worden, und es ist ein eigenes
Verhältnis zwischen Archivierung und Vergänglichkeit
entstanden. Gleichzeitig ist auch der Versuch in unserem
Leben präsent beim menschlichen Körper die Vergänglichkeit
aufzuhalten. Es gibt die kosmetische Industrie und es gibt ständig
diese Überlegungen, das Alter zu verzögern. Es wirkt so,
als ob wir in unserer Zeit mit dem Faktor Vergänglichkeit und
Vergehen gar nicht mehr umgehen können, und daraus resultiert
vielleicht auch dieser starke Hang zum Musealisieren
und Archivieren. Und jetzt ist natürlich eine Kunst, die die
Vorgänge von Vergehen und Vergänglichkeit stark mit einbezieht,
so etwas wie ein Aufzeigen, dass wir trotzdem diesen
Zyklen verhaftet sind.
Arbeitstisch
M. R.: Das kann man so sehen, dass das Leben endlich ist, dass
das in gewisser Weise dargestellt wird. Ich denke schon, dass
wir uns einfach über schöne Dinge im Leben freuen, keine
Frage und wunderbar, aber natürlich den Tod, den soll man
nicht ausgrenzen. Man muss natürlich schon sagen, dass es
richtig ist, wenn sich Dinge weiterentwickeln, und der Medizin
verdanken wir sicher viel, zum Beispiel dass wir länger leben.
Aber ich meine, deswegen ist der Tod nicht ausgeschaltet. Ich
finde es einfach ganz schön dumm, muss ich eigentlich sagen,
wenn man heute sagt: Ich lasse etwas an mir verändern, weil
bestimmte Dinge an mir sind ja furchtbar. Da entstehen halt
dann diese Einheitsmenschen, die alle gleich lange Haare haben
oder alle gleich ausschauen. Also das ist natürlich schon
auch ein Zeichen dieser Oberflächlichkeit und dieser quasi
optischen Geschichte, die jetzt in unserer europäischen Welt
oder auch bei den Amerikanern abläuft, aber wo die Tiefe eigentlich
nicht mehr so zum Tragen kommt. Das bemerkt man
dann auch oft in Dialogen: Ist das Okay für dich? Ja. Ist das
wirklich Okay für dich? Für mich ist das ok, oder so. Es wird
eigentlich nicht die ganze Breite besprochen, es ist immer alles
nur vom Erfolg abhängig. Nach meiner Ansicht ist Erfolg
eigentlich der, wenn man sich mit der Sache, die einen fasziniert
intensiv beschäftigt, und wenn man sich mit etwas stark
beschäftigt, dann kommt automatisch etwas heraus. Sicher
brauche ich dann Leute, die das reflektieren. Wir erleben ja
die ganzen Prozesse bei den großen Firmen oder Banken, wo
das schnelle Geld einfach alles ist, aber Gott sei Dank gibt es
noch viele Menschen, die sagen: Ich möchte einen gewissen
Wohlstand, aber Geld ist nicht alles. Ich war neulich wieder in
Kroatien unten und habe keine Platte zum Arbeiten gehabt,
da bin ich zu irgendeinem Taucher hingeschickt worden, und
er mir eine Balsaplatte von einem Schiff gegeben, da wollte
Detail einer Arbeit
30 ST/A/R
Buch IV - Kunst
Nr. 16/2007
ich ihm zwanzig Euro geben, und er hat mich beschämt. Er
sagte zu mir: Was ist Geld? Oder wie sie früher gesagt haben,
wenn man mit den Leuten gesprochen hat: Ja, im Sommer
arbeite ich. Was machst du im Winter? Sagt er: Leben.
T. R.: Es ist eine andere Wahrnehmung von Zeit und
Lebenszyklen.
M. R.: Es ist einfach eine andere Herangehensweise. Sicher
geht es jetzt ins Politische und das führt natürlich zu weit.
Ich habe ja früher selbst viel politisch gearbeitet. Ich kenne
mich bei Bürgerinitiativen aus und ähnlichem. Ich brauche
in meiner Kunst kein Polit-Design über das Elend unserer
Welt machen, wo ich nicht weiß, ob das überhaupt eine
Auswirkung hat; wo dann diese Bilder teuer von den wohlhabenden
Leuten gekauft werden, und im Grunde genommen
geht es den Armen nicht besser, das stelle ich schon sehr in
Frage. Da ist es viel gescheiter, wenn man wirklich politisch
arbeiten will, sich in allen möglichen Organisationen oder
Bürgerinitiativen einzubringen oder was vor Ort zu verändern
ist, zu verändern. Ein Video über die Wohnungssituation alter
Menschen in Hongkong zu zeigen, was natürlich in das
Weltspiegelmagazin und Fernsehen passt, ich weiß nicht, ob
das gesellschaftsverändernde Wirkung hat. Ich zweifle das
sehr stark an.
T. R.: Es gibt natürlich auch den politischen Chic in der Kunst,
wo man behauptet, man setzt sich mit Trendthemen auseinander,
und es hilft einem dann sich im Kunstmarkt zu positionieren.
M. R.: Genau richtig.
T. R.: Und andererseits ist der Kunstmarkt, wie viele andere
Bereiche des Wirtschafts- und Kapitalmarktes, ein Markt,
der eine sehr starke Eigendynamik entwickelt hat, und es
gibt astronomische Preise und es geht vor allem darum,
Geld zu verschieben oder zu vermehren. Das hat alles mit
dem Kunstobjekt, mit dem Künstler und mit der ursprünglichen
Funktion eines Bildes nichts mehr zu tun und hat
keinen Bezug mehr dazu. Es ist an sich schon abstrakt den
Wert eines Bildes mit Geld auszudrücken, weil Kunst sich
nicht standardisieren lässt und es nicht in das standardisierte
Wirtschaftsspiel passt.
M. R.: Das Bildermachen und der Kunstmarkt, das sind für
mich nach wie vor zwei ganz verschiedene Sachen. Es war
vor kurzem interessant zu lesen, dass Gerhard Richter ein
Interview in der Süddeutschen Zeitung geben wollte, und er
es dann wieder untersagt hat. Es ist aufgenommen worden,
und dann hat er es nicht freigegeben. Der Journalist hat dann
über das Interview berichtet, was rechtlich nicht angreifbar
ist, und in dem Bericht war zu lesen, das Gerhard Richter,
der ja, wie wir wissen, in der Rankingliste und auch bei den
Preisen die Nummer 1 ist, über den ganzen Kunstmarkt riesig
geschimpft hat, dass es einfach nicht mehr reell zugeht, wie
sich das Ganze als Selbstläufer entwickelt, und er hat dann
Ich glaube immer noch daran, dass sich
die Qualität in erster Linie über das Werk
definiert.
auch noch über andere Dinge geschimpft. Also sogar ein sehr
erfolgreicher Künstler, erfolgreich vom Bekanntheitsgrad, von
der Qualität, von den Einnahmen her, der ja froh sein müsste
und sich zurücksetzen und irgendwo happy sein könnte, das
es bei ihm so gut funktioniert, regt sich also richtig auf.
T. R.: Dieser Kunstbetrieb ist im negativen Sinn sehr abstrakt
geworden, aber vielleicht ist wieder eine Sehnsucht zu spüren,
wo man eigentlich zu den ursprünglichen Funktionen
der Kunst zurück will, wo die Kunst in einem fast rituellen
Gebrauch wieder eingebunden ist und im weitesten Sinn
eine spirituelle Funktion ausübt. Vielleicht steckt in dieser
Unzufriedenheit diese Sehnsucht drinnen.
M. R.: Das kann ich mir durchaus so vorstellen.
T. R.: Und ich glaube, die Problematik besteht auch darin,
dass das Rituelle, das Magische, das Spirituelle immer stärker
aus unserer Gesellschaft verbannt wurde und dass hier
ein Vakuum vorhanden ist, denn es ist doch ein wesentliches
Bedürfnis der menschlichen Existenz, magische und spirituelle
Bezüge zu haben, die über das Rationale hinausgehen.
Man kann auch sagen, schöpferisches und künstlerisches
Schaffen hat einen magischen Zug und der führt letztendlich
ins Spirituelle und findet dort seine wirkliche Funktion und
nicht in der abstrakten Welt der Kapitalflüsse.
M. R.: Na klar, wie wir jetzt die Kunst in 100 Jahren bewerten,
das wissen wir nicht, oder wer jetzt sehr geschätzt wird, was
mit dem in 50 Jahren ist, wissen wir auch nicht. Ich denke
aber doch, dass die Leute, die sich mit der Materie auseinandersetzen,
die über Kunst reden, die Kunst vermitteln, die
also die Sprache der Bilder erklären, dass die schon erkennen,
ob es sich um ein authentisches Werk handelt ist oder
ob da jemand irgendwo aufgesprungen ist auf den Zug des
Mainstream. Man kann natürlich auch sagen, das man anhand
des Werkes spürt, ob es dem oder der Künstlerin ein
persönliches und starkes Anliegen war 1und dann ist auch
schnell spürbar, ob etwas authentisch ist. Und ein Thema ist
natürlich: Was ist mit diesem Künstler oder mit der Künstlerin
in 20, in 30, in 40 Jahren? Springt sie/er dann wieder auf einen
neuen Kunstzug auf? Ich denke aber doch, dass man mit
zunehmender Lebenszeit und Lebensalter eine gewisse Mitte
und ein eigenes Weltbild entwickelt, und an dem gilt es zu
arbeiten, um dieses Weltbild sichtbar zu machen.
T. R.: Das ist ein sehr schöner Abschluss. Danke für das
Interview.
Ateliersituation, Detail
Martin Rasp
1940 geboren in Vilshofen/Donau (D); 1971-77 Studium an der
Internationalen Sommerakademie für Bildende Kunst, Salzburg.
Mehrmalige Auszeichnungen und Preise u.a. des Salzburger
Kunstvereins (1975, 80, 83), der Sommerakademie Salzburg (1976)
und des Landes Salzburg (1985).
Arbeitsaufenthalt in Berlin, Südkorea,Dresden, Budapest.
Lebt und arbeitet in Berchtesgaden.
Zahlreiche Einzel- und Gruppenausstellungen im
In- und Ausland (Auswahl)
1975 Museum Castelvechio, Verona
1978 „Palette“, Galerie im Traklhaus, Salzburg (E)
1979 Wilhelm Lehmbruck Museum , Duisburg
1982 „Tagliamento 81“, Galerie Armstorfer, Salzburg (E)
1985 „Orte der Steine“, Galerie Weihergut, Salzburg (E)
1987 Galerie Kremer, Gelsenkirchen (E)
1988 „Die Moderne in Salzburg“
Museum Carolino Augusteum, Salzburg
1989 „Im Lauf der Zeit“, Tengelmanngalerie, Köln (E)
1994 „Vom Schwinden der Dinge“, Galerie an der
Stadtkirche, Bayreuth (E)
1996 „Materialcollagen“ Museum der Moderne Rupertinum
Salzburg (E)
1998 „Dinge sprechen“, Museum Moderner Kunst, Passau (E)
2000 Zwischen Land und Meer“, Galerie Weihergut, Salzbug (E)
2002 Museum der Stadt Rovinj, Kroatien (E)
2003 Niemandsland“ (mit Gerald Piffl), Museum Moderner Kunst,
Passau und Galerie Weihergut, Salzburg (E)
2006 „Orte der Verlassenheit“, Galerie im Traklhaus/Studio, Salzburg (E)
„Über alle Berge“, Installation, Land Art Hellbrunn, Salzburg
2007 „Positionen der Stille “ Galerie Weihergut Salzburg
Vertreten auf internationalen Kunstmessen:
Art Collogne, Köln Kunst , VIENNAFAIR Wien
Martin Rasp wird seit über 20 Jahren durch die Galerie Weihergut vertreten –
Stammhaus Biberngasse, Salzburg. Februar/März 2008 findet eine umfangreiche
Einzelschau in der Galerie statt. Vertreten auf der VIENNAFAIR 2008 und
Art Cologne, Kunst Köln.
www.weihergut.at
MARTIN RASP
Nr. 15/2007
Buch IV - Kunst ST/A/R 31
Entfernung des Vorläufigen
Ein Mädchen zu sein heißt, es ist noch keine Frau.
Es ist zwar Jungfrau, auch schon als Mädchen,
aber eben keine Frau, denn einer Frau mag
etwas Mädchenhaftes ankleben, aber wenn sie
ein Mädchen ist, ist sie ein „es“ und keine Frau.
Jedenfalls kann man die Begriffe so streng trennen
- wenn man will.
Diese Arbeit von Thomas Strobl zeigt das Gesicht
eines Mädchens. Der Blick ist verloren, sie
blickt in eine Sphäre, über die der Betrachter
mutmaßen muß. Das ist insofern erstaunlich,
als das Mädchengesicht dem Betrachter frontal
zugewandt ist. Tatsächlich liefert das Format in
Überdimensionierung das Mädchengesicht dem
Betrachter geradezu aus. Die Haut ist bestürzend
glatt, porentief rein, da würde Perwoll noch
mächtig fusseln gegen. Die Konturen wirken
fotografisch genau - allerdings stellt sich heraus,
daß sie mit verschiedenen, sublim gesetzten
Kontrastfarben in ein untergründig arbeitendes
abstraktes Spannungsfeld eingearbeitet sind. Der
Kopf taucht spontan und doch präzise aus dem
Bild auf - aber eben nicht der Blick. Das Mädchen
hat die Freiheit, woanders hin zu sehen. Der
Betrachter wird seinen Blick nie fixieren können.
Dadurch ist es Thomas Strobl gelungen, eine
Distanz zu erzeugen, die dem Sujet - ein Mädchen,
noch keine Frau - Respekt erweist, Tribut an die
Unüberschaubarkeit des Lebensabschnittes, in
dem ein Mädchen ein Mädchen ist.
Thomas Strobl
www.tom.qu.am
Gesche Heumann / Wien
„diese person leidet unter den worten
stendhals“ – 2007,
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32 ST/A/R
Buch IV - Kunst
Nr. 16/2007
Einige Ähren einer
Ästhetik der Ganzheit
v. Manfred Stangl
Kunst ist nicht Gott. Und auch nicht zu vergotten; ums Leben
geht’s, um ein erfülltes Sein, nicht darum, berühmt und
genial zu glänzen im Scheinwerferschein.
Das unsinnige Spiel mit der Kunst, der Missbrauch ihrer Stilmittel
und Prinzipien zum Zwecke sich selbst zu erhöhn hört
nur auf, erkennt sich der Kunstschaffende in folgenden Sätzen:
irgendwie stimmts schon - jeder Mensch ist ein Künstler; doch ist
ein jeder Künstler erst einmal ein Mensch.
Kunst steht nicht außerhalb des Lebens oder gar der Welt. Sie ist
Teil unsres Wachsens und Lachens oder unsrer inneren Leere
und der kompensatorischen Jagd nach dem Geld oder dem Fluch,
höchster Aufmerksamkeit hinterher zu rennen.
Die Form hat den Inhalt verschlungen; der ist dann zum Code
verdaut, der wird als Hauptinhalt besungen: was am Meisten
wie Kunst aussieht wird eloquent geschwätzig zum Meisterwerk
aufgebaut.
Nur weil was sich mysteriös ziert, heißts nicht gleich bedeutende
Kunst. Jeder durchgestylte Unsinn ist weder postwendend Kunst
noch genial, oft präsentiert sich uns Blödsinn oder Alltagsgegenstands-Pessimismus-Kitsch
inferior banal.
Ästhetik der Ganzheit integriert, was Moderne und Vernunft orientierte
Zeiten ausschließen. Intuition und Gefühl, Lebensfreude
und Buntheit mögen wie Sommergras in einem milden Regen
aus den dampfenden Aschen der linearen Einförmigkeit moderner
Un-Welten sprießen.
Die Mondin spricht: „Schaut den Krokus, den Himmel, die
Birken; schaut mit geschlossenen Augen, dass ihr begreift. Schaut
mit Haut und Atem so lange, bis ihr mit dem Wesen seht, statt
mit den Wörtern. Dann erblickt ihr in einem Tautropfen den
Himmel wohnen, und mich zusammen mit ihm. Dann nehmt ihr
grundlegend wahr: das Große und das Kleine, Schönes und Hässliches,
alles und nichts, was ihr Welt nennt und was die Nicht-
Welt existieren gemeinsam in Einem. Alles ist Teil einer Welt,
einer ungetrennten, aufeinander bezogenen und damit einander
verantwortlichen Welt. Alles ist eins.“
„Ideologie, gefährlich“, zischts hinter einem Spiegel hervor, „wer
von Einem spricht meint sicherlich was anders oder sich selbst.
Auf jeden Fall klingts bedenklich.“
Der Himmel stöhnt: „Ingenieure des Geists haben Welt und
Augen vermessen im Glauben, in Skalen, Genen und Vernetztem
den Alphatierchen-Gott zu finden. Kunstmarkt-Künstler bauen
die Welt neu aus Kunststoff und aus verkrampft originellen
Bildern einer sinnlich entstellten Welt. Dabei zählt nur Macht,
Konkurrenz, Sieg, Erfolg und Geld. Das verschleiern sie hinter
Heldengeschichten vom Zynismus und dem Vernichten. Ihr
Hohn gilt der Bescheidung, allem wahrhaft Schönen und dem
Verzichten.“
Die Mondin fährt fort, „Doch Verzicht auf die lässig, provisorisch
und aktuelle Behübschung der Fassaden und auf selbstdarstellerische
Gesten schenkt innere Zufriedenheit, gibt dem Dasein
tiefren Sinn und verweist, wo in der Kunst noch steckt Leben
drin. Die Kunst aber, die jung, dynamisch, originell, besonders,
außergewöhnlich und einmalig daherkommt ist Huldigung der
Moderne, weil sie die Werte des Ich-Kults frommt.“
Der Himmel strahlt: „Lange habe ich die Mondfrau vermisst.
Strenge Männer hatten sie vor dem Tagesanbruch geraubt, als sie
ihre Lampen entbrannten, heller als die Sonne zu strahlen und
Atome zu spalten voll Gier und auch List. In der Dämmerung
sangen die Frauen zärtlich die Mondin zurück. Heut Abend blickt
sie mich leuchtend an. Ich liebe, ich bin entzückt.“
Das Tuscheln wird lauter: „Wie kitschig, konservativ und entrückt.“
Der Himmel seufzt: „Ich sagte bereits: Ich liebe. Bin ich
deshalb reaktionär und verrückt?“
Die Erde klagte dem Baum, wie sehr sie die Zäune schneiden. Er
winkte die Schwalbe herbei, die ließ einen Buchsamen aus ihrem
Schnabel fallen. Der Same keimte, gedieh, sprengte das Leiden.
„Halt!“ schrieen da die Land- und Handvermesser, „Gewalt!
Aggression! Wo ist’s Sprachmesser? Uns darf keiner pflanzen,
entgrenzen unsre Weiden!“ Der Same reifte zum Baum. Das
Geschrei wurde sehr laut, ging zeitweise über in Jaulen: „Brutalität!
Da will uns wer töten! Wir versperrten die Töchter der Nacht
zu Recht hinterm Zaun. Entschlüpfen sie, erwürgt uns der Faun
und jede Frau und jeder Mann wird zuvor brutal vergewaltigt und
die geschändeten Leiber verscharren wir zwischen den Büschen.
Schützt der Intellekt uns nicht, wird die Nacht mit ihren modrigen
Schatten uns erwischen.“
Wind, Wasser, Erde und Wind beben: „In eurer Angst vor dem
Leben erschuft ihr aus Wörtern, Bildern und Ideen eine zweite
Welt, in der ihr glaubt, endlich zu verstehen. Den Herbst verflucht
ihr als Mörder, weil er welke Blätter verweht, den Regen
hasst ihr abgründig, weil er euch ans Wachsen gemahnt. Und
wachsen heißt immer: mit der Natur sich verschwistern - sich
öffnen, erkennen, dass ihr aus Erde besteht und dem in euch, das
ahnt. In eurer Blendung und dem Trotz aufs Leben glaubt ihr
höher als die Bäume zu wachsen, vergiftet den Regen, die Milch
und das Lachen. In eurer Alleswisserei zerstört ihr das Werden
durch das Machen. Und dann nennt ihr den Herzschlag und
jeden Frühling alt, kitschig oder tabu.“ Das Feuer brennt darauf
fort zu fahren und fügt fauchend hinzu: „Wörter wie Liebe, Licht,
Mitgefühl, Freude, Glück und Intuition verachtet ihr als rückständig,
denn sie kennt man ja schon. Doch ihr braucht die Welt in
eurer „Kunst“ nicht neu zu erschaffen, das vermögt ihr nicht zu
tun – lasst euren brennenden Geist ruhn und schaut der Welt still
ins Angesicht, glaubt nicht, ihr wisst besser was sie denkt oder
spricht, hört ihr einfach zu statt in eurer Satzhatz zu hecheln nach
der nächsten Provokation und dem allerletzten Tabu.“
Das moderne Zauberwort heißt „neu“. Lilienduft und schöne Gefühle
sind schlecht. Schwarzmalerei und mutierte Meere gelten
als echt. Wer die Idylle des Grauen stört, dem wird ordentlich eingeschenkt;
eilig wird das Begriffsweihrauchkännchen der heiligen
Moderne geschwenkt, Begriffe wie „Schönheit“, „Natürlichkeit“
und „Wahrheit“ müssen panisch wegexorziert werden. Meint
„Liebe“ nicht Ficken und Gebrauchen, hat sie nichts verlorn hier
auf Erden. Im Kanon ertönt rezitativ und gekränkt: „Altmodisch,
trivial, lange her.“ Klingt neben Emotionalem gar Spirituelles an,
folgt der allermächtigste Bann: „Totalitär!“
Mit der Aufklärung erklomm Kunst den Status der Ersatzreligion.
Heute kennt Ihre Gottheit mit Häretikern keinen Spaß,
kein Pardon. Es darf neben Kunst keine andern Götter geben,
alles erscheint ihr banal, vor allem zufriedenes Leben. Da im
patriarchal-hierarchischen Denken immer nur ein Gott sein darf,
wird Spiritualität in der Kunst sofort diffamiert und zur Nicht-
Kunst erklärt. Als Kunst gilt jetzt nur, was mit dem Unsinn und
dem Nichts kokettiert. Wobei sie sich stets in neuen, modischen
Gewändern präsentiert, die wie des Kaisers neue Kleider jedoch
kaum verhüllen, dass eigentlich nichts sich tut. Das sehen leider
nur die Augen der Kinder, des Winds und der Bäume sehr gut.
Glücklicherweise hängen nicht alle Künstler an der Ideologie
des Neuen und Unsinnigen doktrinär, sie haben keine Parolen
darüber im Kopf, was denn Kunst sei und rufen deswegen, taucht
Schönes, Sinnliches und Transrationales auf, nicht gleich die
Wörterpolizei.
Ich traue dem instrumentellen Denken nicht. Es windet sich
schlau, schaut einem selten offen ins Gesicht; es will nie das
Ganze ergründen, bloß dauernd was sagen. Neulich am See
belauschte ich zwei Platanen beim Klagen. Die eine ächzte: „Je
mehr die Menschen denken, desto kaputter wird die Welt.“ Die
andre schüttele sich angewidert, dass die Blätter nur so stoben:
„Sie glauben, nur sie besäßen Bewusstsein, dabei haben sie nicht
einmal soviel Hirn wie ein Stein. Sie sehn nicht, wie sie die Umwelt
und damit sich selbst zu Grunde richten, geschweige denn,
dass sie mit den Herzen dächten und in ihrer Kunst von den
Wurzeln droben in den Himmeln und den Zweigen im Erdreich
berichten.“
Die Cerberusse der Wörter-Welten meinen, wenn die Nebel und
die Nacht das Korsett des Denkens und der angespannten Haut
sprengten, brächen der wilde Mond und ihre Hündin hervor,
verschlängen Häuser und Beine. Dabei haben die Ideen längst
alles Blut gefressen, die Augen, warmes Lachen und die farbigen
Steine.
Wenn Wissenschaftsglaube und abendländische Philosophie
dahin führen, die Erde schamlos auszubeuten sowie unsern
Lebensgrundlagen den Gnadenstoß zu geben, sage ich. „Die Erde
ist keine Kugel sondern eine Schildkröte, respektieren wir sie und
lassen uns und auch noch die Kinder in Schönheit leben.“
In der heilen Welt der etablierten Moderne wird Kritik gleich mit
Aggression identifiziert; wer unbequeme Fragen stellt wird nach
allen Regeln der Kunst ausgegrenzt und als Barbar wegrationalisiert.
Doch geht Apfel-Ästhetik von einer Welt aus, die alles gelten
lässt – ist doch alles Teil der Welt. Sie unterscheidet zwar, hasst jedoch
nichts wie die Pest, und wenn sie auch angreift, gilt letztlich
die Berührung, die zählt.
Niemand wird verdammt, nichts was vernichtet aus dem Sein
heraus fällt. Gelobt sei das Wachsen, doch der Winter weiß, dass
die erstarrte Wiese im Schnee sich in den Träumen ans Sonnenlicht
quält.
Jeder Wandrer schreitet im ureigenen Tempo den Pfad zu den
Pässen empor. Unzählige Pfade schlängeln sich zu den Gipfeln
hinan. So gilt der Berg-Ästhetik kein Thema als schlecht: jeder
Suchende findet den passenden Wegweiser und alles ist Recht,
einerlei ob es bürgerlicher Realismus, sozialer, phantastischer,
magischer oder irgendeiner oder eine Form von Avantgarde sei.
Ein jedes ist zu bestimmten Zeiten dem einen oder dem andern
echt. Doch entsinnlicht Ästhetik der Ganzheit niemanden durch
das stete Verharren im Nihilismus zum dekonstruierten Knecht.
Jedes Wort sei ein Versuch genau hinzuhören, jedes Bild eine
Welt, wie drei Augen sie sehn, jeder Ton heile zerbrochene Lider
und jedes Komma sei gewürdigt, das verhilft, sich selbst, die Welt
und die Beziehung zu verstehn.
Ein Baum ist ein Baum, doch ist er auch Regen und fließt mit
Wolken und Erde und Samen ins Meer. Ein Vogel ist Mensch,
der Mann ist auch Frau, in der Sonne erkennt die Frau dann ihr
herrliches Blau. Im Herbst schenkt Mutter Erde ihre rotgoldenen
Früchte zum achtungsvollen Verzehr.
Ästhetik der Ganzheit bringt mildes Dunkel ins Licht. Singt
Hymnen an die Nacht und den Nebel und fürchtet Verdrängtes
und die Finsternis nicht, sondern integriert sie ins Sein: so bleibt
niemand in Angst und Kälte allein. Angenommen verliert das
Irrationale die Macht; vom Mondschein und dem Gesang der
Sirenen durchflutet, erblüht der Schrecken zur Schönheit der
Nacht. Depression und existentialistisch finstere Sicht in Lyrik
und prosaischer Literatur umarmen das milde Lächeln der Mondin
und die Regenbogenfarben der Göttin Natur.
Musik strömt aus dem rhythmischen Beben ihrer Brust, gellt
nicht disharmonisch voller Frust. Mit der Nacht vereinte bildende
Kunst präsentiert sich nicht gehirngeil im Rampenlicht, bastelt
nicht süchtig an Form, Image, Style und dem vorteilhaftesten
Verkaufsgesicht, sondern lässt sich auf Abenteuer ein jenseits der
geschützten Räume der Kunst und des Tauschwerts Schein.
Die ewig Modernen sehn im Fortschritt nur den gefällten Baum
in einem zerschnittenen Raum; höher hängen sie die Lampen,
helfen Aktienkursen statt dem Wandrer zu steigen und plätschern
mächtig im Schaum. Sie singen in der Kunst das Lied vom
Einzigartigen und Großen und quetschen wie Thunfischhändler
im künstlichen Licht der Fabriken die Meere in Dosen. Originell
und besonders, innovativ und individuell soll man heute sein, zur
Konservenkunst kommt ein bisschen Tomate und Bitterstoff und
Unnachvollziehbares mit rein. Die Erfinder der neuen Techniken
in Wirtschaft und Kunst rühmen sich der Genialität, lassen für
ihre Innovationen die geistlosen, einfachen Menschen bezahlen -
beschwert man sich spät, werden die Künstler-Bürokraten des formellen
Fortschritts weitere Phantasmagorien malen von Schmerz
ohne Heilung und Bühnenbildwände voll der Agonie kreativ und
originell verpackt. Sie bleiben ohne jede Ahnung oder echtem
Gefühl, Hauptsache schrill, grell und befrackt gelackt nackt.
Der Kirschenmann lacht: „Nur mit geschlossenen Augen und bei
Nacht sieht der Aufmerksame klar und erahnt was ist Getue, was
ist wahr.“
Stilmittel ganzheitlicher Ästhetik überwinden die lineare, hierarchische,
logische Form. Kennen keine Angst vor der Redundanz,
die Welt schwingt in Zyklen, nicht in genordeter Norm. Analogie,
zyklische Formen, archetypische Metaphern, Fabel und Mär
entsprechen einer translogischen Realität und den Strömungen
im Weltenmeer. Als ästhetische Prinzipien seien Mitgefühl, Stille,
Einfachheit und Ausgewogenheit zwischen Ironie/Kritik und der
Schönheit genannt, doch da gelten noch einige mehr.
Wie leben in einer gewaltig verdrängenden Zeit und Kultur.
Hinter unsäglicher Larmoyanz und Destruktion verdrängen wir
Ohnmacht, Hass und riesige Angst. Und da so unheimlich viel
ausgegrenzt bleiben muss hinter den Zäunen und Hecken der
Zivilisation, bereitet uns alles und jeder Verdruss und halten wir
die Flüsse und die Wälder unter Verschluss. So erschüttern uns
der Eulenblick und der Walfischschrei-Gruß bis ins Mark und
dürfen wir die Kraft, die am Blut zerrt, nicht dulden. Doch bricht
sie empor, weil wir sie weder mit Gebet und Opfer noch mit
Mythen versöhnen. Je mehr Beton wir auf die Wiesen und aufs
Zwerchfell luden, die Fassaden zu verschönen, desto wahnsinniger
peitscht der Feuersturm los, versengt Städte, die Münder
und den bergenden Schoß.
So muss auch Kritik sein, die Gefahrn zu erkennen; jedoch nicht
respektlos, nicht entwertend sei versucht, die kulturelle Psyche
des Abendlandes zu benennen.
Ästhetik des Monds wuchs wie ein Lindenbaum. In schönen
Gesprächen mit Freunden reckten sich Äste in Wolken und Wind.
Andere antworteten heftig, so lernte das Bäumekind und wiegte
sich ohne zu fallen. Wo der eisige Sturm bitter fauchte, rissen die
morschen Äste geschwind. Im Ziehen und Zerren entwickelten
die Wurzeln kräftige Ballen.
So verdankt ihr Wachstum die Ästhetik der Früchte allen.
Rimbaud kündete zu Beginn des Modernen, man müsse unbedingt
modern sein; doch nun erkläre ich, halb feierlich, halb
aus Scherz, doch - eingedenk der Weisheit der Einhörner und
Hexen, welche die ganzheitliche Ästhetik fliegend verwendet - voll
saftigem Herz und eingedenk der postmodernen Zitierwut, die
wissentlich blendet:„Alles Moderne beendet.“
Und allen Hand- Land- und Augenvermessern, die permanent
plärren: „Das bin ja ich“ ins Angesicht: „Ihr seid Papierblüten nur
des Abendlandes – Lieblinge des Gezeitentreibsandes.
Unnötigen Missverständnissen vorzubeugen, sei gesagt, dass die
Weisheit vom Ganzen nichts gemein hat mit politischer Totalität
– sowenig wie die Selbstbestimmung und Individualität des
Einzelnen geschwächt werden soll – bloß glücklich macht’s nicht,
wenn wir pseudoindividuelle Images leben statt unser Leben zu
sein - mitfühlend und hoffnungsvoll.
Die Wörter und Töne und Bilder der Himmel-Ästhetik haben
breite Ränder; weit wie das Meer, in das eine ganze Welt noch
einmal passend könnt tauchen. Das klingt unlogisch und ist es
auch; genauso, wie „Liebe“ zu hauchen. Die Wahrheit des Seins
lässt sich nicht messen oder denken, aber in Freude und Einfühlung
verstehen und einander schenken.
Hand in Hand zu stehen mit dem Wald, wo Angst war sprießt
bald ein Baum; ist dies nicht ein herrlicher/weiblicher wunderschöner
Traum?
Städteplanung / Architektur / Religion
Fabia_Combi_274x420_Star 13.12.2007 15:56 Uhr Seite 1
Buch V - Kunst-ST/A/R ST/A/R 33
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34 ST/A/R Buch V - Kunst-ST/A/R
Nr. 16/2007
Nr. 16/2007
Buch V - Kunst-ST/A/R ST/A/R 35
Law and Crime
Interview mit Andreas Manak zu den 2 permanenten
Rauminstallationen von Herwig Steiner
Installation Herwig Steiner, Eingangssituation, Not one more execution
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Passagen Verlag Herwig Steiner Gesetz und Verbrechen Andreas Manak Herausgeber Editor
Thomas Redl: In den Büros von Rechtsanwälten
gibt es die „klassische Beschmückung durch
Kunst“. Sie haben in ihrem Büro mit den beiden
permanenten Rauminstallationen von Herwig
Steiner einen sehr mutigen Kontrapunkt gesetzt.
