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ST:A:R_21

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Nr. <strong>21</strong>/2009 Buch III - <strong>ST</strong>/A/R-Galerie<br />

<strong>ST</strong>/A/R 23<br />

Projekt angestellt. Die Situation zu erzeugen,<br />

eine künstliche Autoritätsfigur zu evozieren<br />

und sie dann zur Eskalation zu bringen. Alle<br />

Situationen sind einmalig, unwiederholbar<br />

und äußerst anspruchsvoll zu spielen.<br />

„Life“ und mit der Möglichkeit, das reale<br />

Menschen, das Geschehen sabotieren oder<br />

verunmöglichen. Das Scheitern ist mit<br />

gedacht und gewollt, dieses Scheitern an der<br />

Realität, sei es das der Figur Weibels, des<br />

Schauspielers, des angespielten Zuschauers<br />

oder des Angegriffenen sind im Filmmaterial<br />

dokumentiert und werden ungeschnitten<br />

belassen. Das Scheitern an der Realität ist<br />

ein entscheidender Moment. Aber Realität,<br />

was ist Realität?<br />

Klaus Weibel schlägt uns die aristotelische<br />

Vernunft vor. Er verweist uns auf den Film<br />

Bennys Video des Regisseurs Michael Haneke<br />

aus dem Jahre 1992. Benny, ein zwölfjähriger<br />

Junge lebt in der Höhle der neuen Medien.<br />

Sein Zimmer ist mit elektronischen Geräten<br />

aller Art vollgepackt. Der Blick aus dem<br />

Fenster ist nur durch einen Bildschirm<br />

möglich. Im Zimmer sind Videokameras<br />

installiert, die das Geschehen aufzeichnen.<br />

Als Benny eines Tages von einem Mädchen<br />

besucht wird, ist das der Beginn eines<br />

tödlichen Spiels. Sie spielen beide mit einer<br />

zur Tötung von Schweinen verwendeten<br />

Pistole. Zunächst fordert Benny das Mädchen<br />

spielerisch auf, auf ihn zu schießen. Das<br />

Mädchen weigert sich. Als sich das Spiel<br />

umkehrt, hat es für das Mädchen tödliche<br />

Folgen. Die Szene wird von den im Zimmer<br />

befindenden Kameras aufgenommen. Benny<br />

erfährt eine Läuterung, indem er nicht an<br />

der Video-Vorstellung seiner Tat verhaftet<br />

bleibt, sondern sich dem Sinn dieser Tat<br />

öffnet. Über die schwierige Loslösung von<br />

den medialen Fesseln erfahren wir anhand<br />

von Andeutungen: Allerdings ist die Welt<br />

des Sinns der Sinne für Benny keineswegs<br />

göttlich, sondern zutiefst menschlich. Das<br />

Unumkehrbare seiner Tat öffnet ihm die<br />

Augen der Vernunft.[1]<br />

Platon hatte in seiner staatsutopischen<br />

Schrift “Politeia” die These vertreten, dass<br />

Schlechtes und Verbrecherisches auf der<br />

Bühne zu sehen, die Menschen ihrerseits<br />

schlecht und verbrecherisch mache.<br />

Aristoteles hatte hingegen eingewendet, dass<br />

das Gegenteil der Fall sei. Platons Angst vor<br />

der negativen Medienwirkung setzte er die<br />

Hoffnung auf eine rationale Bewältigung<br />

und daher positive Medienwirkung entgegen:<br />

Die Menschen würden dadurch, dass sie sich<br />

mit dem Schwierigen und Problematischen<br />

auseinander zusetzen haben, nicht selbst<br />

schwierig und problematisch, sondern<br />

geübt im Umgang mit Schwierigem und<br />

Problematischem. Dies erinnert mich an eine<br />

Diskussion mit einer Frau, die ich nicht kannte,<br />

in der Küche eines Freundes in Wien und die<br />

Diskussion über „Hundstage“ von Ulrich<br />

Seidel, im Gegensatz zu „Sommer Vorm<br />

Balkon“ von Andreas Dresen. Hundstage,<br />

sei kalt und unmenschlich, voyeuristisch<br />

und zynisch, Dresen jedoch zeichnete die<br />

Charaktere weicher, verletzlicher, in ihrer<br />

romantischen und menschlichen Art und<br />

gefiele ihr viel besser. Ich argumentierte<br />

anders, ich mochte beide Filme, mir blieb<br />

Hundstage jedoch stärker in Erinnerung, da<br />

ich die Unversöhnlichkeit des Geschehens<br />

und die<br />

Aber ist das die Realität oder kann dies<br />

die Realität sein? Kann Film überhaupt<br />

Realität abbilden? Wie aber können wir<br />

Realität abbilden, oder wie können wir<br />

unsere Sinneswahrnehmungen in Film<br />

umsetzen? Bei der Entwicklung der Figur<br />

Weibel haben wir immer wieder nach<br />

Möglichkeiten gesucht Fiktion in Realität zu<br />

implementieren und dadurch Realitäten zu<br />

schaffen, verlaufsoffen und möglicherweise<br />

eben zum Scheitern verurteilt. Pate stand<br />

hier weniger die Forderung der Dogme 95<br />

: Zeitliche oder lokale Verfremdung ist<br />

verboten – d.h. der Film spielt hier und<br />

jetzt, auch wenn sich Szenen immer hier<br />

und jetzt abspielen, nur das sie nicht mit<br />

gecasteten Schauspielern hier und jetzt<br />

ablaufen, sondern Schauspieler im Spiel mit<br />

real existierenden und real angesprochenen<br />

Personen, die weder Amateurschauspieler<br />

sind, noch solche sein wollen. Als Drehorte<br />

kommen ausschließlich Originalschauplätze<br />

in Frage, auch wenn wir natürlich Requisiten<br />

ergänzen und der Regisseur ist natürlich in<br />

seiner Rolle auch erheblich beschränkt, er<br />

kann zwar im Vorhinein den Schauspieler<br />

instruieren, kann aber im Verlauf weder<br />

helfend noch korrigierend eingreifen. Im<br />

direkten Gegensatz zu Dogme 95 ist dieses<br />

Projekt individuell, nur dass das Individuum<br />

ein komplementäres Kollektiv, das sich<br />

wie ein offenes Autorensystem das seine<br />

Akteure in Impulsumgebungen bringt.<br />

Ähnliche Bestrebungen gab es schon in<br />

den 1950er Jahren mit der aus Frankreich<br />

stammenden Nouvelle Vague und dem 1962<br />

veröffentlichten Oberhausener Manifest.<br />

Es kommt jedoch ein wesentlicher Faktor<br />

hinzu, der Erfahrungsfaktor. Wir erinnern<br />

uns an den Film „The Game“ von David<br />

Finchen. Der Film handelt von einem sehr<br />

reichen und zynischen Investmentbanker,<br />

Nikolas Van Orten, gespielt von Michael<br />

Douglas, und seinem Bruder Conrad,<br />

gespielt von Sean Penn und dessen Geschenk<br />

anlässlich seines 48. Geburtstages. Es ist<br />

die Teilnahme an einem mysteriösen Spiel<br />

der Firma „Consumer Recreation Service<br />

(kurz CRS). Das Spiel beginnt unmerklich<br />

und nimmt dann ständig an Dramatik<br />

zu, der Zuschauer ist auf der Suche nach<br />

Erklärungen, was ist Spiel und was ist die<br />

Filmrealität, bis er schließlich merkt beides<br />

ist eins. Die Realität des Spiels bestimmt<br />

die Realität der Charaktere, Nicolas von<br />

Orten ist im Netzt des Spiels gefangen und<br />

beginnt sich langsam immer stärker in die<br />

Realität des Spiels hinein und aus seiner<br />

eigenen heraus zu bewegen. Irritation<br />

wird zu Wut, Wut wird zu Verzweiflung,<br />

Verzweiflung wird zur Aufgabe, schließlich<br />

der Fall durch das Atrium des Hochhauses,<br />

vermeintlich todbringend und die Auflösung,<br />

die sichere Landung, das Geburtstagsfest.<br />

Händeschütteln. Conrad schenkt seinem<br />

Bruder eine Borderline –Erfahrung.<br />

Cameron Crowes US-Remake des<br />

spanischen Psycho-Thrillers “Abre los Ojos”<br />

von Alejandro Amenábar (“The Others”) ist<br />

ein lange Zeit verstörender, aber letztlich<br />

faszinierender Alptraum. Der New Yorker<br />

Vorzeige-Playboy David Aames (Tom<br />

Cruise) genießt sein sorgenfreies Leben in<br />

vollen Zügen. Sein Vater hinterlässt ihm<br />

ein millionenschweres Verlagsimperium.<br />

Privat führt der selbstverliebte Lebemann<br />

eine sarkastische, zynische Beziehung zu<br />

dem Model Julie (Cameron Diaz), das er<br />

ebenso wenig liebt, wie er die Freundschaft<br />