Diese Arbeit bezieht sich konkret auf politische
und rechtsstaatliche Situationen, einerseits auf
die Nürnberger Rassengesetze und andererseits
auf Fallbeispiele von fragwürdigen Todesurteilen
in den USA. Das heißt, hier wurde mit der
Arbeit von Herwig Steiner ein sehr spezifisches
und auch konkretes Statement abgegeben.
Wie haben die Berufskollegen reagiert und wie
reagieren die Klienten, die im Alltag mit diesen
Arbeiten konfrontiert werden?
Andreas Manak: Wir haben uns natürlich lange
überlegt, was wir künstlerisch in der Kanzlei machen
sollen, sowohl formal als auch inhaltlich.
Von vielen Kanzleien kennt man ja die Konzepte,
dass man beliebig Kunst sammelt, oder
dass man auch Kunst ausleiht, für eine kleine
Gebühr den Künstlern die Gelegenheit zu einer
Art Dauerausstellung bietet. Die Kanzlei scheint
sich damit aufzuwerten, in Wirklichkeit ist das
aber nur eine Art von Bordellbetrieb, in dem
man die nackten Kanzleiwände zur Verfügung
stellt, um anderen die Möglichkeit zu bieten,
sich dort zu prostituieren. Und das wollten wir
von vorne herein nicht. Sobald festgestanden ist,
dass wir nach dem Umbau der Kanzlei großflächige
Glaswände und Glastüren haben werden,
hat sich dann die Frage der Gestaltung gestellt.
Wir sind ganz langsam von eher designorientierten
Vorstellungen zum Thema Kunst gekommen.
Herwig Steiner hat natürlich auch einige
Motivationsarbeit geleistet. Ich wäre nicht selbst
auf diese konkrete Idee gekommen oder ich hätte
auch nicht den Mut gehabt, so etwas umzusetzen,
weder ästetisch noch inhaltlich. Herwig hat
mich zuerst von der Ästhetik und auch von der
technischen Machbarkeit überzeugt, und dann
haben wir uns die Inhalte überlegt. Mir war
dann sehr rasch klar, dass man es an diesem geschichtsträchtigen
Platz nicht bewenden lassen
kann mit originellen Harmlosigkeiten, wie z.B.
der Präambel zum ABGB. Das war eine Voridee,
ein durchaus interessanter Text, aber heute nicht
mehr ganz aktuell, auch wenn demnächst der
200. Jahrestag des ABGB gefeiert wird. Damals
ein mutiger Akt, 1811 wurde dieses bahnbrechende
Gesetzeswerk erlassen, das heute in der
Anwendung noch sehr wichtig ist, aber das wäre
keine politische Aussage. Ich bin seit ich denken
kann ein politischer Mensch, ein kritischer
Mensch und es war mir wichtig, sowohl als
Person als auch als Anwalt ein Statement zu
setzen. Damit müssen meine Klienten, meine
Anwaltskollegen und die Mitarbeiter leben. Ich
bin überrascht über das Ausmaß an positivem
Feedback zu den Arbeiten von Herwig Steiner.
Ich habe mir viel mehr kritische Stellungnahmen
erwartet, wir haben aber sehr, sehr positive
Reaktionen erlebt, von vielen Seiten, und insofern
hat das meinen Weg bestätigt.
T. R.: Ich finde das Werk in zwei Richtungen
sehr gelungen, einerseits in der raumkonzeptuellen
Ebene und andererseits in der konkret
inhaltlichen Aussage. Definiert wird im Grunde
genommen der Missbrauch von Recht und die
Macht der Sprache?
A. M.: Herwig und ich haben die beiden
Die politische Kaste ignoriert jede Art von Sachargument und
setzt eine populistische Machtpolitik durch, die von der Struktur
her nichts anderes ist, als die Nürnberger Rassengesetze.
Herwig Steiner
Gesetz und Verbrechen
Law and Crime
Andreas Manak
Herausgeber Editor
Themen, also Antisemitismus einerseits und
Todesstrafe andererseits, ausgewählt, um
Extremfälle von Unrecht darzustellen, die im
formalen Gewand des Rechts daherkommen.
Bei den Nürnberger Rassengesetzen ist das
Unrecht in Gesetzesform erlassen worden; man
findet sie im Reichsgesetzblatt ein paar Seiten
nach einer Novelle zum Handelsgesetzbuch und
anderen ganz banalen zivilrechtlichen Normen;
im anderen Fall ist das Unrecht durch Gerichte
in die Welt gesetzt worden, aber jedenfalls
auch in einem formalen Akt, der den Anspruch
für sich erhebt, Recht und damit zumindest
vom Telos her Gerechtigkeit zu schaffen. Und
hier in den Arbeiten von Herwig Steiner wird
gezeigt, wie die äußere Form des Rechts bewusst
missbraucht wird. Es ist ja nicht ein Missgeschick
oder ein Fehlgriff passiert, sondern es
wurde ganz bewusst Rechtsetzungstechnik
missbraucht, um das Unrecht in die Welt zu
setzen. Auch für die Fehlurteile, die zur Vollstreckung
der Todesstrafe in den USA führen, sind
Menschen konkret verantwortlich. Dort wurde
im Prozessverlauf ganz bewusst manipuliert,
wurden von Seiten der Polizei und von Seiten
der Richter Beweismittel unterdrückt, teilweise
Berufungsschriften nicht akzeptiert etc.. Man
hat z.B. in den USA die Berufungsmöglichkeiten
formal drastisch reduziert und auf diese Art
und Weise dazu beigetragen, dass es zu solchen
Extremfällen kommen kann. Und was gibt es
Extremeres als einen Menschen zu töten unter
Berufung auf Recht und Gerechtigkeit.
T. R.: Unter der Berufung von “law and order”.
Herwig Steiner
Gesetz und Verbrechen
Law and crime
Not one more execution!
Pre-Prints
Andreas Manak
Herausgeber/Editor
ISBN-10: 3-85165-771-3
ISBN-13: 978-3-85165-771-5
Passagen Verlag, Wien
A. M.: Mich fasziniert, seit ich mich mit
Recht und Rechtssprache beschäftige, dass,
auch vom sprachtheoretischen Gesichtspunkt
gesehen, Recht in Gewalt mündet,
geradezu münden muss, weil die ultimative
Durchsetzung des Rechts in Gewalt
besteht. Das wird legitimiert, indem man
sagt, man konzentriert Gewalt beim Staat, das
bekannte Gewaltmonopol des Staates, weil ja
letzten Endes Recht immer auch Streit zwischen
Menschen schlichten soll, und da muss unter
Umständen einer dazu gezwungen werden dem
Anspruch des Rechts des anderen und dessen
Durchsetzung auch nachzugeben. Es muss nicht
immer die Todesstrafe sein, es kann ein ganz
banaler Fall einer Räumungsexekution gegen
einen säumigen Mieter sein. Auch hier wird
mit Polizeigewalt jemand aus seiner Wohnung
geworfen, und auch hier muss man sehr genau
schauen, ob die Voraussetzungen dafür da sind,
die ein hoffentlich gerechter Gesetzgeber ins
Gesetzbuch geschrieben hat.
Das heißt, es geht um den Konnex zwischen
Sprache und Gewalt, der dem Recht
an sich immanent ist, und darauf sollen
dieser Werke in meinem Verständnis hinweisen.
T. R.: Das heißt, die Problematik stellt sich
immer dort, wo eine rassistische oder politisch
extreme Programmatik der Rechtsausübung
innewohnt?
A. M.: Ja, es gibt immer wieder politische und
soziale Verhältnisse, in denen Recht missbraucht
werden kann. Gerade die aktuelle Debatte
um den Asylgerichtshof ist ein gutes Beispiel,
wo man entgegen massivsten Warnungen von
hoch angesehenen Juristen gerade vor zwei
Tagen beschlossen hat, Unrecht zu schaffen. Ich
behaupte, die besten Juristen dieser Republik
wenden sich öffentlich gegen diese Form des
Asylrechts und gegen den Asylgerichtshof. Die
politische Kaste ignoriert aber jede Art von
Sachargument und setzt eine populistische
Machtpolitik durch, die von der Struktur her
nichts anderes ist als die Nürnberger Rassengesetze.
Wir haben auch im Buch, das zu
den Werken erschienen ist, die geschichtliche
Verbindung der katholischen Kirche zum Nationalsozialismus
thematisiert. Wir befinden uns
hier direkt neben dem Stephansdom in einem
Haus, das im Besitz der katholischen Kirche ist.
Kirche und Macht ist ein Thema, das in vieler
Hinsicht sehr unerfreulich ist. Dadurch haben
sich die Themen der Steinerschen Installationen
förmlich aufgedrängt.
T. R.: Noch eine abschließende eher allgemeine
Frage. Wie sehen Sie die heutige politische
Situation: die zunehmende Radikalisierung,
die Globalisierung, die Migrantensituation, den
Verlust sozialer Ausgewogenheit, das Aufkommen
von neuem Rechtsradikalismus und den
schlummernden Antisemitismus?
A. M.: Zum aktuellen politischen Geschehen
oder zu Tendenzen der Radikalisierung in der
gegenwärtigen Gesellschaft kann man viel sagen
oder gar nichts, ein Mittelweg ist schwer. Die Radikalisierung
ist sicher ein aktuelles Phänomen.
Menschen reagieren vielfach auf die extrem
beschleunigte Entfremdung mit psychischen
Problemen, und ich zähle Selbstmordattentate,
Rechtsradikalismus und Kindesmord letzten
Endes insgesamt zu psychischen Reaktionen auf
Entfremdungsprozesse. Hier wird politisch viel
zu wenig getan, im Gegenteil, jeden Tag, wenn
man die Tageszeitung aufschlägt und sich politische
Berichte ansieht, wird immer verständlicher,
warum Menschen in den Extremismus
getrieben werden, sei es durch Handlungen oder
sei es auch nur im Denken. Die Verlogenheit
und der Schein, das „So tun, als ob“ wird von
höchsten staatlichen, politischen und wirtschaftlichen
Würdenträgern zelebriert, und das ist natürlich
durchschaubar. Aber selbst wenn es nicht
intellektuell durchschaut wird, reagieren die
Menschen darauf, und das in einer sehr unerfreulichen
Weise. Die Entfremdungsphänomene
führen letztlich auch dazu, dass alle Formen von
Rassismus und auch von Antisemitismus neuen
Nährboden gewinnen. Ich sehe von der Basis
her keinen Unterschied zwischen einer
extrem fremdenfeindlichen Asylgesetzgebung
und Antisemitismus. Beides ist genährt
von einem Gefühl der Minderwertigkeit, dem
Wunsch nach Ausgrenzung, des Hasses auf
Andersartige, und es kommt auch nicht darauf
an, ob die Verfolgten und Unterdrückten und
Abgeschobenen mosaischen Glauben haben
oder einer bestimmten Rasse angehören, es
kommt darauf an, dass ein Sündenbock gesucht
wird für eine Gesellschaft, die sich selbst nicht
mehr in den Spiegel schauen kann.
T. R.: Das heißt, das Fundament einer ausgewogenen
gesellschaftlichen Struktur mit ausgewogenen
Verhältnisse im Sozialen, Gesellschaftlichen
wie auch im Politischen geht uns immer
mehr verloren?
A. M.: Vereinfacht gesagt, eine Gesellschaft in
der die Einkommensunterschiede seit 50 Jahren
in allen nur erdenkbaren Parametern immer
größer werden, egal ob man jetzt die obersten
und untersten zehn Prozent vergleicht, Männer
und Frauen vergleicht oder andere Parameter
heranzieht, die ökonomischen Unterschiede
werden immer größer, das hat Auswirkungen
auf das Bewusstsein der Leute und auf die
Entwicklung der Gesellschaft insgesamt. Das
heißt jetzt nicht automatisch, dass eine Verringerung
der Einkommensunterschiede alle
sozialen Probleme lösen würde, aber es würde
eine beträchtliche Entspannung der Drucksituation
für viele, viele Menschen liefern, während
durch dieses Auseinanderdriften der sozialen
Schichten immer mehr zumindest subjektiv das
Gefühl haben, zurückzubleiben. Genau das ist ja
auch sozialwissenschaftlich der Hintergrund für
Rassismus und politischen Extremismus – nicht
so sehr das absolute Elend, sondern die relative
Verelendung gegenüber immer größerem Protz
und Verschwendungssucht, der auf der anderen
Seite zur Schau gestellt wird.
T. R.: Danke für das Interview.
Städteplanung / Architektur / Religion Buch V - Kunst-ST/A/R
ST/A/R 37
Foto: XXXXXXXXX
Rechtsanwaltskanzlei Manak & Partner, Stephansplatz 6, 1010 Wien
© Herwig Steiner / Gesetz und Verbrechen / Installation – Glaswand mit Doppeltüre / 4-teilig / computergenerierter Glasdruck / 2004/05 / 322,20 x 434,10 cm / Foyer Kanzlei Manak & Partner / Fotokonstruktion: Ebenhofer / Steiner
38 ST/A/R Buch V - Kunst-ST/A/R
Nr. 16/2007
Foto: Walter Ebenhofer
Zu den Installationen
von Herwig Steiner
Wolf Guenter Thiel
Herwig Steiner / Ausschnitt / Not one more execution / Installation - drei Glaswände mit 5 Türen / Tageslichtsituation
13-teilig / computergenerierter Glasdruck / 2004/05 / 321,0 x 155,5 cm + 325,4 x 1136,05 cm + 325,4 x 170,4 cm
Korridor Kanzlei Manak & Partner
Abstraktion bezeichnet einen Vorgang, bei dem
die Sicht von der realen Welt oder einem Modell
in ein einfacheres Modell gefasst wird. Dieses
visuelle Modell hebt im Falle Steiners die wesentlichen
Bestandteile der Nürnberger Rassengesetze wie auch
neuerer Urteilsbegründungen für Todesurteile in den
Vereinigten Staaten wörtlich hervor. Der Sinn besteht
darin, wesentliche Elemente dieser Rassengesetze und
neuere Begründungen für Todesurteile in den USA in ihrer
menschenverachtenden Haltung hervorzuheben. Ziel ist es,
diese menschenverachtenden Denkmodelle mit der heutigen
Gesetzeslage in Österreich ins Oppositionsverhältnis zu
setzen und sich im Ansatz als Künstler wie auch als Anwalt
gegen jede Art von Rassismus und die Todesstrafe generell zu
wenden. Aus dieser Blickperspektive sind die zwei einzelnen
Arbeiten „Gesetz und Verbrechen“ zu den Nürnberger
Rassengesetzen und „Not one more execution!“ zu den
Begründungen für Todesurteile in den USA von Herwig
Steiner in der Anwaltskanzlei am Wiener Stephansplatz 6 der
Rechtsanwaltskanzlei Andreas Manak & Partner als abstrakte
Kunst anzusprechen.
In seiner Arbeit „Gesetz und Verbrechen“ hebt Steiner
zwei komplementäre Aspekte bezüglich der Nürnberger
Rassengesetze von 1935 hervor: Erstens bringt er den
Not one more execution – Detail
besonderen Rechtsbruch und die Pervertierung der
Rechtsauffassung der Nürnberger Rassengesetze zum
Ausdruck. Zweitens veranschaulicht die Arbeit deren
Relevanz und mahnende Wirkung für die heutige
Gesetzgebung und das zugrunde liegende Rechtsverständnis
gerade im Ausländer- oder Asylrecht. Die Nürnberger
Rassengesetze gelten als Inbegriff der Pervertierung des
Rechtsstaats-Gedankens durch den Nationalsozialismus.
Die Rassenideologie erhielt durch sie einen juristischen
Anstrich. Der NS-Genozidpolitik wurde damit letztendlich
der Weg bereitet. Der Abstraktionsprozess besteht darin,
das Modellhafte der Rassengesetze so zu extrapolieren, dass
der warnende Effekt und die Hervorhebung der eigenen
politischen und ethischen sowie juristischen Haltung jedem
Besucher der Kanzlei sofort und unmittelbar vor Augen
geführt wird, und das sprichwörtlich. Andreas Manak
selbst sagt zu der Arbeit: „Ein besonderer Aspekt dieses
Werkes ergibt sich aus dessen Standort in einem Haus am
Stephansplatz, unmittelbar gegenüber dem Stephansdom,
„dem“ Wahrzeichen des katholischen Österreichs.“
117
„Dem Werk „Not one more execution!“ liegt ein
umfangreicher schriftlicher Bericht aus dem Jahr 2000 mit
dem Originaltitel „Reasonable Doubts: Is the U.S. Executing
Innocent People? A Report of the Grassroots Investigation
Project“ zugrunde. Der Bericht enthält 15 detaillierte
Fallstudien über Personen, die zwischen 1974 und 2000
zum Tode verurteilt und hingerichtet wurden, obwohl sie mit
großer Wahrscheinlichkeit unschuldig waren. [...] Herwig
Steiner hat von den fünfzehn Fällen des Berichts acht
ausgewählt und auszugsweise für die dreizehn Glastafeln
verwendet ...“1) Eine Todesstrafe kann nach heutiger,
europäischer Rechtsauffassung nur Ergebnis eines gesetzlich
genau festgelegten und kontrollierten Rechtsverfahrens sein.
Sie setzt Gesetze voraus, die Straftatbestände definieren, für
die Todesstrafen vorgesehen sind, sowie die gesetzmäßige
Inhaftierung, Überführung und Verurteilung des Täters. Das
gesamte Verfahren kann, sofern es als legal gelten soll, nur
durch dazu bevollmächtigte Vertreter eines Staates vollzogen
werden. In Staatsgesetzen verankerte und danach vollzogene
Todesstrafen setzen also ein funktionierendes, im Bereich
dieses Staates gültiges Rechtssystem voraus. In den meisten
Staaten, die die Todesstrafe als Gesetz verankert haben und
anwenden, ist sie im gewöhnlichen Strafrecht für Mord, oft
auch für Entführung, Vergewaltigung, Raub mit Todesfolge
vorgesehen.
Seitdem es die Todesstrafe gibt, versucht man ohne Erfolg
ihre „Notwendigkeit“ zu begründen. Für die Behauptung
etwa, die Todesstrafe habe eine größere abschreckende
Wirkung als andere Strafen, konnte nirgendwo auch nur der
geringste Beweis erbracht werden. Ohnehin müsste dieses
Argument immer gegen andere abgewogen werden, wie
etwa das Risiko der Hinrichtung Unschuldiger, oder gegen
die Willkür und Diskriminierung bei ihrer Anwendung und
gegen das Leiden, das sie verursacht. Staatliches Töten ist
keine angemessene Antwort auf Mord und Kriminalität. Wo
sich der Staat zum Richter über Leben und Tod aufschwingt,
nimmt nicht Gerechtigkeit ihren Lauf, sondern es wird Rache
und Vergeltung geübt. Außerdem: Wenn der Staat selbst die
Tötung eines Mörders anordnet, ist es schwierig zu erklären,
dass die Ermordung eines Menschen Unrecht darstellt. Eine
Regierung kann nicht gleichzeitig die Menschenrechte achten
und die Todesstrafe verhängen.2)
Wie geht Herwig Steiner in seiner Arbeit mit diesen
Diskursfeldern um? Er tut das, was Ludwig Wittgenstein für
die Philosophie vorschlägt: «Die richtige Methode der Philosophie
wäre eigentlich die: Nichts zu sagen, als was sich sagen lässt, also
Sätze der Naturwissenschaft - also etwas, was mit Philosophie
nichts zu tun hat.» Steiner tut genau dies, er nimmt die
totalitäre, inhumane Sprache und Sprachregelungen - um
solche geht es ja in beiden bearbeiteten Sachverhalten
- wörtlich und zitiert sie. Es sind nicht die Sätze der
Naturwissenschaft, sondern die Begründungen für
Todesurteile oder Passagen der Nürnberger Rassengesetze. Er
tut dies, indem er sie auf polydimensionale, an futuristische
Bildgründe erinnernde, abstrakte Raumverhältnisse aufbringt.
Diese werden durch den harten Einsatz von Signalfarben
wie Rot, Orange, Gelb und Schwarz zusätzlich dramatisch
betont. Der Hintergrund ist konkret abstrakt, auch wenn er
an Feuer, Magma oder infernalische Bedeutungsumfelder
erinnert. Warum sind die Bildgründe konkret abstrakt und
nicht figurativ oder realistisch? Sie sind konkret abstrakt, um
der ikonographischen Bezüglichkeit gegenüber totalitärem
Bilddenken zu entgehen. Gerade die totalitären Regime des
letzten Jahrhunderts förderten die abbildhafte, figurative
und realistische Malerei. Die einen förderten realistische
Malerei zur Darstellung von Glanz und Glorie des NS-
Regimes und ihres „Führers“, die anderen wollten Arbeitern
und Bauern ein Denkmal setzen und Stalin zum Heroen
der arbeitenden Bevölkerung stilisieren. Kunst wurde zum
Propagandainstrument der Politik und figurative Kunst
in der Geschichte zumeist politisch vereinnahmt und zu
Propagandazwecken eingesetzt. Steiner setzt sich hiervon
ab und wendet die eindeutige Zuordnungsmöglichkeit ab.
Hätte er dies gewollt, dann hätte der Künstler inhaltlich
verifizierbare Zusammenhänge im Hintergrund festgehalten.
Der Diskurs wird von ihm in eine strukturelle oder
konstruktive, möglicherweise historische, politische und
rechtswissenschaftliche Richtung gewiesen. Indem er
das konkret abstrakte Bild mit der klaren, sachlichen und
unmenschlichen, totalitären Sprache mit dem Bild ins direkte
Oppositionsverhältnis zieht, regt er eine ganzheitliche,
diskursanalytische Auseinandersetzung mit dem Diskursfeld
an.
Bild und Schrift sprechen uns auf verschiedenen Ebenen
an: nämlich das Bild unser Empfinden und die Schrift
unser Denken. Seit Umberto Eco3) wissen wir, dass nicht
jedes Bild sich von jedem Betrachter gleich empfinden
und entschlüsseln lässt. Jeder Mensch hat seine eigene
Assoziation, macht sich sein eigenes Bild, das sich aus
seinem Erfahrungshintergrund, seiner Kultur und seinen
persönlichen Assoziationen speist. Das Lesen eines Bildes ist
folglich subjektiv oder individuell. Im Zusammenhang mit
der konkret abstrakten Arbeit von Herwig Steiner soll sich
der Betrachter eben kein Bild machen, denn das Bild, das er
sich von den Auswirkungen der Rassengesetze macht, kann
das Ausmaß des Grauens nicht ermessen. Es ist ein Gefühl
des Grauens, das sich einstellt und das sich durch die abstrakt
konkreten Bildgründe manifestiert. Die Schrift dagegen ist
linear. Vor der Entwicklung der Schrift war Jahrtausende
lang die mündliche Überlieferung von wesentlichen Inhalten
üblich. Sie barg schon immer gewisse Risiken in sich. Eine
mögliche Sinnentstellung des ursprünglichen Quelleninhaltes
und das Weglassen oder Hinzufügen von Inhalten sind in
der mündlichen Vermittlung des jeweils einzelnen Erzählers
immanent enthalten. Psychologische, soziale und kulturelle
Faktoren spielen bei der mündlichen Überlieferung eine
wesentliche Rolle. Steiner entgeht diesem Risiko, indem
er wortwörtlich zitiert und überliefert. Die Erfindung der
Schrift gilt als eine der wichtigsten Errungenschaften der
Zivilisation, da sie die Überlieferung von Wissen und
kulturellen Traditionen zuverlässig über Generationen
hinweg erlaubt und deren Erhaltung, wie im Fall der Arbeit
Steiners, für einen langen Zeitraum garantiert. Auch wenn das
Grauen im Zusammenhang mit den Folgen der Nürnberger
Rassengesetze im Verlauf der Geschichte fortschreitend
abstrakter werden mag, der Wortlaut der Gesetze bleibt
unmissverständlich und menschenverachtend.
1) Manak, Andreas: Vorwort des Herausgebers, in: Andreas Manak (Hrsg.):
Gesetz und Verbrechen Law and Crime, Wien 2006.
2) vgl. http://www.amnesty.at/todesstrafe/ vom 8.12.2008.
3) Eco, Umberto: Opera aperta, 1962 (dt. Das offene Kunstwerk,
übers. v. Günter Memmert, Suhrkamp, Frankfurt/M. 1973).
Nr. 16/2007
Abschied von Monika Nickerl
Buch V - Kunst-ST/A/R ST/A/R 39
HAUS DES
MEERES
ST/A/R-Bezirksinitiative:
Maria hülf!
ST/A/R gratuliert Mag. Sylvia Hellmayr und Dr. Nikolaus Hellmayr zur Geburt ihres
Sohnes Jonathan, geboren am 8.12.2007 um 19:44 Uhr
THE WHITE CITY OF TEL AVIV –
TEL-AVIV’S MODERN MOVEMENT
21.02. – 19.05.2008
ERÖFFNUNG: MITTWOCH, 20.02.08, 19
UHR | PRESSEKONFERENZ: MITTWOCH,
20.02.08, 11 UHR
Das Stadtzentrum von Tel Aviv ist seit
Juli 2003 UNESCO Weltkulturerbe. Die
israelische Stadt am Meer verfügt – wie
hierzulande wenig bekannt ist – über ein
einzigartiges Ensemble von mehr als 4000
Häusern im Stil des „Neuen Bauens“,
die erst in den letzten Jahren teilweise
restauriert wurden. Diese von der Stadt Tel
Aviv organisierte Ausstellung tourt nun seit
2004 mit Stationen u.a. in Rom, Lausanne,
Le Havre und Montreal durch die Welt und
wird im Februar erstmals in Österreich im
Architekturzentrum Wien gezeigt.
DER MASTERPLAN
1925 wurde der schottische Architekt Paul
Geddes beauftragt, die noch junge Siedlung
Tel Aviv durch einen Master-Stadtplan zu
strukturieren. Er projektierte eine Gartenstadt
mit streng hierarchischem Straßennetz und
einer organischen, mit zahlreichen Plätzen
durchsetzten Anordnung. Im Verlauf seiner
Realisierung musste das Projekt allerdings
stark verdichtet werden – schon aufgrund der
Flut von Immigranten, die Tel Aviv zwischen
1930 und 1935 von 50.000 auf 120.000
Einwohner anwachsen ließ. Trotzdem lässt
sich der ursprüngliche Plan von Geddes
vielerorts noch erkennen.
DIE ARCHITEKTUR
Zahlreiche Architekten der Stadt
orientierten sich bei ihren Entwürfen an
der Formensprache von Le Corbusier,
Mies van der Rohe, Walter Gropius und
Erich Mendelsohn. Tel Aviv wurde so zu
einem Experimentierfeld für die Grundsätze
der modernen Architektur – in einem
außerordentlichen Maßstab. Heute sind viele
der Häuser jedoch sanierungsbedürftig. Nitza
Szmuk, jahrelange Leiterin der „Preservation
Group“ in der Stadtverwaltung und Kuratorin
dieser Ausstellung, engagiert sich für den
Erhalt dieser wertvollen Bausubstanz.
DIE AUSSTELLUNG
Paul Geddes’ Master-Stadtplan wird mit
Plänen und Modellen präsentiert. Historische
und aktuelle Fotografien geben Einblick in die
Architektursprache der Zeit und vermitteln
den Einfluss, den das europäische Erbe auf
das örtliche Schaffen genommen hat. Die
Vielfalt der in Oberflächenbeschaffenheit
und Farbe unterschiedlichen Verputze
werden ebenso gezeigt wie genaue
Analysen von Detailplanungen (z.B. die
verschiedenen Balkonarten). Eine Auswahl
von historischen Filmen gibt ein lebendiges
Bild der Stadtentwicklung zwischen 1920
und 1958 wieder. Das Präsentationsvideo
für die UNESCO und das aktuelle
Projekt der Konservierung dieser Bauten
werden ebenfalls vorgeführt. Grafische
3D-Animationen von elf repräsentativen
Gebäuden vertiefen das Verständnis für
die Architektur der „Weißen Stadt“. Nahezu
100 Lebensläufe von in Tel Aviv tätigen
Architekten runden das Bild ab.
Zur Ausstellung erscheint ein „Hintergrund“,
die vierteljährliche Publikation des Az W. Ein
Symposium zum Thema „Umgang mit dem
architekturhistorischen Erbe der Moderne“ als
Rahmenprogramm ist geplant.
Kuratorin der Ausstellung: Nitza Szmuk (Tel
Aviv)
Projektkoordination Az W: Sonja Pisarik
Presse: Ines Purtauf I Tel.: +43-1-522 31 15-
23 I e-mail: purtauf@azw.at
Subventionsgeber des Az W:
Geschäftsgruppe Kultur und Wissenschaft,
Geschäftsgruppe Stadtentwicklung und
Verkehr, Bundesministerium für Unterricht,
Kunst und Kultur
Förderer des Az W: Architecture Lounge
40 ST/A/R Buch V - Kunst-ST/A/R
Nr. 16/2007
Gilbert Bretterbauer
Foto: Peter Barci
Gilbert Bretterbauer, 3 D Netz, 2006, „textile Bänder“ (ca. 300/300/300cm), courtesy: G.B.
„ZART“, eine Möbius Kantate von Hofstetter Kurt
„time no time“, eine DVD von Barbara Doser und Hofstetter Kurt –
NEU:PARALLEL MEDIA http://www.sunpendulum.at/parallelmedia/timenotime
Städteplanung / Architektur / Religion
Buch VI - Literatur ST/A/R 41
LITER
Privatsachen, eine Fotoserie von Liesl Ujvary, Cinematerealien, Fotos und Gedichte von Herbert J.
Wimmer, Anfänge und Zustände, ein Essay von Gerhard Jaschke, der Geschmack von Fremde,
ATUR
eine Begegnung aufgezeichnet von Christine Huber und einige Schwalben gefaltet von Margret Kreidl.
ausgesetzt
Dieter Sperl
Mitten im Gespräch über den neuen
Werbeauftritt seiner Marktforschungsfirma
Strategy Analytics war ich für mich völlig
unerwartet aufgestanden und sagte zu dem
mir gegenüber sitzenden Schulfreund, den
ich einige Jahre lang nicht mehr getroffen und
auf dessen Wiedersehen ich mich in der Tat
außerordentlich gefreut hatte, dass ich seiner
ausufernden Selbstpräsentation überdrüssig
und ihr nicht mehr länger beizuwohnen
gewillt sei. Lieber hielte ich mich allein im
Wald auf, fuhr ich fort, lieber säße ich mit
meinem über die Jahre endlich einigermaßen
zur Ruhe gekommen Herzen im Wald, oder
triebe mich sogar hundertmal lieber in einem
voll gerammelten Kaufhaus herum, als mich
mit den ungeheuerlichen Besatzungskräften
seiner mir gegenüber aufgeworfenen Emotionen
auseinanderzusetzen. Denn auch Emotionen
lebten, fügte ich hinzu, auch Emotionen hätten
Freunde, ihre eigene Familie, und es seien
dies Kräfte, die zu ganz bestimmten Zeiten
aufträten, sich entwickelten und die sich auch
zu exakt beobachtbaren Zwecken in Aktion
setzten. Befreiten sich solche Wesenheiten und
begännen sie über die jeweiligen Menschen oder
Völker zu herrschen, würden sich Probleme
in Katastrophen verwandeln. Deshalb ginge es
vor allem um Beobachtung und Entwicklung
der verschiedenen uns zugänglichen und uns
zugleich konstituierenden Kräfte und um
Integration derselben, welche überdies den Geist
verfeinere und unsere Intuition zu erwecken
vermöge. Würde sich eine Kraft auf Kosten
anderer durchsetzen, sähen wir uns einer Form
von Diktatur ausgesetzt, und es sei egal, ob man
diese nun Depression oder Neid, oder Hass
und Verzweiflung nennen würde. Das wären
alles Übertreibungen, hörte ich mich sagen,
den Blick auf meine auf dem Tisch liegenden
Hände gerichtet. Ich fühlte mich plötzlich allein
in einem fernen Land, in welchem mir ein
einsamer Eiswind um die Ohren pfiff, starrte
verloren vor mich hin und wusste nicht, woher
das eben Gesagte gekommen war. Gedankenlos
lächelnd, blickte ich meinen Schulfreund an, als
der Kellner auf uns zu trat und ich ihn sagen
hörte: Was bedeutet und fordert der Weg, den
du jetzt gehst? Ich blickte verwirrt auf und
erkannte mit einem Mal, dass er das Gesicht
jenes Schamanen trug, dessen Vortrag über
die Mystik der Andenvölker ich - auf Einladung
einer nahen Bekannten - vor zwei Jahren, in
einem Ringstrassenhotel, mit großem Interesse
beiwohnen durfte. In eigensinniger Reglosigkeit,
gleichsam in eine Art Säule verwandelt, sah ich
die offensichtlich an mich gerichtete Frage vor
meinen Augen wie einen Fisch aus dem Fluss
springen, welcher im nächsten Moment auch
schon wieder verschwunden war. Dies war ein
Zeichen müheloser Kraft und Eleganz, dachte
ich, und praktizierte gleichzeitig unendliche
Freiheit und die Leerheit aller Erscheinungen.
Schriftwechsel
>> sperl@star-wien.at
42 ST/A/R
Buch VI - Literatur
Nr. 16/2007
„privatsachen“
Fotoserie von Liesl Ujvary
„privatsachen“
Lydia Mischkulnig
Der Kampf gegen mich ist aussichtslos, da ich als
juristische Person unsterblich bin im Gegensatz zu
meinen Angestellten, die dafür kämpfen, dass ich
sie nicht aufreibe oder kündige. Man kann mich
zerschlagen, zersetzen, auflösen und verklagen, aber
da ich juristisch bin, kann man mich nicht einsperren,
denn ich besitze keinen Leib, berge aber etagenweise
Angestellte, die einen eigenen Leib besitzen, die in
meinen Diensten stehen. Um mich mache ich mir
keine Sorgen, ich verschwinde und formiere mich
neu, wo und wann ich will. Aber die Angestellten mit
ihrem fixen Leib sind an Ort und Zeit gebunden und
bandeln mit diesen Koordinaten herum, im Hier und
Jetzt, die Existenz will berechtigt sein.
aus: Die Firma, Erzählung, 2007.
Lydia Mischkulnig, geb. 1963 in Klagenfurt. Lebt in Wien.
Buchveröffentlichung zuletzt: Umarmung, Roman, DVA, München 2002.
Nr. 16/2007
Buch VI - Literatur ST/A/R 43
die fotoserie „privatsachen“ versammelt fotos
der arbeitsumgebungen von schriftstellern.
hier entsteht literatur – zwischen schichtungen
von beschriebenem papier, bekritzeltem papier,
bedrucktem papier, anhäufungen von büchern,
zwischen stofftieren und technischem gerät, zwischen
weichen polstern und warmen decken, zwischen
fundstücken konkreter natur, einem rindenstück,
zimmerpflanzen und blumenvasen, fahrrädern,
kinderzeichnungen, rezepten, jacken und hosen,
kabeln und steckern, stössen von cds und musik-cds,
umhängtaschen, adidas-schuhen, kaffeetassen, einem
spielzeugpinguin auf einem fernseher, handtüchern,
buddhas, ansichtskarten, tellern, tastaturen, stiften,
blättern, feuerzeugen und vielen anderen sachen.
Liesl Ujvary, Schriftstellerin, lebt in Wien. Texte, Bilder, Musik.
alphaversionen, Prosa, Sonderzahl Verlag, Wien 2006.
Herbert J. Wimmer
259
artifizielle intelligenz
I.
du mit deinen künstlichen gedanken, beschimpft
einer das objekt, das ihm mit der ganzen apparatur
nach einem schweren unfall eingepflanzt wurde.
natürlich ist gar nichts, gibt das objekt zu bedenken.
II.
du mit deinen künstlichen gedanken, beschimpft
einer das objekt, dem er in die ganze apparatur nach
einem schweren unfall eingepflanzt wurde.
natürlich ist gar nichts, gibt (sich?) das objekt zu
bedenken.
III.
du mit deinen künstlichen gedanken, beschimpft sich
einer als das objekt.
aus: NERVENLAUF, DIE TÜCKE DER OBJEKTE
Herbert J. Wimmer, geb. 1951 in Melk. Lebt in Wien.
Buchveröffentlichung zuletzt: NERVENLAUF,
DIE TÜCKE DER OBJEKTE, Sonderzahl Verlag, Wien 2007.
Städteplanung / Architektur / Religion Buch VI - Literatur
ST/A/R 45
Bei den Bieresch, Klaus Hoffer
Literaturverlag Droschl , Graz,Wien 2007.
(urspr.: Halbwegs, 1979; Der große Potlatsch, 1983)
So meint die Tante zu Hans:
„Auf uns liegt der Fluch seit dem allerersten Tag! Jede Zeile, jedes einzelne
Wort in unseren Schriften verflucht den Bieresch. – Heimweh gibt es nur
zuhause, sagen wir, weil wir nicht fort können von hier, weil wir auf ewig
ins Labyrinth unserer unglücklichen Biereschgeschichte eingesperrt sind.
Wir haben Heimweh nach uns selber, weil keiner sein kann, wie er ist,
jeder bloß die Eigenschaft seiner Umgebung spiegelt.“
Rund 25 Jahre nach Erscheinen des
„Kultbuchs“ von Klaus Hoffer gibt der
Literaturverlag Droschl den Doppelroman
„Bei den Bieresch“ wieder heraus: Hans
wird zum Stellvertreter seines verstorbenen
Onkels – dafür reist er nach Zick, einem
Dorf im „Osten des Reiches“, wie es
heißt, das irgendwo im Südburgenland
zu verorten ist, in einer pusztaähnlichen
Angelika Reitzer
Landschaft gelegen, zum Volk der Bieresch.
CINEMATEREALIEN
von Herbert J. Wimmer
(zur fotoserie TABORKINO I–V)
die schauwerte leben.
im augenblick der transformation
hängen die bilder in ihrem lauf
laufen die hängenden bilder
im abbruch des entschwindenden
projektionsraums.
KINO-KEYNOTE
Hans muss dessen Identität annehmen, zieht in sein
Haus, arbeitet als Briefträger. Das ist schon fast alles,
was man über die Handlung dieses Doppelromans
sagen kann, denn die Bieresch leben ihr Leben nicht,
sie versuchen, es zu erklären: „Jeder Bieresch ist ein
zänkischer, bessserwisserischer Philosoph.“ (P. Handke
in einer Spiegel-Rezension Anfang der 1980er Jahre)
und: „Nichts war einfach, alles hatte Bedeutung.“ Hans
erfährt von den Göds in sieben wichtigen Gesprächen
(bzw. Monologen) und sich im Großen wie im Kleinen
widersprechenden Belehrungen die Geschichte der
Bieresch und ihr Schicksal soll so seiner Bestimmung
zugeführt werden. Diese Diskurse über die eigene
Vergangenheit und ihre Regeln bestimmen den Roman:
Die Monologe, Geschichten, Fabeln, Mythen und
Legenden verstehen diese besessenen Erzähler („die zu
keiner bindenden Identität finden, obwohl sie sich doch in
einer Art Sisyphusarbeit unaufhörlich selbst befragen, als
Verfluchte der Zeit“ P. Landerl) oft selber nicht.
Am Ende des ersten Teils erhält Hans einen sprechenden Namen
(„Halbwegs“): das ist ein Zeichen zugleich der Anerkennung und der
Ausweglosigkeit.
Ein Jahr lang haben die Bieresch – sie sind so was wie vage Anarchisten
– die Erlaubnis, dem Stellvertreter alles zu nehmen: gesetzlich legitimierter
Diebstahl, um den Urfrevel (Landbesitz und also Besitz überhaupt) zu
sühnen – der große und der kleine „Potlatsch“, den Indianern entlehnt …
Wie in Kafkas „Prozess“ ist „Bei den Bieresch“ eine latente Schuld spürbar,
mitunter scheinen die Grenzen zw. Opfern, Angeklagten und Anklägern
fließend, wie im „Schloß“ ist das Neue für Hans/Halbwegs nur auf den
ersten Blick vertraut, erforscht einer die Rituale, die ominöse Bürokratie
– aber das hat keinen wissenschaftlichen, sondern für den Fremden (Hans,
K.) einen existenziellen Grund. Der letzte Satz ist ein Schlüssel zum
Verständnis des Romans: Nichts zeigt sich so, wie es ist. Oder, wie das
Motto zu „Der große Potlatsch“ zu erklären versucht: „Unsere Geschichte
ist der Knoten, der sich knüpft, wenn man ihn löst.”
Die absolute Liebe zum Paradoxen und zum Absurden: jetzt neu aufgelegt.
Ein hilfreiches Inhaltsverzeichnis und eine Rezension von Heinz
Schaffroth ergänzen die schöne Droschl-Ausgabe. Unbedingte (Wieder-)
Leseempfehlung!!
ein-bildungen:
was eingebildet wird
ins schauwerte leben
ins leben der schauwerte:
die mitten im abbruch
ausbrechende retrospektive
alles möglich gewesenen
in den unsichtbar gewordenen nutzungen
in den noch unsichtbaren nutzungen
urbanen erinnerungsmanagements.
CINEMANTRA
Lucas Cejpek
Mitten ins Herz, Margret Kreidl
Edition Korrespondenzen, Wien 2005.
23.05.2007
Die Schönheit des Seriellen wird in der Literatur selten be-schworen
und noch seltener von der Kritik gepriesen. Dabei zielt die
Wiederholung „Mitten ins Herz“, wie Margret Kreidls zweiteiliges
Buch bereits im Titel verspricht. Der erste Teil ist eine Serie von
Todesschüssen nach amourösen Verstrickun-gen vor einem
naturnahen Hintergrund. „Blühende Alpenrosen. Sie seufzt. Ein
Schuss. Rote Wolken am Abendhimmel.“ Die Zwangsläufigkeit des
Geschehens spiegelt sich in den Biogra-phien der Erfolgsautorinnen
wider, die Margret Kreidl im zwei-ten Teil aufs Wesentliche
reduziert. „Als ihr Mann sie verließ, begann sie Liebesromane
zu schreiben.“ Schicksalsergebenheit ist ein anderes Wort für
Selbstaufgabe, und die hat inzwischen die ganze Gesellschaft erfaßt
und wird als Kunst genossen. „Jubel. Tusch. Ein Schuss.“ Die
Portraits der Heftchenautorin-nen unterscheiden sich daher auch
nicht von den Selbstdarstel-lungen unserer Schulbuchliteratur. „Die
Liste ihrer Auszeich-nungen ist lang.“ Für Margret Kreidl sprechen
ihre Bücher, in denen sie die literarischen Formen mischt, um die
Sprache zur Entfaltung zu bringen.
Buchtipps von Angelika Reitzer und Lucas Cejpek
ANFÄNGE
ZUSTÄNDE
von Gerhard Jaschke
Es wiederholt sich eigentlich alles. Ständig wiederholt sich
alles. Eben erst zu Bett gegangen, stehst du auch schon auf.
Wasser lassen, trinken, Medikamente einnehmen, sich säubern,
essen, aufräumen, arbeiten, Geld verdienen, Geld ausgeben,
Rechnungen bezahlen, ineinemfort, tageintagaus das gleiche.
Nuancenverschiebungen. Vermeintlicher Ortswechsel. Was
willst du, du bleibst doch mit dir zusammen, in dir stecken,
stehen, trittst nicht aus dir heraus, gehst nicht fremde Wege.
Permanent gehst du von einem Platz zum anderen, verrichtest
da wie dort Pflichten, absolvierst dir Aufgetragenes, trägst bloß
dir Aufgetragenes ab, wie du einen Berg von Pflichten abträgst.
Mitunter kommt dir vor, dass du nichts als im Kreis gehst, rennst,
irgendwas hinterherläufst. Oder von A nach Z und retour - und
das dein ganzes Leben lang, dein Lebtag lang. Mit Gefälligkeiten
den Tag verklebt, verkaufen, einkaufen, einstellen, anstellen,
abstellen, vorstellen, dein Leben fließt wie Sand ab, durch die Uhr
zu Boden, der mit Träumen durchzogen noch immer nicht fest
ist. Unsicher stehst du auf diesem. Wie auf einem Wolkenteppich?
Wie auf Seidenpapier, raschelnd?
Es tut sich einfach nichts. Alles beim alten. Alles wiederholt
sich ständig, ineinemfort, in sich selbst, um einen herum. Die
ewige Renaissance. Alles dreht und wendet sich. Ob in der Natur
oder in der Kunst. Nirgendwo etwas Neues und doch scheint dir
vieles noch nicht vertraut, geradezu unbekannt, wieder einmal
ein Neuland mehr zu sein. Aber irrst du dich da nicht zum
zigsten Male? Ist die vermeintlich gänzlich neue Kreation nicht
doch nur eine Variation von einer längst approbierten, jedenfalls
aus dem Gedächtnis verlorenen, oder wirklich bislang nicht
wahrgenommen worden von dir? Möglicherweise ausschließlich
von dir nicht, sagst du dir vor. Alle anderen haben wahrscheinlich
längst erkannt, dass es sich bei der von dir vermeintlich neuen
Kreation um etwas längst zum alten Eisen Gehörigen handelt.
Das sind doch alles alte Hüte, schon bekannt. So wird Tag um Tag
abgehakt. Schon bekannt. Bereits gesehen, geschmeckt, gerochen,
betastet, gefühlt, erkannt – zumindest in ein Raster gebracht,
in eine Schublade gepfercht. Zu bereits Beschriftetem abgelegt.
Eingeordnet, mit einem Namen und einem Datum versehen,
zur Seite geschoben, gar nicht sonderlich registriert. Selbst
Pompösestes auf Strukturen, wie Gebeine, Skelette reduziert,
verkleinert, kleingemacht, zusammengedrückt, zerstückelt,
zerhackt, auf einen Berg von ein paar Brocken, Knochen,
Knöchelchen, Splittern…
Es kommt alles wieder, denkst du. Jeder Schritt vorgegeben.
Alles reserviert für die eine oder andere Vorstellung. Gestern wie
heute birgt nicht das geringste Wunder in sich. Alles beim alten
– und doch willst du um jeden Preis das Fenster offen halten für dich auch zusehends. Vielleicht weilt dir dann alles andere kurz?
Neues, lit_noe_star_274x136:www24uat noch nie Gesehenes. Du willst alles 01.10.2007 Neue willkommen 19:56 SeiteNichts 1 war wie damals, alles suchte sich einen Vorwand fürs
Literaturedition Niederösterreich
Neuerscheinungen
2007
heißen, wie schon Cage sagte, kommt dir auch von Zeit zu Zeit
vor, dass es überhaupt nichts Neues mehr gibt, gar nicht mehr
geben könne, da geradezu alles besetzt erscheint. Kein Platz für
ein noch so kleines Erlebnis, Ereignis, geschweige denn für ein
Wunder, nicht einmal für ein noch so kleines, unscheinbares.
Zusammengepfercht, aneinandergedrückt erscheint dir außen wie
innen alles. Wo sollte da noch Raum sein für etwas vollkommenes
Anderes, Neues, fragst du dich fortwährend. Scheinbar alles sei
schon da gewesen. Welche Kombination du dir auch ausdenken
magst, du kommst nicht auf ein neues, unvorstellbares Gebilde,
Konstrukt, sondern immer nur auf eine Kombination von
bereits Bestehendem, von bereits bestehenden Kombinationen,
siehst gleichsam sämtliche Einzelteile von Epigonen der
Epigonen zusammengesetzten Kombinationen. So bleiben es
sechsundzwanzig Buchstaben. Wo ist nur der sehnlichst erwartete
siebenundzwanzigste? Hat Schwitters eventuell, denkst du, in
seiner ihn zum Markenzeichen dadaistischer Poesie (obwohl er
sein Leben lang merz und nichts anderes war) erhebenden „Anna
Blume“ mit den in dieser gleich in der ersten Zeile auftauchenden
siebenundzwanzig Sinnen, damit, nämlich mit der Erweiterung
des Alphabets, kokettiert, geliebäugelt? Doch bleibt alles so
wie gehabt. Man kann sich wohl nur mit so mancher Aussage
trösten. Etwa mit der von Cocteau, die da lautet: „Das größte
literarische Werk ist im Grunde nichts anderes als ein Alphabet in
Unordnung.“
Hier kann man alles miteinbeziehen. Die Wolken, die welken. Die
Halme, die Helme. Du stellst den Bezug zu allem her, zu allen.
Du beziehst mehrfach Bezüge. Du beziehst frisch das Bett, du
beziehst ein Einkommen, ein Honorar. Du beziehst Kopfpölster,
die Tuchent, du beziehst das Bett. Du beziehst dies alles in deine
Schreibarbeit mit ein, du beziehst dies alles auf dich, jedes Wort
beziehst du gleich auf dich, alles im Raum Umherflatternde
beziehst du sofort nur auf dich ganz allein. Du beziehst alles wie es
dir seinerzeit gelehrt wurde. Du wirst von allem angezogen. Von
allen wirst du angezogen, bezogen, nachdem du alle bezogen hast.
Ein Wechselspiel? Kommunizierende Gefäße: Autor-Publikum,
Autor-Leser, Rezipient. Du beziehst alle Reaktionen mit ein. Du
beziehst sie in dein weiteres Tun ein. Du beziehst dich auf bereits
Vorhandenes.
Du versiehst dich, beziehst dich auf Gleichgesinnte über
Jahrtausende hinweg, findest Spuren, Spuren von Gedanken. Du
beziehst dich auf sie, legst sie nach deinem Wissensstand aus,
beziehst dich auf Vorgefundenes, Hintangestelltes, als Fußnoten
Fixiertes, Aufgeschnapptes. Welch liederliches Treiben! Aus dem
Internat ins Internet? Du liest das Buch noch fertig, langweilt es
www.noel.gv.at
Zusammensein, das gewissermaßen aus sich schöpfte und bloß
überleben wollte.
An das Haus gebunden im Regenschleier, der Vergessenstropfen
Zeitgepoch. Hirn- wie Filmriss. Du beziehst ihn auch sogleich
auf niemanden anderen als auf dich, ausschließlich auf dich,
so als wärst du eben gerissen, auseinandergerissen in zig nicht
zählbare Teilchen. Du beziehst jedes einzelne dieser auf jede
Lebenssekunde, auf jeden Lebenssekundenbruchteil, auf jedes
noch so winzige Lebenssekundenbruchteilchen.
Büschel der Erinnerung und Fixfertigkeiten auf laufendem Strich.
Ein nervöses Flattern (Flackern) im Kosmos. Endzeitschleifen
brutaler Rhapsodie durch
Körper gepfählt…
Ein Wort ergibt das
andere, sagt man.
Wer alles glaubt,
glaubt auch das.
Fangen wir
gleich mit dem
Wort „Alles“
an. Alles eignet
sich vortrefflich, um
anzufangen, es allen zu
sagen. Aus den Stunden
gewunden. Du beziehst ja
alles gleich auf dich. Gibt es
nicht ein Wort, das du nicht
gleich auf dich beziehen
würdest? Wenn Berge zu
Tal gleiten, Holz fällt,
Anfangsbuchstaben
eines Wortes
zerbröseln, eine
Geschichte ohne
Zutun fremder
Hand sich
auflöst…
Eines Tages den
Entschluss fassen, nicht
mehr aufzustehen, keinen
Weg mehr zu beschreiten,
Buchrücken wie Augen
anstarren. Exotisches.
Als wärst du eine
angezogene Schraube.
So fest und tief drin.
Gerhard Jaschke, geb. 1949 in Wien. Herausgeber der Zeitschrift
Freibord. Lehrbeauftragter für Literaturgeschichte an der Akademie der
bildenden Künste Wien. Zahlreiche Veröffentlichungen.
Gerhard Jaschke:
Anfänge – Zustände
Ein Lesebuch mit einem Vorwort von Julian Schutting
224 Seiten, geb. mit Schutz umschlag; 15 x 22 cm
ISBN 978-3-901117-90-9; € 22,00
Gerhard Jaschke ist eine zentrale Figur
der österreichischen Gegenwarts literatur.
Seine formalen und sprachlichen Experimente,
ein untrüglicher, scharfer Blick auf
seine Umwelt und die Menschen machen
seine Texte zu einem besonderen Lesevergnügen.
Dieses Lesebuch würdigt
sein vielfältiges Schaffen und bringt Beispiele
aus den Bereichen Prosa, Lyrik,
Anagramm, Theater und Bildende Kunst.
www.24u.at
46 ST/A/R
Buch VI - Literatur
Blintschik Kleine Palatschinke mit
Fleischfülle, in Öl herausgebacken
Bokdscha und Cigar Zwei Varianten
Blätterteiggebäck mit Nussfüllung
Eclair Brandteigkrapfen mit
Cremefüllung oder Was man isst, wenn
man nicht isst
Marianna K. Christine Huber
Nr. 16/2007
eher klebrig-patzig wirken. Je besser die Zutaten eingearbeitet sind,
desto stimmiger das Ergebnis.
Das Backrohr auf höchste Stufe vorheizen. In der Zwischenzeit auf
dem Backblech kleine zipfelmützig-geformte Teigknödel setzen, in
einigem Abstand, die Eclair gehen stark auf. Zu diesem Zweck die
Hände nass machen, das Teigknöderl formen, platzieren und mit den
Fingern einen nicht allzu spitzen Zipfel formen.
Wenn das Backrohr heiß ist, das Blech einschieben. Alles zumindest
12 bis 15 Minuten backen lassen, danach die Hitze auf 170 Grad
reduzieren. Nach zirka 18 Minuten kann ein Blick hineingeworfen
werden. Wenn das Backrohr über Fenster und Beleuchtung verfügt,
kann man sehen, ob das Gebäck schon fertig ist: Es ist dann
außen gebräunt, sieht trocken aus, nicht mehr teigig, und ist stark
aufgegangen.
Wenn das der Fall ist: rausnehmen. Abkühlen lassen. Den Kopf
(vormals Zipfel, nach dem Backen ist er eine Art Kappe oder Barett)
abschneiden. Im Bauch des Gebäcks ist Luft, dort die Creme einfüllen
(einlöffeln). Deckel wieder draufsetzen. Mit Staubzucker bestreuen.
Servieren.
Für die Creme Milch aufkochen, das Mehl in kleinen Portionen,
quasi halb-teelöffelweise, zugeben. Abkühlen lassen. Zucker, mit dem
Vanillezucker gemischt, und das Fett mit dem Schneebesen oder dem
Mixer aufschlagen, eventuell etwas erwärmen, dann in die Milch-
Mehl-Mischung einrühren. Im Kühlschrank gut durchziehen lassen.
Zutaten für Blintschik
einige (vorbereitete oder gekaufte) Palatschinken
Faschiertes (ca. 2 El pro Palatschinke); Rindsfaschiertes ist
vorzuziehen
Pfeffer (reichlich)
Salz nach Gefühl
Petersilie, gehackt (etwas)
Öl zum Herausbacken
für Bokdscha und Cigar
Blätterteig (Fertigprodukt)
feingeriebene Walnüsse
mit Zucker und Vanillezucker vermischt (Zuckeranteil
nach Geschmacksvorliebe)
Eidotter zum Bestreichen
Nähgarn
Staubzucker zum Bestreuen
für Eclair
für den Teig
1 Tasse heißes Wasser (200 g)
100 g Butter
1 gut gefüllte Tasse Mehl (200 g)
4 – 5 Eier (die genaue Menge hängt von der Teigkonsistenz ab)
für die Creme
300 g Milch
3 El Mehl
200 g Zucker
Vanillezucker
200 g Fett (Butter oder Margarine)
Staubzucker zum Bestreuen
Blintschik
Faschiertes gut anbraten. Mit Salz, Pfeffer und Petersilie würzen.
Abkühlen lassen. Auf die vorbereiteten Palatschinken geben (gut zwei
Esslöffel pro Stück). Die Palatschinken nicht nur rollen, sondern
zuerst die losen Zipfel nach innen schlagen, jedenfalls alle Enden so
zusammenbringen, dass das Fleisch nicht mehr rausbröseln kann.
Zum richtigen Zeitpunkt dann die Palatschinken kurz in heißem Öl
anbraten, quasi rausbraten. Servieren.
Cigar und Bokdscha
Die geriebenenWalnüsse mit dem Vanillezucker und dem Zucker
gut vermischen. Den Blätterteig in Quadrate schneiden (10 – 12
cm x 10 – 12 cm). Die Nuss-Zucker-Mischung nach Geschmack
sehr oder weniger reichlich (gut eineinhalb Esslöffel sind durchaus zu
empfehlen) auf das Blätterteigquadrat geben.
Für die “Cigar” den Blätterteig zopfähnlich zusammenknüpfen.
Für die “Bokdscha” den Blätterteig zu einer Art Packerl von den
Ecken her zusammenholen, die Zipfel oben festhalten, das Nähgarn
darumwickeln (nicht zu fest) und verknoten. Die so entstandenen
Stücke mit Eidotter bestreichen, betupfen. Im Backrohr 10 bis 15
Minuten backen. Mit Staubzucker bestreuen. Kann heiß serviert
werden.
Eclair
Wasser und Butter in einen kleinen bis mittelgroßen Kochtopf
geben. Die Butter im Wasser aufkochen lassen. Das Mehl einrühren.
Die Hitze bald reduzieren bzw. den Topf rechtzeitig vom Herd
nehmen, denn das Mehl darf nicht braun werden (die richtige
Farbe entspricht in etwa der einer hellen Einbrenn). Weiterrühren
und rühren und rühren, bis der Teig einen püreeartigen Zustand
erreicht, sich leicht am Topfrand anlegt. Nun das Ganze etwas
abkühlen lassen (Kaltwasserbad ist am effizientesten). Danach ein
ganzes Ei unterrühren, so lange rühren, bis es wirklich gut vom Teig
aufgenommen ist. Dann ein zweites Ei, wieder rühren, dann ein
drittes, weiterrühren, ein viertes, sehr viel rühren, vielleicht so gar ein
fünftes, auch dieses gut einrühren. Wieviele Eier wirklich notwendig
sind, hängt von der Konsistenz des Teigs ab. Er soll nicht zu weich sein,
Sie ist in Bewegung. Sie ist Bewegung. Sie bewegt sich im
Zimmer. Eine Umdrehung folgt der anderen. Laufen. Gehen.
Stehenbleiben. Das Kind hochheben. Das Kind tragen. Gehen.
Das Kind loslassen. Weiterlaufen. Gehen, wieder. An die
Küchenzeile zurückkehren. An der Küchenzeile
bleiben. Zu dem Kind sprechen. Das
Küchengeschirr hin und her schieben. Auf
mich deuten. Mich fragen lassen, ob ich
zuschauen komme.
Sie ist offensichtlich genauso nervös wie
ich. Verunsicherung. Auf beiden Seiten.
Sie hat mir einen Sessel zugewiesen.
Meine Rolle, so fasse ich es auf, ist Sitzen. Die
ihre In-Bewegung-Sein. Das Kind verdoppelt ihre
Bewegungen. Ich stehe nur auf, wenn es etwas zu
notieren gibt, also wenn ich gerufen werde. Die
Unruhe im Raum ist auch so hoch genug.
Wir sind im Integrationshaus, im ersten
Stock, in einer der Zwei-Zimmer-Einheiten.
Drei Menschen leben hier. Das Kind,
dessen Vater, seine Ehefrau; sie ist
die Mutter des Kindes. Der Raum ist
Wohnzimmer und Küche zugleich.
Die Küche ist keine Küche, sondern
eine Küchenzeile in einer Ecke dieses
Zimmers. Das zweite Zimmer ist
vermutlich das Schlafzimmer. Ich
bekomme es nicht zu sehen.
Sie kocht.
Noch weiß ich keine Namen.
Am Telefon sagte man mir
nur, ich werde eine Frau aus
Ägypten treffen. Sie ist aus
Aserbaidschan. Eine Armenierin
aus Aserbaidschan. Ihr Mann ist
aus Ägypten. Geheiratet haben sie in Syrien.
Nr. 16/2007
Buch VI - Literatur ST/A/R 47
Aufgrund seiner Herkunft mussten sie fort, kommen nach
Österreich. Sie kommen nach Traiskirchen. Das Kind will zur
Welt kommen. Das macht es im Spital in Baden bei Wien. Nach
einer Zwischenstation in einem Heim in Wien-Währing folgt
die Aufnahme in die sogenannte Bundesbetreuung (1). Dann
findet sich Platz im Integrationshaus, nach einem Antrag, eine
Möglichkeit.
Der Fernsehapparat läuft. Eine armenischer Sender. Eine
Freundin ist da, deren Tochter, beide sitzen, schauen auf
den Bildschirm. Außerdem ist dabei: die Übersetzerin und
Mitarbeiterin des Integrationshauses. Sie spricht Russisch. Hat
sicherheitshalber ein Wörterbuch dabei. Der Mann kommt, kurz,
bringt Eier aus dem Supermarkt. Sagt Freundliches auf Englisch.
Geht wieder. Ein Kurs, erklärt mir die Übersetzerin, ein Kurs im
Haus, zur möglichen zukünftigen Arbeitsfindung. Die Tochter
geht weg, kommt aber gleich wieder zurück, hat ein Handy in der
Hand. Spricht mit ihrer Mutter. Armenisch. Das Kind schnappt
mein Papier und zeichnet darauf. Die Freundin steht auf.
Ein Tisch, groß genug für sechs Leute, eine Tischdecke mit
Weihnachtsmotiven, im Fernseher Santa Claus oder Nikolaus
oder wie immer er sich auf Armenisch nennen mag, außerdem
Engel, Kunstschnee und das ganze Übliche dazu.
Weihnachten? Ja, am 6. Jänner. Christen also, frage ich. Sie ja,
sagt die Übersetzerin. Der Mann? Nein, der ist Moslem.
Die Freundin nimmt zwei Mandarinen, die in einem Korb am
Tisch liegen, schält sie, lässt die Schalen verschwinden, teilt
die Früchte in Spalten auf, legt auf jeden der vorbereiteten
Teller einige davon. Zum Naschen liegen außerdem bereit:
Blätterteigzöpfe und Nüsse.
Sie, die Mutter des Kindes, die Frau des Mannes, meine
Gastgeberin, noch immer weiß ich keine Namen, ruft mich, lässt
mich sehen, was sie tut. Das Wasser, die Butter, das Mehl, sie
rührt und rührt. Ich notiere, was mir die Übersetzerin überträgt.
Sie sagt, sagt die Übersetzerin, sie könne nur zeigen, wie es geht.
Sie könne die einzelnen Schritte nicht anders beschreiben. Ich
setze mich wieder hin, notiere das Gesehene.
Die Freundin steht auf, geht zu der Küchenzeile, öffnet
eine Packung clever-Blätterteig und beginnt ihrerseits etwas
herzurichten, ohne irgendwelche Worte. Ich muss nachfragen,
was nun geschieht. Sie zeigt es mir. Bodschak. Und was heißt das
auf Deutsch? Die Frauen beratschlagen sich, finden kein Wort,
weder auf Russisch noch auf Englisch. Bodschak eben. Dann
deutet sie auf mein Halstuch, erklärt: Wenn man ein Geschenk
übergibt, man es eingewickelt, in ein Tuch eingewickelt, übergibt.
Und dieses Tuch schlägt man an den oberen Enden zusammen,
hält es zusammen, mit einem Bindfaden also, oder nur so.
Bodschak ist also ein Päckchen, ein Blätterteig-Päckchen.
Ganz gleich gemacht sei das Gebäck, das schon am Tisch steht,
erklären sie mir, die gleichen Ingredienzien, nur ist der Teig
anders gewickelt worden, nämlich zu einer Cigar.
Der Teig, den sie, die Gastgeberin, begonnen hat, den die
Übersetzerin als eine Art Brandteig benennt, kann offenbar ein
wenig warten. Das Kind wird müde. Sie hält es im Arm. Es wird
ruhig. Bald wird es eingeschlafen sein. Die Frauen setzen sich.
Sie warten auf meine Fragen. Die erste ist nach den Namen.
Sie schreiben sie auf, in der lateinischen Umschrift. In welcher
Sprache sprechen sie miteinander? Armenisch, sagen sie.
Armenisch, sage ich, das kenne ich von historischen
Dokumenten. Ich weiß, sage ich, dass es eine eigene Schrift
ist. Aber nicht viel mehr, gestehe ich ein (2). Ja, sagen sie. Und
schweigen.
Das Alter, bitte ich um mehr Auskunft. Sie notieren mir Zahlen.
Nur Ali M., das Kind, bekommt einen genauen Geburtstag: 17.8..
Ich sage: Löwe also. Ja, sagen sie. Und schweigen.
Marianna steht wieder auf, wird wieder Bewegung. Sie bringt das
eingeschlafene Kind ins andere Zimmer. Die Freundin, Karine,
steht auf. Sie holt die Bodschak aus dem Herd. Bestreut sie mit
Zucker. Stellt sie auf den Tisch. Zieht sich an. Ihre Tochter Anna
folgt ihr. Sie gehen beide.
Wir kosten von dem Gebäck. Der Geschmack ist vertraut.
Wir sind nun zu dritt: Marianna, die Übersetzerin und ich.
Ich frage Marianna, was ihr zum Kochen einfällt, zu ihrem ersten
Mal Kochen. Sie antwortet: Das war ganz klassisch: Borschtsch.
Sie erzählt, dass sie aus einer großen Familie stammt, mit vielen
Kindern, aufgewachsen in einer Kleinstadt, aber städtisch genug,
um nicht mehr ländlich zu sein. Sie musste viel kochen, für ihre
fünf Geschwister kochen. Aber, so erklärt sie mir, es war die Zeit
der Sowjetunion. Es war leicht, sagt sie mit einem Lächeln, da gab
es keine Probleme, weil gekocht wurde, was aufzutreiben war. Es
gab keine Auswahl. Also gab es keine Fragen.
Aber was hätte sie gerne gekocht, wenn es alles gegeben
hätte, versuche ich die Frage auszudehnen, Fleisch, gegrilltes,
gemischt aus Huhn, Lamm, Schwein, mit Erdäpfeln dazu, am
offenen Feuer gemacht. So ähnlich wie Schaschlik, hilft mir die
Übersetzerin. Und noch ein Fleischgericht, sagt Marianna, in
Wasser gekocht, faschiert, davon hätten sie auch gerne mehr
gehabt. Aber das ist auch viel Arbeit, schränkt sie ein. Wie Köfte,
sagt die Übersetzerin.
Und dann?, setze ich das Fragen fort. Dann, sagt Marianna,
ging sie fort aus Aserbaidschan, mit achtzehn schon, ging nach
Armenien und dann nach Georgien, war länger in Georgien und
dann wieder in Armenien. Sie sei so oft hin und her gezogen
zwischen diesen beiden Ländern, dass sie gar nicht mehr sagen
könne wie oft. Und wie war das mit dem Kochen? Auch das war
keine Frage, sagt sie, wenn man bei Verwandten wohnt, nur
Unterschlupf hat, kein festes Zuhause kennt, dann isst man das,
was auf den Tisch kommt. Wieder kein Thema.