zu seinem einzigen Kumpel Brian (Jason<br />

Lee) respektiert. Er beginnt eine Affäre mit<br />

der Freundin von Brian, Sofia. David ist<br />

sofort von der Tänzerin Sofia (Penélope<br />

Cruz) fasziniert, als er ihr auf einer Party<br />

begegnet. Julie, die gern eine feste Beziehung<br />

hätte, fühlt sich hintergangen. Sie verwickelt<br />

David in einen Autounfall, gemeinsam<br />

rasen sie mit 120 Stundenkilometer eine<br />

Brückenbrüstung hinunter - Julie ist tot,<br />

David überlebt schwer verletzt - sein Gesicht<br />

ist furchtbar entstellt. Nach dem Unfall wird<br />

David einem Verhör eines Therapeuten<br />

ausgesetzt, der herausfinden soll, was<br />

wirklich passiert ist, denn so wie David es in<br />

Erinnerung hat, scheint es nicht gewesen zu<br />

sein. Mit zunehmender Dauer des Film wird<br />

der Zuschauer, der an die Blickperspektive<br />

Davids gebunden ist, wie der Protagonist, die<br />

Übersicht zu verlieren. Immer verzweifelter<br />

versucht David, die Wirklichkeit zu verstehen.<br />

Was ist Traum - was ist Realität? Am Ende<br />

steht er wie der Zuschauer auf dem Dach<br />

eines Hochhauses und springt. Allein er<br />

wacht im Krankenhaus auf und lebt.<br />

Warum diese beiden Filme? Diese Filme<br />

verschleifen nicht nur die Realitätsebenen<br />

im Film, sondern handeln beide von<br />

Unternehmen die Realitäten verändern und<br />

Spielrealitäten evozieren, die den Spieler<br />

mit Grenzerfahrungen konfrontieren.<br />

Grenzerfahrungen, die im Moment in<br />

ihrem Spielcharakter nicht erkennbar<br />

sind. Das totale Zusammenbrechen der<br />

eigenen Wahrnehmungsgewohnheiten.<br />

Wirtschaftlicher, physischer und psychischer<br />

Ruin werden dramatisch realitätsnah für<br />

die Protagonisten im Film erfahrbar. Diese<br />

Erfahrung, diese Grenzerfahrung, den<br />

Moment des eigenen Scheiterns, des totalen<br />

Versagens und das in einem Realszenario<br />

interessiert uns mit dem Projekt Klaus Weibel.<br />

Wie der Mitarbeiter von Finchens CRS sagt,<br />

sie fahren nicht in die Ferien, die Ferien<br />

kommen zu Ihnen. Analog hierzu Klaus<br />

Weibel kommt zu Ihnen. Diese Konfrontation<br />

der Kunstfigur mit der Realität und in der<br />

Realität von vermeintlich Unbeteiligten oder<br />

einem oder wenigen Beteiligten ist für uns<br />

von Interesse. Was passiert, wenn er einen<br />

Unbeteiligten, am Geschehen beteiligt und<br />

dies im Film zu sehen ist. Verwunderung<br />

ist ja noch die geringste der möglichen<br />

Reaktionen, am ende ist alles offen und das<br />

ist auch gut so!<br />

[1] Vgl. Rafael Capurro:<br />

HÖHLENEINGÄNGE. Zur Kritik des<br />

platonischen Höhlengleichnisses als<br />

Metapher der Medienkritik, 2004, www.<br />

capurro.de/plato.html<br />

leidenschaftsfähig. Manche Farbe lässt die Künstlerin eigensinnig wirken. Die Sujets ihrer Photos & Videos sind inside „out-looks“ – zeigen Bühnen, auf<br />

denen performative Einsamkeit, Selbstbegegnung und Gemeinschaftliches stattgefunden haben oder gerade erwartbar sind. Die Künstlerin etabliert<br />

„Zwischenwelten“ und vermeidet das „alter-naive“ Pathos sich „Gegenwelten“ gleichsam auszumalen, in welche zu flüchten sich lohnen könnte. Auch<br />

wenn es konsequent in ihrer Kunst um ihre Person, deren Verletzlichkeit oder deren Herausforderung Künstlerin sein zu müssen/wollen, geht, setzt<br />

sich Jelinek nicht „ich-haft“ ins Zentrum optionalen Erzählens. Die Künstlerin lotet die analogen Medien beharrlich aus, keineswegs aber nostalgisch,<br />

sondern um sich deren experimenteller Möglichkeiten immer neu zu versichern – so verwendet sie die digitalen Medien mit einiger Klugheit mehr.<br />

Herbert Lachmayer

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