Ich war immer unterwegs, sagt sie plötzlich. Und spricht jetzt
Englisch, direkt mit mir. Ich bin so, sagt sie. Oder ich war so,
schränkt sie ein. Vielleicht liegt es am Kind. Ich weiß nicht,
beginnt sie einen Satz. Ich bin dumm, setzt sie fort. Ich war
dumm, sagt sie dann, jetzt gibt es kein Zurück mehr.
Ich schaue sie an. Sie ist nicht groß, sie ist nicht klein, sie ist
nicht dick, sie ist nicht dünn. Sie hat eine Brille. Sie hat braunes
mittellanges Haar. Sie hält den Kopf gesenkt. Eine Weile sagt sie
gar nichts.
Erinnerungen. Ja. Gerüche? Ja. Welche denn? Äpfel, sagt sie. Ich
liebe Äpfel. Immer.
Das Kind wird wieder wach, hustet, braucht Wasser. Der Teig
steht schon viel zu lange herum, muss ins Rohr. Die Bewegungen
setzen nun wieder ein. Das verschlafene Kind an die Hüfte
geklemmt, beginnt sie die Teigknödel auf das Backblech zu
setzen, während das Backrohr aufheizt. Sie ist nicht zufrieden.
Der Teig ist zu warm geworden, sagt sie, er wird nicht schön
aufgehen. Aber er geht auf, nur die Formen sind nicht genau
nach ihrer Vorstellung. Sie holt die Creme aus dem Kühlschrank,
diktiert mir die notwendigen Zutaten, Schritte, kontrolliert, ob
ich es auch gut verstanden habe, obwohl sie jetzt wieder Russisch
spricht. Ich frage, ob eine Puddingcreme nicht ebenso passend
wäre, als Füllung. Nein, auf keinen Fall. Warum? Da geht die
Milch raus, übersetzt die Übersetzerin wörtlich.
Wir beginnen zu essen. Zu welchen Gelegenheiten man das alles
isst, was mittlerweile vor uns steht, will ich wissen. Immer, sagt
sie, immer dann, wenn man nicht isst. Sofort steht sie wieder auf,
öffnet nochmals den Kühlschrank. Das Kind braucht etwas zu
essen, denke ich, aber sie arbeitet an einer Überraschung: Eine
Pfanne mit Öl, Palatschinken, gefüllt mit Faschiertem. Was ist
das? Blintschik, sagt sie. Und das wird jetzt das Abendessen für
die Familie? Aber nein. Auch das ist eine Speise, die man isst,
wenn man nicht isst. Frisch sind sie am besten, ich soll mehr
davon nehmen.
Dann kommt der Mann zurück. Nimmt das Kind auf den Schoß.
Füttert es mit der Creme aus dem Inneren der Eclair. In welcher
Sprache sprechen sie miteinander?
Mit dem Kind arabisch, sagt er auf Englisch. Und mit Marianna?
Englisch. Und Marianna mit dem Kind? Armenisch. Manchmal
auch Russisch. Und Deutsch lernen sie hier im Haus. Heißt das,
dass Ali vier Sprachen spricht? Noch spricht er gar keine, sagt
sie. Aber er kann schon ein Wort, sagt der Mann. Und, welches?
“Bruder”, sagt Marianna, ich hab’s ihm beigebracht.
Glossar
Brandteig: “Im Unterschied zu anderen Teigen kommt bei einem
Brandteig das Mehl nicht roh, sondern abgebrüht, ‘abgebrannt’ (daher
der Name) dazu. Die beigegebene Flüssigkeit dient als Treibkraft
und Lockerung, weil sie im Backrohr unter starker Hitzeeinwirkung
Dampf entwickelt und so das Aufgehen des Teiges bewirkt.
Brandteiggebäcke müssen daher in das bereits sehr heiße Backrohr
kommen, das so wenig wie möglich geöffnet werden darf (auf alle
Fälle erst, wenn der Teig eine ausreichende Kruste gebildet hat.).”
(Quelle: Franz Maier-Bruck: Das Große Sacher Kochbuch, Schuler
Verlagsgesellschaft, Hersching 1975)
Anmerkungsteil
8. 1. 2004, 13.15 – 17.15 Uhr, Integrationshaus, 1020 Wien,
Engerthstraße 161-163
Susanna Hajrapetjan, 35 (geb. in Aserbaidschan)
Ali Kabbashi, 1 1/2 Jahre (geb. in Baden bei Wien)
Kabbashi Ali Mohammed, 32 (sein Vater, aus Ägypten; verheiratet mit
Susanna)
Karine Pogosian, 45 (aus Armenien)
Anna Aslanian, 17 (deren Tochter)
Sonja Scherzer, 36 (geb. in Wien): Übersetzerin aus dem Russischen
in diesem Gespräch; Mitarbeiterin des Integrationshauses
Christine Huber, Autorin, 40 (geb. in Wien)
Bundesbetreuung: (1)
Das österreichische Innenministerium kommt für die Kosten
für Verpflegung, Unterkunft und Versicherung von mittellosen
Asylwerbern und Asylwerberinnen auf.
Armenisch: (2)
“Im Zuge der von Syrien aus betriebenen Christianisierung des
Kaukasus kam es zur Entfaltung regionaler Schriftkulturen in
Armenien (seit Anfang des 5. Jahrhunderts) und in Georgien (seit
Mitte des 5. Jahrhunderts). Die Schriftschöpfung des armenischen
Alphabets mit seinen 38 Buchstaben geht auf Mesrop zurück, den
ersten Bischof des Landes und Initiator der altarmenischen religiösen
Literatur. (Es sind dies) lokale Schriftschöpfungen, die keine
Abzweigungen von Basisschriften sind. Es sind Originalalphabete,
denen das alphabetische Schreibprinzip gemeinsam ist, deren
Zeichenrepertoires aber entweder vollständig oder überwiegend auf
Eigenschöpfung beruhen.” (Quelle: Harald Haarmann. Geschichte
der Schrift, C.H. Beck, München, 2002)
48 ST/A/R
Buch VI - Literatur
Nr. 16/2007
Eine Schwalbe falten von Margret Kreidl
Schwalbe falten
Immer wenn sie mich besuchen kommt, erzählt sie eine Geschichte.
Das ist die Geschichte eines Vogels. Der Vogel. Aber es ist auch die
Geschichte von zwei Vögeln. Das Ganze beginnt mit einem Vogel.
Es war einmal ein Vogel. Der konnte sehr schön singen. Sanft, zart
pfeifend beim Auffliegen.
Manchmal hat sie einen Vogel bei sich, einen Vogel, den sie ißt.
Schau, sagt sie dann zu mir, der Vogel fliegt in meinen Mund
hinein.
Kannst du pfeifen, Johanna?
Ich heiße Elfriede.
Wer nicht singen kann, soll pfeifen.
Ich kann singen.
Singen kannst du? Dann sing!
Ich will nicht singen.
Sing, dann lernst du singen.
Immer wenn sie mich besuchen kommt, will sie mir eine Geschichte
erzählen. Ich werde dir eine Geschichte erzählen. Es war einmal eine
Frau, die hatte zwei Töchter. Also, es ist die Geschichte von zwei
Schwestern. Die schöne Schwester trägt ein Kleid aus Papier und ißt
hartes Brot. Mitten im Winter muß sie Erdbeeren suchen. Es ist sehr
kalt, aber jeden Tag geht sie hinaus, kehrt den Schnee von der Wiese,
pflückt Erdbeeren und bringt sie nach Hause. Die böse Schwester ißt
die Erdbeeren auf. Ich werde jeden Tag schöner und größer. Jedes
Mal erzählt sie mir dieselbe Geschichte.
Auf dem Kopf stehen
Knie nicht verstecken
in den Spiegel schauen
keine Fragen stellen
an der Tür lecken
nicht gähnen
einen Hut aufsetzen.
Immer wenn sie mich besuchen kommt, fragt sie, wie es mir geht.
Wie geht es dir? Mir geht es schlecht. Ich leide an Platzangst, an
O-Beinen, an Eifersucht, an Herzrasen, an Menschenscheu, an
meiner Schwester, an Müdigkeit, an schlechten Zähnen. Bis zur
Hochzeit ist alles wieder gut, sagt sie. Ich werde nicht heiraten.
Heiraten ist leicht, sagt sie. Eine Hochzeit führt zur nächsten.
Die erste Heirat ist eine Ehe, die zweite tut weh, die dritte heißt
Familienleben.
Ich habe einen Vogel. Meine Schwester hat eine Katze. Der Vogel
fliegt aus dem Käfig. Ich bin ein Fratz. Die Katze trinkt Milch.
Meine Schwester singt. Ich springe ins Bett. Der Vogel sitzt auf
dem Tisch. Die Katze ist fett. Meine Schwester ist klein. Ich bin
ganz allein.
Sie hat einen Hund. Die Schwester hat einen Fisch. Der Hund
schläft im Bett. Der Fisch hat keine Gräten. Die Schwester ist
ein Mädchen. Der Hund macht Männchen. Der Fisch öffnet das
Maul. Sie pflückt Blumen. Die Schwester schreibt Briefe. Sie heißt
Elfriede.
Es beginnt immer gleich, es ist immer dasselbe. Ich bin in einem
Zimmer. Ich gehe durch die rechte Tür, dasselbe Zimmer, ich gehe
durch die linke Tür, dasselbe Zimmer, dann gehe ich geradeaus, es
ist dasselbe Zimmer. Ich laufe durch mehrere Türen, ich bleibe an
einem Schalter hängen, hinter mir stürzt ein Gatter herunter. Ich
sehe eine große Rutsche, und ich weiß, das ist der einzige Ausweg.
Plötzlich ist meine Schwester bei mir, wir rutschen gemeinsam
hinunter.
Das ist eine Schleife, du bist in einer Art Schleife. Irgendetwas
stimmt nicht, aber du weißt nicht was. Du kommst da nicht mehr
heraus. Es ist nicht deine Schuld. Es wird lange dauern. Du weißt
nicht, wie alt du bist. Bist du 14 oder 42, 16, 48, bist du 30?
Ich laufe durch einen langen, hell erleuchteten Gang. Plötzlich
stehe ich vor einer Tür. Auf dem Türschild steht Gästezimmer. Die
Tür geht auf. Das Zimmer ist sehr klein, es hat keine Fenster. Die
Wände sind weiß, frisch gestrichen. Ein Mann mit langen schwarzen
Haaren sitzt auf dem Bett. Er ruft mich. Kuwitt didudit. Ich verstehe
ihn nicht. Judith, komm mit. Ich stehe vor ihm. Er greift mit beiden
Händen unter meinen Rock. Er lacht. Was bist denn du für ein
Vogel? Er rupft mich. Das tut weh.
Es tut weh mit dem Messer. Es tut weh mit einer Schere.
Einmal wiederholen.
Dreimal drehen.
Stock oder Feder?
Dreimal dreht sich die Seele.
Ist das eine Idee?
Bitte aufheben.
Eier sparen
einen Gürtel tragen
Fliegen fangen
eine Schwalbe falten
viel lachen
den Alten begraben
auf der richtigen Seite schlafen.
Über das Bett springen
Brot nicht in die Tasche stecken
Schuhe auf den Tisch stellen
nicht mit dem Ofen reden
das Taschentuch mit dem Mund
aufheben
nicht an den Himmel denken
die Vorhänge anzünden.
Eins, zwei, drei. Eins, ein Kind. Zwei, der Vater. Drei, die Mutter.
Vier Wände hat das Zimmer. Fünf. Wer fürchtet sich? Eins und
zwei und drei ist sechs. Sieben Sterne sieht man das ganze Jahr.
Sieben oder acht? Acht und ewig. Neun, zehn. Neun weiße Federn.
Zehn Finger und Zehen. Zwanzig. Wo ist der Schwanz?
Delöhdjoh delöhdjoh ti tü tehüt jo
dudidelet didudit düdlio di wet wet
idlio düadlüo didlit schilp schilp stigelit
gidleo tüli ziwi wi wi ziflit pickelnick
bück bück zizitü sitz i da tschatzibitz.
Immer wenn sie mich besuchen kommt, fragt sie, wer singt dann
da so schön? Ist das ein Vogel? Das ist doch ein Vogel. Was ist denn
das für ein Vogel?
Das ist kein Vogel, sage ich. Er paßt nicht in den Käfig, und er paßt
nicht in den Topf.
Warum singst du nicht, fragt sie.
Ich kann nicht singen.
Sing Drossel! Pfeif Ente! Schrei Kranich!
Ich werde nicht schreien.
Schnurr Vogel!
Nachtvogel mit vier Buchstaben
schwarzer Vogel mit vier Buchstaben
Singvogel mit vier Buchstaben
Singvogel mit fünf Buchstaben
diebischer Vogel mit sechs Buchstaben
Greifvogel mit fünf Buchstaben
Hühnervogel mit fünf Buchstaben
Schneehuhn mit vier Buchstaben
Wasservogel mit vier Buchstaben
ägyptischer Sonnenvogel mit zwei Buchstaben
Wappenvogel mit drei Buchstaben
Storch in der Fabel mit sechs Buchstaben
storchenartiger Vogel mit vier Buchstaben
australischer Laufvogel mit drei Buchstaben
neuseeländischer Singvogel mit drei Buchstaben
Singvogel mit sieben Buchstaben
Vogelkäfig mit fünf Buchstaben
Ziervogel mit vier Buchstaben
Vogelweibchen mit fünf Buchstaben
männlicher Vogel mit vier Buchstaben
Vogelbau mit vier Buchstaben
Margret Kreidl, geboren 1964 in Salzburg, lebt als freie Schriftstellerin in Wien,
schreibt Theaterstücke, Hörspiele, Prosa und Lyrik. Zuletzt: Kinderspiel, ORF 2007.
Städteplanung / Architektur / Religion Buch VII - FRANCE ST/A/R ST/A/R 49
FRANCE
trouvez une version française du France-ST/A/R sur
www.star-wien.at/france_star.html
Franzosen in Wien: Pauline Binoux, Joëlle Raverdy, Olivier et Véronique de Faÿ.
Viennale: Thomas Leitner. Krinzinger Projekte: Suite française . Wein und
Kunst: Ulf Hartner. Malerei: Christian Perrais. Performance: Tsuniko Taniushi.
Literatur: Diane Meur, Architekur: Chaix & Morel et associés.
ST/A/R
ST/A/R ?
Hier gibt es
nur einen ST/A/R,
und zwar mich!
Wo ist meine Krone?
Was tun Franzosen in Wien, wie sehen
Französinnen Wiener Würste? Wo gibt es die
besten Galettes des Rois? Französische Weine?
Kunst? Was passiert gerade in Paris?
Die *ST/A/R*-AnzeigenverkaufsteamerInnen Dr.
lit. Brigitte Bercoff und Dr. art. Christian Denker
berichten.
Wir lieben uns und Brigitte ist
didier@ledide.com
Où sont mes
petits fours?
AUX DEUX FLORE:
Die besten „Galettes des rois“
der Stadt Wien
W er glaubt französische Küche sei teuer
oder schwer, den klärt Joëlle Raverdy,
Chefin beim Cateringservice Aux deux Flore,
gerne auf: Quiches, Salate, Petits fours,
Pasteten, Feingebäck, Desserts und Kuchen
gehören in Frankreich zur alltäglichen Küche.
Joëlle fertigt selbst an, unmittelbar für den
Verkauf. So kann sie Delikatessen zu erschwinglichen
Preisen anbieten.
Es war ein langer Weg, bevor Joëlle Ihren
Restaurantbetrieb sie zu einem Cateringservice
ausbauen konnte. Die Verwaltungslage zwang sie dazu, ihre Kochkunst zunächst
unter dem Label «pizza française» » zu vertreiben. Inzwischen hat sich die Gesetzeslage
geändert. Sie kann nun die volle Bandbreite der französischen Art de cuisine anbieten.
Aufträge für Empfänge, Eröffnungen und Betriebsfeste von Unternehmen wie Air
France und Peugeot erfüllt sie ebenso gerne wie kleinere Bestellungen für Familienfeste,
Geburtstagsfeiern und Brunch oder Abendessen. Joëlle hat selbst Kinder und
weiß schon deshalb preiswerte Qualität zu schätzen. Gute Küche beruhe auf frischen
Zutaten.
Privat unterstützt Joëlle die Amicale des Femmes Francophones. Mit Geduld und
Mut könnten sich mehr ausländische Mütter in Wien durchzusetzen, es lohne sich!
Zu ihrem Wiener Stammkundenkreis gehören besonders Franzosen. Ungeachtet ihrer
internationalen Bedeutung, hätte es die französische Küche bei vielen Österreichern
noch immer nicht ganz leicht. Zur Freude des ST/A/R-Redaktionsteams beliefert Joelle
regelmäßig das Café Kafka (6. Bezirk, Capistrangasse 8).
ST/A/R empfiehlt für den Januar die Bestellung von Galettes des rois zum Fest der
heiligen drei Könige. In die Galettes, Blätterteigkuchen mit
Marzipanfüllung, wird nach französischer Sitte eine kleine Porzellanfigur
eingebacken. Wer die Figur in seinem Kuchenstück
findet, der wird nach französischer Sitte gekrönt zum König für
einen Tag und muss die nächste Galette besorgen. Diese Sitte
sollte auch in Wien heimisch werden. Bitte ausprobieren!
AUX DEUX FLORE / Joëlle Raverdy, ,
Roseggergasse 11, 3412 Kierling, 0664/533 5418,
joelle.raverdy@auxdeuxflore.com
50 ST/A/R
Buch VII - FRANCE ST/A/R Nr. 16/2007
ST/A/R.s.Tierleben präsentiert:
ein österreichisch-französischer
Tierbildroman
Pauline Binoux
sieht wienerisches
Pauline lernt Zeichnen von ihren
Künstlereltern. Später übt sie weiter mit
Jean-Paul Gautier, arbeitet als Designerin
in der Werbung und als Illustratorin bei
verschiedenen Modezeitungen. Sie zieht
von Paris nach Barcelona, wo sie an der
Konzeption der Feierlichkeiten
der Olympischen Spiele von
1992 mitarbeitet und ein
Kunst-Printmedium: „Muy
Fragil” gründet. Seit 1994
wohnt und zeichnet sie in
Wien, wo sie sich gemeinsam
mit frankophilien Freundinnen
und Freunden im Kulturverein
Le Club du mardi engagiert.
www.paulinebinoux.com
Das pariser Kätzchen
Hortense vom Butteaux-Cailles
verbringt
ihre Ferien beim
Heidulf, nein, nicht in
Kärnten, sondern in
Wien, gleich hinter der
Gerngrosssäule. Sie
denkt an Kibbutz, mit
dem ihre Eltern sie
verlobt haben.
ST/A/R-Gastköter
Kibbutz
ST/A/R-Gastmuschi
Hortense
Kibbutz lebt im Wald
in Frankreich bei
Perpignan, neben
dem neuen Schwimmbad.
Er sorgt sich um
Hortense, die er noch
nie in seinem Hundeleben
sah.
Ja, solche Geschichten schreibt das Leben für den France-ST/A/R.
Haben auch Sie eine unvergessliche Geschichte für ST/A/R.s. Tierleben?
Wir warten gespannt auf ihre E-Mail:
france-star@safe-mail.net
Fotos: ClaraAltenburger, Robert Newald
Mia Hansen-Løve, Regisseurin von Tout est pardonné / Regisseur Jean-Claude Rousseau, der mit De son appartement, sowie Kurzfi lmen vertreten war / Regisseur Nicolas Philibert im französischen Kulturinstitut; Serge Bozon, Regisseur von La France.
Die Viennale als Spiegel der gegenwärtigen französischen Kinolandschaft
Ein zwiespältiges Bild ergibt sich, wenn man die Präsenz des französischen Films bei der Viennale 2007 betrachtet:
Die gemeinsam mit dem Filmmuseum veranstaltete Retrospektive über den „Essayfilm“ zeigt die
zentrale Rolle französischen Filmens bei der Herausbildung einer künstlerisch eigenständigen
und intellektuell reflektierten Form des Kinos. Der Begriff „Essayfilm“ wird übrigens im vom Kurator
und Filmemacher Jean-Pierre Gorin herausgegebenen Katalog brillant umrissen und durch das
Programm abgesteckt. Jean Rouch, Jean-Luc Godard, Chris Marker, Jean-Marie Straub, Marguerite
Duras, Chantal Akermann – sie alle haben auf unterschiedliche Weise die Ausdrucksmöglichkeiten
des Filmens neu ausgetestet, Rahmen gesprengt, Tore geöffnet und Maßstäbe gesetzt. Wie in keiner
anderen „nationalen“ Filmschule wurde über Jahrzehnte hinweg thematisiert, was durch Kino zu
sagen und zu zeigen ist, wurden die Grenzen zwischen Fiktion, Dokumentation und Pamphlet
in so faszinierender Weise immer wieder neu in Frage gestellt. („National“ ist am besten ja wohl
immer unter Anführungszeichen zu setzen, hier aber in ganz besonderer Weise, betrachtet man die
Herkunft dieser aller Protagonisten des „französischen“ Kinos: ob aus Amerika, oder dem kolonialen
Indochina, der Schweiz oder Belgien, dem grenznahen Deutschland – aus allen diesen Provenienzen
kam man in Paris zusammen, um an dieser Laboratoriumssituation eines immer wieder neuen Kinos
mitzuwirken.)
Im Hauptprogramm der Viennale war die große Tradition der Nouvelle Vague durch zwei Werke der
beiden Altmeister Claude Chabrol und Jacques Rivette würdig vertreten.
Und immer noch kann man auf so gut programmierten Festivals wie eben der Viennale den einen oder
anderen Künstler, der einer Tradition der permanenten Avantgarde verbunden ist, entdecken. Heuer
war dies wieder Jean-Claude Rousseau mit seinem sehr abstrakten „Spielfilm“ „De son appartement“
und einem faszinierenden Kurzfilmprogramm. Welch eine Freude, einem Filmkünstler zu begegnen,
dessen innerstes Anliegen die Organisation von Zeit durch Bild und Ton ist, und der sich dadurch dem
Wesen des Films so eng verpflichtet.
Die Vitalität des Filmschaffens in Frankreich war aber immer davon geprägt, daß es neben diesen
Meister- und Ausnahmewerken eine Palette von Publikums- und Unterhaltungsfilmen von hoher
Qualität gab. Darum ist es im Moment schlechter bestellt: So geschwätzig wie in „Tout est pardonné“ von
Mia Hansen-Love sind Genrebilder aus der Pariser Szene noch selten dahergekommen. So überspannt
und hysterisch wie in „Actrices“ von Valeria Bruni-Tedesci wurde noch selten versucht, bei Rivette
liebgewonnene Topoi zu imitieren. So konventionell und rührselig wie in „La France“ von Serge Bozon
wurde in den letzten Jahren kaum mit Versatzstücken französischer Geschichte jongliert. Vielleicht
liegt es daran, daß alle genannten Regisseure (und einige andere junge Filmemacher) ihre Karriere als
Schauspieler begonnen haben, und sich überhaupt das Interesse an den Darstellern immer mehr in den
Vordergrund drängt?
Freilich, bei aller Kritik an den letzten „Jahrgängen“: Im Vergleich zur ehemals großen Filmnation
Italien sind dies alles Luxusprobleme von Kommerzialisierung und Verflachung. Das italienische
Kino hingegen glänzt durch Abwesenheit…
Dr. Thomas Leitner
Le Bateau Livre
Ihre französische Buchhandlung im Studio Molière
Lichtensteinstr. 37 A-1090 Wien Tel. 01 - 317 80 94
Kommen Sie an Bord des Bateau Livre!
Nr. 16/2007 Buch VII - FRANCE ST/A/R
ST/A/R 51
Frankophile Gaumenfreuden
Im Bistrot Wein & Kunst, beim Karlsplatz, in der Argentinierstrasse, serviert Ulf Hartner
feine Mahlzeiten. Das Ambiente zieht nicht nur frankophile Wiener in seinen Bann. Hinter der
gediegenen Geschäftsfassade ist der Gast Souverän im Reich lukullischer Genüsse. findet
einfühlsame Beratung bei der Wahl von hochklassigem Rot- oder Weißwein und selbstverständlich
auch von Champagner, Cognac, Pastis und Cidre. Aber nicht nur flüssige Gaumenfreuden
werden hier gepflegt. Als gelernter Patissier beherrscht der Chef eine Spitzendisziplin
französischer Kochkunst. Auf der Karte steht neben einer Vielzahl von Crêpes salées und
sucrées sowie französischen Klassikern wie Zwiebelsuppe, Ente auf Vogelsalat, Quiche Loraine
und Mousse au chocolat ein täglich wechselndes Menuangebot. Kulinarische Thementage zu
Coque au vin, Moules et frites und Fromage et vin ergänzen das Angebot. Exquisiter Käse,
Pariser Schinken, edle Senfe und Gänsepasteten und sind ständig im Angebot. Tipp: Auch alle
angebotenen Weine sind außer Haus verkäuflich.
www.weinundkunst.at
Olivarium: Alles rund um den Olivenbaum
Was vom Olivenbaum kommt, dass lässt sich gut verkaufen! Auf dieser Idee beruht der geschäftliche
Erfolg von Olivier und Véronique De Faÿ. Sie handeln subtile Öle für Feinschmecker, direkt von den
Produzenten in verschiedenen Mittelmeerländern, aber auch Seife, Kosmetik und schöne Objekte aus
Olivenholz, Glasflakons aus Syrien für feines Tafelöl auf dem Esstisch; delikat kolorierte Tonschüsseln
aus der Stadt Aubagne in Südfrankreich zum Servieren der Oliven. Olivarium ist ein Begriff, der
verschiedene Domänen berührt, von der Gastronomie über den Haushalt zum Handwerk. Darin
liegt seine besondere Bedeutung. Sie suchen ein bestimmtes Öl? Sicher, Sie haben Glück, Sie können
zwischen verschiedenen Hochqualitätsölen wählen, die von den Produzenten empfohlen und auf
einer für jedes Produkt eigens redigierten Notiz ausführlich beschrieben werden. Sie erfahren alles
über die Herkunft, die Produktionsbedingungen und die Vorzüge. Bitte vergessen Sie darüber nicht
die weltbekannten Würfel der Savon de Marseille, Körpercreme auf Olivenölbasis, Rhassoul-Erde, die
auf Haut und Haaren orientalischer Schönheiten Verwendung findet; schwarze Seife, die früher in
jeden ökologisch korrekten Haushalt gehörte; aber auch Schalen, Bretter und Deckel aus Olivenholz, in
warmen Tönen und in originellem Design. Besonders toll ist der Holzlöffel, der auf der Arbeitsfläche
keine Flecken hinterlässt! Olivarium hat noch eine weitere, seltene Eigenschaft von hohem ethischen
Wert: es handelt sich um eine Föderation verschiedener Marken, die Produzenten nachhaltig fördert
und die Marke im Hintergrund hält. Die Gründer von Olivarium sind Franzosen, die in Portugal gelebt
und ihren Unternehmenssitz nach Österreich verlegt haben, die Produkte stammen aus verschiedenen
mediterranen Gebieten: Spanien, Italien, Frankreich, Griechenland, Nordafrika und vorderer Orient.
Die Reise um das Mittelmeer liegt so nahe, wie ein Spaziergang durch das schöne Palais Ferstel,
Herrengasse 14/G12, 1. Bezirk.
www.olivarium.com
Tsuniko Taniushi,
Micro-événement n°18bis / MARIANNE,
Performance, 9. Mai 2006, La Force de l’art, Paris,
Grand Palais.
Stéphane de Medeiros,
C‘est samedi,
Performance,
23 juin 2007,
Paris, A3-ART,
Eglise Saint Sulpice.
Eucarbon fördert französische Verdauungsphilosophie!
Info français: http://www.trenka.at/index.php?lang=fr
Info deutsch: http://www.trenka.at
Die Pariser Sehnsucht nach Wiener Kultur
Tsuniko Taniushi und Stéphane de Medeiros sind zurückgekehrt nach Paris. Doch die hohe Qualität ihrer
künstlerischen Arbeit ist in Wiener unvergessen. „Es hat einfach ein paar Monate gebraucht, diese
Erfahrung zu verdauuen”, erklärt Heidorf, Träger des kleinen Gerngrosssäulenposterbandes . „Es ist gut
wenn sich Wien international öffnet. Wir haben ja noch so viel zu lernen”.
Stephan de Medeiros verteidige im MAK Kosuths Idee einer analytischen und tautologischen Kunst, trieb
das Prinzip der Autoreferenzialiät an seine extremen Grenzen und denunzierte die postmoderne Moderne
der modernen Postmoderne . Wichtig ist dabei alles was seine Erinnerung verwirft, weil sie keinen Nutzen
dafür hat. In diesem Zusammenhang erinnert sich besonders gerne an die hervorragenden Würste
in Wien: „Viele Künstler unterschätzen die Ost-Küche, weil sie ein bisschen fett wirkt“, schreibt er uns.
„Würde in Paris bekannt, was für tolle Würste es bei Euch in Wien gibt, das französische Lebensgefühl
wäre angeschlagen. Von Eurer Fähigkeit, Würste zu produzieren und gewinnreich zu verkaufen können
wir Westeuropäer nur träumen!“
Tsuniko Taniuchi hatte für ihr Micro-événement no 25 eine Bar aus Eisblöcken konstruiert. Hinter dem
Eisblock servierte sie, als Bunny Girl verkleidet, VIP (Vodka, Ice and Peel) Coctails. Während das Eis
langsam schmolz, schlug sie mit einem Hammer Eisstücke zur Kühlung. Stück für Stück wurde dem Publikum
dabei ihr Unterkörper sichtbar. Die Performerin erinnert sich besonders gerne an die charmanten
Umgangston in Wien: „Elfriede Jelinek begeistert mich schon seit vielen Jahren. Nun habe ich die wiener
Wirklichkeit mit eigenen Ohren beobachten können. Was für ein Schauspiel! Ich bin nicht sicher, ob Menschen
anderswo in der Welt Depressionen von vergleichbarem Ausmass entwickeln oder ertragen können
ohne sich selbst zu töten. Die Stadt ist eine Reise wert.“
Ja, so klingen zufriedene, erfolgreiche Performer, wenn sie an ihre schöne Zeit auf dem ST/A/R-Fest
zurück denken. Wiener Charme begeisert die Welt!
Zurück in Paris profitieren Tsuniko und Stéphane von den tollen Erinnerungen an Wien. Tsuniko: “immer
wenn ich eine französische Flagge sehe, dann denke ich an Österreich, werfe mich in Pose und tanze vor
Freude”. Stéphane: “Schon am Morgen schmiere ich mir ein wenig Crème-de-ST/A/R ins Gesicht, dann
kann ich die Sehnsucht nach Wien leicher ertragen”. (Kostenloser Exklusivbericht von Dr. C. W. Denker)
Städteplanung / Architektur / Religion Buch VII - FRANCE ST/A/R ST/A/R 53
ST/A/R- Denker Dr. Denker
denkt an frankophone Künstler
Künstlerinnen und Künstler
Kader Attia, geboren 1970 in Dugny, lebt und arbeitet in Paris
Fabrice Hyber, geboren 1961 in Lucun, lebt und arbeitet in Paris
Florentine et Alexandre Lamarche-Ovize, geboren 1978 und 1980 in Paris, leben und arbeiten in
Paris
Guillaume Leblon, geboren 1971 in Lille, lebt und arbeitet in Paris
Claude Lévêque, geboren 1953 in Nevers, lebt und arbeitet in Montreuil
Mathieu Mercier, geboren 1970 in Conflans-Sainte-Honorine, lebt in Paris
Bruno Peinado, geboren 1970 in Montpellier, lebt und arbeitet in Douarnenez
Morgane Tschiember, geboren 1976 in Brest, lebt und arbeitet in Paris
Fabien Verschaere, geboren 1975 in Paris, lebt und arbeitet in Paris
Erfolgreicher Kurator 1:
Steven Guermeur
Ein Höhepunkt:
Im 2. Stock der Projekträume vermitteln betende Mädchen als verlohrene Formen lebendiger Menschen
eine Vorstellung von schwerer Leichtigkeit, persönlichkeitswahrender Uniformität, entleerter Körperlichkeit,
dunkler Innenwelten, emotionaler Versenkung in kühles Material und empfindsamer Hingabe an
eine tiefe Gemeinschaftlichkeit: Kader Attia “Emptiness/Fullness (Ghost)” (2007, 80 Skulpturen aus
Aluminiumfolie, Ed. 3/3, Masse variabel).
Erfolgreicher Kurator 2:
Corentin Hamel
ABBILDUNG: BRUNO PEINADO, »L’AUGUSTE«, 2007, ALUMINIUM, NEON, 180 X 140 X 10 CM
ST/A/R-Collage für Fabrice Hyber:
“N’View”, (2007, Holz, 100 x 300 x 200 cm) erlaubt die Exekution von kritischen und von weniger
kritischen Blicken. “Alps revelation”, (2007, Öl auf Leinwand, 150 x 280 cm), der Hyber grüsst Wien:
Autriche-Autruche-Baudruche! Hybergrün inkludiert! Endlich: Ein Straussenei kann in der Stadt des
Walzerkönigs von innen besichtigt werden: “Revelation I”, (2007, Öl auf Leinwand, 150 x 150 x 80 cm).
SUITE FRANÇAISE
Die Suite française sei eröffnet!
KADER ATTIA, FABRICE HYBER, GUILLAUME Ursula Krinzinger LEBLON, engagiert FLORENTINE sich souver-LAain
für LÉVÊQUE, junge Kunst MATHIEU aus Paris. MERCIER,
MARCHE & ALEXANDRE OVIZE, CLAUDE
BRUNO PEINADO, MORGANE TSCHIEMBER, FABIEN VERSCHAERE
KURATIERT VON CORENTIN HAMEL UND Ein STEVEN ST/A/R-Dankeschön GUERMEUR an das
MIT FREUNDLICHER
UNTERSTÜTZUNG DURCH:
Franzosenkunst?
Zeitgenössische Kunst sperrt sich gegen nationale
Zugehörigkeiten. Wenn im Rahmen der Krinzinger Projekte
dennoch eine Folge von zehn französischsprachigen Künstlern
vorgestellt wird, so geht es dabei nicht um eine Suche nach
vergangener Identität, sondern um die Auflösung von Klischees
zur „art contemporain“.
KRINZINGER
SCHOTTENFELDGASSE 45 | A - 1070 WIEN
ÖSTERREICH | TELEFON +43 1 512 81 42
E–MAIL KRINZINGERPROJEKTE@GMX.AT
WWW.GALERIE-KRINZINGER.AT/PROJEKTE
ABBILDUNG: BRUNO PEINADO, »L’AUGUSTE«, 2007, ALUMINIUM, NEON, 180 X 140 X 10 CM
PROJEKTE GEÖFFNET MI–FR 15–19 UHR, SA 11–14 UHR
DAUER: 14. NOVEMBER – 9. FEBRUAR 2008
Blech und Liebe
Drei Arbeiten zur Verbesserung von Crashtests duch
emotional anregende Monochromie: Bruno Peinado,
“Ohne Titel, Flat Black, Pale Gray, Pale Cadillac,
California’s System Game Over”, (2007, Metall, 220 x 60
x 39 cm)
Suite Française
Bachs Französische
Suiten vereinen sechs
barocke Zyklen für
Tasteninstrumente, von
denen fünf im Clavier-
Büchlein für Anna
Magdalena Bach von 1722
enthalten sind. Warum die
Suiten die Bezeichnung
„Französisch“ erhielten, ist
nicht abschließend geklärt
- von Bach ist sie sicher nicht.
Mondrian 2007
„Es ist als hätte Duchamp sich bei IKEA
umgesehen“: “Drum and Bass Lafayette”, (2005,
Regal aus Holz und Metall, Stoff, Plastik, 100 x 100 cm).
Prima Logo
Gekonnt gelochtes
Leichtmetall
versinnbildlicht die
gelassene Gediegenheit
publikumswirksamer Objektgestaltung
im Rahmen der
europäischen Kunstmarktentwicklung: MIT FREUNDLICHER Bruno
Peinado, “L’auguste”, UNTERSTÜTZUNG
(2007, Aluminium und
DURCH:
Neonröhren, 120 x 120 cm).
SUITE FRANÇAISE
KADER ATTIA, FABRICE HYBER, GUILLAUME LEBLON, FLORENTINE LA-
MARCHE & ALEXANDRE OVIZE, CLAUDE LÉVÊQUE, MATHIEU MERCIER,
Toilettengang
BRUNO PEINADO, MORGANE TSCHIEMBER, FABIEN VERSCHAERE
Da staunt der Benutzer
STEVEN nicht schlecht: GUERMEUR
Comix,
KURATIERT VON CORENTIN HAMEL UND
Hip Hop, Märchen und
sexueller Selbstbezug auf dem Weg zum kleinen
Ort: Fabien Vershaere war hier!
(2007, in Situ für die K’-Projekte).
KRINZINGER
PROJEKTE
Und sonst?
Mathieu Mercier: In einem Eimer wird Farbe von innen heraus
gequirlt, ein Stuhl verspricht gut belüftete Hintern, ein geknautschter
Vogelkäfig verlacht europäische Normierungswut, eine Baseballmaske
aus den 1960er Jahren veranschaulicht den musealen Charakter einer
Kultur, die sich andere Kulturen gerne in Museen steckt. Guillaume
Leblon: Papierhaltemetallgestelle vermitteln Bezügen zwischen
ästhetischer Präsentation und wirtschaftlicher Konsumation. Florentine
und Alexandre Lamarche-Ovize: sieben Serigraphien auf Papier
„Blocked images“ sowie ein von Beton durchdrungenes Zelt mit Seil,
Rollen und Brett. Morgane Tschiember: Pop Up! Fabien Verschaere:
Comicfiguren mit kindlichen Sexappeal im Styl afrikanischer
Erzählungen, Hip Hop und Märchen.
ST/A/R Preisverleihung:
"Der schlimmste fliegende Finger"
Der erste Preisträger der beliebten ST/A/R-Photo-Trophäe
“Der schlimme fliegende Finger” -verliehen für den frohsinnigsten
Umgang mit mitteleuropäischer Kochkunst an
Claude Leveque für s“mon doigt est à l’aise dans un morceau
de fromage autrichien” (13.11.2007. Photoperformance
SCHOTTENFELDGASSE 45 | A - 1070 WIEN
ÖSTERREICH | TELEFON +43 1 512 81 42 im Wiener Institut Français).
E–MAIL KRINZINGERPROJEKTE@GMX.AT
WWW.GALERIE-KRINZINGER.AT/PROJEKTE
GEÖFFNET MI–FR 15–19 UHR, SA 11–14 UHR
DAUER: 14. NOVEMBER – 9. FEBRUAR 2008
Budenzauber in Wien
Kein Feuerwerk gleicht dem anderen, wenn der sichbar erscheinende Kang einer kontrastreichen Explosion
den Geruchssinn sensibler Menschen in weite Ferne führt. Claude Léveque, “Albatros” (2003,
Schwarz-Weiss-Video, Unikat, Installation).
Déjà vu à Paris, aber
die a capella Version von Adamos “Tombe la neige” hinterlässt
iim Keller der Krinzinger Projekte ein en ganz besonders
n,achhjaltigen Eindruck. Claude Lévêque, “Ligne
Blanche”, (2004, Holzbretter, Neonröhre, Tonbandaufnahme,
Installation, Masse variabel).
54 ST/A/R
Buch VII - FRANCE ST/A/R Nr. 16/2007
Christian Perrais
chaperrais@wanadoo.fr
Christian Perrais
Geboren 1951 in Saint Nazaire, studierte Christian Perrais Malerei an den Beaux Arts in Nantes. Seit Abschluss seiner Diplomarbeit 1972, unterrichtet er
regelmäßig plastische Kunst an verschiedenen Universitäten: Ecole Camondo, Institut de Communication Visuelle, Ecole des Beaux-Arts. Er wohnt und
arbeitet in Paris. Seit 1977 ist er regelmäßig auf Ausstellungen in Frankreich und im Ausland vertreten.
Zone, 1999,
Mischtechnik auf Leinwand, 177,5 x 177,5 cm
Dichtung und Malerei
Als ich Paul Celan entdeckte, veränderte sich meine Erfahrung
der Dichtung. Ich war verblüfft, dass eine so mächtige Dichtung
mit so geringem Aufwand möglich ist und wollte von nun an
Malerei mit wenigen Mitteln betreiben. Ich fing an, Quadrate und
Rechtecke zu malen, die sich auf eine formelle Weise scharf von
einem Hintergrund abheben. Zunächst hatte das einen anekdotischen
Grund: mein Interesse an Rothko und Reinhardt, die ich
dafür bewundere, das Menschliche gemalt zu haben.
Die Verwendung von Handschrift hat mir Gelegenheit gegeben,
zwei Pole der modernen Malerei zusammen zu bringen:
die Gesten von Pollock und die Versunkenheit von Rothko. Am
Anfang habe ich Bruchstücke von Gedichten auf die Leinwand
projiziert, dann habe ich die Zeichen vergrößert und gestreckt, bis
sie zu Formen wurden, die sich mit dem Stoff des Bildes vereinigten.
Ich suchte einen Einklang, so dass die Handschrift nicht
Text über einen gefärbten Grund bleiben würde, sondern Malerei
wurde. Ich suchte die Lesbarkeit zu vermindern und eine gemeinsame
Körperlichkeit zu finden. Der Maler und der Dichter bewegen
sich auf dem selben Weg der Empfindung und ich wünschte eine
Verschmelzung zwischen Malerei und Dichtung.
Vanités
Nach einigen Jahren brauchte ich einen Nullpunkt oder einen
neutralen Bezug. Ich wollte so etwas wie Demut erlangen. Seit
2003 male ich „Vanités“. Der Schädel ist ein reiches Motiv, das
zur Abstraktion einlädt: der höchst gelegenen Aussichtspunkt,
erlaubt weder eine sofortige Identifizierung noch ein morbides
Echo. Diese Arbeit hatte ich schon vorher mit Studien anatomischer
Zeichnungen von Leonard da
Vinci begonnen. „Vanités“ weisen auf die
gesamte westliche Kunstgeschichte hin, auf
ihre langsame Säkularisation und auf eine
anhaltende Meditation über Tod und über
den Übergang vom Sichtbaren zum Geistigen.
Das „T“ von Thanatos kann ein Kreuz
werden, auf dem meine Bilder filigran
aufbauen: beide Zeichen, „T“ und Kreuz,
durchgeistern die Kunstgeschichte.
In die Verwendung von Handschrift
schreibt sich eine Geste ein, die in den
„Vanités“ weniger bemerkbar ist. Ich
möchte aus einer zyklischen Notwendigkeit
heraus eine Einfachheit erlangen, um
gerade das zu erreichen, was auf dem Bild
erscheint, um keine Malerei produzieren,
die sich im Kreis dreht und nur von sich
selbst erzählt. In den „Vanités“ gibt es keine
Vermittlung: wir begegnen einem Ding und
das ist schwierig zu ertragen. Arnulf Rainer
arbeitet auch in diesem Bereich, wenn er
versucht, sich von den Gesten zu trennen.
Heute malen
In der Welt der Malerei erneuert man entweder die moderne
Geste -ihre Kraft erschöpfend- oder man bricht mit ihr, um mit
einer Illustration der Welt oder mit einem Expressionismus
zurück auf das Vergangene zurück zu kommen. Ich kämpfe mit
dieser
Erbschaft, um das Abenteuer der Malerei zu verfolgen ohne es zu
wiederzuholen.
Der Ort der Malerei ist heute kompromittiert: sie tritt in Konkurrenz
mit sozialen oder begrifflichen Objekten. Gemeinsam mit
anderen Malern folge ich Gedanken von Peter Sloterdijk, und
versuche aus der Abgeschiedenheit auszubrechen, in die uns der
Kunstmarkt hineinzwingt. Es ist wichtig für uns, das Menschliche
wieder in die Mitte zu stellen. Denn das Menschliche ist dabei das
Gesicht zu verlieren.
Paris, November 2007
Gespräch, Redaktion und Übersetzung Brigitte Bercoff
De sang de cendres, 2007,
peinture sur toile, techniques mixtes, 146 x 114cm
Grosses Bild oben: Aquarelle Atlantique, 2007,
Aquarelle, 65 x 50 cm
Nr. 16/2007 Buch VII - FRANCE ST/A/R
ST/A/R 55
Literatur
Les vivants et les ombres
DIANE MEUR
DIANE MEUR, geboren 1970 in Brüssel. Seit 1987 in Paris ansässig, wo sie heute
als Schriftstellerin und Übersetzerin (u. a. von Erich Auerbach, Heinrich Heine, Paul
Nizon) tätig ist. Ihr dritter Roman Les Vivants et les ombres ist ein Familienroman, der
1820-1890 bei polnischen Grundherren in Galizien spielt und vom Haus selbst als
nichtmenschlichem und doch höchstempathischem Subjekt erzählt wird. Gesprochen
wird von Menschengenealogien und geschichtlicher Dialektik, Zeitwandel und
Ortsgebundenheit, vom Völkerfrühling und Herbst einiger Freiheitsmythen, von
Nationalterritorien und Extraterritorialität – und zwar immer vom Standpunkt des
Hauses aus, das wie die meisten Bewohner nach der Welt hungert doch der Erdscholle
zugeschrieben ist. Mit besonderer Teilnahme beobachtet es die vielen Frauen, die
hier leben beziehungsweise leben möchten. Gelegentlich aber, vor allem wenn das
Zeitgeschehen ihm nicht gefällt, kehrt es sich davon ab und… schläft ein, wobei es sich
ausnahmsweise eigenem Nachsinnen hingibt.
Zuweilen frage ich mich, wie es hier in der Folgezeit
ausgesehen hätte, wäre ich eben nicht
mehr wieder erwacht. Wohl nicht anders, als es
tatsächlich aussah. In den hundertundzwanzig Jahren
meines bisherigen Lebens hatten meine Mauern und
alles, was meinen Leib ausmacht, genügend Bilder, Erinnerungen,
Worte und Gerüche eingesaugt, um auf meine
Bewohner fortzuwirken. Vollgetränkt begannen sie nun,
das Eingesaugte wieder auszuschwitzen, ohne dass ich,
beziehungsweise mein Wille, dazu nötig war. Wie aus mit
Salz (gutem Erdsalz aus den k.u.k. Salzgruben Galiziens)
bestreuten Gurkenscheiben sickerte aus ihnen eine
Substanz, die die Menschen je nach Geistesanlage „Notwendigkeit“,
„Schicksal“ oder auch „Atavismus“ genannt
hätten. Der sachliche Agenor deutete sie als Feuchtigkeit,
was zwar nicht ganz falsch, doch etwas simpel ist.
Alles Folgende wäre also ungefähr dasselbe gewesen,
auch wenn ich nicht daran teilgenommen hätte. Neue
Vogelnester wären unterm reparierten Dach von Jahr zu
Jahr größer geworden, und neue Katzengenerationen
hätten sich durch die Belüftungslöcher hereingeschlichen,
um Verwüstung anzurichten. Neue Würmergenerationen
hätten das harte Möbelfleisch zernagt und
die Avenuen, die Ringstraße und Arbeiterviertel eines
Miniatur-Wiens hineingebohrt. Neue Köchinnengenerationen
hätten gehackt, gerupft, entbeint und die fette
Sahne geschlagen, um neue Herrengenerationen zu
nähren. Kinder wären geboren worden und aufgewachsen,
hätten selber Kinder gezeugt, wären gealtert und
hätten den Jüngeren Platz gemacht. Menschen wären
gestorben, auch Bäume.
Und was wäre aus mir geworden, dem nicht mehr wach
werden wollenden Schläfer? Mir gefällt der Gedanke,
dass ich mich von meiner leiblichen Hülle abgelöst
hätte, um schon als Geist zu dem Mineralsubstrat herabzusinken,
das allen Häusern gemeinsam ist. „ Staub seid
ihr, und zu Staub werdet ihr wieder werden“: dieser im
dicken Buch gelesene Satz, welches Wioletta in den letzten
Jahren sosehr beschäftigt, gilt uns, wie mir scheint,
viel eher als den Menschen. Ach was! Jeder weiß, dass
letztere beträchtlich mehr als nur Staub hinterlassen:
ihren Namen, eine Nachkommenschaft, ein Gedächtnis,
die Spur ihrer Taten oder gar ihrer Werke. Was
sollen denn solche anthropozentrischen Flennereien?
Wir Häuser wissen doch, was es bedeutet, von der Erde
vertilgt zu werden.
Ich wäre also noch tiefer in meinen letzten Schlaf
gesunken, und nicht ohne eine gewisse Spannung stelle
ich es mir vor. Zuerst hätte ich die fruchtbare, von Pflanzenüberbleibseln,
Würmchen und Insekten bewohnte
Kühle des fetten Bodens unter dem Keller durchdrungen.
Diese Erdschicht hätte noch von der Welt der Menschen
erzählt: hier und da hätte ich im Vorübergehen
eine alte Pflugschar, eine zerbrochene Tabakpfeife, eine
Gürtelschnalle, eine Münze mit dem Bildnis der Maria
Theresia oder gar eines Jagiellonenkönigs gestreift.
Ich wäre noch weiter hinab gestiegen und auf andere
Gegenstände gestoßen, über die ich in Zweifel geraten
wäre: Waren das Topfscherben oder Fossil gewordener
Schlamm? eine Pfeilspitze oder bloß ein bei irgendeinem
Erdrutsch abgebrochenes Steinchen? Wurde das kleine
Loch absichtlich oder zufällig in diesen Knochen gebohrt,
der von einem Auerochsen oder sonstigen Vertreter einer
ausgestorbenen Spezies stammte?
Noch tiefer unten aber hätte ich auch jene Rätsel vergessen:
hier hätten mich keine Menschensiedlungen mehr,
keine Familien und primitiven Grabstätten, sondern nur
noch der ins Gestein geprägte Umriss eines Farnkrautblattes
oder ein in Harz gefangener Käfer an die Oberwelt
erinnert. Und dort, so weit weg vom Tageslicht, hätte
ich vielleicht ein Kohle- oder Erdölvorkommen entdeckt,
das schon seit je darauf wartete, dass man sich für es
interessiere.
Und dann hätte ich endlich gewusst, was die Nacht ist.
Nicht die so genannte Nacht auf der Erdoberfläche, die
mit dem Mond, mit den Lampen und Sternen und Kaminfeuern
gar nicht so nächtlich ist, ja für alle, die nicht
schlafen, so lebendig, so sinnlich und ereignisvoll sein
kann. Eine solche Nacht habe ich schon beschrieben.
Aber die Nacht in den unermesslichen Gesteinsschichten
da unten, wo sich kein Luft- oder Lebenshauch regt,
hat weder mit diesen paar Nachtstunden im August
des Jahres 1846 noch mit der dunkelsten Nacht des
dunkelsten Winters der dunkelsten Zeit Polens das Geringste
zu tun. Sie ist die Absolute Nacht, deren Ahnung
zugleich Abscheu und Neigung in uns erweckt.
War es nicht aus Abscheu vor jener Nacht, dass sich
etwa ein Zygmunt Borowski so leidenschaftlich nach
Tagesanbrüchen, Morgenröten, Frühlingsaufflammen
sehnte? Und ist es nicht andererseits aus Neigung
für diese Nacht, dass wir uns so eifrig bemühen, das
Geheime der Dinge, die finsteren Machenschaften, die
Abgründe unserer Seele zu erforschen, und enttäuscht
sind, wenn wir dazu in sie hineinleuchten müssen?
Auch ich enthalte Schattenzonen, Stellen, die von der
Sonne nie beschienen werden; und nicht einmal dem eigenen
Blick bin ich ganz durchsichtig. Ich fühle die Nacht
in mir, wir alle – seien wir Menschen, Tiere, Pflanzen oder
Gebäude – fühlen sie mitten in unserer Welt. Und der
Kampf, den sie gegen logische Klarheit, die Aufwallungen
des Blutes, die strahlenden Aufschwünge von Hoffnung
und Freude führt, ist viel erbitterter, viel ungewisser als
der Streit zwischen Tag und Nacht auf Erden, die sich im
Grunde damit begnügen, brav ihrer je eigenen Sisyphusarbeit
nachzugehen und sich morgens und abends
wie treue Partner die Hand zu geben. Denn in jenem
Kampf gibt es wirkliche Verluste, wirkliche Opfer, Dinge,
die vergehen und nie mehr wiederauferstehen; Wesen,
Gedanken, Staatengebilde, die zu einem zu keinem
Neuanfang bestimmten Nichts zerfallen. Aus jenem
Kampf ergibt sich, dass es auf Erden Unwiderrufliches
und demzufolge auch absolut Neues gibt.
Ja, nur scheinbar ist der Lauf der Zeit, ist die genealogische
Abfolge klar und geradlinig, und das Neue stammt
auf ebenso geheimnisvolle Weise vom Alten ab wie
die Tochter Anwar Beys von Tadeusz Zemka oder Oleh
Doroschenko von den Grafen Ponarski. Die Nacht ist es
wohl, die schräge Abstammungen und geschichtliche
Brüche wie diese bewirkt, die gar nicht vorherzusehen
waren und doch im Rückblick selbstverständlich sind.
Und ich, – das ich immer da bin, auch wenn ich schlafe,
und mich bei allem Wandel um mich herum nie von der
Stelle rühre – bin ich nicht von Natur aus höchst befähigt,
durch meine Grundmauern hindurch den eisigen Zug der
chthonischen Mächte zu spüren, die nach oben drängen,
Dinge verblassen lassen, Imperien zugrunde richten,
Vererbungslinien verbiegen?
"Les vivants et les
ombres" hat den
prix Rossel in Belgien
gewonnen
Disponible en librairie au prix de 29 €, 720 p.
ISBN : 978-2-84805-056-0
(Code Sodis 972334.4)
Date de parution : Août 2007
Il m’arrive de me
demander ce qui
serait advenu si,
justement, je ne
m’étais plus réveillée.
Rien d’autre,
sans doute, que ce
qui advint en effet.
En cent vingt
ans d’existence,
mes murs et tout ce
qui fait mon corps
s’étaient assez gorgée
d’images, de
souvenirs, de paroles
et d’odeurs
pour, sur mes habitants,
prolonger
leur action. Saturés,
ils commençaient
même d’exsuder
tout ce dont on les
avait précédemment
remplis, sans
qu’il y ait besoin
pour cela de ma
présence ni de ma
volonté. Comme
des tranches de concombre sur lesquelles on a versé du sel (du sel de terre,
du bon sel des Salines d’État de Galicie), ils laissaient lentement perler les
gouttes d’une liqueur que les hommes appelleraient – selon leur tournure
d’esprit – nécessité, destin ou atavisme. Le pragmatique Agenor y
voyait, lui, de l’humidité : ce n’est pas complètement faux, mais c’est bien
réducteur.
Tout se serait donc passé à peu près de la même façon si je n’avais plus
été là pour le voir. De nouveaux nids d’oiseaux se seraient agrandis, année
après année, sous ma toiture refaite, et de nouvelles générations de chats
se seraient glissés par les bouches d’aération pour y semer la mort. De
nouvelles générations de vers auraient rongé la dure pulpe des meubles
et creusé en eux les avenues, la Ringstraße et les faubourgs ouvriers d’une
Vienne en miniature. De nouvelles générations de cuisinières auraient haché,
plumé, désossé et fouetté pour nourrir de nouvelles générations de
maîtres. Des enfants seraient nés, auraient grandi, donné le jour à d’autres
avant de vieillir pour leur céder la place ; des hommes seraient morts, des
arbres aussi.
Et moi, que serais-je devenue, dormeuse résolue à ne plus me réveiller ?
J’aime à croire que j’aurais laissé là mon enveloppe corporelle pour m’en
aller rejoindre avant elle le substrat minéral commun à toutes les maisons.
« Vous êtes poussière, et redeviendrez poussière » : cette phrase lue dans
le gros livre qui occupe tant Wioletta depuis quelques années me paraît
avoir été écrite pour nous, bien plus que pour les hommes. Car enfin, soyons
sérieux ! Chacun sait que les hommes, eux, laissent infiniment plus
qu’un peu de poussière. Ils laissent leur nom, des descendants, une mémoire,
la trace de leurs actes ou même de leurs œuvres. Alors pas de misérabilisme,
pas de pleurnicheries anthropocentriques : ce n’est pas à nous
qu’on apprendra ce que c’est que disparaître de la face du monde.
Je me serais donc enfoncée dans mon dernier sommeil, et je
n’y pense pas sans une certaine curiosité. Je serais d’abord entrée dans
la bonne terre grasse qui attend sous mes caves, fraîcheur fertile, pétrie
de souvenirs végétaux, de lombrics et d’insectes. Cette couche-là m’aurait
encore parlé du monde humain : ici et là j’aurais effleuré un vieux soc de
charrue, une pipe cassée, une boucle de ceinture, une monnaie à l’effigie
de Marie-Thérèse ou même d’un Jagellon.
Je serais descendue encore, aurais buté sur de nouveaux objets
devant lesquels le doute m’aurait prise. Tessons de poterie, ou boue fossilisée
? Pointe de flèche, ou vulgaire caillou ébréché par un glissement de
terrain ? Cet os d’aurochs ou autre espèce éteinte avait-il été à dessein, ou
par hasard, percé d’un petit trou ?
Mais bientôt j’aurais oublié jusqu’à ces énigmes : plus d’hommes
ici, plus de campements ni de familles ni de primitives sépultures, rien
qu’une dentelle de fougère imprimée dans la roche ou un scarabée prisonnier
de sa gangue de résine pour me rappeler le monde d’en haut. Et là, si
loin du jour, je serais peut-être tombée sur un gisement de houille ou une
nappe de pétrole, attendant de toute éternité qu’on s’intéresse à eux.
Et alors j’aurais su ce que c’est que la Nuit. Non pas cette aimable plaisanterie
qu’on appelle nuit sur terre, si relative, au fond, avec sa lune, ses
lampes, ses étoiles et ses feux de cheminée. Si vivante même, si sensuelle,
si riche d’événements pour ceux qui ne dorment pas. J’ai déjà raconté une
nuit de ce genre. Mais la nuit dont je parle, celle de ces immensités rocheuses
qui s’étendent au-dessous de nous, où ne s’agite plus le moindre
souffle d’air ni de vie, n’a rien de commun avec ces quelques heures nocturnes
d’août 1846, ni avec la plus noire nuit du plus noir hiver de la plus
noire époque qu’ait connu la Pologne. C’est la Nuit absolue, celle dont
l’intuition nourrit en chacun de nous horreur et attirance.
N’est-ce pas l’horreur de cette Nuit qui portait par exemple un
Zygmunt Borowski à souhaiter si ardemment les aurores, les lendemains,
les embrasements printaniers ? Et n’est-ce pas, dans le même temps, la
fascination de cette Nuit qui nous rend si avides de découvrir le dessous
des choses, les ténébreux complots, les tréfonds de notre âme, et déçus de
devoir, pour cela, l’éclairer ?
Moi-même j’ai mes zones d’ombres, mes points que n’atteindront
jamais les rayons du soleil ; et, même à mon propre regard, je ne suis pas
transparente. Je sens la Nuit en moi, je la sens, comme nous tous – hommes,
bêtes, plantes ou édifices – au cœur de notre monde. Et le combat
qu’elle y livre à la clarté logique, à la chaleur du sang, aux envols de
l’espoir et de la joie solaires est bien plus acharné, bien plus incertain que
la lutte pendulaire du jour et de la nuit, Sisyphes contents, au fond, de
leur complémentarité et se serrant la main, le matin et le soir, comme deux
loyaux partenaires. Car dans ce combat-là il y a de vraies pertes, de vraies
victimes, des choses qui passent et ne reviendront plus ; des êtres, des
idées, des États sombrant dans un néant qui ne sera plus promis à aucune
aube. De ce combat-là vient qu’il y ait, sur terre, de l’irrémédiable et – c’en
est une conséquence – de l’absolument nouveau.
Non, la marche du temps et la généalogie ne sont qu’en apparence
claires et rectilignes, et si le nouveau descend de l’ancien, c’est tout
aussi mystérieusement que la fille d’Anvar bey descend de Tadeusz Zemka
ou Oleh Dorochenko, des comtes Ponarski. La Nuit, j’en suis persuadée,
préside à ces filiations courbes, à ces naufrages historiques que rien
n’annonçait et que tout, après coup, explique néanmoins.
Et moi qui suis toujours là, même quand je dors ; moi qui ne bouge
jamais quoique tout soit fluctuant – n’est-il pas naturel que je sente mieux
qu’une autre, par mes fondations, la poussée de ces forces chthoniennes,
la froide montée de ce qui pâlit les choses, renverse les empires, gauchit
l’hérédité ?
Foto: Leenhardt
56 ST/A/R
Buch VII - FRANCE ST/A/R Nr. 16/2007
Chaix & Morel:
Architektur der Leichtigkeit
Foto: Eddie young / Atelier d’architecture Chaix & Morel et associés
Bahnhofsviertel Luxemburg
Das Atelier Chaix & Morel und Partner
ist ein ein Ort aus Zink, Glas und guter
Atmosphäre, gelegen in einem Hof der
kleinen rue des Haies, hinter dem Boulevard de
Charonne, im 20. Arrondissement, Paris. Was
hier zählt ist die Qualität der Beziehungen: Die
Projekte des Ateliers und die Einbindung aller
Mitarbeiter in das Team -das schöne Buch von
François Chaslin, Chaix & Morel, Années lumière...
gibt davon einen Eindruck- unterstreichen das.
Auch die Geduld, mit der Walter Grasmug, der
österreichische Partner, mir die Geschichte
des Ateliers und seine neuesten Projekte zu
präsentieren, spricht für sich.
Die Zusammenarbeit von Philippe Chaix und
Jean-Paul Morel begann zu Begin der 1980er
Jahre. Anlass war das Projekt für den Zenith,
die Konzerthalle im pariser Parc de la Villette.
Der Zenit war als vorübergehende Konstruktion
geplant: mit seiner Textilbedeckung, seinen
veränderlichen Räumen und seinen großzügigen
Zugängen ist er eher ein technisches Werkzeug
als ein Gebäude. Die Idee hatte Erfolg und
verbreitete sich in verschiedenen Städten
Frankreichs.
Die Architekten nehmen eine einfache Form
und eine Struktur anhand derer die Qualität
des zu verwendenden Materials festgelegt
wird und versuchen damit der Funktion des
geplanten Gebäudes im Rahmen der gegebenen
Umstände gerecht zu werden. Design wird zum
Forschungsgebiet einer Dialektik zwischen Form,
Struktur und Funktion. Chaix & Morel entwickeln
Gebäude wie Möbel. Auf dem pariser Salon du
meuble wurden sie 1996 zu den Kreativen des
Jahres gewählt, Sie begründen eine Kontinuität
zwischen Design und Architektur: Konzertsäle wie
Stadien werden als reproduzierbare Prototypen
gedacht, die sich dem Kontext anpassen.
In den 1990er Jahren brachte das Atelier
verschiedene wichtige und originelle Bauten
hervor: Das Museum von Saint Romain -ein in
die erforschte Landschaft der archäologischen
Stätte integrierter Pfahlbau- oder die Universität
für Brücken und Straßenbau sowie jene für
geographische Wissenschaft. Die soziale Bedeutung
dieser Projekte ist erheblich: eine Kontinuität
zwischen Wissenschafts- und Lebensraum,
zum einen Archiv, Forschungsbereich und
Ausgrabungsstätte, zum anderen Empfang,
Ausstellung, Versammlungsplatz und Cafeteria.
Die die Nüchternheit der Formen und die der
Foto: Xavier Testelin
Stadium von Amiens bei Nacht
Leichtigkeit der oft aufgehängten und sehr
lichtreichen Gebäude gezollte Aufmerksamkeit,
kennzeichnen eine um die Verbesserung
der Qualität der Beziehung zwischen ihren
Bewohnern, ihrer Aktivität und dem Ort bemühte
Architektur.
In diesem Geiste wurden auch das Stadium
von Amiens und später das Stadium von Grenoble
entworfen. Das Publikum und die Spieler befinden
sich unter freiem Himmel, geschützt durch eine
Schale aus Glas. Die transparente Konstruktion
gibt Sicht auf die Landschaft, während das
Stadium in der Nacht an eine leuchtende Muschel
erinnert, nicht aber an einen geschlossenen
Kochtopf. Im Entwurf des Volumen wurde ein
Erweiterungsbalkon integriert: den 12.000 Plätzen
des Stadiums fügt der Balkon 8.000 weitere hinzu.
Neueste Projekte: das Hôtel Quai de Seine,
ein Komplex der ein Übernachtungszentrum
und eine Jugendherberge in sich vereint. Die
Magasins généraux von la Villette, errichtet als
Zwillingsbauten auf je einer Seite des Kanals.
Die Silhouette und das Volumen der durch den
Brand von 1991 vernichteten Gebäude sollte
neu geschaffen werden. Chaix & Morel haben
den Baukörper parallel zur Wasseroberfläche
in vier Längsstreifen geteilt, und ein Viertel des
Volumens geleert: der so entstandene Innenhof
erlaubt die Ausrichtung der Zimmer in das Innere
und verlängert die Allee längs des Kanalufers.
Die Anpassung des Gebäudes an den Bauort und
seine Helligkeit werden durch eine beigefarbene,
netzartige Metallkonstruktion gewährleistet,
die, an die Farbe des Zwillingsgebäudes
erinnernd, dessen Form nachzeichnet, ohne
sie abzuschließen, die Durchgänge der
Feuerwehrstation bekleidet und das Licht filtert.
Ein weiteres Projekt mit hoher
städtebaulicher Spannweite: Die Neugestaltung
des Bahnhofviertels von Luxemburg. Zwei im
Stadtgeflecht durch enormen Gleiseinschnitte
getrennte Räume waren zu verbinden. Eine
grüne Fläche bringt Kontinuität: Sie schafft
nicht nur neuen öffentlichen Raum, sondern
verlängert auch die schon existierenden Strassen.
Durch angrenzende Konstruktionen wird das
Viertel ebenfalls aufgewertet. Projektziel ist es,
die Entwicklung eines zentralen Stadtviertels
vorherzusehen und zu begleiten.
Konzerthalle Zenith in Paris
Magasins généraux / Hôtel Quai de Seine am Canal de la Villette in Paris
Text: Brigitte Bercoff
Bibliographie : François Chaslin, Chaix et
Morel, années lumière, Ante Prima, AAM
éditions, 2006.
Herzlichen Dank an Walter Grasmug
und an Marion Brice für die freundliche
Zusammenarbeit.
Übersetzung Christian Denker
Foto: Eddie young / Atelier d’architecture Chaix & Morel et associés Foto: Atelier d’architecture Chaix & Morel et associés
Foto: Christian Richters
Museum Saint Romain
Stadium von Amiens bei Tag
(Innenansicht)
Foto: Christian Richters
Städteplanung / Architektur / Religion
Buch VIII - Grausam ST/A/R 57
ST/A/R wünscht
Frohe Weihnachten
DIE GERNGROSSSÄULE VON FRANZ WEST
1060 WIEN, RAHLGASSE – NOKIA-HANDYFOTO: HEIDULF GERNGROSS DEZ. 2007
58 ST/A/R
Buch VIII - Grausam
Nr. 16/2007
PLAY VIENNA Die Stadt als Spielfeld war von Beginn an Grundgedanke der Entwerfen -
Übungen, die ab einem Sommerworkshop 2004 von Architekt Armin Mohsen Daneshgar in
enger Zusammenarbeit mit der MA19 und MA21 geleitet wurden. Weiterentwickelt entstanden
daraufhin die Entwerfen - Übungen Play Vienna I – III.
von Elisabeth Gschaider
Foto: © Stephan Huger
Robert Kniefacz
Will Alsop
Michael Szyszkowitz
Nr. 16/2007
Buch VIII - Grausam ST/A/R 59
Play Vienna I - Eine Intervention am
Westgürtel Sommersemester 2005
Der Gürtel als eine der wichtigsten Verkehrsadern Wiens, als prägendes städtebauliches
Element, als historische und soziale Grenze, fasziniert und beschäftigt Stadtplaner schon
seit längerem. Die Bemühungen in den letzten Jahren der Wiener Stadtregierung bezüglich
Aufwertung und Umgestaltung der Gürtelbereiche vor allem rund um den Urban -
Loritz – Platz und im Bereich des Margarethen – Gaudenzdorfer – Gürtels führten zum
strategischen und operativen Programm der MA21A „Zielgebiet Gürtel“ mit einem 9-Punkte-
Programm. Die Auseinandersetzung mit diesem Programm war Grundlage für PLAY
VIENNA I und dem damit verbundenen Ideenwettbewerb. Die Wohn- und Lebensqualität
der gründerzeitlichen Strukturen sollte am Beispiel eines oder mehrerer Musterblöcke im
Kreuzungsbereich Burggasse – Gablenzgasse Ecke Lerchenfelder Gürtel untersucht werden.
Konkrete Fragestellungen hießen u.a.: „Welche Möglichkeiten für eine architektonische
Gebäude- und Umfeldgestaltung gibt es? Wie kann man planerisch eine stärkere Verbindung
zwischen innerem und äußerem Gürtel herstellen? Wie können ökologische und soziale
Gesichtspunkte einfließen?“ Die Jurymitglieder für die Endpräsentation am 16.06.2005
setzten sich aus beruflich involvierten Personen, bzw. Bauträgern oder Anrainern des
Gürtelgebiets und Journalisten zusammen. Im Herbst 2005 fand eine Ausstellung aller
eingereichten StudentInnenprojekte am Gürtel, nämlich im Impulszentrum IP-TWO am
Lerchenfeldergürtel 143, statt.
Play Vienna II - Über den Dächern Wiens
Sommersemester 2006
„Play Vienna – alles andere als ein Spiel“ schrieben Armin Mohsen Daneshgar und
Rames Najjar im Vorwort des Katalogs. Zusammen leiteten sie die Entwurfsbetreuung der
StudentInnen und die Organisation der Lehrveranstaltung. Die Nähe zur Realität zeigte sich
u.a. auch in der Zusammenarbeit mit dem Immoblienriesen „Conwert“. Die Projekte wurden
bis zum Entwurf und für eine eventuelle Einreichung bearbeitet, Modellpräsentation und
Hochbaudetailpläne waren ebenso Pflichtprogramm. Gesucht wurde nach innovativen Ideen
für Dachausbauten als „sinnvolle Verdichtung des Wohnraums in Innenstädten“. Fünf reale
Objekte in fünf verschiedenen Bezirken Wiens wurden vorgegeben. Die MA19, die sich als
Servicestelle in stadtgestalterischen Angelegenheiten sieht, war mit Abteilungsleiter Josef
Matousek und Dezernatsleiter Robert Kniefacz wieder bei allen Kritik-Präsentationsrunden
beteiligt. Das Ingenieurteam um Dr. Karlheinz Hollinsky, Chef der gleichnamigen Firma,
wurde für Statikfragen herangezogen. Entstanden sind neben über 20 originellen Projekten
ein weiterer hoch-qualitativer Katalog zur Stadt-Spiel-Übung. Inzwischen haben andere längst
erkannt, dass Entwerfen - Übungen wie Architekt Daneshgar sie vor Jahren auf der TU entwarf
– nämlich eine Kombination von akademischen Spiel und Praxisnähe – die Zukunft sind.
TU-Angestellte legen die Scheu oder auch Arroganz, die gegenüber der real-wirtschaftlichen
Alltagswelt für Architekten besteht, ab und gehen immer öfters auf Marketingchefs,
Produktmanager und Verkaufsleiter namhafter Firmen zu. Aber auch die Privatwirtschaft
erkannte, dass die Nähe zur Wissenschaft nicht nur in den klassischen Bereichen Chemie
und Physik, sondern auch in der Architektur bereichernd sein kann. Firmen wie Velux,
Knauf, Eternit, Rheinzink, um nur einige zu nennen, mit dem das Hochbau – Institut rund
um Architekt Will Alsop zusammenarbeitet, sprechen sich heute durchaus enthusiastisch
zur chaotisch – inspirierenden Universitätswelt aus. Die StudentInnen wiederum schätzen
inzwischen die Lampenfiebersituation bei den Präsentations- Kritikrunden vor den großen
Chefs der Wirtschaft. So entstand, während Robert Kniefarcz, Dezernatsleiter der MA19,
mit Architekt Daneshgar das nächste studentische Programm besprach, bei der Firma Velux
und der Institution Holzbau AG die Idee, ebenso auf einen studentischen Ideenwettbewerb
zu setzen. Dazu die Bilder zur Jurysitzung mit Juryvorsitzenden Architekt Will Alsop auf
den kommenden Seiten.
PLAY VIENNA III spielte mit sechs ausgewählten
Stadtpunkten am Stadtbrett. 2007
Eine Achse vom Museumsquartier zu Esterhazy-Park und Gaudenzdorfergürtel wurde
gezogen. In bewährter Art und Weise wurde die enge Zusammenarbeit mit den
Stadtmagistraten und fortgesetzt. Wiederum entsteht ein Katalog als Abschluss der
Lehrveranstaltung, der demnächst präsentiert wird. Folgend die Siegerprojekte aus PLAY
VIENNA III beim Wettbewerb LIVING IN THE ROOF von Firma Velux und Holzbau AG.
Teilnehmende Universitäten • TU Wien • Angewandte Wien • Akademie der bildenden
Künste Wien • TU Graz • TU Innsbruck • Kunstuniversität Linz Verantwortliche vor Ort TU
Wien: Arch. sba DI Dr. techn. Armin M. Daneshgar Angewandte Wien: Univ. Lekt. Arch. DI
Franz Sam Akademie der bildenden Künste Wien: DI Antje Lehn TU Graz: Arch. DI Andrea
Redi und Arch. DI Ivan Redi (ortlos architects; Institut für Wohnbau Vst. Univ. Prof. DI Dr.
Arch. Tschom) TU Innsbruck: Arch. DI Erich Gutmorgeth Juriert von • O. Univ. Prof. DI
William Alsop • DI Robert Kniefacz (Dezernatsleiter der MA 19 in Wien) • O. Univ. Prof.
Arch. DI Michael Szyszkowitz • Univ. Prof. DI Hermann Kaufmann, TU München • Arch.
MAA Lone Feifer, VELUX • Arch. Mag. Arch. Roman Delugan • DI Bernd Egert, Holzbau
Glöckel Organisiert und fi nanziert von den Partnern • holzbau austria • …sterreichischer
Leimbauverband • VELUX • Rigips • ISOVER • eternit www.livingintheroof.at / Fotos von
Stud.-CD ausgewählte Projekte: Michael Vitek, Florian Hetzmanseder / Fotos von Jury
Robert Kniefacz, (Arch. MA19) Lone Feifer und Heinz Hackl The attention paid to the roof
is a major contributor towards increasing the density of our cities. The roofscape is very
often an unexploited area in our cities, which has enormous potential. If by using our roof
spaces we can increase the density of the city, it results in a maximisation of the footprint of
the urban area as well as allowing more people to use the existing infrastructure. Roofs help
us to green our urban areas. William Alsop Elisabeth Gschaider, Nov.07
Departure Departure
9.10.07, 19.30h,, Book Relase
Party in der Banane – Volksgarten
Der Abflug oder auch Abgang – departure - war an
diesem Abend ein Auftritt. Zuerst sammelten sich
viele schwarz gewandete – also Architekten – und
immens gestylte – also Wirtschaftsleute – sowie
Künstler und Beobachter vor einer DJane in der
Banane im Volksgarten. Schließlich, manche
dachten schon, es gäbe gar kein Programm, trat
Stadträtin Renate Brauner vor das Mikrophon und
lobte die hervorragende Arbeit von Departure, das
Zusammenfließen von Wirtschaft und Kunst, von
Creative Industries mit Produktionsindustrie, von
Kunst- und Wirtschaftspolitik. Norbert Kettner,
scheidender Direktor des Departure Teams, liess
die Zeit seit dem Beginn im jahre 2003 revue
passieren. Zum Abschied also schenkt er sich und
seinem hervorragenden Team das Look Book, das
ausgewählte Projekte und die Menschen dahinter
darstellt. Schließlich wünscht Kettner, der die
Stelle des Wiener Tourismusdirektors antritt,
seinem Nachfolger Christoph Thun-Hohenstein,
langjähriger Leiter des Österreichischen
Kulturforums in New York, alles Gute.
Departure vergibt Förderungen für Unternehmen der
Creative Industries. Mehrere Einreichdaten im Jahr.
Das Look Book mit den dargestellten geförderten
Projekten ist direkt bei Departure oder im gut sortierten
Buchhandel zu beziehen. http://www.departure.at
Städteplanung / Architektur / Religion Buch VIII - Grausam
ST/A/R 61
SCHENKUNG BOGNER • 10 JAHRE KIESLER STIFTUNG WIEN
Re: Symposium MODELLING SPACE, Kiesler Foundation Vienna
By Kurt W. Forster
I could be bound in a nut-shell, and count myself a king of infinite space, were it not that
I have bad dreams. Shakespeare, Hamlet
Schenkung Bogner.
10 Jahre Kiesler Stiftung Wien
Kiesler Stiftung Wien, Mariahilferstraße 1b, 1060 Wien
Ausstellungsdauer: 22.10.2007 – 18.2.2008
Öffnungszeiten: Mo-Do.: 10 - 17 Uhr,
Fr.: 10 - 14 Uhr
Friedrich Kiesler,
Endless House 1958-60
Foto: Wolfgang Woessner/MAK
Die Kunsthistoriker und Sammler Gertraud und Dieter
Bogner setzen sich seit vielen Jahrzehnten für die Erforschung
und Vermittlung des Werks des austro-amerikanischen
Künstlers und Architekten Friedrich Kiesler (1890-1965) ein.
Zahlreiche Ausstellungen, Publikationen und Texte von Dieter
Bogner belegen sein kunsthistorisches Interesse an Kieslers
Wirkungsgeschichte. Schon früh finden wichtige Arbeiten
Kieslers Eingang in die Kunstsammlung der Bogners, die
beide Mitbegründer der Stiftung sind.
Anlässlich des 10-jährigen Jubiläums der Kiesler Stiftung
schenken Gertraud und Dieter Bogner aus ihrer Sammlung
eine Reihe herausragender Werke Kieslers der Österreichischen
Friedrich und Lillian Kiesler-Privatstiftung: Die Rekonstruktion
des Träger- und Legersystems von 1924, eine Serie von
Vintage Prints der 1925 im Auftrag Josef Hoffmanns in Paris
entstandenen Raumstadt („City in Space“), den Gesamtplan
der 1937/41 entstandenen Vision Machine (im Archiv der
Stiftung befinden sich die Vorzeichnungen dazu) und vor allem
das Modell des Endless House von 1959 sowie eine damit in
Verbindung stehende große Kohlezeichnung von Kiesler.
Symposium MODELLING SPACE am Freitag, 30.11.2007, 15h-19h
im Az W, Architekturzentrum Wien, Museumsplatz 1, 1070 Wien
Anlässlich des Jubiläums „10 Jahre Kiesler-Nachlass in Wien“ veranstaltete die
Kiesler Stiftung Wien am 30.11.2007 das Symposium MODELLING SPACE.
Einführung zu Modelling Space
Monika Pessler, Direktorin der Kiesler Stiftung Wien
Das Zusammenspiel von Architektur und Kunst verleiht der Institution Kiesler Stiftung Wien ihr Profil, da eine dem
Nachlass adäquate Betrachtung den Fokus auf ein Spezialgebiet der Künste nicht zulässt. Denn Kiesler verwirklichte
Projekte in den unterschiedlichsten Disziplinen – als Architekt, Künstler, Designer und Bühnengestalter. Darüber
hinaus war er bestrebt seine Theorien mit den neuesten Erkenntnissen der Naturwissenschaften und Technologie
zu verbinden. Dies mag auch einer der Gründe sein, warum Kieslers Werk und seine Wirkungsgeschichte heute
noch einen berechtigten Anlass bieten, sich mit vor allem zeitgenössischen Fragen und Methoden der Kunst- und
Architekturproduktion auseinanderzusetzen.
Ist auch der den Künsten eigene Wettstreit unter den einzelnen Gattungen längst Geschichte und ein
medienübergreifendes Gestalten seit dem zweiten Drittel des 20. Jahrhunderts verbreitete Praxis, so hat doch
der von Kiesler vorausgeahnte Einsatz „neuer Medien“ die simultane Wahrnehmung vielschichtiger Kreationen
sowie deren praktische Umsetzung erst ermöglicht. Da sich die digitale Imagebildung und -vermittlung der
Manifestation im Objekt aber entziehen, werden seitdem Fragen nach der Wirklichkeit, wird vor allem der Status
des Realen, neu verhandelt. Dies wirkt einerseits auf die Architektur und ihr Selbstverständnis, da sich die Baukunst
als konkrete Gestaltung unseres unmittelbaren Lebensraumes stärker als jede andere kulturelle Äußerung der
Vergegenständlichung verpflichtet sieht. Die bildenden Künste hingegen, die uns traditioneller Weise ein Abbild der
Wirklichkeit liefern, bedienen sich längst tatsächlicher, raumbildender Maßnahmen – vom Environment über die
Performance, bis hin zur Intervention im sozialen Kontext. So scheint die praktische Anwendung von künstlerischen
Konzepten, die im Besonderen das Verhältnis des Menschen zu seinem Umraum definieren, die Eingliederung der
Kunst in unseren alltäglichen Erfahrungsbereich, mit Anliegen der Architektur parallel geschaltet. Daher widersetzt
sich die Analyse der im Wandel befindlichen Ansprüchen an Architektur und Kunst, mehr denn je einer getrennten,
den einzelnen Disziplinen folgenden Kategorisierung.
Entsprechend dieser Bedingungen des aktuellen Kunst- und Wissenschaftsdiskurses wie auch im Einklang mit Kiesler
Theorie der „correlated arts“ ist es nahe liegend, Architekten und Künstler, Architektur- und Kunsttheoretikerinnen
zusammenzuführen, um vor Ort und in ihrer/unserer Zeit über historische und zeitgenössische Bedingungen der
„Raummodellierung“ in der aktuellen Kunst- und Architekturproduktion zu sprechen:
Antje von Graevenitz: Kieslers Entwurf für ein galaktisches Leben auf Erden
Olafur Eliasson und Hani Rashid (Dialog): On Art Architecture Ambiance
Ben van Berkel: The Capacity of Endlessness
Kurt W. Forster: Infinite Space in a Nutshell
Moderation: Elke Krasny
SCHENKUNG BOGNER • 10 JAHRE KIESLER STIFTUNG WIEN
Only in the course of the nineteenth century did space cease to be an abstraction of Newtonian kind, when artists, historians, and critics began to perceive the aura of objects and
the atmospheric qualities of space. Painters were at the forefront with their attention to weather, cloudscapes, diffuse coloration and phenomena of light and shade that profoundly
affect our perception of things and shroud them in our memory. Having thus abandoned space, like time, as an abstract dimension of immutable and uniform nature, artists
literally began to play tricks with space and time, and with our perceptions of them. Historians of architecture, such as Heinrich Woelfflin, and art-historians, such as August
Schmarsow, paved the way to a perception of space that is not a neutral void but a medium of powerful psychic reality.
Since the aesthetic proposition of the Sublime as a psychologically heightened manifestation of beauty, vast voids, mysterious shadows and suddenly illuminated spaces began
to register their irrational inflections on the canvasses of painters such as Constable, Turner, Pissarro, and numerous others. Clefting objects and constructing new spatial
relationships, including the simultaneous appearance of sequential stages, or the explosion of a solid into fragments, changed the arts forever. Cubist and Constructivist montage,
the rise of photography with its immense technological potential, and the injection of temporal conditions into spaces of twentieth-century architecture are only some of these
manifestations. Variously deriving notions from science (from Minkowski to Hawking; Chevreuil to Gestalt psychology), artists and architects began to construct ideas about the
space/time web and evolve, by dint of imagination, images of the phenomena for which physicists only have mathematical tools. The practice and teaching of a Laszlo Moholy-
Nagy, among others, anticipated much that was to follow when artists adopted the new fluid medium of space/time in cinematographic and video art. Friederich Kiesler proved a
pathfinder with his ideas of endlessness within confines, just as he had earlier erected obstacles in space and (partial) impediments to viewing as a means of sharpening perception
and domesticating the emotional power of distance and delay for a fresh perception of images and events.
Charged with intense emotional meaning, space/time has turned into the manifold medium of art and architecture. Capturing a sense of movement within the framework of a
permanent structure has restored architecture’s dwindling dominion over change, time, and chance, fuelling its current metamorphosis. If a notion of threshold, of initiation,
held sway in the early twentieth century, a sense of being fully immersed in space/time has now taken hold and propels the work of artists and architects toward manifold
manifestations of reality.
Panoramaseite realisiert mit
Bogner.cc
Symposium Modelling
Space, Bundesministerin
Claudia Schmied
und Dieter Bogner
(Vorstandsvorsitzender der
Kiesler Stiftung Wien).
© Foto: Pez Hejduk
Symposium Modelling Space,
am 30.11.2007, im Az W mit über 300 Besuchern.
© Foto: Pez Hejduk
62 ST/A/R
Buch VIII - Grausam
Nr. 16/2007
Die Möwe Jonathan Meese
von ST/A/R-Fotograf
Nr. 16/2007
Buch VIII - Grausam ST/A/R 63
Meese / Mama
Peter Korrak
Meese / Essl
bei Essl
Korrak / Meese
64 ST/A/R
Buch VIII - Grausam
Nr. 16/2007
Abb./Illustr: Markus Wilfling, Ausstellungsansicht. Photo ©Projektraum Viktor Bucher
Fotos: Wladimir Jaremenko-Tolstoj
Vinzenz Grausam, Maler
Markus Wilfling • Zwischen - Between •
AUSSTELLUNGSDAUER/Duration BIS/UNTIL 31.01.2008
Öffnungszeiten: Di-Fr 14-19 Uhr und nach tel. Vereinbarung
Opening Hours: Tue-Fri 2 - 7 pm & by appointment
Auch / Also: Kunsthalle Krems • MARKUS WILFLING • Spiegelkabinett - mirror cabinet
projektraum viktor bucher
a-1020 wien, praterstrasse
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t/f +43 1 2126930
projektraum@sil.at
www.projektraum.at
Städteplanung / Architektur / Religion
Buch IX - STAR-book ST/A/R 65
Lebendige Städteplanung
Fritz
Hock
Chris
Mathis
Heidulf
Gerngross
Francisco
Riveros
Hans
Piccotini
Dominik
Zlender
City KIS eine
virtuelle Metropole,
die Realität ist
Im November 2007 ruft mich der befreundete
Kärntner Arzt Dr. Gert Hock an, um
anzukündigen, dass sein Sohn, der Jurist Mag.
Fritz Hock, Kontakt mit mir und den ST/A/R-
Aktivitäten sucht. Die Hockfamilie ist eine
Kärntner Arztfamilie, die mit meinen Eltern,
besonders mit meinem Vater, dem praktischen
Arzt, Dr. Herbert Gerngross, befreundet war.
Gert hat als Kind kurz nach dem 2. Weltkrieg
1946 einige Monate bei uns in Kötschach
gewohnt als sein Vater, der Arzt Dr. Fritz
Hock, an Lungenentzündung erkrankte. Auch
der Vater von Dr. Fritz Hock, meinem Onkel
Fritz, war Arzt, und ich bin sicher, dass es
eine Seelenverwandtschaft mit Theophrastus
Paracelsus gab.
So geschah es, dass mich im November 2007
der Kärntner Jurist Mag. Fritz Hock anrief, er
denke an eine Zusammenarbeit mit ST/A/R an
einem Projekt, das er im Zuge eines Studiums
der Angewandten Kulturwissenschaften an der
Universität Klagenfurt mit einer Gruppe von
Studenten und Künstlern entwickelt und kreiiert
hat.
Es ist die Gründung einer neuen Stadt, die
den historischen Raum, keltisch, slawisch,
romanisch und germanischen Ursprungs von der
Nordgrenze Kärntens bis zur Adria über Friaul –
Julisch – Venetien und Teile Sloweniens umfasst.
Er hat mit seiner Arbeitsgruppe den Namen City
KIS (Kärnten, Italien, Slowenien) gewählt und
würde gern ein Symbol, ein Zeichen, ein Wappen
für die neue Stadt entwickeln.
Ausgangspunkt zur Gründung der Stadt
waren Hocks Inspirationen und Intuitionen,
neben der landschaftlichen Schönheit und
Vielfältigkeit auch die kulturelle Schönheit
und Vielfältigkeit bewusst und auch
praktisch zugänglich zu machen. Im Zuge
der Projektarbeit sollte in Zusammenarbeit
von BIZ KICK, Enter The Real Market und
dem Gründerzentrum KärntenGmbH. Build!
ein Unternehmen entstehen, das vorerst die
Musikszene von Villach, Klagenfurt, Udine,
Triest, Laibach vernetzt und praktisch durch
neue Verkehrsverbindungen, z.B. ein KIS-
Kulturshuttle zugänglich macht Villach-Udine
1 Stunde, Klagenfurt-Laibach 1 Stunde. Alles im
virtuellen Internetraum www.city-kis.net sichtbar
und praktisch erreichbar.
Hock deutete die Entstehung einer virtuellen
Stadt an, die so weit entwickelt werden kann, dass
die 2,5 Millionen Bewohner der Stadt Einfluss auf
das vorerst kulturelle Geschehen erfahren und
über die praktische Verwirklichung eine neue,
lebendige Städteplanung entsteht.
Diese Anregungen haben für ST/A/R
Städteplanung, Architektur, Religion ein Tor
geöffnet, unsere städteplanerischen Visionen in
der Realität umzusetzen.
Wir haben uns in Villach zu Arbeitsgesprächen
getroffen und beschlossen, an der Entwicklung
von KIS www.city-kis.net mit der uns zur
Verfügung stehenden ST/A/R-Energie tatkräftig
mitzuwirken.
Als Herausgeber von ST/A/R, als Architekt und
Städteplaner möchte ich noch die tiefgreifende
städtplanerische Wirkung beschreiben, die
mich keltisch, slawisch, romanisch, germanisch
getroffen hat.
Als ich vor 2 Monaten vom Schuster Dabernig
in Kötschach Mauthen anlässlich meiner
abendlichen Gasthausbesuche bei Sissy
Sonnleitner, Guggenberger, Spörk, Servus,
Zelger, Poschibar usw. usw. erfahren habe,
dass Le Corbusier gesagt habe, die schönste
Architektur sind die Dolomiten, auch Herbert
Brandls Bergbilder im Kopf, hat das einen
gewaltigen geistigen städteplanerischen Schub
bewirkt.
Triglav - Polinik - Grossglockner - Pitz Timau,
gigantische grossartige Architekturen, Gail - Drau
- Isonzo, Wörthersee - Ossiacher See und die
Adria, Wasserflächenn, die die Architektur der
neuen Stadt prägen.
Also, als ich, – da hat sich ein neues Stadtbild
entwickelt, das mir mit den Städten, die ich
kenne, wie Los Angeles, wo ich einige Jahre
verbrachte, St. Petersburg, New York, Mexico
City, Wien, Berlin, Paris, Tokio, Hong Kong,
ebenbürtig erscheint.
City KIS wird jetzt noch vor den Städten
Shanghai und Dubai, die heute eine Unzahl von
Weltarchitekten und Städteplanern anziehen,
im Mittelpunkt meines städtebaulichen Wirkens
stehen. Vor allem deshalb, weil die neue Stadt
KIS meine unmittelbare Heimat ist und das
genaue Kennen des Ortes Voraussetzung für
architektonisches Schaffen ist.
Ich habe als Symbol und Grundstein der Stadt
den Archiquant vorgeschlagen. Der Archiquant
ist eine neu entdeckte geometrische Figur,
deren Breite b gleich dem Radius r ist und seine
Tiefe t ist der Goldene Schnitt von r oder b. Der
Archiquant wurde von der Arbeitsgruppe als
Zeichen, Wappen, Grundstein, Symbol und
Träger der Botschaft City KIS angenommen.
Die Grundsteinlegung von City KIS sollte im
Frühjahr 2008, wahrscheinlich am Triglav,
stattfinden. ST/A/R und der Österreichische
Filmemachvereien 1,2,3 werden das Ereignis
dokumentieren. Danach werden andere
Energiefelder mit dem Archiquant markiert,
materialisiert und manifestiert, sodass ähnlich
den Tempeln Griechenlands materialisierte
Geistesfelder oder Architekturen spezifische Orte
der Stadt zeichnen.
City KIS, die lebendige Stadt und Städteplanung,
ist ein Modell unserer Haltung. H.G.2008
66 ST/A/R
Buch IX - STAR-book
Nr. 16/2007
ROBÖXOTIKA IM
MUSEUMSQUARTIER
DR. CREST AUS ST. PETERSBURG
UND KRANKENSCHWESTER AGAFJA
GRASNAYA GALERIA NAMARATA
BRUSTVERGRÖSSERUNG FÜR HERMAPHRODITEN ANDI LUF UND VALIE AIRPORT UNTER COCTAIL-NARKOSE
Fotos: Oxana Filippova
ACHTUNG!
SPIELT IN EINER ANDEREN LIGA
HEIMO ZOBERNIG - Ausstellungsdauer 14.11. – 16.1. 2008 - Mo – Fr 11 bis 18 Uhr, Sa 11 bis 15 Uhr - www.meyerkainer.com
Nr. 16/2007
Buch IX - STAR-book ST/A/R 67
DE MEDEIROS
TANIUCHI
Nachhaltiger Erfolg der pariser Performer Tsuneko Taniuchi und Stéphane
de Medeiros. Die hohe Qualität der Vorstellungen beeindruckte auch das
verwöhnte Wiener Publikum. „Es war einfach ein Glücksfall, dass unser Dr.
Denker solide Verbindungen zur pariser Kunstscene hat”, erklärt Heidulf Gerngross dem
versammelten ST/A/R-Redaktionsteam. „Ohne ihn hätten die vielleicht gar nicht daran
gedacht, dass es auch in Wien Kunst gibt. Das wäre schon schade gewesen. Die Künstler
konnten hier bei uns etwas lernen und viele wichtige Erfahrungen sammeln.” Stephane
de Medeiros stimmt dem voll zu. Im MAK lernte er Kosuths Idee einer analytischen
und tautologischen Kunst zu verteidigen, das Prinzip der Autoreferenzialiät an seine
extremen Grenzen zu treiben und nebenbei die Moderne zu denunzieren. An seine Zeit
in Wien denkt er gerne zurück, besonders an die geschmackvollen Würste: „Wir im
Westen unterschätzen oftmals Eure ost-europäische Küche”, schreibt er uns auf einer
Künstlerpostkarte. „Ihr steckt nicht nur viel Mühe in die sprachliche Ausbildung Eurer
Polizisten, sondern auch in die Nahrungszubereitung. Besonders von eurem herzhaften
Umgang mit Würsten können wir in Westeuropa nur träumen! Ein bisschen Fett schadet
ja nicht. “ Dem Künstler ist es übrigens wichtig, dass sein Wattestäbchenpenis über das
ST/A/R-Vertriebssystem inzwischen in ganz Österreich käuflich erworben werden kann:
„Besonders in Wien haben so…
Dr. Christian Denker, Universität Wien
Le ipod de Cattelan
(avec Derrick sur TF3),
Performance von
Stéphane de Medeiros,
the gallery Mill,
Hong Kong, 2007.
Micro-événement
18bis/Marianne,
Performance von
Tsuneko Taniuchi,
La force de l’art,
Grand Palais,
Paris, 2006.
Vorankündigung des
psychedelischen kunst-frühlings 08.
Die wiener psycho-art-band the „psychedelic greybacks“ und ihr künstlerischer spiritus
rektor und art advisor adam wiener sprechen bereits von einer neuen psychoart-punk
bewegung.join in! drop out! be part of it!. am 5.03.08 ab 22 Uhr laden
die PSYCHEDELIC GREYBACKS zum SPACE-DANCE in die Mutter aller Discotheken,
ins Elysium der psychichedelischen Rockmusik: in die CAMERA. „alte“ Stammgäste des
Traditionshauses in der Neubaugasse, „Frischlinge“ genauso wie all jene, welchen die Camera
früher „zu wild“ war,sind herzlich willkommen. die pschedelic greybacks machen psycho-artpunk
und übersetzen den typischen „Camera“-Sound der 70er jahre in die Gegenwart. soll
heißen: hochenergetische bühnen show und psychedelische grundstimmung. psychedelisch
heißt bei uns beides. wir machen musik für psychonauten und psychotherapie-abbrecher (nur
letztere können jemals frei sein). wir glauben an chemie, weil chemie wirkt und wer prosac will
der soll es haben. unsere konzerte stehen unter dem motto: „we want to take you higher“.wer
also alle legenden der CAMERA OBSCURA und des WUMM WUMM gehört oder miterlebt
hat, wer später in den 90er jahren postpunk und industrial gehört hat, hat gute chancen auf ein
luzides dej´vu. das musicalische experement, die dekonstrution der rockmusik, bei gleichzeitig
tanzbaren beats ist credo. mit im PSYCHO-JUNKIE-PAKET der maler ADAM WIENER,
der den FLYER der greybacks gemeinsam mit seinem congenialen partner CHRISTIAN
DROSTE, der übrigens der bassist der greybacks ist, gestaltet hat. ADAM WIENER hat, wie er
uns verspricht, beschlossen die band mit seinem bildnerischen Zugang „unter seine fittiche“ zu
nehmen. Da kommt jedefalls einiges an arbeit auf ihn zu. am 5.3.08 wird in der camera jedefalls
eine limiterte anzahl an flyern vom adam mit seinem lieblings zitat zum thema psychedelic
greybacks gestempelt: THIS BAND IS ADAM PROOF. diese gestempelten flyer werden gratis
an die besucher abgegeben. auf die frage wie viele stück es sein werden hat mir adam wiener
zuletzt, mit seiner herzerfrischend lauten stimme entgegengeschmettert: „NA SOVIELE WIE
MÖGLICH DU SPIESSER. Rockmusik ist KUNST FÜR DIE MASSEN und da will ich dabei
sein. Am liebsten wärs mir wenn jeder WIENER HAUSHALT EINEN KLEINEN
ORIGINALISIERTEN bzw GESTEMPELTEN ADAM WIENER - PSYCHEDELIC GREYBACKS
FLYER zu Hause auf seiner Pinwand oder im Tagebuch eingeklebt hätte;kunst
für die massen, einfach zugänglich sein. high times for everybody. wenn mein psychedelischerkunstwurm
dazu einen kleinen beitrag leistet, dann lass ich mich doch gerne von den greybacks
vor ihren karren spannen“ das bodypainting des sängers king-manifesto-karo soll, so tönen die
buschtrommeln, der französische graffiti-, streetart und stencil künstler
C215, der eigens für das event in der CAMERA OBSCURA aus Paris
eingefolgen wird, übernehmen. hard fakts: wir spielten in Zwerndorf im 3er wirtshaus. hatten
einen großen erfolg im salon leopold (13.04.07). wir
spielten am 29.09 22uhr im laderaum badeschiff;
es sind 10 musiker on stage: ein jazz drummer, der technofreak ist(esad halilovic), zwei
gitarren(peter golzar), Wolli kirnbauer); ein kyboarder, der auch geige spielt und vom jazz
kommt (clemens wratschko).bass christian totzdem droste (der oberste der der wilde
pinguine) spielt den speed-bass und is gemeinsam mit dem sänger michael magits dem
saxophonisten Stefan Freytag dem performer (king-manifesto-karo)für die art-punk/dico-funkpunk
grundstimmung zustimmung zuständig. damit es psychedelisch genug ist haben wir
noch zwei weitere
syntesizer, korg ms 20(gerhard zimmermann) micro korg (andreas tonhauser)
WIENER CHRONIK
Städteplanung / Architektur / Religion Buch IX - STAR-book
ST/A/R 69
10 Autoren kämpfen im
Ensemble-Theater Wien
um eine Flasche Whiskey
Eine neue Form der Dichterschlacht erblickte am
12. November 2007 das Bühnenlicht der Welt:
DRAMA SLAM – die Szenenschlacht. 11 Autoren, 4
Schauspieler 2 Moderatoren und 70 Schiedsrichter ließen
sich auf die Jungfernfahrt des Wettbewerbformates unter
der Flagge der Vitamines of Society im Ensemble
Theater am Petersplatz im Herzen Wiens ein.
In einer herkömmlichen Poetry Slam haben Dichter
eine bestimmte Zeit ohne besondere Hilfsmittel ihren
selbstverfassten Text vorzutragen und ihn der Bewertung
durch eine Publikumsjury auszusetzen.
In der DRAMA SLAM sind szenische Texte gefordert,
die nach kurzer Einführung des Autors von einem Pool
von Schauspielern prima vista, aber mir allem was ihr
Einfallsreichtum und die Bühne hergibt, umgesetzt
werden. Das Grundsetting der ersten Slam bildeten 2
Frauen und 2 Männer (das Actors-Basic-Kit: Susanna
Bihari, Sissi Noé, Jens Claasen & Rainer Doppler), die ihn
lockerer Wohnzimmeratmosphäre mit Zigaretten, Bier und
Junkfood zu Medien für die Texte wurden.
Die Texte reichten von einer dramatisierten Version
von Wolf Morrisons Fucked Up in Vienna über Nadia
Buchers namenlose Milieustudie über Künstler
DRAMA SLAM
im Kunstreich, Markus Köhles avantgardistische
Heldendemontage, Günther der TSCHIF Windischens
Arbeitslosenschiksalsdrama AMS, Andi Plammers Einblick
in Verdauungsvorgänge Lovestory in der Packerlsuppe, Alex
Gendlins Studienzeiterinnerungen Endlich 18, Mieze
Medusas Hackerinnenerlebnisse von Mia Messer, Oxana
Fillipovas männlicher Horrorphantasie Garage, Wladimir
Jaremenko-Tolstojs sibirischem Einakter vom Hühnervögler,
Karsten Rühls romantische Szenenfolge Liebeswerben bis
hin zu Melamars Dramolett aus dem Literatenmilieu mit
Namen Die großen Dichter.
Nach fünf Dramen lag der Tschif in der Gunst des
Publikums klar in Führung, die abermalige Wertung
nach den besten 10 ging an den Theatermann Karsten
Rühl, der neben einer Flasche Jameson-
Whiskey seinen durch Zeitlimit abgeschnittenen
Text auch noch zu Ende vortragen lassen durfte. In
der Bewertung hatte jeder Besucher eine Stimme, die
Teilnehmer der ersten Runde waren aber durch den
Abstimmungsmodus klar benachteiligt, sodass es für den
nächsten Drama Slam in ein paar Monaten ein neues,
möglichst faires Bewertungssystem geben wird. Denn
ständige Modifikationen und Weiterentwicklungen bereits
bestehender Formate sind laut Jimi Lend, dem Initiator
und Moderator der DRAMA SLAM, Programm.
Die Bedeutung von Hamann und Jacobi für die aktuelle Entwicklung in Russland
ST/A/R-Architekturphilosoph
Sergej Volgin
Sergej Volgin und FARCE VIVENDI präsentieren mit Unterstützung des ST/A/Rs das Buchprojekt
Johann Georg Hamann & Friedrich Heinrich Jacobi: Ausgewählte philosophische Schriften (ins
Russische übersetzt und interpretiert von Sergej Volgin, ca. 600 Seiten. Format: 80x108 1/32)
Es handelt sich um die erste Übersetzung der wichtigsten
Schriften von Hamann und Jacobi in die russische
Sprache. Die „Philosophen des Gefühls und des Glaubens“
wirkten mit an der deutschen Aufklärung, zusammen mit
Lessing, Herder, Goethe, Schiller, Kant und Fichte. Hamann
und Jacobi, sowie die „Philosophen des Genius“ (I. C. Lafeter)
und auch Hemsterhuis in Holland, vertraten in der Philosophie
dieselbe Bewegung, welche in der Literatur als „Sturm und
Drang“ weltbekannt wurde. In gewissem Sinne ist ihre Position
marginal, denn sie standen mit dem damaligen Rationalismus,
Sensualismus und dem entstehenden Kritizismus in sehr
merkwürdigem Kontrast. Es ist zu bemerken, dass ihre Ideen
einen sehr starken Einfluss nicht nur auf die deutsche Kultur am
Ende des 18. und am Anfang des 19.Jahrhunderts hatten, sondern
über den Bereich der Philosophie hinaus auch in Religion,
Moral und Ästhetik hinein wirkten. Ihre philosophische Position
kommt dem Skeptizismus recht nahe – es ist kein Zufall, dass die
beiden Philosophen, gemeinsam mit Immanuel Kant, die ersten
deutschen Kenner der skeptischen Lehre David Humes waren.
Aber es wäre verkehrt, ihre Position einfach als skeptisch zu
bezeichnen: Hamann und Jacobi verwenden die skeptische Waffe
zwar häufig und meisterhaft gegen ihre rationalistischen Gegner,
aber genau dort, wo ein Skeptiker dem Menschen das Absolute
Wissen abspricht, stellen die beiden solches Wissen in ihm fest,
im Sinne eines religiösen Glaubens, als eines Vermögens zur
Wahrnehmung des absolut Unbedingten und Übersinnlichen (d.
h. Gottes).
Es gibt auch Unterschiede zwischen den beiden Philosophen:
Hamann ist ein Vertreter der Mystik, Jacobi ist ein Realist -
jedenfalls behauptet er das von sich selbst, wobei er Hamanns
Position höher einschätzt als seine eigene. Der skeptische Akzent
tritt in Jacobis Philosophie viel stärker hervor als bei Hamann,
der eher als Prophet der Offenbarung und Poet der göttlichen
Dämonie wirkt.
Warum soll man ihre Schriften heute lesen? Was bringen uns
ihre Ideen gegenwärtig? Das Interesse ihrer Gedanken besteht
nicht nur darin, dass sie eine bestimmte historische Form der
Philosophie darstellen, die man kennen kann oder auch nicht,
sondern es wurzelt, meiner Meinung nach, im derzeitigen
Zustand der Philosophie und des geistigen Lebens in Russland.
Schon lange vor dem Zerfall der Sowjetunion und dem
Untergang der damaligen Ideologie – etwa seit Ende der 60er
Jahre – befand sich die Philosophie (sowie die Kunst und die
Wissenschaft) in Russland in einer ähnlichen Situation, wie die
Wissenschaften am Anfang der Renaissance: sie kämpften um
sich selbst und ihren Urgrund, um sich unabhängig von jeder
Ideologie weiterentwickeln zu können. Die Kräfte, welche diese
Bewegung inspirierten, scheinen jetzt erschöpft zu sein, man
spürt im Geistesleben zunehmende Stagnation. Da gilt es, tiefere
Kräfte zu erwecken und sie im Leben wirken zu lassen.
Kein Wunder, dass gerade in Russland (wo durch eine
zunächst sehr brutal und späterhin systematisch durchgeführte
Einpflanzung klerikal-politischer Weltanschauungen, wie
offiziellem Atheismus und Materialismus, die religiösen Gefühle
der Menschen fast siebzig Jahre lang unterdrückt wurden) nach
dem Zerfall der UdSSR ein heißer und beinah fanatischer Drang
nach Religion entstand. Aber das Erbe der materialistischen
Eschatologie der „Schönen Zukunft“ schleppen die Völker
der Ex-Sowjetunion mit sich weiter. In Russland gibt es einen
Spruch: „Ein Heiliger Ort bleibt nie leer“ und genau dort, wo in
Sowjetmenschen die Hoffnung an die kommende gute Zukunft
allgemeiner Gerechtigkeit lebte, herrscht jetzt heftiger Kampf
oder Apathie, ein unaufhörliches Tasten eines Blinden oder
eines Schlafenden im Dunkeln geistiger Nacht. Der Stachel
der Zweifel drängt immer tiefer in das Weiche des Gemüts, er
wühlt darin wie ein bissiger Hund und trifft auf nichts, was ihm
Widerstand leisten könnte, keinen kräftigen und festen Kern.
Daraus entsteht ständige Unruhe, die kein Ende nimmt, bis
der Mensch innerlich und äußerlich vollkommen entleert und
kraftlos ist. Damit will ich einen meiner Meinung nach sehr
wichtigen Zug der menschlichen Seele im Russland der letzten
Jahrzehnte unterstreichen, wobei ich weiß, dass ich damit nichts
Neues oder Unbekanntes sage. Das ist auch nicht verwunderlich,
DRAMA SLAM
So wird es voraussichtlich schon im Frühjahr 2008 auf
Initiative des russischen Literaturblattes Cas Slova die
erste Drama Slam mit neuen Regeln auf russisch in
St.Petersburg geben. Die Grundstruktur der Drama-
Slam ist so einfach und unterhaltsam, dass sie in allen
Sprachen der Welt aufgeführt werden kann und gilt für
internationale Kooperationen als Open Source Format.
Für weitere deutschsprachige Drama-Slams würde sich
Jimi Lend freuen zumindest als Teilnehmer eingeladen
zu werden. Alles in allem freute es die Dichter ihre Texte
in den Mündern & Körpern echter Schauspieler wieder
zu finden, die Schauspieler genossen die Gelegenheit
alle 10 Minuten in neue Rollen zu schlüpfen und wurden
zu darstellerischen Höchstleistungen bewegt und das
Publikum erlebte einen abwechslungsreichen Abend und
nützte seine Möglichkeiten sich an der Beschreibung und
Bewertung des Dargebrachten zu beteiligen. Für einen
reibungslosen Ablauf sorgte die unvergesslich strenge und
schlagfertige Notarin Andrea Kramer.
wolfgang lampl - jimi lend - 0650 771 4508
Next DRAMA-SLAM im April 2008!!!
Text zur Gerngrosssäule 2000
denn wir haben über mehrere Generationen hinweg verlernt,
in uns ein Selbstgefühl und somit auch einen Selbstglauben
im höheren Sinne zu erkennen (gemeint ist damit nicht jenes
‘Selbstgefühl’, das uns das Naturrecht zuschreibt und auf dem
jeder Absolutismus und Totalitarismus, aber auch Liberalismus
beruht – gerade davon sind die heutigen Russen innerlich erfüllt
und durchleben alle Modifikationen des Egoismus). Ein höherer
Glaube an das Geistige soll erst noch in uns selbst erweckt und
begrifflich geklärt werden.
Hinter dem Vorhang des
schönen Anscheins.
Eine Stunde
vor Mitternacht
vereinbare ich ein
Treffen mit ManfreDu
Schu im Nachtasyl in
der Stumpergasse, um
über sein Kunstwollen
zu sprechen. Auf dem
Weg dorthin schneit
es wie im tiefsten
Winter.
Andreas F. Lindermayr,
Chronist
„Die Ausstellung im Refektorium des
Heiligenkreuzerhofs“, denke ich, „sitzt
noch vielen in den Knochen, die Sache
wäre eigentlich noch brühwarm. In
Gerngross Namen, gehen wirs an!“
Vorsichtig taste ich mich die breite, relativ
steile Treppe hinunter in das Nachtasyl.
Muffige Kelleratmosphäre umfängt mich
bei Betreten des Lokals. Ich gehe durch,
bis zur Ausschank, wo ich diesen seltsamen
Doktor Darcula vermutlich treffen werde.
Und so ist es auch.
Er hat bereits ein Achterl Rot bestellt. Ich
werfe einen Blick auf seine Erscheinung:
zu seiner üblichen Stresemann-Hose trägt
er einen Wintermantel mit Pelzkragen,
unterhalb davon das unvermeidliche
Signum seiner Künstlerwürde, einen
merkwürdigen Brustlatz, der an ein Ding
erinnert, wie Franz Liszt eines getragen
hat.
Die Begrüßung ist wie immer herzlich.
Wir ziehen uns nach kurzem
Wortwechsel zurück auf das Podium
im Eingangsbereich, wo ein großer
Tisch steht. Daran nehmen wir im
Dämmerschein platz.
Ich eröffne die Sitzung, indem ich
den Maestro, ganz wie Roland Reiter,
behutsam mit seiner erwachenden
Sexualtität konfrontiere.
Im Unterschied zu Roland Reiter jedoch,
zieht ManfreDu Schu keine scharfe
Trennungslinie zwischen Sex und Kunst.
Ich erwähne, daß seine Silikonskulpturen
zum Teil eine frappante Ähnlichkeit zum
männlichen Geschlechtsteil aufweisen.
ManfreDu nickt und ergänzt. „Aber auch
zum weiblichen!“
„Zum weiblichen?“ Nun lasse ich
vor meinem inneren Auge einige
Assoziationen dazu Revue passieren
und erkenne die Analogie. Klar,
im Männlichen ist ansatzweise ein
Weibliches und umgekehrt. Sonst
müßten ja Hermaphroditismus und
Geschlechtsumwandlungen, die es ja
offensichtlich beständig irgendwie gibt,
gänzlich unmöglich sein. Schon die
Sexualtheorie Sigmund Freuds bestätigt
diese Tatsache.
Nachdem ich über meine Ministrantenzeit
und die Eigenheiten der zwei Pfarrer, die
ich im Wesentlichen hatte, berichte, stelle
ich ManfreDu die Frage, wie das bei den
Wiener Sängerknaben so war.
„Ungezwungen“, antwortet Maestro Schu.
„Wir haben uns da wenig gedacht, jeder
hat bei Gelegenheit hergezeigt, was er so
zu bieten hat. Das war stets ein lustiges
Geblödel. Aber ich hab mich gewundert,
daß das Ding zwischen den Beinen
unterschiedliche Größen aufweist. Ich
hätte in meiner Naivität geschworen, daß
Roland Reiter
das bei allen gleich ist“.
Ich muß unweigerlich lachen. „So kommt
man langsam dahinter, was es da für
himmelschreiende Differenzen gibt,
was?!“
„Genau!“, antwortet der Meister und
schmunzelt.
„Der Film, wo du mich über das Parkett
im Prälatentrakt kickst, heißt wie? Doktor
Skalpell?“
„Nein“. ManfreDu lächelt und sagt „Wär
aber auch eine Möglichkeit „ und fügt mit
ernster Miene hinzu, „da müßten wir aber
noch weiterarbeiten. Hart. Der Film heißt
übrigens Dr. Sculpture.“
„Dr. Sculpture? Du meinst wohl Doktor
Skulptur?“
Seltsam, denke ich mir, schon wieder
ein Gegensatzpaar. Einerseits das
Aktionistische des via Fußtritte über das
Parkett Beförderns, andererseits das
Befördertwerden und der Körper als
Bildwerk.
Nun gehe ich auf seine Exponate
im Einzelnen ein, und beginne mit
der Installation im Mittelteil, dem
Baugerüst mit der amorphen, rosaroten
Silikonmasse, die sich darunter hinzieht.
Irgendwo prangt Haar inform einer
Perücke. Ich erzähle von Eindrücken
einer Wohngemeinschaft in den
Achtzigerjahren. Von den ekeligen
❶ ❷ ❸
• Meine Tante Andrée ist mit der EAPPI nach Palästina geflogen, (photo 1 Tante vor dem Haus)
• um Oliven zu pflücken (photo 2 olives on ground)
• und um den Frieden zu fördern. (photo 3 Frau im Baum)
Ich bin Französin, wohne in Wien und liebe ST/A/R Menschen (photo 4)
❹
ManfreDu Schu
feuchten Wattebauschen, die sich
da beständig am Waschbecken
ansammelten, weil unsere gute
Mitbewohnerin es nicht der Mühe für
Wert befand, diese gleich zu entsorgen.
Oder an ein achtlos zurückgelassenes
Präservativ irgendwo, irgendwann und
komme zurück auf die Ausstellung mit
den merkwürdigen Zeichnungen an der
Wand, mit dieser eingenartigen Chiffre,
einer Chiffre, die sich auf die Beine
macht, könnte man meinen.
Und indem ich darauf verweise, entfährt
ManfreDu Schu die Frage: „Das fällt
dir auf? Tatsächlich? Das wundert mich
aber!“
„Wieso nicht!? Ich müßte ja ein totaler
Ignorant sein, wenn mir diese Dinge nach
siebzehnjähriger Freundschaft nicht doch
langsam in jeder Hinsicht merkwürdig
erschienen! Übrigens, vor siebzehn
Jahren haben wir uns kennengelernt. Wir
haben uns damals über die Vermittlung
von Bertl Theuretzbacher im Cafe´
Museum getroffen. Ich habe einen
Artikel über dich geschrieben, der im
damaligen WUK-Blatt „Werk und Kultur“
veröffentlicht wurde.
„Kannst dich erinnern?“
ManfreDu Schu nickt. Dann zeigt er mir
am mitgeführten Laptop Photos, die er
von mir am Josefsplatz im Umfeld der
Nationalbibliothek gemacht hat.
Daß Kleidung nicht nur einer Hülle
entspricht, die auf den Träger verweist,
wie in exponierten Fällen, sondern meist
dazu dient, den wahren Sachverhalt zu
verhüllen, - wie die Umgangssprache den
eigentlichen Gedanken, so Wittgenstein -,
damit sind wir durchaus einer Meinung.❑
Theatre and/ in War
Theatre and/ in War was one of the three
main topics at the second large meeting of
the European off network EON in Brescia in
May 2007.
A lecture and two half days discussion possibility
were taken into account for the panel.
From a significant bad situation – Zoe from
Belgrade who should hold the main lecture
did not get her visa and could not enter
to Italy - an unexpected and surprising
solution resulted. Spontaneously theatre
activists from current crisis regions like the
Gaza strip AND Israel, from the Kosovo AND
Serbia AND Croatia and further countries,
which were involved into the Balkans conflict,
showed short video and DVD cut-outs
from their work.
War and post-war realities in the former
Yugoslav area were there on the stage to
see partially aesthetically strongly reserved
and ‘verfremdet’, partially realistically
oversubscribed. From a production from
Croatia a sequence originates over the brutal
murder of babies in a serial dance taking
from the buggy in such a smooth way,
that the horrible act of violence remains
unbelievable as origin of the scene, while
in a Kosovarian improvisation a young actress
was hardly to look rooting/digging in
a large lump raw meat, while telling a rape
with deepness of existential emotion.
Theatre seems to be in the Balkans area
ST/A/R-
Alltag
Wir arbeiten an der neuen Nummer, besonders
an unseren glorreichen Beiträgen zum France-
ST/A/R, einem Durcheinander von Werbung für
Petits Fours, Architektur, Kino und ein paar schrägen
Performances mit Photos im Stil Gala für Arme... super!
Wir kommen ins Büro, der Artdirektor ist noch
nicht da. Telefonalarm: Er meint, er hätte ein bisschen
viel geraucht, will erstmal frühstücken. Im Büro hechelt
ein schwarzer Windhund, während ein unbekannter
Dichter darauf wartet, dass der Herausgeber
vor den Vorhang tritt (dahinter steht sein Bett, er
schläft noch, bzw. er zelebriert sein Leben). Sein Sohn
–etwa 25, blond, Frauenschwarm- macht inzwischen
Liegestütze auf dem ST/A/R Printmediumsarchiv, das
er seinerseits derzeit als Wohnraum nutzt. Er steckt
unseren USB-Stick ein, weil er ihn für ein Feuerzeug
hält und baut eine Tüte im Altarraum, d.h. der ehemaligen
Toilette. Wenige Stunden später machen wir
uns an die Arbeit, eilig, am Abend gibt es eine Sitzung
der „Gegenredaktion“ des kommenden „Kunst-
ST/A/Rs“, dessen Herausgeber seit der Umwidmung
der Redaktionstoilette aus gesundheitlichen Gründen
lieber in seiner eigenen Wohnung arbeitet und pinkelt.
Die letzten Tage vor dem Erscheinen: der Herausgeber
besetzt den Platz neben dem Artdirektor nun ständig.
Manchmal geht er auf Toilette. Wer dann sitzt gewinnt:
nur nicht mehr aufstehen: wer auf dem Stuhl
sitzt, kann den Artdirektor dieselbe Seite fünfzehn
Mal anfangen lassen, basteln und kleben, an einem
Wettbewerb um die schlimmste Idee teilnehmen und
am Ende glauben, die Arbeit selbst erledigt zu haben.
Das Geld für die nächste Ausgabe ist ohnehin
nicht da, also drängt es, Kaffee zu kochen und den
Altartoilettenraum weiter zu bemalen. Überhaupt
tut Reorganisation der räumlichen Gegebenheiten
Not: Zeitungsstapel werden halbmeterweise verschoben
und die Wände mit Archiquanten und mit
Kunstwerken aus der Zeit der letzten ST/A/R-Aktion
verdeckt und verschönert. Der Kassier fordert mehr
Nacktbilder für die Dezemberausgabe.
Unfunktionalität hat System, bald wird eine
neue Waschmaschine geliefert, der Schlauch zum
Waschbecken reisst, der Jungste Sohn des Herausgebers
erscheint, er geht noch nicht zur Schule kann aber
schon prachtvoll Wände bemalen (siehe Seite 64), alles
im Fluss, na also, frohe Weihnachten!
Alles ist gut!
- related
to the conflicts
of the
recent past
- a symbolic
experience
area, in
which the
traumata
of the experienced
can remove
the taboo
from and
Sabine Köck
be through-lived in www.freietheater.at
the representation
of Catharsis. And this concept seemed to
be accepted all conflict sides of the various
crisis region, anyhow all productions
of those, which participated from Croatia,
Bosnia, Serbia and Kosovo in the EON
meeting. All sequences from the area were
related to tragedy and or the concept of
Catharsis played more or less with elements
of pathos.
A group of young Serbian women analyzed
this fundamentally critically: in their eyes
theatre is a possibility of symbolising but
overloaded of reality and could be completely
not more than a “discourse” but
never a possibility for the knowledge of
reality of the war.
So in Brescia a “third space” was developed
outside of the war reality and crisis areas
and all, which were thereby, felt the explosiveness
and responsibility for the situation.
For all of us it is an aim and certain a wish
by heart to find possibilities to continue this
sensible dialogs.
On a very practical level we hope meanwhile
that the European Off Network EON
can be a part of empowerment not only
for open dialogues but also to open the
Shengen boarders for all this open, wide,
complex and cosmopolitan thinking artists
to get the possibility to come into a real
dialogue with each other and with several
foreign audiences.
70 ST/A/R
Buch IX - STAR-book
Nr. 16/2007
Foto: Andrej Rudjev / St. Petersburg im MUMOK
Multimediale Kulturvernetzung Multimedia
RON VENEZOLANO
Unsere Rum-Ladies aus Venezuela
Polke
Aus der Tasche gezogen
ST/A/R-Redaktion:
Hentz, Gerngross, Tolstoj
Chaos Marcel Houf
Andrej Rudjev, Christian Xell
Fotos: Starredaktion
Nr. 16/2007
Buch IX - STAR-book ST/A/R 71
Naked poetry
Felix Strasser
Hermagor - Moskau
In der Spielzeit 2005-2006 Engagement am
«KONCEPTUALNYJ TEATR KIRILLA GANINA» in
Moskau (Russland). Hauptrollen in: «19 Zentimeter»
(nach N. Gogol «Die Nase») – Kollegienassessor
Kovaljov; «Russian Language for Bastards and
Bimbos» (V. Jaremenko-Tolstoj) – Pasquale; «Abende
antifaschistischer Pornographie» (K. Ganin, H.
van der Klejm) – amerikanischer Soldat, Carla del
Ponte; «Adam & Eva» (K. Ganin) – Adam; «Naked
VIPs» (K. Ganin, verbatim) – dt. Journalist Günther
Heidelfrucht; «Die Lolitchenfabrik» (K. Ganin) – Joob
van der Huj; «Alye Parusa» (nach A. Grin) – Kapitän
Grej.
Mehrere Soloauftritte in verschiedenen Moskauer
Klubs und Galerien (u.a. im Michail-Bulgakov-
Museum) und am Wiener Pygmalion-Theater mit
10minütigen Plotmontagen aus Flugzetteln und
russischer Nationalliteratur Zyklus «GENOSSE
AUSLÄNDER»).
!
Felix und
seine
russische
Frau Julia
Marita
Muukkonen
small-
Stodolsky
Tolstoj
Naked poet Ivor Stodolsky in Lettland,
www.naked-naked.net
Le Monde Nu
Le Nouveau Masturbateur
DU
PERESTROIKA IN CINEMA
PERESTROIKA–AJAN ELOKUVIA
‘THE GLASNOST’ COLLECTION EXHIBITION
GLASNOSTIN AJAN SANOMALEHTIÄ –
NÄYTTE LY
A special issue of this internationally recognised
journal dedicated to the wider questions
raised by the Aleksanteri Fora. Journal 08/08 will
be published in Spring 2008.
Lehden teemanumero 08/08 keskittyy Aleksanteri
Kulttuurifoorumin nostamiin laajempiin
kysymyksiin. Lehti ilmestyy keväällä 2008.
Big-
Stodolsky
All visitors of the Cultural Fora will receive a
free FORA NEWSPAPER “The Raw, The Cooked
And The Packaged”, which will announce the
full conference programme, the film schedule,
and further detailed information. It also will
Or was it a
serve as a notebook and re-configurable exhibition-catalogue.
the former Soviet sphere, the so-called West
counter-revolution? What is its legacy today in
and in areas once known as “non-aligned”? Is it
time for another perestroika?
Against this wide canvas of questions, the Finnish
capital is hosting a series of events dedicated
to perestroika: its history, legacy and the
KIASMA
impulses it may give to the future.
Kulttuurifoorumin tapahtumissa jaetaan ilmaista
FOORUMIN SANOMALEHTEÄ ”Raaka,
Käsitelty Ja Paketoitu”,
Helsinki
jossa on konferenssin
ohjelma, Orionin elokuvaohjelma sekä tarkempaa
tietoa muista tapahtumista. Sanomalehti
toimii myös muistikirjana sekä uudelleen muotoiltavana
näyttelykatalogina.
Vai oliko
se vastavallankumous? Mikä on sen tämän
Projektia ovat tukeneet Pohjoismainen kulttuurirahasto,
Näyttelyvaihtokeskus FRAME ja Poh-
niin kutsutussa lännessä ja alueilla, jotka
hetkinen perintö entisellä Neuvostoalueella,
joismainen kulttuuripiste.
tunnettiin joskus ”sitoutumattomina”? Onko
uuden perestroikan aika?
Näihin laajoihin kysymyksiin liittyen Helsin-
gissä järjestetään tapahtumien sarja, joka
on omistettu
perestroikalle:
sen
historialle,
perinnölle ja
impulsseille,
joita se voisi
antaa tulevaisuuden
kehityskuluille.
le Kulturvernetzung Multimediale Kulturvernetzung Multimediale Kulturvernetzung Multimediale
Multimediale Kulturvernetzung
Gründung des
Gründerväter:
Österreichischen
Filmemachvereins 1/2/3
Dipl.
Statuten des Vereins
„Österreichischer Filmemachverein 1/2/3“
Name und Sitz des Vereins
§ 1. (1) Der Verein führt den Namen
„Österreichischer Filmemachverein 1/2/3“.
(2) Der Verein hat seinen Sitz in Wien. Seine Tätigkeit erstreckt sich
auf Österreich und den Rest der Welt.
(3) Die Errichtung von Zweigvereinen ist nicht beabsichtigt.
Zweck des Vereins
§ 2. Der Verein verfolgt ausschließlich gemeinnützige Zwecke. Er ist
nicht auf Gewinn ausgerichtet und verfolgt folgende Ziele:
1.1. FILMEMACHEN: Machen von Filmen aller Art.
1.2. ORGANISIEREN DES UMRAUMES: Organisation von
Kulturaktivitäten für live-Performance und das Filmemachen.
1.3. VERBREITUNG DER FILME: Vernetzung und multimediale
Verbreitung von Kulturaktivitäten.
1.4. PERSÖNLICHES KENNENLERNEN DER FILMAKTIVISTEN:
Organisation von Film- und Videoaustauschbasen und Errichtung
einer Internetplattform für unmittelbares Geschehen.
1.5. NACHWUCHSARBEIT: Gründung eines Fonds zur
Unterstützung und Ausbildung von jungen Filmschaffenden,
Drehbuchautoren, Performern und anderen Kunstschaffenden.
Wichtig!
Ing. Heidulf Gerngross
Eigelb
filmemach@gmx.at
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ÖsterrEichischer FilmemachVerEin
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seit 2007
Dr. Phil. Wladimir Jaremenko-Tolstoj
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72 ST/A/R
Fotos: Archiv Valie Airport
Buch IX - STAR-book
Nr. 16/2007
LITERATURMYSTERIUM
Der Literat
Günther Arno Geiger -
Gründer der „Wienzeile“ macht weiter
TOT ODER LEBENDIG
WIENZEILE
Der letzte Rebell im Karl-Marx-Hof
„WIENZEILE“
Supranationales Magazin für Literatur, Kunst und Politik
blieben!
Die Kulturarbeit stagniert, man ist voll mit Tarnen und Täuschen beschäftigt!
Nachdem Ende April 2007 mittels einer putschartigen Aktion der Gründer
des VIZA-Literaturförderungsvereins, Günther Geiger
(von dem auch Idee und Konzept für die Literaturzeitschrift Wienzeile stammen)
aus dem Vereinsvorstand ausgeschlossen wurde,
ist bei VIZA Edit vieles anders geworden.
Geiger wurde in weiterer Folge sogar gänzlich aus dem Verein verbannt,
ein Schicksal, welches inzwischen viele kritische „Ehemalige“ mit ihm teilen.
Die neuen Herren des Vereins wollen ungestört sein in ihrem Tun!
So kam es, dass die der Vereinsarbeit im Jahre 2007 zugedachten
Subventionsgelder mysteriös versickerten, dass unter anderem
Druckereirechnungen und Honorare für bereits geleistete Arbeiten unbezahlt
WIR ABER MACHEN WEITER!
Mit einem neuen Verein und den „alten“ WIENZEILEN!
Das Heft Nummer 51 ist in Vorbereitung!
(Eigentlich ist’s so gut wie fertig, wir müssen halt die
erforderlichen Gelder neuerlich auftreiben ...)
__________________________
Für den Inhalt verantwortlich:
Redaktionskollektiv wienzeile
Wien 19, Heiligenstädter Straße 84, Karl-Marx-Hof
Telefon 0660 257 00 71
HYPERLINK “mailto:guenther_geiger@gmx.net” guenther_geiger@gmx.net
Städteplanung / Architektur / Religion
Buch X - WARAN * back from Egypt ST/A/R 73
Mut zum Stillstand
Kunst
ma
höfn
Fotos by:
74 ST/A/R
Buch X - WARAN * back from Egypt Nr. 16/2007
Das schönste Wort
der Welt ist Du
Nr. 16/2007 Buch X - WARAN * back from Egypt
ST/A/R 75
Ich lebe meine Biographie, die ich mir selber geschrieben habe. Es ist eigentlich
ein Liebesroman. In jede Frau, die erscheint, verliebe ich mich unsterblich
- aber wenn ich in den Spiegel schaue weiß ich - das wird wieder ein
one-night-stand..
let it happen. - ihr seid’s ja alles Deppen.
Städteplanung
Luck
/ Architektur
is fuck
/ Religion
in a truck.
Buch X - WARAN * back from Egypt ST/A/R 77
78 ST/A/R
Buch X - WARAN * back from Egypt Nr. 16/2007
FARBENGÖNNER
Herbert Brandl
Dr. Waran Eisenberger goes Egypt
darf ich sie zu dir sagen, oder soll
ich vorher fragen?. es gibt keine
zweifel. dein hirn ist eine festung.
was macht die baustelle? ich wußte
das die zweifler verlieren. i knew
the doubters will loose. ich habe
gefoltert und getötet, um das system
zu verlassen, in dem ich geboren
wurde. ich werde auch weiterhin
töten und foltern. as long as
the fuckers try to understand my
brain. an eurer stelle würde ich
auch in den krieg ziehen und eine
atombombe ins pentagon zu werfen
versuchen. stop brainwashing. eure
gute laune kotzt mich an.
sie haben heute einen einser BMW gewonnen.
big muschi is blowing you
Nr. 16/2007 Buch X - WARAN * back from Egypt
ST/A/R 79
fly rainbow
flyrainbow.at
80 ST/A/R
Buch X - WARAN * back from Egypt Nr. 16/2007
5 Minuten bevor du
stirbst wirst du zum
Katholiken
Fuenf Minuten bevor du stirbst
wirst du zum Katholiken oder du
lernst daS RAUMALPHABET
Städteplanung / Architektur / Religion
Buch XI - AUTO-STAR ST/A/R 81
Foto: Timo Völker
Der Künstler
David Staretz
schreibt, redigiert und fotografiert den Auto-ST/A/R
David Staretz erholt sich vom
Jeepfahren in der Sahara
82 ST/A/R
Buch XI - AUTO-STAR
Nr. 16/2007
Fotos: Andrea Baczynsky
David Staretz
Nervoese Maschinen
Atelier & Gallery
AREA 53
Gumpendorferstraße 53
Finissage
am Donnerstag
10.01.2008
um 19 Uhr
Kurator: Heidulf Gerngross
Ausstellungsdauer
13.12.07 bis 11.1.08
Nr. 16/2007
Buch XI - AUTO-STAR ST/A/R 83
Mit dem Mercedes-Benz CLK 63 AMG Black Series an
die Cote d’Azur. Im Beifahrer-Schalensitz: Viktoriya.
WIE DER BAGGER VON
IHREM
SCHWAGER
Städteplanung / Architektur / Religion Buch XI - AUTO-STAR
ST/A/R 85
Sentimentales Reisen:
Mit 507 PS nach Monte Carlo schnüren,
um einer schönen Frau den Wagenschlag
zu öffnen.
Wenn man versucht, das Potenzial dieser
unglaublichen 6,3-Liter-Granate wirklich
auszuloten, dann geht es nicht ums bloße
Angasen, sondern um das Gesamtkunstwerk Autofahren
– um das Balancieren zwischen den Welten, um Reisen
und Erfahren. Diese Performance, dieses Standing, diese
massive, kontrollierte Überdrehtheit des AMG, all das ruft
nach einer aufregenden Küstenstrecke, nach Corniche und
Col de Turini, nach Tunnels und Brücken und des Meeres
Türkis in allen Tönen, das ruft nach Yachthafen, Café de
Paris und den großen Boulevards von Nizza, Cannes und
Menton. Parken in zweiter Spur vor dem Café Senequier
in St. Tropez. Danach: Gepflegtes Ausrollen im Yachthafen
von Monte Carlo.
*
Keiner versteht das Leben so gut wie junge Russinnen.
Sie kommen aus robusten Verhältnissen, Plattenbau und
Strümpfestopfen, auf hohen Absätzen stöckeln sie über
geborstene Pfade. Leben in der Warteschlange, aber immer
Sinn für Spaß und Unfug.
Kaum auf der bunten Seite angelangt, wissen sie sofort,
worauf es ankommt: Wo man angesagterweise hingeht,
was man trägt, was man bestellt, wo man einkauft, kurz:
wie man das Leben in seiner Höchstform betreibt. Ihr
Staunen ist gering, ihre Anmut unendlich.
Viktoriya aus Novosibirsk ist noch um einiges cleverer:
Als Bibliothekarin geprüft, zur Olympiaschwimmerin
trainiert, mit Kalaschnikow vertraut, aber als
Lebensmittelkontrollorin ausgebildet. Zartes
Zauberpferdchen, doch zäh und immer guten Mutes.
Wacht morgens lächelnd auf, ist für alles zu haben. Zum
Beispiel: Eine Reise an die Cote D‘Azur. Dafür würde sie
auch klaglos in den Linienbus steigen, aber sie nimmt es
genauso gelassen hin, wenn ich vorschlage:
„Wir fahren mit einem Mercedes.“
„Mercedes? Klar, warum nicht. Hat er MP3-Player?“
„CLK. Ist ein eher kleines Modell“.
„Charascho. Aber MP3?“
„Die Sitzschalen lassen sich nicht umlegen.“
„Wozu auch? Ich denke, wir wollen fahren und hören dazu
Musik?“
„Er kostet soviel Geld, dass mir schlecht wird“.
„Du Armer. Komm, lass dich trösten“.
„507 PS“.
„Wie der Bagger von meinem Schwager“.
„Er heißt CLK 63 AMG Black Series.“
„Wir werden es nie-man-dem verraten, nur meinen drei
besten Freundinnen“.
„Er hat MP3-Player“.
„Toll. Wann fahren wir los?“
Wie ein Induktionsmagnet scannt der Wagen die Schleifen
ab, zügig, schlüssig, präzis, und auf Abruf rasend
schnell. Er liebt es, nach Kurven zu schnüffeln, um sie zu
delikaten Radien zu dehnen. In den Sitzschalen wirken die
Fliehkräfte wie ausgelagert, lediglich vorhanden, um den
Reiz zu steigern. Im Schulterschluß mit dem perfekten
Fahrwerk, unterfeuert von 507 PS, vollzieht sich das
Fahren wie ein Akt höheren Fühlens und Handelns: Als
wäre man so toll, wie das Auto vorgibt. Links das Meer
rechts die Felsen, dann und wann ein Tunnel – so versteht
sich wie Welt als Abfolge von Hell und Dunkel, von Reiz
und Reflex, immer kalt abgefedert, während Viktoriya die
italienischen, französischen und monegassischen Sender
durchprobiert. Schließlich scrollt sie Regina Spektor ins
Soundsystem, eine junge Moskoviterin, die in New York
erfolgreich wurde:
Hey remember that time when I would only smoke Parliaments
Hey remember that time when I would only smoke Marlboros
Hey remember that time when I would only smoke Camels
Hey remember that time when I was broke
I didn‘t care I just bummed from my friends
Bum, bum, bum, bum, bum...
*
Viktoriya: „507 PS ist eine Menge. Wen willst du
beeindrucken?“
„Äh, niemand. Das ist eben so. Weniger gabs nicht,
jedenfalls nicht mit diesen Schalensitzen. Und die sind
doch hervorragend, oder!“
„Sehr gut. Wenn auch nicht zum Umlegen. Wo sind die
Rücksitze?“
„Eingespart“.
„Machst du Witze? 140.000 Euro und keine Rücksitze?“
„Ja. Und? Willst du vielleicht Autostopper mitnehmen?“
„Sicher nicht. Was drückst du da?“
„Die Fahrwerkseinstellung. C steht für Comfort. Merkst du
den Unterschied?“
„Lieber, wenn hart. Ist ehrlicher, dann wird mir nicht
schlecht.“
„Gut. Dann wieder auf S, wie Sport“.
„Wozu schaltest du Gänge?“
„Nur so, zum Spaß. Kostet nichts. Sieben Gänge. Gut
gegen Langeweile.“
„So, dir ist langweilig mit mir?“
„Nein, nein, keineswegs. Aber ich muss doch herausfinden,
wie sich alles bedienen lässt“.
„Warum. Verkaufen wir das Auto in Monaco?“
„WO DENKST DU HIN, der gehört mir doch nicht“.
„Also haben wir Reingewinn?“
„Nochmals: Das Auto gehört uns
nicht, außerdem…“
„Ich rufe Olja an. Sie kennt Giorgij,
den Bruder von ihrem Exmann. Sein
Schwager Wassili lebt bei Nizza. Er
weiss, wo …“
„Schluss jetzt. Wir fahren ein paar
Tage ans Meer, machen uns eine
schöne Zeit, und dann fahren wir
zurück, und zwar mit diesem Auto
hier“.
Der Ort Finale Ligure. Palmen
spiegeln sich im teuren Schwarz
des AMG, die Luft flimmert wütend
über der heißen Motorhaube. Erstes
Aufatmen nach den ungeheuren
Stadtgedärmen Genuas, vorbei
an Savona und Imperia, diesen
aberwitzigen Touristenfallen, dann
hinein ins geschmeidige Menton,
hinüber ins hochfahrende Monaco
(Aufzüge statt U-Bahnen), durch
das ungebärdige Nizza, kleine Hotels, quirlige Cafés,
und immer wieder die angenehme Überraschung,
hinter den teuren Fassaden auch den lebendigen Alltag
vorzufinden, Bauernmärkte, Selbstbedienungsrestaurants,
erschwingliche Hotelzimmer und kleine Bars.
Ja doch, es gibt eine Welt, in der 507 PS irgendwie passend
erscheinen, hier, wo alles in Saft steht, die üppige Natur,
die grandiose Bauwerk-Verdichtung, wo der Reichtum
auf geradezu rührend alltägliche Art zur Schau gestellt
wird, wo ein Strafzettel hinterm Scheibenwischer eines
schwarzen Enzo steckt und die Millionärin ihren Pudel
über die Reling ihrer Yacht hält, damit er nicht auf den
Perser pisst.
Alles ist prall und überbordend, dicht und generös, alles
spielt in hoher Liga – und mit dem richtigen Instrument
versehen, darf jeder mitmachen. Allerdings nicht vor zehn
Uhr morgens, da achtet der Polizist vor dem Hotel de
Paris noch auf ungestörte Nachtruhe. Mit herrischer Geste
schickt er uns vom Platz. „Toll“, sagt Viktoriya, „hast du
seine Uniform gesehen? Wie ein Admiral!“
*
Der CLK 63 AMG verkörpert unter den AMGs das
schlüssigste Ideal aus hoher Performance, geringer
Masse und kompakter Darstellung: Aufgebaut wie ein
Racer, versehen mit eigens konstruiertem Fahrwerk,
erleichtert durch Kunststoff-Radkästen, Carbonteile,
Entfall der Rücksitzbank. Optisch erinnert er mit seinen
Strahlenfelgen, den ausgestellten Radkästen, dem massiven
Unterkiefer an das F1-PaceCar der Saison 2006. (Das
hatte allerdings nur 481 PS). Die Heckpartie ist von Show-
Diffusoren, Differenzialkühler, Carbon-Abrisskante und
vier Endrohren zerklüftet.
CLK 63 AMG steht für die Aufrecht‘sche Veredelung
nach Art des Hauses Mercedes. Die weiter verfeinerte
Sonderserie Black Series bedeutet eine Tuningedition
innerhalb der ausgereizten Liga: Weitere 26 PS werden
abgerufen. Die Leistungssteigerung auf 373 kW/507 PS
gelang den Ingenieuren dank einer Überarbeitung von
Ansaug- und Abgasanlage. Der Hochdrehzahl-Saugmotor
atmet Frischluft über größer dimensionierte Ansaugwege.
Die neu entwickelte Sport-Abgasanlage mit doppelflutiger
Führung ermöglicht dank befreiter Schalldämpfer einen
geringeren Abgasgegendruck. Das schafft mehr Leistung
und lässt sich auch gut anhören. Der Achtzylinder ist nicht
nur stärker sondern im Antritt agiler geworden.
Erst geht aber vor allem darum, wie das Tier erwacht.
Dieses Freibrüllen, wenn sich der Motor ins Leben schreit.
Ich konnte nie den Startschlüssel absetzen, um dann den gutgemeinten
Startknopf auf der Mittelkonsole zu drücken. Das Durchdrehen des
Schlüssels, diese Ungeduld des Erwachens, das ist der eilige Vollzug, des
Süchtigen Gier aufs Lospreschen.
Brooooarrggh! In den Tunnels schlägt dieses böse Hämmern durch die
Röhre, als müssten noch ein paar Tonnen Gestein fallen.
Die beiden Schalensitze sind hart aber bequem, verbinden
kompromissloses Eingebautsein der Passagiere mit gleichmäßiger
Druckauflage – wir fuhren 1000 Kilometer am Stück, insgesamt
2200 Kilometer, völlig verspannungsfrei. Die vorgegeben aufrechte
Sitzposition zum tief heruntergezogenen Lenkrad schafft Komfort und
Kontrolle in jeder Situation. So sitzen Tourenwagenfahrer. Nachteil:
Der Tachometerbereich zwischen 100 und 200 km/h ist hinterm tiefen
Lenkradkranz verdeckt. Die Polizei hat sicher Verständnis, wenn Sie ihr
das treuherzig genug erklären! Im übrigen ist die Multifunktionsanzeige
auch für Rundenzeitnahme adaptierbar. Die Tachoskala reicht über die
(abgeregelten) 300 km/h hinaus, man muss ja immer mit Rückenwind
bergab rechen.
*
Der CLK als AMG sieht immer wieder verblüffend gut aus, schwarz,
stark, kompakt, mit den leichtgeschmiedeten 9,0 x 19 und 9,5 x 19 -
Strahlenfelgen unter den herausmodellierten Radbacken, um die Pirelli
P Zero Corsa Sportreifen im Format 265/30 R 19 (vorn) und 285/30 R 19
(hinten) unterzubringen
Unglaublich, dass so viel Show-Potenzial im CLK-Design stecken konnte.
Oft werden Fotohandys gezückt, und die beiden Fratelli im offenen
Gallardo bleiben linksspurig auf der Höhe, recken die Daumen, wollen mit
anlassigen Gasstößen ein kleines Rennen provozieren – Autostrada-Racing
zwischen Ventimiglia und Finale Ligure. Höhere Wesen empfehlen:
„Lieber nicht!“. Obwohl das Kräfteverhältnis ja ziemlich ausgewogen wäre.
„Warum machst du kein kleines Rennen mit ihnen?“
„Weil ich so etwas nicht mit Beifahrern an Bord mache. Ich fühle mich für
dich verantwortlich.“
„Willst du nicht wissen, wer schneller ist?“
„Schooon, aber die haben Heimvorteil und ich rase ins Radar, wo sie im
letzten Moment abbremsen ...“
Sie schaut gelangweilt in die Landschaft. Diesen Lauf habe ich offenbar
verloren.
Auch die Yacht-Millionäre in Monte Carlo sind sich nicht zu gut, um ein
lächelndes „Nice car!“ zu spendieren, (allerdings wirken sie dabei etwas
abgelenkt von der lustwandelnden Viktoriya, die ihre Bluse auf russische
Art bis weit über den Bauchnabel hochgezogen hat, um möglichst viel
Sonne zu tanken).
Auf einer italienischen Tankstellenrast verlangt ein Aficionado im Alfa
nach einer Dosis Sound, ich möge doch bitte einmal den Motor im
Leerlauf hochjagen? Er zog sich das Röhren rein wie eine Arie.
*
Es ist nicht leicht, in Monte Carlo, in Nizza oder St. Tropez einen Parkplatz
zu finden. Gut getimtes Parken kann über Schicksale entscheiden,
ich kenne ein Mädchen, die machte genervt Schluss mit ihrer neuen
Bekanntschaft, weil er einfach keinen Parkplatz in der Nähe ihrer
Wohnung finden konnte.
Im CLK AMG kann sowas nicht passieren. Er zählt zu den Autos, vor
denen sich das Blechmeer wundersam öffnet. Egal, ob man auf Budget-
Trip in den Gässchen unterwegs ist oder dem Portier des Casinos den
Autoschlüssel mit neureicher Geste zuwirft – mit diesem Wagen ist man
immer gut angezogen, passend für jede Gelegenheit.
„Im Negresco kann jeder übernachten“, doziere ich meiner skeptischen
Viktoriya, „aber so etwas Romantisches wie dieses versteckte Hotel Azur
in Monte Carlo um 68 Euro die Nacht - das schafft nicht jeder. Das muss
man erst einmal rausfinden“. Sie schweigt, während ich einige Passanten
über die Straße bitte, die sich nicht sehr beeilen wollen. Viktoriya: „Siehst
du? Die Monegassen sind gelassen. Das gefällt mir. So will ich das auch
machen.“ Ich versuche noch eins draufzugeben: „Aber in Nizza gibts nur
Flitzer“. „Und die teure, schlechte Pizza.“
Dann dreht sie wieder Regina Spektor auf:
Hey remember the time when I found a human tooth down on Delancey ...
Hey remember that time we decided to kiss anywhere except the mouth ...
Hey remember that time when my favorite colors were pink and green ...
Hey remember that month when I only ate boxes of tangerines.
So cheap and juicy!, tangerines.
Technische Daten
Motor
Einbaulage
AMG
Mercedes-Benz CLK 63 AMG Black Series
Der Mercedes-Benz CLK, in der Zivilversion maximal 387 PS stark,
wird bei der nunmehr hundertprozentigen Mercedes-Tochter AMG
mit dramatischen 481 PS angeboten. In der abermals getunten, nicht
limitierten Sonderausgabe Black Series versprüht der V8 nunmehr 507
PS, was ihm zu bemerkenswerten Merkmalen verhilft. Erste Hürde aber:
Ein Neuwagenpreis ohne Extras von 141.610, –.
CLK 63 AMG Black Series
V8
vorn längs
Ventile/Nockenwellen
4 pro Zylinder/4
Hubraum 6208 cm 3
kW (PS) bei 1/min 373 (507)/6800
Literleistung
82 PS/Liter
Nm bei 1/min 630/5250
Antriebsart
Der CLK 63 AMG Black Series erhält 11,5 von 12 STAR-STERNEN
Getriebe
Bremsen vorn
Bremsen hinten
Hinterrad
7-Gang-Automatik
360 mm/innenbel./gelocht
330 mm/innenbel./gelocht
Radgröße vorn / hinten 9Jx19 / 9,5x19
Reifen vorn / hinten 265/30R19 / 285/30R19
Reifentyp
Länge/Breite/Höhe
Radstand
Leergewicht/Zuladung
Leistungsgewicht
Tankinhalt
EU-Normverbrauch Ø auf 100 km
RAMP Testverbrauch
Beschleunigung von 0–100 km/h
Höchstgeschwindigkeit
Pirelli Zero Corsa
4657/1833/1365 mm
2715 mm
1760/235 kg
3,5 kg/PS
62 l
15,3 l 98 Oktan
12,8 l 98 Oktan
4,3 s
300 km/h, abgeregelt
86 ST/A/R
Buch XI - AUTO-STAR
Nr. 16/2007
Davids Welt
Lamborghini-Magazin
Konzeptionist, Autor und
Fotograf für eines der
exklusivsten Magazine der
Welt. (Gewinnt gleich mit der
ersten Ausgabe den Hauptpreis
in Gold beim Mercury-Award
und Best of Publishing vor
BMW-, Mini,- Mercedes-
Magazin.)
Autorevue.
Seit 31 Jahren hier beheimatet, teilweise als
Chefredakteur, heute als Autor.
Reisemagazin
Liefert Text und Bild aus
Brasilien, Indien, USA,
Chile, Split, Balaton
und Kambodscha in
bedingungsloser Hingabe
an die charismatische
Chefredakteurin Christina
Dany.
profil
Seit ca. 7 Jahren betreibt
er hier seine teils kritische,
teils witzige Kolumne
AUTODROM.
RAMP
Konzeptionist, Autor und
Fotograf für das Maßstäbe
setzende Auto-Lifestyle-
Magazin aus Deutschland.
Modern Times
Zuletzt: Das große Joe-
Zawinul-Interview.
Nr. 16/2007
Buch XI - AUTO-STAR ST/A/R 87
Nonsens-Kalender 08
David ist Gründungsmitglied.
Ideengeber und Textverantwortlicher
des Vereins zur Verwertung von
Gedankenüberschüssen, der u. a.
das Nonseum Herrnbaumgarten
(eine permanente Nonsens-Erfinder-
Ausstellung) betreibt und jährlich einen
Kalender herausgibt. Der Kalender
08 wurde von David fotografiert und
betextet. NEU: Monate übersichtlich
nach alphabetischer Reihenfolge
geordnet.
David ist verheiratet mit der aus Novosibirsk gebürtigen
Modistin Viktoriya Sitochina (Josefstädter Str. 38).
DAVID
LENK MICH DOCH!
Das Auto in 29 Einzelteilen.
Bei Deuticke Verlag, im
Buchhandel
erhältlich um EURO 14.90.
Bengt-Fallström-Cartoons. Meist in der Autorevue zu sehen.
Designer-
Uhrenkollektion.
Bengt-Fallström-T-Shirts
morgen
Die Niederösterreichische
Kulturzeitung schickte
David zuletzt nach
New York, um dort den
gefeierten Künstler
und Philosophen Paul
Rotterdam zu poträtieren.
NERVÖSE MASCHINEN
Seit zehn jahren baut David seine
kinetischen Objekte, die er in
den Auslagen seines “Kontor
Staretz” oszillieren lässt und in
Galerien ausstellt: Alte Schmiede
Wien, Galerie Paradigma Linz,
Walzenmuseum Guntramsdorf,
und aktuell in AREA 53,
Gumpendorfer Str. 53, noch bis
10. Januar 08.
88 ST/A/R
Buch XI - AUTO-STAR
Nr. 16/2007
Für ST/A/R gefahren in einem Hangar bei Paris: Nissan Mixim Concept Car
X-BOX FÜR ANGEWANDTE
Nissan
Mühsam schält es sich in die Realität: Das momentan bestversicherte Nissan-Unikat scheint von
weither aus einer virtuellen Paralellwelt zu uns durchgedrungen zu sein
TEXT UND FOTOS: DAVID STARETZ
Der Mixim wurde für folgendes Szenario entworfen:
Autofahren, veraltete Technologie
der Fortbewegung, muss künftig um seinen
angestammten Stellenwert bangen. Nissans
Antwort auf eine Zukunft der Konsolen-Racer und
Stubenhocker: Eine geschlossene Medienstation,
die sich per GameController (statt drögem Lenkrad)
und Stealth-Design quasi subversiv als Auto
entpuppt. Damit das nicht zu offenkundig wird,
muss man die virtuelle Ebene so gut wie gar nicht
verlassen, lästige Realität erscheint wie eingespielt
auf dem oberen Teil der Panoramascheibe, deren
unterer Teil sich in dramatischer Computeranimation
auflöst.
Damit weiter keine störenden Einflüsse aufkommen,
wurde Mixim auf rein elektrischer Basis gehalten,
wie das Kabel bezeugt, das zur Steckdose
in diesem leerstehenden Hangar bei Nizza führt,
wo das Concept Car, Star auf Nissans letztem IAA-
Stand, ausgesuchten Medien vorgeführt wird.
Auf drastische Weise führt uns das Schicksal klassische
Schwächen der Antriebsart vor: Ein blöder
Stromausfall gerade jetzt bewirkt, dass der Mixim
nicht aufgeladen werden kann.
Die beiden schlicht “Super Motor” genannten
Antriebseinheiten, je eine für Vorder- und Hinterachse,
stehen still, so lange die Lithium-Ionen-
Batterien keinen Saft bekommen.
Der Wagen, auf Micra-Basis aufgebaut, gefällt inzwischen
durch gekonntes Design, allerdings am
äußeren Rande der Realisierbarkeit (bloß nicht
rechts über die Schulter schauend in Fließverkehr
einordnen müssen!), wie schon die fehlenden
Scheibenwischer verdeutlichen.
Umso dramatischer schwingen auf Knopfdruck
die beiden Flügeltüren auf, ein ewiger, wenig praxishinterfragter
Symbolismus der Moderne.
Ebenso modern wie unpraktisch: Dreiersitze, wobei
der Fahrer eine vorgerückte Zentralposition
innehat. Zwecks erleichtertem Aussteigen lassen
sich Fahrersitz und linker Beifahrersitz zur Tür
Monitor der Rückspiegelkamera
hin schwenken. Das ist alles wunderbar weltfern
und extracool, aber wirklich gelungen find ich die
Heckleuchten wie flüssige Lava.
Nett auch: das allgegenwärtige Rhomben-Thema,
wie man es im Matrix-Lichtbereich und an der
Flanke vorfindet.
Die kühlgraue Lackfarbe unterstreicht einen gewissen
Post-World-Charakter; der Mixim mit seinem
nur aufs Notwendigste klaffenden Visier. Draußen
regnet es. Ratlos stehen wir um das saftlose
Auto herum, es ist alles gesagt. Draußen fährt ein
Lieferwagen vorbei, hoffnungslos veraltete Technologie,
und entschwindet in einer Gischtwolke.
Wir haben Zeit. Die Zukunft kann warten.
David Staretz – leider Stromausfall
Städteplanung / Architektur / Religion
Buch XII - Kunstmarkt ST/A/R 89
ARSENIK Bischof von Wien
Erste KLOKAPELLE der Welt
1. Klokapelle der Welt von Waran.
1060 Wien, Capistrangasse 2
wird von Bischof Arsenik im Jänner 2008 geweiht.
Karotti alias Karl Rottinger ist der fertigste Hund der Galaxis.
Total ausgeglichen und extrem angespannt. einatmen-ausatmen. und nie agressiv und
zu jedem lieb. der geborene looser.
und jetzt zur florence. blow-flow-no job.
liebe florence
ich werde dich nie lieben, aber heiraten werd ich dich trozdem. du willst mich nur
vergiften mit deinem verseuchten, feuchten, modrigen, morbiden muschigeruch. deine
sexuallität kannst du dir in deine oaschhaare schmieren. das einzige was ich von dir
nicht will ist kohle und kinder. ich hab's jetzt mit herwig getrieben und verstehe jetzt
deine mama. von nun an will ich dich nur mehr umarmen.
omen
mary lu- die mutter aller horrorfilme
die wahrheit ist weiß wie schnee.
wo ist die capistrangasse 2?
WARAN
Silikon vibration
90 ST/A/R Buch XII - Kunstmarkt
Nr. 16/2007
Neue Wienzeile
Christian Schreibmüller
VON A ZU B ZU C
A trifft B, verliebt und sehnt sich.
B hat D und E im Feuer,
alte Eisen, aber gute.
A entbrennt in der Minute,
ist sich selbst nicht mehr geheuer.
Eben kommt da wieder B,
betütelt C und D und E
und holt den A in diese Runde,
drang doch auch zu ihm die Kunde,
A hätt’ sich von ihm erholt.
Jedoch: Da kommt die C ins Spiel.
Die schöne, geniale C,
sie stöhnt so schön das hohe C,
vollendet nun, was B mit A
noch lange nicht gelungen war:
Sie weckt den Gläubigen in ihm
und wird zur Göttin ihm, zum Star.
Indes: Sie wird nicht leicht intim.
Nun, er verliebt sich dionysisch,
eher psychisch noch als physisch.
Doch die Andern, generell,
seh’n die Liebe sexuell.
Sie reden von Französisch, Griechisch.
Das benützt die C und schnell
verscheucht sie A, und das bedrängt ihn,
deprimiert ihn, schlaucht und kränkt ihn.
Selbstmord plant er still zuhaus,
doch geht der kleinste Suizid
sich vom Termin her grad nicht aus.
Jedoch wir ahnen unbewußt:
Auch das ereignet sich mit Lust.
Auch hier funkt immer wieder ´rein
das ausgebuffte Ego-Schwein.
Das läßt uns uns in andren Wesen
finden, und wir saugen, lesen
alles uns aus ihnen raus. --
Und schließlich sind sie ausgelesen.
ВЕНСКИЕ ВИТИЙСТВА -
WIENER SPINNEREIEN
farce vivendi – russische
Bibliothek
ISBN 978-3-902603-00-5
Helden in der
Kulturspieldose
“Wien ist eine bemerkenswerte Stadt,
der man den leichtfüßigen Geist des
Walzers austreiben und an seines schrille
Dissonanzen setzen müsste. Vielleicht
würde sie dann ein wenig von der Tragik
des Alltags verspüren und der Realität
ins Auge blicken.” Eine möglicherweise
schroffe Herangehensweise. Und eine
gnadenlose. Doch was soll ein in den
Traditionen eines Gogols, Dostojewskijs und
Tschechows aufgewachsener Mensch auf
der Suche nach Sinn, Wahrheit, Gültigkeit
sonst empfinden, wenn er erstmals in die
österreichische Hauptstadt kommt als ein
Gefühl der Irrealität und Spielzeughaftigkeit
der Umgebung und Geschehnisse. Als wäre
Wien eine Spieldose aus Stein.
Diesem Umstand trägt das vorliegende
Buch Rechnung, das die Werke der Autoren
und Autorinnen des unter dem Thema
“Russische Kultur in Dispersion” stehenden
Festivals “RUSSIA TODAY. Moskau an der
Donau” (Wien, 2006) vereint.
Das Buch „Wenskie Witijstwa“ beinhaltet
Gedichte, Prosatexte und Dramen der
Teilnehmer am internationalen Festivals
„Russia today. Moskau an der Donau“
(Pygmalion-Theater, Wien, 11.-13. Juni
2006). Mit diesem Band beginnt der
österreichische Verlag „farce vivendi“
eine neue Serie: „farce vivendi – russische
Bibliothek“.
Erschienen bei farce vivendi, Wien-St.Petersburg 2007
www.farcevivendi.at
Herausgeber: Julia Vitoslavski und
Stanislaw Schuljak
Layout: Stanislaw Schuljak
Cover: A. Iljin
INHALT
Gedichte: Alexander Andrijewskij, Larisa
Wolodimerowa, Irina Dudina, melamar (Melanie
Marschnig), Jan Pawlizkij, Wladimir Stokman
Erzählungen: Julia Vitoslavsky, Valentina
Wolodarskaja, Bischof Arsenij (Subakow), Anna
Korol, Igor Smirnow-Ochtin, Sergej Spirichin
Theaterstücke: Alexander Obraszow, Stanislaw
Schuljak, Wladimir Jaremenko-Tolstoj
Nachwort: Stanislaw Schuljak
Wiener Anarchistin Valie
Airport und ihr Projekt
„Farce Vivendi“
DRAMA X
Oxana Filippova/ Wladimir Jaremenko-Tolstoj
farce vivendi – russische Bibliothek
ISBN 978-3-902603-01-2
Dieser Band enthält das Stück „Uroki russkogo jasyka – Russisch-Lektionen“ von Wladimir Jaremeko-
Tolstoj, das bei dem Theaterfestival „Ljubimowka-2004“ mit dem ersten Preis ausgezeichnet und 2006
im konzeptuellen Theater von Kirill Ganin im Moskau aufgeführt wurde. Das Stück wurde vom Johann
Beckmann Institut, Helsinki als Lehrbuch für westeuropäische Philologen und Slawisten herausgegeben.
Das Stück „Alle Menschen sind Schwestern“ von Oxana Filippova erhielt 2006 den ersten Preis des vom
Wiener Amerlinghaus organisierten Literaturwettbewerbes „Schreiben zwischen den Kulturen“ und
erschien in deutscher Sprache wird den Neid der Brüder Presnjakow, Durnenkow und Strugazki auf sich
ziehen.
Der Band enthält 14 weitere Stücke, Etüden und Synopsen für Theater, Film und Fernsehen.
Drama X markiert einen neuen Trend in der zeitgenössischen Dramaturgie geprägt durch die Suche nach
neuen, nicht standardisierten literarischen Formen und lebenden Bildern, künstlerische Provokationen,
zeitgeistigem ästhetischen Schliff und gediegene Textqualität.
Erschienen bei farce vivendi, Wien-St.Petersburg 2007
www.farcevivendi.at
Herausgeber: Valie Göschl
Lektorat & Layout: Maxim Schwez
Coverbild: Marina Jasytschenko
Druck: Renome/St. Petersburg
Gedicht von Theresa Stieböck
Ist das Wesen andrer Wesen
und das Scheitern ihres Planes
nicht der Stoff eines Romanes?
Halt: Da liegt er schon: ´s ist B.
Auch ihn stört, daß ihn diese C
verlassen hat, die offenbar
recht lange seine Flamme war.
our man in St. Petersburg
Sie fordert Anteil am Besitz,
agiert noch immer wie der Blitz,
sobald es gilt, ihm was zu nehmen,
will für Freundschaft Tantiemen.
A will weg von B und C
und angelt sich die stille D.
Doch B entführt der D den A,
wodurch die C, die lang nicht spitz,
sich plötzlich int´ressiert für A.
Und schließlich finden alle drei,
ja vier einander, dideldei!
So könnt´ es geh’n. Naja: Beinah’!
Doch läuft es meistens höllisch anders.
Denn da redet eine Schar
von Psychos mit und Lilo Wanders.
“Aufgeschlossen” wie sonst nie
vernichten sie die Utopie,
denn dieses Dauerrisiko,
das wollen wenige sich geben,
reih´n sich lieber zwo und zwo
und leben wie halt alle leben.
Christian Schreibmüller
ST/A/R ißt
Bagels!!!
Inserat Stars 18.12.2007 12:59 Uhr Seite 1
Nr. 16/2007
Buch XII - Kunstmarkt ST/A/R 91
A-1010 Wien | Spiegelgasse 21 | Tel.: +43 1 513 01 03 | Fax: +43 1 513 01 04 | Mobil: +43 664 34 01 677 | philipp.konzett@artkonzett.com
Die gute Seele der Galerie Konzett, Margit bei der Arbeit
KONZETT
94 ST/A/R Buch XII - Kunstmarkt
Nr. 16/2007
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0–18 0–18 Uhr
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Nr. 16/2007
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RAMM
ORMATIO
Westbahnstrasse se e 9, 9 1070 Wien. Ma
Öffnungszeiten
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Buch XII - Kunstmarkt ST/A/R 95
DER KUNST-
SUPERMARKT
MIT PROGRAMM
WEITERE INFORMATIONEN &
WEBSHOP AUF WWW.M-ARS.AT
Westbahnstrasse 9, 1070 Wien. Mail: office@m-ars.at, Tel: 01 890 58 03
Öffnungszeiten
Mo bis Mi 10–19 19 Uhr, Do und Fr 10–20 Uhr,
Westbahnstrasse 9, 1070 Wien. Mail: office@m-ars.at, Tel: 01 89058 03
Öffnungszeiten Mo bis Mi 10–19 Uhr, Do und Fr 10–20 Uhr, Sa 10–18 Uhr
96 ST/A/R Buch XII - Kunstmarkt
Nr. 16/2007
Foto © Karl Michalski/MAK
Der Architekt.
Der Direktor.
Der Bundespräsident.
Ereignis: Eröffnung der MAK-Ausstellung
COOP HIMMELB(L)AU. BEYOND THE BLUE
12.12.2007–11.5.2008
MAK-Ausstellungshalle
Weiskirchnerstraße 3, Wien 1
Di MAK NITE © 10.00 – 24.00 Uhr,
Mi–So 10.00– 18.00 Uhr, Mo geschlossen.
Führungen: Sa, So 16.00 Uhr
Durchgehender Informationsdienst und
Kurzführungen: Sa 14.00–16.00 Uhr
Eintritt: Euro 9,90 mit MAK-Guide / Euro 7,70 / ermäßigt Euro 5,50
Samstag © Eintritt frei. Powered by
www.MAK.at
WIEN – LOS ANGELES – BRTNICE*
* Eine Expositur der Moravská galerie, Brno und des MAK Wien